TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/5 G314 2236213-9

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.07.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

05.07.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
VwGVG §35

Spruch


G314 2236213-9/10E

Schriftliche Ausfertigung des am 25.06.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Afghanistan, in Schubhaft (BFA-Zl. XXXX ) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)       Es wird gemäß § 22 a Abs 4 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft nicht verhältnismäßig ist.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

XXXX (im Folgenden als Beschwerdeführer, kurz BF, bezeichnet), ein volljähriger Staatsangehöriger Afghanistans, wurde ab XXXX .2020 in Schubhaft angehalten. Diese war ursprünglich zur Sicherung des Verfahrens über seinen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme angeordnet worden.

Mit dem am XXXX .2020 mündlich verkündeten und am XXXX .2020 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) wurde seine Beschwerde gegen die Anordnung der Schubhaft und die bisherige Anhaltung als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen (GZ G312 2236213-1).

In der Folge stellte das BVwG bei amtswegigen Schubhaftprüfungen gemäß § 22a Abs 4 BFA-VG mit den Erkenntnissen vom 26.01.2021 zu GZ G308 2236213-2, vom 11.03.2021 (mündlich verkündet am 24.02.2021) zu GZ G301 2236213-3 und vom 23.03.2021 zu GZ G312 2236213-4 fest, dass jeweils zum Entscheidungszeitpunkt die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig sei.

Mit dem am 15.04.2021 mündlich verkündeten und am 19.05.2021 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis des BVwG wurde die Beschwerde des BF gegen die weitere Anhaltung in Schubhaft als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen (GZ G312 2236213-5).

Bei den folgenden amtswegigen Schubhaftprüfungen gemäß § 22a Abs 4 BFA-VG stellte das BVwG mit dem am 07.05.2021 mündlich verkündeten und am 25.05.2021 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis zu GZ G306 2236213-7 und mit dem Erkenntnis vom 01.06.2021 zu GZ G312 2236213-8, das den Parteien noch am selben Tag zugestellt wurde, jeweils fest, dass zum Entscheidungszeitpunkt die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig sei.

Mit Schreiben vom 21.06.2021 bat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das BVwG unter Darlegung der Gründe, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig sei, um eine weitere Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Anhaltung des BF in Schubhaft gemäß § 22a Abs 4 BFA-VG.

Das BVwG führte daraufhin am 25.06.2021 eine mündliche Verhandlung durch, an der BF, ein Dolmetscher für Dari und Farsi sowie ein Vertreter des BFA teilnahmen. In der Verhandlung brachte der Behördenvertreter vor, dass die Schubhaftdauer sechs Monate überschreiten dürfe, weil die Voraussetzungen des § 80 Abs 4 FPG erfüllt seien. Das Asylbeschwerdeverfahren habe - auch aufgrund von Verzögerungen, die auf das Verhalten des BF (der etwa den ersten Termin für die Begutachtung durch die vom Gericht bestellte Sachverständige nicht wahrgenommen habe) zurückzuführen seien – überdurchschnittlich lange gedauert. Außerdem habe der BF durch die mangelnde Mitwirkung am Verfahren und seinen Hungerstreik in der Zeit von XXXX .2021 und XXXX .2021 versucht, das Verfahren und seine Abschiebung zu verzögern.

Nach dem Schluss der Verhandlung wurde das Erkenntnis mündlich verkündet.

Das BFA beantragte am 28.06.2021 die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.

Feststellungen:

Der BF beantragte am XXXX .2016 in Österreich internationalen Schutz. Seine Muttersprache ist Dari.

Mit dem seit XXXX rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , wurde er wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (§ 27 Abs 2a zweiter Fall SMG, § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG) zu einer sechsmonatigen, zunächst bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt, die im September 2020 endgültig nachgesehen wurde.

Mit dem Bescheid des BFA vom XXXX .2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ihm kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Gleichzeitig wurde einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt und keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Außerdem wurde gegen den BF ein mit fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und ausgesprochen, dass er sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab XXXX .2017 verloren habe.

Mit dem Erkenntnis vom 22.01.2018 zu GZ W104 2182868-1 gab das BVwG der vom BF gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde nur insoweit Folge, als das Einreiseverbot ersatzlos behoben wurde; im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der VfGH erkannte der vom BF dagegen erhobenen Beschwerde mit dem Beschluss vom XXXX die aufschiebende Wirkung zu und hob die Entscheidung des BVwG mit seinem Erkenntnis vom XXXX auf (GZ XXXX ).

Daraufhin erkannte das BVwG der Beschwerde mit dem Beschluss vom 01.04.2019 gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zu. Mit Beschluss vom 04.04.2019 stellte es das Asylverfahren gemäß § 24 AsylG wegen des unbekannten Aufenthalts des BF ein. Er hatte das Bundesgebiet im XXXX 2018 verlassen und am XXXX .2018 in Frankreich internationalen Schutz beantragt. In der Folge war er nach Deutschland weitergereist, wo er am XXXX .2019 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte. Ab XXXX 2020 hielt er sich wieder in Österreich auf.

Nachdem es von der Anhaltung des BF in Schubhaft seit XXXX .2020 verständigt worden war, setzte das BVwG das Asylverfahren fort und führte am 04.12.2020 eine mündliche Verhandlung durch, bei der der BF vernommen wurde. Aufgrund seines Antrags wurde am XXXX .2020 eine psychiatrische Sachverständige zur Abklärung seines psychischen Gesundheitszustandes bestellt.

Es kann nicht festgestellt werden, warum die ursprünglich für den 26.01.2021 angesetzte Untersuchung des BF durch die Sachverständige nicht durchgeführt wurde. Am XXXX .2021 erstattete die Sachverständige ein Gutachten, nachdem sie den BF am XXXX .2021 psychiatrisch untersucht hatte.

Während der Schubhaft verhielt sich der BF zuweilen unkooperativ und aggressiv, so am XXXX .2020, am XXXX .2021 und am XXXX .2021. Mit dem Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , wurde er aufgrund einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem Mithäftling am XXXX .201 wegen des Vergehens der Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) zu einer fünfmonatigen, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt.

Nachdem das BVwG nach dem Einlangen des Sachverständigengutachtens noch aktuelle Informationen zur Lage in Afghanistan in das Verfahren eingebracht und ergänzende Stellungnahmen der Parteien eingeholt hatte, gab es der Beschwerde des BF gegen den Bescheid vom XXXX .2017 mit dem Erkenntnis vom 25.05.2021, das den Parteien am selben Tag zugestellt wurde, nur insoweit Folge, als es die Dauer des Einreiseverbots auf drei Jahre reduzierte; im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Am XXXX .2020 wurde der BF in XXXX wegen Fremdgefährdung in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Nach seiner Entlassung am XXXX .2020 wurde er festgenommen; seither wird er in Schubhaft angehalten, die zunächst im Polizeianhaltezentrum (PAZ) XXXX vollzogen wurde. Ab XXXX .2020 wurde die Schubhaft im Anhaltezentrum (AHZ) XXXX vollzogen. Zwischen XXXX .2020 und XXXX .2020 wurde er für die Teilnahme an der Verhandlung vor dem BVwG vorübergehend im PAZ XXXX angehalten. Zwischen XXXX .2021 und XXXX .2021 wurde er für die Untersuchung durch die Sachverständige vorübergehend im PAZ XXXX angehalten.

Am XXXX .2021 trat der BF in den Hungerstreik, was er mit der schlechten, für ihn unverträglichen Qualität des Essens im AHZ XXXX begründete. Am XXXX .2021 wurde er in das PAZ XXXX überstellt, weil sich sein Gesundheitszustand verschlechtert hatte, sodass er nicht mehr im AHZ XXXX angehalten werden konnte. Am XXXX .2021 beendete der BF den Hungerstreik freiwillig.

Da für den BF eine Tazkira vorliegt, kann für ihn jederzeit ein Ersatzreisedokument für die Rückführung nach Afghanistan ausgestellt werden.

Derzeit sind keine Einzelabschiebungen nach Afghanistan möglich. Es ist geplant, den BF im Rahmen der nächsten Sammelabschiebung mit einem eigens dafür gecharterten Flugzeug („Charterabschiebung“) nach Afghanistan, die voraussichtlich im XXXX 2021 durchgeführt werden wird, in seinen Herkunftsstaat zurückzuführen. Die letzte Charterabschiebung nach Afghanistan wurde am XXXX .2021 durchgeführt. Der BF konnte bei diesem Termin nicht abgeschoben werden, weil die Anmeldefrist schon am XXXX .2021 (und somit vor Erlassung der Beschwerdeentscheidung des BVwG) geendet hatte.

Der BF ist haftfähig. Bei ihm besteht der Verdacht auf eine psychische Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis, die sein Einsichts-, Urteils- Planungs- und Umsetzungsvermögen beeinträchtigt, aber weder lebensbedrohlich ist noch ihn daran hindert, sich mit entsprechender Unterstützung selbst zu erhalten. Er ist nicht krankheitseinsichtig und unterzieht sich nicht der empfohlenen medikamentösen Therapie mit einem Antipsychotikum. Er hat keine weiteren schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme. Die psychische Erkrankung kann in Afghanistan behandelt werden. Die dort lebenden Familienangehörigen des BF (Eltern und Geschwister) können ihn unterstützen und sind auch wirtschaftlich in der Lage, die benötigte medizinische Behandlung finanzieren.

De BF hielt sich von XXXX 2016 bis XXXX 2018 in Österreich auf, wo er einen Deutschkurs besuchte, rudimentäre Deutschkenntnisse erwarb, soziale Kontakte (hauptsächlich zu in Österreich lebenden afghanischen Staatsangehörigen) knüpfte und Leistungen der staatlichen Grundversorgung bezog. Er war in Österreich weder erwerbstätig noch in einem Verein aktiv, engagierte sich nicht ehrenamtlich und hat hier auch keine familiären Anknüpfungen. Zwischen XXXX 2018 und XXXX 2020 hielt er sich in Frankreich bzw. Deutschland auf. Im XXXX 2020 kehrte er in das Bundesgebiet zurück, ohne sich bei den Behörden zu melden. Er hat kaum eigene finanzielle Mittel. Er ist nicht bereit, freiwillig nach Afghanistan zurückzukehren.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen basieren auf der Stellungnahme des BFA vom 21.06.2021, dem Inhalt der den BF betreffenden Gerichtsakten des BVwG und der durchgeführten Registerabfragen (Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung, Zentrales Melderegister ZMR, GVS-Betreuungsinformationssystem, Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister IZR, Strafregister).

Der BF machte sowohl im Asylverfahren als auch in den Schubhaft(beschwerde)verfahren konsistente Angaben zu seiner Identität (Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit) und zu seiner Muttersprache. Auch aufgrund der im Asylverfahren vorgelegten Tazkira steht fest, dass er volljährig ist.

Der Antrag des BF auf internationalen Schutz geht aus dem IZR hervor. Der Gang des Asylverfahrens ist anhand der Akten des BVwG zu GZ W 104 2182868-1 nachvollziehbar und wird insbesondere im Erkenntnis des BVwG vom 25.05.2021 wiedergegeben.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF ergeben sich aus dem Strafregister; die Tat vom XXXX .2021 ist auch in der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung dokumentiert.

Der Antrag des BF auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens, der Bestellungsbeschluss vom XXXX .2020 (aus dem die Anordnung einer für den 26.01.2021 angeordneten Untersuchung durch die Sachverständige hervorgeht), die letztlich am XXXX .201 duchgeführte Untersuchung und das Gutachten vom XXXX .2021 gehen aus dem Akten des BVwG zu GZ W 104 2182868-1 hervor. Es ist nicht ersichtlich, warum die Untersuchung am 26.01.2021 nicht durchgeführt wurde. Insbesondere gibt es keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass das Scheitern dieses Termins auf ein Verhalten des BF zurückzuführen war (was der Behördenvertreter bei der Verhandlung am 25.06.2021 behauptete), zumal der BF damals bereits in Schubhaft war und aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung weder eine Überstellung nach XXXX noch eine Ausführung zu der Sachverständigen im Jänner 2021 ersichtlich sind.

Die Feststellungen zum unkooperativen und aggressiven Verhalten des BF während der Schubhaft basieren auf entsprechenden Eintragungen in der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung. Auch die Verurteilung wegen einer während der Schubhaft begangenen Körperverletzung, die Schlussfolgerung der psychiatrischen Sachverständigen („Andernfalls ist zu befürchten, dass [der BF] seine Lebenssituation durch unleidliches Verhalten und paralogische Angaben weiterhin verschlechtern würde“) und das Verhalten des BF bei Gerichtsverhandlungen (siehe insbesondere den Aktenvermerk vom 11.05.2021 zu GZ G306 2236213-7) fügen sich in dieses Bild.

Die Feststellungen zum Vollzug der Schubhaft basieren auf der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung sowie auf den Schreiben des BFA und der Landespolizeidirektion XXXX OZ 3, 4 und 5. Der Hungerstreik geht aus diesen Mitteilungen hervor, seine Beendigung am XXXX .2021 wurde vom Behördenvertreter in der Verhandlung vom 25.06.2021 bekannt gegeben. Dies steht im Einklang damit, dass der BF (entgegen den Ankündigungen von BFA und Polizei) doch zu dieser Verhandlung vorgeführt werden konnte und dort angab, gesund zu sein. Die vom BF für den Hungerstreik angegebenen Gründe gehen aus der Niederschrift vom 25.06.2021 hervor.

Die Feststellung, dass für den BF jederzeit ein Heimreisezertifikat ausgestellt werden kann, beruht auf der Stellungnahme des BFA vom 21.06.2021, ebenso die Feststellungen zu der für XXXX 2021 geplanten Rückführung des BF im Rahmen einer Charterabschiebung.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF basieren auf seinen Angaben am 25.06.2021 in Zusammenschau mit der Beendigung des Hungerstreiks sowie auf dem psychiatrischen Sachverständigengutachten vom XXXX .2021. Die Behandelbarkeit der psychischen Erkrankung in Afghanistan und die mögliche Unterstützung des BF durch seine Herkunftsfamilie ergeben sich aus dem Erkenntnis des BVwG vom 25.05.2021.

Die (fehlende) soziale Verankerung des BF in Österreich geht übereinstimmend aus diesem Erkenntnis sowie den Entscheidungen des BVwG über die Schubhaftbeschwerden bzw. bei amtswegigen Schubhaftprüfungen hervor. Laut GVS-Betreuungsinformationssystem bezog er zwischen XXXX 2016 und XXXX 2018 Grundversorgungsleistungen. Laut ZMR war er zwischen der amtlichen Abmeldung von seinem bisherigen Wohnsitz am XXXX .2018 und der Festnahme am XXXX .2020 in Österreich nicht gemeldet. Laut Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung hat er Barmittel von EUR 152,12; weitere finanzielle Mittel gehen aus den Akten nicht hervor. Der BF hat in diesem Verfahren und in den vorangegangenen Verfahren vor dem BVwG, in denen seine Anhaltung in Schubhaft überprüft wurde, deutlich gemacht, dass er nicht freiwillig nach Afghanistan zurückkehren wird.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Der BF ist seit XXXX .2020 und damit schon länger als acht Monate durchgehend in Schubhaft. Gemäß § 22a Abs 4 BFA-VG ist die Verhältnismäßigkeit seiner Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom BVwG zu überprüfen. Das BVwG hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Da die letzte Entscheidung über die Schubhaftprüfung am 01.06.2021 erlassen wurde, erfolgt die nunmehrige gerichtliche Schubhaftprüfung innerhalb des dafür zur Verfügung stehenden Zeitraums (22.06.2021 bis 29.06.2021).

Da der BF in Österreich nicht sozial verankert und auch nicht ausreisewillig ist, während seines Asylverfahrens nach Frankreich und weiter nach Deutschland reiste und nach seiner Rückkehr in das Bundesgebiet nicht mit den hiesigen Behörden in Kontakt trat, ist nach wie vor Fluchtgefahr iSd § 76 Abs 3 FPG anzunehmen, zumal aufgrund seiner Straffälligkeit ein erhöhtes öffentliches Interesse an einer baldigen Durchsetzung der Abschiebung iSd § 76 Abs 2a FPG besteht.

§ 80 FPG mit der Überschrift „Dauer der Schubhaft“ lautet:

(1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

1.       drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;

2.       sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil

1.       die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2.       eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3.       der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder

4.       die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.

Die zunächst zur Verfahrenssicherung gemäß § 76 Abs 2 Z 1 FPG angeordnete Schubhaft durfte nach dem ersten Satz des § 80 Abs 5 FPG höchstens zehn Monate andauern. Bevor diese Höchstfrist erreicht wurde, wurde gegen den BF eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen, sodass die Schubhaft von da an der Sicherung der Abschiebung diente. Da sie über den Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme hinaus aufrechterhalten wurde, ist die bisherige Dauer der Schubhaft gemäß § 80 Abs 5 letzter Satz FPG auf die jeweils maßgebliche Höchstdauer nach § 80 Abs 2 oder Abs 4 FPG anzurechnen.

Die Schubhaft gegen den BF darf nur dann länger als sechs Monate andauern, wenn er deshalb noch nicht abgeschoben werden konnte, weil eine der Voraussetzungen des § 80 Abs 4 Z 1 bis 4 FPG vorliegt. Hier scheiterte die Abschiebung des BF nicht daran, dass eine dieser Voraussetzungen erfüllt ist, sondern vielmehr daran, dass er aus organisatorischen Gründen nicht im Rahmen der am XXXX .2021 durchgeführten Charterabschiebung nach Afghanistans rückgeführt werden konnte und die nächste Abschiebung nach Afghanistan voraussichtlich erst im XXXX 2021 stattfinden wird.

Die Voraussetzungen des § 80 Abs 4 Z 1 und 2 FPG liegen nicht vor, weil Identität und Staatsangehörigkeit des BF geklärt sind und für ihn jederzeit ein Reisedokument (Heimreisezertifikat) für die Abschiebung nach Afghanistan ausgestellt werden kann. Der Umstand, dass das Reisedokument noch nicht vorliegt, führt zu keiner anderen Beurteilung, weil die Ausstellung jederzeit möglich ist. Angesichts der Verpflichtung des BFA, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert (siehe § 80 Abs 1 erster Satz FPG) ist ein jederzeit ausstellbares Reisedokument einem bereits vorliegenden Reisedokument gleichzuhalten, zumal das BFA in solchen Fällen die Schubhaft sonst willkürlich auf 18 Monate ausdehnen könnte. Das Nichtvorliegen eines Reisedokuments ist – wie oben dargelegt – nicht der Grund dafür, dass der BF bislang noch nicht abgeschoben werden konnte, sondern der Umstand, dass keine Einzelrückführungen nach Afghanistan durchgeführt werden und die organisatorischen Voraussetzungen für die Teilnahme des BF an der Charterabschiebung am XXXX .2021 nicht erfüllt waren.

Der BF hat sich auch nicht iSd § 80 Abs 4 Z 3 FPG der Zwangsgewalt (§ 13 FPG) widersetzt. Der Tatbestand des § 80 Abs 4 Z 4 FPG ist ebenfalls nicht erfüllt, weil Voraussetzung dafür ist, dass er bei der Durchführung der Abschiebung nicht kooperiert hat und diese deshalb wahrscheinlich länger dauern wird als vorgesehen. Das Verhalten muss demnach kausal für die sechs Monate übersteigende Schubhaftdauer sein. Da hier bereits Mitte XXXX 2021 feststand, dass der BF nicht mehr für die Charterabschiebung am XXXX .2021 angemeldet werden kann und daher erst beim nächsten, für XXXX 2021 geplanten Termin abgeschoben werden kann, war sein Hungerstreik zwischen XXXX .201 und XXXX .201 nicht kausal eine Verzögerung der Abschiebung.

Da keine der Voraussetzungen des § 80 Abs 4 FPG vorliegt, beträgt die maximale Schubhaftdauer gemäß § 80 Abs 2 Z 2 FPG sechs Monate. Die zum Zeitpunkt dieser Entscheidung bereits mehr als acht Monate andauernde Schubhaft gegen den BF kann daher nicht weiter fortgesetzt werden.

Zu Spruchteil B):

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG bei Beurteilung der Frage der zulässigen Schubhafthöchstdauer im Rahmen der Rechtsprechung des VwGH zu § 80 FPG halten konnte (siehe insbesondere VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0404) und keine weiteren Rechtsfragen von über den Einzelfall hinausgehender grundsätzlicher Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen waren.

Schlagworte

Aufhebung Dauer der Maßnahme mangelnder Anknüpfungspunkt Schubhaft Schubhaftbeschwerde Schubhaftverfahren strafrechtliche Verurteilung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G314.2236213.9.00

Im RIS seit

04.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten