TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/2 W129 2207406-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.08.2021
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Entscheidungsdatum

02.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W129 2207406-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter DDr. Markus GERHOLD über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX alias XXXX , StA. Iran, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.07.2021, Zl. 1100523910-210813460, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

(a) Erstes Verfahren:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch „BF“), ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 29.12.2015 nach illegaler Ausreise aus seinem Heimatland und einer am 27.12.2015 erfolgten Einreiseverweigerung in die Bundesrepublik Deutschland im österreichischen Bundesgebiet einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz.

2. Anlässlich der Erstbefragung am 29.12.2015 gab der BF an, dass er vor zwei Monaten schlepperunterstützt sein Heimatland verlassen habe. Zu seinem Fluchtgrund gefragt, führte der BF aus, dass es im Iran keine freie Religionswahl geben würde und er Christ sein möchte. Dies würde jedoch nicht gehen, weil man im Iran aufgehängt werde, wenn man eine andere Religion wählen würde. Im Falle seiner Rückkehr in den Iran habe er Angst, dass er dort aufgehängt werde.

3. Am 17.05.2018 erfolgte die Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (nachfolgend: BFA). In dieser führte der BF aus, dass er iranischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Perser, ledig und Christ sei. Zu seiner im Iran aufhältigen Familie habe er kaum Kontakt. In Österreich seien keine Verwandten aufhältig. Im Iran habe er die Schule abgeschlossen und danach sechs Jahre auf der Universität Architektur studiert. Er habe auch Berufserfahrung als Autohändler. Den Wehrdienst habe er nicht absolviert, weil er Probleme gehabt habe. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der BF aus, dass er Probleme mit der islamischen Religion habe. Er habe sich deswegen auch mit seiner Familie zerstritten und sei nicht zum Militär gegangen. Er könne diese Religion nicht akzeptieren und würde lieber hier sterben, als im Iran zu leben. Er sehe sich als Österreicher an und möchte hier arbeiten gehen. Er trage auch gerne lange Haare, was ihm im Iran ebenfalls nicht gestattet sei. Ebenso habe er im Iran Geschlechtsverkehr mit einem Mann gehabt, weshalb er im Iran deswegen ebenfalls Konsequenzen seitens der staatlichen Behörden fürchte. Er habe vor sechs oder sieben Jahren einen Freund besucht, an dessen Nachnamen er sich nicht mehr erinnern könne. Dessen Familie sei nicht zu Hause gewesen und es sei dazu gekommen. Er habe diesen Freund von klein auf gekannt, weil er aus der Nachbarschaft gewesen sei. Sie seien damals unter der Dusche gewesen, wobei der BF den aktiven Part übernommen habe. Der Freund sei gekommen, als der BF geduscht habe. Dieser habe gefragt, ob er auch in die Dusche kommen dürfe und ihn danach bewusst berührt, was den beiden gefallen habe. Danach habe er noch mit drei bis vier weiteren Männern sexuelle Erfahrungen gemacht, wobei er sich nicht erinnern könne, wer diese Männer gewesen seien. Diese Personen habe er bei der Arbeit oder im Supermarkt kennengelernt und sei mit ihnen nach längerer Zeit auch über Homosexualität ins Gespräch gekommen. Der Sex habe entweder zu Hause oder in einem Hotel stattgefunden. Er übe die Homosexualität auch in Österreich aus und lerne seine Freunde über Apps kennen.

Über Religionen würde er nicht nachdenken. Er sei hier in die Kirche gegangen und es seien alle freundlich und gutherzig gewesen. Er interessiere sich eigentlich nicht für Religion, jedoch für Jesus Christus und man solle Respekt zu Kindern und Frauen haben. Römisch-Katholisch sei für ihn die richtige Wahl, weil diese Kirche hier am weitesten verbreitet sei. Er interessiere sich nicht für Religionen, sondern habe nur Interesse an christlichen Religionen. Die Leute in der Kirche wären gutherzig.

Dass diese von seiner Homosexualität erfahren, wolle er nicht. Was die römisch-katholische Kirche zur Homosexualität sage, wisse er nicht und sei auch nicht wichtig. Im Islam werde außerdem gesagt, dass man Mitglieder anderer Religionen töten müsse. Wenn man in einem islamischen Land lebe, habe man bei Religionen keine andere Wahl. Im Iran sei er mit dem Christentum noch nicht in Kontakt gekommen. Er habe diese Religion erst in Österreich kennengelernt. Im Iran habe er lediglich die Erfahrung gemacht, dass Andersgläubige umgebracht werden. Er könne einige christliche Feiertage nennen, denke aber nicht viel über Religionen nach. Seine Entscheidung für das Christentum habe er aufgrund eines Gefühls getätigt. Getauft worden sei er zu Ostern des vergangenen Jahres. Er habe eine iranische Kirche besucht, aber nicht sehr gut aufgepasst und sich nicht viel über die Religion gemerkt.

Mit seiner Familie habe er zuletzt kurz am iranischen Neujahrstag Kontakt gehabt. Er habe mit seinem Vater, seinem Bruder und seinem Onkel gesprochen. Bald hätten sie sich über seine langen Haare lustig gemacht und negativ über ihn zu reden begonnen. Er habe ihnen gesagt, dass er die islamische Religion nicht akzeptiere und sie einen Fehler machen, wenn sie dieser weiter folgen würden. Sie hätten nämlich immer aus dem Koran gebetet. Er habe den Militärdienst verweigern wollen. Als Student habe er diesen aufschieben können und danach habe er sowieso fliehen wollen. Er sei noch geflohen, wie er Student gewesen sei. Dies sei schlepperunterstützt und illegal passiert, denn ohne Wehrdienstableistung würde man keinen Reisepass erhalten. Er sei über die Türkei nach Europa gekommen und auf dem Landweg nach Deutschland weitergereist, wo man ihm die Einreise verweigert hätte. Er habe dann in Österreich einen Asylantrag gestellt, weil er gewusst habe, dass dieses Land eines der besten sei. Auf Vorhalt seines Vorbringens in der Erstbefragung meinte der BF, dass er im Iran Probleme mit dem Islam gehabt habe. Mit dem Christentum sei er erst auf der Flucht in Berührung gekommen. Er habe am Tag der Einreise in Österreich seinen Asylantrag gestellt. Im Iran sei er einmal geschlagen worden, weil er im Fastenmonat Alkohol getrunken habe. Er habe damals eine Geldstrafe erhalten, jedoch ansonsten keine Probleme mit den staatlichen Behörden seines Heimatlandes gehabt. Er sei auch nicht politisch aktiv oder interessiert gewesen oder habe an gewalttätigen Auseinandersetzungen teilgenommen. In Österreich wolle er eines Tages arbeiten. Er könne Deutsch auf dem Niveau B1, jedoch könne er sich keine weiteren Kurse leisten. Er habe hier schon Freunde gefunden und wolle nicht mehr zurück in den Iran. Im Zuge der Rückübersetzung führte der BF auch den Nachnamen seines Freundes aus der Nachbarschaft im Iran an.

4. Mit Schreiben vom 13.03.2018 legte der BF ein Konvolut an iranischen und österreichischen Unterlagen vor. Neben Dokumenten aus seinem Heimatland ein Schreiben einer Kirchengemeinschaft, einen Taufschein, eine Austrittsbescheinigung aus der islamischen Religionsgemeinschaft und Referenzschreiben sowie auch zahlreiche integrationsbescheinigende Dokumente.

5. Mit Bescheid des BFA vom 12.07.2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurden der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpukt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Begründend wurde festgehalten, dass der BF im Laufe des Verfahrens zwar anführte, dass er in seinem Heimatland seine Religion nicht frei wählen dürfe. Dies sei grundsätzlich richtig, jedoch habe der BF auch betont, dass Religion in seinem Leben keine wichtige Rolle spielen würde. Er würde in die Kirche gehen, weil die Menschen dort freundlich und gutherzig wären. Er habe Interesse an Jesus Christus, jedoch nicht an Religionen generell. Getauft sei er, weil ihm die Religion gefiel und er dies so habe wollen. Nähere Gründe seien nicht vorgebracht worden. Den Islam lehne er ab, weil dieser gewalttätig sei und man in einem islamischen Land keine Wahlmöglichkeit zwischen den Religionen habe. Mit dem Christentum sei er erst in Österreich in Berührung gekommen. Er könne zwar einige Feiertage aufzählen, jedoch führte der BF an, dass er über die Religion nicht besonders viel nachdenke. Ebenso sei die Taufe eine Gefühlsentscheidung gewesen. Es sei daher von einer Scheinkonversion auszugehen.

Bezüglich seines Fluchtvorbringens, dass er homosexuell sei, habe ebenfalls nicht gefolgt werden können. Es wäre nicht glaubwürdig gewesen, zumal der BF nur vage und oberflächliche Schilderungen zu den sexuellen Handlungen habe darlegen können und dieser auch vermeinte, dass es islamischen Ländern unüblich sei, dass sich Männer in der Öffentlichkeit treffen würden. Es sei einerseits dort unüblich, dass sich Männer und Frauen in der Öffentlichkeit treffen, andererseits sei es nicht nachvollziehbar gewesen, dass der BF dennoch mit anderen Männern in öffentliche Hotels gegangen sei und er Männer an öffentlichen Orten über die Homosexualität ausgefragt habe. Gegen eine Glaubwürdigkeit des Vorbringens würde es auch sprechen, dass der BF den Namen des Kindheitsfreundes, mit dem er homosexuelle Erfahrungen gemacht hätte, erst in der Rückübersetzung benennen habe können und ihm auch den Namen des Hotels entfallen sei, in dem er den verbotenen Sex gehabt habe.

Der BF führte noch an, dass er aufgrund der Wehrdienstverweigerung das Land verlassen habe. Dies sei in Friedenszeiten allerdings nicht asylrelevant. Dass der BF allerdings schon von langer Hand geplant habe, dass er sein Heimatland vor Absolvierung des Wehrdienstes, von dem er wegen seines Studiums vorübergehend befreit worden wäre, verlassen werde, spreche auch dafür, dass er aus asylfremden Gründen sein Heimatland verlassen habe. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass dem BF eine konkrete Verfolgung oder Bedrohung aus den von ihm genannten Gründen droht. Das Vorbringen des BF habe aufgrund zahlreicher Widersprüche und Ungereimtheiten als nicht glaubhaft erachtet werden müssen.

5. Mit Verfahrensanordnung vom 12.07.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 12.07.2018 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.

6. Gegen den o.a. Bescheid der belangten Behörde erhob der BF mit Schriftsatz der Rechtsvertretung vom 08.08.2018 innerhalb offener Frist vollinhaltlich Beschwerde. Hierbei wurde angeführt, dass der BF sein Vorbringen glaubwürdig und im Kern gleichbleibend dargelegt hätte. Die belangte Behörde hätte es verabsäumt, den Sachverhalt ausreichend zu ermitteln, sodass dem BF in seinem Heimatland aufgrund der sexuellen Orientierung, seiner Religion und seiner politischen Gesinnung eine asylrechtlich relevante Bedrohung drohen würde. Er habe seine Konversion mit seiner Liebe zu Jesus begründet und im Iran Schwierigkeiten gehabt, weil er sich kritisch zum Islam geäußert habe. Er würde auch lange Haare tragen und im Ramadan Alkohol trinken, weswegen er schon verhaftet und mehrmals misshandelt worden sei. Bezüglich der vorgehaltenen Widersprüche und Ungereimtheiten in Bezug auf seine Homosexualität hätte die belangte Behörde berücksichtigen müssen, dass sich der BF in einer Stresssituation befunden habe und diese Details vernachlässigbar wären, zumal der BF das Vorbringen ansonsten schlüssig und lebensnah habe schildern können. Eine innerstaatliche Fluchtalternative würde ebenfalls nicht vorliegen.

7. In einer am 20.08.2018 ergangenen Stellungnahme der belangten Behörde, führte diese aus, dass die Beschwerde aufgestellten Behauptungen, dass der BF bereits im Iran seine Abneigung gegenüber dem Islam öffentlich gemacht habe, als eine Schutzbehauptung zu werten sei, die dem Neuerungsverbot unterliege. Ebenso sei es in der Beschwerde nicht ausreichend begründet worden, warum das BFA den BF zu Unrecht als unglaubwürdig betrachtet habe. Ebenso sei nicht dargelegt worden, welche Schritte notwendig wären, um den Sachverhalt klären zu können, zumal die Beschwerde nur auf Behauptungen basiere, die weder durch Unterlagen untermauert werden würden noch näher ausgeführt worden wären. Nach Ansicht der belangten Behörde sei die Bescheidbegründung nachvollziehbar gewesen, weshalb das erkennende Gericht die Beschwerde als unbegründet abweisen möge.

8. Am 09.10.2018 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

9. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 13.10.2020 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF und seine rechtfreundliche Vertretung persönlich teilnahmen. Ein Vertreter der Behörde nahm nicht teil.

Der BF gab an, gesund zu sein und die aktuellen Länderfeststellungen zu kennen. Befragt, ob er bisher im Verfahren getätigte Angaben korrigieren wolle, führte der BF aus, dass er nicht homosexuell sei und er dies nur angegeben habe, weil ihm dazu geraten worden wäre. Er sei aber getauft und glaube an Jesus Christus. Auch wenn er sich nicht als sehr gläubig betrachte, sei er stolz darauf, ein Christ zu sein. Er sei iranischer Staatsangehöriger, ledig und habe keine Kinder. Er sei Angehöriger der Volksgruppe Lor Bakhtyari und römisch-katholischer Christ. Wegen seiner Religionszugehörigkeit habe er im Iran Probleme gehabt. Seine Muttersprache sei Farsi und er spreche auch ein wenig Arabisch und Englisch sowie Deutsch.

Mit seinem Leben im Iran habe er abgeschlossen. Zu seiner dort lebenden Familie habe er keinen Kontakt mehr. Sie würden sich lediglich die Sachen ansehen, die er über das Christentum in den sozialen Netzwerken poste. Seine Familienmitglieder seien aber muslimisch geprägt, weshalb es auch keinen Kontakt zu ihnen gäbe. Im Iran habe er maturiert und im Baubereich den Bachelor gemacht. Er habe sich durch Anstellungen bei einer Bäckerei und im Autoverzollungsamt aber selbst erhalten können. Von seiner Familie werde er nicht unterstützt. Mit dieser habe er Probleme, weil ihn diese immer in die Moschee geschickt habe. Er habe sich dann mit ihnen zerstritten, weil er sich als Erwachsener nicht mehr mit den Regeln der islamischen Religion habe arrangieren wollen. Durch das Christentum habe er seine innere Ruhe gefunden. Er selbst leide an keinen psychischen Problemen. Das vorgelegte Schriftstück beziehe sich auf seinen Vater, der einmal zwei Jahre lang inhaftiert und gefoltert worden sei.

In Österreich habe der BF die Sprachprüfung auf dem Niveau B1 abgelegt. Er würde gerne arbeiten gehen, um ein nützliches Mitglied in dieser Gesellschaft zu werden. Derzeit helfe er nur älteren Menschen aus der kirchlichen Umgebung. Ein Studium könne er wegen der schwierigen finanziellen Lage nicht beginnen. Er habe sich hier einen Freundeskreis aufgebaut und gehe gerne ins Fitnesscenter. An Österreich würde ihn sein Glauben binden. Er lebe hier von der Grundversorgung.

Er habe sein Heimatland im Sommer 2015 verlassen und sei illegal in Österreich eingereist. Den Iran habe er verlassen, weil er dort mit der Denkweise der religiösen Iraner klargekommen sei. Auch wenn er zu seiner Familie keinen Kontakt habe, wissen seine Verwandten von seiner Denkweise und seiner Konversion. Er habe nie an Gott gezweifelt, jedoch nie an den islamischen Gott geglaubt, sondern an den Gott des Himmels. Hier habe er seinen Sohn kennengelernt und dank seiner Hilfe zur inneren Ruhe gefunden.

Den Iran habe er noch verlassen, bevor er sein Studium abgeschlossen habe. Es sei ihm aber dann dort zu gefährlich geworden. Dem iranischen Regime wolle er auch nicht dienen, weil dies den Terror unterstütze. Mittlerweile sei die Religion das wichtigste für den BF, weil er Gott um Hilfe geben habe und sich sein Leben seither positiv verändert habe. Er gehe jeden Sonntag mit Freude in die Kirche. Diese sei nun wegen Corona weniger gut besucht als früher. Was letzten Sonntag im Gottesdienst gelesen wurde, wisse er nicht mehr. Er könne die Stelle aber in der Bibel finden. Dem BF wurde danach eine Bibel vorgehalten, wobei er nicht in der Lage war, die Stelle zu finden. Er könne sich nicht mehr daran erinnern, was vorgestern in der Predigt gelesen worden sei. Eventuell könne er die Nummer der Stelle finden. Er mache immer Aufnahmen vom Gottesdienst, die er in soziale Netzwerke stelle. Auf Nachfrage, was ihm das bringe, wenn er sich nicht an dessen Inhalte erinnere, vermeinte er zusammengefasst, dass er gestresst gewesen sei, er bete und nicht lerne und er an die Zukunft denke und nicht an die Vergangenheit. Auf die Frage was das Evangelium sei, vermeinte der BF, dass dieses ihr heiliges Buch sei. Auf Nachfrage dies zu konkretisieren und anzuführen, wer die Evangelisten seien, gab der BF an, dass er neu im Christentum sei und nachlernen müsse. Er gehe auch in die Kirche, um zu lernen. Auf Wissensfragen habe der BF drei der vier Evangelisten nennen können. Bei der Frage nach den Sakramenten, führte der BF einige der zehn Gebote an. Was ein Sakrament ist, konnte der BF allerdings nicht darlegen. Er habe bei der Taufe einmal gebeichtet. Ob er sonst noch einmal gebeichtet habe, konnte der BF nicht angeben. Er vermeinte, die Frage nicht verstanden zu haben. Jesus sei für ihn der einzige, der von Gott gesandt worden sei. Er sei Gottes Sohn, während Mohammed ein Vergewaltiger von Kindern gewesen sei. Für diesen interessiere er sich aber nicht. Katholiken seien für ihn gute Menschen, weil sie für Frieden und Liebe eintreten würden. Liebe und Zuneigung sei die Kernsache im Christentum. Brot und Wein seien das Zeichen für den Leib und das Blut Christis. Den Begriff der Dreifaltigkeit habe der BF hingegen noch nie gehört. Gott habe seinen eingeborenen Sohn auf die Erde geschickt, was bedeute, dass auch Gott auf die Erde gekommen sei. Er kenne den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Letztgenannter sei ein Engel Gottes und somit auch ein Gesandter Gottes. Auf Aufforderung, die zehn Gebote zu nennen, gab der BF fünf an, eher er ausführte, dass Menschen sich mit Liebe und Zuneigung zu begegnen hätten. Es sei für ihn eine Verpflichtung zu beten. Mit den zehn Geboten sei er noch nie in Konflikt geraten. Von Todsünden habe er noch nicht gehört, er versuche aber keine Sünden zu begehen. Den Film „Sieben“ habe er einmal gesehen, jedoch wisse er nicht mehr den Inhalt dieses Films. Die Bibelstelle „Gott ist gut“ sei seine liebste Stelle in der Bibel. Ihn persönlich habe am meisten beeinflusst, wie Jesus Tote lebendig mache, den Blinden sehend mache und er den jungen Kranken heile. Er würde diese Stellen mögen, weil er im Iran schlechte Erfahrungen mit der Religion bzw. im Umgang mit Menschen gesehen habe. Mittlerweile spüre er Gott jeden Tag und dies gebe ihm Kraft schwierige Situationen zu meistern. Näher beschreiben, könne er dieses Gefühl – auch auf Nachfrage – nicht.

Nach seinem Tod glaube er an das ewige Leben und daran, dass er an einen besseren Ort als der Erde kommen würde. Das Glaubensbekenntnis kenne er nicht. Dieses müsse er noch lernen. Er wisse aber, dass das im Fegefeuer entschieden werde, ob man ins Paradies oder die Hölle komme. Er denke, dass es dies auch im Islam gebe, aber er sich nicht dafür interessiere. Deswegen könne er auch hierzu nicht immer passende Antworten zum Islam geben. Er habe den Iran verlassen, weil er den wahren Gott gesucht habe. Er könne sich vorstellen auch in Österreich den Wehrdienst zu machen. Ein Problem mit dem Gebot „Du sollst nicht töten!“ sehe er nicht, denn ein Soldat solle keine Menschen töten, sondern dem Land dienen. Ob ein Soldat ausgebildet werde, um zu töten, wisse er nicht, weil er noch nie Soldat gewesen sei.

Im Fall einer Rückkehr in den Iran würde er getötet werden, zumal alle, über seine Familie und die sozialen Medien, wissen würden, dass er konvertiert sei und in die Kirche gehe. Zur katholischen Kirche sei er gegangen, weil alle Katholiken, die er kenne, lieb und zuvorkommend gewesen wären. Ebenso habe Maria in der katholischen Kirche einen besonderen Stellenwert. Er sei wegen Jesus ein Christ geworden. Andere Religionen oder Religionszweige hätten den BF nicht interessiert bzw. wisse er auch nicht wie dies andere Religionszweige sehen. Er fühle sich in seiner Religionsgemeinschaft gut aufgehoben.

Im Iran könne er nicht mehr leben, weil er dort seinen Glauben nicht verleugnen und er nicht missionieren könnte. Er erzähle allen, dass er ein Christ sei und trage immer und überall ein Kreuz mit sich. Er respektiere alle Religionen, weil dies ein Zeichen von Meinungsfreiheit sei. Er besitze eine Bibel aus Farsi und eine auf Deutsch.

Danach folgten der Schluss des Ermittlungsverfahrens und der Schluss der mündlichen Verhandlung. Ebenso verkündete der erkennende Richter die zur Gänze vollabweisende Entscheidung samt der wesentlichen Entscheidungsgründe gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG. Ebenso wurde die Rechtsmittelbelehrung erteilt.

10. Mit Schreiben vom 27.10.2020 beantragte der BF gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG fristgerecht die Ausfertigung des Erkenntnisses vom 13.10.2020.

11. Mit Datum vom 25.11.2020 erfolgte die schriftliche Ausfertigung (zur Zahl W122 2207406-1/16E) des am 13.10.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses.

(b) Gegenständliches Verfahren:

12. Der Beschwerdeführer stellte am 17.06.2021 gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Im Wege seiner anwaltlichen Vertretung legte er (vorbereitend) einen (undatierten) Schriftsatz (AS 59ff.) vor: Er habe neue Asylgründe, welche er „bisher aus Scham nicht vorgebracht“ habe, er sei homosexuell und habe Beziehungen zu etlichen Männern in Linz und ganz Oberösterreich. Er werde bei seiner Einvernahme „genaue Namen und Adressen dieser Kontakpersonen“ schildern. Derzeit sei es ihm nur möglich, einen Herrn „ XXXX “ und einer bestimmten Telefonnummer sowie einen Herrn „ XXXX “ mit einer bestimmten Telefonnumer namhaft zu machen. Auszuführen sei, dass seine homosexuelle Ausrichtung bereits im Iran begonnen habe, seine Familienmitglieder hätten ihn beim Sex mit einem anderen Mann beobachtet und ihn quasi aus der Familie verstoßen. Er sei „als Teufel“ verstoßen worden.

Bei seiner Erstbefragung gab er zusammengefasst an, dass er anlässlich seiner ersten Antragstellung vom Dolmetscher erklärt bekommen habe, er müsse Christ werden, wenn er Asyl wolle. Er sei „damals sehr kaputt“ gewesen aufgrund seiner zwei Monate währenden Flucht, habe einfach seine Ruhe haben wollen und sei auch durcheinander gewesen. Er habe nicht wirklich Christ werden wollen, habe aber den Rat des Dolmetschers befolgt.

Er brauche aber keine Religion und habe nie eine haben wollen, im Iran müsse man jedoch Muslim sein. Er habe Probleme mit seinen Verwandten gehabt, die allesamt strenggläubig gewesen seien. Er glaube nicht an Gott und sei homosexuell.

Er habe im Iran mit einem Mann Sex gehabt. Dieser Mann habe ein Video angefertigt und den BF damit erpresst und angekündigt, es zu veröffentlichen und der Polizei zu zeigen.

Die iranische Regierung habe seine Eltern schlagen lassen, sein Vater sei nunmehr behindert.

Seine Verwandten hätten gesehen, dass er Sexualverkehr mit einem anderen Mann gehabt hätte.

13. Am 28.06.2021 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor der belangten Behörde statt, in deren Rahmen der Beschwerdeführer im Wesentlichen angab, dass er seit seiner Kindheit Probleme habe und geschlagen worden sei. Er habe im Erstverfahren unrichtigerweise und aufgrund eines Ratschlages angegeben, dass er zum Christentum konvertiert sei. Er habe jedoch grundsätzlich Probleme mit allen Religionen und habe kein Interesse an ihnen.

Er habe im Erstverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nur aus Angst behauptet, Christ zu sein.

Er sei ganz alleine – nicht nur in Österreich, sondern auf der ganzen Welt.

Er habe Probleme mit der iranischen Regierung, seit er studiert habe. Seine Familie habe ihn gezwungen, in die Moschee zu gehen, doch habe er Bücher gelesen und erkannt, dass Religion „ein großer Quatsch“ sei. Seit seinem 23. Lebensjahr sei er Atheist. Seit damals sei er sicher, dass es keinen Gott gebe, und seit damals habe er keine Bindung zu den Iranern allgemein.

Er denke, dass sexuelle Intimität mit einem Mann kein Problem und keine Sünde sei. Er sei in Österreich sehr oft intim mit anderen Männern gewesen und könne dies mit Chat-Verläufen belegen. Er habe „auch am heutigen Tag vor“, mit einem Mann zusammen zu sein.

In weiterer Folge zeigte der Beschwerdeführer Chatverläufe mit einem Mann mit dem Vornamen „ XXXX “ vor, er kenne diesen Freund seit 3 Jahren. Befragt nach dem Familiennamen des Freundes gab der Beschwerdeführer an, er kenne den Familiennamen nicht.

Er habe keine Probleme mit Frauen, fühle sich aber beim Sex eher zu Männern hingezogen – dies bereits seiner Zeit im Iran. Er habe das im Vorverfahren beim Bundesamt angegeben, dort sagte man ihm jedoch, man „akzeptiere das nicht“. Es sei dieser Fluchtgrund auch in der Beschwerde angegeben worden, aber in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht habe er große Angst gehabt und habe gedacht, man werde ihm nicht glauben. Er sei nach seiner sexuellen Neigung gefragt worden und habe die Homosexualität verleugnet, weil er unsicher gewesen sei. In der Nacht vor der Verhandlung habe er Sex mit einem Mann in Wien gehabt.

Befragt nach dem Video, welches er in der Erstbefragung erwähnt habe, führte der BF aus, er sei ohne sein Wissen beim Sex mit einem Mann gefilmt worden. Der BF habe bereits den Iran verlassen gehabt und sei angerufen worden, der Mann habe gedroht, er werde den Film der Polizei zeigen und behaupten, der BF habe ihn vergewaltigt - außer der BF wäre bereit Geld zu zahlen. Der BF habe geantwortet, der Mann solle tun, was er wolle, er selbst (der BF) sei nicht mehr im Iran.

Er habe das Video deswegen im Erstverfahren nicht erwähnt, weil man ihm dort nicht geglaubt habe. Da spiele es auch keine Rolle, ob es ein Video oder eine Erpressung gegeben habe. Er habe Angst gehabt, dass man ihm im Erstverfahren noch weniger geglaubt hätte, wenn er das Video erwähnt hätte. Er sei im Iran mit Angst großgezogen worden, Angst sei ein Teil des iranischen Wesens.

Er habe in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unrichtigerweise angegeben, Christ zu sein, aber nicht homosexuell. Es sei jedoch umgekehrt. Das alles sei aus Angst erfolgt, dass man ihm nicht glaube, weil viele Iraner „solche Sachen“ ausgenutzt hätten, um Asyl zu bekommen. Daher habe er vorgebracht Christ zu sein. Er sei zwar in einer Kirche gewesen, habe dort aber nichts verspürt.

Befragt, wer die beiden in dem den Folgeantrag vorbereitenden Schriftsatz genannten Herren mit den Vornamen „ XXXX “ und „ XXXX “ seien, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, der erste sei sein Freund und sei bereit als Zeuge auszusagen, der zweite wolle es jedoch nicht, da dieser eine Familie habe und keine Probleme wolle. Den Nachnamen des ersten Freundes kenne er nicht, man könne ihn aber anrufen und sagen dass es um „ XXXX “ (Anmerkung: selbst gewähltes Pseudonym des BF) aus dem Iran gehe.

Auf Vorhalt, er habe früher auch ausgeführt, dass er von seiner Familie beim Sex erwischt und daher verstoßen worden wäre, gab der Beschwerdeführer an, es sei bereits im Akt vorhanden, warum solle er es wiederholen.

Er habe große Angst vor einer Rückkehr in den Iran, sein Leben sei in Gefahr, seine Familie und die Regierung würden ihn umbringen.

Er habe im Iran auch einmal einen Selbstmordversuch begangen, dies habe er auch seinem Psychologen in Österreich erzählt.

Sein korrektes Geburtsdatum sei nicht der XXXX sondern der XXXX .

14.Am 05.07.2021 wurde der Beschwerdeführer erneut vor der belangten Behörde niederschriftlich befragt. Er legte seinen am XXXX ausgestellten iranischen Führerschein als Beleg für sein richtiges Geburtsdatum vor, welches er in der Einvernahme am 28.06.2021 korrigiert hatte.

Auf Vorhalt, es sei beabsichtigt, seinen Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, gab der Beschwerdeführer auf das Wesentlichste zusammengefasst und sinngemäß zu Protokoll, er habe aus Angst beim Bundesverwaltungsgericht im Erstverfahren etwas anderes angegeben, da er gedacht habe, man glaube ihm ohnehin nicht.

15. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der zweite Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Iran zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Die Behörde stellte – hier auf das Wesentlichste zusammengefasst – fest, dass der Beschwerdeführer im neuerlichen Asylverfahren keine neuen Gründe vorgebracht habe bzw. sich kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben habe, welcher nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens entstanden sei.

16. Mit Schriftsatz vom 26.07.2021 wurde eine Beschwerde gegen den Bescheid eingebracht und zusammengefasst ausgeführt, dass ein neuer Sachverhalt aufgrund der vorgebrachten Homosexualität und der atheistischen Gesinnung des Beschwerdeführers gegeben sei. Beides werde im Iran hart bestraft. Aus Angst und Unwissenheit habe er dies nicht bereits früher zu Protokoll gegeben. In Bezug auf seine Homosexualität lege er Auszüge von Chatnachrichten vor.

Auch seien die Länderfeststellungen stark verkürzt und unvollständig. Auch Personen, die sich zum Atheismus bekennen, liefen Gefahr, willkürlich verhaftet, gefoltert oder getötet zu werden.

Die Ausweisung verletze das Recht des unbescholtenen Beschwerdeführers auf Achtung des Privat- und Familienlebens.

Die Verhängung des zweijährigen Einreiseverbotes erfolgte in überschießender Ausnutzung des gesetzlichen Ermessensspielraumes und sei daher willkürlich.

Beigelegt wurden eine Terminbestätigung von „Queer Base“ vom 21.07.2021 sowie mehrere Chatverläufe in Bezug auf die Anbahnung homosexueller Aktivitäten.

17. Mit Begleitschreiben vom 26.07.2021 übermittelte die belangte Behörde gegenständliche Beschwerde sowie die Verfahrensakten an das Bundesverwaltungsgericht, wo das Konvolut am 28.07.2021 einlangte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der BF ist ein volljähriger iranischer Staatsangehöriger. Seine Identität steht fest. Er stellte am 29.12.2015 in Österreich einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Der BF gehört der persischen Volksgruppe an und spricht Farsi. Der BF leidet an keiner schwerwiegenden lebensbedrohlichen Erkrankung. Er verfügt über soziale und familiäre Anknüpfungspunkte im Iran; wobei er aber mit seinen Familienangehörigen zuletzt nicht mehr in Kontakt stand.

Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Es leben keine Verwandten in Österreich.

Mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.10.2020 (schriftlich ausgefertigt am 25.11.2020 zu W122 2207406-16E), wurde die Beschwerde gegen den (ersten) Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.07.2018, Zl. 110523910-152076146, abgewiesen. Dabei wurde unter anderem festgestellt, dass der BF nicht von den iranischen Behörden verfolgt wird, weil der BF dort nicht nach den Regeln des Islams leben wolle und er sich wegen seiner islamkritischen Lebensweise mit seiner Familie zerstritten hätte. Die behauptete Konversion sei als Scheinkonversion zu qualifizieren. Es können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der BF Gefahr liefe, im Iran einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder gar der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden. Es wurde festgestellt, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in den Iran weder in eine existenzgefährdende Notsituation geraten würde noch als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen Konfliktes ausgesetzt wäre. Auch konnten im genannten BVwG-Erkenntnis keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden. Es seien weder die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ noch für einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK geboten.

Das im zweiten Verfahrensgang neuerlich vorgebrachte Vorbringen der Homosexualität sowie der atheistischen Gesinnung des Beschwerdeführers weist keinen glaubhaften Kern auf.

Die Situation im Iran hat sich seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.10.2020 nicht wesentlich geändert und wird auf Basis des herangezogenen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation dazu festgestellt wie folgt:

COVID-19

Iran gilt als eines der am stärksten von Corona betroffenen Länder (DW 18.11.2020) und ist nun auch von einer dritten COVID-19-Infektionswelle stark betroffen. Regionale Schwerpunkte sind dabei kaum auszumachen, da das Ansteckungsrisiko flächendeckend sehr hoch ist. Städte und Provinzen sind je nach Infektionszahlen in unterschiedliche Risikogruppen eingeteilt (rot = kritische Situation, orange = hohes Risiko, gelb = geringes Risiko) (AA 1.12.2020). Die Zahl der Neuinfektionen bewegt sich den offiziellen Zahlen zufolge weiterhin auf einem hohen, und weiter steigenden Niveau, die Zahl der täglichen Todesopfer ist auch im Steigen begriffen (WKO 28.11.2020). Aktuelle Informationen und detaillierte Zahlen bieten das iranische Gesundheitsministerium und die Weltgesundheitsorganisation WHO (AA 1.12.2020). Die Auslastung der medizinischen Einrichtungen ist sehr hoch, verschiedentlich gibt es Engpässe bei der Versorgung mit Schutzausrüstung und Medikamenten (WKO 28.11.2020). Die Spitäler kämpfen mit Überlastung (WKO 28.11.2020; vgl. ZDF.de 18.10.2020). Für alle der 31 Provinzen inklusive Teheran gilt die Situation als sehr besorgniserregend (WKO 28.11.2020).

Personen, die in den Iran auf dem Luftweg einreisen wollen, haben einen negativen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 aus dem Abreisestaat in englischer Sprache mit sich zu führen und vorzuweisen. Das ärztliche Zeugnis darf bei der Einreise nicht älter als 96 Stunden sein. Kann das Gesundheitszeugnis nicht vorgelegt werden, wird ausländischen Staatsangehörigen die Einreise nach Iran verwehrt. Iranische Staatsangehörige (Doppelstaatsbürger reisen in der Regel mit ihrem iranischen Reisepass ein) werden unter Aufsicht des Gesundheitsministeriums in ein Flughafenhotel eingewiesen, dessen Kosten selbst zu tragen sind. Mit eigenhändiger Unterschrift ist zu bestätigen, dass das Hotel nicht verlassen werden darf. Die 14-tägige Quarantäne kann durch einen negativen molekularbiologischen Test beendet werden (BMeiA 1.12.2020; vgl. AA 1.12.2020). Positiv auf COVID-19 getestete Passagiere werden in ein Krankenhaus in Teheran oder andere Isolationsstationen verbracht (AA 1.12.2020).

Seit 21. November 2020 gilt für alle Provinzhauptstädte und zahlreiche weitere Städte ein zunächst zweiwöchiger Lockdown mit weitreichenden Verkehrseinschränkungen (BMeiA 1.12.2020; vgl. DW 18.11.2020), obwohl sich die iranische Regierung - aus Angst vor Protesten - lang gegen einen Lockdown gewehrt hat (DW 18.11.2020). Der Reiseverkehr zwischen diesen rot eingestuften Städten ist grundsätzlich untersagt. In Teheran gilt von 21 Uhr bis 4 Uhr ein Fahrverbot für Privatfahrzeuge (BMeiA 1.12.2020; vgl. DW 18.11.2020). Ab 22 Uhr gilt dies auch für den öffentlichen Nahverkehr. Taxis verkehren auch nach 22 Uhr (AA 1.12.2020). Es kommt – abgesehen vom Lebensmittelhandel und systemrelevanten Einrichtungen – ebenfalls zu landesweiten Betriebsschließungen (BMeiA 1.12.2020). Im Alltag ist derzeit vor allem in orangen und roten Regionen wieder mit Einschränkungen bei Öffnungszeiten und Serviceangebot zu rechnen. Vorübergehend werden weitergehende Beschränkungen eingeführt (z.B. Schließungen von Restaurants, Sporteinrichtungen, religiösen Einrichtungen usw.). Einrichtungen für den essentiellen Lebensbedarf wie Supermärkte und Apotheken bleiben geöffnet. Davon sind u.a. Teheran sowie der Großteil der Provinzhauptstädte und weitere Großstädte betroffen. In roten Regionen bleiben Touristenziele teilweise geschlossen. Camping in öffentlichen Parks ist grundsätzlich untersagt (AA 1.12.2020). Behörden bleiben geöffnet, werden aber nur mit einem Drittel der üblichen Mitarbeiter besetzt (DW 18.11.2020). In allen Schulen und Universitäten wird auf Fernunterricht umgestellt (WKO 28.11.2020; vgl. DW 18.11.2020).

Die iranischen Behörden rufen weiterhin dazu auf, möglichst soziale Kontakte zu meiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen und öffentliche Transportmittel zu meiden. Es gilt eine generelle Maskenpflicht an allen öffentlichen Orten, in geschlossenen Räumlichkeiten sowie im öffentlichen Nahverkehr (AA 1.12.2020; vgl. WKO 28.11.2020). Künftig soll die Polizei stärker gegen Verstöße vorgehen, Strafen für Verstöße gegen die Auflagen wurden angekündigt (AA 1.12.2020).

Die Regierung hat ein Hilfspaket für Haushalte und Arbeitgeberbetriebe in der Höhe von 24 Mrd. USD beschlossen. 4 Mio. Haushalte sollen einen zinsfreien Mikrokredit von umgerechnet 62 bzw. 124 USD erhalten (WKO 28.11.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (1.12.2020, unverändert gültig seit 18.11.2020): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/iransicherheit/202396, Zugriff 1.12.2020

?        BMeiA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (1.12.2020, unverändert gültig seit 20.11.2020): Iran - Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/, Zugriff 1.12.2020

?        DW – Deutsche Welle (18.11.2020): Irans Regierung gibt Widerstand gegen Corona-Lockdown auf, https://www.dw.com/de/irans-regierung-gibt-widerstand-gegen-corona-lockdown-auf/a-55651492, Zugriff 1.12.2020

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (28.11.2020): Coronavirus: Situation im Iran, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/iran-bulletin-aussenwirtschaftscenter-zum-coronavirus--.html, Zugriff 1.12.2020

?        ZDF.de (18.10.2020): Wie die zweite Welle den Iran trifft, https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-iran-zweite-welle-100.html, Zugriff 1.12.2020

1. Politische Lage

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 4.3.2020b). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih“, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage ist, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten wird. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 9.2020a; vgl. BS 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten (ÖB Teheran 10.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (AA 4.3.2020a; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020) und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Revolutionsführer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2020; vgl. FH 4.3.2020). Doch obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 26.2.2020).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wiedergewählt (ÖB Teheran 10.2020). Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 4.3.2020). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 9.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 10.2020). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt (GIZ 9.2020a). Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden (DW 23.2.2020). Nach dem die Erwartungen des Volks vom moderat-reformorientierten Parlament nicht erfüllt wurden und die Wirtschaftslage und die finanzielle Situation des Volks nach den US-Sanktionen immer schlechter wurde, kamen nach den Parlamentswahlen 2020 hauptsächlich die konservativen und erzkonservativen Kräfte ins Parlament. Die Mehrheit der Abgeordneten der neuen Legislaturperiode verfolgt sowohl gegenüber der Regierung von Rohani als auch gegenüber westlichen Werten eine sehr kritische Linie (ÖB Teheran 10.2020).

Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 10.2020; vgl. GIZ 9.2020a, FH 4.3.2020, BS 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 9.2020a). Des weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der „Gesamtinteressen des Systems“ zu achten (AA 4.3.2020a; vgl. GIZ 9.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 9.2020a).

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 9.2020a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 26.2.2020). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 9.2020a; vgl. AA 4.3.2020a). Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Folglich können iranische Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten auswählen (FH 4.3.2020). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Frauen werden bei Präsidentschaftswahlen grundsätzlich als ungeeignet abgelehnt. Die Wahlbeteiligung 2017 betrug 73%. Unabhängige Wahlbeobachter werden nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 26.2.2020).

2. Sicherheitslage

Der Iran verfügt über eine stabile politische Ordnung und Infrastruktur. Es bestehen jedoch gewisse Spannungen, die periodisch zunehmen. Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 2.12.2020).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Diese haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 2.12.2020; vgl. AA 2.12.2020b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 2.12.2020b).

In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 2.12.2020b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 2.12.2020b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 2.12.2020).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 2.12.2020b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften (EDA 2.12.2020). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2020).

3. Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2020). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 26.2.2020; vgl. BS 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.3.2020).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (USDOS 11.3.2020). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 14.1.2020; vgl. AA 26.2.2020, HRC 28.1.2020). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).

Wenn sich Gesetze nicht mit einer spezifischen Rechtssituation befassen, dann dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen „göttlichen Wissens“ [divine knowledge] für schuldig befinden (USDOS 11.3.2020).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die "Sondergerichte für die Geistlichkeit" sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BS 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erde";

- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

- Spionage für fremde Mächte;

- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020). Im iranischen Strafrecht sind körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 26.2.2020). Die Amputation z.B. eines Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen (Qisas), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann (ÖB Teheran 10.2020). Bei derartigen Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes (Diya) auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 26.2.2020). Durch Erhalt einer Kompensationszahlung (Diya) kann also der ursprünglich Verletzte auf die Anwendung einer Blendung verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom „Geschädigten“ gegen Diya verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2020). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 26.2.2020).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (AA 26.2.2020).

Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 26.2.2020).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 26.2.2020).

4. Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revoluti

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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