TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/2 G314 2243697-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.07.2021
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Entscheidungsdatum

02.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55 Abs4

Spruch


G314 2243697-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der kolumbianischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt VI. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2021, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Einreiseverbots zu Recht:

A)       Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass es in Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids richtig zu lauten hat: „Gemäß § 53 Abs 1 und Abs 2 FPG wird gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.“

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF) wurde am XXXX .2021 gemeinsam mit einem venezolanischen Staatsangehörigen, der in Spanien internationalen Schutz beantragt hatte, festgenommen, nachdem ihr die Einreise aus Österreich nach Deutschland verweigert und sie von den österreichischen Behörden rückübernommen worden war. In der Folge wurde sie im Polizeianhaltezentum XXXX angehalten und am XXXX .2021 polizeilich vernommen.

Mit Schreiben vom 13.05.2021 forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die BF auf, sich zur beabsichtigten Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu äußern und Fragen zu ihrem Aufenthalt in Österreich und zu ihren privaten und familiären Verhältnissen zu beantworten. Die BF erstattete keine Stellungnahme.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erteilte das BFA ihr keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 10 Abs 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt II.), stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung nach Kolumbien zulässig sei (Spruchpunkt III.), gewährte gemäß § 55 Abs 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.), erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.) und erließ „gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 0 FPG“ ein mit zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VI.).

Das Einreiseverbot wurde im Wesentlichen mit dem unrechtmäßigen Aufenthalt der BF in mehreren „Schengen-Staaten“ nach dem Ablauf der Gültigkeitsdauer ihrer spanischen Aufenthaltsberechtigung am XXXX .2020 und der Ablehnung ihres Antrags vom XXXX .2021, ihrer Mittellosigkeit und dem Fehlen privater und familiärer Anknüpfungen in Österreich begründet. Aufgrund der beharrlichen Verletzung der Ausreiseverpflichtung gefährde ihr weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Die Aufzählung der Voraussetzungen für die Erlassung eines bis zu fünfjährigen Einreiseverbots in § 53 Abs 2 FPG sei demonstrativ; auch bei einem vergleichbaren anderen Fehlverhalten, wie es hier vorliege, sei ein Einreiseverbot zu erlassen, zumal § 53 Abs 2 Z 3 FPG rechtskräftige Bestrafungen wegen Verstößen gegen das FPG erfasse.

Am XXXX .2021 kehrte die BF freiwillig nach Kolumbien zurück.

Gegen Spruchpunkt VI. des Bescheids richtet sich ihre Beschwerde mit den Anträgen, das Einreiseverbot ersatzlos zu beheben, in eventu seine Dauer zu verkürzen. Dies wird zusammengefasst damit begründet, dass nicht ersichtlich sei, auf welchen Tatbestand die Erlassung des Einreiseverbots gestützt werde und warum die BF eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Sie sei weder einer unerlaubten Beschäftigung nachgegangen noch mittellos. Der bloße unrechtmäßige Aufenthalt stelle keine derartige Störung der öffentlichen Ordnung dar, die immer die Erlassung eines Einreiseverbots gebieten würde. Die BF sei straf- und verwaltungsstrafrechtlich unbescholten. Sie habe ihre Identität nicht verschleiert und das fremdenrechtliche Verfahren nicht behindert. Ein zweijähriges Einreiseverbot sei unverhältnismäßig, weil sie das Unrecht ihres Verhaltens eingesehen und am Verfahren mitgewirkt habe; sie sei bereit gewesen, sofort aus dem Bundesgebiet auszureisen.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor.

Feststellungen:

Die BF ist eine am XXXX geborene Staatsangehörige von Kolumbien. Sie spricht Spanisch. Sie besitzt einen am XXXX .2016 ausgestellten und bis XXXX .2026 gültigen biometrischen kolumbianischen Reisepass, mit dem sie am XXXX .2016 nach Spanien einreiste, wo sie sich in der Folge aufhielt. In Spanien wurde ihr eine bis XXXX .2020 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Ihr Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung wurde am XXXX .2021 abgewiesen.

Obwohl sie keine Aufenthaltserlaubnis mehr besaß, verließ die BF das Gebiet der Mitgliedstaaten nicht. Sie reiste vielmehr im XXXX 2021 von Spanien zu einem Freund in die Niederlande und von dort im XXXX 2021 nach Österreich, um Freunde zu besuchen, die in XXXX Urlaub machten. In der Folge hielt sie sich im Bundesgebiet auf. Am XXXX .2021 versuchte sie, aus Österreich nach Deutschland einzureisen. Ihre Einreise nach Deutschland wurde verweigert, weil sie kein gültiges Visum und keinen gültigen Aufenthaltstitel besaß. In dem gegen sie in Deutschland eingeleiteten Strafverfahren wegen des Vorwurfs des Versuchs der unerlaubten Einreise zeigte sie sich geständig.

Die BF wurde noch am XXXX .2021 von der österreichischen Polizei rückübernommen. Bei ihrer Einvernahme am XXXX .2021 gab sie an, dass sie vorhabe, nach Spanien zurückzukehren, wo sie einen Wohnsitz in XXXX habe und bis zum Ablauf der Gültigkeitsdauer ihrer Aufenthaltserlaubnis gearbeitet habe.

Bei ihrer Festnahme am XXXX .2021 hatte die BF Bargeld von EUR 1.085,62 bei sich. Es kann nicht festgestellt werden, woher diese Mittel stammen und ob sie noch weitere finanzielle Mittel hat. Sie hatte im Zeitraum XXXX bis XXXX 2021 wiederholt von den Niederlanden bzw. von Österreich aus Geld an ihren Vermieter in Spanien und ihren Vater in Kolumbien übermittelt.

Die BF ist gesund und arbeitsfähig. Sie hat in Österreich weder familiäre noch maßgebliche private Bindungen und ist hier nicht integriert. Ihr wurde nie ein österreichischer Aufenthaltstitel erteilt. Ihre ganze Familie lebt in Kolumbien. Sie ist in Österreich nicht vorbestraft und war hier – abgesehen von der Zeit ihrer Anhaltung im Polizeianhaltezentrum von XXXX .2021 bis XXXX .2021 – nie mit Wohnsitz gemeldet. Sie hat Freunde in Spanien und in den Niederlanden, aber keine weiteren Bindungen in anderen Mitgliedstaaten.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Identität der BF wird durch die vorliegende Kopie aus ihrem Reisepass belegt. Spanische Sprachkenntnisse sind angesichts ihrer Herkunft und des mehrjährigen Aufenthalts in Spanien plausibel, zumal die Verständigung mit der Spanischdolmetscherin, die ihrer Einvernahme am XXXX .2021 beigezogen wurde, problemlos möglich war. Aus dem Grenzkontrollstempel in ihrem Reisepass ergibt sich, dass sie am XXXX .2016 nach Spanien einreiste. Ihr anschließender mehrjähriger Aufenthalt dort wird anhand ihrer Angaben festgestellt.

Die Feststellungen zur befristeten Aufenthaltsberechtigung der BF in Spanien und zur Abweisung ihres Verlängerungsantrags basieren auf der Auskunft des Polizeikooperationszentrums XXXX vom XXXX .2021 und auf ihren Angaben bei der Einvernahme am XXXX .2021 (siehe AS 11 der Verwaltungsakten: „Durch meine Arbeit hat mein Arbeitgeber mir immer für drei Jahre ein Visum besorgt … Es war eine kleine Karte. Diese ist jedoch schon im XXXX 2020 abgelaufen. … Mein Chef hat gesagt, er hat es noch einmal versucht, aber er hat keine Verlängerung bekommen.“).

Die Feststellung, dass die BF nach dem Ablauf der Gültigkeitsdauer ihres Aufenthaltstitels und nach der Abweisung ihres Verlängerungsantrags im Gebiet der Mitgliedstaaten verblieb, ergibt sich aus ihren Angaben sowie aus dem Fehlen von weiteren Grenzkontrollstempeln in ihrem Reisepass. Aus den bei ihr aufgefundenen Rechnungen, Tickets und Geldtransferbelegen ergeben sich Transaktionen in den Niederlanden am XXXX .2021, am XXXX .2021, am XXXX .2021, am XXXX .2021, am XXXX .2021 und am XXXX .2021 sowie in Österreich am XXXX .2021, am XXXX .2021, am XXXX .2021, am XXXX .2021 und am XXXX .2021. Daraus ist bei lebensnaher Betrachtung und vor dem Hintergrund der Darstellung der BF abzuleiten, dass sie sich von Ende XXXX 2021 bis Ende XXXX 2021 in den Niederlanden und danach in Österreich aufhielt. Dazu passt auch, dass bei ihr ein französischer Covid-19-Test gefunden wurde, zumal sie offenbar auf dem Weg von Spanien in die Niederlande durch Frankreich reiste. Als Grund für die Aufenthalte gab sie an, sie habe sich zunächst in Amsterdam bei ihrem Freund aufgehalten und sei nach einem Streit mit ihm nach Österreich gereist, wo Freunde von ihr gerade in XXXX auf Urlaub gewesen seien. Diesen grundsätzlich schlüssigen Angaben kann mangels anderslautender Beweisergebnisse gefolgt werden.

Das in Deutschland gegen die BF wegen des Vorwurfs des Versuchs der unerlaubten Einreise geführte Strafverfahren geht aus der aktenkundigen Erklärung vom XXXX .2021 hervor, in der auch dokumentiert ist, dass sie die Tat zugab.

Die Angaben der BF zu ihrem Wunsch, nach Spanien zurückzukehren sowie zu ihrem Wohnsitz und ihrer Arbeit dort werden anhand der Niederschrift vom XXXX .2021 festgestellt.

Die Barmittel der BF werden anhand ihrer Angaben festgestellt. Diese stimmen damit überein, dass von der deutschen Polizei bei ihr Barmittel von EUR 280,45 und 1,76 aufgefunden wurden (siehe Effektenverzeichnis AS 37 der Verwaltungsakten) und in Österreich bei der Durchsuchung ihres Gepäcks (neben USD 1) weitere EUR 803,41 (siehe Anhalteprotokoll AS 85 der Verwaltungsakten). Aus einem Geldtransferbeleg, den die BF bei sich hatte, geht hervor, dass sie am XXXX .2021 von XXXX aus EUR 2.350 auf ihr Bankkonto in Spanien transferierte; es liegen aber keine Informationen darüber vor, ob sie dieses Geld bei ihrer Festnahme bereits verbraucht oder damit allenfalls einen negativen Kontostand abgedeckt hatte. Es kann daher nicht festgestellt werden, ob bzw. in welchem Ausmaß ihr dieses Geld (zusätzlich zu den Barmitteln von EUR 1.085,62) noch zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung stand. Mangels aktenkundiger Anhaltspunkte zur Herkunft der finanziellen Mittel der BF besteht auch keine gesicherte Grundlage für eine entsprechende Feststellung, zumal sie sich zuletzt nicht mehr rechtmäßig im Schengengebiet aufhielt und keine Möglichkeit hatte, weitere Mittel legal zu erwerben.

Aus den bei der BF vorgefundenen Geldtransfer-Belegen ergibt sich, dass sie zwischen XXXX .2021 und XXXX .2021 insgesamt EUR 600 an eine Person in Spanien (nach ihren schlüssigen Angaben für die Wohnungsmiete) und EUR 197 an ihren Vater in Kolumbien übermittelt hatte. Aus den Belegen geht eindeutig hervor, dass es sich nicht (wie in der Niederschrift vom XXXX .2021 angegeben) um Transfers von ihrem Vater an sie, sondern von ihr an ihren Vater handelte (arg.: „Absender: XXXX … Empfänger: XXXX , Kolumbien“).

Das Verfahren hat keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme oder Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit der BF ergeben; sie bezeichnete sich vielmehr als gesund. Abgesehen von ihren Freunden, die in XXXX auf Urlaub waren, gibt es keine Hinweise für irgendwelche Anknüpfungen im Bundesgebiet. Die Feststellungen zu ihren Anknüpfungen in anderen Mitgliedstaaten beruhen auf ihren Angaben. Angesichts des mehrjährigen Aufenthalts in Spanien ist nachvollziehbar, dass dort Sozialkontakte bestehen. Die BF gab außerdem an, dass ihr Familie in Kolumbien lebe und sie hier keine Verwandten habe. Die Erteilung eines österreichischen Aufenthaltstitels wird von ihr nicht behauptet und lässt sich weder den Verwaltungsakten noch dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister entnehmen. Ihre strafgerichtliche Unbescholtenheit in Österreich geht aus dem Strafregister hervor. Abgesehen von der Hauptwohnsitzmeldung im Polizeianhaltezentrum XXXX bestehen laut dem Zentralen Melderegister keine Wohnsitzmeldungen der BF in Österreich.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Gegen die BF wurde in Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids eine (unbekämpfte) Rückkehrentscheidung erlassen.

Gemäß § 53 Abs 1 FPG kann gleichzeitig mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot, also die Anweisung, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten, erlassen werden.

Gemäß § 53 Abs 2 FPG ist ein maximal fünfjähriges Einreiseverbot zu erlassen, wenn der Aufenthalt des*der Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der*die Drittstaatsangehörige

1.       wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs 2 StVO iVm § 26 Abs 3 FSG, gemäß § 99 Abs 1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs 1 Z 1 GewO in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;

2.       wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;

3.       wegen einer Übertretung des FPG oder des NAG rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs 3 genannte Übertretung handelt;

4.       wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;

5.       wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;

6.       den Besitz der Mittel zu seinem*ihrem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;

7.       bei einer Beschäftigung betreten wird, die er*sie nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, er*sie hätte nach den Bestimmungen des AuslBG für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der er*sie betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;

8.       eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK nicht geführt hat oder

9.       an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht wurde.

Die in den einzelnen Ziffern des § 53 Abs 2 FPG angeführten Tatbestände stellen nur eine demonstrative Aufzählung (arg.: "insbesondere") jener Umstände dar, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung indizieren. Das kann auch bei gleichwertigen Verhaltensweisen, also hinsichtlich des Unrechtsgehalts ähnlich schwerwiegenden Konstellationen, zutreffen, was dann gegebenenfalls - nach Vornahme einer Beurteilung im Einzelfall - die Erlassung eines Einreiseverbotes rechtfertigen kann (vgl. VwGH 05.05.2020, Ra 2019/21/0061). Die Tatsache, dass keiner der Tatbestände des § 53 Abs 2 (und Abs 3) FPG erfüllt ist, steht somit der Erlassung eines Einreiseverbots gegen die BF nicht zwingend entgegen (siehe VwGH 24.05.2018, Ra 2017/19/0311).

Sowohl für die Frage, ob überhaupt ein Einreiseverbot zu verhängen ist, als auch für die Bemessung seiner Dauer ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose vorzunehmen, in die das Gesamtverhalten der BF einzubeziehen ist. Aufgrund konkreter Feststellungen ist eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick worauf die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt ist. Es ist weiters in Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, ob private oder familiäre Interessen der Verhängung eines Einreiseverbots in der konkreten Dauer entgegenstehen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 53 FPG K 10, 12; vgl auch VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).

Die Beschwerde weist zu Recht darauf hin, dass ein unrechtmäßiger Aufenthalt für sich genommen nicht immer auch die Verhängung eines Einreiseverbots zusätzlich zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigt. Liegt aber nicht bloß ein unrechtmäßiger Aufenthalt, sondern eine qualifizierte Verletzung der Ausreiseverpflichtung vor, so kann daraus eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit iSd § 53 Abs 2 FPG abzuleiten sein, die die Verhängung eines Einreiseverbots erforderlich macht. Dies entspricht auch Art 11 Abs 1 lit b der Rückführungsrichtlinie, wonach Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einhergehen, falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde (siehe VwGH 08.03.2021, Ra 2020/01/0178).

Das Fehlverhalten der BF beschränkt sich nicht auf den unrechtmäßigen Aufenthalt. Ihr ist vielmehr (auch wenn man zu ihren Gunsten davon ausgeht, dass sie sich noch bis zur Abweisung ihres Verlängerungsantrags am 02.02.2021 in Spanien aufhalten durfte) anzulasten, dass sie danach nicht aus dem Gebiet der Mitgliedstaaten (das sind in diesem Kontext alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union außer Irland sowie die assoziierten Schengen-Staaten Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein; siehe VwGH 22.05.2013, 2013/18/0021) ausreiste, sondern nicht rechtmäßig in mehrere Staaten einreiste bzw. einzureisen versuchte, ohne dass dafür besondere, über Besuche bei Freunden hinausgehende Gründe vorgelegen wären. Sie hat daher ihre Ausreiseverpflichtung hartnäckig missachtet.

Außerdem verantwortete sie sich zum Vorwurf des Versuchs der unerlaubten Einreise nach Deutschland gemäß § 95 Abs 1 Z 1 iVm Abs 3 dt. AufenthaltsG, der mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht ist, geständig. Dieses Verhalten entspricht in Österreich einer Übertretung des § 120 Abs 1 erster Satz iVm Abs 10 FPG („Wer als Fremder nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet einreist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von EUR 100 bis zu EUR 1.000, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen. … Der Versuch … ist strafbar“).

Obwohl die BF nicht wegen einer Übertretung des FPG rechtskräftig bestraft wurde, ist der Unrechtsgehalt ihres Verhaltens mit den in § 53 Abs 2 FPG ausdrücklich genannten Konstellationen (insbesondere im Hinblick auf § 53 Abs 2 Z 3 FPG und den von der BF zugestanden Versuch einer unrechtmäßigen Einreise nach Deutschland) vergleichbar, wie das BFA richtig erkannt hat. Da sie nach ihrer Festnahme zunächst nach Spanien zurückkehren wollte, obwohl sie sich dort nicht mehr aufhalten durfte, geht von ihr in der gebotenen Gesamtbetrachtung eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aus, die die Verhängung eines Einreiseverbots notwendig macht. Dessen vom BFA mit zwei Jahren maßvoll bemessene Dauer trägt ihrer Unbescholtenheit ebenso Rechnung wie ihren privaten und familiären Verhältnissen sowie dem Umstand, dass sie letztlich freiwillig in ihren Herkunftsstaat zurückkehrte.

Der angefochtene Spruchpunkt VI. ist daher rechtskonform, sodass die Beschwerde als unbegründet abzuweisen ist. Die Anführung des (nicht existenten) § 53 Abs 2 Z 0 FPG als Rechtsgrundlage ist im Rahmen einer Maßgabebestätigung zu korrigieren.

Zum Entfall einer Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt werden konnte, unterbleibt eine Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, zumal davon keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist.

Zu Spruchteil C):

Die Revision ist nicht zu zulassen, weil das BVwG keine qualifizierte Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen hatte und sich an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte. Die Erstellung einer Gefährdungsprognose und die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots können jeweils nur im Einzelfall vorgenommen werden (siehe VwGH 17.09.2019, Ra 2019/18/0358).

Schlagworte

Einreiseverbot individuelle Verhältnisse Interessenabwägung öffentliche Interessen Resozialisierung Rückkehrentscheidung Unbescholtenheit Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G314.2243697.2.00

Im RIS seit

05.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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