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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, in der Revisionssache des N S, vertreten durch Mag. Eva Velibeyoglu, Rechtsanwältin in 1100 Wien, Columbusgasse 65/22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2021, W204 2214781-1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans aus der Provinz Nangarhar, stellte am 12. Oktober 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, von den Taliban aufgefordert worden zu sein, ein Selbstmordattentat zu verüben. Aufgrund seiner Weigerung sei sein Vater ermordet worden.
2 Mit Bescheid vom 22. Jänner 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag vollinhaltlich ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan fest und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 2. März 2021 ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei aufgrund näher dargestellter Widersprüche nicht glaubhaft. Hinsichtlich der Nichtgewährung von subsidiärem Schutz erwog das BVwG, dass der Revisionswerber in seinen Herkunftsort, wo sein Vater und anderen Verwandte lebten, die ihn unterstützen könnten, zurückkehren könne, ohne der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt zu sein. Alternativ stehe dem jungen, gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber auch eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat-Stadt oder Mazar-e Sharif zur Verfügung. Im Rahmen der zur Rückkehrentscheidung durchgeführten Interessenabwägung kam das BVwG zum Schluss, die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung eines geordneten Asyl- und Fremdenwesens würden die privaten Interessen des Revisionswerbers überwiegen.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 29. April 2021, E 1521/2021-5, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
6 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorgebracht, das BVwG habe nicht ausreichend begründet, weshalb es von der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Revisionswerbers ausgehe und inwiefern es dem Revisionswerber im Fall einer Rückkehr möglich wäre, ein Leben ohne unbillige Härten zu führen. Im Rahmen der Interessenabwägung habe das BVwG nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Revisionswerber bereits viereinhalb Jahre in Österreich aufhältig sei, ihn an der langen Verfahrensdauer kein Verschulden treffe und er eine Lehre als Hotel- und Gastgewerbeassistent absolviere, weshalb der Gewinn für die öffentlichen Interessen bei seinem Verbleib in Österreich offenkundig überwiege.
7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Dem Vorbringen, das BVwG habe nicht ausreichend begründet, weshalb es von der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Revisionswerbers ausgehe, ist entgegenzuhalten, dass das BVwG eine detaillierte Beweiswürdigung hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers unter Berücksichtigung seiner Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der behaupteten Vorfälle vornahm und aufgrund der vagen und teilweise lebensfremden Angaben des Revisionswerbers zum Erhalt des Drohbriefs sowie den darauf folgenden Ereignissen bis zu seiner Ausreise zu dem Ergebnis kam, dass der Revisionswerber nicht von den Taliban bedroht worden sei und auch die daraus resultierende Ermordung seines Vaters nach der Ausreise des Revisionswerbers nicht stattgefunden habe.
12 Die Revision zeigt nicht auf, dass diese Beweiswürdigung fallbezogen unvertretbar wäre (zum Maßstab für das Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung vgl. VwGH 14.4.2021, Ra 2021/18/0027, mwN).
13 Soweit sich die Revision gegen die Nichtgewährung subsidiären Schutzes richtet, und vorbringt, dass BVwG habe den Revisionswerber zur Bestreitung seiner Lebenserhaltungskosten einzig auf die in Österreich gesparte Lehrlingsentschädigung verwiesen, ohne zu erklären, inwieweit der Revisionswerber eine dauerhafte Lebensgrundlage erwirtschaften könne, trifft dies ebenfalls nicht zu. Das BVwG ging vielmehr davon aus, dass der junge, gesunde Revisionswerber von seiner Familie, die im Herkunftsort über ein Haus und ein Grundstück verfüge, unterstützt werden würde und seine frühere berufliche Tätigkeit (als Gemüseverkäufer bzw. Rikscha-Fahrer) wiederaufnehmen könne. Lediglich ergänzend hielt es fest, dass der Revisionswerber Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und auch allfällige Ersparnisse für die Wiederansiedlung verwenden könne.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ausreichend ist. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, dass exzeptionelle Umstände vorliegen (vgl. VwGH 16.7.2020, Ra 2020/18/0231, mwN). Die Revision vermag nicht darzulegen, dass das BVwG mit seiner Einschätzung von dieser Rechtsprechung abgewichen wäre.
15 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen (vgl. etwa VwGH 27.6.2017, Ra 2017/18/0005, mwN). Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren.
16 Wenn sich die Revision schließlich gegen die Rückkehrentscheidung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 18.3.2021, Ra 2021/18/0091, mwN). Liegt - wie im vorliegenden Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig vorausgesetzt, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. etwa VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0246, mwN).
17 Das BVwG berücksichtigte die soziale und berufliche Integration des Revisionswerbers im Hinblick auf seine Lehre und die daraus entstandenen Freundschaften sowie seine Deutschkenntnisse, hielt diesen privaten Interessen jedoch entgegen, dass sich der Revisionswerber seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein habe müssen und anhaltende Bindungen zu seinem Herkunftsstaat bestünden, weshalb es fallbezogen von keiner außergewöhnlichen Integration und einem Überwiegen der öffentlichen Interessen ausging.
18 Wenn der Revisionswerber in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass der Beruf als Hotel- und Gastgewerbeassistent für die Wirtschaft essentiell wichtig sei, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Berücksichtigung einer Lehre in einem Mangelberuf als öffentliches Interesse zugunsten des Fremden nicht in Betracht kommt (vgl. grundlegend VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003).
19 Es ist daher nicht ersichtlich, dass dem BVwG bei der vorgenommenen Interessenabwägung eine revisible Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (zum diesbezüglichen Prüfkalkül des Verwaltungsgerichtshofes vgl. VwGH 12.5.2021, Ra 2020/18/0260, mwN).
20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 10. September 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180262.L00Im RIS seit
04.10.2021Zuletzt aktualisiert am
04.10.2021