Entscheidungsdatum
30.07.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W177 2125220-2/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Volker NOWAK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER, Jordangasse 7/4, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 31.03.2017, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.06.2021, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz „BF“), ein afghanischer Staatsbürger, reiste illegal und schlepperunterstützt ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 30.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. In seiner Erstbefragung vom selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:
Er sei in Mazar e Sharif geboren worden, habe die Staatsangehörigkeit Afghanistans, gehöre der Volksgruppe der Hazara an, er spreche Dari in Wort und Schrift, sei unverheiratet und besuchte zwölf Jahre die Grundschule in XXXX in der Provinz Baghlan. Dort habe er sich nach der Übersiedlung seiner Familie im Kindesalter immer aufgehalten. Er habe bis zuletzt als Verkäufer gearbeitet, wobei die finanzielle Situation der Familie schlecht gewesen sei. Seine Familie, sein Vater, seine Mutter sowie vier Schwestern und vier Brüder, lebe weiterhin an seiner Heimatadresse in XXXX in der Provinz Baghlan.
Seinen Heimatort habe er vor ca. drei Monaten illegal in den Iran verlassen. Von dort sei er schlepperunterstützt über die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Österreich gelangt.
Als Fluchtgrund gab der BF an, dass er Afghanistan aus Angst um sein Leben verlassen habe, da dort die Taliban herrschen und die Sicherheitslage sehr schlecht sei. Er wolle ein friedliches Leben führen.
3. Bei seiner Einvernahme am 23.03.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz „BFA“) bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben. Zu seinen persönlichen Verhältnissen er jedoch an, sein Name sei falsch protokolliert worden, er heiße XXXX , Das Erstprotokoll sei ihm nicht rückübersetzt worden, daher sei ihm der Namensfehler nicht aufgefallen. Er sei afghanischer Staatsangehöriger und in der Provinz Baghlan aufgewachsen, wo er auch zwölf Jahre die Grundschule besucht habe. Er sei ledig und habe keine Kinder. In Baghlan habe er ein eigenes Geschäft mit seinem Vater betrieben, wo er Gas verkauft habe, und damit die ganze 11-köpfige Familie gut versorgen hätte konnte. Zu seiner Familie habe er keinen Kontakt mehr, da sich die Sicherheitslage verschlechtert habe. Sie hätten ihm gesagt, dass sie in den Iran gehen wollten. In Österreich lebe er in der Grundversorgung, spreche wenig Deutsch und besuche einen Deutschkurs.
Ferner beantwortete der BF an ihn gestellte Fragen betreffend seine Fluchtgründe, wobei er zusammengefasst vorbrachte, dass die Taliban und Daesh in seiner Gegend die Leute fragen würden, warum sie nicht in den Dschihad ziehen würden und diese als ungläubige Muslime betrachten. Auch sei er Schiite, welche umgebracht und unterdrückt werden würden. Laut Niederschrift wurden mit dem BF „Länderfeststellungen“ des BFA erörtert und wurde ihm vorgehalten, dass sich aus diesen keine positive Erledigung seines Antrages ergäbe.
4. Mit Bescheid vom 30.03.2016 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG. Ferner wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF zwei Wochen [richtig: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Insbesondere wurde festgestellt, der BF stamme aus Afghanistan, sei afghanischer Staatsbürger, spreche Dari. Er sei Schiite und habe bis zur Ausreise im Elternhaus gelebt, wo er sich als Verkäufer den Lebensunterhalt sichern habe können.
Die vorgebrachte Furcht vor Verfolgung sei nicht feststellbar gewesen, es liege keine Gefährdungslage in Bezug auf Afghanistan vor, der BF sei gesund und arbeitsfähig.
Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen und es komme daher auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG nicht in Betracht. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.
Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Wohnsituation im elterlichen Haus, Sprachkenntnisse, Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Staatsangehörigkeit und seines Lebensunterhaltes glaubwürdig wäre. Widersprüchliche Angaben habe er aber zu seinem Namen gemacht und sich auch nicht bis zur BFA-Einvernahme bemüht, dass der Fehler korrigiert werde. Daraus folge, dass er in „allen Bereichen“ die Unwahrheit gesagt habe. Nicht glaubhaft sei, dass kein Kontakt zur Familie in der Heimatregion bestehe, deshalb sei auch davon auszugehen, dass er aufgrund der verzweigten Familienstrukturen auch in Kabul über Familienangehörige und sonstige sozialen Kontakte verfüge.
Zu den Feststellungen zur Situation in Afghanistan wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass diese verlässlichen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten.
Zum Fluchtvorbringen wurde beweiswürdigend im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, der Fluchtgrund sei vage, widersprüchlich und nicht plausibel geschildert worden.
Rechtlich wurde zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I) zusammengefasst ausgeführt, dass die vorgebrachten Fluchtgründe nicht glaubhaft gewesen seien. Die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz wurde damit begründet, dass der BF ein gesunder, erwachsener und arbeitsfähiger Mann, der über soziale und familiäre Kontakte in Afghanistan verfüge und dort den Großteil seines Lebens verbrachte. Auch gäbe es Rückkehrhilfe vor Ort.
Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde dem BF mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG der Verein Menschenrechte gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.
5. Gegen diesen Bescheid richtet sich das mit Schreiben vom 07.04.2016 fristgerecht eingebrachte, offenbar von seiner ihn rechtsberatenden Hilfsorganisation unterstützt erstellte Rechtsmittel der Beschwerde, mit dem der Bescheid gesamtinhaltlich wegen unrichtiger Beweiswürdigung, Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten wurde.
Der BF beantragte, das BVwG möge:
? Eine mündliche Verhanldung durchführen,
? dem BF Asyl gewähren, jedenfalls aber subsidiären Schutz, in eventu feststellen, dass die Ausweisung dauerhaft unzulässig ist,
? einen Verfahrenshelfer für das Beschwerdeverfahren beigeben.
In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Verfahren sei mangelhaft geführt worden ohne ausreichenden Ermittlungsverfahren, mit einer mangelhaften Beweiswürdigung und einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung.
6. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 25.04.2016 beim BVwG ein.
7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (in der Folge Kurz „BVwG“) vom 01.03.2017, GZ W151 2125220-1/4E, wurde in Erledigung der Beschwerde der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Begründend wurde in diesem Beschluss ausgeführt, dass im vorliegenden Fall es die Aufgabe der belangten Behörde gewesen wäre, zu klären, ob der BF zum einen eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen habe können, und zum anderen, ob darüber hinaus menschen- bzw. asylrechtliche Gründe einer Rücküberstellung bzw. Ausweisung in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen würden und ihm der Status als subsidiär Schutzberechtigter zu gewähren wäre.
Mag auch der BF wenig Anhaltspunkte für das Vorliegen eines asylrelevanten Verfolgungsgrundes gegeben haben, so sei doch festzuhalten, dass das gegenständliche Verwaltungsverfahren rudimentär und mangelhaft geführt worden sei und somit relevante Mängel aufweisen würde. Es wäre Aufgabe der belangten Behörde gewesen, das Vorbringen des BF individuell zu prüfen. Insbesondere zum in der Beschwerde näher ausgeführten Fluchtgrund – Gefährdung des BF wegen drohender Rekrutierung durch die Taliban –, aber sich auch mit seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu befassen haben.
Bezüglich der Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz werde neben seinen persönlichen Umständen in Prüfung seiner Lebensumstände auch zu klären sein, ob der BF daher tatsächlich über ein soziales Netzwerk in seinem Herkunftsland verfüge und ob er – wie die Behörde lediglich beweiswürdigend angenommen habe, der BF tatsächlich noch über familiäre oder sonstige soziale Kontakte in Afghanistan verfüge. Weiters habe sich die Behörde nicht mit der Sicherheits-und Versorgungslage in der Heimatregion des BF auseinandergesetzt. Auch sei die Frage, ob es in Afghanistan eine innerstaatliche Fluchtalternative des BF gäbe, von der Behörde nicht ermittelt worden. Die Behörde habe ihrer Entscheidung zwar Länderberichte betreffend die Heimatprovinz des BF zugrunde gelegt, diese aber nicht an der individuellen Situation des BF geprüft und sich auch nicht in irgendeiner Weise mit den verfahrensrelevanten Lebensumständen des BF auseinandergesetzt und mit fragwürdigsten Schlüssen die Zuerkennung subsidiären Schutzes abgewiesen (auf der Annahme, dass der BF in Kabul ein familiäres/Freundschaftsnetzwerk habe, obwohl der BF dazu nicht einmal befragt wurde!). Das BFA führte lediglich aus, der BF könne unter anderem in Kabul seinen Lebensunterhalt bestreiten, zumal er gesund und arbeitsfähig sei, da er dort über Verwandte/Freunde verfüge.
Zusammengefasst habe es das BFA verabsäumt, den Sachverhalt hinreichend zu klären. Es habe festgestellt werden müssen, dass das BFA in Bezug auf die Ermittlung der Sachlage sowohl bezüglich der Frage des Vorliegens asylrelevanter Verfolgung als auch bezüglich der Frage des Refoulementschutzes nicht mit der gebotenen Genauigkeit und Sorgfalt vorgegangen sei und die Sachlage nicht ausreichend erhoben bzw. sich (in der Bescheidbegründung) nur mangelhaft mit den Angaben des BF und den Beweisergebnissen auseinandergesetzt habe.
8. Bei der folgenden Einvernahme durch das BFA am 29.03.2017 gab der BF an, dass er gesund und in der Lage sei, der Einvernahme zu folgen. Er sei afghanischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei schiitischer Moslem. Er sei in Mazar-e Sharif geboren worden, jedoch sei im Dorf XXXX , nahe der Stadt XXXX in der Provinz Baghlan aufgewachsen. Seine Angehörigen hätten Afghanistan verlassen, zumal nun auch ein Bruder mitgenommen werden hätte sollen. Er habe keinen Kontakt zu seiner Familie, die wahrscheinlich im Iran sei. Zu sonstigen weitschichtigen in Afghanistan aufhältigen Verwandten habe er ebenfalls keinen Kontakt. In Österreich würden keine Verwandten aufhältig sein. Hier lebe er von der Grundversorgung und besuche er einen Deutschkurs. Er könne auch ein Konvolut an integrationsbegründenden Unterlagen vorlegen.
Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF im Wesentlichen aus, dass die Taliban und die Daesh gewollt hätten, dass er sich dem Jihad anschließe. Dies habe er jedoch nicht wollen. In der Moschee habe man zum Kampf gegen die Ungläubigen aufgerufen. Er selbst sei einmal zu Hause und einmal bei der Arbeit bedroht worden. Sein Vater sei geschlagen worden, weil man hätte wissen wollen, wo dessen Sohn sei und warum dieser noch nicht bei ihnen wäre.
Daesh sei eine Gruppierung, die auf einmal da gewesen sei und nur Schlechtes vorhabe. Sie würden die Regierung bekämpfen und wären den Taliban sehr ähnlich. Mit ihrem Kampf gegen die Ungläubigen würden sie diese Gegenden befrieden wollen.
Die beiden Vorfälle, bei denen er bedroht worden sei, hätten sich binnen 15 Tagen ereignet. Nach dem zweiten Vorfall sei der BF aus Afghanistan ausgereist. Beim ersten Mal sei der BF nicht zu Hause gewesen. Sein Vater hätte ihm gesagt, dass die Taliban nach ihm gesucht hätten. Sein Vater habe ihn damals auch gefragt, was er nun vorhabe. Er vermeinte auf Nachfrage, dass dies so gewesen sei, zumal er getötet werden würde, wenn er geblieben wäre. Auf Vorhalt, dass es nicht logisch sei, dass sunnitische Paschtunen schiitische Hazara zwangsrekrutieren würden, vermeinte der BF, dass es nicht logisch sei, sie dies aber gewollt hätten. Beim zweiten Mal hätten sie seinen Vater angesprochen und geschlagen. Dies sei zu Hause passiert. Der BF sei danach von der Arbeit zurückgekommen und dann sei beratschlagt worden, wie vorzugehen sei. Am nächsten Tag habe er dann Afghanistan verlassen. Auf Vorhalt, dass er sich widerspreche, vermeinte der BF, dass dem nicht so sei, weil die Drohungen ihm gegolten hätten. Hätten ihn die Taliban persönlich bedroht, dann wäre er mitgenommen worden. Im Geschäft sei er wohl deswegen nicht aufgesucht worden, weil die Taliban nicht gewusst hätten, wo er arbeiten würde. Auf Vorhalt der Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens vermeinte der BF, dass der Nachbar ebenfalls bedroht worden sei und man dessen Sohn umgebracht hätte.
Hier sei er in Sicherheit. In seiner Heimatprovinz sei er dies nicht. Er wolle hier auch etwas lernen und dem Staat dienen. In Kabul wüsste er nicht, wie er dort überleben sollte, weil er dort niemanden habe. Er verneinte, dass er dort Arbeit finden könnte oder Unterstützung durch eine internationale Organisation bekommen würde. Er habe dort niemanden mehr, weil auch seine Familie Afghanistan verlassen habe. Auf Vorhalt, dass dies auch in Österreich so sein, vermeinte der BF nur lapidar, dass er dort keine finanziellen Möglichkeiten und niemanden sonst habe.
Nach Erörterung der Länderberichte zu Afghanistan, insbesondere unter Betrachtung der individuellen Verhältnisse des BF, führte dieser aus, dass es das Problem sei, dass er in Afghanistan keine Familienangehörigen habe.
9. Mit Bescheid vom 31.03.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Ebenso wurde Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Weiters wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.). Begründend wurde festgehalten, dass der BF persönlich unglaubwürdig sei, weil er nicht plausibel darlegen hat können, warum er keinen Kontakt mehr zu seinen Verwandten habe. Das Aussageverhalten des BF lasse vielmehr den Rückschluss zu, dass dieser nur versuche, jedwede Verwandtschaft in Afghanistan abzustreiten, um eine mögliche Rückkehrentscheidung erschweren zu können.
Zwar sei sein Vorbringen gleichbleibend geschildert worden, jedoch sei dieses vage und unplausibel gewesen. Er habe das Vorbringen auch stetig gesteigert, indem er eine Zwangsrekrutierung bei der ersten Befragung vor dem BFA in den Raum gestellt habe, er dies bei der zweiten Einvernahme auch durch konkrete Handlungen untermauert habe, bei denen sein Vater sogar geschlagen worden sei. Ein tatsächlich bedrohter Asylwerber würde aber keine Gelegenheit auslassen, um ein fluchtauslösendes Vorbringen vorzutragen. Außerdem sei dem BF nicht persönlich bedroht worden und habe nur vage Angaben über die Tätigkeiten der Daesh machen können. Ebenso sei es nicht plausibel gewesen, dass sunnitische Paschtunen schiitische Hazara zwangsrekrutieren würden.
Auch konnte der BF die ihm vorgehaltenen Widersprüche in keiner Weisen entkräften. So habe sich der BF mit den Orten der Bedrohungen widersprochen. Auch habe er nicht plausibel darlegen können, warum er nicht bei der Arbeitsstätte bedroht worden sei. Eine Gruppenverfolgung von Hazara sei den Länderberichten nicht zu entnehmen gewesen.
Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wäre dem BF eine Ansiedlung in Kabul zumutbar. Eine Gefahrenlage im Sinne des Art. 3 EMRK würde beim BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht vorliegen. Es bestünde daher im Falle seiner Rückkehr auch keine reale Gefahr, die einer Zuerkennung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würde. Der BF sei jung, gesund und arbeitsfähig. Ebenso habe er Berufserfahrung in Afghanistan. Betreffend den Ausspruch einer Rückkehrentscheidung würden die öffentlichen Interessen überwiegen.
10. Mit Verfahrensanordnung vom 31.03.2017 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich für das Beschwerdeverfahren als Rechtsberatung zur Seite gestellt. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 31.03.2017 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.
11. Gegen den Bescheid des BFA richtete sich die am 15.04.2017 beim BFA eingelangte und fristgerecht durch seine rechtsfreundliche Vertretung, nunmehr RA Edward W. DAIGENAULT, in vollem Umfang erhobene Beschwerde. In dieser wurde eine Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Es wurde festgehalten, dass die Behörde aufgrund der Unterstellung von falschen Angaben zur familiären Situation der BF nicht auf die Unglaubwürdigkeit seines Fluchtvorbringen schließen dürfe. Dieses habe der BF ausrechend konkret, nachvollziehbar und glaubwürdig dargelegt, wobei dieses auch mit den Gegebenheiten in seiner Herkunftsprovinz vereinbar sei. Im Übrigen habe die Erstbefragung auch nur eine geringe Beweiskraft, zumal sich diese nicht auf die näheren Fluchtgründe beziehen würde.
Ebenso würde dem BF auch aufgrund der Sicherheitslage und Versorgungslage in Afghanistan, zumal dem BF eine Rückkehr in seine als volatil eingestufte Heimatprovinz nicht zumutbar sei, keine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung stehen, weil dort ebenfalls sicherheitsrelevante Vorfälle stattfinden würden. Außerdem verfüge der BF in Afghanistan über kein ausreichendes soziales Netz. Die belangte Behörde habe es verkannt, dass dem BF eine asylrechtlich relevante Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit der Volksgruppe der Hazara und einer möglichen Zwangsrekrutierung durch die Taliban oder Daesh drohe. Zumindest hätte ihm aber der subsidiäre Schutz gewährt werden müssen. Ebenfalls wurde das Durchführen einer mündlichen Verhandlung beantragt.
12. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge kurz „BVwG“) am 18.04.2017 vom BFA vorgelegt. Zugleich wurde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung verzichtet.
13. Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 17.05.2017 wurde die gegenständliche Rechtssache der bisher zuständigen Gerichtsabteilung W151 abgenommen und neu zugewiesen.
14. Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.02.2021 wurde die gegenständliche Rechtssache der bisher zuständigen Gerichtsabteilung W258 abgenommen und der Gerichtsabteilung W177 neu zugewiesen.
15. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 29.06.2021, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF und seine Rechtsvertretung, mittlerweile der RA Dr. Gregor KLAMMER persönlich teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde verzichtete, wie in der Beschwerdevorlage angekündigt, auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.
Der BF gab zu Beginn der Verhandlung an, dass er in der Lage sei, der Verhandlung folgen zu können. Es wurde auf die Verlesung der für das Ermittlungsverfahren wesentlichen Aktenteile verzichtet und die Aktenteile seitens des erkennenden Richters zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und zum Inhalt der heutigen Niederschrift erklärt. Danach erfolgte die vorläufige Beurteilung über die politische und menschenrechtliche Situation in seinem Herkunftsstaat, auch unter der Berücksichtigung von COVID-19. Die Rechtsvertretung des BF bestritt diese und stellte in Aussicht binnen einer erstreckbaren Frist von zwei Wochen einen ergänzenden Schriftsatz einzubringen. Danach wurde auch noch ein Konvolut an integrationsbegründenden Unterlagen vorgelegt. Es wurde vorgebracht, dass der BF aufgrund der Pandemie keine Deutschkurse besuchen habe können. Es wurde aber ein Zeuge namhaft gemacht, der die gelungene Integration des BF belegen könne.
Danach erfolgte der Beginn der Befragung, wobei der BF angab, dass er sich an seine bisherigen Befragungen erinnern könne. Er habe immer die Wahrheit gesagt und müsse nichts korrigieren. Er wisse aus den sozialen Medien, dass in seiner Heimatprovinz die Taliban noch immer aktiv seien und sie diese Provinz kontrollieren würden.
Nach Erörterung der Situation im Falle einer Rückkehr bestritt die Rechtsvertretung des BF dies und hielt sich ein weiteres Vorbringen im angekündigten Schriftsatz vor.
Der BF ganz an, dass er kein streng religiöser Mensch sei und er nur selten beten würde. Eine Moschee habe er im Bundesgebiet noch nie besucht. Die Taliban wären sehr religiös und so würde dies auffallen. Er würde von den Taliban geschlagen und von ihnen gezwungen werden, in eine Moschee zu gehen.
Der einvernommene Zeuge gab an, den BF im Jahr 2020 kennengelernt zu haben. Er unternehme mit ihm Freizeitaktivitäten und nütze die Gelegenheiten, um mit ihm sein Deutsch zu verbessern. Er spreche schon recht gut Deutsch und interessiere sich für die hiergelebten Sitten und Bräuche sowie die österreichische Kultur. Er sei handwerklich sehr geschickt und sehe seine Zukunft hier auch in einem handwerklichen Bereich. Die Pandemie und das lange Verfahren habe ihn in seiner Entwicklung zwar etwas gebremst, aber er könne bezüglich seiner Integration voll auf sein heute vorgelegtes Unterstützungsschreiben verweisen. Seine außergewöhnliche Integration könne auch durch seine positive Einstellung dargelegt werden.
Danach wurde die mündliche Verhandlung geschlossen. Gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG entfiel die Verkündung der Entscheidung.
16. Mit Schriftsatz vom 14.07.2021 erging seitens der Rechtsvertretung des BF ein Antrag auf Fristerstreckung zur Abgabe einer Stellungnahme. Diese Stellungnahme langte schließlich am 28.07.2021 beim Gericht ein und verweist auf die aktuelle Sicherheitslage, den Vormarsch der Taliban, die humanitäre Situation und die Lage der Rückkehrer.
17. Der BF legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:
? Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen
? Schreiben über eine Informationsveranstaltung seiner Wohnsitzgemeinde
? Anmeldungen zu Alphabetisierungskursen
? Arbeitsvorvertrag (Einstellungszusage)
? Drei Empfehlungsschreiben
? ÖSD-Zertifikat A1
? Zahlreiche Teilnahmebestätigungen an Integrations- und Bildungskursen
? Versicherungsdatenauszug der Österreichischen Sozialversicherung
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.
1.1. Zum sozialen Hintergrund des BF:
Der BF führt den Namen XXXX alias XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und gehört der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Die Muttersprache des BF ist Dari. Er ist im erwerbsfähigen Alter und ist gesund.
Der BF wurde nach seinen Angaben in Afghanistan geboren und ging vier Jahre in die Koranschule. Er hat Berufserfahrung als Hirte gesammelt. Während der Zeit in Afghanistan hat sich der BF im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX in der Provinz Baghlan aufgehalten. In seinem Heimatland sind keine Verwandten mehr aufhältig, zu denen der BF noch Kontakt hat. Zu seinen Eltern und seinen Geschwistern (vier Brüder und vier Schwestern) hat der BF keinen Kontakt. Er vermutet, dass sich diese Angehörigen im Iran aufhalten. Der BF ist ledig und hat keine Kinder.
Der BF ist in Österreich und seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft. Er hatte in Afghanistan hatte keine Probleme mit den Behörden und war politisch nicht aktiv.
Der BF ist nach seiner Ausreise aus Afghanistan über den Iran und die Türkei, in Bulgarien auf das Gebiet der EU eingereist. Am 30.08.2015 stellte er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der BF ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF stellte am 30.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Seinen Antrag auf internationalen Schutz begründet der BF im Wesentlichen damit, dass er sein Heimatland verlassen habe, weil Angst um sein Leben habe. Dort würden die Taliban herrschen und die Sicherheitslage sei sehr schlecht. Er wolle ein friedliches Leben führen.
Im Zuge des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens berief sich der BF weiterhin auf dieses Vorbringen, wobei er dieses sukzessive steigerte, indem er eine Situation einer Zwangsrekrutierung schilderte und Bedrohungshandlungen gegenüber seinem Vater, die aber seiner Person gegolten hätten, geschildert hat.
Der BF wurde weder von Privatpersonen noch von den Taliban noch einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung entführt, festgehalten oder von diesen oder dieser bedroht noch wird er von den staatlichen Behörden gesucht. Der BF wurde seitens Privatpersonen, der Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung nicht aufgefordert mit diesen oder dieser zusammen zu arbeiten oder diese zu unterstützen. Der BF wurde von den Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung weder angesprochen noch angeworben noch sonst in irgendeiner Weise bedroht. Er hatte in Afghanistan keinen Kontakt zu den Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung, er wird von diesen oder dieser auch nicht gesucht.
Festgestellt wird, dass der BF in Afghanistan keiner landesweiten Verfolgung ausgesetzt ist.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem BF individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Privatpersonen oder durch Mitglieder der Taliban oder durch eine sonstige regierungsfeindliche Gruppierung oder durch staatliche Behörden.
Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zur Volksgruppe der Hazara oder der Zugehörigkeit zu einer sonstigen sozialen Gruppe konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.
Es kann daher festgestellt werden, dass der BF keiner konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt ist oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.
1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:
Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.
Dem BF ist eine Rückkehr in die Herkunftsprovinz Baghlan, die als volatile Provinz eingestuft wird, aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage nicht zumutbar. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan ist dem BF jedoch die Ansiedlung in einer der größeren Städten Afghanistans, insbesondere der Stadt Herat und der Stadt Mazar-e Sharif, zumutbar. Bei einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder der Stadt Mazar-e Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder der Stadt Mazar-e Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Herat oder Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.
Es ist dem BF möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden. Der BF leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde; er ist gesund. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des BF. Der BF ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.
Der BF hat jedenfalls die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF wurde in der Beschwerdeverhandlung über die Rückkehrunterstützungen und Reintegrationsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt.
Der BF verfügt über ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit.
Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und einer Sprache seines Herkunftsstaates als Muttersprache vertraut, weil er in einem afghanisch geprägten Umfeld aufgewachsen ist. Er hat in Afghanistan zwölf Jahre lang die Schule besucht und in seinem Heimatland jahrelang Berufserfahrung als Verkäufer gesammelt.
1.4. Zum Leben in Österreich:
Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit 30.08.2015 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 30.08.2015 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.
Der BF hat keine weiteren Familienangehörigen in Österreich. Beim BF finden sich keine besonderen Merkmale der Abhängigkeit zu sonstigen in Österreich lebenden Personen.
Der BF pflegt in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und anderen Asylwerbern. Darüber hinaus konnten keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens festgestellt werden. Der BF ist kein Mitglied von politischen Parteien und ist auch sonst nicht politisch aktiv. Neben den erwähnten Freundschaften ist er kein Mitglied in sonstigen Vereinen. Schließlich wird das soziale Verhalten des BF in der Gesellschaft durch Referenzschreiben und einem einvernommenen Zeugen belegt, wobei der BF als hilfsbereit, freundlich und fleißig wahrgenommen wird. Jedoch gilt es auch hier anzumerken, dass diese Schreiben und der Zeuge ausschließlich aus dem sozialen Umfeld des BF stammen, das ein besonderes Interesse am Verbleib des BF im Bundesgebiet hat und von Organisationen (Personen), zu deren maßgeblichen Tätigkeitsfeld die Unterstützung von Asylwerbern zählt.
Er besuchte auch zahlreiche Deutschkurse und Er ist daher in der Lage, in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren. Auch wenn der BF seine Deutschkenntnisse nicht durch aktuelle Teilnahmebestätigungen und Prüfungszertifikate darlegen könnte, spricht er recht gut Deutsch und ist bemüht seine Sprachkenntnisse, die wohl höher als das vorgelegte ÖSD-Zertifikat A1 sind, zu vertiefen.
Der BF lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er verfügt lediglich über eine Einstellungszusage. Er hat sich kaum in gemeinnützigen bzw. ehrenamtlichen Tätigkeiten engagiert. Eine wirtschaftliche Integration ist dem BF nicht gelungen.
Im Strafregister der Republik Österreich scheint keine strafrechtliche Verurteilung auf. Der BF ist daher in Österreich unbescholten.
1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.12.2020 in den Aktualisierungen vom 02.04.2021 und 16.06.2021 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):
Länderspezifische Anmerkungen
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. In der vorliegenden Länderinformation erfolgt lediglich ein Überblick und keine erschöpfende Berücksichtigung der aktuellen COVID-19-PANDEMIE, weil die zur Bekämpfung der Krankheit eingeleiteten oder noch einzuleitenden Maßnahmen ständigen Änderungen unterworfen sind. Besonders betroffen von kurzfristigen Änderungen sind Lockdown-Maßnahmen, welche die Bewegungsfreiheit einschränken und damit Auswirkungen auf die Möglichkeiten zur Ein- bzw. Ausreise aus / in bestimmten Ländern und auch Einfluss auf die Reisemöglichkeiten innerhalb eines Landes haben kann.
Insbesondere können zum gegenwärtigen Zeitpunkt seriöse Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitswesen, auf die Versorgungslage sowie generell zu den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Folgen nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt werden.
Die hier gesammelten Informationen sollen daher die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung (3.2021) wiedergeben. Es sei zu beachten, dass sich bestimmte Sachverhalte (zum Beispiel Flugverbindungen bzw. die Öffnung und Schließung von Flughäfen oder etwaige Lockdown-Maßnahmen) kurzfristig ändern können.
Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Zusätzliche Informationen zu den einzelnen Themengebieten sind den jeweiligen Kapiteln zu entnehmen.
COVID-19
Letzte Änderung: 10.06.2021
Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan
Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).
Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).
Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).
Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).
Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).
Maßnahmen der Regierung und der Taliban
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).
Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021).
Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).
Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).
Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern" (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).
Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).
Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als "schwer erreichbar" gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021).
Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).
Gesundheitssystem und medizinische Versorgung
COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).
Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).
Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021).
In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).
Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).
Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt
COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden (UNOCHA 3.6.2021; vgl. IPC 22.4.2021). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).
Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).
Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).
Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).
Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch langanhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).
Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).
Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).
Nach Erkenntnissen der WHO steht Afghanistan [Anm.: mit März 2021] vor einer schleppenden wirtschaftlichen Erholung inmitten anhaltender politischer Unsicherheiten und einem möglichen Rückgang der internationalen Hilfe. Das solide Wachstum in der Landwirtschaft hat die afghanische Wirtschaft teilweise gestützt, die im Jahr 2020 um etwa zwei Prozent schrumpfte, deutlich weniger als ursprünglich geschätzt. Schwer getroffen wurden aber der Dienstleistungs- und Industriesektor, wodurch sich die Arbeitslosigkeit in den Städten erhöhte. Aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums ist nicht zu erwarten, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen bis 2025 wieder auf das Niveau von vor der COVID-19-Pandemie erholt (BAMF 12.4.2021).
Frauen, Kinder und Binnenvertriebene
Auch auf den Bereich Bildung hatte die COVID-19 Pandemie Auswirkungen. Die Regierung ordnete im März 2020 an, alle Schulen zu schließen (IOM 23.9.2020; vgl. ACCORD 25.5.2021), wobei diese ab August 2020 wieder stufenweise geöffnet wurden (ACCORD 25.5.2021). Angesichts einer zweiten COVID-19-Welle verkündete die Regierung jedoch Ende November die abermalige Schließung der Schulen (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021) wobei diese im Laufe des ersten Quartals 2021 wieder geöffnet wurden (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021, UNICEF 4.5.2021). Im Oktober 2020 berichtete ein Beamter, dass 56 Schüler und Lehrer in der Provinz Herat positiv getestet wurden (von 386 Getesteten). 35 bis 60 Schüler lernen in einem einzigen Raum, weil es an Einrichtungen fehlt und die Richtlinien zur sozialen Distanzierung nicht beachtet werden (IOM 18.3.2021). Ende Mai 2021 wurde berichtet, dass in 16 Provinzen aufgrund steigender Fallzahlen für 14 Tage die Schulen geschlossen würden (BAMF 31.5.2021).
Kinder (vor allem Jungen), die von den Auswirkungen der Schulschließungen im Rahmen von COVID-19 betroffen waren, waren nun auch anfälliger für Rekrutierung durch die Konfliktparteien (IPS 12.11.2020; vgl. UNAMA 10.8.2020, ACCORD 25.5.2021). In den ersten Monaten des Jahres 2021 wurde im Durchschnitt eines von drei Kindern in Afghanistan außer Haus geschickt, um zu arbeiten. Besonders außerhalb der Städte wurde ein hoher Anstieg der Kinderarbeit berichtet (IOM 18.3.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021). Die Krise verschärft auch die bestehende Vulnerabilität von Mädchen betreffend Kinderheirat und Schwangerschaften von Minderjährigen (UNOCHA 19.12.2020; vgl. IPS 12.11.2020, UNAMA 10.8.2020, ACCORD 25.5.2021). Die Pandemie hat auch spezifische Folgen für Frauen, insbesondere während eines Lockdowns, einschließlich eines erhöhten Maßes an häuslicher Gewalt (ACCORD 25.5.2021; vgl. AI 3.2021, HRW 13.1.2021, UNOCHA 19.12.2020). Frauen und Mädchen sind durch den generell geringeren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen zusätzlich betroffen (AI 3.2021; vgl. HRW 13.1.2021, Martins/Parto 11.2020, AAN 1.10.2020).
Binnenvertriebene sind besonders gefährdet, sich mit COVID-19 anzustecken, da sie bereits vorher anfällig waren, es keine Gesundheitseinrichtungen gibt, die Siedlungen überfüllt sind und sie nur begrenzten Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen haben. Aufgrund ihrer schlechten Lebensbedingungen sind die vertriebenen Gemeinschaften nicht in der Lage, Präventivmaßnahmen wie soziale Distanzierung und Quarantäne zu praktizieren und sind daher anfälliger für die Ansteckung und Verbreitung des Virus (AI 3.2021).
Bewegungsfreiheit
Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei später alle Grenzübergänge geöffnet wurden (IOM 18.3.2021). Seit dem 29.4.2021 hat die iranische Regierung eine unbefristete Abriegelung mit Grenzschließungen verhängt (UNOCHA 3.6.2021; vgl. AnA 29.4.2021). Die Grenze bleibt nur für den kommerziellen Verkehr und die Bewegung von dokumentierten Staatsangehörigen, die nach Afghanistan zurückkehren, offen. Die Grenze zu Pakistan wurde am 20.5.2021 nach einer zweiwöchigen Abriegelung durch Pakistan wieder geöffnet (UNOCHA 3.6.2021).
Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Prov