TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/2 I421 2199974-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.06.2021
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Entscheidungsdatum

02.06.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I421 2199974-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin STEINLECHNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch: BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH gegen den Bescheid des BFA, XXXX vom 11.06.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.04.2021 zu Recht erkannt:

A)

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 AsylG als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs 1 Z 1 Asylgesetz 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

IV.      IV. Die Spruchpunkte III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der BF stellte am 14.02.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde dazu noch am selbigen Tag einer Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen. Dabei gab der BF zu Protokoll, dass er seinen Herkunftsstaat Nigeria verlassen habe, weil aufgrund seiner Homosexualität sein Leben in Nigeria gefährlich sei, weil dies in Nigeria offiziell nicht erlaubt sei. Sein Freund sei erwischt worden und habe ebenfalls aus Nigeria fliehen müssen. Im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsland befürchte er, wenn sie ihn erwischen, verhaftet zu werden.

2. Am 28.03.2018 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asylrecht (im Folgenden: belangte Behörde, BFA) niederschriftlich einvernommen. Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der BF im Wesentlichen an, dass er im Mai 2017 einen homosexuellen Freund namens „ XXXX “ kennengelernt habe, mit diesem eine einmalige Sache gehabt hätte und dieser Freund dann festgenommen worden sei. Nach Erzählungen habe er gehört, dass alle die mit „ XXXX “ etwas zu tun gehabt hätten, verhaftet werden würden. Es sei ein einmaliger Ausrutscher gewesen und normalerweise stehe er auf Frauen. Zudem ergänzte der BF, dass er auch aus wirtschaftlichen Gründen Nigeria verlassen habe.

3. Mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 11.06.2018, Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Zugleich erteilte sie dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde weiters festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht durch die (damalige) Rechtsvertretung des BF erhobene Beschwerde vom 28.06.2018, bei der belangten Behörde eingelangt am selben Tag, wobei Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhalts moniert wurden. Im Wesentlichen wurde dazu ausgeführt, dass es die Behörde verabsäumt hätte sich ausreichend mit der individuellen Situation des BF in seiner Heimat Nigeria auseinanderzusetzen. Laut den Länderberichten seien homosexuelle Beziehungen strafbar und drohe somit dem BF in Nigeria Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Homosexuellen. Darüber hinaus drohe dem BF im Falle einer Abschiebung nach Nigeria eine reale und massive Verletzung von Art 2 und 3 EMRK und bringe den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens und körperlichen Unversehrtheit infolge unwillkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich. Weiters sei der BF krank und noch unter Behandlung. Beantragt werde daher, die Rechtsmittelbehörde möge den hier angefochtenen Bescheid der Erstbehörde dahingehend abändern, dass dem Antrag auf internationalen Schutz Folge gegeben und dem BF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde; in eventu den angefochtenen Bescheid der Erstbehörde dahingehend abändern, dass gem § 8 Abs 1 Z 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria zuerkannt werde; allenfalls festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung unzulässig sei; allenfalls festzustellen, dass die Abschiebung nach Nigeria unzulässig sei; allenfalls den angefochtenen Bescheid aufheben und zur Ergänzung des Verfahrens an die 1. Instanz zurückzuweisen; eine mündliche Berufungsverhandlung anberaumen.

5. Mit Schriftsatz vom 29.06.2018, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 04.07.2018, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

6. Am 26.04.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des BF, einer Rechtsvertreterin der BBU, und eines Dolmetschers für englische Sprache statt. Ein Vertreter der belangten Behörde ist nicht erschienen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Nigeria, ist ledig und bekennt sich zum christlichen Glauben. Er gehört der Volksgruppe der XXXX an. Seine Identität steht nicht fest. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der BF leiblicher Vater eines XXXX jährigen Jungen in Nigeria ist.

Von Nigeria aus reiste der BF mit dem Flugzeug in die Türkei und nach einem Aufenthalt in Griechenland illegal weiter nach Österreich. In Griechenland stellte der BF keinen Asylantrag.

Der BF hält sich seit (mindestens) 14.02.2018 in Österreich auf und ist im Bundesgebiet melderechtlich erfasst.

Seit 2018 befindet sich der BF in regelmäßiger fachärztlicher Behandlung. Der BF leidet an einem chronischen Lymphödem an Gesicht, Händen, Armen, Skrotum und Beinen. Da der BF derzeit eine 5-mal pro Woche durchgeführte Kompressionsbehandlung verweigert, besteht die einzige Möglichkeit das Lymphödem zu kontrollieren, Kompressionskleidung zu tragen. Der BF benötigt weiterhin ambulante Behandlung. Die Krankheit des BF ist bereits in Nigeria aufgetreten, jedoch wurde er dort keiner Behandlung unterzogen. Der BF nimmt regelmäßig das Medikament Mexalen ein.

Aufgrund seinem ausgeprägten chronischen Lymphödem ist der BF nur eingeschränkt arbeitsfähig.

Der BF besuchte in Nigeria die 6-jährige Grundschule und war danach als XXXX auf der Landwirtschaft mit dem Vater beschäftigt. In Österreich ist der BF als XXXX registriert und verkauft dabei regelmäßig die Straßenzeitung XXXX . Ansonsten geht er keiner regelmäßigen Beschäftigung nach und bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

Die Familie des BF bestehend aus dem Vater und den zwei Brüdern lebt in Nigeria, die Mutter ist mittlerweile verstorben.

In Österreich verfügt der BF über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen.

Der BF weist im Bundesgebiet keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf. Der BF verfügt über keine Deutschkenntnisse, hat keinen Deutschkurs besucht und keine Deutschprüfung absolviert.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Der BF brachte kein asylrelevantes Fluchtvorbringen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vor. Entgegen seinem Fluchtvorbringen konnte nicht festgestellt werden, dass der BF aufgrund seiner Homosexualität verfolgt wird. Der BF war in Nigeria keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt und wurde in seinem Herkunftsland nicht aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt.

Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der BF aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität oder politischen Gesinnung einer persönlichen Verfolgung ausgesetzt war.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:

Mit der Ladung zur Verhandlung am 26.04.2021 wurde dem BF das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria vom 23.11.2020 übermittelt. Zumal die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Gesundheitszustand des BF begründet liegt, ist gegenständlich lediglich der Abschnitt in Zusammenhang mit der medizinischen Versorgung von Entscheidungsrelevanz, weswegen auch ausschließlich dieser in der aktuellen Version mit Stand 23.11.2020 angeführt wird:

Medizinische Versorgung

Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 3.2020b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 9.2020b; vgl. ÖB 10.2019). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 7.9.2020). Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2019). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 9.2020b). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2019).

Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 16.1.2020). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard. Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung (ÖB 10.2019).

In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 16.1.2020).

Stigmatisierung und Missverständnisse über psychische Gesundheit, einschließlich der falschen Wahrnehmung, dass psychische Erkrankungen von bösen Geistern oder übernatürlichen Kräften verursacht werden, veranlassen die Menschen dazu, religiöse oder traditionelle Heiler zu konsultieren; eine Rolle spielt hier auch der Mangel an qualitativ hochwertiger psychiatrischer Versorgung und die unerschwinglichen Kosten (HRW 11.11.2019). Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 16.1.2020). Nigeria verfügt derzeit über weniger als 150 Psychiater (AJ 2.10.2019), nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen „aufbewahrt“. Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt (VAÖB 23.1.2019). Die WHO schätzt, dass weniger als 10 Prozent der Nigerianer jene psychiatrische Behandlung bekommen, die sie brauchen (AJ 2.10.2019; vgl. HRW 11.11.2019).

Nach anderen Angaben gibt es insgesamt für die inzwischen annähernd (VAÖB 23.1.2019) 180-200 Millionen (Punch 22.12.2017: 180 Mio; VAÖB 23.1.2019: 200 Mio) Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich. Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 16.1.2020).

Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 16.1.2020). Nur weniger als sieben Millionen (Punch 22.12.2017) der 180-200 Millionen (Punch 22.12.2017: 180 Mio; VAÖB 23.1.2019: 200 Mio) Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).

Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 9.2020b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 16.1.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein (ÖB 10.2019). Eine medizinische Grundversorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 16.1.2020). Gemäß Angaben einer anderen Quelle werden Tests und Medikamente an staatlichen Gesundheitseinrichtungen dann unentgeltlich abgegeben, wenn diese überhaupt verfügbar sind. Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2019).

In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 16.1.2020). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2019).

Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte – meist aus asiatischer Produktion – vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 16.1.2020). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2019).

Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 9.2020b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2019).

In Nigeria gibt es wie in anderen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 13.10.2020).

Auszug aus der Anfragebeantwortung zu Chronischem Lymphödem, Mexalen, Kompressionsstrümpfe in Nigeria (Stand 17.05.2021):

Analyse der MedCOI-Ärzte:

Das Medikament (Mexalen = Paracetamol - Schmerzmittel) ist verfügbar. Alle Behandlungen sind verfügbar, einschließlich der Hauptbehandlung, die er erhalten sollte, nämlich die Kompressionstherapie, sie ist jedoch nur für Lymphödeme der unteren Extremitäten verfügbar. Der Patient verweigert laut Auskunft des Bedarfsträgers derzeit eine 5-mal pro Woche durchgeführte Kompressionsbehandlungen. Daher besteht die einzige Möglichkeit, das Lymphödem bei diesem Patienten derzeit zu kontrollieren, darin, die Kompressionskleidung zu tragen. Da die lymphatische Filariose in Nigeria endemisch ist und ein Lymphödem der Beine und der Hoden verursacht, sind Kleidungsstücke für die unteren Gliedmaßen erhältlich, die für den oberen Teil des Körpers, einschließlich Gesicht und Hände, jedoch nicht. Auch die Kompressionsbehandlung, die diesen Mangel an Kleidungsstücken teilweise ausgleichen könnte, wird über die unteren Gliedmaßen durchgeführt. Kurz gesagt, die Chancen für diesen Patienten, seinen chronischen Zustand in Nigeria behandeln zu lassen, scheinen im Vergleich zur derzeitigen Behandlung begrenzt zu sein. Nachfolgend wird die Liste der Komplikationen bei Lymphödemen erläutert:

"Eine Heilung wird selten erreicht, wenn ein Lymphödem auftritt. Eine sorgfältige Behandlung und vorbeugende Maßnahmen können dazu beitragen, die Symptome zu lindern, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen oder zu stoppen und Komplikationen vorzubeugen. Patienten mit chronischem Lymphödem über einen Zeitraum von zehn Jahren haben ein 10%iges Risiko, ein Lymphangiosarkom zu entwickeln. Dieser Tumor ist hoch aggressiv, erfordert eine radikale Amputation der betroffenen Extremität und hat eine sehr schlechte Prognose. Zu den Komplikationen des Lymphödems gehören auch: Cellulitis (Infektion der Derma) häufig wiederkehrend, Lymphangitis, oberflächliche Bakterien- und Pilzinfektionen, Lymphangioadenitis, tiefe Venenthrombose ( DVT), schwere Funktionsstörung, psychosoziale Dysfunktion, kosmetische Verlegenheit, Amputation (Quelle: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK537239/,https://www.woundsource.com/blog/complications-associated-lymphedema-and-how-prevent-them)".

COVID-19 in Nigeria:

Nigeria: WHO Coronavirus Disease (COVID-19) Dashboard With Vaccination Data | WHO Coronavirus (COVID-19) Dashboard With Vaccination Data

Basierend auf den Daten der WHO (Stand: 25.05.2021) ergeben sich 166.019 bestätigte COVID-19 Fälle mit 2.067 Verstorbenen.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Verfahrensgang

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.1. Zum Sachverhalt

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria mit Stand 23.11.2020. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt, ebenso ein Sozialversicherungsdatenauszug. Zudem wurde Einsicht in das Dashboard der WHO zur COVID-19-Situation in Nigeria genommen.

Darüber hinaus wurde der BF am 26.04.2021 in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht einvernommen und konnte sich das erkennende Gericht so ein eigenes Bild vom BF machen.

Zur Beurteilung des Gesundheitszustandes wurde vor allem in die vorgelegten und zum Akt genommenen medizinischen Unterlagen Einsicht genommen (Beilage ./A, ./B, ./C und OZ 9).

Zur Feststellung, ob ein chronisches Lymphödem in Nigeria behandelbar ist und ob insbesondere Kompressionskleidung für Unter- und Oberkörper zur Verfügung steht, wurde eine Anfrage an die Staatendokumentation gestellt und die diesbezügliche Anfragebeantwortung vom 17.05.2021 berücksichtigt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seiner Herkunft, seiner Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften und übereinstimmenden Angaben des BF vor der belangten Behörde (Protokoll vom 28.03.2018, AS 54) und dem erkennenden Gericht (Protokoll vom 26.04.2021, S 3). Da der BF den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest.

Hinsichtlich der Reiseroute gilt es auf die Ausführungen des BF vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu verweisen (Protokoll vom 14.02.2018, AS 4), welche durchaus mit den späteren Ausführungen des BF vor dem erkennenden Gericht in Einklang zu bringen sind (Protokoll vom 26.04.2021, S 6). Dass der BF in Griechenland keinen Asylantrag gestellt hat, ergibt sich zudem aus dem Eurodac Abgleich (AS 15). Die Feststellung, dass der BF illegal in das Bundesgebiet eingereist ist, ergibt aus dem Umstand, dass der BF über keinen Reisepass verfügt (Protokoll vom 28.03.2018, AS 54; Protokoll vom 26.04.2021, S 8).

Der Umstand, dass sich der BF seit 2018 in regelmäßiger fachärztlicher Behandlung befindet, ergibt sich aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen, insbesondere daraus, dass der erste vorgelegte Befundbericht mit 03.05.2018 datiert wurde (AS 295 ff).

Die Ausführungen zu seinem Gesundheitszustand sowie sämtliche Feststellungen zur Erkrankung des BF samt medikamentöser Behandlung basieren auf sämtlichen vorgelegten Befunden sowie auf seinen eigenen glaubhaften Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (Protokoll vom 26.04.2021, S 3, 11). So ist beispielsweise dem Ambulanzbesuch der XXXX bei Dr. med. univ. XXXX vom 29.01.2020 zu entnehmen, dass der BF an einem generalisierten Lymphödem leidet und wurden dort deutlich angeschwollene Beine, an den Handrücken beidseitig ein eindrückbares Ödem, an den Augenlidern beidseitig deutliche Ödeme und scrotal ein ausgeprägtes pralles Ödem festgestellt (OZ 9, S 1). Die Feststellung, dass der BF zur Behandlung Kompressionskleidung tragen muss, konnte aufgrund des Ambulanzbriefes der XXXX vom 04.12.2020 getroffen werden (OZ 9, S 14). Dass der BF weiterhin ambulante Behandlung benötigt, war dem Umstand geschuldet, dass dem Gericht bereits eine Terminbestätigung für den 11.06.2021 in der XXXX vorgelegt wurde (OZ 9, S 13).

Befragt dazu, wie lange er ohne Kompressionswäsche bleiben könne und was ohne das Tragen passieren würde, meinte der BF folgendes: „Wenn ich diese Wäsche nicht tragen würde, dann muss ich meine Füße hochlagern und wenn ich liege, dann schwelle ich überall an und manchmal schwellen meine Augen auch zu und muss ich sie mit warmen Wasser waschen.“

Dass die Erkrankung des BF bereits in Nigeria begonnen hat, er aber damals keine Behandlung bekommen hat, war den übereinstimmenden und glaubhaften Angaben des BF sowohl vor der belangten Behörde (Protokoll vom 28.03.2018, AS 52), als auch vor dem erkennenden Gericht (Protokoll vom 26.04.2021, S 11) zu entnehmen.

Aufgrund des persönlichen Eindruckes des BF und seiner Erkrankung in der Beschwerdeverhandlung war die Feststellung zu treffen, dass der BF nur eingeschränkt arbeitsfähig ist. Hierbei gilt anzumerken, dass die Arbeitsfähigkeit für die Beurteilung des gegenständlichen Falles nicht von Relevanz war.

Bezüglich der Grundschule und der Beschäftigung des BF gilt es auf die übereinstimmenden und glaubhaften Angaben des BF vor der belangten Behörde (Protokoll vom 28.03.2018, AS 54 f) und vor dem erkennenden Gericht (Protokoll vom 26.04.2021, S 5) zu verweisen. Dass der BF in Österreich regelmäßig die Straßenzeitung XXXX verkauft, war seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben (Protokoll vom 26.04.2021, S 13 f) sowie der vorgelegten Bestätigung und dem Empfehlungsschreiben zu entnehmen (OZ 9, S 8 ff). Die Feststellung, dass der BF keiner sonstigen Erwerbstätigkeit nachgeht, war aufgrund der AJ-Web Abfrage zu treffen, welche keine Eintragung aufweist.

Der Umstand, dass der BF in Nigeria familiäre Anknüpfungspunkte aufweist, ergibt sich aus den Ausführungen des BF vor der belangten Behörde, wo er zu Protokoll gab, dass sich seine Eltern und seine zwei Brüder nach wie vor an seiner Heimatadresse in seiner Heimatstadt befinden (Protokoll vom 28.03.2018, AS 55), wobei er dies auch schon vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Protokoll vom 14.02.2018, AS 3) vermerkte. Dass die Mutter mittlerweile verstorben ist, erwähnte der BF schließlich vor dem erkennenden Gericht und war ihm diesbezüglich Glauben zu schenken (Protokoll vom 26.04.2021, S 12).

Die negative Feststellung betreffend des angeblichen XXXX -jährigen Sohnes in Nigeria musste deshalb getroffen werden, weil der BF ihn weder vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes noch vor der belangten Behörde erwähnte, sondern erst im Rahmen eines Ambulanzbesuches am 14.09.2020 im XXXX (OZ 9, S 5) angab und dazu nachgefragt in der Beschwerdeverhandlung erklärte, dass es noch nicht geprüft sei, ob er tatsächlich sein Sohn sei. Er wisse aber, dass er sein Sohn sei. Er habe mit dieser Frau etwas gehabt und sie sei schwanger gewesen (Protokoll vom 26.04.2021, S 5). Aufgrund der Umstände, dass der BF den angeblichen Sohn zuvor mit keinem einzigen Wort erwähnt hatte und er auch keine bezeugenden Dokumente vorgelegen konnte, steht seine Vaterschaft nicht zweifelsfrei fest.

Etwaige Verwandte oder Familienangehörige in Österreich führte der BF bei keiner der Befragungen an. Dass der Beschwerdeführer in Österreich über keine maßgeblichen persönlichen und familiären Beziehungen im Bundesgebiet verfügt, ergibt sich überdies aus dem Umstand seines erst kurzen Aufenthalts in Österreich.

Dass der BF keine sonstigen maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, kultureller und beruflicher Hinsicht aufweist, ist wiederum dem Umstand geschuldet, dass er erst seit (mindestens) 14.02.2018 in Österreich aufhältig ist und diesbezüglich auch nicht mehr vorgebracht wurde. Vielmehr gab der BF befragt dazu an, nur die XXXX zeitung zu verkaufen, aber keine Kurse zu besuchen, nicht Mitglied in einem Verein zu sein und nicht Deutsch zu sprechen. Die Feststellungen zu den fehlenden Deutschkenntnissen konnten auch vom Gericht getroffen werden, da der BF in der Verhandlung die auf Deutsch gestellte Frage nicht verstanden und nicht beantwortet hat (Protokoll vom 26.04.2021, S 13 f).

Die Feststellung, dass der BF in Österreich melderechtlich erfasst ist, ergibt sich aus dem aktuellen Auszug aus dem Zentralen Melderegister, die Feststellung zu seinem Bezug der Grundversorgung ergibt sich aus dem dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden, am 21.04.2021 abgefragten Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des BF wird in einem aktuellen Auszug des Strafregisters der Republik Österreich zur Person des BF ersichtlich.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.

Generell ist zur Glaubwürdigkeit eines Vorbringens auszuführen, dass eine Aussage grundsätzlich dann als glaubhaft zu qualifizieren ist, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist; der BF sohin in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über von ihm relevierte Umstände bzw. Erlebnisse zu machen. Weiters muss das Vorbringen plausibel sein, d.h. mit überprüfbaren Tatsachen oder der allgemeinen Lebenserfahrung entspringenden Erkenntnissen übereinstimmen. Hingegen scheinen erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt einer Aussage angezeigt, wenn der BF den seiner Meinung nach, seinen Antrag stützenden Sachverhalt bloß vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt. Weiteres Erfordernis für den Wahrheitsgehalt einer Aussage ist, dass die Angaben in sich schlüssig sind; so darf sich der BF nicht in wesentlichen Passagen seiner Aussage widersprechen.

Es ist anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines BF und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten – z.B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z.B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z.B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) – zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

Soweit der BF vorbrachte, seinen Herkunftsstaat Nigeria wegen seiner Homosexualität verlassen zu haben, weil ihm dort wegen der Bekanntschaft zu einem Freund, welcher bereits aufgrund der Homosexualität verhaftet worden sei, Verfolgung und Verhaftung drohe, kommt seinem Vorbringen aus nachfolgenden Gründen keine Glaubhaftigkeit zu:

Zur generellen Glaubwürdigkeit gilt es vorab bereits, auf die Widersprüchlichkeiten hinsichtlich seiner Homosexualität zu verweisen. So gab der BF vor der belangten Behörde noch zu Protokoll, dass er normalerweise auf Frauen stehe und die Sache mit dem Freund ein einmaliger Ausrutscher gewesen sei (Protokoll vom 28.03.2018, AS 57). Hingegen vermeinte er vor dem erkennenden Gericht zunächst, dass er homosexuell sei und sodann, dass er sich zu niemanden, weder zu Männern noch zu Frauen hingezogen fühle (Protokoll vom 26.04.2021, S 7 ff). Vor diesem Hintergrund standen die Ausführungen des BF nicht nur in Widerspruch zu jenen bei der belangten Behörde, sondern gelang es dem BF auch nicht in der Beschwerdeverhandlung übereinstimmende Angaben zu machen und waren sie deshalb nicht glaubhaft.

Weiters konnte der BF das erkennende Gericht auch deshalb nicht von seiner Homosexualität überzeugen, zumal der BF am Anfang der Einvernahme erklärte eine nicht zwei Jahre dauernde Liebesbeziehung mit der Mutter seines Sohnes gehabt zu haben und auf späterer Nachfrage des Richters, ob er sich zur Mutter des Kindes schon hingezogen gefühlt habe, plötzlich meinte: „Ja, das kann ich sagen, ich habe zu viel getrunken und dann ist es passiert mit der Frau vor 16 Jahren“. Auf Vorhalt des Richters, dass er circa zwei Jahre mit der Frau zusammen war und ja nicht zwei Jahre betrunken gewesen sein kann, gab der BF lediglich ausweichend und vage an wie folgt: „Es war keine Liebesbeziehung, wir waren Freunde.“ (Protokoll vom 26.04.2021, S 9)

Zudem waren die Angaben des BF auf die Frage, wann er in seiner Lebensentwicklung festgestellt habe, dass er sich zu Männern hingezogen fühle, sehr vage:

„BF: Das weiß ich nicht.

Rl: Wenn Sie nicht wissen, wann das gewesen ist, können Sie mir dann sagen, was Sie für ein Gefühl dabeigehabt haben?

BF: Ich kann Ihnen nicht sagen, ob ich glücklich oder unglücklich war. Ich kann nur sagen, das Leben geht weiter.“ (Protokoll vom 26.04.2021, S 9 f)

Darüber hinaus vermochte der BF die Bedrohungshandlung nicht übereinstimmend und glaubhaft wiederzugeben und es war nicht erkennbar, dass er BF aufgrund seiner behaupteten Homosexualität konkreten Problemen ausgesetzt gewesen ist.

So gab der BF vor der belangten Behörde selbst an, dass es gegen den BF keine Anzeige gegeben habe, er selbst nie persönlich bedroht worden wäre und er es nur von Erzählungen gehört hätte, dass alle vermeintlichen Bekannten von „ XXXX “ verhaftet werden würden. Auch die weiteren Schilderungen des BF basieren nur auf Vermutungen und vagen Schilderungen. So geht der BF nur davon aus, mit „ XXXX “ beobachtet worden zu sein, es selbst aber nicht einmal gesehen zu haben. Er geht auch nur davon aus, dass die Polizei seinen Namen haben müsste und schließlich habe er auch nur gehört, dass „ XXXX “ verhaftet worden sei (Protokoll vom 28.03.2018, AS 58 ff).

Wesentlich gilt auch anzumerken, dass der BF vor der belangten Behörde den angeblichen Freund durchgehend „ XXXX “ nannte (Protokoll vom 28.03.2018, AS 59 f), vor dem erkennenden Gericht den Namen des Mannes, mit dem er geschlafen hätte, plötzlich nicht kannte (Protokoll vom 26.04.2021, S 10).

In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass die Angaben des BF betreffend die zeitlichen Abläufe nicht miteinander in Einklang zu bringen sind: So gab der BF vor der belangten Behörde zu Protokoll, dass der homosexuelle Akt mit „ XXXX “ im Mai 2017 stattgefunden hätte (Protokoll vom 28.03.2018, AS 58), wohingegen er vor dem erkennenden Gericht zu Protokoll gab, dass dies über fünf Jahre her sei. Unter Vorhalt des Richters, dass die Geschichte mit dem Mann dann 2016 war, meinte der BF: „Das kann schon sein, aber Nigeria habe ich 2017 verlassen“ (Protokoll vom 26.04.2021, S 9). Wenn man davon ausgehen würde, dass letztere der Wahrheit entspreche, so hätte der BF bereits 2016 mit „ XXXX “ Geschlechtsverkehr gehabt, wäre aber erst 2017 ausgereist, weshalb der BF vor diesem Hintergrund somit ein Jahr lang unbehelligt ohne Probleme in Nigeria leben hatte können. Auch dieser Sicht ist daher nicht glaubhaft, dass der BF aus Furcht vor Verfolgung Nigeria verlassen hat.

Aufgrund der derart widersprüchlichen und unplausiblen Angaben des BF ist es diesem nicht gelungen glaubhaft zu machen, dass er wegen eines homosexuellen Aktes mit „ XXXX “ einer Bedrohung ausgesetzt ist.

Letztlich ist noch erwähnenswert, dass der BF vor der belangten Behörde zusätzlich anführte, sein Herkunftsland auch aus wirtschaftlichen Gründen verlassen zu haben (Protokoll vom 28.03.2018, AS 60).

In einer Gesamtschau der Angaben kann daher nicht festgestellt werden, dass der BF homosexuell ist und warum er seitens der Polizei oder einer anderen Person einer konkreten, individuellen Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre.

Außer dem als unglaubwürdig einzustufenden Fluchtvorbringen haben sich keine weiteren Anhaltspunkte ergeben, die eine Bedrohung des BF glaubhaft machen.

2.4. Zum Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Nigeria vom 23.11.2020 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen. Zudem wurde die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Chronischem Lymphödem, Mexalen, Kompressionsstrümpfe vom 17.05.2021 berücksichtigt.

Die Feststellungen zu den aktuell bestätigten COVID-19-Fällen samt Verstorbenen entstammen mit Stand 25.05.2021 dem Dashboard der Website der WHO.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der BF trat den Quellen und deren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren auch nicht substantiiert entgegen, sodass die der Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichte nicht in Zweifel zu ziehen waren.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1. Rechtslage

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art 1 Absch A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Wie in der Beweiswürdigung unter Punkt II.2.4. bereits dargelegt wurde, konnten keine konkreten, gegen den BF persönlich gerichteten Verfolgungshandlungen festgestellt werden, zumal sich das Fluchtvorbringen des BF in Zusammenhang mit Bedrohungen und Verfolgungen aufgrund der Homosexualität und seiner Bekanntschaft zu „ XXXX “ als nicht glaubhaft herausstellte.

Die vom BF vorgebrachte Verfolgung wegen Homosexualität könnte zwar als eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe angesehen werden (EuGH 7.11.2013, C-199/12 ua, X, Y und Z), doch ist das Fluchtvorbringen nicht glaubhaft.

Daher ist festzustellen, dass dem BF im Herkunftsstaat Nigeria keine Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht und die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl nicht gegeben sind. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

3.2.1. Rechtslage

Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs 2 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden. Gemäß § 8 Abs 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 leg. cit. offen steht.

Im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls ist die Frage zu beantworten, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein – über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes – "real risk" einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (vgl VwGH 28.06.2011, 2008/01/0102). Die dabei aufgrund konkreter vom Fremden aufgezeigter oder von Amts wegen bekannter Anhaltspunkte anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 15.12.2010, 2006/19/1354; 31.05.2005, 2005/20/0095, 31.03.2005, 2002/20/0582).

Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK ist nicht ausreichend (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174; 19.11.2015, Ra 2015/20/0174 ua). Das Vorliegen solch exzeptioneller Umstände erfordert detaillierte und konkrete Darlegungen (vgl VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 07.09.2016, Ra 2015/19/0303 ua).

3.2.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Wie bereits oben ausgeführt, bestehen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit des BF aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten in Nigeria bedroht wäre. Es ist somit vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des BF in seinen Herkunftsstaat Art 2 EMRK (Recht auf Leben), Art 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 AsylG gegeben sind:

Das durchgeführte Ermittlungsverfahren ergab dabei, dass der BF an einem chronischen Lymphödem an Gesicht, Händen, Armen, Skrotum und Beinen erkrankt ist. Deshalb ist der BF auf das Tragen von Kompressionskleidung angewiesen. Aufgrund seiner Erkrankung und der begrenzten Behandlungsmöglichkeit in Nigeria besteht dadurch beim BF im Falle einer Rückkehr nach Nigeria eine reale Gefahr, in seiner Existenz bedroht zu werden und in eine völlig ausweglose Situation zu geraten.

Einerseits ergibt sich dies anhand der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Lymphödem, Mexalen, Kompressionsstrümpfe vom 17.05.2021. Daraus geht hervor, dass zwar alle Behandlungen sowie auch das Medikament Mexalen in Nigeria verfügbar sind, einschließlich der Hauptbehandlung, die er erhalten sollte, nämlich die Kompressionstherapie, jedoch nur für Lymphödeme der unteren Extremitäten. Da der BF derzeit eine 5-mal pro Woche durchgeführte Kompressionsbehandlungen verweigert, besteht die einzige Möglichkeit, das Lymphödem derzeit zu kontrollieren, darin, die Kompressionskleidung zu tragen. Da die lymphatische Filariose in Nigeria endemisch ist und ein Lymphödem der Beine und der Hoden verursacht, sind Kleidungsstücke für die unteren Gliedmaßen erhältlich, die für den oberen Teil des Körpers, einschließlich Gesicht und Hände, jedoch nicht. Auch die Kompressionsbehandlung, die diesen Mangel an Kleidungsstücken teilweise ausgleichen könnte, wird über die unteren Gliedmaßen durchgeführt. Daraus ergibt sich, dass die Chancen für den BF, seinen chronischen Zustand in Nigeria behandeln zu lassen, im Vergleich zur derzeitigen Behandlung begrenzt zu sein scheinen. Weiters geht aus der Anfragebeantwortung hervor, dass eine Heilung von Lymphödemen selten erreicht wird, jedoch eine sorgfältige Behandlung und vorbeugende Maßnahmen dazu beitragen können, die Symptome zu lindern, das Fortschreiten zu verlangsamen oder zu stoppen und Komplikationen vorzubeugen. Dabei muss besonders hervorgehoben werden, dass Patienten mit chronischem Lymphödem über einen Zeitraum von zehn Jahren ein 10%iges Risiko haben, ein Lymphangiosarkom zu entwickeln und dieser Tumor hoch aggressiv ist, eine radikale Amputation der betroffenen Extremität erfordert und eine sehr schlechte Prognose hat.

Zusammenfassend wäre im Falle einer Rückkehr des BF nach Nigeria eine Kompressionsbehandlung und Kompressionsbekleidung nur für die unteren Extremitäten verfügbar und könnte er für den oberen Teil des Körpers weder eine Kompressionsbehandlung noch eine Kompressionsbekleidung bekommen. Folglich sind die Chancen für den BF seinen chronischen Zustand in Nigeria behandeln zu lassen im Vergleich zur derzeitigen Behandlung begrenzt. Ohne Behandlung des Lymphödems an Gesicht und Händen würde man somit weder Symptome lindern noch das Fortschreiten stoppen können und gleichzeitig das Risiko für weitere Komplikationen erhöhen.

Andererseits geht auch aus den Länderfeststellungen eine reale Gefahr der Bedrohung der Existenz des BF deutlich hervor. So kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria insgesamt als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 3.2020b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 9.2020b; vgl. ÖB 10.2019). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 7.9.2020). Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2019). Zudem gibt es zwar eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, allerdings gilt sie nur für Beschäftigte im formellen Sektor. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 16.1.2020). Außerdem bekommen Personen ohne Geld keine medizinische Behandlung (GIZ 9.2020b) und gewährleistet die staatliche Gesundheitsversorgung keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 16.1.2020).

Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 16.1.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein (ÖB 10.2019). Eine medizinische Grundversorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019).

In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 16.1.2020).

Des Weiteren geht aus den im Verwaltungsakt befindlichen Befunden sowie der Terminbestätigung für den 11.06.2021 in der XXXX hervor, dass der BF weiterhin ambulante Behandlung zur weiteren Verlaufskontrolle benötigt. Im Falle einer Ausreise könnte der BF keine vergleichbare ambulante Behandlung mehr bekommen.

Die Familie des BF lebt zwar noch in Nigeria, jedoch hat der BF keinen regelmäßigen Kontakt mehr zu ihr. Auch wenn der BF im Falle einer Rückkehr noch Kontakt zu seinem Vater herstellen könnte, könnte er von diesem weder finanzielle Unterstützung noch eine Wohnmöglichkeit noch Unterstützung bei seiner Erkrankung bekommen. Darüber hinaus hat der BF schon vor seiner Ausreise in ärmlichen Verhältnissen in Nigeria gelebt und dort seinen Lebensunterhalt durch die Landwirtschaft mit seinem Vater verdienen können, welche nun nicht mehr existiert. Der BF hat außer seiner 6-jährigen Schulausbildung keinen sonstigen Beruf gelernt. Aufgrund seiner Krankheit kann nicht davon ausgegangen werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in der Lage ist, uneingeschränkt einer sonstigen geregelten Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen.

Folglich wäre der BF weder in der Lage, seine medizinische Versorgung zu organisieren, noch diese zu bezahlen, noch im Stande die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens – wie Wohnen, Essen, Kleidung – abzudecken. Gegenständlich ist auch eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar, weil die Behandlung der chronischen Lymphödeme, insbesondere die Kompressionskleidung für den oberen Teil des Körpers, einschließlich Hände und Gesicht, in Nigeria im Allgemeinen nicht erhältlich ist.

Dem BF würde daher vor dem Hintergrund der dargelegten Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der ihn betreffenden individuellen, exzeptionellen Umstände bei einer Rückkehr nach Nigeria die reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohen, wobei eine innerstaatliche Fluchtalternative (vgl. § 8 Abs 3 AsylG 2005) aus den dargelegten Erwägungen nicht zumutbar ist. Es ist damit dargetan, dass seine Abschiebung eine Verletzung in seinen Rechten nach Art 3 EMRK darstellen würde.

Ausschlussgründe nach § 8 Abs 3a iVm § 9 Abs 2 AsylG liegen nicht vor. Hinsichtlich § 9 Abs 2 Z 1 und Z 2 AsylG sind solche Gründe nicht hervorgekommen und in Zusammenhang mit § 9 Abs 2 Z 3 AsylG gilt es auszuführen, dass der BF nicht von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt wurde.

Es war daher der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattzugeben und dem BF gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria zuzuerkennen.

3.3. Zur Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung

3.3.1. Rechtslage

Gemäß § 8 Abs 4 AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, von der zuerkennenden Behörde gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom BFA für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

3.3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Im gegenständlichen Fall war dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria zuzuerkennen.

Folglich war dem BF gemäß § 8 Abs 4 AsylG gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer eines Jahres zu erteilen.

3.4. Ersatzlose Behebung der Spruchpunkte III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides

Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

Da dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, liegen die Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung nicht vor.

Damit entfällt auch die Basis für die auf der Pflicht zur Ausreise aufbauenden Aussprüche und mangelt es aufgrund des Status des subsidiär Schutzberechtigten somit den Spruchpunkten III., IV. V. und VI. an einer rechtlichen Grundlage, weswegen diese ersatzlos zu beheben waren.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung ersatzlose Teilbehebung Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Kassation mündliche Verhandlung real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung behoben Spruchpunktbehebung subsidiärer Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I421.2199974.1.00

Im RIS seit

04.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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