TE Vwgh Erkenntnis 2021/9/10 Ra 2021/18/0134

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Veröffentlicht am 10.09.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §7 Abs1
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
FlKonv Art1 AbschnC Z5
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des N S, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 2021, W255 2120493-2/27E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein minderjähriger afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Nangarhar, gelangte im Jahr 2013 gemeinsam mit seinem Vater und einem jüngeren Bruder nach Österreich, wo sie jeweils Anträge auf internationalen Schutz stellten.

2        Mit Erkenntnissen vom 9. Oktober 2017 erkannte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im Beschwerdeweg dem Vater des Revisionswerbers und - im Familienverfahren nach § 34 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) - dem Revisionswerber sowie seinem jüngeren Bruder den Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 zu und stellte ihre Flüchtlingseigenschaft fest.

3        Die Mutter und weitere Geschwister des Revisionswerbers reisten im November 2019 auf Basis von Einreisetiteln gemäß § 35 AsylG 2005 nach Österreich.

4        Mit Bescheid vom 11. Juli 2019 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Es erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht zu, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und verhängte ein Einreiseverbot in der Dauer von sechs Jahren.

5        Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

6        Begründend führte es im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe nicht glaubhaft machen können, dass er und/oder sein Vater, von dem er den Status des Asylberechtigten abgeleitet habe, in Afghanistan (nach wie vor) einer konkreten Bedrohung und/oder Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt sei/seien. Es liege daher der Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK („Wegfall der Umstände“-Klausel) vor. Damit erübrige sich eine Prüfung von weiteren Aberkennungstatbeständen (der Revisionswerber war in den Jahren 2016 bis 2019 mehrfach straffällig geworden). Auch subsidiärer Schutz sei dem Revisionswerber nicht zuzuerkennen, weil ihm bei Rückkehr in seinen Herkunftsdistrikt kein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit drohe. Alternativ stehe ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative in den afghanischen Städten Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul zur Verfügung. Die Rückkehrentscheidung sei aufgrund der massiven Straffälligkeit des Revisionswerbers, seiner mangelnden Integration in Österreich und der negativen Zukunftsprognose trotz des Eingriffs in sein Familienleben (und unter Berücksichtigung des Kindeswohls) gerechtfertigt.

7        Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zusammengefasst geltend macht, das BVwG lasse in seiner Entscheidung vollkommen außer Acht, dass der Revisionswerber minderjährig sei. Der Revisionswerber stelle nicht in Abrede, dass er Straftaten verübt habe, dies rechtfertige jedoch nicht die Trennung von seiner in Österreich lebenden Kernfamilie. Im Übrigen liege der Asylaberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschn. C Z 5 GFK nicht vor, weil die Gründe, die zur Zuerkennung der Asylberechtigung im Familienverfahren geführt hätten, nach wie vor bestünden.

8        Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10       Die Revision ist zulässig und begründet.

11       Vorauszuschicken ist, dass auch in Bezug auf den jüngeren Bruder des Revisionswerbers, der - wie der Revisionswerber - in Österreich mehrfach straffällig geworden ist, eine gleichlautende Entscheidung des BVwG ergangen ist, mit der - zusammengefasst - dem Bruder des Revisionswerbers Asyl aberkannt und kein subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist bzw. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung ergangen und festgestellt worden ist, dass er nach Afghanistan abgeschoben werden darf. Die Begründung dieses verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses entspricht im Wesentlichen jener, wie sie im vorliegenden Fall gegeben wurde. Der Bruder des Revisionswerbers hat gegen das ihn betreffende Erkenntnis Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben, die zu hg. Zl. Ra 2021/14/0108 protokolliert worden ist.

12       Mit Erkenntnis vom 3. September 2021, Ra 2021/14/0108-15, wurde die den Bruder des Revisionswerbers betreffende verwaltungsgerichtliche Entscheidung vom Verwaltungsgerichtshof wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, und zwar vor allem deshalb, weil das BVwG die Lageänderung, welche die Asylaberkennung fallbezogen rechtfertigen soll, nicht hinreichend begründet hat. Auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

13       Aus denselben Gründen kann auch das vorliegende Erkenntnis keinen Bestand haben. Bei diesem Ergebnis braucht auf die von der Revision angesprochene Frage, ob die Rückverbringung eines minderjährigen Afghanen in den Herkunftsstaat - unter Trennung von seiner Kernfamilie - gegenständlich rechtens gewesen wäre, nicht näher eingegangen zu werden.

14       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

15       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 10. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180134.L02

Im RIS seit

04.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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