TE Bvwg Beschluss 2021/7/13 G315 2243543-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.07.2021
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Entscheidungsdatum

13.07.2021

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §28 Abs3

Spruch


G315 2243543-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M., als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Polen, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.05.2021, Zl. XXXX :

A)       In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Begründung:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge auch kurz „BF“ genannt) ist polnischer Staatsangehöriger.

2. Am 07.12.2009 wurde der BF im Bundesgebiet wegen des Verdachts nach §§ 83, 125 StGB, am 17.02.2012 wegen des Verdachts nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB, am 03.05.2012 wegen des Verdachts nach § 83 StGB, am 26.06.2012 neuerlich wegen des Verdachts nach §§ 83, 125 StGB, am 05.09.2012 wegen des Verdachts nach § 83 StGB und am 05.04.2013 wegen des Verdachts nach § 106 StGB angezeigt.

3. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 16.04.2013, XXXX , rechtskräftig am 20.04.2013, wurde der BF wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB sowie der Sachbeschädigung gemäß § 125 StGB (Datum der (letzten) Tat am 17.06.2012) zu einer Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je EUR 4,00 (gesamt EUR 240,00) und im Uneinbringlichkeitsfalle zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Tagen verurteilt.

4. Am 23.05.2013 wurde der BF wegen des Verdachts nach § 105 StGB und am 12.09.2013 wegen des Verdachts nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB neuerlich angezeigt.

5. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 13.03.2018, XXXX , rechtskräftig am 17.03.2018, wurde der BF wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht gemäß § 198 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens des Diebstahls gemäß § 127 StGB zu einer bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren ausgesetzten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

6. Mit Verständigung von der Anklageerhebung vom 01.10.2018 wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, der gegenständlich belangten Behörde (im Folgenden kurz: „bB“), die Erhebung einer Anklage des BF wegen § 125 StGB durch die Bezirksanwältin mitgeteilt.

7. Der BF wurde am 03.10.2019 im Bundesgebiet festgenommen. Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 06.10.2019, XXXX , wurde über den BF die Untersuchungshaft verhängt.

8. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 11.10.2019 wurde der sich damals im Stande der Untersuchungshaft befindende BF von Seiten der bB über eine in Aussicht genommene Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG und in eventu eines Schubhaftbescheides nach § 76 FPG informiert und er weiters – unter Anführung von allgemein gehaltenen Fragen – aufgefordert, innerhalb von zehn Tagen ab Zustellung der Verständigung eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

In der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme wurde von der bB unter anderem ausgeführt, dass die bB keine Kenntnis darüber habe, wann der BF zuletzt in das Bundesgebiet eingereist sei. Die bB gehe weiter davon aus, dass er sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nur zur Begehung von Straftaten missbraucht habe und in Österreich weder familiäre, soziale oder berufliche Bindungen bestünden.

9. Am 22.10.2019 wurde vom BF sodann eine in polnischer Sprache verfasste, handschriftliche Stellungnahme, datiert mit 20.10.2019, bei der bB eingebracht. Die Stellungnahme des BF wurde auch ins Deutsche übersetzt.

Der BF bestritt darin bereits unter anderem die Feststellungen zu seinem Aufenthalt im Bundesgebiet und führte aus, er halte sich bereits seit 1998 im Bundesgebiet auf und habe mit zwei verschiedenen Ehefrauen insgesamt sechs Kinder (drei Söhne und drei Töchter), die alle in Österreich leben würden und für welche er unterhaltspflichtig sei.

10. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 05.06.2020, XXXX , rechtskräftig am 09.06.2020, wurde der BF wegen des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 und Z 2 StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach
§ 83 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Sachbeschädigung gemäß § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, davon fünf Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren nachgesehen, unter Anrechnung der erlittenen Vorhaft, verurteilt. Darüber hinaus wurde auf den Widerruf der bedingten Strafnachsicht zur Vorverurteilung verzichtet, die Probezeit jedoch auf fünf Jahre verlängert.

11. Mit Verständigung von der Anklageerhebung vom 13.12.2020 wurde der bB die Erhebung einer Anklage des BF wegen §§ 15, 105 Abs. 1, 107a Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 StGB durch die Staatsanwaltschaft mitgeteilt.

12. Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 05.01.2021, XXXX , wurde über den BF erneut die Untersuchungshaft verhängt.

13. Ein weiteres von der Bezirksanwaltschaft zur Zahl XXXX geführtes Verfahren wegen eines Vorfalls am 13.10.2020 wurde wegen Geringfügigkeit gemäß § 191 StPO eingestellt.

14. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11.02.2021, XXXX , rechtskräftig am 11.02.2021, wurde der BF wegen des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB und des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten, unter Anrechnung der erlittenen Vorhaft, verurteilt. Darüber hinaus wurde die bedingte Strafnachsicht zur Verurteilung vom 05.06.2020 widerrufen.

15. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 11.03.2021 wurde der sich im Stande der Strafhaft befindende BF seitens der bB neuerlich über eine in Aussicht genommene Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs. 2 FPG informiert und er ein weiteres Mal unter Anführung allgemeiner Standardfragen aufgefordert, innerhalb von vierzehn Tagen ab Zustellung der Verständigung eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

In der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme wurde von der bB unter anderem ausgeführt, dass der BF im Bundesgebiet bis dato vier Mal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt worden sei. Zuletzt sei er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten mit einem näher genannten Urteil verurteilt worden. Um jedoch den Sachverhalt hinsichtlich der beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Lichte der persönlichen Verhältnisse beurteilen zu können, werde er Beantwortung näher ausgeführter Fragen ersucht.

Im Rahmen dieser allgemeinen Aufforderung wurden jedoch keinerlei konkrete Feststellungen zur Aufenthaltsdauer, sozialversicherten Dienstverhältnissen und den vorgebrachten familiären Bindungen und deren näherer Ausgestaltung getroffen bzw. darauf basierend auch keine entsprechend konkreten Fragen gestellt, deren Beantwortung durch den BF solche Feststellungen allenfalls erst ermöglicht hätten, was gerade vor dem Hintergrund der bereits einmal erfolgten Stellungnahme des BF vom 20.10.2019 und seinem dortigen Vorbringen, insbesondere zu der dort angeführten langen Aufenthaltsdauer seit 1998 und sechs in Österreich lebenden Kindern des BF, leicht möglich gewesen wäre.

16. Am 30.03.2021 langte bei der bB ein weiteres Mal ein mit 28.03.2021 datiertes, handschriftliches und auf Polnisch verfasstes Schreiben des BF ein. Das Schreiben wurde erneut ins Deutsche übersetzt.

In diesem Schreiben leugnete der BF unter anderem die ihm zuletzt im Strafverfahren zur Last gelegten Taten und führte aber weiter aus, seine näheren Verwandten, darunter drei Söhne und drei Töchter würden bei ihren jeweiligen Müttern in Österreich leben. Auch habe er die ganze Zeit in Österreich gearbeitet.

17. Mit dem gegenständlich angefochtenen und im Spruch angeführten Bescheid der bB vom 06.05.2021, dem BF durch persönliche Übergabe am 11.05.2021 zugestellt, wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 2 FPG ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von sechs Jahren erlassen (Spruchpunkt I.), dem BF gemäß § 70 Abs. 3 BFA-VG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

Im Bescheid wurde unter anderem festgestellt, dass der BF gemäß seinen Angaben in der schriftlichen Stellungnahme geschieden sei, alleine wohne und sechs Kinder im Bundesgebiet habe. Er sei seit 18.12.2020 nicht mehr erwerbstätig gewesen und bereits vier Mal von einem inländischen Gericht strafgerichtlich verurteilt worden. Laut Melderegister sei er seit 04.10.2019 durchgehend im Bundesgebiet gemeldet, erste Meldungen im Bundesgebiet würden jedoch bereits aus dem Jahr 2006 stammen. Der genaue Zeitpunkt der erstmaligen Einreise entziehe sich der Kenntnis der bB. Der BF sei in Österreich bereits vier Mal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt worden und zwar erstmals mit Urteil vom 16.04.2013, daraufhin wären zwei weitere Verurteilungen in den Jahren 2018 und 2020 erfolgt und zuletzt mit Urteil vom 11.02.2021 zu einer neunmonatigen Haftstrafe. Er habe letztmalig von 10.08.2020 bis 18.12.2020 im Bundesgebiet unselbstständig gearbeitet und beziehe aktuell Notstandshilfe. Da sich der Beschwerdeführer seit knapp fünfzehn Jahren immer wieder im Bundesgebiet aufhalte und hier seine sechs Kinder leben würden, sei von einer gewissen sozialen Integration im Bundesgebiet auszugehen gewesen. Er sei jedoch in Polen geboren und aufgewachsen, könne Polnisch als Muttersprache und bestünden keine Zweifel daran, dass der BF in Polen noch über Anknüpfungspunkte verfüge.

Beweiswürdigend führte die bB im Wesentlichen aus, dass nähere Feststellungen zum Privat- und Familienleben des BF aufgrund seiner vagen Angaben in seinen schriftlichen Stellungnahmen nicht hätten getroffen werden können. Die Feststellungen zur Aufenthaltsdauer würden sich aus dem vorliegenden Auszug aus dem Zentralen Melderegister ergeben, die Feststellungen zu den nicht vorhandenen beruflichen Bindungen im Bundesgebiet würden sich aus dem Sozialversicherungsdatenauszug, jene zu den strafgerichtlichen Verurteilungen aus den vorliegenden Strafurteilen ergeben.

18. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz der bevollmächtigten Rechtsvertretung des BF vom 07.06.2021, am selben Tag beim Bundesamt einlangend, fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge allenfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben; in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und das Verfahren an das Bundesamt zurückverweisen; in eventu die Dauer des Aufenthaltsverbotes wesentlich verkürzen.

Begründend wurde im Wesentlichen ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren der bB moniert und ausgeführt, die bB habe den BF weder befragt noch hätte er die Möglichkeit gehabt, in seiner Muttersprache zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes seine persönliche Situation und sein Vorbringen darzulegen. Die bB habe ihre amtswegige Pflicht zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts nicht erfüllt. Der BF habe auf Deutsch, sofern es ihm möglich gewesen sei, seine persönlichen Verhältnisse in Österreich dargelegt. Die bB habe sich mit seinem Vorbringen unzureichend auseinandergesetzt.

Der BF sei entgegen den Feststellungen im Bescheid bereit seit 1995 in Österreich aufhältig und bis 18.12.2020 auch erwerbstätig gewesen. Es läge hinsichtlich seines letzten Arbeitgebers (einem Bauunternehmen) auch eine Einstellungszusage nach Haftentlassung vor. Der BF habe eine enge Bindung zu seinen sechs in Österreich lebenden Kindern und würde von diesen – auch den Töchtern – regelmäßig in der Haft besucht werden. Eine schriftliche Stellungnahme könne den persönlichen Eindruck vom BF nicht ersetzen. Eine gesetzeskonforme Gefährdungsprognose habe gar nicht getroffen werden können. Die bB habe sich nicht im Geringsten mit dem Familien- und Privatleben des BF auseinandergesetzt, zumal der BF seit 15 Jahren fast durchgängig in Österreich lebe und arbeite. Auch habe sich die bB bei der rechtlichen Beurteilung nicht ausreichend mit den Verurteilungen des BF auseinandergesetzt.

19. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht von der bB vorgelegt und sind am 18.06.2021 eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der BF ist im Bundesgebiet erstmals ab 12.06.2006 mit einem Hauptwohnsitz und in weiterer Folge mit Unterbrechungen gemeldet gewesen. Wenngleich er zwischenzeitig über mehrere Monate Lücken in seinen Wohnsitzmeldungen aufweist, so liegen in diesen Zeiten durchaus Sozialversicherungszeiten vor (vgl. Auszug aus dem Zentralen Melderegister und der Sozialversicherungsdaten jeweils vom 24.06.2021).

Der BF verfügt in Österreich zudem seit 15.11.2012 über eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer (vgl. Auszug aus dem Fremdenregister vom 24.06.2021).

Aus erster Ehe hat der BF drei in Österreich lebende Söhne, aus zweiter Ehe drei in Österreich lebende Töchter, manche davon noch minderjährig. Diese leben jeweils bei ihren Müttern (vgl. dazu Stellungnahmen des Beschwerdeführers vom 20.10.2019, AS 79, und vom 28.03.2021, AS 41 f).

Das Bundesamt hat weder konkrete Feststellungen zum Privat- und Familienleben des BF getroffen noch entsprechende Feststellungen zur Aufenthaltsdauer und zur Beurteilung, ob dem BF allenfalls in Österreich bereits ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht zukäme. Das Bundesamt hat sich weiters nur mit der aktuellsten strafgerichtlichen Verurteilung inhaltlich auseinandergesetzt, hingegen mit den drei vorangehenden strafgerichtlichen Verurteilungen, die im engen zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit der letzten Verurteilung des BF stehen, überhaupt nicht. Mit dem diesen zugrundeliegenden Verhalten des BF hat sich die bB daher nicht auseinandergesetzt.

Der weitere entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich aus den unter I. getroffenen Ausführungen.

2. Beweiswürdigung:

Der für die Zurückverweisung relevante Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden und von den Parteien grundsätzlich nicht beanstandeten Aktenlage fest.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF. BGBl. I 2018/57, geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

3.2. Zurückverweisung

3.2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit. nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

* Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters mit Erkenntnis vom 10.09.2014, Ra 2014/08/0005 die im Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, angeführten Grundsätze im Hinblick auf Aufhebungs- und Zurückweisungsbeschlüsse des Verwaltungsgerichtes gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG nochmals bekräftigt und führte ergänzend aus, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden mündlichen Verhandlung im Sinn des § 24 VwGVG zu vervollständigen sind.

Im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.02.2017, Ra 2015/11/0089 betonte dieser weiters das Interesse der Rechtsunterworfenen an einer raschen Entscheidung und führte dazu aus, dass es nicht zu erkennen sei, weshalb es nicht im Interesse der Raschheit gelegen sein sollte, wenn das Verwaltungsgericht – ausgehend freilich von einer zutreffenden Beurteilung der entscheidenden Rechtsfrage – selbst die notwendige Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens veranlasst und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt feststellt.

3.2.2. Rechtliche Grundlagen:

Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet:

„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1.         in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2.         für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3.         als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er
1.         wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;
2.         sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;
3.         sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder
4.         eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“

Der mit „Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern“ betitelte § 52 NAG lautet:

„§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1.         Ehegatte oder eingetragener Partner sind;
2.         Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;
3.         Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;
4.         Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder
5.         sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,
a)         die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,
b)         die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder
c)         bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.

(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs. 1.“

Der mit „Anmeldebescheinigung“ betitelte § 53 NAG lautet:

„§ 53. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie folgende Nachweise vorzulegen:
1.         nach § 51 Abs. 1 Z 1: eine Bestätigung des Arbeitgebers oder ein Nachweis der Selbständigkeit;
2.         nach § 51 Abs. 1 Z 2: Nachweise über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz;
3.         nach § 51 Abs. 1 Z 3: Nachweise über die Zulassung zu einer Schule oder Bildungseinrichtung und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz sowie eine Erklärung oder sonstige Nachweise über ausreichende Existenzmittel;
4.         nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;
5.         nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern ab Vollendung des 21. Lebensjahres und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung;
6.         nach § 52 Abs. 1 Z 4: ein Nachweis des Bestehens einer dauerhaften Beziehung mit dem EWR-Bürger;
7.         nach § 52 Abs. 1 Z 5: ein urkundlicher Nachweis einer zuständigen Behörde des Herkunftsstaates der Unterhaltsleistung des EWR-Bürgers oder des Lebens in häuslicher Gemeinschaft oder der Nachweis der schwerwiegenden gesundheitlichen Gründe, die die persönliche Pflege durch den EWR-Bürger zwingend erforderlich machen.“

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet:

„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von
1.         Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;
2.         Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder
3.         durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie
1.         zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;
2.         sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder
3.         drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn
1.         sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;
2.         der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder
3.         der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“

Der mit „Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate“ betitelte § 55 NAG lautet:

„§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.“

Der mit „Allgemeine Regel für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen“ betitelte Art. 16 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 („Freizügigkeitsrichtlinie“ oder „Unionsbürgerrichtlinie“) lautet:

„(1) Jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, hat das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Dieses Recht ist nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III geknüpft.

(2) Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen mit dem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben.

(3) Die Kontinuität des Aufenthalts wird weder durch vorübergehende Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr, noch durch längere Abwesenheiten wegen der Erfüllung militärischer Pflichten, noch durch eine einzige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Niederkunft, schwere Krankheit, Studium oder Berufsausbildung oder berufliche Entsendung in einen anderen Mitgliedstaat oder einen Drittstaat berührt.

(4) Wenn das Recht auf Daueraufenthalt erworben wurde, führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zu seinem Verlust.“

Artikel 27 („Allgemeine Grundsätze“) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 („Freizügigkeitsrichtlinie“ oder „Unionsbürgerrichtlinie“) lautet:

„(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels dürfen die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken. Diese Gründe dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden.

(2) Bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne Weiteres diese Maßnahmen nicht begründen. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

(3) Um festzustellen, ob der Betroffene eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, kann der Aufnahmemitgliedstaat bei der Ausstellung der Anmeldebescheinigung oder - wenn es kein Anmeldesystem gibt - spätestens drei Monate nach dem Zeitpunkt der Einreise des Betroffenen in das Hoheitsgebiet oder nach dem Zeitpunkt, zu dem der Betroffene seine Anwesenheit im Hoheitsgebiet gemäß Artikel 5 Absatz 5 gemeldet hat, oder bei Ausstellung der Aufenthaltskarte den Herkunftsmitgliedstaat und erforderlichenfalls andere Mitgliedstaaten um Auskünfte über das Vorleben des Betroffenen in strafrechtlicher Hinsicht ersuchen, wenn er dies für unerlässlich hält. Diese Anfragen dürfen nicht systematisch erfolgen. Der ersuchte Mitgliedstaat muss seine Antwort binnen zwei Monaten erteilen.

(4) Der Mitgliedstaat, der den Reisepass oder Personalausweis ausgestellt hat, lässt den Inhaber des Dokuments, der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit aus einem anderen Mitgliedstaat ausgewiesen wurde, ohne jegliche Formalitäten wieder einreisen, selbst wenn der Personalausweis oder Reisepass ungültig geworden ist oder die Staatsangehörigkeit des Inhabers bestritten wird.“

Artikel 28 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG („Freizügigkeitsrichtlinie“ oder „Unionsbürgerrichtlinie“) lautet:

„(2) Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen.“

Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG lautet:

„§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 FPG lautet:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere
1.         der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
2.         auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);
3.         auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
4.         der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4.         der Grad der Integration,
5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

§ 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 enthält zwar nur zwei Stufen für die Gefährdungsprognose, nämlich einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens vorliegen muss, und andererseits (nach dem fünften Satz) die nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen mit mindestens zehnjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet (bzw. im Fall von Minderjährigen). Es muss aber angenommen werden, das hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern (arg. a minori ad maius) auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie und § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG idF FrÄG 2011 vorgesehene Maßstab – der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG 2005 idF FrÄG 2011 angesiedelt ist – heranzuziehen ist. Dies gebietet im Anwendungsbereich der Unionsbürgerrichtlinie eine unionsrechtskonforme Interpretation, weil das Aufenthaltsverbot eine Ausweisungsentscheidung im Sinn der Richtlinie beinhaltet. Zum gleichen Ergebnis führt eine verfassungskonforme Interpretation, weil die Anwendung eines weniger strengen Maßstabes für Aufenthaltsverbote als bloße Ausweisungen sachlich nicht zu rechtfertigen wäre. Für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die das Recht auf Daueraufenthalt genießen, bestimmt Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie, dass eine Ausweisung nur aus „schwerwiegenden“ Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt werden darf, wobei zwar auch hier gemäß Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie auf das persönliche Verhalten abzustellen ist, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, insgesamt aber ein größeres Ausmaß an Gefährdung verlangt wird. Diese Vorgaben der Unionsbürgerrichtlinie wurden im FPG insofern umgesetzt, als nach dessen § 66 Abs. 1 idF FrÄG 2011 die Ausweisung von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen, die bereits das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nur dann zulässig ist, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181).

Im Aufenthaltsbeendigungsverfahren, in dem verbindlich über das Weiterbestehen der Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht entschieden wird, ist für die Vergangenheit in Bezug auf den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nicht (jedenfalls) vom Vorliegen dieser Voraussetzungen auszugehen; vielmehr hat die Behörde (das BFA) in diesem Verfahren eigenständig zu beurteilen, bis zu welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht vorgelegen sind und ob ausgehend davon bereits das Daueraufenthaltsrecht erworben worden ist (vgl. VwGH 04.10.2018, Ra 2017/22/0218, mit Verweis auf VwGH 15.03.2018, Ra 2017/21/0191).

3.2.3. Fallbezogen ergibt sich daraus:

Die bB hat es gegenständlich nicht nur unterlassen, den Sachverhalt hinreichend zu ermitteln, sondern auch, diesen ausreichend festzustellen und zu begründen:

So stellt die bB zwar im angefochtenen Bescheid fest – bzw. legt im Verfahrensgang und in der Beweiswürdigung dar – dass der BF beginnend mit dem „Jahr 2006“ erstmals Wohnsitzmeldungen des BF im Bundesgebiet vorlagen, führt jedoch trotz erster Entgegnung des BF in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 20.10.2019, wonach er schon seit 1998 im Bundesgebiet lebe, nichts näher zur konkreten Aufenthaltsdauer des BF im Bundesgebiet aus. Vielmehr verweist sie lediglich darauf, dass der BF zuletzt seit 04.10.2019 durchgehend im Bundesgebiet gemeldet sei. Dazu stützt sich die bB ausschließlich auf die letzten Daten des Auszuges aus dem Zentralen Melderegister, dem ohnehin laut höchstgerichtlicher Rechtsprechung nur Indizwirkung zukommt (vgl. VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0049, Rz 12).

Weiters verweist die bB zur Berufstätigkeit des BF im Bundesgebiet lediglich auf seine letzte Beschäftigung im Bundesgebiet, ohne sich mit den übrigen Beschäftigungs- und Sozialversicherungszeiten des BF im Bundesgebiet (laut aktuellem Sozialversicherungsdatenauszug erstmals seit 01.07.2006) auch nur ansatzweise auseinanderzusetzen. Wenngleich der BF Lücken bei seinen Wohnsitzmeldungen aufweist, ergibt sich bereits aus seinen Sozialversicherungszeiten, dass sich der BF trotz fehlender Wohnsitzmeldungen in diesen Zeiten dennoch teilweise auch im Bundesgebiet aufgehalten haben muss. Diesbezüglich haben keinerlei weitere Ermittlungen stattgefunden und wurde insbesondere auch im Rahmen der zweiten Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme nicht durch entsprechend genaue und individuelle Fragen darauf hingewirkt, dass durch Beantwortung dieser Fragen durch den BF auch konkrete Feststellungen zur Aufenthaltsdauer des BF im Bundesgebiet getroffen werden können, was vor allem in Anbetracht der ersten schriftlichen Stellungnahme des BF leicht möglich gewesen wäre.

Das Bundesamt verkennt dabei offenkundig die Relevanz der Frage der tatsächlichen Aufenthaltsdauer und deren Rechtmäßigkeit bezogen auf die rechtlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts von über drei Monaten bzw. auch eines allenfalls erworbenen Daueraufenthaltsrechtes des BF für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und unterlässt es, die zur Feststellung und rechtlichen Beurteilung notwendigen Sachverhaltselemente zu ermitteln. Die bB setzt sich auch nicht mit dem im konkreten Fall anzuwendenden Gefährdungsmaßstab für ein allfälliges Aufenthaltsverbot auseinander.

Zu den Sozialversicherungsdaten des BF wird der Vollständigkeit halber auch auf die ständige höchstgerichtliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) verwiesen, wonach schon das nachhaltige Bemühen um eine Arbeitsstelle, sofern dieses Bemühen objektiv nicht aussichtslos ist, ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht vermitteln kann (vgl. VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0049, mit Verweis auf VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0130, Rn. 12 mwN). In Bezug auf die Ausübung geringfügiger Beschäftigungen (welche im Fall des gegenständlichen BF ebenfalls aus dem Sozialversicherungsdatenauszug hervorgehen) hielt der VwGH zudem fest, dass – um als "Arbeitnehmer" im Sinn des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG zu gelten - lediglich eine "tatsächliche und echte Tätigkeit" ausgeübt werden muss, die keinen so geringen Umfang hat, dass es sich um eine "völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit" handelt. Die Höhe der Vergütung, die der Arbeitnehmer erhält, ist ebenso wenig von alleiniger Bedeutung wie das Ausmaß der Arbeitszeit und die Dauer des Arbeitsverhältnisses (siehe auch dazu im Einzelnen VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0130, Rn. 13, mwN).

Die bB hätte – im Sinne der oben zitierten Judikatur des VwGH vom 04.10.2018 zu Zahl Ra°2017/22/0218 – vor dem Hintergrund der Wohnsitzmeldungen des BF in Österreich, seinen Sozialversicherungszeiten und seiner Behauptungen, seit 1998 bzw. 1995 im Bundesgebiet aufhältig zu sein – jedenfalls nähere Ermittlungen zum Aufenthalt des BF in Österreich, allenfalls unter Einvernahme des BF vornehmen müssen. In weiterer Folge hätte die bB im Falle des Feststellens eines mehr als fünfjährigen, rechtmäßigen Aufenthalts des BF im Bundesgebiet iSd §§ 51 ff NAG auf Basis des festgestellten Sachverhaltes beurteilen müssen, ob der BF – der im Übrigen auch seit 2012 über eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer verfügt – allenfalls bereits ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht iSd § 53a NAG erworben hat oder Umstände vorliegen, die ein solches ausschließen. Im Fall des BF wäre in weiterer Folge auch noch zu ermitteln gewesen, ob er sich die letzten zehn Jahre vor der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Bundesgebiet aufgehalten hat.

Diese Feststellungen und die daran geknüpfte rechtliche Beurteilung ihrerseits sind nämlich wiederum die rechtliche Voraussetzung (Vorfrage) dafür, welcher Gefährdungsmaßstab bei Erlassung eines konkreten Aufenthaltsverbotes im gegenständlichen Fall anzuwenden wäre, wovon in weiterer Folge auch dessen grundsätzliche Zulässigkeit abhängt bzw. abhängen kann.

Die bB hätte sohin alle iSd. §§ 51 und 52 NAG iVm. § 53a NAG relevanten Sachverhaltselemente zu ermitteln gehabt. Die bB hat jedoch die dafür notwendige Ermittlungen unterlassen und tatsächlich überhaupt keine Ermittlungen durchgeführt. Sie hätte daher nicht von einem geklärten Sachverhalt ausgehend dürfen.

Ferner verkennt die Behörde offenkundig, dass die unterlassenen bzw. dürftigen Ermittlungen zur Aufenthaltsdauer und dem Aufenthaltsrecht auch im Rahmen der Beurteilung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes nach Art. 8 EMRK von Relevanz sind. In diesem Zusammenhang ist insbesondere festzuhalten, dass die bB hinsichtlich der in Österreich lebenden Kinder keine konkreten Ermittlungen durchgeführt hat. So wäre etwa zumindest durch entsprechende Fragestellung im schriftlichen Parteiengehör zu erfragen gewesen, wie oft der BF Kontakt zu diesen hat, ob – angesichts seiner strafgerichtlichen Verurteilung wegen ua. des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht aus dem Jahr 2018 – auch zum Entscheidungszeitpunkt der bB noch Unterhaltspflichten oder Obsorgepflichten bestehen und wenn ja, in welchem konkreten Ausmaß.

Das Bundesamt hat auch keine Ermittlungen zur sonstigen Integration des BF – etwa einer sozialen Vernetzung, den Sprachkenntnissen, gemeinnützigen Tätigkeiten etc. vorgenommen.

Vor diesem Hintergrund ist die – völlig unsubstantiierte und ohne jegliche konkrete Beweiswürdigung – dargelegte Ausführung, der BF lebe seit fünfzehn Jahren im Bundesgebiet und verfüge daher „zweifelsohne“ über „eine gewisse soziale Integration“ im Bundesgebiet aber nicht nachvollziehbar und sind keine Hürden ersichtlich, weshalb die bB entsprechende konkrete Ermittlungen unterlassen hat, zumal der BF an der Feststellung des Sachverhaltes offenkundig mitwirken wollte, indem er zwei Mal auf die – allgemein gehaltenen und nicht individualisierten – Fragen der bB antwortete.

Ferner wurden keinerlei Ermittlungen zur Rückkehrsituation in Polen getätigt.

Schlussendlich hat sich das Bundesamt – wie in der Beschwerde moniert – abgesehen von der letzten s

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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