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Baurecht - BgldNorm
AVG §42 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Borotha und die Hofräte Dr. Lehne, Dr. Leibrecht, Dr. Hrdlicka und Dr. Straßmann als Richter, im Beisein des Schriftführers Regierungskommissär Dr. Schmitz, über die Beschwerde des Dr. jur. JV in S, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Oberwart vom 19. Juni 1969, Zl. X-V-22/1969, (mitbeteiligte Parteien: 1) Gemeinde S und 2) KB in S) betreffend ein Zustellungsbegehren in einer Bausache, nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Beschwerdeführers, des Vertreters der belangten Behörde Landesregierungsrat Dr. FS und des Vertreters der mitbeteiligten Gemeinde S, Oberamtmann KV, zu Recht erkannt;
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Burgenland hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 2.601,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer beantragte am 13. März 1968 beim Bürgermeister der Gemeinde S als Baubehörde erster Instanz die Zustellung des Baubewilligungsbescheides des Bürgermeisters der Gemeinde S vom 17. April 1947, Zl. 4/1947, mit dem seinem Nachbarn KB die Errichtung und Abänderung seines Wohnhauses bewilligt worden sei. Im diesbezüglichen Bauverfahren seien die Anrainer nicht zur Bauverhandlung geladen und gehört worden und hätten somit keine Gelegenheit erhalten, an der Bauverhandlung teilzunehmen und Einwendungen gegen das Bauvorhaben vorzubringen. Der Beschwerdeführer berief sich auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Juli 1966, Slg. N. F. Nr. 6965/A, wonach einem Nachbarn, dem durch die Baubehörde keine Gelegenheit gegeben worden sei, an der Bauverhandlung teilzunehmen und seine Einwendungen gegen das Bauvorhaben vorzubringen, auch nach Erlassung des über das Baugesuch absprechenden Bescheides die Möglichkeit offenstehe, dessen Zustellung zu verlangen, ihn nach erfolgter Zustellung mit Berufung anzufechten, darin seine mangels Gelegenheit hiezu nicht vorgebrachten Einwendungen zu erheben und nach Erschöpfung des Instanzenzuges gegen einen seinem Vorbringen nicht Rechnung tragenden Betufungsbescheid beim Verwaltungsgerichtshof Beschwerde zu führen.
In einem daraufhin eingeleiteten Ermittlungsverfahren gab der Zeuge JH an, er sei als Miteigentümer eines Anrainergrundstückes durch den Gemeindediener zu einer einen im Jahre 1947 von KE beabsichtigten Zubau an seinem Wohngebäude betreffenden Bauverhandlung geladen worden, sei jedoch bei der Bauverhandlung nicht anwesend gewesen. Auch sein im Jahre 1961 verstorbener Onkel SH sei mit dem Zubau in der geplanten Form einverstanden gewesen und habe keine Einwendungen erhoben.
Am 10. September 1968 erließ der Bürgermeister der Gemeinde S einen Bescheid, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf Zustellung des Bescheides vom 17. April 1947, Zl. 4/1947, „gemäß § 68 Abs. 1 AVG, BGBl. Nr. 172/1950 wegen entschiedener Sache abgewiesen wurde.“ Weil aus der Aktenlage eine Verständigung der Anrainer nicht hervorgehe, seien Ermittlungen durchgeführt worden. Aus der niederschriftlichen Einvernahme des damaligen Anrainers JH gehe klar hervor, daß er von der Baubehörde zur Bauverhandlung ordnungsgemäß geladen worden sei. Auf Grund dieser Aussage und der durch bisherige Erfahrungen begründeten Annahme, daß die Baubehörde stets nach den gesetzlichen Bestimmungen gehandelt habe, sei die Verständigung der Anrainer als erwiesen angenommen worden.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Aus dem gegenständlichen Bauakt könne nur entnommen werden, daß eine Verhandlungsniederschrift vom 17. April 1947 und ein Bauplan vorhanden seien. Aus der Verhandlungsniederschrift gehe nicht hervor, daß Anrainer zur Bauverhandlung geladen worden seien. Nicht die Einvernahme eines der damaligen Anrainer darüber, ob er seinerzeit zur Bauverhandlung ordnungsgemäß geladen worden sei, sondern nur der diesbezügliche Bauakt sei entscheidungserheblich. Der Beschwerdeführer rügte sodann Verstöße gegen Bestimmungen der Bauordnung für das Burgenland, die der Baubehörde lm seinerzeitigen Bauverfahren unterlaufen seien; insbesondere sei die Bausache nicht mittels eines schriftlichen Bescheides erledigt worden. Somit sei die Bausache überhaupt unerledigt geblieben, weil die Baubewilligung zu ihrer Rechtswirksamkeit der Schriftform bedürfe. Abschließend rügte der Beschwerdeführer, daß ihm das Parteiengehör nicht gewährt worden sei.
Mit Bescheid des Gemeinderates der Gemeinde S vom 31. März 1969 wurde der erstinstanzliche Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG im Zusammenhalt mit § 76 der Burgenländischen Gemeindeordnung behoben und die Berufung als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, im gegenständlichen Fall sei lediglich die Rechtsfrage zu prüfen gewesen, ob der Eigentümer im Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung oder der Nacheigentümer des Anrainergrundstückes zur Zustimmung bzw. Ablehnung berechtigt sei. Da es sich bei einer Baubewilligung um eine rechtsgestaltende Verfügung handle, deren Rechtswirkungen in der Zukunft lägen und die daher Rechtswirkungen für die Vergangenheit nicht zu bewirken vermöge, müsse auch der Nachweis des Eigentumsrechtes auf den Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung abgestellt werden. Der Beschwerdeführer sei nach seinen eigenen Angaben erst im Jahre 1953 Miteigentümer des Anrainergrundstückes geworden und habe folglich im Jahre 1947 noch keine Parteistellung in der gegenständlichen Bausache gehabt haben können.
In der dagegen erhobenen Vorstellung wies der Beschwerdeführer zunächst darauf hin, daß Gründe, die die Rechtsmittelinstanz veranlaßt hätten, die Berufung als unzulässig zurückzuweisen, nicht aufgezeigt worden seien. Weitere ergebe sich aus Spruch und Begründung ein unlöslicher Widerspruch, der zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit des Bescheides führe. Eine Rechtswidrigkeit liege auch in der unzulässigen Zurückweisung. Zudem lasse die Begründung des Bescheides nicht erkennen, ob die Behörde die Grundlagen ihrer Entscheidung in einem einwandfreien Verfahren gewonnen habe. Der Berufungsbehörde sei vorzuwerfen, daß sie nicht zu den vorgebrachten Beweismitteln Stellung genommen habe und, statt auf die Berufungsausführungen einzugehen, völlig sinnlos Entscheidungsgründe der Vorstellungsinstanz in einer anderen Rechtssache kopiert habe. Die Begründung lasse nicht erkennen, welchen Sachverhalt die Behörde der Entscheidung zugrunde gelegt habe und aus welchen Erwägungen sie die Berufung zurückgewiesen habe. Neben weiteren, nicht näher auszuführenden Mängeln sei auch das Parteiengehör verletzt worden. Im übrigen gehe aus dem Bauakt Zl. 4/1947 eindeutig hervor, daß die Anrainer zur Bauverhandlung nicht geladen, zwar eine Verhandlungsschrift aufgenommen, keineswegs aber ein Baubescheid ausgefertigt worden sei.
Über diese Vorstellung erging der angefochtene Bescheid der belangten Behörde vom 19. Juni 1969. Mit diesem wurde die Vorstellung des Beschwerdeführers gemäß §§ 77 Abs. 5 und 79 Abs. 3 der Burgenländischen Gemeindeordnung, LGBl. Nr. 37/65, abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, beherrschendes Rechtsproblem in der gegenständlichen Vorstellungssache sei, ob der Beschwerdeführer übergangener Nachbar sei oder nicht. Sodann gibt die belangte Behörde dieselben Ausführungen aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Juli 1966, Slg. N. F. Nr. 6965/A, wieder, die schon der Beschwerdeführer zur Begründung seines Antrages vom 13. März 1968 herangezogen hatte. Weiters wird ausgeführt, daß nach den unbedenklichen Angaben des JH er und sein Onkel SH als Anrainer durch den Gemeindediener zur Bauverhandlung geladen worden seien. Wenn auch dem von der Baubehörde vorgelegten Bauakt dieser Verständigungsnachweis fehle, ändere dies nichts an der Rechtslage, seien doch seit der Bauverhandlung mehr als 20 Jahre verstrichen, weshalb die Baubehörde auf Grund der dargestellten Aussage und des Umstandes, daß bisher keine baubehördliche Beanstandung erfolgt sei, im Sinne des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Juni 1966, Slg. N. F. Nr. 6949/A, die Konsensmäßigkeit des Baues habe vermuten können. Im Falle eines Eigentumswechsels trete der neue Eigentümer zwar in die Rechtsstellung seines Vorgängers ein, diese könne aber nicht besser sein als die seines Vorgängers (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Oktober 1955, Slg. N. F. Nr. 3847/A). Der Beschwerdeführer habe sohin durch den angefochtenen Bescheid in seinen Rechten nicht verletzt sein können. Abschließend weist die belangte Behörde auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Mai 1968, Zl. 1489/66, und vom 27. Jänner 1969, Zl. 1772/67, hin, wonach die zum Art. 119 a Abs. 5 B-VG korrespondierende Bestimmung der Gemeindeordnung nicht den Sinn haben könne, daß jeder Verfahrensmangel, der den Gemeindebehörden bei der Durchführung von Verwaltungsverfahren zu einer Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches unterlaufe, jedenfalls zur Aufhebung des Bescheides durch die Aufsichtsbehörde führen müsse. Eine solche Aufhebung sei jedenfalls dann nicht am Platze, wenn die Aufsichtsbehörde nach Prüfung der Bedeutung dieser Mängel zur Auffassung gelangt ist, daß die Verfahrensmängel für die Frage der Rechtsverletzung unwesentlich waren und daher das Rechtsschutzinteresse nicht verletzt wurde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Zunächst fällt auf, daß im erstinstanzlichen Bescheid der Antrag des Beschwerdeführers „gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache abgewiesen“ wurde. Es finden sich jedoch weder in der Begründung dieses Bescheides noch überhaupt nach der Aktenlage irgendwelche Anhaltspunkte dafür, daß die Voraussetzungen des § 68 Abs. 1 leg. cit. vorlägen. Zudem wäre in diesem Fall der Antrag zurückzuweisen und nicht abzuweisen gewesen. Mit einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache stünde die Begründung in Widerspruch, da sie einer Entscheidung in der Sache selbst entspricht. Weil dieser Bescheid jedoch durch den Berufungsbescheid des Gemeinderates der Gemeinde S gemäß § 66 Abs. 4 AVG behoben wurde und demnach nicht mehr dem Rechtsbestand angehört, erübrigt es sich, auf diese Umstände näher einzugehen.
Was jedoch die Berufungsentscheidung selbst betrifft, liegt eine von der belangten Behörde nicht wahrgenommene Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers vor. Die Berufungsbehörde hat die Berufung als unzulässig zurückgewiesen, jedoch nicht ausgeführt, worin sie eine Unzulässigkeit erblickte. Der Begründung kann lediglich entnommen werden, daß die Berufung wohl deshalb als unzulässig angesehen wurde, weil der Beschwerdeführer im Jahre 1947 (zur Zeit der Erlassung des Bescheides, dessen Zustellung er begehrt) keine Parteistellung in der betreffenden Bausache hatte. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites ist jedoch nicht unmittelbar das damalige Bauverfahren, sondern das Zustellungsbegehren des Beschwerdeführers. Auf die Parteistellung in dem darüber durchzuführenden Verfahren ist es demnach ohne Einfluß, ob der Beschwerdeführer im damaligen Verfahren Partei war oder nicht. Da ein anderer Unzulässigkeitsgrund offenbar nicht vorliegt und von der Berufungsbehörde auch nicht behauptet wurde, hatte der Beschwerdeführer Anspruch darauf, daß über seine Berufung in der Sache selbst entschieden werde. In diesem Recht wurde er durch den Berufungsbescheid verletzt. Durchaus zutreffend verwies der Beschwerdeführer hiezu in seiner Vorstellung auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Oktober 1948, Slg. N. F. Nr. 526/A. Dadurch, daß die belangte Behörde darauf nicht Bedacht nahm und den Berufungebescheid nicht aufhob, ist der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grunde mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes behaftet.
In der Frage, ob dem Beschwerdeführer ein Anspruch auf Zustellung des Baubewilligungsbescheides vom 17. April 1947 zustand, ging die belangte Behörde mit Recht von der Auffassung der Berufungsbehörde ab, nach der ein solcher Anspruch deshalb von vornherein ausgeschlossen sein sollte, weil der Beschwerdeführer erst im Jahre 1953 Miteigentümer eines Anrainergrundstückes geworden ist. Daß Anrainerrechte und im besonderen auch das Recht, als übergangener Nachbar die Zustellung eines Bescheides zu verlangen, auf den Rechtenachfolger übergehen, hat der Verwaltungserichtehof in seinem Erkenntnis vom 15. Mai 1968, 688/67, unter Berufung auf das in diesem Zusammenhang von der belangten Behörde herangezogene Erkenntnis vom 12. Oktober 1955, Slg. N. F. Zl. 3847/A eindeutig klargestellt.
Zutreffend gibt die belangte Behörde auch die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtdhofes wieder, die dieser in seinem Erkenntnis vom 4. Juli 1966, Slg. N. F. Nr. 6965/A, unter Berufung auf das Erkenntnis vom 8. Mai 1962, Slg. N. F. Nr. 5794/4 ausgesprochen hat. Danach steht einem Nachbarn, dem durch die Baubehörde keine Gelegenheit gegeben worden ist, an der Bauverhandlung teilzunehmen und seine Einwendungen gegen das Bauvorhaben vorzubringen, auch nach Erlassung des über das Baugesuch absprechenden Bescheides die Möglichkeit offen, dessen Zustellung zu verlangen, ihn nach erfolgter Zustellung mit Berufung anzufechten, darin seine mangels Gelegenheit hiezu nicht vorgebrachten Einwendungen zu erheben und nach Erschöpfung des Instanzenzuges gegen einen seinem Vorbringen nicht Rechnung tragenden Berufungsbescheid beim Verwaltungsgerichtshof Beschwerde zu führen. Nach dem Inkrafttreten der Bundesverfassungsgesetz-Novelle 1962 ergibt sich dementsprechend, daß der Nachbar gegen den seiner Vorstellung gegen den Berufungsbescheid nicht Folge gebenden Bescheid der Aufsichtsbehörde beim Verwaltungsgerichtshof Beschwerde erheben kann.
Die belangte Behörde geht davon aus, daß nach den Angaben des JH er und sein Onkel SH als Anrainer zur Bauverhandlung geladen worden waren. Sodann beruft sich die belangte Behörde auf das Erkenntnis vom 20. Juli 1966, Slg. N. F. Nr. 6949/A, wonach die Konsensmäßigkeit des Baues mangels baubehördlicher Beanstandungen zu vermuten sei.
Der Beschwerdeführer bekämpft in seiner Beschwerde die Heranziehung dieses Erkenntnisses und beruft sich auf das Erkenntnis vom 30. November 1964, Slg. N. F. Nr. 6509/A, wonach die Vermutung der rechtmäßigen Bestandes einer Baulichkeit nur dann Platz greife, wenn der Zeitpunkt ihrer Erbauung offensichtlich so weit zurückliegt, daß auch bei ordnungsgemäß geführten Archiven die Wahrscheinlichkeit, noch entsprechende Unterlagen auffinden zu können, erfahrungsgemäß nichtmehr besteht. Damit sei klargestellt, daß die Rechtsvermutung der Konsensmäßigkeit nicht zulässig ist, wenn Unterleget über die seinerzeitige Bauführung bei der Baubehörde vorhanden sind. Der Bauakt Zl. 4/1947 sei jedoch vorhanden und es sei aus ihm ersichtliche daß die Baubehörde die Anrainer nicht geladen hatte. Wenn Unterlagen vorhanden seien, bleibe für eine Vermutung der Konsensmäßigkeit eines Baues aber kein Raum, weil nur der Inhalt des Bauaktes maßgebend sein könne. Ein Zeitraum von 20 Jahren sei dann, wenn keine besonderen äußeren Ereignisse vorlägen, kein Grund, an der Beweiskraft des Akteninhaltes zu zweifeln. Daß die Archive der Gemeinde S seit 1947 nicht ordnungsgemäß geführt würden, behaupte auch die belangte Behörde nicht.
Zunächst ist hiezu festzustellen, daß die in dem Erkenntnis vom 20. Juni 1966, Slg. N. F. Nr. 6949/A, ausgesprochenen Grundsätze sich ausschließlich auf die Vermutung des Vorhandenseins einer Baubewilligung und der Konsenemäßigkeit eines Baues beziehen. Im vorliegenden Fall hatten die Gemeindebehörden die Frage zu prüfen, ob im damaligen Bauverfahren die Anrainer ordnungsgemäß, d. h. den Vorschriften der §§ 37 Abs. 4 und 38 Abs. 1 der Bauordnung für das Burgenland, LGBl. Nr. 37/1926, entsprechend geladen wurden. Eine Vermutung dafür, daß ein Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde, nur weil es vor langer Zeit ablief, ist in der Rechtsprechung noch nicht als zulässig anerkannt worden und kann auch nicht als rechtmäßig angesehen werden.
Dem Beschwerdeführer kann freilich nicht beigepflichtet werden, wenn er daraus, daß ein entsprechender Nachweis für eine ordnungsgemäße Ladung sich nicht im Akt findet, ableiten will, es sei damit das Gegenteil erwiesen. Aus dem „Wendezeichen“, das sich dort findet, wo die Anrainernamen anzugeben wären, kann nicht zwingend geschlossen werden, daß die Anrainer nicht beigezogen wurden. Es wäre trotz der Aktenlage denkbar, daß die Verständigung ordnungsgemäß stattgefunden hätte.
Unter solchen Umständen hatten die Gemeindebehörden ein Ermittlungsverfahren durchzuführen und im Sinne des § 45 Abs. 2 AVG in freier Beweiswürdigung zu beurteilen, ob eine ordnungsgemäße Ladung der Anrainer erfolgte oder nicht. Diese Aufgabe haben sich die Gemeindebehörden auch gestellt. Der belangten Vorstellungsbehörde oblag es zu prüfen, ob die Vorschrift des § 56 AVG 1950 eingehalten wurde, wonach der Erlassung eines Bescheides die Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes, soweit er nicht von vornherein klar gegeben ist, nach den Vorschriften der §§ 37 und 39 AVG voranzugehen hat, ob also im gegenständlichen Falle die im Verwaltungsverfahren getroffenen Sachverhaltsfeststellungen die Annahme decken konnten, im seinerzeitigen Bauverfahren sei eine ordnungsgemäße Ladung der Anrainer erfolgt. Die belangte Behörde hat, wie aus der Begründung des angefochtenen Bescheides sinngemäß hervorgeht, diese Frage bejaht. Der Verwaltungsgerichtshof vermag sich dieser Ansicht aber nicht anzuschließen.
Im Verwaltungsverfahren wurde zur Beschaffenheit des Bauaktes nicht Stellung genommen. Im Zusammenhang damit, daß diesem Akt der für die Entscheidung maßgebende Sachverhalt nicht eindeutig entnommen werden konnte, bildeten auch die ohne Wahrheitserinnerung gemachten Angaben des JH keine ausreichende Grundlage für die Annahme, der Beschwerdeführer könne keinesfalls als übergangener Nachbar angesehen werden. Aus den Akten waren die Verhältnisse, die in dieser Hinsicht maßgebend sein mußten, die Lage der Grundstücke zueinander, die Eigentums- und Rechtsnachfolgeverhältnisse in keiner Weise zu entnehmen. Erst im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergab sich ein klareres Bild. Nach der in dieser Hinsicht nicht bestrittenen Darstellung des Beschwerdeführers waren seit 1939 neben S und JH, auch A, E und JB Eigentümer des Grundstückes 3..; an diesem erwarb später zunächst AV bezüglich der Anteile des AB und der EB, verehelichten dann aber an diesen Anteilen zur Hälfte der Beschwerdeführer das Eigentum. Die weitere Entwicklung der Eigentumsverhältnisse ist nicht entscheidend. Auch wenn man davon absieht, daß in dieser Hinsicht keine Klarheit bestand und der Verwaltungsgerichtshof nicht dazu berufen ist, auf Grund eines selbst gewonnenen Sachverhaltsbildes zu entscheiden, ergibt sich doch auch in Anbetracht dieser eben erörterten Tatsachen nicht, daß die Gemeindebehörden Rechte des Beschwerdeführers keinesfalls verletzt haben können. Allerdings genügt nach § 38 Abs. 2 der Bauordnung für das Burgenland, LGBl. Nr. 37, bei Liegenschaften, die im Miteigentum mehrerer Personen stehen, wenn kein gemeinsamer Vertreter oder Bevollmächtigter bestellt ist, die Ladung eines der Eigentümer. Diese bedeutet aber nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, daß den anderen Miteigentümern keine Parteistellung zukomme, wenn sie eine solche in Anspruch nehmen. Auch können Verschweigungsfolgen nur eintreten, wenn sie angedroht wurden. Daß aber in dieser Hinsicht den Vorschriften des § 38 Abs. 1 der Burgenländischen Bauordnung entsprochen worden ist, wurde von den Gemeindebehörden nicht festgestellt. Gemäß § 40 Abs. 4 der Burgenländischen Bauordnung war allerdings die Ausfertigung der Erledigung nur jenen Beteiligten zuzustellen, die Einwendungen erhoben oder die Verständigung bei der Bauverhandlung ausdrücklich verlangt hatten. Nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes kann aber diese Rechtsfolge, daß nämlich gar kein Anspruch auf Zustellung besteht, bei richtiger Auslegung nur eintreten, wenn die Ladung ordnungsgemäß, also auch unter Hinweis auf die Verschweigungsfolgen, erfolgte. Hätte nämlich ein Anrainer, der nicht ordnungsgemäß geladen wurde, und hiezu gehört auch der Hinweis auf die Verschweigungsfolgen, keine Möglichkeit, die Zustellung zu begehren, so würde die Bestimmung des § 40 Abs. 4 dazu führen, daß der Sinn der Anerkennung der Parteistellung der Anrainer völlig vereitelt werden kann. Ein solches Auslegungsergebnis ist aber nicht vertretbar. Diese Ergebnisse zeigen, daß, selbst wenn man davon absieht, daß die Vorstellungsbehörde offenbar einen Sachverhalt als klargestellt ansah, der nach den von den Gemeindebehörden getroffenen Feststellungen nicht in allen maßgebenden Punkten klargestellt war, auch unter Verwertung der im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erzielten Klärung die Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers im gemeindebehördlichen Verfahren nicht ausgeschlossen werden kann, Die Rechtsvorgänger des Beschwerdeführers, von deren Rechtsstellung seine Rechtsstellung abhängt, hätten auch in Anbetracht der Vorschriften des § 38 Abs. 2 und § 40 Abs. 2 der Burgenländischen Bauordnung als übergangene Nachbarn gelten können, wenn der nach seiner Aussage geladene Nachbar nicht ordnungsgemäß und vor allem nicht unter Androhung der Verschweigungsfolgen geladen worden war.
Die belangte Behörde gibt die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes zutreffend wieder, wenn sie bezüglich der Beurteilung von Mängeln im Verfahren der Gemeindebehörden durch die Vorstellungsbehörde den Beschwerdeführer, wie oben dargelegt, auf die Erkenntnisse vom 27. Mai 1968, Zl. 1489/66, und vom 27. Jänner 1969, Zl. 1772/67, hingewiesen hat. Soweit sie damit aber zum Ausdruck bringen wollte, allfällige wahrgenommene Verfahrensmängel fielen im vorliegenden Fall nicht ins Gewicht, ist ihr unter Hinweis auf die eben dargelegte Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes zu erwidern, daß sie auf diese zu Unrecht nicht Bedacht genommen und damit den angefochtenen Bescheid aus einem weiteren Grunde mit einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet hat.
Aus den angeführten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Unter diesen Umständen erübrigt es sich, auf die weiteren Beschwerdeausführungen einzugehen. Die belangte Behörde wird sich aber auch mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob die vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung allerdings nicht aufrechterhaltene Behauptung, der Bescheid vom 17. April 1947 sei niemandem zugestellt worden, eine Behauptung, mit der auch die Äußerung des Mitbeteiligten KB an den Verwaltungsgerichtshof übereinstimmt, nach der keine schriftliche Baubewilligung „ausgefolgt“ worden sei, zutrifft und welche Bedeutung diesem Umstand zuzukommen hätte.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 Abs. 1 und 2 lit. a, 48 Abs. 1 lit. a, b, c und d sowie 49 Abs. 1 VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I A Z. 1 und 2 sowie Art. II und III der Verordnung des Bundeskanzleramtes, BGBl. Nr. 4/1965. Das auf Ersatz des Portoaufwandes gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil dieser mit dem Pauschbetrag für den Schriftsatzaufwand als abgegolten zu gelten hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom 10. Juni 1968, Zl. 387/67). Die Fahrtkosten zu der vertagten Verhandlung vom 5. Oktober 1970 konnten nicht zugesprochen werden, da am gleichen Tag eine Verhandlung in einer anderen Sache des Beschwerdeführers stattfand und er in diesem Beschwerdefall obsiegende Partei war. Er hat die Fahrtkosten der Verhandlung am 5. Oktober 1970 aber nur einmal entrichten müssen.
Wien, am 14. Dezember 1970
Schlagworte
Baurecht Nachbar übergangener Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Besondere Rechtsgebiete BaurechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1970:1969001153.X00Im RIS seit
04.10.2021Zuletzt aktualisiert am
04.10.2021