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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 95/20/0694 E 23. Jänner 1997Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des S in S, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. Oktober 1995, Zl. 4.347.268/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger und reiste am 15. August 1995 in das Bundesgebiet ein. Zwei Tage später beantragte er die Gewährung von Asyl. Anläßlich seiner im fremdenpolizeilichen Verfahren durch die Bundespolizeidirektion Salzburg am 16. August 1995 durchgeführten Einvernahme gab er zu seiner Person an, er sei Kurde und werde in seiner Heimat verfolgt. Er habe in Kurdistan auch studiert. Er sei kein Angehöriger einer Partei, aber auf Grund der Auseinandersetzungen rivalisierender Parteien habe er große Angst, daß "sie" ihn umbrächten, wenn er nicht für eine dieser Parteien tätig werde. Er sei auch geschlagen und gefoltert worden, sein Bruder sei vor 6 Monaten ermordet worden. Müßte er wieder in den Irak zurück, erwarte ihn der Tod. Noch vor Durchführung seiner Erstvernehmung durch das Bundesasylamt brachten seine Rechtsvertreter am 6. September 1995 einen Schriftsatz ein, in dem die Fluchtgründe des Beschwerdeführers explizit und nach Darstellung der allgemeinen politischen Lage im Heimatland des Beschwerdeführers sowie unter Anfügung der genauen Umstände und Art der Reisebewegung aus seinem Heimatland wie folgt im einzelnen dargestellt wurden:
"Ich gehöre der Partei des Mustafa Barsani an und bin mangels anderer Arbeitsmöglichkeiten gezwungen, in der Partei zu arbeiten. Dort bekomme ich Verpflegung, Unterkunft und ein Taschengeld. Meine Tätigkeit besteht darin, für die Partei zu werben und von Zeit zu Zeit Plakate anzuschlagen. In dieser Verquickung zwischen politischer Gesinnung und Broterwerb sehe ich die einzige Möglichkeit, einen Betrag zur Befreiung meines Volkes zu leisten.
Da sich die Stadt Suleimania im Machtbereich des Jajal Talabani befindet, ist meine Tätigkeit in der Partei des Barsani für mich und meine gesamte Familie mit außerordentlichen Risken verbunden. Mein Bruder wurde aus eben diesem Grunde am 15. März 1995 von Schergen des Talabani getötet. Unsere Familie versammelte sich einige Wochen nach seinem Tod an der Grabstätte und wurden wir dabei offensichtlich von Talabani-Leuten beobachtet. Am nächsten Tag wurde nämlich mein Vater, meine Mutter, meine Schwester und der kleine Bruder verschleppt und von Männern der Talabani-Partei inhaftiert, wo sich meine gesamte Familie noch immer befindet. Ich konnte dieser Entführung und Freiheitsberaubung nur durch einen Zufall entkommen, da ich zu dieser Zeit in einem Dorf ca. 20 km entfernt aufhältig war.
Ende Juli 1995 fand mich schließlich ein Cousin, übergab mir $ 5.000,00 und erklärte mir unmißverständlich, daß er aus sicherer Quelle wisse, daß man mich ermorden wolle. Nach monatelangem Versteck war es nun für mich Gewißheit, daß man auch meiner habhaft werden wollte und mir das selbe Schicksal wie meinen restlichen Familienmitgliedern droht, sollte ich in die Fänge des Talabani geraten. Nachwievor weiß ich nicht, wie es meinen Eltern und Geschwistern ergangen ist. Wahrscheinlich wurden sie gefoltert und hingerichtet, jedenfalls aber unter unmenschlichen Bedingungen in Haft gehalten. Trotz dieses Umstandes ging ich zu meinem Vorgesetzten, der mir ebenfalls Fluchtgeld überließ und machte mich noch am selben Tag mit meinem Fluchtgefährten, K, auf den Weg in ein sicheres westliches Land.
Als Angehöriger der kurdischen Volksgruppe hätte ich in anderen arabischen Staaten mit massiven Repressalien bis hin zu Folter, Gefängnis und der Todesstrafe oder mit Mordanschlägen von Anhängern des Jalal Talabani rechnen müssen.
Hinzu kommt, daß ich in einem Staat lebte, dessen Bevölkerung - soweit nicht durch die UNO-Schutzzone geschützt - unter der unerbittlichen Herrschaft des Diktators Saddam Hussein zu leiden hat. Unter dem Gesichtspunkt meiner ethnischen Zugehörigkeit und meines politischen Engagements für eine kurdische Partei wäre ich im Süden des Landes zumindest zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden, welcher zweifellos Verhöre unter Folter vorausgegangen wären.
Als einziger Ausweg, um Folter, langjährigen Haftstrafen und dem sicheren Tod zu entgehen, blieb somit nur die Flucht in ein westliches, rechtsstaatliches und demokratisches Land. Für den Fall, daß mir jedoch dieser unbedingt nötige Schutz verwehrt wird und ich in den Irak zurückgeschoben werde, droht mir zumindest die sofortige Inhaftierung, mit größter Wahrscheinlichkeit sogar der Tod; sei es von seiten des Regimes in Bagdad oder durch die Schergen des Talabani.
In diesem Zusammenhang sei angemerkt, daß durch die österreichische Bürokratie mein Leben zusätzlich auf unnötig leichtfertige Weise aufs Spiel gesetzt wurde, als man unverzüglich nach meiner Festnahme die irakische Botschaft in Wien von meiner Flucht verständigte. Unfaßbarerweise geschah dies ohne sich bei mir jemals über mögliche Auswirkungen für mich und meine im Irak verbliebene Familie zu erkundigen. Eine Rückkehr wird für mich somit vollends unmöglich, zunehmende Repressalien gegenüber meinen Verwandten sind wahrscheinlich."
Anläßlich seiner sodann im erstinstanzlichen Verfahren durch das Bundesasylamt am 8. September 1995 in Anwesenheit seines Rechtsvertreters durchgeführten niederschriftlichen Befragung zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an:
"Meine Familie sind seit der Regierung Barzanis bis jetzt seine Anhänger. Mein Bruder war an der Universität, in Bagdad als Student und ist auch aktives Mitglied dieser Partei gewesen.
Nachdem Talabani die Stadt Hawler nach einem Kampf übernahm, wurde mein Bruder von seinen Leuten Ende 1994 festgenommen. Einige Zeit später wurde er freigelassen und sagte man ihm, daß er für eine große Familie zu sorgen habe, er solle sich von Barzani fernhalten und sich lieber um seine Familie kümmern.
Am 15.3.1995 ist er aber in Hawler während eines Zusammenstoßes zwischen Talabani- und Barzanileuten auf der Straße ermordet worden. Außerdem ist auch sein Freund getötet worden. In diesem Zeitpunkt als das mit meinem Bruder passierte, hielt ich mich in Sulaimania auf. Nach einer Woche wurde die Leiche meines Bruders in diese Stadt überführt.
Ich bekam es mit der Angst zu tun und außerdem wird Sulaimania von Talabani kontrolliert. So flüchtete ich nach Salhuddin. Salhuddin wird von Barsani kontrolliert, die Stadt Hawler, wo Salhuddin dazugehört, wird von Talabani kontrolliert. Ich bin seit 1.6.1995 in Salhuddin.
Von dort aus ging ich am 25.7.1995 nach Dohuk und begann dort meine Flucht. Zwischen 1.6.1995 und dem 25.7.1995 verlangte man von mir mich an der Waffe auszubilden und am Kampf teilzunehmen. Ich bin jung und traute mich nicht zu kämpfen, so wurde ich einfach nicht mehr respektiert. Meine Familie hat einen Bruder für nichts verloren, wie sollte ich da auch noch mein Leben verlieren. In unserem Kulturkreis ist es einfach so, daß ein Mann, der keine Waffe trägt und nicht kämpft unten durch ist. Er bekommt keine Arbeit, keine Wohnung, keine Unterstützung, er bringt Schande über die Familie.
Ich führe noch an, daß am 1.5.1995 nach 40 Tagen nach dem Tod meines Bruders gemäß dem Islam Totenfeierlichkeiten stattfanden. Dabei gab es eine Demonstration, wobei mein Vater, meine Mutter sowie meine Schwester von Talabani-Leuten festgenommen wurden. Das war in Sulaimania.
Bis ich in die Türkei geflüchtet bin, hatte ich keine Nachricht, was mit ihnen eigentlich los ist. Ich bin auch deshalb geflüchtet, weil ich wollte, daß die Talabani-Leute mitbekamen, daß ich nicht mehr da bin und sie meine Angehörigen freilassen. Ich glaube, daß sie jedenfalls bis zu meiner Ausreise im Gefängnis waren, was aber jetzt konkret mit ihnen ist, weiß ich nicht.
Über Befragen gebe ich an, daß ich für die Partei des Barzani bei einem Studentenverein dabei war. Danach habe ich nichts mehr getan bis zu dem Zeitpunkt, als mein Bruder ermordet worden ist.
Damals begann ich mit Barsani aktiv zu werden und arbeitete in der Jugendorganisation mit. Ich machte bei jeder Demonstration mit, habe Plakate aufgeklebt und Flugblätter verteilt. Eine Funktion hatte ich aber nicht. Über Befragen gebe ich an, daß einen die Lage dazu zwingt, sich zu engagieren. Eine finanzielle Unterstützung bekam ich dafür nicht.
Ende 1990 wurde meine ganze Familie für eine Nacht von den Saddam-Leuten festgehalten. Damals kamen bewaffnete Kurden in die Stadt Sulaimania und wurde dieser Sachverhalt einer irakischen Spezialeinheit mitgeteilt und gesagt, daß sie wahrscheinlich bei uns im Haus gewesen sind. Die Sache wurde überprüft, dann wurden wir wieder freigelassen.
Jede Kleinigkeit kostet einem das Leben. Als Kurde und noch dazu als Parteigänger des Barzani müßte ich damit rechnen, daß mich Saddam umbringt und könnte ich einfach nicht zurückgehen. Ich bin jung und habe ich schon genug mitgelitten, ich hätte keine Zukunft."
Mit Bescheid vom 15. September 1995 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers infolge Verneinung seiner Flüchtlingseigenschaft und Annahme der Verfolgungssicherheit in der Ukraine und in Ungarn im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 ab.
Gegen diesen Bescheid richtete der Beschwerdeführer zunächst eine handschriftliche Berufung samt Übersetzung, in der er lediglich folgendes vorbrachte:
"Ich bin ein Mitglied der KDP. Nun herrscht ein Bürgerkrieg zwischen den beiden Parteien KDP und PUK. Mein Bruder M, ein Mitglied der Jugend- und Schulorganisation der KDP wurde am 15. März 1995 von PUK-Mitgliedern ermordert. Ich und die Mitglieder meiner Familie wurden öfter von PUK bedroht. So wurden sie alle am 1.5.95 verhaftet. PUK verlangte von mir, für sie gegen KDP zu kämpfen. Damit ich meiner Familie weitere Schwierigkeiten erspare, damit ich in einem Bürgerkrieg nicht teilnehme, habe ich das Land verlassen müssen. Im Jahre 199o wurden wir alle (die Familie) von den irakischen Behörden verhaftet. Ich mußte vom Militär desertieren. Deshalb konnte ich auch unter der Herrschaft der jetzigen irakischen Regierung bleiben und leben."
Noch innerhalb der Berufungsfrist langte darüber hinaus eine Berufung der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ein, die im Sachverhalt - wörtlich - mit dem Schriftsatz vom 6. September 1995 ident ist. Darin wird - entgegen der rechtlichen Beurteilung der Behörde erster Instanz - das Vorbringen als geeignet erachtet, Flüchtlingseigenschaft zu begründen, im übrigen wurde die Annahme der Verfolgungssicherheit im einzelnen bestritten.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung(en) gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Nach Darstellung des Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage führte sie im wesentlichen aus, die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Festnahme im Jahr 1990 könne schon mangels eines erkennbaren zeitlichen Zusammenhanges nicht mehr als fluchtauslösend erachtet werden, da wohlbegründete Furcht bis zur Ausreise andauern müsse, dies jedoch schon angesichts des Umstandes, daß sich der Beschwerdeführer noch Jahre in seinem Heimatland aufgehalten habe, nicht angenommen werden könne. Auch könne die Festnahme für sich allein noch keine Verfolgungshandlung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. des Asylgesetzes 1991 darstellen, weil dieses Ereignis im weiteren ohne asylrechtlich relevante Folgen geblieben sei. Im übrigen aber habe der Beschwerdeführer lediglich Umstände geltend gemacht, die nicht ihn selbst, sondern Familienangehörige von ihm betroffen hätten. Zur Begründung der Flüchtlingseigenschaft müsse jedoch konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgung glaubhaft gemacht werden. Die Tötung seines Bruders und Verhaftung seiner Familie seien daher keine Ereignisse, die den gewünschten Verfahrensausgang bewirken könnten. Die Behörde erachtete im übrigen auf Grund detailliert von ihr aufgelisteter, von ihr als "Widersprüchlichkeiten" und "Divergenzen" qualifizierten Unstimmigkeiten zwischen der schriftlichen Eingabe vom 6. September 1995 und den mündlichen Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung, dem - gesamten - Vorbringen mangle es an Glaubwürdigkeit.
Auf das Thema der Verfolgungssicherheit ging die belangte Behörde nicht mehr ein.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat den Angaben des Beschwerdeführers auf Grund von ihr im einzelnen aufgelisteter Divergenzen und Widersprüchlichkeiten zwischen seiner Darstellung der Fluchtgründe im Schriftsatz vom 6. Dezember 1995 einerseits und dem Ergebnis seiner Einvernahme am 8. September 1995 andererseits grundsätzlich die Glaubwürdigkeit versagt. Auf Grund dessen kam sie (auch) zu dem Schluß, der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft dartun können, daß er aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung durch die Behörden seines Heimatstaates erlitten habe. Das heißt, daß die belangte Behörde aus diesem Grunde den vom Beschwerdeführer behaupteten Sachverhalt - obwohl sie ihn (eventualiter) einer rechtlichen Würdigung unterzog - nicht als erwiesen angenommen hat.
Dagegen wendet sich die Beschwerde mit keinem Wort. Insbesondere legt der Beschwerdeführer nicht dar, aus welchen Gründen die von der belangten Behörde angestellten Erwägungen unzutreffend seien.
Der Beschwerdeführer geht im Rahmen der von ihm erhobenen Rechtsrüge im einzelnen darauf ein, aus welchen Gründen die von der belangten Behörde gezogenen rechtlichen Schlußfolgerungen unrichtig seien. Damit gehen aber die Ausführungen in der Beschwerde, insoweit sie von dem von der belangten Behörde ohnedies nicht als glaubwürdig festgestellten Sachverhalt ausgehen, ins Leere. Die in der Beschwerde behauptete Rechtswidrigkeit liegt damit nicht vor.
Auf die weiteren Ausführungen zur Frage des Ausschließungsgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 ist nicht näher einzugehen, weil dieser Ausschließungsgrund von der belangten Behörde - im Gegensatz zur Behörde erster Instanz - zur Bescheidbegründung nicht herangezogen wurde.
Aus diesem Grunde erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Insoweit sich der Beschwerdeführer in dem unter Punkt B 2 der Beschwerde angeführten Recht auf Überprüfung der Voraussetzungen für die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsbewilligung nach § 8 des AsylG 1991 verletzt erachtet, ist ihm entgegenzuhalten, daß eine Entscheidung nach § 8 AsylG 1991 nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheides war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995200693.X00Im RIS seit
20.11.2000