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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A O, vertreten durch Dr. Eva Jana Messerschmidt, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Salztorgasse 2/6 (Einvernehmensrechtsanwalt gemäß § 14 ElRAG: Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11), gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Februar 2021, L521 2204276-1/17E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens aus Bagdad, beantragte am 15. Juni 2015 internationalen Schutz und brachte zusammengefasst vor, ein Mitglied der schiitischen Miliz Asa‘ib Ahl al-Haqq würde ihn verfolgen, weil es ihn dafür verantwortlich mache, dass der Bruder des Milizionärs bei einem näher geschilderten Vorfall in der Vergangenheit von Mitgliedern des Islamischen Staates (IS) festgenommen worden sei.
2 Mit Bescheid vom 30. Juli 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 Begründend schenkte das BVwG dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers keinen Glauben und erachtete seine ungefährdete Rückkehr nach Bagdad, wo er geboren und aufgewachsen sei und sich nach wie vor enge Familienangehörige aufhalten würden, für möglich. Zur Rückkehrentscheidung nahm das BVwG eine Abwägung der für und gegen den Verbleib des Revisionswerbers im Bundesgebiet sprechenden Umstände nach Art. 8 EMRK vor und kam zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den familiären und privaten Interessen des Revisionswerbers überwögen.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 7. Juni 2021, E 868/2021-7, ablehnte und sie mit Beschluss vom 20. Juli 2021, E 868/2021-10, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
6 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG weiche von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht ab, weil konkrete Feststellungen zur Stammeszugehörigkeit des Revisionswerbers fehlen würden, obwohl diese im Irak eine große Rolle spiele. Der Stamm des Revisionswerbers werde traditionell mit Saddam Hussein in Verbindung gebracht, weswegen von schiitischen Milizen eine asylrelevante Gefahr ausgehen würde. Es habe bereits mehrere Fälle gegeben, in denen Mitgliedern des Stammes eine Nähe zum IS nachgesagt worden sei. Das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers decke sich insoweit mit jenem seines Bruders, der in Österreich internationalen Schutz erhalten habe. Das BVwG habe zudem veraltete Länderberichte zum Einfluss der Asa‘ib Ahl al-Haqq im Irak, der zunehmend größer werde, verwendet. In Bezug auf die Rückkehrentscheidung habe das BVwG die Beziehung des Revisionswerbers zu seiner Freundin nicht hinreichend ermittelt und es zu Unrecht unterlassen, diese Freundin (von Amts wegen) zu laden und zu befragen. Im Übrigen sei die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur beweiswürdigenden Auseinandersetzung mit vorgelegten Einstellungszusagen im Lichte des Art. 8 EMRK uneinheitlich. Das BVwG argumentiere, dass einer formlosen Einstellungszusage gegenüber einem Asylwerber keine wesentliche Bedeutung zukomme und verweise dazu auf ein näher genanntes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes. Gleichzeitig gebe es jedoch höchstgerichtliche Rechtsprechung (im Zusammenhang mit dem Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht), wonach bei Vorliegen von Einstellungszusagen eine inhaltliche Auseinandersetzung hiermit stattfinden müsse.
7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
9 Im gegenständlichen Fall hat das BVwG das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in einer vertretbaren Beweiswürdigung für nicht glaubhaft befunden. Ausführungen der Revision, die ungeachtet dessen eine Bedrohung durch eine schiitische Miliz (oder eines ihrer Mitglieder) annimmt und auf den steigenden Einfluss der Miliz im Irak verweisen, entfernen sich demgegenüber begründungslos von dem gerichtlich festgestellten Sachverhalt.
10 Wenn die Revision eine asylrelevante Bedrohung des Revisionswerbers aufgrund seiner Stammeszugehörigkeit behauptet und insoweit - kurz - auf die Fluchtgründe seines Bruders Bezug nimmt, ist ihr zu erwidern, dass der Revisionswerber eine Verfolgung wegen seiner Stammeszugehörigkeit nicht geltend gemacht hat. Über ausdrückliches Befragen durch das BVwG in der mündlichen Verhandlung hat er außerdem explizit bestritten, dass seine Fluchtgründe mit jenen seines Bruders ident seien. Das gegenteilige Revisionsvorbringen findet daher in den Angaben des Revisionswerbers im Laufe des Asylverfahrens keine Deckung.
11 Soweit sich die Revision gegen die Interessenabwägung des BVwG nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wendet, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. etwa VwGH 21.7.2021, Ra 2021/18/0243, mwN).
12 Im gegenständlichen Fall hat sich das BVwG mit sämtlichen für die Interessenabwägung maßgeblichen Umständen auseinandergesetzt. Es hat u.a. auch festgestellt, dass der Revisionswerber seit etwa zwei Jahren eine Beziehung zu einer russischen Staatsangehörigen unterhält, die in Österreich aufenthaltsberechtigt sei. Er lebe mit dieser Frau aber in keinem gemeinsamen Haushalt, es bestünden keine Abhängigkeiten, er kenne ihren richtigen Namen gar nicht. Auf dieser Grundlage verneinte das BVwG, dass diese Beziehung in der Gesamtabwägung geeignet wäre, den Verbleib des Revisionswerbers in Österreich zu rechtfertigen. Dem hält die Revision nichts Stichhaltiges entgegen. Wenn sie geltend macht, das BVwG hätte die Freundin des Revisionswerbers amtswegig laden und zur Intensität der Beziehung einvernehmen sollen, ist sie darauf hinzuweisen, dass ein diesbezüglicher Beweisantrag nicht gestellt worden ist. Erforderlichenfalls sind Beweismittel zwar auch von Amts wegen beizuschaffen (§ 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005); dass diese Voraussetzungen im gegenständlichen Fall gegeben gewesen wären und das BVwG hier grob fehlerhaft vorgegangen wäre (vgl. dazu etwa VwGH 16.6.2021, Ra 2021/18/0054, mwN), vermag die Revision aber nicht darzulegen.
13 Zur vorgelegten Einstellungszusage ist abschließend anzumerken, dass das BVwG die bedingte Einstellungszusage eines Unternehmens in K (wonach der Revisionswerber „mit genehmigter Arbeitsbewilligung und bei aktuellem Mitarbeiterbedarf“ eingestellt werden könnte; ein Vorvertrag wurde nicht vorgelegt) in seiner Interessenabwägung berücksichtigt, ihr jedoch insgesamt keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat. Weshalb diese Beurteilung vor dem Hintergrund der - keineswegs uneinheitlichen - höchstgerichtlichen Rechtsprechung fehlerhaft gewesen sein sollte, ist nicht zu erkennen.
14 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 10. September 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180304.L00Im RIS seit
04.10.2021Zuletzt aktualisiert am
04.10.2021