TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/22 G307 2242875-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.06.2021
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Entscheidungsdatum

22.06.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch


G307 2242875-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über den Vorlageantrag des XXXX , geb. am XXXX , StA.: Kroatien, vertreten durch RA Mag. Andreas REICHENBACH in 1060 Wien, betreffend die Beschwerdevorentscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 05.05.2021, Zahl XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und die angefochtene Beschwerdevorentscheidung ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 26.08.2019 wurde der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) anlässlich seiner wiederholten Verurteilung über die beabsichtigte Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in Kenntnis gesetzt. Darüber hinaus wurde er zur Abgabe einer dahingehenden Stellungnahme, seiner persönlichen wie finanziellen Verhältnisse binnen zwei Wochen ab Erhalt des Schreibens aufgefordert.

2. Mit per E-Mail am 10.09.2019 beim BFA eingebrachten Schreiben gab der BF hiezu eine entsprechende Stellungnahme ab.

3. Am 07.07.2020, 04.08.2020 und 05.08.2020 fanden vor dem BFA niederschriftliche Einvernahmen des BF im Rahmen der Prüfung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme statt.

4. Mit oben im Spruch genannten Bescheid des BFA, dem BF persönlich zugestellt am 21.02.2021, wurde gegen diesen gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf 7 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.).

5. Mit per E-Mail am 18.03.2021 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz erhob der BF durch seinen oben ausgewiesenen Rechtsvertreter (im Folgenden: RV), Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).

Darin wurden die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Herabsetzung der Befristung des Aufenthaltsverbotes beantragt.

6. Mit Beschwerdevorentscheidung, Zahl XXXX vom 05.05.2021, dem RV des BF zugestellt am 10.05.2021, wurde der Beschwerde des BF insoweit stattgegeben, als die Befristung des Aufenthaltsverbotes auf 5 Jahre herabgesetzt wurde. Im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

7. Mit per E-Mail am 25.05.2021 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz stellte der BF durch seinen RV den Antrag auf Vorlage der unter Punkt I.5. genannten Beschwerde an das BVwG (Vorlageantrag).

8. Die gegenständliche Beschwerde samt Vorlageantrag und der zugehörige Verwaltungsakt wurden dem BVwG vom BFA vorgelegt, und langten am 28.05.2021 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Namen und Geburtsdatum), ist Staatsangehöriger der Republik Kroatien, geschieden, gesund arbeitsfähig und des Kroatischen wie Deutschen mächtig.

1.2. Der BF wurde in Bosnien und Herzegowina geboren, wo er auch die Schule besuchte und den Beruf des Schlossers erlernte.

1.3. Seit 23.04.2001 hält sich der BF durchgehend im Bundesgebiet auf. Dem BF wurden wiederholt Niederlassungsbewilligungen ausgestellt und ihm am 25.07.2008 der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt“ erteilt. Am 19.07.2013 wurde dem BF zudem eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ausgestellt.

1.4. Von 17.03.2003 bis 17.02.2019 ging der BF bei 13 Arbeitgebern in insgesamt 19 Arbeitsverhältnissen in Summe 8 Jahre und nicht ganz 11 Monate Erwerbstätigkeiten in Österreich nach. Der BF bezog, sowie aktuell auch, wiederholt Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung und ist seit 07.02.2019 durchgehend ohne Beschäftigung.

1.5. Der BF hat vier Kinder aus einer mittlerweile geschiedenen Ehe. Der Mutter der gemeinsamen Kinder kommt das alleinige Sorgerecht zu und ist der BF diesen gegenüber unterhaltsverpflichtet. Der BF kommt seiner Unterhaltspflicht nicht nach.

Zudem hat der BF ein weiteres Kind aus einer mittlerweile beendeten Beziehung.

Alle Kinder des BF leben bei ihren Müttern im Bundesgebiet. Der BF pflegt persönlichen Kontakt zu seinen Kindern und zeigt sich gewillt, seinen Unterhaltspflichten nachzukommen.

1.6. Im Herkunftsstaat hält sich der Vater des BF auf und verfügt der BF über familiäre Anknüpfungspunkte in BiH, wo er auch ein im Rohbau befindliches Haus besitzt.

1.7. Der BF weist folgende Verurteilungen in Österreich auf:

1.       LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2013, in Rechtskraft erwachsen am XXXX .2013, wegen der Vergehen der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB, der versuchten Nötigung gemäß §§ 15, 105 (1) StGB und der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten.

Der BF wurde für schuldig befunden, er habe in XXXX

A.I. nachgenannte Personen zumindest mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzten und zwar

a.       von Anfang 2013 bis Mitte März 2013 seine Ehefrau K.J. durch die wiederholte Äußerung „Ich schieße dir in den Kopf. Mir ist es wurscht, ob ich 8 Jahre ins Gefängnis gehe. In die Waffe gehen 30 Schuss und es muss so sein wie ich es will!“,

b.       bis Ende Februar 2013 seinen Sohn R.J. durch die Äußerung, dass er dessen Großvater erschießen werde und auch eine Pistole im Auto versteckt habe;

A.II. Anfang März 2013 nachgenannte Personen durch gefährliche Drohung zu Handlungen bzw. Unterlassungen zu nötigen versucht, und zwar

a.       seinen Sohn R.J. durch die Äußerung „Wenn du wieder die Polizei anrufst, bringe ich dich eines Tages um!“, um ihn von einer weiteren Anzeigenerstattung gegen ihn abzuhalten;

b.       seine 8jährige Tochter R.J. durch die Äußerung „Wenn du dir nochmal die Nägel lackierst, werde ich dich schlagen oder dir gleich in den Kopf schießen. Egal wie alt du bist. Ich werde dir die Finger mit der Schere abschneiden! Wenn ich sehe, dass du bei der Hochzeit die Finger lackiert hast, dann verpasse ich dir und deinem Mann eine Kugel in den Kopf!“, um sie vom Lackieren ihrer Fingernägel abzuhalten.

A.III. Ende September bzw. Anfang Oktober 2011 seine Frau K.J., die damals im 6. Monat schwanger war, durch einen Faustschlag auf die Stirn, was eine blutende Wunde zur Folge hatte, vorsätzlich am Körper verletzt.

B. am XXXX .2013 in XXXX Dr. E.N., nachdem er ihn anrempelte und anspuckte, jeweils durch die Äußerung, er würde ihn umbringen, er werde keine ruhige Nacht mehr haben, er würde ihn eh kennen, gefährlich mit einer Verletzung am Körper bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Als mildernd wurden hiebei der Umstand, dass es teilweise beim Versuch blieb und der bisher ordentliche Lebenswandel, als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen gewertet.

2.       LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2015, in Rechtskraft erwachsen am XXXX .2015, wegen der Vergehen der Nötigung gemäß §§ 15, 105 (1) StGB und der gefährlichen Drohung gemäß § 107 (1) StGB, zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 9 Monaten sowie einer Geldstrafe im Ausmaß von 90 Tagessätzen zu je € 4,00,

Im besagtem Urteil wurde dem BF angelastet, er habe am XXXX .2015 in XXXX

a.       R.J. mit zumindest einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, indem er im Zuge eines Telefonats mit K.J. sagte, diese solle R. ausrichten, „wenn er ihn wieder treffen würde, würde er ihn verprügeln, er werde ihm eine Kugel in den Kopf verpassen“ um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen;

b.       versucht K.J. zur Unterlassung einer Anzeigeerstattung bei der Polizei zu nötigen, indem er ihr in einem Telefonat unter Bezugnahme auf die unter Punkt a. geschilderte Tathandlung ihr gegenüber äußerte „Ich bringe dich um, falls du den Vorfall der Polizei meldest“.

Als mildernd wurde der Versuch, als erschwerend eine einschlägige und auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Vorstrafe, dieselben Opfer wie bei der ersten Tat sowie das Zusammentreffen zweier Vergehen gewertet.

3.       BG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2016, in Rechtkraft erwachsen am XXXX .2016, wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 (1) StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 1 Monat.

Der BF wurde für schuldig befunden, er habe am XXXX .2016 in XXXX der E.B. vorsätzlich zwei Feuerzeuge gegen den Kopf geworfen, wodurch diese leichte Verletzungen, nämlich eine Rissquetschwunde im Bereich der Stirn und eine Schädelprellung erlitt, die E.B. somit vorsätzlich am Körper verletzt.

Als mildernd wurde die Zusammenarbeit mit der Bewährungshelferin, als erschwerend einschlägige Vorstrafen gewertet.

4.       LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2018, in Rechtskraft erwachsen am XXXX .2019, wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung gemäß § 107 (1) StGB sowie der Nötigung gemäß §§ 15, 105 (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten.

Darin wurde der BF für schuldig befunden, er habe in XXXX seine Lebensgefährtin J.D. durch die sinngemäße Äußerung, dass er ihr den Kopf abschneiden und sie umbringen werde,

a.       am XXXX .2017 mit zumindest einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, wobei er auch seine Faust an ihr Kinn hielt und eine Bewegung, als würde er schneiden, an seinem Hals durchführte;

b.       am XXXX .2017 durch gefährliche Drohung zu einer Unterlassung, nämlich das Haus nicht zu verlassen, zu nötigen versucht.

Als mildernd wurden der teilweise Versuch sowie psychische Probleme mit Behandlungsbedarf, als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Vergehen, drei einschlägige Vorstrafen sowie die Begehung innerhalb von zwei offenen Probezeiten gewertet.

Es wird festgestellt, dass der BF die besagten Straftaten begangen und die beschriebenen Verhaltensweisen gesetzt hat.

1.8. Der BF wurde von XXXX .2016 bis XXXX .2017 und XXXX .2019 bis XXXX .2020 in Justizanstalten in Österreich angehalten.

1.9. Von XXXX .2020 bis XXXX .2021 nahm der BF an einem eine Anti-Gewalt-Training teil, schloss dieses erfolgreich ab und wird aktuell seit Juli 2020 vom XXXX im Rahmen der gerichtlich angeordneten Bewährungshilfe betreut, welcher dem BF ein kooperatives Verhalten sowie eine positive Entwicklung attestiert.

1.10. Gegen den BF mussten wegen aggressiven Verhaltens gegen seine EX-Frau bzw. Ex-Lebensgefährtin wiederholt Betretungsverbote bzw. Wegweisungen, zuletzt am XXXX .2018, ausgesprochen werden und besteht gegen den BF ein Waffenverbot.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität (Namen und Geburtsdatum), Staatsangehörigkeit, Familienstand, Vaterschaft, Unterhaltspflichten und der bisherigen Vernachlässigung derselben sowie Obsorge, Geburt in BiH, Gesundheitszustand, Arbeitsfähigkeit, Beginn des Aufenthaltes in Österreich, Schulbesuch, Absolvierung einer Berufsausbildung im Herkunftsstaat, Erteilung der oben genannten Aufenthaltstitel, Ausstellung einer Anmeldebescheinigung, den wiederholten Wegweisungen, Waffenverbot, den familiären Bezugspunkten im Herkunftsstaat und in BiH, Liegenschaftsbesitz in BiH sowie den Kroatischkenntnissen des BF getroffen wurden, beruhen diese auf der in der angefochtenen Beschwerdevorentscheidung des BFA getroffenen Feststellungen – welche den unter Punkt I.5. der genannten Beschwerde erwähnten Ausführungen gleichzuhalten sind – und denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF samt den näheren Ausführungen sowie die Feststellung, dass der BF die besagten Straftaten begangen und die beschriebenen Verhaltensweisen gesetzt hat, beruhen auf dem Amtswissen des erkennenden Gerichts in Form der Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich sowie auf den jeweiligen Ausfertigungen der oben zitierten Strafurteile.

Die Erwerbstätigkeiten des BF in Österreich folgen dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden Sozialversicherungsauszuges, welchem zudem die wiederholten Bezüge sowie der aktuelle Erhalt von Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung entnommen werden können.

Die Anhaltungen des BF in Justizanstalten beruhen auf einer Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister. Diesem kann zudem entnommen werden, dass der BF beginnend mit 23.04.2001 Wohnsitzmeldungen in Österreich aufweist. Vor dem Hintergrund der wiederholten Erwerbsmeldungen des BF in Österreich und dem an sich schlüssigen Vorbringen, sich seit 1999 durchgehend im Bundesgebiet aufzuhalten, jedoch teils unangemeldet bei seiner Lebensgefährtin und einem Freund gewohnt zu haben sowie aufgrund – teils durch die Verurteilungen des BF bestätigten – Beziehungsproblemen, ohne sein Wissen von seiner Ex-Frau abgemeldet geworden zu sein, kann der Schluss gezogen werden, dass der BF sich trotz einzelner Wohnsitzmeldelücken jedenfalls durchgehend seit 23.04.2001 (= erste Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet) in Österreich aufhält.

Die Teilnahme an einem Anti-Gewalt-Training konnte der BF durch die Vorlage einer entsprechenden Bestätigung des XXXX nachweisen (siehe AS 591) und geht aus einer Stellungnahme desselben Vereins hervor, dass der BF von diesem im Rahmen der Bewährungshilfe betreut wird, das Gewalttraining erfolgreich abgeschlossen hat, sich kooperativ zeigt, gewillt ist, seinen Unterhaltspflichten nachzukommen, eine positive Entwicklung aufweist und regelmäßigen Kontakt zu seinen Kindern und deren Mutter pflegt. (siehe AS 593)

Ferner beruht die letzte gegen den BF ausgesprochene Wegweisung auf einer im Akt einliegenden Ausfertigung des entsprechenden Berichts der Polizeiinspektion XXXX zur Geschäftszahl XXXX , vom XXXX .2018 (siehe AS 639f).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Rechtliches:

Der mit „Beschwerdevorentscheidung“ betitelte § 14 VwGVG lautet:

„§ 14. (1) Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen (Beschwerdevorentscheidung). § 27 ist sinngemäß anzuwenden.

(2) Will die Behörde von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absehen, hat sie dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.

(Anm.: Abs. 3 aufgehoben durch Art. 5 Z 11, BGBl. I Nr. 138/2017)“

Der mit „Vorlageantrag“ betitelte § 15 VwGVG lautet:

„§ 15. (1) Jede Partei kann binnen zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag). Wird der Vorlageantrag von einer anderen Partei als dem Beschwerdeführer gestellt, hat er die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt (§ 9 Abs. 1 Z 3), und ein Begehren (§ 9 Abs. 1 Z 4) zu enthalten.

(2) Ein rechtzeitig eingebrachter und zulässiger Vorlageantrag hat aufschiebende Wirkung, wenn die Beschwerde

1.       von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung hatte und die Behörde diese nicht ausgeschlossen hat;

2.       von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hatte, die Behörde diese jedoch zuerkannt hat.

Die Behörde hat dem Verwaltungsgericht den Vorlageantrag und die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen und den sonstigen Parteien die Vorlage des Antrags mitzuteilen.

(3) Verspätete und unzulässige Vorlageanträge sind von der Behörde mit Bescheid zurückzuweisen. Wird gegen einen solchen Bescheid Beschwerde erhoben, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht unverzüglich die Akten des Verfahrens vorzulegen.“

3.1.1. Die Beschwerdevorentscheidung derogiert den Ausgangsbescheid, das Rechtsmittel, über welches das Verwaltungsgericht zu entscheiden hat, bleibt aber im Fall eines zulässigen Vorlageantrags die Beschwerde; der Vorlageantrag richtet sich nämlich (nur) darauf, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht vorgelegt wird (vgl. VwGH 09.09.2019, Ro 2016/08/0009).

Da sich die Beschwerde gegen den Ausgangsbescheid richtet (und sich ihre Begründung auf diesen beziehen muss), bleibt der Ausgangsbescheid auch Maßstab dafür, ob die Beschwerde berechtigt ist oder nicht. Aufgehoben, abgeändert oder bestätigt werden kann aber nur die - außer in Fällen einer Zurückweisung der Beschwerde - an die Stelle des Ausgangsbescheides getretene Beschwerdevorentscheidung. (vgl. VwGH 09.09.2019, Ro 2016/08/0009)

Gegenstand der Prüfung auf eine Verletzung des Vorlageantragstellers ist nicht der ursprüngliche Bescheid, sondern die Beschwerdevorentscheidung (vgl. VwGH 17.12.2015, Ro 2015/08/0026 und. VwGH 27.02.2019, Ra 2018/10/0052).

„Ist die Beschwerde gegen den Ausgangsbescheid berechtigt, so ist sie vom Verwaltungsgericht stattzugeben: Eine Beschwerdevorentscheidung, die der Beschwerde ebenfalls im gebotenen Umfang stattgegeben hat und den Ausgangsbescheid im Rahmen des durch die Beschwerde abgesteckten Verfahrensgegenstandes rechtskonform abgeändert ober behoben hat, ist zu bestätigen, eine rechtswidrige – den Ausgangsbescheid entweder bestätigende oder in rechtswidriger (etwa nicht weit genug gehender Weise) abändernde – Beschwerdevorentscheidung ist ihrerseits abzuändern (das heißt: durch ein rechtmäßiges Erkenntnis zu ersetzten) oder gegebenenfalls – wenn eine Entscheidung in der betreffenden Sache gar nicht hätte ergehen dürfen – ersatzlos zu beheben (Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11 (2019) Rn 774 Ziffer 2).

3.1.2. Dem RV des BF wurde die gegenständliche Beschwerdevorentscheidung am 10.05.2021 zugestellt und wurde der gegenständliche Vorlageantrag am 25.05.2021, sohin – unter Berücksichtigung das der 24.05.2021 ein Feiertag war (siehe dazu §§ 32 Abs. 2 und 33 Abs. 2 AVG iVm. § 19 VwGVG) – rechtszeitig beim BFA eingebracht.

3.2. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.2.1.  Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jener der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger, jener Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.

Der BF als Staatsangehöriger von Kroatien ist sohin EWR-Bürger iSd. § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

3.2.2. Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG lautet:

„§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 FPG lautet:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet:

„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.       in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2.       für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3.       als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.
(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1.       wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4.       eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.
(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet wie folgt:

„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1.       Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2.       Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3.       durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1.       zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2.       sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3.       drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1.       sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2.       der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3.       der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“

3.2.3. Der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA war aus folgenden Gründen stattzugeben:

Der BF hält sich seit 23.04.2001 durchgehend in Österreich auf, wo er wiederholt Erwerbstätigkeiten ausübte und seine Kinder leben. Dem BF wurden wiederholt Niederlassungsbewilligungen sowie am 08.07.2008 ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EG“ erteilt. Seit19.07.2013 ist der BF zudem im Besitz einer Anmeldebescheinigung.

Der BF hielt sich vom Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung des BFA zurückgerechnet mehr als 10 Jahre durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet auf (vgl. EuGH 16.01.2014, C-400/12), bzw. wies bereits vor seiner ersten Verurteilung im Jahr 2013 einen mehr als 10jährigen durchgehenden Aufenthalt in Österreich auf (vgl. EuGH 17.04.2018, C-316/16 und C-424/16, Rn. 71: hinsichtlich der Beachtlichkeit von Aufenthaltszeiten vor der entscheidungsrelevanten Verurteilung). Es ist daher selbst unter Berücksichtigung der in den letzten 10 Jahren gelegenen Verurteilungen und Inhaftierungen des BF vor dem Hintergrund seiner durch seinen langen Aufenthalt und den familiären Bezugspunkten im Bundesgebiet geprägten Verbundenheit zu Österreich, davon auszugehen, dass kein – einer Aufenthaltsunterbrechung gleichkommender – Integrationsabbruch erfolgt ist (vgl. EuGH 17.04.2018, C-316/16 und C-424/16, Rn. 72) und gegenständlich der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 5. Satz FPG zur Anwendung gelangt.

Nicht jede Inhaftierung bewirkt nach Meinung des EuGH eine aufenthaltsunterbrechende Wirkung. Vielmehr hält dieser in seiner Entscheidung (vgl. EuGH 16.01.2014, C-378/12) fest, dass Zeiträume der Strafhaft die Kontinuität des für die Gewährung des verstärkten Schutzes erforderlichen Aufenthalts grundsätzlich unterbrechen. Er weist allerdings darauf hin, dass zur Klärung der Frage, inwieweit die Diskontinuität des Aufenthalts den Betroffenen daran hindert, in den Genuss des verstärkten Schutzes zu kommen, eine umfassende Beurteilung seiner Situation vorzunehmen ist. Bei dieser umfassenden Beurteilung, die geboten ist, um zu bestimmen, ob die Integrationsverbindungen zwischen dem Betroffenen und dem Aufnahmemitgliedsstaat abgerissen sind, können die nationalen Behörden die relevanten Umstande der Freiheitsstrafe berücksichtigen. Ebenso können sie im Rahmen dieser umfassenden Beurteilung berücksichtigen, dass sich die betroffene Person, hier der BF, in den zehn Jahren vor der Verbüßung seiner Freiheitsstrafe im Aufnahmemitgliedsstaat, aufgehalten hat. Wie bereits angeführt, ist der BF seit April 2001 in Österreich aufhältig. Er ging wiederholt Erwerbstätigkeiten in Österreich nach und ist Vater von 5 in Österreich lebenden Kindern. Der Lebensmittelpunkt des BF liegt seit 2001 durchgehend in Österreich. Eine Gesamtbetrachtung aller Umstände ergibt, dass gegenständlich der Aufenthalt des BF während seiner beiden Haftaufenthalte nicht als unterbrochen gilt.

Im Lichte der Judikatur des EuGH, wonach der jeweilige Integrationsgrad eines EWR-Bürgers, welcher unter anderem mit der Aufenthaltsdauer im besagten Mitgliedsstaat korreliert, einen maßgeblichen Faktor bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung darstellt und sich letztlich im System der abgestuften Gefährdungsmaßstäbe widerspiegelt, (vgl. EuGH 17.04.2018, C-316/16 und C-424/16) kann es – unter Berücksichtigung, dass Kroatien erst im Jahr 2013 Mitglied der EU wurde – nämlich nicht darauf ankommen, ob die geforderte Integration in Zeiten eines unionsrechtlichen oder nationalstaatlichen (Fremden-) Rechtsregimes rechtmäßig und durchgehend erworben wurde.

Da vom BF, der aufgrund seiner kroatischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 FPG fällt, somit die Voraussetzung eines durchgehenden rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet seit mehr als 10 Jahren erfüllt ist, kommt für diesen der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 5. Satz FPG für Unionsbürger zu Anwendung.

3.2.4. Vorab ist unter Verweis auf das Judikat des VwGH vom 29.09.2020, Ra 2020/21/0196 festzuhalten, dass eine Ausweisung als Teil eines Aufenthaltsverbotes, das aus einer Ausreiseverpflichtung und der Verpflichtung besteht, innerhalb des festgelegten Zeitraums (oder auf Dauer) nicht zurückzukehren, gegenüber einem Aufenthaltsverbot nicht ein Aliud, sondern ein Minus darstellt. Die Verneinung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegenüber dem Fremden zieht somit die Prüfung des Vorliegens der Tatbestandserfordernisse für die Erlassung einer (von der erstinstanzlichen Entscheidung des BFA umfassten) Ausweisung nach § 66 FrPolG 2005 nach sich. Eine allenfalls ersatzlose Behebung eines auf § 67 FrPolG 2005 gestützten Aufenthaltsverbotes (ohne weitere Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung nach § 66 FrPolG 2005 und damit ohne vollständige Erledigung des Gegenstandes des Beschwerdeverfahrens) widerspräche demzufolge der Rechtslage(vgl. VwGH 29.09.2020, Ra 2020/21/0196).

Gegen den BF als grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots sohin gemäß § 67 Abs. 1 5. Satz FPG – oder einer allenfalls ebenfalls zu prüfenden Ausweisung gemäß § 66 Abs. 3 FPG (vgl. VwGH 29.09.2020, Ra 2020/21/0196) – nur zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

„Mit § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG soll nämlich Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38 EG ("Freizügigkeitsrichtlinie" ; siehe § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der Gerichtshof der Europäischen Union bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (siehe VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0248, Rn 6, mit dem Hinweis auf EuGH (Große Kammer) 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff, und daran anknüpfend EuGH (Große Kammer) 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegender Merkmale" bedarf).“ (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091)

„Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. - noch zu § 86 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011, der Vorgängerbestimmung des § 67 FPG - etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, und vom 21. Februar 2013, Zl. 2012/23/0042, mwN).“ (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039)

Zudem gilt es festzuhalten, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096) und es bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes/Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung geht. (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

Die Bestimmungen der § 67 Abs. 1 und 2 FrPolG 2005 und § 66 Abs. 1 FrPolG 2005, beide idF FrÄG 2011, sind vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/38/EG - Freizügigkeitsrichtlinie, deren Umsetzung sie dienen, zu verstehen. Demnach sind sie in ihrem Zusammenspiel dahin auszulegen, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der genannten Richtlinie entspricht, heranzuziehen ist (Hinweis E 13. Dezember 2012, 2012/21/0181; E 12. März 2013, 2012/18/0228). Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011. (vgl. VwGH 22.01.2014, 2013/21/0135)

3.2.5. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie sie eine Ausweisung eines Fremden darstellt, kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die Ausweisung einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt:

Die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, insbesondere die gegenständlichen Rückkehrentscheidung, setzt nach § 9 Abs. 1 BFA-VG unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (vgl. VwGH vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101).

Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

•        die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

•        das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

•        die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

•        den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

•        die Bindungen zum Heimatstaat,

•        die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

•        auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).

„Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens iSd Art. 8 MRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 MRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. E 12. November 2015, Ra 2015/21/0101).“ (vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120)

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 MRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2015/22/0025; E 19. November 2014, 2013/22/0270). Auch in Fällen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag, hat der VwGH eine entsprechende Berücksichtigung dieser langen Aufenthaltsdauer gefordert (vgl. E 16. Dezember 2014, 2012/22/0169; E 9. September 2014, 2013/22/0247; E 30. Juli 2014, 2013/22/0226). Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082). (Vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120

Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082). (Vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120

„Nach § 66 Abs. 2 FrPolG 2005 und § 9 BFA-VG 2014 ist bei Erlassung einer auf § 66 FrPolG 2005 gestützten Ausweisung eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des EWR-Bürgers mit dessen Interesse an einem Verbleib in Österreich vorzunehmen, bei der insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter, der Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage, die soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß der Bindungen zum Heimatstaat sowie die Frage der strafgerichtlichen Unbescholtenheit zu berücksichtigen sind.“ (VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0049)

„Es trifft zwar zu, dass im Rahmen einer Interessenabwägung nach Art. 8 MRK bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden in der Regel von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist (vgl. VwGH 1.2.2019, Ra 2019/01/0027, mwN). Diese Rechtsprechung betraf allerdings nur Konstellationen, in denen sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab. Die "Zehn-Jahres-Grenze" spielte in der bisherigen Judikatur nur dann eine Rolle, wenn einem Fremden kein - massives - strafrechtliches Fehlverhalten vorzuwerfen war (vgl. VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001, mwN; VwGH 28.02.2019, Ra 2018/01/0409).

3.2.6. Der BF wurde unbestritten wiederholt wegen der Vergehen der Körperverletzung, Nötigung und gefährlichen Drohung, zuletzt am XXXX .2018 verurteilt. Das vom BF gezeigte Verhalten lässt auf das Vorliegen einer hohen Gewaltbereitschaft und niedrigen Hemmschwelle schließen. Es steht völlig außer Zweifel, dass das vom BF wiederholt gezeigte Verhalten ein Fehlen einer Verbundenheit zu rechtsstaatlich geschützten Werten sowie Interessen und Rechten andere erkennen lässt und eine schwerwiegende Beeinträchtigung öffentlicher Interessen darstellt.

So hat der VwGH wiederholt festgehalten, dass ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung von Eigentums- und Gewaltdelikten (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474) vorherrscht.

Trotz zu attestierender schwerwiegender Gefährdung öffentlicher Interessen erreicht das Verhalten des BF dennoch nicht das gegenständlich geforderte Maß der besonderen Schwere im Sinne einer nachhaltigen und maßgeblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit iSd. § 67 Abs. 1, 5. Satz FPG. Weder hat der BF ein Delikt iSd. § 53 Abs. 3 Z 6,7 und 8 FPG verwirklicht, noch kann in dem vom BF gesetzten Verhalten ein, mit beispielsweise grenzüberschreitendem bandenmäßigen Suchtmittelhandel oder Vergewaltigung vergleichbarer, die öffentliche Sicherheit gefährdender Sachverhalt erkannt werden, wenngleich das Verwaltungsgericht dabei keinesfalls verkennt, dass Straftaten gegen die Freiheit und die körperliche Unversehrtheit von Menschen, insbesondere vor dem Hintergrund wiederholt gezeigter Gewaltbereitschaft und Gesetzesmissachtungen, schwer wiegen. Der BF wurde jedoch nie wegen eines Verbrechens, sondern immer wieder wegen Vergehen zu teils bedingten Freiheitsstrafen verurteilt, wobei die unbedingten Freiheitsstrafen des BF ein Ausmaß von insgesamt 9 Monaten (1 + 8 Monate) erreichen und als eher gering angesehen werden können.

Unbeschadet dessen gilt es zu berücksichtigen, dass der BF sich seit mittlerweile 20 Jahren durchgehend in Österreich aufhält, wiederholt Erwerbstätigkeiten nachgegangen ist und über familiäre Anknüpfungspunkte in Form von Kindern in Österreich verfügt. Ferner hat der BF ein Anti-Gewalt-Training erfolgreich absolviert und wird ihm von Seiten seines Bewährungshelfers eine positive Entwicklung attestiert. Letztlich liegt die jüngste Straftat des BF mittlerweile 3 Jahre und 11 Monate zurück und hat sich der BF seither nichts mehr zu Schulden kommen lassen.

Nach Beurteilung aller für und wider den BF sprechenden Momente und erfolgter Abwägung der einander wiederstreitenden öffentlichen und privaten Interessen iSd. Art 8 EMRK, kommt das Gericht letztlich zum Schluss, dass sich der Ausspruch einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen den BF nicht nur mangels maßgeblicher Gefährdung öffentlicher Interessen iSd. §§ 67 Abs. 1 5. Satz und 66 Abs. 3 FPG, sondern insbesondere auch aufgrund eines Überwiegens der persönlichen Interessen des BF, im konkreten Fall als nicht zulässig erweist.

Demzufolge war der Beschwerde stattzugeben und die angefochtene Beschwerdevorentscheidung ersatzlos aufzuheben.

3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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