TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/14 L508 2240645-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.09.2021
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Entscheidungsdatum

14.09.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L508 2240645-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr.in HERZOG als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Libanon, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46, § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF), ein Staatsangehöriger aus dem Libanon und ein Angehöriger der arabischen Volksgruppe sowie der islamischen Religionsgemeinschaft, reiste Anfang November 2020 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 07.11.2020 begab sich der BF illegal nach Deutschland (Aktenseite des Verwaltungsverfahrensaktes [im Folgenden: AS] 33) und wurde in der Folge am 07.11.2020 von Beamten der deutschen Bundespolizei aufgegriffen und nach Österreich rücküberstellt. Im Anschluss stellte der BF am 08.11.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz (AS 17).

2. Im Rahmen der Erstbefragung am 09.11.2020 (AS 15 - 27) gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen zu Protokoll, dass er seine Lebensqualität verbessern wolle. Im Libanon sei das Leben unsicher und man habe keine Zukunft. Er wolle gerne weiterstudieren. Bei einer Rückkehr fürchte er die Armut und - auch aufgrund der Anschläge - die Unsicherheit.

3. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 25.02.2021 (AS 67 - 76) gab der BF zunächst - befragt, weshalb er sein Studium in der Russischen Föderation nicht beendet habe - an, dass er dort eine Freundin gehabt habe. Seine Eltern hätten davon erfahren und nicht gewollt, dass er mit einer Freundin leben würde. Nach seiner Rückkehr in den Libanon habe sein Vater das Visum storniert. Er habe das Leben nicht so gewollt, wie sein Vater. Er habe Freundinnen gehabt, womit sein Vater nicht einverstanden gewesen und weshalb er „weggelaufen“ sei. In Zusammenhang mit der Frage nach einem Kontakt zu seiner Familie im Libanon entgegnete der Beschwerdeführer, dass er aufgrund von Problemen mit seinem Vater keinen Kontakt zu diesem habe. In der Folge wiederholte er, dass die Schwierigkeiten mit der Freundin in der Russischen Föderation begonnen hätten. Dann habe er im Libanon auch wieder Freundinnen gehabt. Sein Vater sei dagegen. Die Eltern seiner Freundin hätten ihn gemeinsam mit dieser im Juni 2020 gemeinsam in einem Café erwischt. Zu seinen Ausreisegründen befragt, erklärte der Beschwerdeführer schließlich, dass ihn die Familie seiner Freundin töten wolle, weil ihn diese zusammen mit seiner Freundin gesehen hätte. Er sei von der Familie seiner Freundin weggelaufen und diese habe begonnen, Probleme mit seinem Vater zu machen. Daher habe er auch Probleme mit seinem Vater gehabt. Zudem gebe es dort Explosionen und eine schlechte Lage.

Weitere Angaben zu seinen angeblichen ausreisekausalen Problemen machte der Beschwerdeführer nach entsprechenden Fragen und Vorhalten durch die Leiterin der Amtshandlung.

Abschließend wurden mit dem BF die aktuellen Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat erörtert. Der BF verzichtete auf die Möglichkeit eine schriftliche Stellungnahme abzugeben (AS 75).

Der Beschwerdeführer brachte zudem im Zuge des Verfahrens vor dem belangten Bundesamt ein Maturazeugnis in Kopie (AS 85 [Übersetzung: AS 87] und eine Fotografie in Kopie, die eine Hauswand mit Einschusslöchern zeigt (AS 83), in Vorlage.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 02.03.2021 (AS 109 - 172) wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Dem Fluchtvorbringen wurde die Glaubwürdigkeit versagt (AS 154 ff). In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, warum der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr iSd § 8 Abs. 1 AsylG ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wurde, weshalb gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wider den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass dessen Abschiebung in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig sei. Ferner wurde erläutert, weshalb die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

5. Mit Verfahrensanordnungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2021 (AS 91 f, 96 f) wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und dieser ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

6. Gegen den oa. Bescheid des BFA erhob der Beschwerdeführer fristgerecht mit Schriftsatz vom 18.03.2021 (AS 181 ff) in vollem Umfang Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, wobei der Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den BF günstigerer Bescheid erzielt worden wäre, bekämpft wurde. Hinsichtlich des genauen Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

6.1. Zunächst wurden der bisherige Verfahrensgang und die Gründe für die Antragstellung kurz wiederholt.

6.2. In weiterer Folge wurde moniert, dass seitens des Bundesamtes die Ermittlungspflichten nach § 18 AsylG nicht erfüllt worden seien.

6.3. Das BFA habe den Antrag des BF abgewiesen, weil es dessen Vorbringen als unglaubwürdig erachte. Diese Feststellung basiere auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung und einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung und verletze § 60 AVG. In der Folge wurden auch Überlegungen zu den beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffen.

6.4. Im Anschluss wurden zur Untermauerung des Vorbringens des BF auszugsweise die von der belangten Behörde herangezogenen Länderberichte zur Sicherheitssituation, zur Thematik Rechtsschutz/ Justizwesen und zu den Sicherheitsbehörden zitiert, woraus sich klar ergebe, dass die libanesischen Staatsorgane und Sicherheitskräfte nicht fähig bzw. gewillt seien, dem BF den notwendigen Schutz vor Verfolgung zu gewährleisten.

6.5. Innerstaatliche Fluchtalternative sei für den BF im Libanon keine zu erkennen. Auch in diesem Zusammenhang wurden auszugsweise die von der belangten Behörde herangezogenen Länderberichte, konkret zur Sicherheitssituation und zur Grundversorgung, zitiert. Ferner wurde unter auszugsweiser Anführung des World Report 2021 zum Libanon von Human Rights Watch angemerkt, dass die Protestbewegungen auch im Jahr 2020 angehalten hätten. Sicherheitskräfte hätten exzessive und zeitweise tödliche Gewalt gegen größtenteils friedliche Demonstranten angewandt. So hätten sich etwa am 08.08.2020 zehntausende Demonstranten im Zentrum Beiruts versammelt, um ihre Empörung über die Explosion in Beirut auszudrücken sowie Verantwortungsübernahme einzufordern. 728 Personen seien dabei durch Sicherheitskräfte verletzt worden, die zum Teil mit Gefechtsmunition vorgegangen sei.

6.6. Was Spruchpunkt II. betrifft, so stehe dem BF - wie bereits ausgeführt - keine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Eine Gesamtschau der Länderberichte des BFA und der hiermit vorgebrachten ergänzenden Länderberichte würde von der allgemein volatilen Sicherheitslage im Libanon zeugen. Der BF sei daher einem realen Risiko einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt und würden konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dem Beschwerdeführer in seinem Heimatland eine derartige Gefahr drohen würde.

6.7. Abschließend wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge

* eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen;

* in der Sache selbst entscheiden und dem Antrag des BF auf internationalen Schutz Folge geben und dem BF den Status eines Asylberechtigten zuerkennen;

* hilfsweise dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon zuerkennen;

* hilfsweise dem BF einen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilten und

* hilfsweise den angefochtenen Bescheid zur Gänze mit Beschluss beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen.

6.8. Mit diesem Rechtsmittel wurde jedoch kein hinreichend substantiiertes Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre, zu einer anderslautenden Entscheidung zu gelangen.

7. Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des BFA unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, des Bescheidinhaltes sowie des Inhaltes der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

1.2. Anzuwendendes Verfahrensrecht

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

1.3. Prüfungsumfang

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1.         der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2.         die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2. Zur Entscheidungsbegründung:

Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den gegenständlichen Verfahrensakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, des bekämpften Bescheides sowie des Beschwerdeschriftsatzes.

2.1. Auf der Grundlage dieses Beweisverfahrens gelangt das BVwG nach Maßgabe unten dargelegter Erwägungen zu folgenden entscheidungsrelevanten Feststellungen:

2.1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und dessen Fluchtgründen:

Der Beschwerdeführer ist libanesischer Staatsangehöriger und gehört der arabischen Volksgruppe sowie der islamischen Religionsgemeinschaft an.

Die Identität des Antragstellers konnte mangels Vorlage von geeigneten Dokumenten nicht festgestellt werden.

Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsstaat, sowie des Umstands, dass der Antragsteller eine für den Libanon gebräuchliche Sprache spricht sowie aufgrund seiner Kenntnisse über den Libanon ist festzustellen, dass es sich bei ihm um einen Staatsangehörigen aus dem Libanon handelt.

Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX im Südgouvernement des Libanon. Er ist ledig und hat keine Kinder.

Der BF absolvierte im Libanon in XXXX die Schule, welche er erfolgreich mit der Matura abschloss. Im Anschluss hielt sich der BF zwecks Studium bis etwa Juni 2020 in der Russischen Föderation auf. Des Weiteren war er zuletzt als Kellner tätig.

Der BF verließ den Libanon Mitte bis Ende Juli 2020 legal per Flugzeug in die Türkei und reiste in der Folge schlepperunterstützt Anfang November 2020 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo der BF am 08.11.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Im Libanon leben seine Eltern, drei Brüder und eine Schwester weiterhin im familieneigenen Haus. Der Vater besitzt ein eigenes Taxifahrzeug und bestreitet mit dessen Hilfe den Lebensunterhalt für die Familie. Der BF steht zumindest mit seiner Mutter und einem Bruder in Kontakt. Der Familie geht es gut.

Der von ihm vorgebrachte Ausreisegrund (Bedrohung und Verfolgung durch Familienmitglieder einer ehemaligen Freundin wegen einer mit dieser geführten - von deren Familie nicht gewünschten – Beziehung sowie Schwierigkeiten mit seinen Eltern bzw. seinem Vater wegen dieser und anderer Beziehungen zu Personen weiblichen Geschlechts) wird mangels Glaubwürdigkeit des diesbezüglichen Vorbringens nicht festgestellt. Es kann sohin nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus Gründen der GFK asylrelevant verfolgt bzw. dessen Leben bedroht wurde beziehungsweise dies im Falle einer Rückkehr in den Libanon mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintreffen könnte.

2.1.2. Zur Möglichkeit der Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Es konnten im konkreten Fall auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Gefahr liefe, im Libanon einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in den Libanon in eine existenzgefährdende Notsituation geraten würde. Nicht feststellbar war, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Heimat keine Existenzgrundlage zur Befriedigung seiner elementaren Lebensbedürfnisse hätte.

Im Entscheidungszeitpunkt konnte auch keine sonstige aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in seinem Heimatland festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung, er befindet sich nicht in medizinischer Behandlung und nimmt keine Medikamente ein. Er ist gesund und gehört keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung an.

Er hat mit Ausnahme seines etwa zweijährigen Aufenthalts in der Russischen Föderation und seines nunmehrigen Aufenthalts in Europa sein Leben zum überwiegenden Teil im Libanon verbracht, wo er sozialisiert wurde und und wo sich nach wie vor seine nächsten Verwandten aufhalten.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr bei seiner Familie - konkret bei seinen Eltern und Geschwistern - unentgeltlich wohnen wird können. Seine Kernfamilie ist im Hinblick auf eine Unterstützung des Beschwerdeführers leistungsfähig und leistungswillig. Davon abgesehen ist der Beschwerdeführer als arbeitsfähig und -willig anzusehen. Der Beschwerdeführer ist jung und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen. Er hat eine umfassende Schulbildung mit Maturaabschluss und verfügt über Berufserfahrung als Kellner. Der Beschwerdeführer spricht Arabisch und ein bisschen Englisch sowie Russisch.

Bei einer Rückkehr in den Libanon und einer neuerlichen Ansiedelung in seiner Herkunftsregion kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in seiner Herkunftsregion einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

2.1.3. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet war nie nach § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der § 382b oder § 382e EO.

2.1.4. Der private und familiäre Lebensmittelpunkt des BF befindet sich im Libanon. Der Beschwerdeführer verfügt zum Entscheidungszeitpunkt über keine relevanten Bindungen zu Österreich. In Österreich halten sich keine Verwandten des BF auf.

Er unterhält in Österreich keine Beziehung.

Der Beschwerdeführer nutzt das Internet, um im Selbststudium Deutschkenntnisse zu erlangen. Er hat jedoch noch keine Deutschprüfung erfolgreich absolviert. Er verfügt allenfalls über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 oder A2.

Er knüpfte normale soziale Kontakte. Unterstützungserklärungen brachte er nicht in Vorlage.

Der Beschwerdeführer bezieht seit seiner Antragstellung im November 2020 laufend Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und lebt von staatlicher Unterstützung. Der BF war bzw. ist gegenwärtig nicht legal erwerbstätig. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF in Österreich selbsterhaltungsfähig ist. Der BF verfügt weder über eine Einstellungszusage noch über einen gültigen arbeitsrechtlichen Vorvertrag.

Er ist als voll erwerbsfähig anzusehen, etwaige gesundheitliche Einschränkungen des Beschwerdeführers sind nicht aktenkundig.

Er leistet keine offizielle ehrenamtliche Tätigkeit und ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation in Österreich.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer umfassenden und fortgeschrittenen Integration des BF in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden, welche die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen würden.

2.1.5. Zur aktuellen Lage im Libanon war insbesondere unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer - seitens der belangten Behörde im Zuge der Einvernahme vom 25.02.2021 (AS 75) - offengelegten Quellen festzustellen:

Politische Lage

Libanon ist eine parlamentarische Demokratie nach konfessionellem Proporzsystem. Das politische System basiert auf der Verfassung von 1926, dem ungeschriebenen Nationalpakt von 1943 und dem im Gefolge der Taif-Verhandlungen am 30. September 1989 verabschiedeten „Dokument der Nationalen Versöhnung“ (AA 24.1.2020).

In diesem sogenannten Taif-Abkommen wurde festgelegt, dass die drei wichtigsten Ämter im Land auf die drei größten Konfessionen verteilt werden:

•        Das Staatsoberhaupt muss maronitischer Christ sein

•        Der Parlamentspräsident muss schiitischer Muslim sein

•        Der Regierungschef muss sunnitischer Muslim sein (GIZ 3.2020)

Dieser Proporz bestimmt die gesamte Verwaltung und macht auch vor der Legislative nicht halt. Das Parlament mit seinen 128 Mitgliedern setzt sich nach dem Grundsatz der konfessionellen Parität wie folgt zusammen: 34 Maroniten, 27 Schiiten, 27 Sunniten, 14 griechisch-orthodoxe Christen, 8 Drusen, 8 melikitische/griechisch-katholische Christen, 5 orthodoxe Armenier, 2 Alewiten, 1 armenischer Katholik, 1 Protestant und 1 Vertreter einer Minderheit (GIZ 3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Die konfessionelle Fragmentierung des Landes bewirkt eine äußere Abhängigkeit von den jeweiligen Schutzmächten der konfessionellen Gruppen. Dies reduziert die Souveränität des Staates (GIZ 3.2020). Bei der im Abkommen von Taif vorgesehenen allmählichen Entkonfessionalisierung des politischen Systems gibt es bisher allerdings keine Fortschritte (AA 24.1.2020).

Die Hizbollah, die „Partei Gottes“, ist - wie auch jetzt – seit Jahrzehnten immer wieder Teil der libanesischen Regierung. Sie tritt dabei jedoch nicht nur als politische Partei, sondern häufig auch als soziale Organisation auf, die mit ihrem Angebot an sozialen und medizinischen Hilfsleistungen ärmeren Menschen in Not hilft. Der bewaffnete Arm der Hizbollah kämpft in Syrien an der Seite der Truppen des Regimes von Präsident Baschar alAssad. Gleichzeitig stellt die Organisation das Existenzrecht Israels offen in Frage. Immer wieder kommt es zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Hizbollah und Israel (DF 30.4.2020). Die Hisbollah macht gleichzeitig Geschäfte gegen und mit dem Gesetz, schmuggelt Drogen und kontrolliert die Zollstationen am Hafen von Beirut. Dabei hilft ihr ein weltweites Netzwerk von Unterstützern in der Diaspora (Zeit 6.5.2020).

Die Hizbollah wird von den Vereinigten Staaten als terroristische Gruppe eingestuft. In der EU stand bislang nur der militärische Arm der Hizbollah auf der Terrorliste, bis Deutschland den Kurs nun verschärft und auch den politischen Arm der Hizbollah als terroristische Vereinigung bewertet und ein Betätigungsverbot der Organisation in Deutschland verfügt hat (Spiegel 30.4.2020; vgl. Spiegel 5.5.2020; DailyStar 6.11.2019).

Das Parlament des Libanon ist konfessionsübergreifend in zwei politische Blöcke gespalten, die einander unversöhnlich gegenüberstehen:

•        die von der schiitisch geprägten und vom Iran beeinflussten Hizbollah angeführte 8. März-Koalition und

•        die eher westlich orientierte, sunnitisch geprägte und von Saad Hariri (Future Movement; arab.: (al-)Mustaqbal) angeführte 14. März-Bewegung (GIZ 3.2020).

Die traditionelle Feindschaft zwischen diesen beiden Blöcken wurde durch den Konflikt im benachbarten Syrien zusätzlich vertieft. Die Polarisierung zwischen den beiden Lagern lähmt das Land politisch und ökonomisch, verstärkt konfessionelle Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten (GIZ 3.2020). Aufgrund schwer erzielbarer Mehrheiten war es auch jahrelang nicht möglich, ein Wahlgesetz zu verabschieden. Dies führte dazu, dass die Parlamentswahl 2013 ausgesetzt und das Mandat der Abgeordneten mehrfach verlängert wurde (GIZ 3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Am 31. Oktober 2016 wurde schließlich nach zweieinhalb Jahren und 45 gescheiterten Versuchen ein neuer Präsident gewählt. Mit der Wahl des maronitischen Christen Michel Aoun kam Bewegung in die libanesische Politik. Da Aoun als Kandidat der schiitischen Hizbollah für das Amt des Präsidenten galt, wurde er zunächst von Premierminister Saad Hariri abgelehnt. Dessen Zustimmung erfolgte erst, als Aoun Hariri im Gegenzug beauftragte, eine neue Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Diese wurde schließlich am 19. Dezember 2016 vereidigt (GIZ 3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Im Juni 2017 konnte man sich schließlich auf ein neues Wahlrecht einigen. Dieses sieht unter anderem eine Ablöse des Mehrheitswahlrechts durch das Verhältniswahlrecht vor. Hierdurch sollten kleinere Parteien und Wählergruppen gestärkt werden. Das Wahlgesetz enthält jedoch zahlreiche Einschränkungen der Verhältniswahl wie beispielsweise eine sehr hohe Einzugshürde bei zehn Prozent. Positiv ist jedoch, dass die Parteien nun faktisch gezwungen werden, konfessionsübergreifende Listen zu bilden (GIZ 3.2020).

Am 6. Mai 2018 fanden nach jahrelanger Pattstellung erstmals seit 2009 erneut Parlamentswahlen statt. 77 Listen mit insgesamt 597 Kandidaten waren für die Wahl um 128 Parlamentssitze in 26 Distrikten registriert. Die Anzahl der weiblichen Kandidaten nahm gegenüber der letzten Wahl auf 86 zu und betrug somit nun 14,4 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag insgesamt bei 49,2 Prozent. Die offiziellen Ergebnisse weisen die Sitze wie folgt zu: Future Movement [Anm.: arab. - (al-)Mustaqbal] 21; Free Patriotic Movement 20; Amal 17; Lebanese Forces 15; Hizbollah 12; Progressive Socialist Party 8; die "Determination (Azem)" Bewegung des ehemaligen Premierministers Mikati 4; Marada, die Syrian Social Nationalist Party, Kataeb und Tashnaq jeweils 3 Sitze. Zum ersten Mal gewann ein Kandidat der Zivilgesellschaft einen Sitz durch die Wahlliste "Koulouna Watani" in Beirut. Die Zahl der gewählten Frauen im Parlament stieg von vier auf sechs (UNSC 13.7.2018).

Die Hizbollah und ihre politischen Verbündeten - darunter auch das „Free Patriotic Movement“ (FPM), eine christliche Partei unter der Führung von Präsident Michel Aoun, die knapp zwanzig Sitze erringen konnte (AA 24.1.2020), besetzen nach dieser Wahl knapp die Hälfte der 128 Sitze im Parlament, während der vom Westen unterstützte sunnitische Saad al-Hariri (Premierminister bis Ende 2019, Anm.) mit 21 Parlamentsmitgliedern immer noch Führer des größten politischen Blocks ist (RFE 7.5.2018; vgl. ICG 9.6.2018). Der bisherige Premier Hariri wurde trotz Wahlverlusten neuerlich damit beauftragt, eine Regierung zu bilden (GIZ 3.2020).

Aufgrund der zunehmend prekären wirtschaftlichen Situation kam es schon Mitte Oktober 2019 zu massiven Protesten gegen Korruption und Misswirtschaft (Standard 12.2.2020; vgl. FAZ 24.1.2020). Ende Oktober gab Regierungschef Saad Hariri schließlich angesichts der Massenproteste auf und trat zurück (FAZ 24.1.2020).

Ende Januar 2020 wurde schließlich eine neue Regierung gebildet. Der neue Premierminister Hassan Diab wollte sich mit seiner technokratischen Regierung für umfassende Wirtschaftsreformen einsetzen. Diab selbst kam dank der Unterstützung der Hizbollah, der Amal-Bewegung und der Freien Patriotischen Bewegung von Präsident Michel Aoun an die Macht, die nun mit einigen kleineren Parteien gemeinsam über eine parlamentarische Mehrheit verfügten. Pro-westliche politische Rivalen wie etwa Hariris Future Movement, die größte sunnitische Partei des Landes, unterstützten die Regierung nicht (ECFR 4.2.2020).

Am 4. August 2020 ereignete sich im Hafen von Beirut eine verheerende Explosion mit mindestens 180 Toten und rund 6.000 Verletzten. 300.000 Menschen wurden obdachlos und große Teile der Stadt wurden stark beschädigt. Tausende zogen in der Folge zu Protesten auf die Straßen und forderten eine umfassendere Aufklärung der Hintergründe der Explosion. Die Regierung von Ministerpräsident Hassan Diab trat zurück (Standard 17.8.2020), nachdem dieser die endemische Korruption für die verheerende Explosion verantwortlich gemacht hatte (AJ 10.8.2020). Am 31. August 2020 wurde Mustapha Adib, bislang libanesischer Botschafter in Deutschland, von Staatspräsident Michel Aoun mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt (Spiegel 31.8.2020; vgl. Standard 31.8.2020).

Adib ist Sunnit, das ist gemäß Verfassung des Landes die Bedingung für den Premierposten. Sowohl die sunnitische Zukunftspartei von Ex-Premier Saad Hariri als auch die schiitische Hisbollah mit ihren Verbündeten sowie die maronitische Patriotenbewegung von Präsident Michel Aoun haben sich bereits öffentlich hinter Adib gestellt (Standard 31.8.2020, vgl. CNN 31.8.2020), was die Protestbewegung prompt als Fortsetzung des gescheiterten Proporzsystems ablehnte (Zeit 31.8.2020).

Sicherheitslage

Die libanesische Regierung hat weder die vollständige Kontrolle über alle Regionen des Landes noch über die Grenzen zu Syrien und Israel. Nach wie vor kontrolliert die Hizbollah den Zugang zu bestimmten Gebieten und hat überdies Einfluss auf einige Elemente innerhalb der libanesischen Sicherheitsdienste. Die Al-Nusrah-Front, der sogenannte Islamische Staat (IS) und andere sunnitische Terrorgruppen operierten auch 2019 weiterhin in unkontrollierten Gebieten entlang der unmarkierten libanesisch-syrischen Grenze. Andere terroristische Gruppen wie die Hamas, die Volksfront für die Befreiung Palästinas, das Generalkommando der Volksfront für die Befreiung Palästinas, Asbat al-Ansar, Fatah al-Islam, Fatah al-Intifada, Jund al-Sham, der Palästinensische Islamische Dschihad und die Abdullah-Azzam-Brigaden operierten weiterhin in Gebieten mit begrenzter Regierungskontrolle, vor allem in den 12 palästinensischen Flüchtlingslagern. Diese Lager werden als sichere Zufluchtsorte genutzt und sie dienen als Waffenverstecke (USDOS 24.6.2020a). Der staatlichen Kontrolle weitgehend entzogen, wird deren Sicherheit teilweise durch palästinensische bewaffnete Ordnungskräfte und Volkskomitees gewährleistet, die von der jeweils politisch bestimmenden Fraktion gestellt werden. Das deutsche Außenamt berichtet von teils schweren Auseinandersetzungen, zuletzt zwischen verschiedenen Palästinenserfraktionen in den Lagern Ain El-Hilweh und Mieh-Mieh. Das Lager Nahr elBared stellt insofern eine Ausnahme dar, da es unter libanesischer Kontrolle steht. Allerdings beschränkt sich die libanesische Armee auf Zugangskontrollen und die Sicherung der Umgebung (AA 24.1.2020).

Der Libanon und Israel befinden sich offiziell noch im Krieg. An der gemeinsamen Grenze im Südlibanon kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah (ORF 26.8.2020).

Es besteht ein hohes Risiko von nicht explodierten Bomben und Minen (MAG o.D.). Im September 2019 kam es dort nach der Aufdeckung von Tunnelanlagen durch israelisches Militär kurzfristig zu erhöhten Spannungen und gegenseitigem Artilleriebeschuss zwischen der Hizbollah und der israelischen Armee. Die Hizbollah beschoss israelische Militärstellungen und -fahrzeuge nahe der Ortschaft Avivim mit mehreren Panzerabwehrlenkraketen. Israel reagierte seinerseits mit Artilleriebeschuss auf Ziele im südlichen Libanon. Nach wenigen Stunden wurden die Gefechte beidseitig wieder eingestellt (AA 24.1.2020). Die Bekaa-Ebene ist bekannt für Waffen- und Drogenhandel (Al Ahram 13.2.2020).

Die Sicherheitslage in der Bekaa-Ebene hat sich durch den bewaffneten Konflikt in Syrien zunehmend verschlechtert. Es sind bewaffnete Gruppierungen aktiv, und Grenzüberschreitungen durch Kämpfer sind häufig. Es kommt regelmäßig zu Zusammenstößen zwischen der Armee und militanten Gruppen, vor allem in und um Ersal, Ras Baalbek und Qaa. Spannungen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen, aber auch innerhalb einzelner Gemeinschaften, können sich in bewaffneten Konfrontationen oder Anschlägen entladen (EDA 12.8.2020). In der Provinz Baalbek-Hermel gab es neben solchen Entführungen auch Plünderungen und Mordanschläge (Asharq al-Awsat 22.9.2019). Hermel gilt als Hochburg der Hizbollah (Al Ahram 13.2.2020).

Die Spannungen im Nordlibanon (insbesondere um die Stadt Tripoli und in der Region Akkar) haben sich durch den Konflikt in Syrien und die Ankunft zahlreicher Flüchtlinge weiter verschärft. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen verschiedenen politisch-religiösen Gruppierungen. Die Gefahr von Anschlägen und einer Eskalation der Lage ist groß (EDA 12.8.2020).

Die libanesische Armee (Lebanese Armed Forces - LAF) trägt die Hauptverantwortung für die Sicherung der Land- und Seegrenzen des Libanon, während das „Directorate of General Security“ (DGS) und der Zoll für die offiziellen Einreisepunkte zuständig sind. Die Effizienz der Kontrollen der Landgrenze des Libanon mit Syrien konnte in letzter Zeit durch ein von den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und Kanada finanziertes Landgrenzsicherungsprojekt gesteigert werden, was die Festnahme von aus Syrien einreisenden IS-Mitgliedern ermöglichte (USDOS 24.6.2020b).

Infolge der Krise in Syrien haben die destabilisierenden regionalen, politischen und konfessionellen Spannungen deutlich zugenommen. So ist die Hizbollah erklärtes Ziel sunnitischer Extremisten, die sich mit Selbstmordanschlägen gegen schiitische Wohn- und Einflussgebiete für den Kampf der Schiiten-Miliz an der Seite von Baschar al-Assad in Syrien rächen wollen. Die größte christliche Partei des Landes (Free Patriotic Movement) ist demgegenüber politisch mit der Hizbollah verbündet und betrachtet diese als Stabilisierungsfaktor für Libanon und seine religiösen Minderheiten. Die politische und militärische Rolle von Hizbollah, die zumindest in ihren Hochburgen auch soziale, politische und sicherheitsbehördliche Aufgaben wahrnimmt, bleibt damit struktureller Streitpunkt für den Libanon (AA 24.1.2020).

Bei der von der UN geforderten Abrüstung aller bewaffneten Gruppen einschließlich der palästinensischen Milizen und dem militärischen Flügel der Hizbollah konnten bislang keine Fortschritte erzielt werden. Die Hizbollah bestätigte immer wieder, über entsprechende militärische Kapazitäten zu verfügen. Die libanesische Regierung ist somit weiterhin nicht in der Lage, die volle Souveränität und Autorität über ihr Territorium auszuüben (UNSC 13.7.2018).

Die allgemeine Sicherheitslage ist insbesondere durch die seit Oktober 2019 immer wieder stattfindenden Massenproteste und Verkehrsblockaden unübersichtlicher geworden (AA 24.1.2020). Der Zorn der Demonstranten konzentriert sich auf die wahrgenommene Korruption libanesischer Politiker, die das Land seit dem Bürgerkrieg von 1975-1990 beherrscht haben (DailyStar 6.11.2019). Im Zuge der Demonstrationen kommt es insbesondere in Beirut immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Straßenschlachten mit der Polizei, die zum Teil zahlreiche Verletzte fordern (Spiegel 20.1.2020; vgl. Zeit-Online 7.8.2020). Auch in der Hafenstadt Tripoli kam es zu schweren Auseinandersetzungen (Tagesspiegel 29.4.2020).

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassungsinstitutionen, insbesondere Parlament, Regierung und Justizwesen, funktionieren im Prinzip nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, sind aber in ihrer tatsächlichen Arbeit politischen Einflussnahmen ausgesetzt. Die Gewaltenteilung ist in der Verfassung zwar festgeschrieben, wird in der Praxis aber nur eingeschränkt respektiert; insbesondere in politisch brisanten Ermittlungsverfahren kommt es zu Versuchen der Einflussnahme auf die Justiz, z.B. bei der Ernennung von Staatsanwälten und Ermittlungsrichtern oder zum Schutz politischer Parteigänger vor Strafverfolgung. Neben den in mehrere Instanzen gegliederten und strukturell dem französischen Justizwesen angeglichenen Zivilgerichten existieren im Libanon konfessionelle Gerichtsbarkeiten, in deren Zuständigkeit die familienrechtlichen, bei den islamischen Religionsgemeinschaften auch die erbrechtlichen Verfahren fallen (AA 24.1.2020). Personen, die an zivil- und strafrechtlichen Routineverfahren beteiligt waren, baten manchmal um die Unterstützung prominenter Personen, um den Ausgang ihrer Verfahren zu beeinflussen (USDOS 11.3.2020). Die Einhaltung der in der Verfassung garantierten richterlichen Unabhängigkeit ist in der praktischen Durchführung durch verbreitete Korruption, chronischen Mangel an qualifizierten Richtern und zum Teil auch politische Einflussnahme eingeschränkt (AA 24.1.2020). Politische Führer versuchten zeitweise, die richterliche Behandlung politisch aufgeladener Fälle zu beeinflussen, und gegensätzliche politische und konfessionelle Fraktionen werfen sich jeweils unzulässige Einflussnahme vor. Beginnend mit Februar 2019 laufen auch Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Korruption, Bestechung und Manipulation von Gerichtsakten innerhalb der Sicherheits- und Justizorgane (USDOS 11.3.2020).

Eine Strafverfolgungs- und Strafbemessungspraxis, die nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität diskriminiert, ist im Libanon nicht gegeben. Allgemeine kriminelle Delikte werden im Rahmen feststehender straf- bzw. strafprozessrechtlicher Vorschriften nach insgesamt weitgehend rechtsstaatlichen Prinzipien verfolgt und geahndet (AA 24.1.2020).

Fragen des Personenstands werden nach wie vor in 15 separaten Personenstandsgesetzen geregelt, von denen keines die Grundrechte garantiert und in denen Frauen durchwegs diskriminiert werden (HRW 3.8.2020), und zwar in in Bezug auf die Ehe, das Sorgerecht für die Kinder, das Erbrecht und die Scheidung (USDOS 10.6.2020).

Das Rechtssystem unterscheidet im Strafrechtsbereich zwischen ordentlichen und Militärgerichten. Delikte gegen die Staatssicherheit, gegen das Militär oder deren Angehörige unterliegen dem Militärrecht (AA 24.1.2020). Diese sind zuständig für Fälle, an denen Militär-, Polizei- und Regierungsbeamte beteiligt sind, sowie für Fälle, in denen Zivilpersonen oder Militärs der Spionage, des Hochverrats, des Waffenbesitzes, der Wehrpflichtverletzung und der Begehung von Delikten gegen die Staatssicherheit, das Militär oder deren Angehörige bezichtigt werden. Es kann auch Zivilpersonen wegen Sicherheitsvorwürfen oder wegen Verstößen gegen den Militärkodex vor Gericht stellen (USDOS 11.3.2020). Die Zuständigkeiten der Militärgerichtsbarkeit werden vor allem beim Vorwurf des Terrorismus bzw. bei terroristischen Delikten mit islamistischem Hintergrund oftmals sehr extensiv ausgelegt. Militärgerichte verurteilen auch zivile Angeklagte wegen terroristischer Delikte mit islamistischem Hintergrund oft in Schnellverfahren und ohne ausreichenden Rechtsbeistand (AA 24.1.2020). Zivilgerichte können zwar auch über Militärangehörige verhandeln, aber das Militärgericht verhandelt diese Fälle häufig, auch bei nicht mit dem offiziellen Militärdienst in Zusammenhang stehenden Anklagen, oftmals in Schnellverfahren und ohne ausreichenden Rechtsbeistand. Menschenrechtsaktivisten äußerten die Befürchtung, dass solche Verfahren das Potenzial für Straflosigkeit schaffen (USDOS 11.3.2020).

Seit Jahren wird - wenn bislang auch ohne greifbare Fortschritte - erwogen, alle Militärverfahren ordentlichen Gerichten zu übertragen (AA 24.1.2020).

Regierungsführung und Justiz in den palästinensischen Lagern waren sehr unterschiedlich, wobei die meisten Lager unter der Kontrolle von gemeinsamen palästinensischen Sicherheitskräften standen, die mehrere Fraktionen vertraten (USDOS 11.3.2020). Palästinensische Gruppen betreiben in den Flüchtlingslagern ein autonomes Justizsystem, das für Außenstehende meist undurchsichtig ist und sich der Kontrolle des Staates entzieht. Beispielsweise versuchten lokale Volkskomitees in den Lagern, Streitigkeiten durch informelle Vermittlungsmethoden zu lösen, überwiesen die betreffenden Personen im Falle schwerwiegender Vergehen (wie z.B. Mord und Terrorismus) aber gelegentlich zur Verhandlung an die staatlichen Behörden (USDOS 11.3.2020).

Sicherheitsbehörden

Die führenden Positionen in den Sicherheitsbehörden werden u.a. nach konfessionellem Proporz vergeben. Die dem Innenministerium unterstehenden Forces de Sécurité Intérieure (FSI) [auch „Internal Security Force“ – ISF, Anm.] sind die allgemein zuständige Polizei und gleichzeitig auch Hilfsorgan der Justiz (z.B. zum Führen des Kriminalregisters). Sie wird durch einen sunnitischen General geleitet und steht dem ebenfalls sunnitischen Innenminister nahe. Die schiitisch geprägte Sûreté Générale (SG) übt neben Fragen der Ein- und Ausreisekontrollen auch eine nachrichtendienstliche Funktion aus. Ihr Leiter wird der AMAL-Partei von Parlamentspräsident Berri zugeordnet. Ein Polizeigesetz im engeren Sinne gibt es nicht (AA 24.1.2020).

Das Verhältnis zwischen den Bürgern und den staatlichen Sicherheitsbehörden, einschließlich des ISF und der Sûreté Générale (SG) ist nicht immer vertrauensvoll. Es wird beklagt, dass die Sicherheitsinstitutionen wie viele andere Staatsorgane von dem selben Klientelismus betroffen sind, der den Libanon als Ganzes durchzieht. Dieser Umstand stellt die Unparteilichkeit der Polizei in Frage. Auf der anderen Seite hat der Strategische Plan 2018-2022 des ISF die Organisation zu einem allgemeinen Wechsel zu mehr Verantwortlichkeit und Schutz der Menschenrechte verpflichtet. Die Verwirklichung solcher Ambitionen wird natürlich einige Zeit in Anspruch nehmen und nicht ganz reibungslos vor sich gehen (MEI 23.1.2019).

Das General Directorate for State Security (GDSS), das an den Premierminister berichtet, ist für Spionage und Staatssicherheit verantwortlich (USDOS 11.3.2020).

Die Lebanese Armed Forces (LAF) unter der Führung des Verteidigungsministeriums sind für die äußere Sicherheit verantwortlich, aber auch zur Festnahme von Verdächtigen aus Gründen der nationalen Sicherheit befugt. Sie inhaftierten auch mutmaßliche Drogenhändler, führten die Überwachung von Protesten durch, setzten Bauvorschriften im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften durch und intervenierten, um Gewalt zwischen rivalisierenden politischen Fraktionen zu verhindern. Die zivilen Behörden behielten die Kontrolle über die Streitkräfte der Regierung (USDOS 11.3.2020). Im Gegensatz zu den anderen Sicherheitskräften gilt die Armee trotz eines stets christlichen Oberbefehlshabers und zahlreicher christlicher Generäle als parteipolitisch und konfessionell weitgehend neutral und genießt grundsätzlich hohes Ansehen in allen Bevölkerungsteilen. Sie nimmt beispielsweise durch zahlreiche Kontrollpunkte - auch Aufgaben der inneren Sicherheit wahr (AA 24.1.2020).

Daneben gibt es noch mehrere vorwiegend nachrichtendienstlich tätige Sicherheitsbehörden (Amn ad-Daula – Staatssicherheit; Amn al-Dschaisch – militärische Sicherheit; Sicherheitsdienst der Quwat al-Amn ad-Dakhili – Polizeikräfte; Nachrichtendienstliche Abteilung der Sûreté Générale). Alle genannten Institutionen und Dienste arbeiten verstärkt zusammen, auch wenn die Abgrenzung ihrer Kompetenzen nicht immer klar ist. Ihre Professionalisierung wird auch deutlich dahingehend beschränkt, dass bestimmte Institutionen einer bestimmten Konfession und somit dem entsprechenden politischen Lager zuzuordnen sind. Die daraus resultierenden Loyalitäten beeinflussen teilweise spürbar deren Arbeit (AA 24.1.2020).

Zudem haben die staatlichen Institutionen in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff (AA 24.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Zum Beispiel übernimmt die Hizbollah zumindest in ihren Hochburgen, d.h. in Teilen der Bekaa-Ebene, in südlichen Beiruter Vororten und Teilgebieten des Südens faktisch auch Aufgaben der Sicherheitsbehörden. Parallel bestehen kleinere bewaffnete Milizen der AMAL-Partei des Parlamentspräsidenten Nabih Berri, drusische Bürgerwehren sowie christliche Milizen (etwa in Nähe zur KataebPartei oder zur griechisch-orthodoxen Kirche), die sich zuletzt im Spätsommer 2015 auch an Kampfhandlungen gegen aus Syrien einsickernde sunnitische Extremisten beteiligt haben (AA 24.1.2020).

Folter und unmenschliche Behandlung

Das Gesetz verbietet den Einsatz von Gewalttaten zur Erlangung eines Geständnisses oder von Informationen über ein Verbrechen (USDOS 11.3.2020). Dennoch wurden Folter und andere Misshandlungen weiterhin von allen Sicherheitsapparaten verübt (AI 18.2.2020). Auch wurden Fälle von Misshandlungen auf bestimmten Polizeistationen verzeichnet. Die Regierung leugnete den systematischen Einsatz von Folter, obwohl die Behörden einräumten, dass es bei Voruntersuchungen auf Polizeistationen oder militärischen Einrichtungen, bei denen Beamte Verdächtige ohne Anwalt verhörten, manchmal zu gewalttätigen Misshandlungen kam (USDOS 11.3.2020).

Seitens der Justiz werden Foltervorwürfe nur selten untersucht. Im März 2019 ernannte das Kabinett – wie im Anti-Folter-Gesetz von 2017 gefordert - die fünf Mitglieder des Nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter (National Preventive Mechanism - NPM), ein Gremium innerhalb des zehnköpfigen Nationalen Menschenrechtsinstituts (National Human Rights Institute – NHRI), das die Aufgabe hat, die Menschenrechtssituation im Land zu überwachen. Hierzu werden Gesetze, Dekrete und Verwaltungsentscheidungen überprüft, es wird Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen nachgegangen und es werden regelmäßige Berichte über die Ergebnisse der Arbeiten herausgegeben. Das NPM beaufsichtigt die Umsetzung des Anti-Terrorgesetzes. Es ist befugt, regelmäßig unangekündigte Besuche an allen Haftorten durchzuführen, den Einsatz von Folter zu untersuchen und Empfehlungen zur Verbesserung der Behandlung von Gefangenen abzugeben (USDOS 11.3.2020). Da der Ministerrat es jedoch verabsäumt hat, die für die Operationalisierung des Mechanismus erforderlichen Dekrete zu erlassen bzw. ihm ein Budget zuzuweisen, kann dieser weiterhin nicht tätig werden (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020; USDOS 11.3.2020).

Obwohl Menschenrechtsorganisationen einige Verbesserungen bei der Behandlung von Häftlingen im Laufe des Jahres 2019 einräumten, berichteten diese Organisationen und ehemalige Häftlinge weiterhin, dass Drogenkonsumenten, Prostituierte und LGBTI-Personen durch Beamte der Internal Security Force (ISF) - unter anderem durch Androhung längerer Haft und Preisgabe ihrer Identität gegenüber Familie oder Freunden - misshandelt wurden, insbesondere in Haftanstalten außerhalb Beiruts. Analuntersuchungen von Männern, die der gleichgeschlechtlichen sexuellen Aktivität verdächtigt werden, sind in den Polizeidienststellen Beiruts zwar verboten, wurden aber in Tripoli und anderen Städten außerhalb der Hauptstadt weiterhin durchgeführt (USDOS 11.3.2020).

Ermittlungs- oder Strafverfahren wegen Foltervorwürfen sind bisher nur in Einzelfällen bekannt geworden. Jedwede Form „systematischer Folter“ streitet die Regierung ab. Es handle sich um „Exzesse Einzelner“, gegen die man noch stärker auf strafrechtlicher Grundlage vorgehen werde. Menschenrechtsorganisationen haben (anders als das Internationale Komitee des Roten Kreuzes seit 2007) keinen Zutritt zu den Militärgefängnissen und zum Verhörzentrum im Verteidigungsministerium (AA 24.1.2020).

Korruption

Klientelismus, politische und bürokratische Korruption sind im Libanon weit verbreitet (GIZ 3.2020; vgl. DW 23.10.2019). Selbst unter führenden Politikern sind Bestechungen im großen Stil keine Seltenheit. In ihrem Schutz bildeten sich weit verästelte Netzwerke organisierter Korruption. Mangelnde Transparenz und Korruption sind eine wesentliche Ursache für die missliche Lage des Landes (GIZ 3.2020). Amtsmissbrauch wird nur selten strafrechtlich verfolgt. Das Fehlen einer nennenswerten rechtlichen, administrativen und politischen Aufsicht führt zu einer sehr starken Wahrnehmung von Korruption im Land (BTI 29.4.2020).

Das Gesetz sieht zwar strafrechtliche Sanktionen für Korruption vor, wird aber von der Regierung nicht wirksam umgesetzt. Regierungsbeamte sowie Beamte von Behörden, Zoll und Justiz sollen sich ungestraft und in großem Umfang an korrupten Praktiken beteiligt haben (USDOS 11.3.2020).

Das Central Inspection Board (CIB), ein Aufsichtsorgan innerhalb des Amtes des Premierministers, ist für die Überwachung der Verwaltungsabteilungen, einschließlich Beschaffung und finanzielle Maßnahmen, zuständig und blieb weitgehend unabhängig von politischer Einflussnahme. Das CIB kann Mitarbeiter der nationalen und kommunalen Regierung inspizieren und ist berechtigt, ihre Absetzung zu beantragen oder Fälle zur Strafverfolgung weiterzuleiten. Die Befugnisse des CIB erstrecken sich allerdings nicht auf Kabinettsminister oder kommunale Führungskräfte. Der Sozialversicherungsfonds und der Rat für Entwicklung und Wiederaufbau, öffentliche Einrichtungen, die große Finanzströme verwalteten, liegen ebenfalls außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der CIB (USDOS 11.3.2020).

Korruption äußert sich in der Praxis insbesondere in systemischer Vetternwirtschaft, im Versagen der Justiz - vor allem bei der Untersuchung von Amtsvergehen - sowie in zahlreichen Fällen von Bestechung auf mehreren Ebenen innerhalb der nationalen und regionalen Regierungen und führt zur Abzweigung von Ressourcen, die für andere Ziele bestimmt sind. Einige wenige Richter wurden vom Dienst suspendiert, bis Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Annahme von Bestechungsgeldern von Anwälten und Vermittlern abgeschlossen waren (USDOS 11.3.2020). Journalisten, die in Korruptionsfällen recherchieren, werden immer wieder zu Geldstrafen verurteilt (GIZ 3.2020).

Unternehmen zahlen routinemäßig Bestechungsgelder und pflegen Beziehungen zu Politikern, um Aufträge zu erhalten oder ungünstige staatliche Maßnahmen zu vermeiden, Antikorruptionsgesetze werden nur locker durchgesetzt, und Klientelnetzwerke arbeiten im Allgemeinen unkontrolliert. Es gibt nur wenige Mechanismen für eine wirksame Überwachung der Staatsausgaben. Institutionen wie das Zentralinspektionsbüro und der Oberste Disziplinarrat sind nach wie vor massiv unterfinanziert und personell unterbesetzt. (FH 4.3.2020).

Die Korruption in der Regierung und im öffentlichen Sektor waren einer der Auslöser für die massiven Proteste, die am 17. Oktober 2019 begannen. Innerhalb des ersten Monats nach Beginn der Proteste nahm die Zahl der korruptionsbezogenen Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen zu (USDOS 11.3.2020).

Gemäß Transparency International‘s Corruption Perceptions Index 2020 liegt der Libanon im Jahr 2019 in Bezug auf Korruption auf Platz 137 von insgesamt 180 Staaten (TI 2020).

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Im Libanon sind zahlreiche lokale und internationale, im öffentlichen Leben deutlich wahrnehmbare Menschenrechtsorganisationen tätig, die grundsätzlich frei arbeiten können. Regierungsbeamte gingen manchmal auf die Ansichten dieser Gruppen ein, aber es gab nur eine begrenzte Rechenschaftspflicht für Menschenrechtsverletzungen (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 24.1.2020). NGOs müssen das – in seinen Grundzügen seit 1909 bestehende Vereinsgesetz und andere anwendbare Gesetze in Bezug auf Arbeit, Finanzen und Einwanderung einhalten. Auch ist eine Registrierung beim Innenministerium erforderlich, womit unter Umständen ein Genehmigungsverfahren verbunden ist. Weiters kann das Innenministerium gegen Gründer, Funktionäre und Mitarbeiter einer NGO ermitteln (FH 4.3.2020).

Die Anwaltskammer Beirut veranstaltet regelmäßig öffentliche Seminare zum Schutz der Menschenrechte. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) arbeiten offiziell mit staatlichen Stellen bei der Aus- und Fortbildung von Sicherheitskräften und anderen Staatsbediensteten zusammen, deren Arbeit Auswirkungen auf die Menschenrechtslage haben kann. Vertreter internationaler Organisationen wie Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) können sich im Land frei bewegen. HRW unterhält ein Regionalbüro in Beirut und publiziert – wie auch lokale NGOs – regelmäßig kritische Berichte zur Menschenrechtslage im Land. Das bedeutet jedoch nicht, dass keine Versuche der Einschüchterung und Beeinflussung durch politische Institutionen oder nichtstaatliche Akteure zu verzeichnen wären. Der Libanon hat nach mehrjährigen Vorarbeiten im Herbst 2016 den Aufbau einer nationalen Menschenrechtsinstitution beschlossen, die seit Mai 2018 mit 10 Mitgliedern besetzt ist. Auch ist im Libanon eine Delegation des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) vertreten. Das IKRK befasst sich insbesondere mit der Situation in den Gefängnissen. Im Februar 2007 hat das IKRK ein Protokoll mit der Regierung unterzeichnet, das ihm auch den Zutritt zu den Gefängnissen der Armee und des Verteidigungsministeriums erlaubt. Rechtlich erschwert bleibt die Gründung von Organisationen durch Ausländer; dies macht es palästinensischen und syrischen Flüchtlingen de facto unmöglich, unabhängig von libanesischen Partnern NGOs zur Verfolgung ihrer Interessen zu gründen. In der Praxis treten libanesische Staatsangehörige für palästinensische und syrische Flüchtlinge als Gründer und Organe auf (AA 24.1.2020).

Allgemeine Menschenrechtslage

Der Libanon is

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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