TE Vwgh Beschluss 2021/9/1 Ra 2021/01/0250

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.09.2021
beobachten
merken

Index

E6J
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

B-VG Art133 Abs4
StbG 1985 §27 Abs1
StbG 1985 §28 Abs1
StbG 1985 §29
StbG 1985 §42
StbG 1985 §42 Abs3
VwGG §34 Abs1
62017CJ0221 Tjebbes VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des M E in W, vertreten durch Dr. Astrid Wagner, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 10, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 29. April 2021, Zl. VGW-152/065/15192/2020-20, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis stellte das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) gemäß § 27 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) fest, dass der Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft durch den Wiedererwerb der ägyptischen Staatsangehörigkeit am 31. März 2008 ex lege verloren habe (Spruchpunkt I.), und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.).

2        Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe nach seinem Ausscheiden aus dem ägyptischen Staatsverband und Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft im Jahr 2004 die ägyptische Staatsangehörigkeit am 31. März 2008 aufgrund eigener „positiver“ Willenserklärung wiedererworben, ohne die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Wiedererwerb der ägyptischen Staatsangehörigkeit beantragt und bewilligt erhalten zu haben. Er habe daher die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 27 StbG ex lege verloren.

Der Revisionswerber könne zwar auf ein bestehendes Privatleben und seit dem Zuzug seiner Ehefrau, einer ägyptischen Staatsangehörigen, und seiner drei minderjährigen, nach dem 31. März 2008 geborenen Kinder im Jahr 2017 auf ein Familienleben in Österreich verweisen. Der ex-lege-Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft erweise sich jedoch gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Vermeidung von Doppelstaatsbürgerschaften in Österreich als verhältnismäßig, zumal der Revisionswerber von der Möglichkeit, die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft vor Wiedererwerb der ägyptischen Staatsangehörigkeit nach § 28 StbG zu beantragen, nicht Gebrauch gemacht habe, dieser Umstand jedoch nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes von maßgeblicher Bedeutung für den Verlust der österreichische Staatsbürgerschaft sei.

3        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

4        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

5        Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6        Die Revision führt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst aus, mit dem Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft des Revisionswerbers sei auch für dessen drei minderjährige Kinder der Verlust ihrer vom Revisionswerber abgeleiteten österreichischen Staatsbürgerschaft verbunden. Überdies würde wegen dem Verlust seiner österreichischen Staatsbürgerschaft sein Dienstverhältnis zur Gemeinde Wien aufgelöst werden. Die gesamte Familie des Revisionswerbers würde daher ihre Existenzgrundlage in Österreich verlieren. Mit diesen Umständen habe sich das Verwaltungsgericht nicht im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung auseinandergesetzt. Unter Berücksichtigung des Familien- und Privatlebens des Revisionswerbers, seines langjährigen Aufenthalts in Österreich, des Grades seiner Integration und seiner strafgerichtlichen Unbescholtenheit hätte das Verwaltungsgericht bei richtiger rechtlicher Beurteilung zur Unverhältnismäßigkeit des Verlusts der Staatsbürgerschaft gelangen müssen.

7        Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ausgehend vom festgestellten Vorliegen der Voraussetzungen für den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG und einem damit verbundenen gleichzeitigen Verlust des Unionsbürgerstatus nach der Rechtsprechung des EuGH vom 12. März 2019 in der Rechtssache C-221/17, Tjebbes u.a., von der zuständigen nationalen Behörde und gegebenenfalls dem nationalen Gericht eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen.

Zu den Kriterien einer solchen unionsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung kann gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz iVm Abs. 9 VwGG auf die Begründung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Februar 2020, Ra 2020/01/0022, Rn. 21 - 26, verwiesen werden. Demnach hält der Verwaltungsgerichtshof neben der vom Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 17. Juni 2019, E 1302/2019, vertretenen verfassungsrechtlichen Sicht (weiterhin) eine derartige Verhältnismäßigkeitsprüfung nach den Kriterien des EuGH in der Rechtssache Tjebbes u.a. für unionsrechtlich geboten. Eine solche unionsrechtlich gebotene Prüfung erfordert eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles durchgeführte Gesamtbetrachtung. Bei einer solchen Gesamtbetrachtung wird regelmäßig der vom Verfassungsgerichtshof aus verfassungsrechtlicher Sicht angeführte Umstand, dass der Betroffene die ihm eingeräumte Möglichkeit zur Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft (nach § 28 Abs. 1 StbG) nicht wahrgenommen hat, von maßgeblicher Bedeutung sein. Dieser Umstand entbindet das Verwaltungsgericht aber nicht von der unionsrechtlich gebotenen Gesamtbetrachtung, ob fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der österreichischen Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist.

Nach den Vorgaben des EuGH im Urteil Tjebbes u.a. ist zu prüfen, ob fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der österreichischen Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist. Dies bedeutet, dass das Unionsrecht dem ex lege eintretenden Verlust der Staatsbürgerschaft nach § 27 Abs. 1 StbG nur bei Vorliegen besonders gewichtiger bzw. außergewöhnlicher Umstände (des Privat- und Familienlebens des Betroffenen) entgegensteht.

Eine (derartige) unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG und daher vom Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nur aufzugreifen, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten hat oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalls vorgenommen hat bzw. die Entscheidung auf einer verfahrensrechtlich nicht einwandfreien Grundlage erfolgte (vgl. zu allem aus der mittlerweile ständigen Rechtsprechung VwGH 23.9.2020, Ro 2020/01/0014, Rn. 28, 29, mwN).

8        Eine derartige krasse Fehlbeurteilung wird in der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision nicht dargetan:

9        Ein durch die Feststellung des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 42 Abs. 3 StbG allenfalls bewirkter Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft der Kinder der betroffenen Person (nach § 29 StbG) ist in - entweder auf Antrag der Kinder oder ihnen gegenüber von Amts wegen vorzunehmenden - gesonderten Feststellungsverfahren nach § 42 StbG zu prüfen, in denen auch die unionsrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen ist (vgl. dazu ausführlich wiederum VwGH 23.9.2020, Ro 2020/01/0014, Rn. 38 - 48, mwN). Mit dem bloßen Hinweis auf den möglichen Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft für die minderjährigen Kinder des Revisionswerbers wird daher keine unvertretbare Fehlbeurteilung des Verwaltungsgerichts aufgezeigt.

10       Dies gilt gleichermaßen für das erstmals in der Revision - und daher entgegen dem im Revisionsverfahren geltenden Neuerungsverbot (vgl. § 41 erster Satz VwGG) - erstattete Vorbringen, der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft hätte die Kündigung des Dienstverhältnisses zur Gemeinde Wien zur Folge.

11       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 1. September 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62017CJ0221 Tjebbes VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021010250.L00

Im RIS seit

04.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten