TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/10 L512 2214900-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.08.2021
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Entscheidungsdatum

10.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L512 2214900-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. der islamischen Republik Pakistan, vertreten durch BBU, Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, Erstaufnahmestelle Flughafen, vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46, § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als „BF“ bezeichnet), ein Staatsangehöriger der islamischen Republik Pakistan, (in weiterer Folge „Pakistan“ genannt) stellte am 24.06.2017 nach illegaler Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der BF am 25.06.2017 zusammengefasst Folgendes vor:

Er sei ledig, Sunnit und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen. Er sei Analphabet und habe zuletzt als XXXX gearbeitet.

Vor ca. XXXX hätten die Taliban von seinem Vater monatliche Zahlungen iHv 50.000 Kaldar oder die Beteiligung am „Heiligen Krieg“ verlangt. Der Vater des BF habe weder bezahlen können, noch kämpfen wollen, weshalb die Taliban den Vater des BF erschossen hätten. Drei Tage nach dem Tod des Vaters seien die Taliban erneut gekommen und hätten den BF mitgenommen. Sie hätten den BF misshandelt und auf ihn geschossen. Der BF sei dabei verletz worden und für ca. fünf Monate im Spital gelegen. Nach diesem Vorfall habe die Familie die Adresse gewechselt. Die Taliban hätten auch auf den Bruder des BF geschossen, welcher seither gelähmt sei. Der Arbeitgeber des BF habe erzählt, dass die Taliban noch nach dem BF suchen würden, weshalb er aus Angst geflohen sei.

Der BF habe Angst vor den Taliban. Sie würden nach ihm suchen. Er könnte von den Taliban getötet werden [Aktenseite (AS) 9 ff.].

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge kurz „BFA“) gab, nachdem zwei Referenten des BFA das Alter des BF per Augenschein bewertet haben, ein Sachverständigengutachten bezüglich einer Unterscheidung Minder- bzw. Volljährigkeitsbeurteilung bezüglich des BF in Auftrag. In dem entsprechenden Gutachten eines Sachverständigen wurde zusammengefasst erörtert, dass die Zusammenschau der erhobenen Befunde (Anamnese/klinische Untersuchung, Zahnstatus, Handröntgen, Schlüssenbein-CT) für den BF zum Untersuchungszeitpunkt vom XXXX ein wahrscheinliches Alter von XXXX ergebe. Das daraus errechnete „fiktive“ Geburtsdatum laute XXXX . Es könne somit zum Zeitpunkt der Asylantragstellung ( XXXX ) von einem wahrscheinlichen Alter mit XXXX ausgegangen werden. Das behauptete Lebensalter bzw. Geburtsdatum ( XXXX ) ist mit dem festgestellten Alter bzw. „fiktiven“ Geburtsdatum nicht vereinbar (AS 81 ff.).

I.3. Vor einem Organwalter der belangten Behörde brachte der BF am 12.10.2017 und 19.06.2018 zu seinem Fluchtgrund im Wesentlichen Folgendes vor:

Die Taliban hätten seinen Vater aufgefordert zu kämpfen oder monatlich 5.000,-- Kaldar zu bezahlen. Am Anfang habe sein Vater bezahlt, danach sei er aber nicht mehr dazu in der Lage gewesen. Sie hätten seinen Vater mitgenommen und getötet. Der BF habe seinen Vater gesucht und nach drei Tagen gefunden. Man habe ihn nicht wiederkennen können. Er habe in der Nähe eines Brunnens in einem Erdloch gelegen. Der Vater des BF habe als XXXX viele Leute gekannt und hätten diese den Vater des BF nach Hause gebracht. Drei Tage später habe es an der Tür geklopft und seien Taliban gekommen. Sie hätten die Augen des BF verbunden und ihn im Auto mitgenommen. Er sei zu einem unbekannten Ort gebracht und in ein kleines Zimmer gesperrt worden. Er sei täglich ein Jahr lang geschlagen worden und habe nur wenig zu essen bekommen. Eines Tages habe er fliehen können und sei bei der Flucht angeschossen worden. Der BF sei fünf Monate im Krankenhaus gewesen. Fünf Monate später hätten die Taliban nach dem BF gefragt. Die Mutter und der jüngere Bruder des BF hätten gesagt, dass der BF tot sei. Daraufhin hätten sie zum Bruder des BF gesagt, dass dieser die Wahrheit sagen solle. Der Bruder des BF habe gesagt, dass es die Wahrheit sei und hätten sie ihn angeschossen. Der BF sei noch vom Krankenhaus aus ausgereist (AS 129 ff. und AS 167 ff.).

I.4. Mit Parteiengehör des BFA vom 10.01.2019 wurde der BF aufgefordert zu seinem Gesundheitszustand und Lebensumständen sowie Integrationsbemühungen in Österreich Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 15.01.2019 gab der BF dazu eine Stellungnahme ab.

I.5. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs 1 AsylG abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gemäß § 8 Absatz 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan nicht zugesprochen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Ausreise mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

I.5.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen zu den dargelegten Ausreisegründen aufgrund näher dargestellter Unplausibiltäten und Widersprüche als unglaubwürdig.

I.5.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Pakistan traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

I.5.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben. Zudem sei die Abschiebung zulässig, da kein Sachverhalt im Sinne des § 50 Abs 1, 2 und 3 FPG vorliege. Eine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe in Höhe von 14 Tagen, da keine Gründe im Sinne des § 55 Abs 1a FPG vorliegen würden.

I.6. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

I.7. Für den XXXX lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Verhandlung.

I.7.1. Mit Schreiben vom 29.01.2021 wurden den Verfahrensparteien aktuelle Länderberichte zur Lage in Pakistan zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich bis zum Zeitpunkt der anberaumten Verhandlung schriftlich bzw. in der Verhandlung mündlich hierzu zu äußern.

I.8. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hatte der BF die Möglichkeit zu seiner Integration, seinem Fluchtvorbringen und seiner Rückkehrsituation Stellung zu nehmen.

I.5. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Der Beschwerdeführer

Die Identität des BF steht nicht fest. Der BF ist pakistanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen sowie der moslemisch-sunnitischen Glaubensrichtung. Er stammt aus XXXX , Khyber Distrikt, in der Provinz XXXX , wo er bis zu seiner Ausreise bei seinen Eltern und Geschwistern (drei Brüder und zwei Schwestern) lebte. Der BF besuchte keine Schule, ist Analphabet und half bereits als Kind in der XXXX mit. In den Sommermonaten war der BF als XXXX tätig. Der BF spricht die Sprachen Paschtu, ein wenig Farsi und ein wenig Urdu.

Beim BF wurde ein Cholesteatom links im Mastoid (chronisch eitrige Entzündung des Mittelohrs) diagnostiziert und am XXXX eine Radikalhöhlen-Operation mit Cholesteatomresektion (operative Entfernung) durchgeführt. Seither besteht eine Surditas am linken Ohr (einseitige Taubheit) und wurden Kontrolluntersuchungen empfohlen.

Zudem leidet der BF an muskuloskelettalen Beschwerden beider unteren Extremitäten sowie der Wirbelsäule nach multiplen Schussverletzungen (AS 149). Die Schmerzen werden medikamentös behandelt.

Der BF ist Drittstaatsangehöriger und ist arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Die Eltern des BF sind bereits verstorben. Die Geschwister des BF sind nach wie vor in Pakistan aufhältig. Zu diesen besteht aktuell kein Kontakt. Der BF verfügt im Herkunftsstaat über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherten Existenzgrundlage. In

Im XXXX hat der BF Pakistan illegal verlassen, reiste im Juni 2017 illegal im österreichischen Bundesgebiet ein und hält sich seither ununterbrochen hier auf.

In Österreich leben keine Verwandten des BF.

Der BF ist in Österreich nicht legal erwerbstätig und lebt von Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber.

Vom XXXX bis XXXX hat der BF am Basiskurs XXXX teilgenommen.

Der BF nimmt in seiner Wohngemeinde an Bildungs- und Integrationsmaßnahmen, wie bei Veranstaltungen mit der Belegschaft des Flüchtlingsheimes teil, besuchte Deutschqualifizierungsmaßnahmen, wie bspw. Deutschkurse im Asylwerberquartier und verfügt über einfache Deutschkenntnisse. Der BF hat Freunde und Bekannte in Österreich.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Pakistan

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Pakistan werden folgende Feststellungen getroffen:

Covid-19

Letzte Änderung: 29.01.2021

Die epidemiologische Situation in Pakistan ist weiterhin angespannt. In Pakistan wurden bisher mehr als 457.288 Infektionen mit dem Covid-19-Virus sowie mehr als 9.330 Todesfälle bestätigt (Stand 21.12.2020; Einwohnerzahl: 220 Millionen). Nach Angaben des National Command and Operation Center (NCOC) stieg die Zahl der durch das Coronavirus verursachten Todesfälle zum ersten Mal seit fünf Monaten um mehr als 100 innerhalb eines Tages. Die Positiv-Rate aller durchgeführten Testungen liegt in verschiedenen pakistanischen Großstädten bei etwa 7 bis 8%, während sie in der Millionenmetropole Karatschi etwa 19% beträgt. Landesweit wird weiterhin auf „Smart Lockdowns“ gesetzt, wobei zuletzt in Bezirken Peshawars und Karatschis Ausgangssperren verhängt wurden. Die Landesregierungen von Sindh und Khyber Pakhtunkhwa haben zudem angeordnet, alle religiösen Seminare („Madrassas“) wegen der Covid-19-Pandemie zu schließen. Laut Angaben des Sonderassistenten des pakistanischen Premierministers werde geplant, dass der Impfstoff – sofern verfügbar – der pakistanischen Bevölkerung kostenlos zur Verfügung gestellt werde. Wie gering die Impfbereitschaft der Pakistanis zeigt der Umgang mit der Polio-Impfung für Kinder im Land (ÖB 21.12.2020). Gleichzeitig geraten Krankenhäuser angesichts gestiegener Corona-Neuinfektionen landesweit an ihre Kapazitätsgrenzen. Mindestens sieben Patienten starben laut Medienberichten in der Nacht zum 6. Dezember 2020 in einem öffentlichen Krankenhaus in der nordwestlichen Stadt Peshawar (Khyber Pakhtunkhwa), weil der Sauerstoffnachschub ausging (BAMF 7.12.2020).

Als Folge des COVID-19-Schocks verschlechterte sich die wirtschaftliche Aktivität deutlich, wobei das Wirtschaftswachstum 2020 wird vorläufig auf -0,4% geschätzt. Um die zweite Welle abzumildern, wurden Lockdownmaßnahmen wieder eingeführt. Hinsichtlich anstehender Impfungen hat die Regierung bei der COVAX-Organisation der UN um Unterstützung angesucht. Diese wird die Impfung von vorrangig zu impfenden Gruppen - etwa 20% der Bevölkerung - abdecken. Die Regierung führt außerdem Gespräche mit mehreren Impfstoffherstellern und mit Gebern (Weltbank und Asiatische Entwicklungsbank) über die Beschaffung zusätzlicher Impfstoffe, die mit einem Budget von 250 Millionen US-Dollar finanziert werden sollen. Der Start der Impfkampagne wird für das zweite Quartal des Jahres 2021 erwartet (IMF 8.1.2021).

Am 24. März 2020 wurde von der Bundesregierung ein Hilfspaket im Wert von 1,2 Billionen PKR (ca. 6,2 Milliarden Euro) angekündigt, das inzwischen fast vollständig umgesetzt wurde. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören u.a. die Abschaffung der Importzölle auf medizinische Notfallausrüstung (kürzlich bis Dezember 2020 verlängert); Bargeldtransfers an 6,2 Millionen Tagelöhner (75 Mrd. PKR); Bargeldtransfers an mehr als 12 Millionen einkommensschwache Familien (150 Mrd. PKR); Unterstützung für KMUs und den Agrarsektor (100 Mrd. PKR) in Form von Aufschub der Stromrechnung, Bankkrediten sowie Subventionen und Steueranreizen. Das Konjunkturpaket sah außerdem Mittel für eine beschleunigte Beschaffung von Weizen (280 Mrd. PKR), finanzielle Unterstützung für Versorgungsunternehmen (50 Mrd. PKR), eine Senkung der regulierten Kraftstoffpreise (mit einem geschätzten Nutzen für die Endverbraucher in Höhe von 70 Mrd. PKR), Unterstützung für die Gesundheits- und Lebensmittelversorgung (15 Mrd. PKR), Erleichterungen bei der Bezahlung von Stromrechnungen (110 Mrd. PKR), einen Notfallfonds (100 Mrd. PKR) und eine Überweisung an die National Disaster Management Authority (NDMA) für den Kauf von COVID-19-bezogener Ausrüstung (25 Mrd. PKR) vor. Der nicht ausgeführte Teil des Hilfspakets wird auf das Jahr 2021 übertragen. Darüber hinaus enthält das Budget für das Jahr 2021 weitere Erhöhungen der Gesundheits- und Sozialausgaben, Zollsenkungen auf Lebensmittel, eine Zuweisung für das "COVID-19 Responsive and Other Natural Calamities Control Program" (70 Mrd. PKR), ein Wohnungsbaupaket zur Subventionierung von Hypotheken (30 Mrd. PKR) sowie die Bereitstellung von Steueranreizen für den Bausektor (Einzelhandels- und Zementunternehmen), die im Rahmen der zweiten Welle bis Ende Dezember 2021 verlängert wurden (IMF 8.1.2021).

Quellen:

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.12.2020): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041897/briefingnotes-kw50-2020.pdf, Zugriff 28.12.2020

?        IMF – International Monetary Fund (8.1.2021): Policy Responses to COVID-19, Pakistan, https://www.imf.org/en/Topics/imf-and-covid19/Policy-Responses-to-COVID-19#P, Zugriff 28.1.2021

?        ÖB – Österreichische Botschaft Bangkok [Österreich] (21.12.2020): Asylländerbericht Pakistan, per E-Mail

Politische Lage

Letzte Änderung: 29.01.2021

Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber-Pakhtunkhwa sowie dem Hauptstadtterritorium Islamabad (AA 25.9.2020). Die vormaligen FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden (ET 25.5.2018). Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete Gilgit-Baltistan und Azad Jammu & Kashmir auf der pakistanisch verwalteten Seite Kaschmirs (AA 25.9.2020).

Pakistan ist gemäß seiner Verfassung eine parlamentarische Demokratie. Seit der Unabhängigkeit wurde die demokratische Entwicklung jedoch mehrfach von längeren Phasen der Militärherrschaft unterbrochen. Zuletzt kehrte Pakistan 2008 zur Demokratie zurück. Bei den Parlamentswahlen am 25.7.2018 gewann die bisherige Oppositionspartei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI). Seit August 2018 führt PTI-Chef Imran Khan als Premierminister eine Koalitionsregierung an (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Die Wahlbeobachtermission der EU beurteilte den Wahlverlauf am Wahltag als transparent und gut durchgeführt. Allerdings waren Journalisten und Medien von starken Einschränkungen und Beschneidungen der Meinungsfreiheit betroffen, was zu einem außerordentlichen Maß an Selbstzensur geführt hat. Auch wurde im Vorfeld der Wahl systematisch versucht, die frühere Regierungspartei durch Fälle von Korruption, Missachtung des Gerichts und Anschuldigungen gegen ihre Führer und Kandidaten zu untergraben (EUEOM 27.7.2018). Unabhängige Beobachter berichten von technischen Verbesserungen beim Wahlablauf, jedoch war die Vorwahlzeit geprägt von Einflussnahmen durch Militär und Nachrichtendienste (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 28.7.2018). Zudem wurde die Wahl überschattet von einer Reihe gewalttätiger Zwischenfälle in verschiedenen Provinzen; von Strafverfahren, die gegen Mitglieder der Regierungspartei eingeleitet worden waren; und vom Vorwurf des Premierministers, das Militär habe sich eingemischt (EASO 10.2019).

Das pakistanische Parlament besteht gemäß der Verfassung von 1973 aus zwei Kammern. Die Nationalversammlung hat insgesamt 342 Mitglieder, wobei 60 Sitze für Frauen und 10 für Nicht-Muslime reservierte sind. Die Sitze in der Nationalversammlung werden den einzelnen Provinzen auf der Grundlage der Bevölkerungszahl zugewiesen, die in der letzten vorhergehenden Volkszählung offiziell veröffentlicht wurde (NAP o.D).

Das pakistanische Militär ist ein wichtiger Akteur in der pakistanischen Politik, insbesondere in den Bereichen innere Sicherheit, Außenpolitik und Wirtschaft. In den ersten Monaten des Jahres 2019 haben die wirtschaftlichen Probleme des Landes (höhere Steuern und steigende Inflation) die Regierung unter Druck gesetzt. Anfang 2018 entstand in Pakistan die Paschtunische Tahafuz-(Schutz-)Bewegung (PTM), eine Bürgerrechtsbewegung, die sich für die Rechte der paschtunischen Minderheit des Landes einsetzt (EASO 10.2019).

Die im September gegründete PDM (Demokratische Bewegung Pakistan) plant landesweite Proteste gegen die Regierung unter Premierminister Imran Khan. Elf Parteien unterschiedlicher politischer Strömungen haben sich dem Bündnis angeschlossen. Die Politiker fordern unter anderem eine Neuwahl und Khans Rücktritt (ORF 25.10.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.9.2020): Pakistan: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/pakistan-node/politisches-portraet/205010, Zugriff 15.10.2020

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf, Zugriff 15.10.2020

?        EASO – European Asylum Support Office (10.2019): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019113/2019_EASO_Pakistan_Security_Situation_Report.pdf, Zugriff 16.10.2020

?        EUEOM – European Union Election Observation Mission Islamic Republic of Pakistan (27.7.2018): Preliminary Statement - Positive changes to the legal framework were overshadowed by restrictions on freedom of expression and unequal campaign opportunities, https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/eu_eom_pakistan_2018_-_preliminary_statement_on_25_july_elections.pdf, Zugriff 15.10.2020

?        ET – The Express Tribune (25.5.2018): Senate passes FATA-KP merger bill with 71-5 vote, https://tribune.com.pk/story/1718734/1-ppp-pti-set-throw-weight-behind-k-p-fata-merger-bill-senate/, Zugriff 15.10.2020

?        HRW – Human Rights Watch (28.7.2018): Controversial Election in Pakistan, https://www.hrw.org/news/2018/07/28/controversial-election-pakistan, Zugriff 15.10.2020

?        NAP – National Assembly of Pakistan [Pakistan] (o.D): About the National Assembly, http://www.na.gov.pk/en/composition.php, Zugriff 15.10.2020

?        ORF (25.10.2020): Zehntausende versammeln sich in Pakistan gegen Regierung, https://orf.at/stories/3186671/, Zugriff 27.10.2020

?        USDOS – US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026342.html, Zugriff 15.10.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 29.01.2021

Die Sicherheitslage in Pakistan ist landesweit unterschiedlich und wird von verschiedenen Faktoren wie politischer Gewalt, Gewalt von Aufständischen, ethnischen Konflikten und konfessioneller Gewalt beeinflusst. Die Sicherheitslage im Inneren wird auch von Auseinandersetzungen mit den Nachbarländern Indien und Afghanistan beeinflusst, die gelegentlich gewalttätig werden (EASO 10.2020).

Pakistan dient weiterhin als sicherer Hafen für bestimmte regional ausgerichtete terroristische Gruppen. Es erlaubt Gruppen, die gegen Afghanistan gerichtet sind, einschließlich der afghanischen Taliban und der mit ihnen verbundenen HQN [Anm.: the Haqqani Network], sowie Gruppen, die gegen Indien gerichtet sind, einschließlich LeT [Anm.: Lashkar-e Taiba] und der mit ihr verbundenen Frontorganisationen und JeM [Anm.: Jaish-e Muhammad], von seinem Territorium aus zu operieren (USDOS 24.6.2020). Andererseits führen Armee und Polizei auch weiterhin Kampagnen gegen militante und terroristische Gruppen durch (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 29.9.2020). Die Operation Radd-ul-Fasaad des Militärs, die 2017 begonnen wurde, wurde das ganze Jahr 2019 über fortgesetzt. Radd-ul-Fasaad ist eine landesweite Antiterrorismuskampagne mit dem Ziel, die Errungenschaften der Operation Zarb-e-Azb (2014-2017) zu konsolidieren, mit der ausländische und einheimische Terroristen in den ehemaligen FATA bekämpft wurden. Die Sicherheitsbehörden schwächen terroristische Gruppen auch, indem sie mutmaßliche Terroristen und Bandenmitglieder festnehmen, welche den Militanten angeblich logistische Unterstützung leisten (USDOS 11.3.2020).

Terroristische Gewalt und Menschenrechtsverletzungen durch (nicht)-staatliche Akteure tragen zu Menschenrechtsproblemen bei. Angriffe von militanten und terroristischen Gruppen, darunter die pakistanischen Taliban (TTP; Tehrik-e-Taliban Pakistan), Lashkar-e-Jhangvi und die Provinz Chorasan im islamischen Staat (ISIS-K), richten sich gegen Zivilisten, Journalisten, Gemeindeführer, Sicherheitskräfte, Vollzugsbeamte und Schulen. Hunderte von Menschen wurden 2019 durch Sprengsätze, Selbstmordattentate und andere Formen der Gewalt getötet oder verletzt. Angriffe der genannten Gruppen richten sich häufig gegen religiöse Minderheiten (USDOS 11.3.2020).

Tatsächlich ist seit 2009 ein allmählicher Rückgang der Terroranschläge und der Zahl der Opfer zu verzeichnen. Kontinuierliche Einsatz- und Überwachungskampagnen der Sicherheitskräfte gegen militante Gruppen und polizeiliche Antiterrorabteilungen sowie einige Antiextremismusmaßnahmen im Rahmen des Nationalen Aktionsplans, haben dazu beigetragen, diesen rückläufigen Trend ab 2013 aufrechtzuerhalten (USDOS 24.6.2020). Auch 2019 war das Maß an Gewalt geringer, als in den vergangenen Jahren. Dies steht mit einem allgemeinen Rückgang der terroristischen Aktivitäten in Zusammenhang (USDOS 11.3.2020). Die Zahl sicherheitsrelevanter Zwischenfälle ist also weiter rückläufig, bei gleichzeitiger Stagnation in einigen Landesteilen. Laut dem Think Tank Pakistan Institute for Peace Studies (PIPS) gab es im Jahr 2019 insgesamt 229 Terroranschläge in Pakistan (13% weniger verglichen mit 2018), bei denen 357 Personen ums Leben gekommen sind (40% weniger als 2018). Größte Unruheherde bleiben die ehemaligen Stammesgebiete (besonders Nordwaziristan) und Belutschistan. Die aktivsten gegen den pakistanischen Staat gerichteten Terrorgruppen sind die TTP sowie belutschische Separatisten (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 24.6.2020). Beide verübten in den vergangenen Monaten eine Serie von tödlichen Anschlägen auf Sicherheitskräfte (AA 29.9.2020). Auch ISIS-K ist aktiv. Separatistische militante Gruppen führen Terroranschläge gegen verschiedene Ziele in den Provinzen Belutschistan und Sindh durch (USDOS 24.6.2020). Gewisse Teile von Belutschistan und dem pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet sind weiter nicht gänzlich unter staatlicher Kontrolle. Dies begünstigt neben dem Terrorismus auch den Schmuggel sowie Menschen- und Drogenhandel (AA 29.9.2020).

Insgesamt dokumentierte PIPS im Jahr 2019 433 Vorfälle von Gewalt. Die Gesamtzahl der Gewaltvorfälle führte zu 588 Todesopfer und 1.030 Verletzte. Mehr als die Hälfte der Gewaltvorfälle (229 Vorfälle) wurden laut PIPS als terroristische Angriffe bezeichnet. Im Vergleich zu 2018 ist die Zahl der gewalttätigen Vorfälle um etwa 15 % zurückgegangen (EASO 10.2020).

Es besteht jedoch weiterhin landesweit – auch in den Großstädten Islamabad, Rawalpindi, Lahore, Karachi – eine Gefahr für terroristische Anschläge seitens der TTP sowie religiös motivierter oder separatistischer Gruppen, insbesondere durch Sprengstoffanschläge und Selbstmordattentate. Die Terroranschläge richten sich vor allem gegen Streitkräfte, Sicherheitsdienste, Polizei, Märkte, Einrichtungen der Infrastruktur sowie gegen religiöse Stätten (Moscheen, Schreine, Kirchen) (AA 27.10.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Die Regierung betreibt fünf De-Radikalisierungslager, wo religiöse Erziehung, Berufsausbildung, Beratung und Therapie angeboten wird. Eine pakistanische NGO verwaltet das auf Jugendliche ausgerichtete Sabaoon Rehabilitation Center im Swat-Tal, das sie in Zusammenarbeit mit dem pakistanischen Militär gegründet hatte (USDOS 24.6.2020).

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Anzahl der Anschläge von 1.1.2020-31.7.2020 (EASO 10.2020)

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.12.2020): Pakistan: Reise- und Sicherheitshinweise (Stand 21.12.2020), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/pakistan-node/pakistansicherheit/204974#content_1, Zugriff 21.12.2020

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf, Zugriff 21.12.2020

?        EASO – European Asylum Support Office (10.2020): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf, Zugriff 21.12.2020

?        USDOS – US Department of State [USA] (24.6.2020): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter 1 - Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032437.html, Zugriff 21.12.2020

?        USDOS – US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Pakistan, https://www.state.gov/reports/2019-country-reports-on-human-rights-practices/pakistan/, Zugriff 21.12.2020

Relevante Terrorgruppen

Letzte Änderung: 29.01.2021

Die pakistanische Regierung setzt die Umsetzung des Antiterrorism Act von 1997, des National Counterterterrorism Authority (NACTA) Act, des Investigation for Fair Trial Act von 2014 und der Änderungen des Antiterrorism Act (ATA) von 2014 fort, die allen Strafverfolgungsbehörden, Staatsanwälten und Gerichten erweiterte Befugnisse in Terrorismusfällen einräumen. Militärische, paramilitärische und zivile Sicherheitskräfte führten in ganz Pakistan CT-Operationen gegen staatsfeindliche Kämpfer durch. Das pakistanische Recht erlaubt präventive Inhaftierung, lässt die Todesstrafe für terroristische Straftaten zu und ermächtigt spezielle Anti-Terrorismus-Gerichte, über Terrorismusfälle zu verhandeln (USDOS 24.6.2020).

Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP): Die TTP (auch pakistanische Taliban genannt) wurde 2007 von Baitullah Mehsud gegründet, der 2009 durch einen US-Drohnenangriff getötet wurde. Die ursprünglichen Ziele der Organisation waren die Umsetzung der Scharia und die Vertreibung der Koalitionstruppen aus Afghanistan. Die TTP ist eine Dachorganisation, die aus 13 verschiedenen pakistanischen Taliban-Fraktionen gebildet wird - ungefähr die Hälfte aller pakistanischen Taliban-Fraktionen. Die TTP besteht aus ca. 3.000 bis 5.000 aktiven Kämpfern in Afghanistan. Während die TTP auf der anderen Seite der Grenze im Osten Afghanistans Zufluchtsorte unterhält, hat sie Schläferzellen und Sympathisanten in Pakistan zurückgelassen. Afghanistan ist die Operationsbasis, aber die Gruppe führt im Allgemeinen keine Angriffe in Afghanistan durch. Die TTP konzentriert sich auf den Kampf gegen die pakistanische Regierung (EASO 10.2020).

Jamaat-ul Ahrar (JuA): Jamaatul Ahrar (JuA) ist eine Fraktion der TTP, operiert aber mit einer gewissen Eigenständigkeit aus der Provinz Nangarhar in Afghanistan heraus. Ziele der Gruppe sind Mitglieder der Sicherheitskräfte, Regierungsgebäude, Politiker, Minderheiten und Rechtsanwälte. Im August 2020 schloss sich JuA wieder der TTP an. Das Pakistan Institute for Peace Studies dokumentierte, dass die JuA im Jahr 2019 an einem Terroranschlag beteiligt war, verglichen mit 15 im Jahr 2018 (EASO 10.2020).

Islamic State Khorasan Province (ISKP): Die ersten Berichte über den ISKP (auch ISIS, ISIL, IS oder Daesh genannt) in Pakistan gehen auf Anfang 2015 zurück. Der ISKP sah eine weltweite Expansion des Kalifats vor und bezeichnete die Region Afghanistan, Pakistan, Iran und die zentralasiatischen Republiken als Wilayat Khorasan (ISKP - Islamischer Staat Provinz Khorasan). Im Mai 2019 kündigte der islamische Staat die Gründung des "Wilayat Pakistan" (Islamischer Staat - Provinz Pakistan, ISPP) an, nachdem er mehrere Angriffe in der Provinz Belutschistan für sich beansprucht hatte. Der ISKP hatte es geschafft, seinen Einfluss zu vergrößern, indem er taktische Bündnisse mit ähnlichen lokalen militanten Gruppen eingegangen war. Einem Bericht vom Januar 2020 zufolge ist der ISKP hauptsächlich in der Provinz Belutschistan präsent. Laut dem jährlichen Sicherheitslagebericht von PIPS 2019 haben die Sicherheitsbehörden mehrere Operationen in Belutschistan gegen den ISKP durchgeführt. PIPS dokumentierte im Jahr 2019 einen Terroranschlag des ISKP, im Vergleich zu fünf im Jahr 2018. Der ISKP ist für einige der tödlichsten Anschläge in Pakistan in den vergangenen zwei Jahren verantwortlich, darunter ein Anschlag auf eine Wahlkundgebung in Mastung, bei dem im Juli 2018 mehr als 130 Menschen getötet und 300 verletzt wurden (EASO 10.2020).

Lashkar-e Jhangvi (LeJ): Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) ist eine Deobandi-Terroristengruppe. Die Gewalt von LeJ richtet sich größtenteils gegen Schiiten; die Organisation vertritt auch radikale Standpunkte gegenüber Christen, Ahmadis und sufistischen Muslimen. Laut PIPS war LeJ im Jahr 2019 für acht terroristische Angriffe in Pakistan verantwortlich, verglichen mit sieben solcher Angriffe im Jahr 2018. Fünf dieser Angriffe fanden in Karachi und drei in Belutschistan statt. In seinem jährlichen Sicherheitsbericht für 2019 erwähnte PIPS, dass mehrere Berichte darauf hindeuten, dass sich LeJ wieder auf Karachi konzentriert (EASO 10.2020).

Nationale Bewegungen in Beluchistan: Der PIPS-Jahresbericht 2019 zur Sicherheitslage gab an, dass etwa sieben belutschische nationalistische Bewegungen in Belutschistan aktiv sind. Die operativen Fähigkeiten dieser Gruppen unterscheiden sich. Die Balochistan Liberation Army (BLA) ist eine bewaffnete nationalistische Bewegung der Belutschen. Ihr Ziel ist ein unabhängiges Belutschistan, frei von pakistanischer und iranischer Herrschaft. Wegen ihrer gewalttätigen Methoden, wie z.B. Bombenanschläge, wurde sie im April 2006 in Pakistan verboten. PIPS gab an, dass die BLA im Jahr 2019 27 terroristische Angriffe in Belutschistan durchführte, was eine leichte Steigerung im Vergleich zu 2018 darstellt, als sie 25 Angriffe durchführte. Im Juli 2019 wurde die Gruppe vom US-Außenministerium als terroristische Vereinigung eingestuft. Die Baloch Liberation Front (BLF) ist vor allem im so genannten Makran-Gürtel (Küstenregion von Beluchistan, Anm.) aktiv. Im Jahr 2010 wurde die Gruppe verboten. Laut PIPS hat sich die Führung der BLF in die Nachbarländer verlagert, was sich negativ auf ihre operativen Fähigkeiten auswirkt. Im Jahr 2019 übernahm die BLF die Verantwortung für 11 Terroranschläge im Vergleich zu 22 im Jahr 2018. Weitere belutschische Gruppen sind die Baloch Republican Army (BRA), die United Baloch Army (UBA) und die Baloch Raji Ajoi Sangar (BRAS) (EASO 10.2020).

Quellen:

?        EASO – European Asylum Support Office (10.2020): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf, Zugriff 16.12.2020

?        PIPS – Pak Institute for Peace Studies (7.1.2019): Pakistan Security Report 2018, https://pakpips.com/app/reports/396, Zugriff 8.1.2019

?        USDOS – US Department of State [USA] (24.6.2020): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter 1 – Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032437.html, Zugriff 19.10.2020

Khyber Pakhtunkhwa

Letzte Änderung: 29.01.2021

Die Provinz Khyber Pakhtunkhwa (KP) ist in 25 Bezirke (PBS 2017d) und sieben Tribal Districts unterteilt (Dawn 31.5.2018). Die FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) wurden Ende Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert (EASO 10.2020; vgl. AA 29.9.2020). Laut Zensus 2017 hat die Provinz [im Gebietsstand ab 1.6.2018] ca. 35,5 Millionen Einwohner, wovon ca. fünf Millionen auf dem Gebiet der ehemaligen FATA leben. Die Hauptstadt Peschawar hat 4,3 Millionen Einwohner (PBS 2017d).

Die Sicherheitslage in den Khyber Pakhtunkhwa Tribal Districts (KPTDs) hat sich im Jahr 2019 erheblich verbessert. Mit Ausnahme der Bezirke in Süd-Waziristan war in den übrigen sechs Bezirken der ehemaligen FATA ein erheblicher Rückgang an terroristischen Vorfällen und der daraus resultierenden Zahl an Opfern zu beobachten. Insgesamt wurde 2019 im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang der terroristischen Vorfälle um 16 Prozent und der Anzahl der Opfer um rund ein Viertel verzeichnet. Um andererseits die operative Kapazität terroristischer Gruppen in den ehemaligen FATA zu verringern, führten die pakistanischen Sicherheitskräfte im Rahmen der laufenden Militäroperationen im Jahr 2019 unter dem Code-Namen Radd-ul-Fasad nachrichtendienstlich gestützte Operationen (IBOs) durch. 2019 wurden insgesamt 54 solcher IBOs gemeldet, gegenüber 137 im Jahr 2018. Obwohl IBOs in allen Stammesbezirken von KP durchgeführt wurden, blieben Nord-Waziristan, Süd-Waziristan und Bajaur der Hauptschwerpunkt der Operationen. Am anfälligsten für terroristische Anschläge blieb, trotz eines Rückgangs derselben um 22 Prozent, die Provinz Nord-Waziristan (FRC 13.1.2020).

Die Operationen der Armee zur Aufstandsbekämpfung in KP (einschließlich der ehemaligen FATA) trugen langfristig zu einem höheren Sicherheitsniveau in der Provinz bei, und führten zu einer Verringerung des Einflusses der Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP - Pakistan Movement of Taliban) auf den größten Teil des Stammesgürtels. Diese Militäraktionen bewirkten jedoch auch die Vertreibung von Millionen von Bewohnern aus diesem Gebiet. Insgesamt hat sich die Sicherheit in diesen Gebieten verbessert, ist aber weiterhin fragil. Die Netzwerke der TTP bleiben sowohl auf afghanischer Seite als auch in einigen pakistanischen Bezirken entlang der Grenze aktiv (EASO 10.2020; vgl. FRC 13.1.2020). Die Bedrohung durch Gewalttaten der TTP bleibt aufrecht. Zahlreiche Taliban-Fraktionen konnten ihre Netzwerke auf afghanischer Seite der Grenze wieder herstellen und sind in der Lage, terroristische Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten in den KPTDs Nord- und Süd-Waziristan durchzuführen (FRC 13.1.2020; vgl. EASO 10.2020). Die militanten Gruppen haben ihre Taktiken, Strategien und Aussichten geändert, um sich an das veränderte Umfeld anzupassen. Anstelle von Selbstmordattentaten, die früher die bevorzugte und wirksamste Taktik waren, wenden die Militanten jetzt hauptsächlich gezielte Tötungsaktionen gegen Mitarbeiter von Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, politische Vertreter, Stammesälteste und Mitglieder von Anti-Taliban-Stammesmilizen der KPTD an (FRC 13.1.2020).

Die Pak Institute for Peace Studies (PIPS) dokumentierte im Jahr 2019 insgesamt 170 Gewaltvorfälle in der Provinz. Dies ist ein leichter Rückgang im Vergleich zu 2018 (183). PIPS zählte 125 Terroranschläge im Jahr 2019. Gemäß der Beobachtung von PIPS, setzten Militante im Jahr 2019 Taktiken wie Selbstmordattentate, Schusswaffen, Sprengsätze sowie Handgranaten und Raketen ein. Der Trend, dass Militante Zivilisten, Regierungsbeamte und -institutionen, Stammesälteste und Sicherheitspersonal angreifen, setzte sich im Jahr 2019 fort. Zu den Bezirken in KP, in denen 2019 die meisten Terroranschläge stattfanden, gehören Nord-Waziristan (53 Anschläge), Dera Ismael Khan (14 Anschläge) und Bajaur (11 Anschläge) (PIPS 2020; vgl. EASO 10.2020). In den ersten sieben Monaten des Jahres 2020 beobachtete PIPS insgesamt 100 Vorfälle, von denen 49 als terroristische Anschläge in der Provinz genannt wurden. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2020 fanden in folgenden Bezirken von KP die meisten terroristischen Angriffe statt: Nord-Waziristan, Bajaur und Peshawar (EASO 10.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf, Zugriff 28.12.2020

?        Dawn (updated 31.5.2018): Mainstreaming Fata with interim governance law, https://www.dawn.com/news/1411061, Zugriff 30.10.2020

?        EASO – European Asylum Support Office (10.2020): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf, Zugriff 28.12.2020

?        FRC – FATA Research Center (13.1.2020): Khyber Pakhtunkhwa Tribal Districts Annual Security Report 2019, http://frc.org.pk/wp-content/uploads/2020/01/1.-Final-Security-Report-former-FATA-2019.pdf, Zugriff 27.10.2020

?        PBS – Pakistan Bureau of Statistics [Pakistan] (2017d): Province wise Provisional Results of Census – 2017, http://www.pbs.gov.pk/sites/default/files/PAKISTAN%20TEHSIL%20WISE%20FOR%20WEB%20CENSUS_2017.pdf, Zugriff 27.10.2020

?        PIPS – Pak Institute for Peace Studies (2020): Pakistan Security Report 2019, https://www.pakpips.com/web/wp-content/uploads/2020/03/sr2019full.pdf, 28.12.2020

Punjab und Islamabad

Letzte Änderung: 29.01.2021

Die Bevölkerung der Provinz Punjab beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen. In der Provinzhauptstadt Lahore leben 11,1 Millionen Einwohner (PBS 2017d; vgl. EASO 10.2020). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017d).

Beim einzigen 2019 aus Islamabad gemeldeten Terroranschlag wurden zwei Polizisten getötet und ein weiterer bei einem Angriff auf eine Sicherheitsposten verletzt (PIPS 2020).

Im südlichen Punjab sind militante Netzwerke und Extremisten präsent, Lashkar-e Taiba (LeT) und JeM haben dort ihre Hauptquartiere und unterhalten religiösen Einrichtungen. Die Abteilung für Terrorismusbekämpfung im Punjab (CTD) hat 2019 und im ersten Halbjahr 2020 ihre Operationen gegen Militante fortgesetzt. Es kam dabei zu Festnahmen und zur Tötung von (mutmaßlichen) Kämpfern der TTP, HuA, LeJ und ISKP. Vom 1. Jänner bis 31. Juli 2020 zählte PIPS neun Vorfälle im Punjab, fünf davon wurden als Terroranschläge erfasst (EASO 10.2020; vgl. PIPS 2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.12.2020): Pakistan: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), Stand (22.12.2020), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/pakistan-node/pakistansicherheit/204974#content_1, Zugriff 22.12.2020

?        EASO – European Asylum Support Office (10.2020): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf, Zugriff 22.12.2020

?        PBS – Pakistan Bureau of Statistics [Pakistan] (2017d): Province wise Provisional Results of Census – 2017, http://www.pbs.gov.pk/sites/default/files/PAKISTAN%20TEHSIL%20WISE%20FOR%20WEB%20CENSUS_2017.pdf, Zugriff 22.12.2020

?        PIPS – Pak Institute for Peace Studies (2020): Pakistan Security Report 2019, https://www.pakpips.com/web/wp-content/uploads/2020/03/sr2019full.pdf, Zugriff 22.12.2020

Rechtsschutz, Justizwesen

Letzte Änderung: 29.01.2021

Das Gesetz garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020). Nach der Verfassung ist die politische Gewalt zwischen Legislative, Exekutive und Judikative aufgeteilt. In der Praxis wird diese Aufteilung in Pakistan jedoch nicht strikt eingehalten (BS 2020). Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Art. 227 der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung trotz Bestehens des Konsultativorgans Council of Islamic Ideology jedoch eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 5.2020).

Der Supreme Court ist das pakistanische Höchstgericht und kann sich in Fällen von öffentlichem Interesse auch der Rechtsdurchsetzung bei Grundrechtsverletzungen, die gemäß Verfassung in die Zuständigkeit der High Courts fällt, annehmen. Die fünf High Courts fungieren u.a. als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von Special Courts sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Ferner bestehen Provinz- und Bezirksgerichte, Zivil- und Strafgerichte sowie spezialisierte Gerichte für Steuern, Banken und Zoll. Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court, der zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen wird und diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Er fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood Ordinances von 1979, die eine v.a. Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in Teilen etwas entschärft wurden. In Azad Jammu und Kaschmir (AJK) sowie in Gilgit-Baltistan gibt es eigene Justizsysteme (ÖB 5.2020).

Die oberen Gerichte und der Supreme Court werden allerdings als glaubwürdig eingestuft (USDOS 11.3.2020).

Im Zivil-, Straf- und Familienrecht gibt es öffentliche Verhandlungen, es gilt die Unschuldsvermutung, und es gibt die Möglichkeit einer Berufung. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts. Die Kosten für die rechtliche Vertretung vor den unteren Gerichten muss der Angeklagte übernehmen, in Berufungsgerichten kann auf öffentliche Kosten ein Anwalt zur Verfügung gestellt werden (USDOS 11.3.2020). Das National Accountability Bureau (Antikorruptionsbehörde) kann Verdächtige 15 Tage lang ohne Anklageerhebung festhalten (mit gerichtlicher Zustimmung verlängerbar) und ihnen vor der Anklageerhebung den Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigern. Für Straftaten im Rahmen dieser Behörde kann keine Kaution hinterlegt werden, und nur dessen Vorsitzender ist befugt, über die Freilassung von Gefangenen zu entscheiden (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 2020).

Die Justiz verteidigt ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Gleichzeitig steht sie weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 29.9.2020). Zudem ist die Justiz in der Praxis oft von externen Einflüssen beeinträchtigt: Korruption, Einschüchterung und Unsicherheit; einem großen Rückstau an Fällen und niedrigen Verurteilungsquoten bei schweren Straftaten; von Angst vor Repressionen durch extremistische Elemente bei Fällen von Terrorismus, Blasphemie oder öffentlichkeitswirksamen politischen Fällen (USDOS 11.3.2020; vgl. HRCP/FIDH 10.2019; HRW 14.3.2020). Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben für Korruption und den Druck von wohlhabenden Personen und einflussreichen religiösen und politischen Akteuren anfällig. Es gibt Beispiele, wo Zeugen, Staatsanwälte oder ermittelnde Polizisten in High Profile Fällen von unbekannten Personen bedroht oder getötet wurden. Verzögerungen in zivilen und Kriminalfällen sind auf ein veraltetes Prozessrecht, unbesetzte Richterstellen, ein schlechtes Fallmanagement und eine schwache rechtliche Ausbildung zurückzuführen. Der Rückstand sowohl in den unteren als auch in den höheren Gerichten beeinträchtigt den Zugang zu Rechtsmitteln oder eine faire und effektive Anhörung (USDOS 11.3.2020). Zivile Streitigkeiten, insbesondere wegen Eigentum und Geld, sind ein häufiger Grund für Mordfälle in Pakistan. Die oftmals Jahrzehnte dauernden Verzögerungen bei Urteilen durch Zivilgerichte können zu außergerichtlicher Gewaltanwendung zwischen den Streitparteien führen (JPP 4.10.2018).

De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für die meisten Pakistaner kaum eine Rolle. Rechtsstreitigkeiten werden nach Scharia-Recht oder nach lokalen Rechtsbräuchen gelöst. Im WJP Rule of Law Index belegt Pakistan Platz 120 von 128 untersuchten Staaten (AA 29.9.2020). Neben dem bisher dargestellten staatlichen Justizwesen bestehen also vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. Hier drohen vor allem Frauen menschenunwürdige Bestrafungen (ÖB 5.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf , Zugriff 17.12.2020

?        BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Country Report Pakistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029416/country_report_2020_PAK.pdf, Zugriff 17.12.2020

?        HRCP/FIDH – Human Rights Commission of Pakistan / International Federation for Human Rights (10.2019): Punished for being vulnerable; How Pakistan executes the poorest and the most marginalized in society, https://www.fidh.org/IMG/pdf/pakistan740angweb.pdf, Zugriff 17.12.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.3.2020): World Report 2020 - Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022680.html, Zugriff 18.12.2020

?        JPP – Justice Project Pakistan (4.10.2018): Counting the Condemned – Data Analysis of Pakistan’s Use of the Death Penalty, https://www.jpp.org.pk/wp-content/uploads/2018/10/2018_10_04_Counting-the-Condemned-Final.pdf, Zugriff 17.12.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Islamabad [Österreich] (5.2020): Asylländerbericht Pakistan

?        USDOS – US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026342.html, Zugriff 17.12.2020

Militärgerichte

Letzte Änderung: 29.01.2021

Die Regierung erließ im Jänner 2015 als Reaktion auf einen Terrorangriff auf die Militärschule in Peschawar eine Verfassungsänderung, welche es Militärgerichten erlaubt, gegen unter Terrorverdacht stehende Zivilisten zu prozessieren (USDOS 11.3.2020; vgl. News 19.1.2019). Ende März 2019 lief das Mandat der Militärgerichtshöfe für Terrorverfahren gegen Zivilisten aus (AA 29.9.2020; vgl. BS 2020). Über eine diesbezügliche neue Gesetzgebung gibt es keine Informationen (EASO 10.2020).

Es existieren jedoch weiterhin sog. Anti Terrorism Courts (ATC) zur Verurteilung Terrorverdächtiger, die Angeklagten nur unzureichende Rechte einräumen (AA 29.9.2020). Verurteilte haben etwa kein Recht auf Berufung (BS 2020), Augenzeugenberichte werden nicht berücksichtigt und bei berechtigtem Zweifel wird nicht zugunsten der Beschuldigten entschieden (HRCP 3.2019).

Im Falle der Aburteilung ziviler Terrorverdächtiger hat sich der Oberste Gerichtshof mit seiner Entscheidung vom 5.8.2015 eigentlich das Recht vorbehalten, Urteile von Militärgerichten nach bestimmten Kriterien zu überprüfen. Bislang ist nicht bekannt, dass eine solche Überprüfung zur Aufhebung des Urteils eines Militärgerichtes geführt hätte (AA 29.9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf, Zugriff 18.12.2020

?        BS – Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Pakistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029416/country_report_2020_PAK.pdf, 30.10.2020

?        EASO – European Asylum Support Office (10.2020): Country of Origin Information Report Pakistan, Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf, Zugriff 29.1.2021

?        HRCP – Human Rights Commission of Pakistan (3.2019): State of Human Rights in 2018, http://hrcp-web.org/hrcpweb/wp-content/uploads/2019/04/State-of-Human-Rights-in-2018-English-1.pdf, Zugriff 21.12.2020

?        News, the (19.1.2019): Decision on military courts’ extension rests with parliament: DG ISPR, https://www.thenews.com.pk/latest/420639-decision-on-military-courts-extension-rests-with-parliament-dg-ispr, Zugriff 18.12.2020

?        USDOS – US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Pakistan, https://www.ecoi.net/en/document/2026342.html, Zugriff 18.12.2020

Informelle Rechtsprechungssysteme

Letzte Änderung: 29.01.2021

In ländlichen Gebieten Pakistans bestehen auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. So spielt in von Paschtunen bewohnten Teilen des Landes, vor allem in den ehemals semi-autonomen Federally Administered Tribal Areas (FATA), der für diese Volksgruppe maßgebliche Rechts- und Ehrenkodex Paschtunwali eine bedeutende Rolle. Dieser wird bei Unrechtsfällen vom Vergeltungsgedanken sowie vom zentralen Wert der Ehre bestimmt. Streitigkeiten werden dort auf Basis des Paschtunwali von Stammesräten bzw. -gerichten (Jirgas) entschieden. Diese neben dem formellen Rechtssystem bestehenden ad hoc-Gerichte führen unter anderem zu einem Rechtspluralismus, der Opfer von Verfolgung, insbesondere Frauen, stark benachteiligt (ÖB 5.2020; vgl. AA 29.9.2020). Diese informellen Rechtssysteme bieten keinen institutionalisierten Rechtsschutz und haben häufig Menschenrechtsverletzungen zur Folge (USDOS 11.3.2020).

Besonders in Punjab und Khyber Pakhtunkhwa ist es trotz gesetzlichen Verbots verbreitet, zur Beendigung von Blutfehden eine junge Frau (oft Mädchen unter 18 Jahren) als Blutzoll an eine verfeindete Familie zu übergeben. Jirgas sind in Pakistan generell auch außerhalb paschtunischer Gebiete nach wie vor weit verbreitet (neben den ehem. FATA auch in Belutschistan, im inneren Sindh, in ländlichen Gebieten von Khyber Pakhtunkhwa sowie im südlichen Punjab). Diese wenden neben Stammes- auch Schariarecht an. Ähnliche Systeme existieren auch unter Hindus (Panchayat); daneben üben in Sindh und Punjab vereinzelt Grundbesitzer zum Teil richterliche Funktionen aus. Als weitere sind die Praktiken Diyat (Blutgeld) und Qisas (Vergeltung) zu nennen, die sich beide als Strafen für Delikte gegen die körperliche Integrität im Pakistan Penal Code (Act XLV of 1860) finden (ÖB 5.2020).

Sektion 302 des pakistanischen Strafgesetzbuchs (Pakistan Penal Code, PPC) sieht zwar hohe Haftstrafen für Verbrechen vor, die im Zusammenhang mit einer wahrgenommenen Verletzung der Familienehre begangen wurden. Allerdings enthält das Strafgesetz auch Erleichterungen. So können Erben/Nachkommen der Getöteten dem Täter verzeihen (Qisas, geregelt in Sektion 309 PPC) und/oder ein Blutgeld als Entschädigung akzeptieren (Diyat, geregelt in Sektion 310 PPC). Diese Rechtsprinzipien des islamischen Rechts ermöglichen es Nachkommen eines Verstorbenen, den Täter der Strafverfolgung zu entziehen. Da dieser in der Regel aus dem familiären Umfeld stammt, kann in der Mehrzahl der Fälle davon ausgegangen werden, dass der staatliche Strafanspruch nicht durchgesetzt wird (BAMF 5.2020).

Mit dem erklärten Ziel der Reduzierung von sog. Ehrenmorden verabschiedete das pakistanische Parlament am 6.10.2016 ein Änderungsgesetz zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozessordnung. Damit alleine ist jedoch keine grundlegende Verbesserung der Situation aufgrund des 2004 verabschiedeten Honour Killing Act eingetreten. [siehe auch Kapitel 20.2] (AA 29.9.2020). Traditionelle Gesetze zur Entschädigung für körperlichen Schmerz oder Sachbeschädigung (qisas und diyat) erlauben weiterhin Vereinbarungen zwischen den beiden Parteien, die auf Vergebung, Entschädigung oder anderen Formen der Beilegung beruhen, die oft gegen die Interessen der Frauen wirken (DAFT 20.2.2019).

Der Supreme Court sprach sich bisher mehrmals gegen von Jirgas verhängte Strafen wie die Hergabe von Töchtern als Kompensation für begangenes Unrecht sowie gegen andere verfassungswidrige Praktiken der Stammesräte aus, was deren Fortbestand allerdings bisher nicht verhindern konnte (ÖB 5.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf, Zugriff 17.12.2020

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2020): Länderreport 24 Pakistan Lage der Ahmadis und Schiiten sowie Ehrverbrechen im Kontext der islamisch geprägten Strafgesetzgebung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031016/laenderreport-24-pakistan.pdf, Zugriff 17.12.2020

?        DAFT – Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (20.2.2019): Country Information Report Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokumentensuche/?asalt=8b1bb51cc9&country%5B%5D=pak&countryOperator=should&srcId%5B%5D=12005&srcIdOperator=should&useSynonyms=Y&sort_by=origPublicationDate&sort_order=desc, Zugriff 17.12.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Islamabad [Österreich] (5.2020): Asylländerbericht Pakistan

?        USDOS – US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026342.html, Zugriff 17.12.2020

Justizwesen in den ehemaligen FATA

Letzte Änderung: 29.01.2021

Die 31. Verfassungsänderungsgesetz vom 25.5.2018 sieht die Zusammenlegung der FATA mit der Provinz Khayber Pakhtunkhwa (KP) sowie der Stammesgebiete unter Provinzverwaltung (KP, Belutschistan und Punjab) vor. Dadurch soll das gesamte pakistanische Rechts- und Justizsystem landesweit ausgeweitet werden (ÖB 5.2020). Nach dem Aufheben der Frontier Crimes Regulation (FCR) trat die FATA Interim Governance Regulation 2018 (FIGR) für die Tribal Districts der Provinz Khyber Pakhtunkhwa in Kraft (FRC 15.1.2019; vgl. Dawn 31.10.2018). Diese sieht eine (bis zu) zweijährige Übergangsphase für die endgültige Zusammenlegung der FATA mit KP vor (ÖB 5.2020). Nach Abschluss der Übergangsfrist wird sich die Jurisdiktion des Peschawar High Court und Supreme Court auf die ehemaligen Stammesgebiete erstrecken (USDOS 11.3.2020). Der Zusammenschluss der FATA mit KP wird voraussichtlich bis Dezember 2022 dauern (UNDP o.D.).

Die Ausweitung des Rechtssystems auch auf die Tribal Districts bleibt eine Herausforderung. Die Umstellung trifft auf starken Widerstand von Stammeseliten. Diese praktizieren ihre Form der Justiz seit Jahrhunderten und müssen auf d

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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