Entscheidungsdatum
17.05.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W240 2186087-1/35E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. FEICHTER über die Beschwerde von XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.01.2018, Zl. 1110293209-160470449, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.01.2019 und am 01.03.2021, zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Somalia, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte am 03.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 03.04.2016 wurde er einer Erstbefragung unterzogen. Dabei gab er an, der Volksgruppe der Midgan anzugehören und als Fluchtgrund gab er an, dass er von den Familienmitgliedern seiner Freundin, die von ihm schwanger gewesen sei, bedroht worden sei, weil er einem Minderheitenclan angehört habe. Er habe die Universität besucht und sei in Qoryooley in einer Apotheke beschäftigt gewesen. Er habe aufgrund eines Mordes, für den er verantwortlich gemacht worden sei, Somalia verlassen müssen.
Es erfolgte am 04.07.2017 eine niederschriftliche Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Der Beschwerdeführer gab im Wesentlichen an, er habe sechs Jahre lang an der „Universität of Hargeisa“ studiert, er sei im medizinischen Bereich tätig gewesen. Er sei auch direkt im Krankenhaus unterrichtet worden. Er habe sich das Studium damit finanziert, indem er auch nebenbei im Krankenhaus tätig gewesen sei und vor dem Studium habe er in der Apotheke innerhalb des Krankenhauses in Hargeysa gearbeitet. Weiters habe er zeitweise mit seiner Großmutter in Hargeysa gelebt, diese habe ein Geschäft betrieben und den Beschwerdeführer auch unterstützt. Er gehöre dem Clan der Madhiban an, auch genannt Midgan, Sub-Clan Mohammed. Er habe einmal versucht zu heiraten im Herkunftsstaat, die Heirat habe jedoch nicht stattgefunden. Sein Vater sei verstorben, seine Mutter, vier Brüder und fünf Schwestern würden in einem Flüchtlingscamp in Äthiopien seit April 2016 leben. Zwei Schwestern seien von der Al Shabaab verschleppt worden. Seine Familie habe Qoryooley verlassen wegen der Al Shaabaab und wegen den Problemen, die auch der Beschwerdeführer habe. Er habe zunächst mit seiner Großmutter gelebt in Hargeysa, dann habe er in der Nähe der Universität ein Zimmer gemietet. Er sei in Qoryooley geboren und sei mit drei Jahren nach Hargeysa gekommen. Im Oktober 2015 sei er nach Qoryooley zurückgekommen. Im Dezember 2015 habe er Somalia verlassen. Er hätte aus Somalia flüchten müssen vor der somalischen Polizei und der Al Shabaab, er wäre andernfalls inhaftiert worden.
Im Anschluss an die Einvernahme wurde an die Staatendokumentation eine Anfrage übermittelt. In der Anfragebeantwortung wurde insbesondere festgestellt, dass es nach Angaben von Mitgliedern der Universität von Hargeisa ab 2010 bis 2015 keinen Madhiban gegeben hätte, der an der Uni Hargeysa ein Medizinstudium abgeschlossen habe. Es sei nicht bekannt, dass überhaupt einmal ein Madhiban an der Universität Hargeisa ein Mezinstudium abgeschlossen habe. Es sei weiters für einen Gabooye bzw. einen Madhiban eigentlich unmöglich in der Apotheke in Hargeysa im Krankenhaus zu arbeiten.
Im Rahmen der Einvernahme wurden zahlreiche Unterlagen vorgelegt, insbesondere auch folgende Unterlagen:
-Volkshochschule Kursbestätigung B1/1
-Bewertung eines akademischen Grades aus Somalia – Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 08.01.2018, Zl. 1110293209-160470449, hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die beschwerdeführende Partei eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Partei nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der beschwerdeführenden Partei zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte III. und IV.).
In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und Feststellungen zu Somalia getroffen. Beweiswürdigend wurde insbesondere ausgeführt, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Verfolgung nicht habe glaubhaft dargelegt werden können und dies habe nicht festgestellt werden können. Er hätte in der Gesamtheit keinen glaubwürdigen und nachvollziehbaren Sachverhalt darlegen können. Eine gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohung im Sinne des § 8 AsylG liege nicht vor. Gegen den Beschwerdeführer sei eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG unter Feststellung, dass dessen Abschiebung zulässig sei, zu erlassen.
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Im Wesentlichen wurde darin ausgeführt, dass das BFA erachtet die Clanzugehörigkeit zu den Madhiban als unglaubwürdig erachte, weil die durchgeführte Recherche des BFA dem widersprach, jedoch könne diese Recherche in weiten Teilen nicht nachvollzogen werden. Die Rechercheergebnisse würden im Detail angezweifelt werde. Die Beweiswürdigung des BFA sei mangelhaft und es wurde ein fachspezifisches Gutachten zur Feststellung der Clanzugehörigkeit beantragt.
Am 04.01.2019 langte eine Stellungnahme der ausgewiesenen Vertretung ein, in welcher ausgeführt wurde, es sei nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Clanzugehörigkeit nicht zur Universität hätte gehen können. Weiters wurden Ausführungen zur Situation in Somalia getätigt und zur Integration des Beschwerdeführers in Österreich. Es wurden zahlreiche Integrationsunterlagen übermittelt.
4. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für den 14.01.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung an, in der der Beschwerdeführer, vertreten durch seinen ausgewiesenen Vertreter, einvernommen wurde und seine Lebensgefährtin auf Antrag der ausgewiesenen Vertretung als Zeugin einvernommen wurde, um das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich darzulegen. Die Lebensgefährtin führt insbesondere aus, dass sie seit 2017 anerkannter Flüchtling sei in Österreich, sie sei mit dem Beschwerdeführer seit Juli 2108 nach muslimischem Ritus verheiratet und sie lebe mit dem Beschwerdeführer in einer gemeinsamen Wohnung.
Vorgelegt wurde ein Mutter-Kind-Pass für die nach muslimischen Ritus angetraute Ehefrau des Beschwerdeführers mit einem errechneten Geburtstermin um XXXX 2019.
Ergänzend zu dem bereits übermittelten Länderinformationsblatt wurde dem Beschwerdevorbringen entsprechend Länderberichte zu Clans und Minderheiten sowie zur aktuellen Situation in Somalia zur Kenntnis gebracht und eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.
Am 25.01.2019 langte eine Stellungnahme ein und wurde darin insbesondere auf die Ausführungen in der Stellungnahme vom 04.01.2019 verwiesen und ausgeführt, dass die in den Länderberichten ausgeführte Verbesserung der Situation in Somalia vor allem auf Prognosen beruhe und eine nachhaltige Verbesserung nicht eingetreten sei.
5. Mit Entscheidung des BVwG vom 18.03.2019 zu W240 2186087-1/17E war dem BF gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden und gemäß
§ 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF war festgestellt worden, dass dem BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Dagegen erhob das BFA Amtsrevision, dieser wurde mit Entscheidung des VwGH vom 25.03.2020 zu RA 2019/19/0192-6, stattgegeben worden und das Erkenntnis des BVwG wurde wegen Rechtswidirgkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben worden.
Die Entscheidung wurde vom VwGH damit begründet, dass sich das BVwG damit hätte auseinandersetzen müssen, wo sich die Heimatregion des BF befinde. Unter Beachtung, dass er den größten Teil seines Lebens in Hargeysa verbracht habe, sei es naheliegend, dass diese Stadt seine Heimatregion sei. Davon ausgehend wäre zu prüfen gewesen, ob dem Mitbeteiligten auch in Hargeysa eine Verfolgung drohe. Unabhängig davon, welche Stadt Heimatregion des Mitbeteiligten sei, habe das BVwG eine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative unterlassen. Sollte Hargeysa - und nicht wie vom BVwG erkennbar angenommen Qoryoley - Heimatregion des BF sein, wäre eine Auseinandersetzung damit erforderlich gewesen, ob der BF zum Entscheidungszeitpunkt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch in Hargeysa einer Verfolgung durch die Al Shabaab ausgesetzt wäre.
6. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für den 01.03.2021 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung an, in der der Beschwerdeführer, vertreten durch seinen ausgewiesenen Vertreter, einvernommen wurde. Insbesondere wurden folgende Passagen im Rahmen der Verhandlung vom BF angegeben:
„(…)
R: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?
BF: Ich bin nach wie vor mit XXXX verheiratet nach muslimischen Ritus. Wir wollten auch standesamtlich heiraten aber man hat einige Unterlagen verlangt, die wir nicht hatten.
R: Haben Sie Kinder? Wenn ja, nennen Sie die Namen Ihrer Kinder.
BF: Ich habe ein Kind namens XXXX . Meine Lebensgefährtin ist derzeit schwanger. Sie erwartet ihr Kind im XXXX .
R: Welche Aufenthaltstitel haben Ihre Familienangehörigen?
BF: Meine Lebensgefährtin und meine Tochter haben in Österreich einen Asylstatus.
R: Leben Sie mit Ihrer Lebensgefährtin und Ihrer Tochter im gemeinsamen Haushalt?
BF: Ja.
(…)
R: Wo haben Sie in Somalia gelebt bis zur Ausreise? Geben Sie dies mit Datumsangaben (zumindest Jahresangaben) an.
BF: Geboren wurde ich in Qoryooley und als ich 3 Jahre alt war, hat mich meine Großmutter nach Hargeysa. Dort habe ich die Schule besucht und ich bin dort aufgewachsen. Ich habe teilweise auch dort gearbeitet. Im Oktober 2015 habe ich Probleme in Hargeysa bekommen und deshalb bin ich nach Qoryooley zurückgekehrt. Nachgefragt, dort war ich bis zur Ausreise.
R: Welche Ortschaft bzw. welchen Bezirk in Somalia würden Sie als Ihren Herkunftsbezirk bezeichnen und warum?
BF: Qoryooley, wie es in Somalia üblich ist, dass man dort lebt, wo der Clan lebt. Es ist dort, wo ich abstamme. In Hargeysa habe ich keine Rechte.
(…)
R: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht? Was ist das höchste Nivau des besuchten Deutschkurses und was ist das höchste Nivau, auf welchem Sie eine Deutschprüfung abgelegt haben?
BF: Zurzeit besuche ich keinen Deutschkurs aber ich habe ihn bis zum C1-Niveau besucht.
R: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?
BF: Als ich nach Österreich kam, habe ich zahlreiche Deutschkurse bis zum Niveau C1 besucht. Ich habe auch an verschiedenen Seminaren der Arbeiterkammer teilgenommen. Bei der Arbeiterkammer handelt es sich um „ XXXX “. Ich bin dorthin selbstständig gegangen.
Dann habe ich eine Ausbildung als Pflegeassistent gemacht.
R: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft in Österreich vor?
BF: Ich denke, meine Zukunft in Österreich sieht gut aus. Ich will mit meiner Familie leben. Im Krankenhaus haben sie mir gesagt, dass ich mehrere Seminare berufsbegleitend besuchen darf. Ich werde einen Job finden und mein Leben aufbauen. Meine
Ausbildung/mein Beruf wird in Österreich gut gebraucht.
(…)
R: Nennen Sie jetzt bitte abschließend alle Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe). Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen. Von wem würden Sie im Falle einer Rückkehr etwas befürchten und warum könnten Sie nicht in einen anderen Bereich Somalias zurückkehren und in Sicherheit vor Verfolgung dort leben?
BF: Es gibt 3 Gründe, warum ich vor Al Schabaab Angst habe. Ich bin jetzt eine qualifizierte Person im Gesundheitsbereich und das ist, was Al Schabaab braucht, um ihre Verletzte zu behandeln. In Somalia gibt es wenige Personen, die diese Ausbdilugn im Gesundheitsbereich gemacht haben. Sie werden es mitbekommen, wenn ich zurückkehre. Überall in Somalia hat Al Schabaab ihre Spione, die für sie arbeiten und dafür Geld bekommen und vor diesen fürchte ich mich. Es gibt Leute, die gerne mit Al Schabaab arbeiten und es gibt welche, die von Al Schabaab terrorisiert wurden und deshalb mit ihnen arbeiten müssen. Es gibt überall in Somalia Personen, die von Al Schabaab überzeugt sind. Wenn ich dorthin zurückkehre, werden ihre Spione das mitbekommen und auch über meine Ausbildung erfahren. Sie werden die Al Schabaab darüber informieren. Al Schabaab sucht nach mir. Sie haben immer nach mir gesucht. Sie haben meinen Namen, deshalb bin ich in Gefahr, wenn ich zurückkehre.
R: Ihre Einschätzung nach gibt es in Somalia keinen Bereich/keine Region, wo Sie sicher wären vor der Al Schabaab?
BF: Nein. Es gibt Leute, die ihre eigenen Wächter haben und diese Personen sind vielleicht vor Al Schabaab geschützt aber ich habe die Möglichkeit nicht. Die Wächter sind bewaffnet.
Egal wo in Somalia bin ich nicht sicher vor Al Schabaab.
BF: Ich glaube fest daran, dass wenn ich nach Somalia zurückkehre, werden mich die Al Schabaab umbringen und meine Frau und Kinder werden hier alleine sein, wenn ich weggehe.
(…)“
Der Rechtsvertreter des BF führte im Rahmen der Beschwerdeverhandlung an, dass im konkreten Fall die Befürchtungen des BF im Falle einer Rückkehr mit dem „Factfinding Mission Report“ übereinstimmen. Verwiesen wurde auf Seite 30 des Report, auf dieser Seite sei zu entnehmen „Al Schabaab is everywhere“. Die Gruppe ist in der Lage überall zuschlagen zu können, auch in Mogadishu. „If Al Schabaab really wants the person, they certaintly get him“. Daher wurde die Zuerkennung des Asylstatus im gegenständlichen Fall beantragt.
Dem Beschwerdeführer bzw. und seiner ausgewiesenen Vertretung wurden gemeinsam mit der Ladung Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in seinem Herkunftsstaat übermittelt. Neben dem Länderinformationsblatt zu Somalia und Somaliland wurden folgende weitere Erkenntnisquellen dem BF im Rahmen der Verhandlung genannt, deren Inhalt erörtert und den BF sowie dem ausgewiesenen Vertreter zur Stellungnahme vorgehalten:
• Report of the Secretary General – Situation in Somalia vom 13.11.2020
• OCHA – Humanitarian Bulletin vom Dezember 2020 zu Somalia
• FSNAU IPC –Somalia Acute Food Insecurtiy Situation Overview vom Dezember 2020
• IPC – Integrated Food Security Phase Classification für den Zeitraum bis Dezember 2020
Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung verkündete die Beschwerdeführerin gemäß
§ 29 Abs. 2 VwGVG die Entscheidung, wonach der Beschwerde des BF gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.01.2018, Zl. 1110293209-160470449, nach Durchführung der mündlichen Verhandlung stattgegeben wird und dem BF gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wird. Es wurde weiters festgestellt, dass dem BF gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Die Revision wurde nicht zugelassen.
7. Mit Eingabe vom 02.03.2021 beantragte das BFA die schriftliche Ausfertigung der im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 01.03.2021 mündlich verkündeten Entscheidung betreffen den BF.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat, wie folgt, festgestellt und erwogen:
1. Feststellungen:
Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Somalia. Er ist Moslem/Sunnit und ist in Qoryooley geboren. Der Beschwerdeführer hat eine somalische Staatsangehörige in Österreich nach muslimischer Tradition geheiratet, diese ist schwanger. Sie verfügt über einen Asylstatus ebenso wie die gemeinsame in Österreich geborene minderjährige Tochter des Beschwerdeführers.
Mit drei Jahren ist der Beschwerdeführer zu seiner Großmutter nach Hargeysa gebracht worden, dort war er bis 2015 zunächst bei seiner Großmutter und danach in einer Mitwohnung in der Nähe der Universität wohnhaft. Der Beschwerdeführer ging nach Qoryooley im Oktober 2015 zurück für zwei Monate, bevor er im Dezember 2015 das Land verlassen hatte. Als Heimatregion wird aufgrund der Aufenthaltsdauer Hargeysa festgestellt, wobei der BF sich zu Qoryoley stärker emotional zugehörig fühlt.
Sein Vater verstarb eines natürlichen Todes, seinen Mutter und Geschwister leben in einem Flüchtlingsheim in Äthiopien, zwei Schwestern vom Beschwerdeführer wurden von der Al Shabaab verschleppt. Auch seine Großmutter ist verstorben. Er hat keinen Kontakt zu Familienangehörigen in Somalia.
Der Beschwerdeführer hat von 1996 bis 2004 die Grundschule in Hargeysa besucht. Seit 2004 bis 2008 hat er in Hargeysa das Gymnasium besucht. Von 2009 bis 2015 hat der Beschwerdeführer in Hargeysa Medizin studiert. Ab 2006 hat er in einer Apotheke im Krankenhaus als Reinigungskraft gearbietet und Medikamente eingeordnet. Ab Oktober 2015 war er zwei Monate in Qoryooley in einer Apotheke tätig, bevor er aus Somalia ausreiste.
Der Beschwerdeführer hat ein Deutschzertifikat im Niveau B2 und besucht einen Deutschkurs C1, absolviert an einer österreichischen Universität den Kurs Deutsch als Fremdsprache Aufbaustufe IV, Zielniveau B2 und C1, besucht einen Kurs am BFI „Pflegeassistenz an der Ausbildungsstätte für Pflegeassistenz“, er besucht den Lehrgang für Pflegeassistenz ua auch an einer österreichischen Privatklinik und hat die Ausbildung Pflegeassistenz mit ausgezeichnetem Erfolg absolviert mit der Berufsbezeichnung Pflegeassistenz. Er leistet in einem Seniorenheim freiwillige Arbeit und verfügt über mehrere Jobangebote, ua auch in der allgemeinen medizinischen Abteilung eines österreichischen Landeskrankenhauses und in einem Seniorenheim, wo er sein Praktikum absolvierte.
Dem Beschwerdeführer droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr nach Somalia, bedroht, misshandelt oder sogar umgebracht zu werden durch die Al Shabaab, weil der Beschwerdeführer, einerseits ins Blickfeld der Al Shabaab gelangt ist, weil er für den Tod eines Al Shabaab Mitgliedes verantwortlich gemacht wird. Als er in einer Apotheke in Qoryolley tätig war, hatte er ein Al Shabaab Mitglied behandelt, dieses Al Shabaab Mitglied starb nach bzw. während der Behandlung durch den BF und dem Beschwerdeführer wird nunmehr unterstellt, dass er das Mitglied absichtlich falsch behandelt hätte, somit vorsätzlich den Tod eines Al Shabaab Mitgliedes herbeigeführt hat, wodurch er im besonderen Maße in das Blickfeld der Al Shabaab gelangt war und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Rachehandlungen durch die Gruppe der Al Shabaab in ganz Somalia rechnen muss.
Der Beschwerdeführer weist einen hohen Bildungsstatus auf, weshalb er neben der drohenden Rachehandlungen durch die Al Shabaab auch deshalb von überaus großem Interesse für die Al Shabaab ist und ihm auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht, von der Al Shabaab unter Zwang zur Mitarbeit angeworben zu werden, weil der BF nunmehr eine qualifizierte Person im Gesundheitsbereich ist und die Al Shabaab solche Personen wie den BF benötigt zur Versorgung ihrer Mitglieder und um ihre Verletzten zu behandeln. Dieser Anwerbung der Al Shabaab würde sich der BF widersetzen und daher würde ihm auch deshalb eine politische Gesinnung zumindest unterstellt werden und ihm Bedrohungen durch die Al Shabaab drohen.
Zu Somalia wird Folgendes verfahrensbezogen festgestellt:
In das europäische Programm zur freiwilligen Rückkehr ERRIN (European Return and Reintegration Network), an welchem Österreich bereits zu mehreren anderen Herkunftsstaaten partizipiert, wurden mit November 2019 auch die Destinationen Somalia und Somaliland aufgenommen. Umgesetzt wird das Programm vor Ort von der Organisation IRARA (International Return and Reintegration Assistance) mit Büros in Mogadischu und Hargeysa (BMI 8.11.2019).
Das Programm umfasst – neben den direkt von Österreich zur Verfügung gestellten Mitteln – pro Rückkehrer 200 Euro Bargeld sowie 2.800 Euro Sachleistungen. Letztere umfassen (je nach Wunsch des Rückkehrers) eine vorübergehende Unterbringung, medizinische und soziale Unterstützung, Beratung in administrativen und rechtlichen Belangen, Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens sowie schulische und berufliche Bildung (BMI 8.11.2019).
Quellen:
- BMI (8.11.2019): ERRIN Reintegrationsprojekt Somalia und Somaliland ab 8. November 2019, per E-Mail
2. Politische Lage
Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in:
a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 4.3.2019, S.5), aber als autonomer Staat mit eigener Armee und eigener Rechtsprechung funktioniert (NLMBZ 3.2019, S.7). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2018, S.4).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2018, S.5). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten (AA 5.3.2019b). Das Land hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs.78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Der Aufbau von Strukturen auf Bezirksebene geht hingegen nur langsam voran (UNSC 15.5.2019, Abs.50).
Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 4.3.2019, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 5.6.2019b, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2018, S.33).
Die Herausforderungen sind dabei außergewöhnlich groß, staatliche Institutionen müssen von Grund auf neu errichtet werden. Zusätzlich wird der Wiederaufbau durch die Rebellion von al Shabaab, durch wiederkehrende Dürren und humanitäre Katastrophen gehemmt. Außerdem sind
Teile der staatlichen Elite mehr mit der Verteilung von Macht und Geld beschäftigt, als mit dem Aufbau staatlicher Institutionen (BS 2018, S.33). In vielen Bereichen handelt es sich bei Somalia um einen „indirekten Staat“, in welchem eine schwache Bundesregierung mit einer breiten Palette nicht-staatlicher Akteure (z.B. Clans, Milizen, Wirtschaftstreibende) verhandeln muss, um über beanspruchte Gebiete indirekt Einfluss ausüben zu können (BS 2018, S.23). Zudem ist die Bundesregierung finanziell von Katar abhängig, das regelmäßig außerhalb des regulären Budgets Geldmittel zur Verfügung stellt (SEMG 9.11.2018, S.30).
Somalia ist keine Wahldemokratie, auch wenn die Übergangsverfassung eine
Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2018, S.13f). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 13.3.2019, S.23; vgl. FH 5.6.2019b, A1) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. ClanStrukturen) vergeben (AA 4.3.2019, S.5f). Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 geplant (AA 5.3.2019b). Angesichts der bestehenden Probleme bleibt aber abzuwarten, ob diese Wahlen wirklich stattfinden werden (NLMBZ 3.2019, S.9). Bei den Vorbereitungen dafür wurden bisher nur wenige Fortschritte gemacht (FH 5.6.2019b, A3).
Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 13.3.2019, S.23), und es gibt diesbezüglich Konflikte mit den Bundesstaaten (NLMBZ 3.2019, S.7).
Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Ende 2016 / Anfang 2017 besetzt (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt. Zuvor waren Abgeordnete unmittelbar durch einzelne Clanälteste bestimmt worden (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b). Das Unterhaus wurde nach Clan-Zugehörigkeit besetzt, das Oberhaus nach Zugehörigkeit zu Bundesstaaten. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2018, S.14/19). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2018, S.22). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b; BS 2018, S.22).
Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. BS 2018, S.13f). Die 4.5-Formel hat zwar politischen Fortschritt gewährleistet, ist aber zugleich Ursprung von Ressentiments (SRSG
13.9.2018, S.2).
Die Präsidentschaftswahl fand am 8.2.2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmaajo“ zum Präsidenten (AA 4.3.2019, S.6; vgl. BS 2018, S.14; USDOS 13.3.2019, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1). Im März 2017 bestätigte das Parlament Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 5.3.2019b; vgl. BS 2018, S.14). Die aktuelle Regierung agiert wie eine Regierung der nationalen Einheit. Sie wurde so zusammengesetzt, dass alle relevanten Clans und Gruppen sich in ihr wiederfinden (AA 4.3.2019, S.10).
Gemäß einer Quelle üben aber salafistische Netzwerke zunehmend Einfluss auf die Regierung aus (NLMBZ, S.8f). Nach anderen Angaben kann von Salafismus keine Rede sein, vielmehr sind der Präsident und seine Entourage Moslembrüder bzw. deren Ideologie sehr nahestehend (ME 27.6.2019). Wieder eine andere Quelle berichtet, dass die politische Basis des Präsidenten eine nationalistische ist (ICG 12.7.2019, S.10). Gleichzeitig unterwandert al Shabaab das System, indem sie Wahldelegierte zur Kooperation zwingt (Mohamed 17.8.2019).
Das Konzept einer politischen Opposition ist nur schwach ausgeprägt, die Regeln der Politik sind abgestumpft. Misstrauensanträge, Amtsenthebungsverfahren und Wahlen werden zur Bereicherung und zum politischen Machtausbau missbraucht (SRSG 13.9.2018, S.4). Generell sind die Beziehungen zwischen Bundesregierung und Parlament problematisch. Außerdem kam es 2018 zu einer großen Zahl an Personaländerungen, so wurde etwa der Bürgermeister von Mogadischu, zahlreiche Minister und der Chief Justice ersetzt (NLMBZ, S.8f).
Gegen Ende 2018 war vom Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Farmaajo eingeleitet worden. Dieses Verfahren wurde jedoch Mitte Dezember 2018 aus formalen Gründen für ungültig erklärt bzw. zurückgezogen (VOA 20.12.2018; vgl. FH 5.6.2019b, A1; UNSC 15.5.2019, Abs.3). Auch zwischen Ober- und Unterhaus ist es zu politischen Auseinandersetzungen gekommen (AMISOM 15.1.2019a; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.3). Diese wurden im Juli 2019 vorläufig beigelegt (UNSC 15.8.2019, Abs.3).
Ein nationaler Versöhnungsprozess ist in Gang gesetzt worden. Dieser wird international unterstützt (UNSC 21.12.2018, S.6).
Föderalisierung: Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, wurden im Rahmen eines international vermittelten Abkommens von 2013 bis 2016 die Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und HirShabelle neu gegründet (AA 5.3.2019b; vgl. USDOS 13.3.2019, S.1; BS 2018, S.4f/12). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 5.3.2019b; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.22). Mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratisch erfolgten Machtwechsel konnten wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 4.3.2019, S.4). Beim Prozess der Föderalisierung gab es in den letzten Jahren signifikante Fortschritte (BS 2018, S.3). Allerdings hat keine dieser Verwaltungen die volle Kontrolle über die ihr nominell unterstehenden Gebiete (USDOS
13.3.2019, S.1; vgl. BS 2018, S.15).
Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).
Wichtige Detailfragen zur föderalen Staatsordnung sind weiterhin ungeklärt, z.B. die Einnahmenverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten; die jeweiligen Zuständigkeiten im Sicherheitsbereich; oder die Umsetzung der für 2020 geplanten Wahlen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7) – und die gesamte Frage der Machtverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten (UNSC 15.5.2019, Abs.25; vgl. UNSC 21.12.2018, S.5).
Die Bundesregierung tut sich schwer, in den Bundesstaaten Macht und Einfluss geltend zu machen (NLMBZ 3.2019, S.7). Außerdem kommt es in den Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten immer wieder zu (politischen) Spannungen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7), die manchmal auch in Gewalt eskalierten (BS 2018, S.4).
Zusätzlich haben die Bundesstaaten abseits des Nationalen Sicherheitsrates 2017 einen Kooperationsrat der Bundesstaaten (CIC) geschaffen, welcher unter Ausschluss der Bundesregierung arbeitet (SEMG 9.11.2018, S.5; vgl. AA 5.3.2019b). Während andere Mitglieder des CIC den Dialog mit der Bundesregierung verweigerten (AMISOM 12.10.2018), hat der Präsident von HirShabelle, Mohamed Abdi Waare, diesen zwischenzeitlich gesucht (AMISOM
12.10.2018; vgl. UNSC 21.12.2018, S.1). Der CIC hat bereits zweimal die Kooperation mit der
Bundesregierung suspendiert (SEMG 9.11.2018, S.31f), so etwa im September 2018. Im Oktober 2018 haben alle Bundesstaaten außer HirShabelle angekündigt, gemeinsame Sicherheitskräfte aufzustellen (UNSC 21.12.2018, S.1). Generell herrscht zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten ein besorgniserregendes Maß an Misstrauen (SRSG 13.9.2018, S.3). Dadurch wird auch die Lösung von Schlüsselfragen zu Politik und Sicherheit behindert (UNSC 15.5.2019, Abs.2; vgl. SRSG 3.1.2019, S.2).
Bei dieser Auseinandersetzung kommt u.a. die Krise am Golf zu tragen: In Somalia wird eine Art Stellvertreterkrieg ausgetragen, bei welchem die unterschiedlichen Interessen und Einflüsse speziell von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eine Rolle spielen. Dies hat die schon bestehenden Spannungen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten weiter verschärft, erstere ist in zunehmende Isolation geraten (SEMG 9.11.2018, S.4/30; vgl. ICG 12.7.2019, S.9; FH 5.6.2019b, C1). Diese Entwicklung hat zur Destabilisierung Somalias beigetragen (NLMBZ 3.2019, S.10). Allerdings gibt es zumindest Anzeichen für eine Verbesserung der Situation (UNSC 15.5.2019, Abs.80). So hat sich Präsident Farmaajo für die Verschlechterung der Beziehungen zu den Bundesstaaten öffentlich entschuldigt (ICG 12.7.2019, S.9). Die Bundesregierung versucht insbesondere HirShabelle und Galmudug in ihr Lager zu ziehen (BMLV 3.9.2019). Trotzdem bleiben die Spannungen bestehen (UNSC 15.8.2019, Abs.2).
1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Jubaland wurde im Jahr 2013 gebildet, damals wurde auch Ahmed Mohamed Islam „Madobe“ zum Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Bis Anfang August hatten sich für die Neuwahl des Präsidenten neun Kandidaten registrieren lassen (UNSC 15.8.2019, Abs.6). Am 22.8.2019 wurde dann Ahmed Madobe als Präsident bestätigt. Die Wahl war allerdings umstritten: Da die Bundesregierung mehr Kontrolle gewinnen möchte, hat sie erklärt, die Wahl nicht anzuerkennen und den Wahlkandidaten der Opposition, Abdirashif Mohamad Hidig, zu unterstützen (BAMF 26.8.2019, S.6). Der Verwaltung von Jubaland ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Dadurch, dass die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden, wurde die Machtbalance verbessert (BFA 8.2017, S.57ff). Diese Inkorporation funktioniert auch weiterhin, die Verwaltung in Kismayo hat sich weiter gefestigt. Außerdem konnten durch die Kooperation mit Teilen der Marehan auch die nicht der al Shabaab zuneigenden Gebiete von Gedo gefestigt werden (ME 27.6.2019).
2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Der SWS wurde in den Jahren
2014/2015 etabliert, Sharif Hassan Sheikh Adam zum ersten Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Im Dezember 2018 wurde im SWS neu gewählt (AA 5.3.2019b). In der Folge ist im Jänner 2019 mit Abdulaziz Hassan Mohamed „Lafta Gareen“ ein neuer Präsident angelobt worden (AMISOM 17.1.2019a; vgl. UNSC 27.12.2018; UNSC 15.5.2019, Abs.4). Zuvor war es zu Anschuldigungen gegen die Bundesregierung gekommen, sich in den Wahlkampf eingemischt zu haben. Ein Kandidat – der ehemalige stv. Kommandant der al Shabaab, Mukhtar Robow – war verhaftet worden, was zu gewaltsamen Demonstrationen geführt hat (SRSG 3.1.2019, S.2f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.2). Beim Aufbau der Verwaltung konnten Fortschritte erzielt werden (BMLV 3.9.2019).
3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): HirShabelle wurde 2016 etabliert. Zum Präsidenten wurde Ali Abdullahi Osoble gewählt. Anführer der Hawadle hatten eine Teilnahme verweigert (USDOS 13.3.2019, S.24f). Im Oktober 2017 wurde Mohamed Abdi Waare zum neuen Präsidenten, nachdem sein Vorgänger des Amtes enthoben worden war (UNSOM, 24.10.2017). Nach politischen Spannungen haben sich die Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative verbessert (UNSC 15.5.2019, Abs.8). Die im Zuge der Bildung des Bundesstaates neu aufgeflammten Clankonflikte sind gegenwärtig weitgehend abgeflaut (ME 27.6.2019). Dazu beigetragen haben Bemühungen des Premierministers und Katars, wobei letzteres Investitionen in Aussicht gestellt hat. Man ist auf die Hawadle zugegangen. Die Clans – v.a. in Middle Shabelle – haben daraufhin ihre Proteste gegen die Regionalverwaltung reduziert. Unklar ist, ob diese neue Haltung Bestand haben wird. In Belet Weyne hingegen treffen Vertreter von HirShabelle nach wie vor auf unverminderte Ablehnung (BMLV 3.9.2019). Sowohl in den von HirShabelle in Middle Shabelle kontrollierten Gebieten wie auch in Belet Weyne ist eine Verbesserung der Verwaltung zu verzeichnen (BMLV 3.9.2019).
4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): Im Jahr 2015 wurde die Regionalversammlung von
Galmudug vereidigt. Sie wählte Abdikarim Hussein Guled zum ersten Präsidenten. Dieser trat im Feber 2017 zurück. Unter dem neuen Präsidenten Ahmed Duale Gelle „Haaf“ wurden Friedensgespräche mit der Ahlu Sunna Wal Jama’a (ASWJ) initiiert. Die Gruppe kontrolliert Teile von Galgaduud (USDOS 13.3.2019, S.24). Ende 2017 wurde mit der ASWJ ein Abkommen zur Machtteilung abgeschlossen (UNSC 15.5.2019, Abs.7; vgl. AMISOM 5.7.2019). Ab September 2018 wuchsen die politischen Spannungen. Im Oktober 2018 wurde in Cadaado ein Gegenpräsident gewählt, während Ahmed „Haaf“ weiterhin von Dhusamareb aus regiert (UNSC 21.12.2018, S.2). In der Folge kam es zu Diskussionen und Spannungen über das Datum der nächsten Wahlen. Im März 2019 hat die NISA sogar die Kontrolle über das Gelände des Präsidentensitzes übernommen (UNSC 15.5.2019, Abs.7). Während Haaf das Abkommen mit der ASWJ für nichtig erklärt hat, hat diese mit der Bundesregierung eine Einigung erzielt (UNSC
15.8.2019, Abs.5). Galmudug wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016, S.17).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia – Innenpolitik, URL, Zugriff
10.4.2019
- AMISOM (5.7.2019): Somalia starts process to integrate Ahlu Sunna forces into the Somali Security Forces, URL, Zugriff 16.7.2019
- AMISOM (17.1.2019a): 17 January 2019 - Morning Headlines [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail
- AMISOM (15.1.2019a): 15 January 2019 - Daily Monitoring Report [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail
- AMISOM (12.10.2018): 12 October 2018 - Daily Monitoring Report [Quelle: Jowhar News], Newsletter per E-Mail
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (26.8.2019): Briefing Notes
26. August 2019
- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding
Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichischschweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019
- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019 - EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, URL, Zugriff
24.6.2019
- FH - Freedom House (5.6.2019b): Freedom in the World 2019 - Somalia, URL, Zugriff
22.7.2019
- ICG - International Crisis Group (12.7.2019): Somalia-Somaliland: The Perils of Delaying New Talks - Africa Report N°280, URL, Zugriff 8.7.2019
- ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): Is this the right time to downsize AMISOM?, URL, Zugriff 13.3.2019
- ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation - Mohamed, Abdirizak Omar / Hiiraan.com (17.8.2019): The Recent Al-Shabab Resurgence: Policy Options for Somalia, URL, Zugriff 23.8.2019
- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019
- SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), URL, Zugriff 8.1.2019
- SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Nicholas Haysom
(3.1.2019): Statement to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019
- SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Michael Keating
(13.9.2018): Briefing to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019
- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019
- UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019
- UNSC - UN Security Council (27.12.2018): January 2019 Monthly Forecast, URL, Zugriff
15.7.2019
- UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019
- UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (24.10.2017): Mohamed Abdi Waare inaugurated as the second President of HirShabelle state, URL, Zugriff 4.9.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019
- VOA - Voice of America / Mohamed Olad Hassan (20.12.2018): Somalia's Parliament Drops Impeachment of President, URL, Zugriff 22.1.2019
2.1. Puntland
Puntland hat sich 1998 mit internationaler Unterstützung konstituiert. Es strebte nie eine Unabhängigkeit von Somalia an und wurde vielmehr zum Vorbild bei der Bildung weiterer Bundesstaaten (BS 2018, S.4/12). Heute ist Puntland einer von fünf Bundesstaaten Somalias – allerdings mit größerer Autonomie. Es konnten einigermaßen stabile staatliche Strukturen etabliert werden (AA 4.3.2019, S.5; vgl. AA 5.3.2019b; BS 2018, S.4), und damit ist Puntland insgesamt weniger fragil als die südlicher gelegenen Bundesstaaten (AA 4.3.2019, S.11; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.33f).
Bereits im Jahr 2014 kam es zu einem friedlichen Machtwechsel an der Staatsspitze (USDOS 13.3.2019, S.24). Anfang 2019 wählte das Parlament Saed Abdullahi Deni zum neuen Präsidenten. Er hat sich in mehreren Wahlgängen gegen insgesamt 20 Konkurrenten durchgesetzt. Der bisherige Präsident Abdiweli Mohamed Ali „Gaas“ wurde abgewählt (VOA 8.1.2019; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.5). Auch dieser Machtwechsel verlief friedlich (AA 5.3.2019b; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.5). Zuvor war im Dezember 2018 das Parlament neu besetzt worden. Die Clans haben 66 Mitglieder als Abgeordnete nominiert (UNSC 21.12.2018, S.2; vgl. UNSC
15.5.2019, Abs.5).
Im Jahr 2012 hat das Parlament eine Verfassung verabschiedet, welche ein Mehrparteiensystem vorsieht (USDOS 13.3.2019, S.24).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia – Innenpolitik, URL, Zugriff
10.4.2019
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019 - LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, URL, Zugriff 29.8.2019
- UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019
- UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019
- VOA - Voice of America / Mohamed Olad Hassan (8.1.2019): Somalia's Puntland Region Elects New President, URL, Zugriff 22.1.2019
3. Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
Die Sicherheitslage bleibt instabil und unvorhersagbar (AMISOM 7.8.2019, S.2). Zwar ist es im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 zu weniger sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und auch zu einer geringeren Zahl an Todesopfern gekommen, doch ist die Sicherheitslage weiterhin schlecht. Sie ist vom bewaffneten Konflikt zwischen AMISOM (African Union Mission in Somalia), somalischer Armee und alliierten Kräften auf der einen und al Shabaab auf der anderen Seite geprägt. Zusätzlich kommt es in ländlichen Gebieten zu Luftschlägen (NLMBZ 3.2019, S.17). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 13.3.2019, S.1). Wer sich in Somalia aufhält, muss sich der
Gefährdung durch Terroranschläge, Kampfhandlungen, Piraterie sowie kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein (AA 17.9.2019). Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2018, S.31).
Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario“ besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA
8.2017, S.21; vgl. BMLV 3.9.2019).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden – etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017, S.21/91f; vgl. BMLV 3.9.2019).
Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2019). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (17.9.2019): Somalia – Reise- und Sicherheitshinweise – Reisewarnung, URL, Zugriff 17.9.2019
- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa
(Data through 19 January 2019), URL, Zugriff 23.1.2019
- AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM, URL, Zugriff 22.8.2019
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019
- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding
Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichischschweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019
- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (9.4.2019): Somalia – Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, URL, Zugriff 8.5.2019
- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices
2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019
3.1. Süd-/Zentralsomalia
Die Sicherheitslage bleibt volatil (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019). Al Shabaab bleibt auch weiterhin die größte Quelle von Unsicherheit in Somalia (SRSG 3.1.2019, S.3; vgl. SEMG
9.11.2018, S.4; UNSC 21.12.2018, S.3).
Al Shabaab führt nach wie vor eine effektive Rebellion (LWJ 8.1.2019). Al Shabaab hat sich ihre operative Stärke und ihre Fähigkeiten bewahrt (UNSC 21.12.2018, S.3; vgl. NLMBZ 3.2019, S.20), führt weiterhin Angriffe auf Regierungseinrichtungen, Behördenmitarbeiter, Sicherheitskräfte, internationale Partner und öffentliche Plätze – z.B. Restaurants und Hotels – durch (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019).
Dabei hat sich die Gruppe in erster Linie auf die Durchführung von Sprengstoffanschlägen und gezielten Attentaten verlegt (SRSG 3.1.2019, S.3) und kann sowohl gegen harte (militärische) als auch weiche Ziele vorgehen (NLMBZ 3.2019, S.10). Al Shabaab bleibt zudem weiterhin in der Lage, komplexe asymmetrische Angriffe durchzuführen (SEMG 9.11.2018, S.4). Neben Angriffen auf militärische Einrichtungen und strategischen Selbstmordanschlägen auf Regierungsgebäude und städtische Gebiete wendet al Shabaab auch Mörser- und Handgranatenangriffe an, legt Hinterhalte und führt gezielte Attentate durch (NLMBZ 3.2019, S.10). Al Shabaab verfügt auch weiterhin über Kapazitäten, um konventionelle Angriffe und größere Attentate (u.a. Selbstmordanschläge, Mörserangriffe) durchzuführen (LWJ 15.10.2018). Al Shabaab ist auch in der Lage, fallweise konventionelle Angriffe gegen somalische Kräfte und AMISOM durchzuführen, z.B. am 1.4.2018 gegen sogenannte Forward Operational Bases der AMISOM in Buulo Mareer, Golweyn und Qoryooley (Lower Shabelle) (SEMG 9.11.2018, S.22). Nach anderen Angaben kann al Shabaab keine konventionellen Angriffe mehr durchführen. Die Gruppe hat sich v.a. auf Sprengstoffanschläge und gezielte Attentate verlegt (SRSG 3.1.2019, S.3).
Im März und April 2019 kam es zu einem signifikanten Anstieg an Angriffen in Mogadischu. Es kommt weiterhin zu Anschlägen mit improvisierten Sprengsätzen, Mörserangriffen und gezielten Attentaten. Alleine im März 2019 wurden 77 Anschläge mit Sprengsätzen verzeichnet – die höchste Zahl seit 2016. Der Großteil dieser Anschläge betraf Mogadischu, Lower Shabelle, Lower Juba und Gedo (UNSC 15.5.2019, Abs.12f). Ähnliches gilt für den Monat Ramadan (5.5.-3.6.); danach ging die Zahl an Vorfällen zurück (UNSC 15.8.2019, Abs.14). Von Gewalt durch al Shabaab am meisten betroffen sind Mogadischu, Lower und Middle Shabelle; Jubaland, Bay und Hiiraan sind zu einem geringeren Ausmaß betroffen (UNSC 21.12.2018, S.4).
Al Shabaab hat auch die Angriffe mit Mörsern verstärkt. Dabei ist eine zunehmende Treffsicherheit zu verzeichnen. Außerdem führt die Gruppe weiterhin (sporadisch) komplexe Angriffe durch (UNSC 15.5.2019, Abs.14f).
Kampfhandlungen: In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. AMISOM (African Union Mission in Somalia) und al Shabaab (AA 4.3.2019, S.16; vgl. AA 17.9.2019). Die Gruppe führt täglich kleinere Angriffe auf AMISOM, Armee und Regierung durch, alle paar Wochen kommt es zu einem größeren Angriff (BS 2018, S.7). Dies betrifft insbesondere die
Regionen Lower Juba, Gedo, Bay, Bakool sowie Lower und Middle Shabelle. Die Region Middle Juba steht in weiten Teilen unter Kontrolle von al Shabaab (AA 4.3.2019, S.16). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (LIFOS 3.7.2019, S.22). Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus von al Shabaab (ME 27.6.2019). In Süd-/Zentralsomalia bleibt al Shabaab auch für Stützpunkte von Armee und AMISOM eine Bedrohung. Sie behält die Fähigkeit, selbst in schwer befestigte Anlagen in Mogadischu einzudringen (LWJ 3.9.2018).
Ferner kommt es immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 17.9.2019). Auch somalische und regionale Sicherheitskräfte töteten Zivilisten und begingen sexuelle Gewalttaten – v.a. in und um die Region Lower Shabelle (USDOS 13.3.2019, S.11). Zusätzlich wird die Sicherheitslage durch die große Anzahl lokaler und sogar föderaler Milizen verkompliziert (BS 2018, S.8). Es gibt immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Milizen einzelner Sub-Clans bzw. religiöser Gruppierungen wie Ahlu Sunna Wal Jama’a (AA 4.3.2019, S.16; vgl. HRW 17.1.2019). Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 4.3.2019, S.16).
Bei Kampfhandlungen gegen al Shabaab, aber auch zwischen Clans oder Sicherheitskräften kommt es zur Vertreibung, Verletzung oder Tötung von Zivilisten (HRW 17.1.2019).
Gebietskontrolle: Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 4.3.2019, S.5). Die Regierung war nicht immer in der Lage, gewonnene Gebiete abzusichern, manche wurden von al Shabaab wieder übernommen (BS 2018, S.7). Mittlerweile wird zumindest versucht, nach der Einnahme neuer Ortschaften rasch eine Zivilverwaltung einzusetzen, wie im Zuge der Operation Badbaado 2019 in Lower Shabelle zu erkennen war. Trotzdem beherrschen die neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr als die größeren Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt meist auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert. Teils kommt es zu weiteren (militärischen) Exkursionen (ME 27.6.2019). Die meisten von Regierung/AMISOM gehaltenen Städte sind aber Inseln im Gebiet der al Shabaab (LI 21.5.2019a, S.3; vgl. BFA
8.2017, S.26). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft oder über See versorgt werden, da Überlandrouten nur eingeschränkt nutzbar sind (UNSC 21.12.2018, S.9).
In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (ME 27.6.2019). Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände von al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017, S.26; vgl. BMLV 3.9.2019). Andererseits führen ausstehende Soldzahlungen zu Meutereien bzw. zur Aufgabe gewonnener Gebiete durch Teile der Armee (z.B. in Middle Shabelle im März 2019) (BAMF 1.4.2019).
Al Shabaab kontrolliert große Teile des ländlichen Raumes in Süd-/Zentralsomalia und bedroht dort die Städte (LWJ 8.1.2019). Außerdem kontrolliert al Shabaab wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Regierungskontrolle Blockaden aufrecht (HRW 17.1.2019).
AMISOM/Operationen: Die Truppensteller von AMISOM glauben nicht daran, dass
Regierungskräfte über die notwendigen Kapazitäten verfügen, um wichtige Sicherheitsaufgaben zu übernehmen (HRW 17.1.2019). Die Regierung ist selbst bei der Sicherheit von SchlüsselEinrichtungen auf AMISOM angewiesen (BS 2018, S.7). Vor desaströsen Auswirkungen eines voreiligen Abzugs von AMISOM wird gewarnt (SRSG 13.9.2018, S.5). Bereits ein Teilabzug im Rahmen einer „Rekonfiguration“ könnte zur Aufgabe sogenannter Forward Operating Bases (FOBs) führen (UNSC 15.5.2019, Abs.72). Die Kräfte von AMISOM sind ohnehin überdehnt (ME 27.6.2019), und schon in den Jahren 2016 und 2017 fielen manche Städte aufgrund des Abzugs von AMISOM zurück an al Shabaab (LI 21.5.2019a, S.