TE OGH 2021/6/29 30R104/21s

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Veröffentlicht am 29.06.2021
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag.a Fitz und den Richter Dr. Thunhart in der Firmenbuchsache I***** Gesellschaft mbH in Liquidation, über den Rekurs ihres Geschäftsführers und Liquidators Dr. V*****, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 10.5.2021, 28 Fr 457/05h-25, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung über den Antrag des Geschäftsführers und Liquidators Dr. V***** auf Nachlass der rechtskräftig verhängten Zwangsstrafen unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung:

Die Gesellschaft mbH ist zu FN ***** im Firmenbuch eingetragen. Der Stichtag für den Jahresabschluss war der 31. Jänner. Ihr Geschäftsführer, später Liquidator, war Dr. V*****. Der Jahresabschluss für 1997 wurde rechtzeitig eingereicht, die Jahresabschlüsse für 1998 bis 2001 deutlich verspätet zwischen Oktober 2000 und August 2004. Die Jahresabschlüsse für 2002 bis 2006 wurden alle erst am 25.9.2009 eingereicht, der für 2007 am 1.7.2009, ebenso - und damit fristgerecht - der Jahresabschluss für 2008. Nachdem ein Konkursantrag mangels kostendeckenden Vermögens rechtskräftig abgewiesen worden war, wurde die Gesellschaft am 15.1.2011 gemäß § 40 FBG von Amts wegen gelöscht.

Wegen der nicht fristgerecht eingereichten Jahresabschlüsse waren 2005 bis 2009 in etlichen Beschlüssen zahlreiche Zwangsstrafen über den Geschäftsführer Dr. V***** verhängt worden; alle diese Beschlüsse des Erstgerichts blieben unangefochten.

Mit einem Schreiben vom 9.3.2021 beantragte Dr. V***** den Nachlass des noch offenen Betrags. Seit August 2008 seien wegen der fälligen Zwangsstrafen von der Pensionsversicherungsanstalt als Drittschuldnerin insgesamt EUR 89.587,-- gezahlt worden; mit März 2021 seien noch EUR 7.945,88 offen. Er bitte, seinem Ansuchen um Nachlass des noch offenen Betrags stattzugeben.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht diesen Antrag zurück. Dem Ansuchen stehe die Entscheidung des OGH 6 Ob 150/16a entgegen: Nach § 285 Abs 3 UGB idF RÄG 2014 könne das Firmenbuchgericht auf Antrag des Adressaten einer Zwangsstrafe diese bis zu deren vollständiger Bezahlung ganz oder teilweise nachlassen, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben seien. Diese Bestimmung sei gemäß § 906 Abs 37 Satz 1 UGB aber nur auf Verstöße gegen die in den §§ 283 Abs 1, 284 UGB genannten Pflichten anzuwenden, die nach dem 19.7.2015 gesetzt werden oder fortdauern. Hier handle es sich aber um Zwangsstrafen durchwegs aus den 2000er Jahren.

Gegen diesen Beschluss erhob der Geschäftsführer und Liquidator Dr. V***** Rekurs.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Sinne einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung berechtigt.

Mit dem RÄG 2014 wurde ausdrücklich normiert, dass das Firmenbuchgericht jeweils auf Antrag des Adressaten die Stundung oder Entrichtung in Raten (§ 285 Abs 2 UGB), aber auch den ganzen oder teilweisen Nachlass einer noch nicht vollständig entrichteten Zwangsstrafe bewilligen kann (§ 285 Abs 3 UGB). Vor dem RÄG 2014 existierte keine derartige Regelung. Die Frage, ob das Firmenbuchgericht von der Vollstreckung der verhängten Zwangsstrafe absehen kann, hat die Rechtsprechung damals widersprüchlich beurteilt: Die Entscheidung 6 Ob 105/12b sprach aus, dass für eine gnadenweise Nachsicht einer verhängten Strafe keine Grundlage bestehe. Dem gegenüber brachte die Entscheidung 6 Ob 78/09b klar zum Ausdruck, folgend Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG (2005) § 24 Rz 130, dass das Firmenbuchgericht grundsätzlich befugt ist, von der Einbringung einer verhängten Zwangsstrafe abzusehen (so auch 6 Ob 43/05z und Dokalik in U. Torggler, UGB3 § 285 Rz 7).

Zur Neuregelung des § 285 UGB ordnete die Übergangsregelung des § 906 Abs 37 UGB an, dass die §§ 283, 284 und 285 UGB auf Verstöße gegen die in § 283 Abs 1 und § 284 UGB genannten Pflichten anzuwenden sind, die nach dem 19.7.2015 gesetzt werden oder fortdauern. Anträge auf Stundung und Nachlass können ab dem 20. Juli 2015 bei allen Zwangsstrafen gestellt werden; auf bereits anhängige Anträge auf Stundung und Nachlass ist § 285 UGB […] sinngemäß anzuwenden.

Zib bemerkt in Zib/Dellinger, UGB in der Kommentierung zu § 285 UGB, dass der mit dem RÄG 2014 eingeführte § 285 verschiedene Entschärfungen für Zwangsstrafen nach §§ 283 und 284 UGB enthalte, wobei die Neuregelung für Verstöße gegen die Pflichten nach § 283 Abs 1 und § 284 UGB gelte, die nach dem 19.7.2015 gesetzt werden oder fortdauern. In der vom Erstgericht zitierten Entscheidung 6 Ob 150/16a wird ausgeführt, dass § 285 Abs 3 UGB gemäß § 906 Abs 37 Satz 1 UGB nur auf Verstöße gegen § 283 Abs 1 und § 284 UGB anzuwenden ist, die nach dem 19.7.2015 gesetzt werden oder fortdauern. Die Frage, ob daran § 906 Abs 37 Satz 2 UGB, wonach Anträge auf Stundung und Nachlass ab dem 20.7.2015 bei allen Zwangsstrafen gestellt werden können, etwas ändere, ließ der OGH aber ausdrücklich offen; in diesem Zusammenhang zitierte er einerseits die Lehrmeinung von Zib und andererseits die Erläuterungen zur Regierungsvorlage.

Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum RÄG 2014 zu § 906 Abs 37 UGB sollen die Bestimmungen über das Zwangsstrafregime von den Gerichten ab einem bestimmten Stichtag einheitlich gehandhabt werden. Es bedürfe daher, anders als noch im Begutachtungsentwurf vorgesehen, weder einer besonderen Übergangsregel für § 283 Abs 4 noch für § 285 UGB. Anträge auf Stundung und Nachlass seien ab 20. Juli 2015 nach den neuen Regeln (§ 285 Abs 2 und 3 UGB) zu beurteilen.

Bis zum RÄG 2014 war somit unklar (und wurde auch unterschiedlich judiziert), ob das Firmenbuchgericht eine rechtskräftig verhängte Zwangsstrafe nachlassen kann. Mit dem RÄG 2014 wurde eine derartige Befugnis ausdrücklich normiert, allerdings nur, wenn die Zwangsstrafe noch nicht vollständig entrichtet ist und alle in § 285 Abs 3 UGB aufgezählten vier Voraussetzungen vorliegen (ua darf das Verschulden des Antragstellers am Verstoß nur gering sein). Mit § 285 Abs 3 UGB sollte in besonderen Ausnahmefällen der teilweise oder gänzliche Nachlass einer Zwangsstrafe ermöglicht werden (so die ErlRV 367 BlgNR XXV. GP 20). Eine Grundvoraussetzung ist, dass die verhängte Zwangsstrafe zumindest teilweise noch nicht gezahlt ist; eine bereits gezahlte oder eingetriebene Zwangsstrafe soll nicht mehr nachgesehen werden können. Es ist aber kein Grund ersichtlich, warum der Gesetzgeber danach differenziert haben sollte, ob die (hier) nach § 283 Abs 1 UGB verhängte Zwangsstrafe einen Verstoß gegen die Offenlegungspflicht betrifft, der nach dem 19.7.2015 noch fortgedauert hat, oder ob der Verstoß zu diesem Zeitpunkt schon beendet war. Die Aussage im § 906 Abs 37 UGB, dass unter anderem § 285 UGB auf Verstöße gegen die in § 283 Abs 1 und § 284 UGB genannten Pflichten anzuwenden sei, die nach dem 19. Juli 2015 gesetzt werden und fortdauern, wird daher nach Ansicht des erkennenden Senats durch den dem folgenden Halbsatz eingeschränkt, dass Anträge auf Stundung und Nachlass ab dem 20. Juli 2015 bei allen Zwangsstrafen gestellt werden können. Wenn Anträge auf Nachlass nach dem 20. Juli 2015 bei „allen“ Zwangsstrafen gestellt werden können, dann betrifft das auch Zwangsstrafen, die nach § 283 Abs 1 UGB verhängt wurden, bei welchen die Jahresabschlüsse inzwischen (bis zum 19.7.2015) eingereicht wurden, wenn sie zumindest noch nicht zur Gänze gezahlt sind. Für diese Auslegung, die auch von Schuster in Straube/Ratka/Rauter, WK zum UGB3 § 285 Rz 14 f vertreten wird, spricht auch der letzte Halbsatz im § 906 Abs 37 UGB, dass § 285 UGB auf bereits anhängige Anträge auf Stundung und Nachlass sinngemäß anzuwenden sei: Aus dieser Regelung wird ersichtlich, dass nach Ansicht des Gesetzgebers des RÄG 2014 auch schon wegen früher verhängter Zwangsstrafen nach § 283 Abs 1 UGB ein Nachlass möglich war; dies sollte weiterhin so sein, allerdings nur („sinngemäß“) unter den Voraussetzungen des § 285 UGB.

Verstünde man § 906 Abs 37 UGB so, dass ein Nachlass einer Zwangsstrafe gemäß § 285 Abs 3 UGB nur in den Fällen des § 906 Abs 37 erster Satz UGB in Betracht kommt, nämlich nur dann, wenn die Verstöße gegen die in § 283 Abs 1 und § 284 UGB genannten Pflichten nach dem 19.7.2015 gesetzt wurden oder fortdauern, dann hätte der folgende Halbsatz des § 906 Abs 37 UGB, dass Anträge auf Stundung und Nachlass ab dem 20. Juli 2015 bei allen Zwangsstrafen gestellt werden können, überhaupt keine Auswirkung und somit keine Bedeutung. Das widerspräche aber dem Grundsatz, dass Gesetze in der Regel so auszulegen sind, dass sie ihren Anwendungsbereich nicht vollständig verlieren (Kodek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 6 Rz 85 mwN).

Das Erstgericht hat den Antrag auf Nachlass für unzulässig angesehen und daher konsequenterweise zurückgewiesen, weil es der Meinung war, dass § 285 UGB bei (lange) vor 2015 beendeten Verstößen gegen die Offenlegungspflicht nicht anzuwenden sei. Mit der Frage, ob die Voraussetzungen des § 285 UGB hier vorliegen, hat es sich nicht auseinandergesetzt.

Die Rechtsansicht des Erstgerichts wird vom Rekursgericht nicht geteilt, sodass dessen Entscheidung aufzuheben ist. Eine inhaltliche Prüfung des Antrags ist dem Rekursgericht jetzt verwehrt, weil dadurch der Instanzenzug verschoben würde (vgl dazu RS0007037). Das Erstgericht hat sich mit der Frage, ob die Voraussetzungen eines Nachlasses der offenen Zwangsstrafe nach § 285 Abs 3 UGB vorliegen, nicht auseinandergesetzt. Wenn es im fortzusetzenden Verfahren zur Ansicht gelangen sollte, dass dem Antrag stattzugeben ist, dann wäre das Verfahren beendet und das Rekursgericht hätte über den Antrag des Geschäftsführers und Liquidators gar nicht mehr zu entscheiden. Somit ist es nicht zulässig, dass das Rekursgericht schon im Rekurs gegen den Zurückweisungsbeschluss des Erstgerichts inhaltlich entscheidet, ob dem Antrag stattzugeben oder ob er abzuweisen ist (vgl abermals RS0007037).

Das Erstgericht wird daher über den Antrag inhaltlich zu entscheiden haben.

Textnummer

EW0001117

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2021:03000R00104.21S.0629.000

Im RIS seit

05.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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