TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/30 W132 2175677-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.07.2021
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Entscheidungsdatum

30.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W132 2175677-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.10.2017, Zl. 1098475609/151970566, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzvorschriften in das Bundesgebiet ein und stellte am 09.12.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am 11.12.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen Folgendes an: „Mein Bruder namens XXXX ist Polizist. Die Taliban haben unser Haus überfallen. Ich war damals alleine zu Hause und sie haben mich mitgenommen. Sie haben mich geschlagen. Mir gelangte aber die Flucht, als die Taliban die Flucht bemerkten, haben sie auf mich geschossen. Dabei wurde aber ein anderer Bewohner getroffen und getötet. Ich wurde von den Taliban und auch von der Familie des Getöteten verfolgt und es wurde mir mit dem Tod gedroht. Sonst habe ich keine weiteren Fluchtgründe.“ Befragt zur Rückkehr gab er an: „Ich habe Angst um mein Leben“

Gedolmetscht wurde in der Sprache Paschtu.

2. Am 03.10.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge ‚belangte Behörde‘ bzw. BFA genannt). Der Beschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen zusammengefasst vor, sein Bruder habe bei der Polizei gearbeitet.

Als die Taliban in den Heimatbezirk des Beschwerdeführers gekommen seien, sei die lokale Polizei gekommen, um diese zu vertreiben. Der Bruder des Beschwerdeführers sei dabei gewesen. Die Auseinandersetzungen hätten vier Tage angedauert, dann habe sich die Polizei zurückgezogen. Hernach hätten die Taliban das Haus der Familie überfallen und den Beschwerdeführer mitgenommen, um ihn gegen seinen Bruder auszutauschen. Dann seien Schüsse gefallen, und die Taliban seien weggelaufen, was der Beschwerdeführer genutzt habe zu fliehen. Es sei auch auf den Beschwerdeführer geschossen worden, der sich hinter einer Wand versteckt habe. Er sei dann zu einem Freund gegangen, und habe diesem von den Vorfällen berichtet. In der Folge sei hervorgekommen, dass der Bruder des Dorfvorstehers des Nebendorfes ums Leben gekommen sei. Der Dorfvorsteher habe dem Vater des Beschwerdeführers vorgeworfen, dass sein Bruder wegen der Entführung des Beschwerdeführers umgebracht worden sei. Aus diesem Grund solle sein Vater den Beschwerdeführer übergeben, damit der Dorfvorsteher diesen aus Rache töten könne. Daher habe sein Vater beschlossen, dass der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen solle. Dem Beschwerdeführer drohe Verfolgung durch die Familie des Dorfvorstehers und die Taliban. Die Familie des Beschwerdeführers sei der Familie des Dorfvorstehers unterlegen, weil diese finanziell gut gestellt sei. Gedolmetscht wurde in der Sprache Paschtu.

Im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens wurden eine Tazkira, Drohbriefe und integrationsbescheinigende Beweismittel vorgelegt.

3. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde wurde über den Antrag des Beschwerdeführers wie folgt abgesprochen:

„I.      Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 09.12.2015 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen.

II.      Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wird Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen.

III.    Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß §§ 57 AsylG nicht erteilt.

Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen.

Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.

IV.      Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Zuerkennung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Er könne eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul in Anspruch nehmen. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstünde.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege der bevollmächtigten Vertretung fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang. Die Fluchtgründe im Wesentlichen wiederholend wurde ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe.

Zur Untermauerung des Vorbringens betreffend Asylrelevanz und schlechter Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan wird höchstgerichtliche Judikatur und aus UNHCR-Richtlinien sowie Berichten zur Lage in Afghanistan zitiert.

Im Übrigen sei die Beweiswürdigung mangelhaft erfolgt und nimmt der Beschwerdeführer in der Folge zu den vorgehaltenen Widersprüchen Stellung.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat in Vorbereitung der Beschwerdeverhandlung die Übersetzung der vorgelegten Drohbriefe veranlasst.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 09.07.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner bevollmächtigten Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu eingehend zu seiner Person, den Lebensumständen in Afghanistan, den Fluchtgründen sowie zum Privat- und Familienleben in Österreich befragt. Zur Untermauerung des Vorbringens wurden integrationsbescheinigende Unterlagen vorgelegt.

Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.

Die Richterin brachte die nachstehend angeführten Unterlagen in das Verfahren ein:

-        Länderinformationsblatt Afghanistan der Staatendokumentation Stand 29.06.2020

-        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation - AFG: Taliban Drohbriefe, Bedrohung militärischer Mitarbeiter, 28.07.2016

-        Landinfo - AFG: Rekrutierung durch die Taliban, 29.06.2017

-        Landinfo - AFG: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne, 23.08.2017

-        Landinfo - AFG: Organisation und Struktur der Taliban, 23.08.2017

-        Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender, 30.08.2018

-        EASO-Guidance Note zu Afghanistan von 2018, 2019

-        Bericht von EASO (Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen), Arbeitsübersetzung der Staatendokumentation des BFA Stand 15.02.2018, zu afghanischen Netzwerken, Migration und Urbanisierung, Kontakt mit den Netzwerken nach der Migration und Möglichkeit der Ansiedlung in städtischen Zentren ohne Netzwerk

Der bevollmächtigten Vertretung des Beschwerdeführers wurde eine Frist von vier Wochen zur Stellungnahme eingeräumt.

Im Anschluss wurden die Verhandlungsschrift und die vorgelegten Unterlagen der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht. Die belangte Behörde hat sich dazu nicht geäußert.

7. Mit dem Schriftsatz vom 10.07.2020 hat die bevollmächtigte Vertretung des Beschwerdeführers eine ergänzende Stellungnahme eingebracht, womit im Wesentlichen die Ausführungen zu einer allfälligen Rückkehr in die Heimatprovinz und zur innerstaatlichen Fluchtalternative, sowie zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, wiederholt und um aktuelle Berichte ergänzt wurden.

Diese Stellungnahme wurde der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht. Die belangte Behörde hat sich dazu nicht geäußert.

8. Mit Schreiben vom 07.07.2021 wurden den Verfahrensparteien die nachstehend angeführten Unterlagen zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, dazu Stellung zu nehmen. Dem Beschwerdeführer wurde aufgetragen, Fragen zur Integration in Österreich zu beantworten.

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Version 04 (11.06.2021)

-        EASO-Guidance Note zu Afghanistan von Dezember 2020

-        ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Masar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.04.2020 (ACCORD Masar-e Sharif)

-        ACCORD Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban; Stigmatisierung) vom 05.06.2020 (ACCORD)

-        Analyse der Staatendokumentation „Informationen zu sozioökonomischen und sicherheitsrelevanten Faktoren in der Provinz Balkh“ vom 21.7.2020

-        ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif vom 16.10.2020 (ECOI Oktober 2020)

8.1. Die belangte Behörde hat sich dazu nicht geäußert.

8.2. Mit Schriftsatz vom 27.07.2021 hat die bevollmächtigte Vertretung des Beschwerdeführers dazu im Wesentlichen Vorgebracht, eine durch Abschiebung erzwungene Rückkehr müsse auf Dauer sicher sein, zu berücksichtigen seien auch die längerfristigen und indirekteren Folgen der Gewalt im Herkunftsland bzw. im Gebiet der Neuansiedlung. Aufgrund des Abzugs internationaler Truppen, sei dies jedoch nicht gewährleistet, das Land drohe vollständig unter die Kontrolle der Taliban zu fallen. In der aktuellen Kurzinformation der Staatendokumentation vom 19.07.2021 werde eine weitere Verschlechterung der Sicherheitslage beschrieben, mittlerweile seien sogar die zentralsten Gebiete der Provinz Balkh, einschließlich der Provinzhauptstadt, umkämpft. Da die Taliban mittlerweile bis zur Stadt Mazar-e Sharif militärisch vorgerückt seien, bestehe auch dort für den Beschwerdeführer mangels gewährleisteter dauerhafter Sicherheit keine Innerstaatliche Fluchtalternative. Die negative Prognose betreffe auch die Stadt Herat. In diesem Sinne fordere Amnesty International die europäischen Staaten auf, Abschiebungen nach Afghanistan zu stoppen. Im Fall des Beschwerdeführers sei zudem zu berücksichtigen, dass dieser bereits vor seiner Ausreise im Visier der Taliban gestanden habe. Zur Untermauerung werden auch diesbezügliche Medienberichte, sowie der Studie von Friederike Stahlmann vom 04.06.2021 zitiert.

Zur Integration des Beschwerdeführers in Österreich wird vorgebracht, dass er derzeit in Österreich weder verheiratet sei, noch in einer ständigen Lebensgemeinschaft lebe. Auch habe er keine Kinder oder sonstige Familie, bzw. Verwandte in Österreich. Der Beschwerdeführer verfüge jedoch über österreichische Freunde, mit denen er beispielsweise im Burgenland Zeit verbringe. Eine seiner engsten, namentlich genannten, Freundinnen sei Ärztin. Er pflege außerdem eine sehr enge Freundschaft zu seinem, namentlich genannten, Mitbewohner, mit welchem er täglich Zeit verbringe. Hinsichtlich seiner Deutschkenntnisse wird angemerkt, dass der Beschwerdeführer am 26.06.2021 ein weiteres Mal zur A2-Prüfung angetreten sei, diese aber nicht bestanden habe. Im September beabsichtige der Beschwerdeführer einen weiteren Kurs zu absolvieren, um nochmals zur Prüfung anzutreten. Er sei jedenfalls bemüht, weitere Integrationsschritte zu setzen, hierbei sei aber die bisherige Bildung des Beschwerdeführers zu berücksichtigen. Dazu habe er bereits in der Beschwerdeverhandlung angegeben, sich beim Schreiben schwer zu tun, was ebenfalls aus dem vorgelegten Notenschlüssel seiner jüngsten A2 Prüfung hervorgehe. Weitere Kurse besuche er zurzeit nicht. Auch habe der Beschwerdeführer vergeblich nach einer freiwilligen Arbeit gesucht. Aufgrund der herrschenden Pandemie und den daraus folgenden Herausforderungen, habe er jedoch nicht fündig werden können. Er helfe aber bei Freunden und anderen nahestehenden Personen immer wieder aus, was durch das Unterstützungsschreiben vom 19.07.2021 dokumentiert werde. Der Beschwerdeführer besuche, wie bereits vorgebracht, weiterhin auf regelmäßiger Basis einen Fitnessverein. Dass der Beschwerdeführer durchaus um eine umfassende Integration bemüht sei, sei auch aus den zwei vorgelegten Arbeitsanboten ersichtlich. Es handle sich hierbei jeweils um Vorverträge, welche aufschiebend bedingt mit Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung bereits vom jeweiligen Arbeitgeber unterzeichnet worden seien. Der Beschwerdeführer könne sich im Falle eines positiven Abschlusses seines Verfahrens dann für eine der beiden Stellen entscheiden. Der Beschwerdeführer schätze es in Österreich zu leben und wünsche sich eine Ausbildung zum Elektroniker.

Zusammengefasst habe das Verfahren ergeben, dass der Beschwerdeführer begründete Furch vor Verfolgung aus asylrelevanten Gründen habe und für ihn in Afghanistan eine innerstaatliche Fluchtalternative mangels Sicherheit nicht in Frage komme und für ihn eine innerstaatliche Fluchtalternative auch nicht zumutbar wäre.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu Person und individuellen Umständen im Hinblick auf den Herkunftsstaat

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensgemeinschaft des Islam.

Als Geburtsdatum wird der XXXX angenommen.

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz XXXX geboren, und hat dort bis zu seiner Ausreise bei seiner Familie gelebt.

Er hat keine Ortskenntnisse betreffend Mazar-e Sharif. Er hat jedoch vor seiner Ausreise einige Zeit in XXXX und XXXX verbracht, ihm sind städtische Strukturen bekannt.

Der Beschwerdeführer hat zwölf Jahre die Schule besucht und das Gymnasium abgeschlossen. Seine Muttersprache Paschtu beherrscht er in Wort und Schrift.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine Berufsausbildung. Er hat in der Landwirtschaft seiner Familie mitgeholfen.

Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter, gesund sowie arbeits- und anpassungsfähig.

Der Beschwerdeführer fällt im Hinblick auf die derzeit bestehende COVID-19 Pandemie nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen bzw. der Personen mit erheblichen chronisch-internistischen Vorerkrankungen.

Es wird davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan auf ein effektives soziales bzw. familiäres Netz zurückgreifen kann. Im Heimatdorf leben die Eltern des Beschwerdeführers, seine vier Brüder und fünf Schwestern sowie zwei Onkel mütterlicherseits. Zwei Schwestern sind schon verheiratet. Er ist traditionell verheiratet und hat keine Kinder. Seine Frau lebt bei seinen Eltern. Seine Ausreise wurde von der Familie finanziert. Die Familie besitzt im Heimatdorf ein Haus, eine Landwirtschaft und Tiere.

Es wird nicht davon ausgegangen, dass der Kontakt des Beschwerdeführers zur Familie ungefähr sechs Monate vor der Beschwerdeverhandlung dauerhaft abgebrochen ist.

Der Beschwerdeführer hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Der Beschwerdeführer kann nicht in seine Heimatprovinz zurückkehren, jedoch auf die Übersiedlung in andere Landesteile Afghanistans, insbesondere Mazar-e Sharif, als innerstaatliche Fluchtalternative verwiesen werden. Die Sicherheits-, sowie Versorgungs- und Wirtschaftslage in Mazar e Sharif ist ausreichend, dass es dem Beschwerdeführer möglich ist, dort ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Außergewöhnliche, in der Person des Beschwerdeführers gelegene, Umstände, die dem entgegenstehen, sind nicht hervorgekommen.

1.2. Zum Leben in Österreich

Der Beschwerdeführer gelangte unter Umgehung der Einreisevorschriften nach Österreich und stellte am 09.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er befindet sich auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht verheiratet, führt keine Lebensgemeinschaft, hat in Österreich keine Kinder und auch sonst leben hier keine Verwandten.

Substantielle soziale Kontakte des Beschwerdeführers in Österreich konnten nicht festgestellt werden. Er hat sich in Österreich einen Freundeskreis aufgebaut, mit welchem er seine Freizeit verbringt und dort auch, zB bei Renovierungsarbeiten, aushilft. Er ist nicht Mitglied in einem Verein, besucht aber regelmäßig einen Fitnessclub.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine nennenswerten Integrationsschritte gesetzt. Anhaltspunkte für eine maßgebende Integrationsverfestigung des Beschwerdeführers in Österreich liegen nicht vor. Er hat zwar Deutschkurse besucht, aber kein Zertifikat erlangt. Der Beschwerdeführer ist zwar zwei Mal zur Prüfung angetreten, hat diese aber nicht bestanden. Weitere Kurse oder ehrenamtliches Engagement sind nicht dokumentiert.

Maßgebliche soziale, sprachliche oder berufliche Integrationsaspekte liegen beim Beschwerdeführer in Österreich nicht vor. Er verfügt lediglich über zwei Arbeitsvorverträge, welche mit 17.07.2021 bzw. 18.07.2021 datiert sind.

Der Beschwerdeführer bestreitet seinen Lebensunterhalt in Österreich aus staatlicher Unterstützung (Grundversorgung).

Er ist in Österreich zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zum Fluchtvorbringen

Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine landesweite Verfolgung wegen eines Konventionsgrundes in asylrelevantem Ausmaß.

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan keine staatliche Verfolgung. Er war in seinem Herkunftsstaat auch weder politisch tätig noch gehörte er einer politischen Partei an. Er hatte keine Probleme mit den afghanischen Behörden aufgrund seiner Rasse, seines Glaubens oder seiner Volksgruppe.

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan aktuell keine landesweite konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung durch die Taliban aufgrund ihm vermeintlich unterstellter, gegen die Interessen der Taliban gerichteter, politischer Gesinnung. Dies auch nicht wegen der vorgebrachten Tätigkeit eines seiner Brüder für die Polizei. Der Beschwerdeführer wurde nicht von den Taliban entführt um ihn gegen diesen Bruder auszutauschen. Selbst bei Wahrunterstellung droht ihm dadurch keine Verfolgung in asylrelevantem Ausmaß. Dem Beschwerdeführer stünde eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif zur Verfügung. Es ist nicht davon auszugehen, dass seitens der Taliban wegen der angeblichen Tätigkeit seines Bruders bei der Polizei aktuell ein derart ausgeprägtes Interesse daran bestehen könnte, landesweit nach ihm zu suchen. Selbst dem Vorbringen des Beschwerdeführers nach, ist nicht hervorgekommen, dass er oder sein Bruder eine politisch exponierte Person oder sonst ein hochrangiges Ziel darstellen.

Auch eine landesweite Gruppenverfolgung, als junger Mann von den Taliban bzw. regierungsfeindlichen Gruppen zwangsrekrutiert zu werden, kann auf Basis der Quellenlage nicht erkannt werden.

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan aktuell keine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung wegen Blutrache, weil der Bruder des Dorfvorstehers des Nachbardorfes angeblich getötet worden ist, als die Taliban vermeintlich versucht haben den Beschwerdeführer zu entführen. Selbst bei Wahrunterstellung des diesbezüglichen Vorbringens bestünde keine Verfolgung aus Gründen, welche in der GFK aufgelistet sind. Die befürchtete Verfolgung stünde in keinem Zusammenhang mit seiner Familienzugehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit oder seinem Religionsbekenntnis, und hätte auch keinen politischen Hintergrund.

Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine psychische und/oder physische Gewalt aufgrund seines Aufenthaltes in Europa, wegen einer ihm unterstellten Moral- und Wertehaltung, welche nicht jener in Afghanistan vorherrschenden entspricht. Eine allgemeine systematische Verfolgung aller Rückkehrer durch die Taliban bzw. regierungsfeindliche Gruppen, kann auf Basis der Quellenlage nicht erkannt werden.

Auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan lässt sich konkret für den Beschwerdeführer kein Status eines Asylberechtigten ableiten.

Es haben sich im Verfahren keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte für eine wohlbegründete Furcht des Beschwerdeführers, dass ihm in Afghanistan individuell und aktuell Verfolgung in asylrelevanter Intensität droht, ergeben.

Der Beschwerdeführer ist im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat herangezogen:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Version 04 (11.06.2021)

Kurzinformation vom 19.7.2021

-        Homepage der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/coronavirus-disease-covid-19 und https://covid19.who.int/region/emro/country/af, (WHO)

-        Flughafen Masar-e Scharif - Flughafeninformation von Skyscanner.at
Masar-e Scharif (MZR) - Flugstatus, Flughafenpläne & mehr - KAYAK
abgerufen am 30.07.2021 (Flugdaten)

-        Mapping Taliban Contested and Controlled Districts in Afghanistan | FDD's Long War Journal, abgerufen am 30.07.2021 (LWJ)

-        EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Stand Jänner 2018 (EASO Netzwerke)

-        EASO Country Guidance: Afghanistan vom Dezember 2020 (EASO 2020)

-        ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Masar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.04.2020 (ACCORD Masar-e Sharif)

-        ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Herat; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 23.04.2020 (ACCORD Herat)

-        ACCORD Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban; Stigmatisierung) vom 05.06.2020 (ACCORD)

-        Analyse der Staatendokumentation „Informationen zu sozioökonomischen und sicherheitsrelevanten Faktoren in der Provinz Balkh“ vom 21.7.2020

-        ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif vom 16.10.2020 (ECOI Oktober 2020)

-        UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR)

-        Arbeitsübersetzung Landinfo Report "Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 (Landinfo 1)

-        Arbeitsübersetzung Landinfo Report „Afghanistan: Rekrutierung durch die Taliban“ vom 29.06. 2017 (Landinfo 2)

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Version 04 – auszugsweise:

COVID-19

Letzte Änderung: 10.06.2021

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).

Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).

Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern" (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als "schwer erreichbar" gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021).

Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden (UNOCHA 3.6.2021; vgl. IPC 22.4.2021). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch lang anhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).

Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).

Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).

Nach Erkenntnissen der WHO steht Afghanistan [Anm.: mit März 2021] vor einer schleppenden wirtschaftlichen Erholung inmitten anhaltender politischer Unsicherheiten und einem möglichen Rückgang der internationalen Hilfe. Das solide Wachstum in der Landwirtschaft hat die afghanische Wirtschaft teilweise gestützt, die im Jahr 2020 um etwa zwei Prozent schrumpfte, deutlich weniger als ursprünglich geschätzt. Schwer getroffen wurden aber der Dienstleistungs- und Industriesektor, wodurch sich die Arbeitslosigkeit in den Städten erhöhte. Aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums ist nicht zu erwarten, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen bis 2025 wieder auf das Niveau von vor der COVID-19-Pandemie erholt (BAMF 12.4.2021).

[…]

Bewegungsfreiheit

Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei später alle Grenzübergänge geöffnet wurden (IOM 18.3.2021). Seit dem 29.4.2021 hat die iranische Regierung eine unbefristete Abriegelung mit Grenzschließungen verhängt (UNOCHA 3.6.2021; vgl. AnA 29.4.2021). Die Grenze bleibt nur für den kommerziellen Verkehr und die Bewegung von dokumentierten Staatsangehörigen, die nach Afghanistan zurückkehren, offen. Die Grenze zu Pakistan wurde am 20.5.2021 nach einer zweiwöchigen Abriegelung durch Pakistan wieder geöffnet (UNOCHA 3.6.2021).

Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 23.9.2020). Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 18.3.2021). Mit Stand 25.5.2021 ist das Projekt Restart III weiter aktiv und Teilnehmer melden sich (IOM AUT 25.5.2021).

Dazu WHO, auszugsweise:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 20 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen (60 Jahre oder älter) und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Bluthochdruck, Herz- und Lungenproblemen, Diabetes, Fettleibigkeit oder Krebs) auf., einschließlich Verletzungen von Herz, Leber oder Nieren.

Politische Lage

Letzte Änderung: 11.06.2021

[…]

Friedens- und Versöhnungsprozess

Letzte Änderung: 11.06.2021

Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). 2020 fanden die ersten ernsthaften Verhandlungen zwischen allen Parteien des Afghanistan-Konflikts zur Beendigung des Krieges statt (HRW 13.1.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020, EASO 8.2020a) - die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses (EASO 8.2020a). Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nicht-amerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020; REU 6.10.2020). Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa Al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020, EASO 8.2020a). Die Taliban haben die politische Krise im Zuge der afghanischen Präsidentschaftswahlen derweil als Vorwand genutzt, um den Einstieg in Verhandlungen hinauszuzögern. Sie werfen der afghanischen Regierung vor, ihren Teil der am 29.2.2020 von den Taliban mit der US-Regierung geschlossenen Vereinbarung weiterhin nicht einzuhalten, und setzten ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).

Im September 2020 starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar (REU 6.10.2020; vgl. AJ 5.10.2020, BBC 22.9.2020). Der Regierungsdelegation gehörten nur wenige Frauen an, aufseiten der Taliban war keine einzige Frau an den Gesprächen beteiligt. Auch Opfer des bewaffneten Konflikts waren nicht vertreten, obwohl Menschenrechtsgruppen dies gefordert hatten (AI 7.4.2021).

Die Gewalt hat jedoch nicht nachgelassen, selbst als afghanische Unterhändler zum ersten Mal in direkte Gespräche verwickelt wurden (AJ 5.10.2020; vgl. AI 7.4.2021). Insbesondere im Süden, herrscht trotz des Beginns der Friedensverhandlungen weiterhin ein hohes Maß an Gewalt, was weiterhin zu einer hohen Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung führt (UNGASC 9.12.2020; vgl. AI 7.4.2021). Ein Waffenstillstand steht ganz oben auf der Liste der Regierung und der afghanischen Bevölkerung (BBC 22.9.2020; vgl. EASO 8.2020a) wobei einige Analysten sagen, dass die Taliban wahrscheinlich noch keinen umfassenden Waffenstillstand vereinbaren werden, da Gewalt und Zusammenstöße mit den afghanischen Streitkräften den Aufständischen ein Druckmittel am Verhandlungstisch geben (REU 6.10.2020). Die Rechte der Frauen sind ein weiteres Brennpunktthema. Die Taliban sind wiederholt danach gefragt worden und haben wiederholt darauf bestanden, dass Frauen und Mädchen alle Rechte erhalten, die "innerhalb des Islam" vorgesehen sind (BBC 22.9.2020). Frauenrechtlerinnen in Afghanistan haben jedoch seit vielen Jahren Bedenken geäußert, dass die Regierung die Rechte der Frauen eintauschen wird, um eine Einigung mit den Taliban zu erreichen. Die afghanische Regierung hat sich oft dagegen gewehrt, Frauen in Friedensgespräche einzubeziehen. Im Juni 2015 verabschiedete die afghanische Regierung einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Resolution 1325 des Sicherheitsrats für den Zeitraum 2015 bis 2022, der auch das Ziel enthielt, die effektive Beteiligung von Frauen am Friedensprozess zu gewährleisten, doch dem Plan fehlten Details und er wurde nicht sinnvoll umgesetzt (HRW 22.3.2021).

Am Tag der Wiederaufnahme der Verhandlungen in Doha am 5.1.2021 wurde nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Kabul in mindestens 22 von 34 Provinzen des Landes gekämpft (Ruttig 12.1.2021; vgl. TN 9.1.2021).

Die neue amerikanische Regierung warf den Taliban im Januar 2021 vor, gegen das im Februar 2020 geschlossene Friedensabkommen zu verstoßen und sich nicht an die Verpflichtungen zu halten, ihre Gewaltakte zu reduzieren und ihre Verbindungen zum Extremistennetzwerk Al-Qaida zu kappen. Ein Pentagon-Sprecher gab an, dass sich der neue Präsident Joe Biden dennoch an dem Abkommen mit den Taliban festhält, betonte aber auch, solange die Taliban ihre Verpflichtungen nicht erfüllten, sei es für deren Verhandlungspartner "schwierig", sich an ihre eigenen Zusagen zu halten (FAZ 29.1.2020; vgl. DZ 29.1.2021). Jedoch noch vor der Vereidigung des US-Präsidenten Joe Biden am 19.1.2021 hatte der designierte amerikanische Außenminister signalisiert, dass er das mit den Taliban unterzeichnete Abkommen neu evaluieren möchte (DW 29.1.2020; vgl. BBC 23.1.2021).

Nach einer mehr als einmonatigen Verzögerung inmitten eskalierender Gewalt sind die Friedensgespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung am 22.2.2021 in Katar wieder aufgenommen worden (RFE/RL 23.2.2021b; vgl. AP 23.2.2021).

Am 18.3.2021 empfing die russische Regierung Vertreter der afghanischen Regierung, der Taliban und von Partnerländern zu einem Gipfeltreffen, das die Friedensgespräche voranbringen sollte. Der 12-köpfigen afghanischen Regierungsdelegation gehörte eine Frau, Dr. Habiba Sarabi, an - ein Rückschritt gegenüber der Teilnahme von vier Frauen unter den 20 Mitgliedern beim innerafghanischen Dialog in Doha, Katar, im September 2020. Die 10-köpfige Taliban-Delegation war wie in der Vergangenheit ausschließlich männlich. Afghanische Frauenrechtsaktivistinnen haben die Sorge geäußert, dass Frauen von den geplanten Friedensgesprächen in der Türkei weitgehend ausgeschlossen werden, wodurch die Rechte der Frauen bei einer endgültigen Einigung stark gefährdet sind (HRW 22.3.2021).

Beobachter sehen bei den Taliban eine bewusste Strategie des Teilens und Herrschens am Werk, die Einladungen zu privaten Gesprächen an verschiedene regionale Warlords und Herrscher verschickt haben. Offenbar ist das Ziel, Präsident Ghani zu isolieren (BAMF 10.5.2021).

Die USA versuchten, in Istanbul eine Konferenz zu organisieren, um an einer Einigung zwischen den Taliban-Aufständischen und der afghanischen Regierung zu arbeiten, indem sie beide Parteien und andere wichtige internationale und regionale Akteure zusammenbrachten (AAN 1.5.2021; vgl. REU 20.4.2021. Die Taliban zeigten, wie sie selbst sagten, kein Interesse an dem Treffen und erklärten nach der Biden-Ankündigung zu den Truppen, dass sie nicht teilnehmen würden. Die Taliban nannten die Konferenz einen Versuch, "die Taliban, ob sie wollen oder nicht, zu einer überstürzten Entscheidung zu drängen, die von Amerika benötigt wird" (AAN 1.5.2021; vgl. VOJ 20.4.2021, AP 21.4.2021)

Die USA, die Türkei, Katar und Pakistan versuchten Berichten zufolge, die Taliban zur Teilnahme an der Konferenz zu bewegen, die für den 24.4.2021 bis 4.5.2021 geplant war, aber scheiterte. Sie wurde offiziell nicht abgesagt, sondern verschoben (AAN 1.5.2021; vgl. TN 22.4.2021). Die Taliban haben die Teilnahme an einem zukünftigen Gipfel in der Türkei nicht ausgeschlossen (RFE/RL 12.5.2021a).

Auf der Kabuler Seite zog die politische Klasse auch nach dem klaren Signal der USA, die Truppen abzuziehen, nicht an einem Strang, weder um ernsthaft mit den Taliban zu verhandeln noch um eine alternative Strategie zu beschließen und zu verfolgen (AAN 1.5.2021).

Abzug der Internationalen Truppen

Im April kündigte US-Präsident Joe Biden den Abzug der verbleibenden Truppen (WH 14.4.2021; vgl. RFE/RL 19.5.2021, AAN 1.5.2021, BBC 23.4.2021) - etwa 2.500-3.500 US-Soldaten und etwa 7.000 NATO-Truppen - bis zum 11.9.2021 an, nach zwei Jahrzehnten US-Militärpräsenz in Afghanistan (RFE/RL 19.5.2021). Er erklärte weiter, die USA würden weiterhin "terroristische Bedrohungen" überwachen und bekämpfen sowie "die Regierung Afghanistans" und "die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte weiterhin unterstützen" (WH 14.4.2021), allerdings ist nicht klar, wie die USA auf wahrgenommene Bedrohungen zu reagieren gedenken, sobald ihre Truppen abziehen (AAN 1.5.2021). Die Taliban zeigten sich von der Ankündigung eines vollständigen und bedingungslosen Abzugs nicht besänftigt, sondern äußerten sich empört über die Verzögerung, da im Doha-Abkommen der 30.4.2021 als Datum für den Abzug der internationalen Truppen festgelegt worden war. In einer am 15.4.2021 veröffentlichten Erklärung wurden Drohungen angedeutet: Der "Bruch" des Doha-Abkommens "öffnet den Mudschaheddin des Islamischen Emirats den Weg, jede notwendige Gegenmaßnahme zu ergreifen, daher wird die amerikanische Seite für alle zukünftigen Konsequenzen verantwortlich gemacht werden, und nicht das Islamische Emirat" (AAN 1.5.2021; vgl. VOJ 20.4.2021).

Für die Taliban ist die Errichtung einer "islamischen Struktur" eine Priorität. Wie diese aussehen würde, haben die Taliban noch nicht näher ausgeführt. Ähnliche Bedenken werden in Bezug auf die Auslegung der Scharia und die Rechte der Frauen geäußert. Die Verhandlungen mit den USA haben bei den Taliban ein Gefühl des Triumphs ausgelöst. Indem sie mit den Taliban verhandeln, haben die USA sie offiziell als politische Gruppe und nicht mehr als Terroristen anerkannt. Gleichzeitig haben die Verhandlungen aber auch die afghanische Regierung unterminiert, die von den Gesprächen zwischen den Taliban und den USA ausgeschlossen wurde (VIDC 26.4.2021). Der Abzug wird eine große Bewährungsprobe für die afghanischen Sicherheitskräfte sein. US-Generäle und andere Offizielle äußerten die Befürchtung, dass er zum Zusammenbruch der afghanischen Regierung und einer Übernahme durch die Taliban führen könnte (RFE/RL 19.5.2021).

Viele befürchten, dass mit dem Abzug der US-Truppen aus Afghanistan eine neue Phase des Konflikts und des Blutvergießens beginnen wird (VIDC 26.4.2021; vgl. AAN 1.5.2021, GM 18.5.2021). Mit dem Abzug der US-Truppen in den nächsten Monaten können die ANDSF mit einem Rückgang der Luftunterstützung und der Partner am Boden rechnen (AAN.1.5.2021; vgl. GM 18.5.2021), während die Taliban in jüngsten Äußerungen [Anm.: Ende April 2021] von einem bevorstehenden Sieg sprachen (RFE/RL 12.5.2021a; vgl. BBC 15.4.2021). Es gab auch einen Anstieg v

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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