TE Vwgh Beschluss 2021/9/10 Ra 2021/14/0256

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.09.2021
beobachten
merken

Index

19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG 2014 §9 Abs2
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2
FrPolG 2005 §53 Abs2
FrPolG 2005 §53 Abs3
FrPolG 2005 §59 Abs5
MRK Art3
MRK Art8

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des A B, vertreten durch Dr. Sebastian Siudak, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Donau, Blütenstraße 15/5/5.13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Mai 2021, W282 2175930-3/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte erstmals am 23. Februar 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), welcher vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 4. Juli 2018 im Beschwerdeverfahren vollinhaltlich abgewiesen wurde. Eine dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 17. Dezember 2018, Ra 2018/14/0037, zurückgewiesen.

2        Nachdem der Revisionswerber nach Ablauf der ihm gewährten Frist für die freiwillige Ausreise im Bundesgebiet verblieb, sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 21. August 2018 aus, dass dem Revisionswerber kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werde, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung ab, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise und erließ ein auf die Dauer von 18 Monaten befristetes Einreiseverbot. Mit Erkenntnis des BVwG vom 14. Februar 2020 wurde die Beschwerde gegen diesen Bescheid im zweiten Rechtsgang letztlich als unbegründet abgewiesen.

3        Am 6. März 2021 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005.

4        Mit Bescheid vom 28. April 2021 wies das BFA diesen Antrag sowohl in Bezug auf den Status des Asylberechtigten als auch den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurück.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 31. Mai 2021 wies das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab, wies einen in der Beschwerde gestellten Antrag, dieser aufschiebende Wirkung zuerkennen, als unzulässig zurück und sprach aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Begründend kam es zum Ergebnis, dass es dem nunmehr vorgebrachten neuen Fluchtvorbringen aus näher dargestellten Erwägungen an einem glaubhaften Kern mangle. In Bezug auf die Voraussetzungen für die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hätten sich ebensowenig entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderungen ergeben, weil für den Revisionswerber weiterhin eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative bestehe. Der Umstand, dass die schwangere Freundin des Revisionswerbers ein Kind erwarte, sei im gegenständlichen Verfahren irrelevant, weil gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot bestehe.

7        Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der diese mit Beschluss 24. Juni 2021, E 2227/2021-5, abgelehnt und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

8        In der Folge brachte der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision ein.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG sei in mehrfacher Hinsicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Auf Basis der vorgebrachten Neuerungen liege eine Änderung der als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umstände vor. Dass sein diesbezügliches Vorbringen keinen glaubhaften Kern aufweise, treffe nicht zu. Das BVwG hätte sich zudem auch mit der zum Entscheidungszeitpunkt vorherrschenden Situation aufgrund der COVID-19-Pandemie in Afghanistan auseinandersetzen müssen, weil diese im ersten Asylverfahren nicht berücksichtigt habe werden können. Es könne unter Zugrundelegung des aktuellen Berichtsmaterials nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass dem Revisionswerber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht zumutbar wäre. Schließlich fehle die Überprüfung des Privat- und Familienlebens des Revisionswerbers. Eine solche hätte stattfinden müssen, weil die geänderten privaten und familiären Interessen eine Neubemessung der Dauer eines Einreiseverbotes und damit eine neuerliche Rückkehrentscheidung erforderlich gemacht hätten.

13       Mit diesem Vorbringen wird jedoch nicht dargetan, dass die außerordentliche Revision zulässig wäre.

14       „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG war die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrags durch das BFA gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgte. Das BVwG hatte dementsprechend zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Bei wiederholten Anträgen auf internationalen Schutz kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung berechtigen und verpflichten, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukommt; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. zu alldem VwGH 22.10.2018, Ra 2018/20/0480, mwN).

15       Die Beurteilung, ob die behauptete Sachverhaltsänderung einen „glaubhaften Kern“ aufweist, erfolgt stets im Rahmen der Beweiswürdigung. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. zu dem Ganzen VwGH 30.7.2020, Ra 2019/20/0301, mwN). Eine solche Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung zeigt die Revision, die diesbezüglich nur einzelne Aspekte der Beweiswürdigung herausgreift, nicht auf.

16       Die dargestellten Grundsätze zur Beurteilung der Frage, ob ein Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückzuweisen ist, gelten auch für Sachverhaltsänderungen, die auf das Auftreten des SARS-CoV-2-Virus und auf Auswirkungen von Maßnahmen, die zur Eindämmung seiner Verbreitung gesetzt wurden, zurückzuführen sind (vgl. dazu eingehend VwGH 3.7.2020, Ra 2020/14/0255).

17       Die Revision vermisst im angefochtenen Erkenntnis eine Auseinandersetzung mit der vorherrschenden Situation aufgrund der COVID-19-Pandemie in Afghanistan und macht damit einen Verfahrensmangel geltend.

18       Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungs-, Feststellungs- oder Begründungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 24.6.2021, Ra 2021/14/0180, mwN). Eine diesen Anforderungen entsprechende Relevanzdarlegung, auch dazu, warum die entsprechenden Feststellungen die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erforderten (und damit eine Änderung des Sachverhaltes in entscheidungsrelevanter Hinsicht darstellten), lässt die Revision vermissen.

19       Soweit die Revision schließlich die unterbliebene Berücksichtigung von Änderungen im Bereich seines Privat- und Familienlebens rügt, ist zunächst festzuhalten, dass der Bescheid des BFA - und damit auch das angefochtene Erkenntnis - keine Rückkehrentscheidung nach § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) enthält, sodass auch keine Beurteilung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) vorgenommen wurde. Dies entspricht auch der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, weil gegen den Revisionswerber bereits eine mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung besteht.

20       Demnach ist zwar auch eine (negative) Entscheidung über einen Folgeantrag grundsätzlich mit einer Entscheidung über die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu verbinden. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG stellt auch für den Fall der Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache nach § 68 AVG die Rechtsgrundlage für die Verbindung dieser Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung dar (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/20/0274, mwN).

21       Besteht jedoch gegen einen Drittstaatsangehörigen bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung, so bedarf es gemäß § 59 Abs. 5 FPG bei allen nachfolgenden Verfahrenshandlungen nach dem 7., 8. und 11. Hauptstück des FPG oder dem AsylG 2005 keiner neuerlichen Rückkehrentscheidung, es sei denn, es sind neue Tatsachen gemäß § 53 Abs. 2 und 3 FPG hervorgekommen (vgl. dazu grundlegend VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082 bis 0087, mwN: „im Fall der Änderung des für die Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes relevanten Sachverhaltes“).

22       Mit dem Hinweis auf seine geänderte private und familiäre Situation hat der Revisionswerber jedoch keine neuen Tatsachen gemäß § 53 Abs. 2 und 3 FPG geltend gemacht. Nichts anderes ergibt sich aus der vom Revisionswerber zitierten Entscheidung VwGH 26.3.2019, Ra 2019/19/0018, mit der in der gleichen Konstellation (Folgeantrag bei aufrechtem Einreiseverbot und Vorbringen zu Privat- und Familienleben) die ersatzlose Behebung u.a. der Rückkehrentscheidung durch das BVwG und die Nichtdurchführung einer Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG als im Einklang mit der Judikatur beurteilt wurde.

23       Diesbezüglich besteht auch kein Rechtsschutzdefizit, weil dem Revisionswerber zur Geltendmachung seines Privat- und Familienlebens im Sinn von Art. 8 EMRK der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Verfügung steht, welcher zu erteilen ist, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall VwGH 16.12.2015, Ro 2015/21/0037). Im Falle einer relevanten Änderung des diesbezüglichen Sachverhalts steht eine aufrechte Rückkehrentscheidung einem solchen Antrag auch nicht gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 entgegen (vgl. dazu etwa VwGH 29.3.2021, Ra 2017/22/0196, mwN).

24       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 10. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140256.L00

Im RIS seit

04.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten