Entscheidungsdatum
26.04.2021Norm
BFA-VG §18 Abs2 Z1Spruch
W220 2240419-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bosnien und Herzegowina, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.02.2021, Zl.: 1130757805/201151620, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger, lebte in Bosnien und Herzegowina und reiste in den vergangenen Jahren lediglich ab und zu für Kurzbesuche nach Österreich, bis er am 06.07.2018 in Österreich eine österreichische Staatsangehörige heiratete. In weiterer Folge lebte er zunächst ab August 2018 im Rahmen der Bedingungen eines Touristenvisums abwechselnd für einige Monate bei seiner Ehefrau und deren beiden Kindern in Österreich und alleine in Bosnien und Herzegowina. Dem Beschwerdeführer wurde erstmals am 09.08.2019 ein bis 09.08.2020 gültiger Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ erteilt; seit August 2019 hält sich der Beschwerdeführer durchgehend in Österreich auf. Der ihm erteilte Aufenthaltstitel wurde in weiterer Folge verlängert; der Beschwerdeführer verfügt derzeit über einen von 10.08.2020 bis 10.08.2021 gültigen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“.
Gegen den Beschwerdeführer wurde hinsichtlich der Wohnung seiner Ehefrau am 09.11.2020 ein Betretungs- und Annäherungsverbot gemäß § 38a SPG ausgesprochen. Am 10.11.2020 wurde gegen den Beschwerdeführer von einem Bezirksgericht eine seitens seiner Ehefrau beantragte einstweilige Verfügung (insbesondere Auftrag zum Verlassen bzw. Verbot der Rückkehr hinsichtlich der Wohnung seiner Ehefrau sowie Verbot der Annäherung an seine Ehefrau und deren minderjährige Tochter) erlassen, welche über Antrag der Ehefrau des Beschwerdeführers mit Beschluss eines Bezirksgerichts am 17.02.2021 wieder aufgehoben wurde.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl übermittelte dem Beschwerdeführer am 18.11.2020 ein Parteiengehör zur beabsichtigten Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme; eine Stellungnahme des Beschwerdeführers erfolgte nicht.
Am 19.11.2020 wurde über den Beschwerdeführer die Untersuchungshaft verhängt.
Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 19.01.2021 wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 StGB, der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB, der versuchten Körperverletzung nach den §§ 15, 83 Abs. 1, der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 3 erster Fall und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, davon sechs Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt.
Am 15.02.2021 fand zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen bzw. Sicherungsmaßnahmen eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Die Ehefrau des Beschwerdeführers wurde ebenfalls am 15.02.2021 als Zeugin im Verfahren zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen bzw. Sicherungsmaßnahmen gegen den Beschwerdeführer niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.
Mit oben zitiertem Bescheid vom 15.02.2021 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG (Spruchpunkte I.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Bosnien und Herzegowina zulässig sei (Spruchpunkt II.), erließ gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von dreieinhalb Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt III.), gewährte dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.) und erkannte einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.).
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang an das Bundesverwaltungsgericht.
Über den Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.02.2021 die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet und der Beschwerdeführer am selben Tag in Schubhaft genommen. Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 09.03.2021 wurde – nach Einvernahmen des Beschwerdeführers, seiner Ehefrau und deren Sohnes – die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Schubhaftbescheid vom 16.02.2021 und seine Anhaltung in Schubhaft als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass zum Entscheidungszeitpunkt die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen würden.
Der Beschwerdeführer wurde am 10.03.2021 nach Bosnien und Herzegowina abgeschoben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Bosnien und Herzegowinas und führt die im Kopf dieser Entscheidung ersichtlichen Personalien; seine Identität steht fest.
Der Beschwerdeführer ist in Bosnien und Herzegowina geboren und aufgewachsen, wo er eine Volksschule und eine Hauptschule besuchte, die Lehre als Fliesenleger absolvierte und die mittlere Reife in Rechnungswesen machte. Er arbeitete in Bosnien und Herzegowina als Fliesenleger und verdiente dadurch 400,00 bis 450,00 Euro pro Monat. Der Beschwerdeführer beherrscht Bosnisch, Serbisch und Kroatisch.
Der Beschwerdeführer reiste in den vergangenen Jahren lediglich ab und zu für Kurzbesuche von ein bis zwei Tagen nach Österreich, bis er am 06.07.2018 in Österreich eine österreichische Staatsangehörige heiratete, die einen Sohn und eine minderjährige (Geburtsjahr 2003) Tochter hat. Die Ehefrau des Beschwerdeführers und ihre beiden Kinder lernten den Beschwerdeführer zuerst über Facebook und im Jahr 2017 in Bosnien und Herzegowina persönlich kennen, als sie dort Urlaub machten. Die Ehefrau des Beschwerdeführers wurde in Bosnien und Herzegowina geboren, besuchte dort die Volksschule, lebt seit 1986 durchgehend in Österreich und hat etwa seit dem Jahr 2002 die österreichische Staatsbürgerschaft; die bosnisch-herzegowinische Staatsangehörigkeit besitzt sie nicht mehr. Die Ehefrau des Beschwerdeführers hat seit ihrem Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft nie in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union gelebt oder gearbeitet. Der Beschwerdeführer lebte nach der Eheschließung mit seiner Ehefrau zunächst ab August 2018 im Rahmen der Bedingungen eines Touristenvisums abwechselnd für einige Monate bei seiner Ehefrau und deren beiden Kindern in Österreich und alleine in Bosnien und Herzegowina. Seit August 2019 hielt sich der Beschwerdeführer (bis zu seiner Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina am 10.03.2021) durchgehend in Österreich auf und lebte bis 10.10.2020 mit seiner Ehefrau und deren beiden Kindern im gemeinsamen Haushalt. Ihm wurde erstmals am 09.08.2019 ein bis 09.08.2020 gültiger Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ erteilt; dieser Aufenthaltstitel wurde in weiterer Folge verlängert. Der Beschwerdeführer verfügt derzeit über einen von 10.08.2020 bis 10.08.2021 gültigen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“.
Der Beschwerdeführer einerseits und seine Ehefrau sowie deren Kinder andererseits verfügen seit 10.10.2020 über keinen gemeinsamen Wohnsitz, nachdem es am 10.10.2020 zu einem Streit zwischen dem Beschwerdeführer einerseits und seiner Ehefrau sowie deren Tochter andererseits kam; seitdem verfügte der Beschwerdeführer (bis zu seiner Festnahme am 17.11.2020, Inhaftnahme am 19.11.2020 und seiner Abschiebung am 10.03.2021) über keinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich. Gegen den Beschwerdeführer wurde hinsichtlich der (vormals gemeinsamen) Wohnung seiner Ehefrau am 09.11.2020 ein Betretungs- und Annäherungsverbot gemäß § 38a SPG ausgesprochen. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 10.11.2020, GZl.: 6 C 64/20v, wurde gegen den Beschwerdeführer eine seitens seiner Ehefrau beantragte einstweilige Verfügung – insbesondere Auftrag zum Verlassen bzw. Verbot der Rückkehr hinsichtlich der Wohnung seiner Ehefrau sowie Verbot der Annäherung an seine Ehefrau und deren minderjährige Tochter – für die Dauer von sechs Monaten erlassen. Der Beschwerdeführer hat sich seiner Ehefrau wiederholt entgegen aufrechten Betretungs- und Annäherungsverbots und aufrechter einstweiliger Verfügung angenähert und Kontakt gesucht und dadurch gegen das Betretungs- und Annäherungsverbot und gegen die einstweilige Verfügung verstoßen.
Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 19.01.2021, GZl.: 39 Hv 117/20k, wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 StGB, der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB, der versuchten Körperverletzung nach den §§ 15, 83 Abs. 1, der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 3 erster Fall und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, davon sechs Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt. Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beschwerdeführer versuchte am 10.10.2020 seine Ehefrau durch die Äußerung, er würde sie für den Fall des Nichtwiedereingehens der Beziehung umbringen und danach sich selbst, zum Wiedereingehen der Beziehung zu nötigen. Am 10.10.2020 versuchte der Beschwerdeführer weiters, seine Ehefrau am Körper zu verletzen, indem er mit erhobener Faust auf diese zuging und zum gezielten Schlag gegen diese ausholte, wobei er letztlich die minderjährige Tochter seiner Ehefrau, welche sich zwischen den Beschwerdeführer und ihre Mutter gestellt hatte, im Kopfbereich traf, was eine Schürfwunde im Bereich der Stirn zur Folge hatte. Weiters nötigte der Beschwerdeführer am 09.11.2020 seine Ehefrau zur Verbringung in ihre Wohnung, indem er diese, als sie danach trachtete, das Wohnhaus zu verlassen, am Körper erfasste und zurück in die Wohnung drängte. Er nötigte seine Ehefrau am 09.11.2020 zudem zur Abnahme des Handys, indem er ihr die in der Hand getragene Tasche entriss und daraus ohne Bereicherungsvorsatz das einliegende Handy entnahm. Außerdem versuchte der Beschwerdeführer am 09.11.2020 seine Ehefrau zur Entgegennahme von Küssen zu nötigen, indem er sie mit einer Hand im Bereich ihrer rechten Rippenseite erfasste, fest zudrückte und gegen einen Küchenblock drängte und dabei danach trachtete, sie auf den Mund und den Hals zu küssen; durch diese Tathandlung hat der Beschwerdeführer seine Ehefrau am 09.11.2020 auch am Körper verletzt, was eine Prellung des Brustkorbes, verbunden mit über die körperliche Einwirkung hinausgehend anhaltenden Schmerzen der rechten Rippenseite sowie eine Prellung des linken Mittelfingers zur Folge hatte. Bei der Strafbemessung wurde mildernd kein Umstand berücksichtigt; erschwerend wurde das Zusammentreffen einer Vielzahl (8) von Vergehen gewertet.
Bereits zuvor war der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der beharrlichen Verfolgung, des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung und des Vergehens der gefährlichen Drohung angeklagt worden, wobei der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 14.06.2019, GZl.: 24 Hv 30/19d, von dieser gegen ihn erhobenen Anklage freigesprochen wurde.
Der Beschwerdeführer ist weder bezüglich seiner Verstöße gegen das Betretungsverbot und die einstweilige Verfügung noch hinsichtlich seiner strafrechtlichen Verurteilung bzw. seinem dieser zugrundeliegenden Fehlverhalten schuldeinsichtig; die verbüßte Freiheitsstrafe hat daran nichts geändert.
Die einstweilige Verfügung vom 10.11.2020 wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 17.02.2021, GZl.: 6 C 64/20v, auf Antrag der Ehefrau des Beschwerdeführers aufgehoben. Der Beschwerdeführer und seiner Ehefrau wollen ihre Ehe fortsetzen. Der Beschwerdeführer hat zu den Kindern seiner Ehefrau wieder ein gutes Verhältnis. Ein Abhängigkeitsverhältnis besteht zwischen dem Beschwerdeführer einerseits und seiner Ehefrau sowie deren Kindern andererseits nicht.
In Österreich hat der Beschwerdeführer, abgesehen von seiner Ehefrau und deren beiden Kindern, drei bosnisch-herzegowinische Arbeitskollegen, mit denen er sich auch außerhalb der Arbeit zum Kaffee trinken trifft, und einen weiteren Verwandten, zu dem er keinen Kontakt hat. Der Beschwerdeführer war in Österreich von 02.09.2019 bis (zu seiner Festnahme am) 17.11.2020 erwerbstätig und zur Sozialversicherung angemeldet. Er hat einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 besucht und spricht ein bisschen Deutsch.
Der Beschwerdeführer wurde am 17.11.2020 festgenommen und befand sich von 19.11.2020 bis 17.02.2021 in Strafhaft; im Anschluss an die Strafhaft wurde der Beschwerdeführer in Schubhaft genommen und bis zu seiner Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina am 10.03.2021 angehalten.
In Bosnien und Herzegowina war der Beschwerdeführer zuletzt im Dezember 2019; er ist dort nach wie aufrecht gemeldet. Bei der Meldeadresse handelt es sich um das Eigentumshaus der Mutter des Beschwerdeführers, die dort derzeit wohnt und das zukünftig vom Beschwerdeführer und seinen Geschwistern bewohnt werden soll; dem Beschwerdeführer wird ein Drittel dieses Hauses gehören. Die Ehefrau des Beschwerdeführers hat einmal mit dem Beschwerdeführer gemeinsam dessen Mutter besucht. Während seiner letzten Aufenthalte in Bosnien und Herzegowina übernachtete der Beschwerdeführer in einem Hotel oder mietete sich eine Wohnung, weil er nicht bei seiner Mutter übernachten will, die psychisch krank ist und mit der er im Streit liegt; er mietete Wohnungen je nach Bedarf für zwei bis vier Monate. Der Beschwerdeführer wurde dabei finanziell von seiner Ehefrau unterstützt. In Bosnien und Herzegowina leben nach wie vor die Eltern, die beiden Schwestern und eine volljährige Tochter des Beschwerdeführers; der Beschwerdeführer hat zu seiner Tochter und seinen Schwestern regelmäßig Kontakt. Auch Freunde und Bekannte, zu denen Kontakt besteht, hat der Beschwerdeführer in Bosnien und Herzegowina.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer ist in Bosnien und Herzegowina nicht bedroht oder verfolgt und läuft nicht konkret Gefahr, in Bosnien und Herzegowina der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe beziehungsweise der Todesstrafe unterworfen zu werden oder in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten.
Zur Lage in Bosnien und Herzegowina wird unter auszugsweiser Heranziehung der seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl getroffenen Länderfeststellungen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bosnien und Herzegowina, Version 1) nachfolgend festgestellt:
„[…]
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 12.06.2020
Die aktuelle Sicherheitslage in Bosnien und Herzegowina ist seit Oktober 2018 durch die politischen Spannungen zwischen den regierenden Parteien geprägt. Die Wahlkampfrhetorik der politischen Parteien hat auch zur Zeit der Covid-19-Pandemie nicht angehalten, da man sich für die Kommunalwahlen im Herbst 2020 wappnet. Diese instabile politische Lage wirkt sich direkt negativ auf die Sicherheitslage aus (VB 15.5.2020).
Während des ersten Nachkriegsjahrzehnts hatte ein Hoher Repräsentant unter dem Mandat der Vereinten Nationen die Exekutivgewalt in einer Art Halbprotektorat, während eine von der NATO geführte Militärmission die Sicherheit im ganzen Land wiederherstellte. Der Hohe Repräsentant nutzte seine Exekutivbefugnisse, wo dies erforderlich war, um Beamte und politische Entscheidungsträger, die beschuldigt wurden, die Umsetzung des Friedens zu behindern, abzusetzen, Gesetze und Änderungen der Verfassungen der Entitäten durchzusetzen und zusätzliche Institutionen auf gesamtstaatlicher Ebene zu schaffen. Die internationalen Interventionen schufen jedoch die Voraussetzungen für eine liberale Demokratie, öffneten Raum für Dialog und Kompromisse, führten zu einer gewissen Pluralisierung des Parteiensystems und des politischen Lebens, etablierten staatliche Kernfunktionen und legten die Grundlage für eine allgemeine Stabilität. Seit 2004 unterhält die Europäische Union eine militärische Präsenz in Bosnien und Herzegowina, die European Union Force Althea (EUFOR Althea), die die friedenserhaltende Mission der North Atlantic Treaty Organization (NATO) ablöste, die im Rahmen des Dayton-Abkommens von 1995 eingesetzt worden war. EUFOR Althea ist nach wie vor die einzige internationale Sicherheitstruppe in Bosnien und Herzegowina mit einem landesweiten Mandat zur Gewährleistung der Sicherheit. Die Reduzierung der Truppenstärke auf nur wenige Hundert Mann in den letzten zehn Jahren hat jedoch dazu geführt, dass es für EUFOR Althea schwierig sein wird, im Falle einer ernsten Sicherheitskrise die Sicherheit zu garantieren. Die Sicherheitslage hat sich jedoch weitgehend normalisiert (BTI 29.4.2020).
Zwischen Bosnien-Herzegowina und Kroatien bestehen einige ungelöste, andauernde Grenz-und Territorialfragen. Zum einen geht es um die Nutzung der Adria. So ist im Südwesten Bosnien-Herzegowinas die Frage des Verwaltungsbezirks Neum, der die Stadt Dubrovnik und umliegendes Land vom kroatischen Festland abtrennt, ungelöst. Bis dato ist kein Grenzvertrag ratifiziert worden. Zwischen Bosnien-Herzegowina und Serbien wiederum existieren ungelöste Grenz- und Territorialfragen entlang des Flusses Drina. Die OSZE-Mission in Bosnien-Herzegowina ist mit etwa 68 Personen weiterhin in dem Land präsentund operiert unter der Führung der USA. Ziel der Mission ist es, die allgemeine Sicherheitslage zu verbessern und die Verteidigungsstrukturen zu stärken (BICC 5.2020).
[…]
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 12.06.2020
Die Staatsverfassung sieht das Recht auf ein faires Verfahren in Zivil- und Strafsachen vor, während die Verfassungen der Entitäten ein unabhängiges Justizwesen vorsehen. Dennoch beeinflussen politische Parteien und die Akteure des organisierten Verbrechens die Justiz sowohl auf Staats- als auch auf Entitätsebene in politisch sensiblen Fällen, insbesondere im Zusammenhang mit Korruption, sowohl auf staatlicher als auch auf Entitätsebene. Die Behörden versäumen es bisweilen, Gerichtsentscheidungen durchzusetzen. Während die zivilen Behörden eine wirksame Kontrolle und Koordinierung der Strafverfolgungsbehörde und Sicherheitskräfte aufrechterhalten, führte das Fehlen einer klaren Aufteilung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zwischen den 16 Strafverfolgungsbehörden des Landes zu gelegentlichen Verwirrung und überlappenden Zuständigkeiten. Das Gesetz sieht die Unschuldsvermutung vor. Der Angeklagte hat das Recht auf einen Anwalt und falls er sich keinen Anwalt leisten kann, wird auf Staatskosten ein Pflichtverteidiger bereitgestellt. Der Angeklagte hat das Recht auf einen gerichtlich bestellten Dolmetscher, die Zeugen und Beweise in seinen eigenen Namen vorzulegen und Urteile anzufechten. Die Behörden respektieren im Allgemeinen die meisten dieser Rechte, die sich auf alle Angeklagten erstrecken (USDOS 13.3.2020).
Eine überarbeitete nationale Strategie zur Bearbeitung von Kriegsverbrechen, die den Prozess der Zuweisung von Fällen an die verschiedenen Gerichte verbessern soll, wartet seit Februar 2018 auf die Genehmigung durch den Ministerrat. 2019 wurden keine Fortschritte erzielt, so dass sich die Geschwindigkeit, mit der Kriegsverbrecherfälle verfolgt werden, verlangsamt hat. Nach Angaben der OSZE waren im August 2019 250 Kriegsverbrechensfälle gegen 512 Angeklagte vor allen Gerichten in BiH anhängig (HRW 14.1.2020).
Seit Mitte Februar 2020 blockieren die bosnischen Serben Entscheidungen (alle Gesetzesänderungen und Vorschläge) im Parlament BiH. Diese Blockade wurde von den Funktionären aus der Entität RS angekündigt, weil sie unzufrieden mit den Entscheidungen des BiH Verfassungsgerichts waren. Insbesondere möchte diese Entität die drei ausländischen internationalen Richter aus dem Verfassungsgericht entfernen und plant, bis zu diesem Zeitpunkt die genannte Blockade aufrechtzuerhalten (VB 15.5.2020).
Wie viele Bereiche des täglichen Lebens in Bosnien und Herzegowina ist auch die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis von Korruption durchzogen. Problematisch ist zudem, dass die existierenden, transparenten Regelungen zur Auswahl des Richters in einem Verfahren (gesetzlich bestimmter Richter) in der Praxis oft nur auf dem Papier angewandt werden. Sippenhaft wird nicht praktiziert (AA 14.3.2020).
Grundsätzlich gilt, dass sich jeder bosnische Staatsbürger im Falle von "Verfolgungshandlungen gegen seine/ihre Person" an Polizei oder direkt an die Staatsanwaltschaft wenden kann. Sollten die offiziellen Stellen nicht tätig werden bzw. sollte es sich bei der Verfolgungshandlung gegen den Betroffenen um eine Menschenrechtsverletzung handeln, stehen halb- bis nichtstaatliche Organisationen mit Rechtsbeistand zur Seite. Auch hat das Ministerium für Menschenrechte und Flüchtlinge in der Sektion für Menschenrechte eine Abteilung zum „Schutz von individuellen Menschenrechten und Bürgerrechten“, welche u.a. Anliegen und Beschwerden annimmt und bearbeitet und Bürgern fachliche Hilfe leistet (VB 15.5.2020).
[…]
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 12.06.2020
In Bosnien-Herzegowina ist das staatliche Gewaltmonopol im Prinzip auf dem gesamten Territorium verankert. Dieses Gewaltmonopol wird jedoch nach wie vor durch die schlechte institutionelle Koordination zwischen den Sicherheitsdiensten und die anhaltende Politisierung untergraben. Die Streitkräfte von BiH wurden 2006 durch die Vereinigung der drei getrennten ethnischen Kräfte aufgestellt, sie haben jedoch nicht das Mandat, die Sicherheit innerhalb vdes Landes aufrechtzuerhalten. Die Polizeikräfte leiden unter einem hohen Grad an institutioneller Fragmentierung und zunehmender Politisierung. In der RS ist die Polizei stark zentralisiert und steht unter dem starken Einfluss der Regierungsparteien. In der Föderation sind die Zuständigkeiten der Polizei zwischen der föderalen und der kantonalen Ebene aufgeteilt, wobei die Zusammenarbeit zwischen den Behörden nur unvollständig institutionalisiert ist. In den ethnisch gemischten Kantonen bestehen weiterhin ethnische Trennungen unter den Polizeikräften. Seit 2011 erleben die Polizeibehörden auf allen Ebenen einen massiven Drang der herrschenden Eliten nach mehr politischer Kontrolle und einer Rücknahme der Reformen. Die Institutionen auf staatlicher Ebene haben ein schwaches Mandat und geringe operative Kapazitäten, was auf eine 2007 durchgeführte Teilreform der Polizei zurückzuführen ist. Sie leiden auch unter der schlechten Koordinierung mit den Behörden auf den unteren Regierungsebenen (BTI 29.4.2020).
Im Bereich Sicherheit schlägt sich die komplexe bosnisch-herzegowinischen Verfassung nieder; auf Gesamtstaatsebene existiert neben der Polizeibehörde SIPA (u. a. zuständig für Kriegsverbrechen, Organisierte Kriminalität und Korruption), die Grenzpolizei sowie die Direktion zur Koordinierung der Polizeidienste, der u.a. Interpol und der Objektschutz zugeordnet sind. Die Aufsicht über diese gesamtstaatlichen Polizeibehörden liegt beim Sicherheitsministerium. In der Föderation existiert eine Föderationspolizei mit Sitz in Sarajevo, deren Zuständigkeit sich auf das Gebiet der Föderation erstreckt, die aber keinerlei Weisungsbefugnis gegenüber den auf Kantonsebene bestehenden Polizeibehörden hat. In der Republika Srpska übt die Gesamtpolizei hingegen auch Aufsicht über die sechs regionalen Polizeibehörden der Entität aus. Die Polizei im Sonderdistrikt Br?ko ist unabhängig. Jede dieser Behörden verfügt wiederum über Spezialeinheiten. Das Militär befindet sich seit 2003 in einem Reformprozess (u. a. in Hinblick auf die NATO-Annäherung Bosnien und Herzegowinas). Mit Inkrafttreten des Verteidigungsgesetzes und des Wehrdienstgesetzes (beide 2005) wurde mit den bewaffneten Streitkräften (Oruzane Snage Bosne i Herzegowine - OSBIH) eine gesamtstaatliche Armee geschaffen. Die Armeen der Entitäten bzw. aus Kriegszeiten erhalten gebliebene Truppenteile der drei konstituierenden Volksgruppen wurden abgeschafft (AA 14.3.2020).
Parallel zum Militär fand auch innerhalb der Polizei ein umfassender Reformprozess statt. Erfolge bestehen darin, dass die Polizei, die einst Rückkehrer drangsalierte und Kriegsverbrecher schützte, nun zu den angesehensten Institutionen im ganzen Land zählt (BICC 5.2020).
Die Grundausbildung für Polizeibeamte wird in zwei Akademien auf Entitätsebene (Republika Srpska und Föderation BiH) durchgeführt. Die mittlerweile abgeschlossenen Twinning Projekte „Strenghtening in Law Enforcement“ und „Moneylaundering“ bekommen in Form von weiteren, von der EU geförderten Projekten (IPA, Twinning, TAIEX), ihre Nachfolge. An der ausgezeichneten Zusammenarbeit zwischen dem österreichischen BVT und den zuständigen bosnischen Sicherheitsbehörden hat sich nichts verändert (VB 15.5.2020).
[…]
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 12.06.2020
Die Verfassung von Bosnien und Herzegowina schreibt für alle Menschen das Recht auf Freiheit von Folter fest. Das Land ist danach an die Antifolterkonvention (1984) und die Europäische Folterverhütungskonvention gebunden. BiH hat 2003 vorbehaltlos die Zuständigkeit der Antifolterkommission nach Art. 22 der VN-Antifolterkonvention anerkannt. Folter ist in BiH strafbar. Der Ausschuss des Europarates zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung überprüft seit 2011 Polizeistationen, Haftanstalten und psychiatrische Einrichtungen. Die letzte Überprüfung fand im Juni 2019 statt, ein Bericht liegt noch nicht vor. Es kommt nach Angaben des CPT im Rahmen von polizeilichen Verhören und Verhaftungen verbreitet und innerhalb der Gefängnisse nach wie vor vereinzelt zu körperlichen Misshandlungen, insbesondere gegen Angehörige der Roma. Beschwerden von Betroffenen werden uneinheitlich behandelt und nur wenige werden aufgeklärt (AA 14.3.2020).
Das Gesetz verbietet solche Praktiken. Obwohl es keine Berichte gibt, dass Regierungsbeamte solche Maßnahmen ergriffen haben, gibt es keine konkreten Hinweise darauf, dass die Sicherheitskräfte die Praxis der schweren Misshandlung von Häftlingen und Gefangenen, die in den Vorjahren gemeldet wurden, beendet hätten. Im Jahr 2018 erhielt die Institution des Ombudsmanns für Menschenrechte 144 Beschwerden über Misshandlungen von Gefangenen durch Sicherheitskräfte, von denen sich einige auf die Behandlung in Gefängniseinrichtungen bezogen. Beobachter stellten fest, dass die Misshandlung von Verdächtigen und Gefangenen auf Polizeistationen und in Haftanstalten zwar allgemein zurückging, aber weiterhin Anlass zur Sorge gibt. Die Strafverfolgung solcher Fälle bleibt langsam und inkonsequent (USDOS 13.3.2020).
[…]
Korruption
Letzte Änderung: 12.06.2020
Die Regierung verfügt zwar über Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch und Korruption, aber der politische Druck verhindert oft die Anwendung dieser Mechanismen. Die Regierung hat hauptsächlich mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft die Polizei- und Sicherheitskräfte geschult, um Missbrauch und Korruption zu bekämpfen und die Achtung der Menschenrechte zu fördern. Die Schulung von Polizeibeamten hat auch Komponenten des Ethik- und Antikorruptionstrainings enthalten. Korruption seitens der Beamten ist strafbar, aber die Regierung hat das Gesetz nicht effektiv umgesetzt und die öffentliche Korruption nicht als ernsthaftes Problem eingestuft. Besonders häufig ist die Korruption im Gesundheits- und Bildungswesen, bei den öffentlichen Beschaffungsprozessen, bei der lokalen Verwaltung und bei den Beschäftigungsverfahren in öffentlicher Verwaltung (USDOS 13.3.2020).
Korruption ist sowohl auf höchster politischer als auch gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und privater Ebene weit verbreitet. Ihre Bekämpfung wird von den hierfür zuständigen Institutionen häufig eher behindert. Wie viele Bereiche des täglichen Lebens in BiH ist auch die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis von Korruption durchzogen. Korruption ist in BiH allgegenwärtig und kann auch im Gesundheitswesen nicht ausgeschlossen werden (AA 14.3.2020).
Korruption ist weiterhin ein sehr aktuelles Problem in BiH. Diese Tatsache trägt zu einer immerwährenden instabilen politischen Lage bei. In einigen Kantonen wurden in weniger als zwei Jahren nach den letzten Wahlen schon zwei bis drei Koalitionsregierungen gebildet und sind gescheitert. Grund für das Scheitern dieser Koalitionen ist Korruption bzw. Stimmenhandel bei den Parteien (VB 15.5.2020).
Im aktuellen Transparency International Corruption Perceptions Index 2019 rangiert BiH unter 180 Ländern und Territorien an 101. Stelle mit einer Punkteanzahl von 36 von bestmöglichen 100 (TI 2019).
[…]
Ombudsmann
Letzte Änderung: 12.06.2020
Insgesamt gibt es in BiH Ombudsmannbüros in Banja Luka, Sarajevo, Mostar, im Distrikt Brcko und eine Außenstelle in Livno (VB 11.5.2020).
Der gesamtstaatliche Ombudsmann hat die Befugnis, Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen die Landesgesetze auf Hinweis der einzelnen Bürger zu untersuchen und Empfehlungen zur Nachbesserung an die Regierung unterbreiten. Die Empfehlungen des Bürgerbeauftragten sind rechtlich unverbindlich. Ein Bosniake, ein Kroate und ein Serbe teilen sich die Führung der Ombudsstelle, was innerhalb der Institution manchmal zu Meinungsverschiedenheiten führt bei der Einschätzung, was eine Menschenrechtsverletzung darstellt. Dem Ombudsmann fehlen die Mittel, um effektiv zu arbeiten (USDOS 13.3.2020).
Die Zahl der Beschwerden, die beim Ombudsmann für Menschenrechte im Jahr 2018 einlangten, verringerte sich auf 3.218 Fälle, um 48 weniger als im Jahr 2017 (3.266 Fälle). Mit den aus den Vorjahren übertragenen Fällen wurden 5.239 Beschwerden bearbeitet, davon 3.205 erledigt. Die meisten Beschwerden betrafen Verstöße gegen die bürgerlichen und politischen Rechte - 978 (Ombudsmann BiH 3.2019).
[...]
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 12.06.2020
Im Jahr 2019 gab es in Bosnien und Herzegowina kaum Verbesserungen beim Schutz der Menschenrechte. Im Dezember 2019 sind es zehn Jahre seit dem Sejdi?-Finci-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vergangen, in dem festgestellt wurde, dass die bosnische Verfassung ethnische und religiöse Minderheiten diskriminiert, indem sie ihnen nicht erlaubt, für die Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Die Verfassung wurde noch immer nicht geändert (HRW 14.1.2020).
Die Behörden haben es versäumt, mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Verfassungsgerichts von BiH umzusetzen, in denen die in der Verfassung festgelegten Vereinbarungen über die Machtteilung als diskriminierend eingestuft wurden und Menschen, die nicht einem der konstituierenden Völker (Bosniaken, Kroaten oder Serben) angehören, daran gehindert wurden, für legislative und exekutive Ämter zu kandidieren. (AI 16.4.2020).
Die Menschenrechtssituation in Bosnien-Herzegowina ist als prekär zu beurteilen. Grundlegende Menschen- und Bürgerrechte sind zwar durch die Verfassung gedeckt, werden jedoch weiterhin missachtet. Eine Umsetzung dieser Rechte und ihre Anwendung in der Praxis fanden in den vergangenen Jahren kaum statt. Die Diskriminierung in weiten Teilen des öffentlichen und privaten Lebens ist weit verbreitet. Sehr problematisch ist das mehrfach vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerügte Wahlrecht, das Minderheiten keine ausreichende Vertretung garantiert. Auch Teile der Verfassung, die stellenweise nur einen provisorischen Charakter haben, sind aus Sicht des Gerichtshofs kritisch. Trotz Verabschiedung eines Antidiskriminierungsgesetzes und sich daraus ergebender Fortschritte bei der Bekämpfung der Diskriminierung, verdeutlichen beispielsweise die allgemeine Segregation und Diskriminierung in öffentlichen Schulen dieses grundlegende Problem, das das Zusammenleben zukünftiger Generationen weiterhin erschweren wird. Defizite bestehen weiterhin bei der gerichtlichen Aufarbeitung der Kriegsverbrechen und der gesellschaftlichen Versöhnung. Bei der Umsetzung der Nationalen Strategie zur Verfolgung von Kriegsverbrechen treten weiterhin Mängel auf (BICC 5.2020).
Eine Beschränkung der Betätigungsmöglichkeiten für die politische Opposition durch den Staat und seine Organe erfolgt grundsätzlich nicht. Allerdings hat die Regierung der Republika Srpska mehrfach angekündigt, ein Gesetz in das Parlament einzubringen, welches alle Politiker einschließlich der Opposition unter strenger Strafandrohung verpflichten würde, in der bosnisch-herzegowinischen Gesamtstaatsorganisationen ausschließlich die von der Regierung RS vorgegebene Linie zu vertreten. Die Vereinigungsfreiheit wird durch die bosnisch-herzegowinische Verfassung sowie durch beide Entitätsverfassungen gewährleistet. Vereine und Stiftungen können auf Gesamtstaats-, Entitäts- oder Kantonsebene registriert werden. Das Verfahren kann allerdings langwierig und kompliziert sein. Die Regierung der Republika Srpska hat eine Gesetzesinitiative angekündigt, die NROs und politische Stiftungen einer Meldepflicht von ausländischer finanzieller Unterstützung auferlegen soll und dem Ziel der Überwachung von aus dem Ausland finanzierten Aktivitäten dient. Die Versammlungsfreiheit ist formal nicht eingeschränkt, jedoch entsprechen die einzelnen Gesetze zur Versammlungsfreiheit in den Entitäten und Kantonen nicht vollumfänglich europäischen Standards. In der Republika Srpska konnten Versuche beobachtet werden, Demonstranten durch unverhältnismäßiges Vorgehen durch die Polizei oder Ankündigungen von restriktiven Gesetzesvorhaben einzuschüchtern. Dazu zählen bspw. das Vorgehen der Polizei gegen die Protestbewegung „Gerechtigkeit für David“ um den Jahreswechsel 2018/2019 (AA 14.3.2020).
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Meinungs- und Pressefreiheit
Letzte Änderung: 12.06.2020
Das Muster von Drohungen, politischem Druck und Angriffen auf Journalisten setzt sich fort. Journalisten werden aufgrund ihrer ethnischen Herkunft und des Inhalts ihrer Arbeit ins Visier genommen. Im Weltindex für Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt BiH auf Platz 63 von 180 Ländern (AI 16.4.2020).
Die Informationsfreiheit ist insofern gewährleistet, als es insgesamt ein breit gefächertes Medienangebot gibt, so dass bei Lektüre einer Vielzahl von Medien eine umfassende Informationsgewinnung möglich ist. Es gibt jedoch kein Medium, das unabhängig von parteipolitischer Einflussnahme ist. Nach Einschätzung der Journalistenvereinigung sind Online-Portale unabhängiger als andere Quellen, allerdings gibt es erhebliche Defizite bei Recherche und Verifizierung von Online-Artikeln. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten werden ihrem Informationsauftrag nicht gerecht. Die Freiheit eines einzelnen Journalisten, unabhängig zu berichten, ist aufgrund von wirtschaftlichen und politischen Zwängen erheblich eingeschränkt. Unabhängige Beobachter wie die OSZE, Human Rights Watch, der hiesige Presserat und die EU sehen kritische Journalisten neben wirtschaftlichem Druck vereinzelt Bedrohungen und Nötigung, auch durch Politiker, ausgesetzt. Im Jahr 2019 registrierte die Journalistenvereinigung von Bosnien und Herzegowina 49 Fälle von Angriffen auf Journalisten sowie Verletzungen der Freiheit der Meinungsäußerung und Integrität von den Medien, davon u. a. neun körperliche Angriffe und acht Morddrohungen. Nur ein Bruchteil der begangenen Straftaten wurde untersucht und gerichtlich verhandelt (AA 14.3.2020).
Das Gesetz sieht das Recht auf freie Meinungsfreiheit einschließlich der Pressefreiheit vor, aber die Regierung respektiert dieses Recht weiterhin nur unzureichend. Einschüchterungen, Schikanen und Drohungen, einschließlich einer gestiegenen Zahl von Morddrohungen gegen Journalisten und Presseorgane setzen sich fort, während die Medienberichterstattung mehrheitlich von nationalistischer Rhetorik und ethnischen und politischen Vorurteilen geprägt ist, die häufig Intoleranz und manchmal Hass fördern. Der Mangel an Transparenz hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse in den Medien bleibt ein Problem. Der politische und finanzielle Druck auf die Medien geht weiter. Die Zahl der körperlichen Angriffe auf Journalisten nahm im Jahr 2019 zu (USDOS 13.3.2020).
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Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 12.06.2020
Gemäß der Verfassung ist die Glaubens- und Religionsfreiheit garantiert. Diese Rechte werden auch durch vergleichbare Regelungen in den Entitätsverfassungen und durch das Religionsgesetz garantiert. Alle anderen Gesetze und Verordnungen im Land müssen mit dem Religionsgesetz in Einklang gebracht werden. Jede Diskriminierung in Glaubensfragen ist verboten. Dazu gehört u. a. die Beleidigung von kirchlichen Amtsträgern, die Beschädigung von religiösen Gebäuden und das Verspotten einer Religion. Bei der Abwägung von Kunst- gegen Religionsfreiheit sehen sich Verfechter der Kunstfreiheit scharfem Gegenwind ausgesetzt: Sie werden von religiös Gebundenen als „aggressive Atheisten“ verächtlich gemacht. Die Strafverfolgung entsprechender Fälle ist wie bei anderen Deliktsformen auf Grund von Defiziten im Justizapparat nicht in jedem Fall konsequent. Anerkannte Religionsgemeinschaften sind die Islamische Gemeinschaft, die Serbisch-Orthodoxe Kirche, die Katholische Kirche und die Jüdische Gemeinde sowie alle anderen Kirchen und religiösen Gemeinschaften, deren Rechtspersönlichkeit vor Inkrafttreten des Religionsgesetzes anerkannt worden ist. Der Staat darf nicht in die kirchliche Selbstverwaltung eingreifen. Es gibt keine Staatskirche und keine Staatsreligion (AA 14.3.2020).
Laut der Volkszählung 2013 machen Muslime etwa 51 % der Bevölkerung aus, serbisch-orthodoxe Christen 31 %, Katholiken 15 % und andere, darunter Protestanten und Juden, 3 %. Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen Ethnie und Religion: die bosnischen Serben sind in erster Linie mit der serbisch-orthodoxen Kirche und die bosnischen Kroaten mit der römisch-katholischen Kirche verbunden. Bosniaken sind überwiegend Muslime. Die jüdische Gemeinde schätzt, dass sie 1.000 Mitglieder hat, deren Mehrheit in Sarajevo lebt. Die Mehrheit der serbisch-orthodoxen Christen lebt in der RS, die meisten Muslime und Katholiken in der Föderation. Protestantische und die meisten anderen kleinen Religionsgemeinschaften haben ihre größten Gemeinden in Sarajevo und Banja Luka. Religionsgemeinschaften von Minderheiten berichten weiterhin über Diskriminierungen durch die Kommunalbehörden bei der Nutzung von religiösem Eigentum und der Erteilung von Genehmigungen für neue religiöse Objekte. Seit 2010 registrierte der Interreligiöser Rat insgesamt 209 Angriffe auf religiöse Amtsträger und Stätten. Die Polizei hatte nur bei 73 Angriffen die Täter identifiziert und die Gerichte nur 23 dieser Fälle verfolgt. Das IRC (Interreligious Council) unternimmt weiterhin Schritte zur Förderung des interreligiösen Dialogs (USDOS 21.6.2019).
Im Dezember 2019 sind es zehn Jahre seit dem Sejdi?-Finci-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vergangen, in dem festgestellt wurde, dass die bosnische Verfassung ethnische und religiöse Minderheiten diskriminiert, indem sie ihnen nicht erlaubt, für die Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Die Verfassung wurde noch immer nicht geändert. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) registrierte zwischen Jänner und September 2019 109 Vorfälle von Hassverbrechen - 66,67% davon waren religiös oder ethnisch motiviert. Das Versäumnis der bosnischen Behörden, Statistiken über die Arten von Hassdelikten zu führen, behindert eine umfassende Bewertung des Problems und eine wirksame Reaktion darauf (HRW 14.1.2020).
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Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 12.06.2020
Reisende bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige wie auch andere Staatsangehörige werden an den Außengrenzen kontrolliert. Allein oder mit nur einem der beiden Sorgeberechtigten reisende Kinder benötigen eine schriftliche Zustimmung der Eltern bzw. des mitsorgeberechtigten Elternteils. Soweit Angehörige einer der drei konstitutiven Volksgruppen Repressionen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe entgehen möchten, können sie sich i. d. R. in einen anderen Teil des Staatsgebiets begeben. Für Angehörige gemischter Ehen und gemischter Familien gibt es kein „Mehrheitsgebiet“ ihrer Volksgruppe. In der Republika Srpska (RS) stellt sich die gesellschaftliche Akzeptanz gemischt-ethnischer Ehen bzw. Familien schwieriger dar (AA 14.3.2020).
Die Freiheit sich innerhalb des Landes frei zu bewegen, zu reisen, zu emigrieren und wieder zurückzukehren ist gesetzlich garantiert, wobei es jedoch in der Praxis zu gewissen Einschränkungen kommen kann (USDOS 13.3.2020).
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Grundversorgung / Wirtschaft
Letzte Änderung: 12.06.2020
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Kleidung, Heizmaterial und Strom ist landesweit sichergestellt (AA 14.3.2020). Der Import, Export und Transit von Waren verläuft langsam, aber ungehindert (KAS 4.2020). Insgesamt ist der Lebensstandard der Gesamtbevölkerung dennoch niedrig. Die Arbeitslosigkeit liegt bei ca. 18,47 %, die Jugendarbeitslosigkeit bei 38,8 %. Die Höhe der Sozialhilfe ist nicht einheitlich geregelt. In der Föderation BiH beträgt sie 20 % des Durchschnittslohns im jeweiligen Monat, in der Republika Srpska 15 % des Durchschnittslohns. Sie kann jedoch oftmals nicht ausgezahlt werden. Laut dem Zentrum ziviler Initiativen leben 20 % der Bevölkerung in absoluter Armut (AA 14.3.2020).
Offiziell haben 30.000 Menschen in BiH durch die Pandemie ihren Job und ihr Einkommen verloren. Der Staat fängt sie nicht auf. Die soziale Situation hat sich durch die Covid-19-Pandemie in BiH noch einmal verschärft. Laut Generalsekretär des Roten Kreuzes von BiH gibt es seit dem Ausbruch der Pandemie offiziell einen Zuwachs von 30.000 Arbeitslosen - aber da viele Bosnier keinen angemeldeten Jobs nachgehen, sind es tatsächlich viel mehr. Helfer arbeiten auf lokaler Ebene mit den Sozialbehörden zusammen, die wissen, wer besonders bedürftig ist (DS 29.4.2020).
In der Föderation von BiH haben seit Beginn der Coronavirus-Pandemie mehr als 19.000 Menschen ihren Arbeitsplatz verloren. Die Republika Srpska hat noch keine offiziellen Zahlen von Kündigungen aufgrund der Coronavirus-Pandemie zur Verfügung gestellt (KAS 4.2020).
Die Gesetzgebung in BiH garantiert Sozialhilfe. Über die Empfänger und die Höhe der Unterstützungsgelder wird im Einzelfall entschieden. Die Höhe der jeweiligen Unterstützung (z.B. monatliche Geldbeträge) bzw. Qualität der Einrichtungen für Unterbringung, falls notwendig, hängt auch von den Möglichkeiten der jeweiligen administrativen Einheit (z.B. Kanton) ab. Weiters besteht die Möglichkeit, dass örtliche NGOs (kirchliche, humanitäre etc.) verschiedene Hilfeleistungen für Bedürftige zur Verfügung stellen. Das Gesetz über den Sozialschutz der Entität Republika Srpska (RS) regelt die Höhen der Beträge und Zulagen in diesem Bereich. Primär verwirklichen das Recht auf diese Leistungen arbeitsunfähige Personen, die keine eigenen/anderen Einkünfte haben. Die Höhen der Beträge werden als Prozentsätze des Durchschnittsgehaltes in der Entität vom Vorjahr berechnet z.B. für eine Einzelperson 15% vom diesem Betrag (Durchschnittsgehaltes), für einen Zweipersonenhaushalt 20% usw. Für den Distrikt Brcko waren zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Info keine aktuellen Informationen verfügbar, außer, dass Sozialhilfe natürlich gewährt wird. Es ist nicht zu erwarten, dass sich diese aktuellen Werte ändern werden, bevor es in Bosnien und Herzegowina zum wirtschaftlichen Aufschwung kommt (VB 15.5.2020).
Der Verband unabhängiger Gewerkschaften von BiH (SSSBiH) gab bekannt, dass der Warenkorb im Marz 2020 2.019,80 KM (ca. 1.142,00 €) ausmachte, während der Durchschnittslohn in der Föderation BiH 914 KM (ca. 490,00 €) betrug (SSSBiH 4.2020).
In der Föderation BiH betrug die Mindestpension im April 2020 371,77 KM (ca. 190,20 €), die garantierte 465,87 KM (ca. 238,40 €) und die höchste Pension 2.174,48 KM (ca. 1.111,00 €) (FZMIO-PIO 5.2020). Die durchschnittliche Pension im Monat März 2020 in Republika Srpska (RS) betrug 393,36 KM (ca. 201,20 €), die Mindestpension 403,71 KM (ca. 206,50 €) und die höchste Pension 2.076,35 KM (1.062,10 €) (BL PORTAL 9.4.2020).
Laut dem bosnischen Arbeitsamt waren am 31. Dezember 2019 401.846 Personen in BiH arbeitslos, 57,02 % davon sind Frauen. Demnach sank Arbeitslosenrate in der Entität Föderation BiH um 0,19 %, im Distrikt Brcko um 1.27 %, während sie in der Entität RS um 1,33 % angestiegen ist. Nach vorliegenden Informationen sind 8,61 % der Arbeitslosen Personen mit Hochschulausbildung (VB 15.5.2020).
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Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 12.06.2020
Die Ausbreitung der Coronavirus (SARS-CoV-2) Pandemie hat auch Bosnien und Herzgowina (BiH) nicht verschont. Der erste Fall eines COVID-19 Patienten in Bosnien und Herzegowina wurde am 5. März 2020 in Banja Luka in der Entität Republik Srpska (RS) registriert. Seitdem ist die Zahl der registrierten Erkrankten landesweit auf über 1.000 gestiegen. Die Dunkelziffer dürfte allerdings deutlich höher liegen. Um eine unkontrollierte und rasante Ausbreitung des Virus zu verhindern - welche rasch zu einer Überforderung des maroden Gesundheitssystems führen würde - wurden von staatlichen Stellen rasch Restriktionen eingeführt. Nach einem Treffen in Anwesenheit des EU-Botschafters Johann Sattler haben sich die Vorsitzenden der führende Parteien SDA, der HDZ und der SNSD mit Vertretern der EU und des IWF auf ein Arrangement mit einer Kredithöhe von 330 Mio. EUR zur Bekämpfung der Coronakrise geeinigt (KAS 4.2020).
Alle Bürger in BiH haben das Recht auf Sozialversicherung (beinhaltet: Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung); arbeitslose Personen werden bei ihrer Anmeldung beim Arbeitsamt versichert und können so ihr Recht wahrnehmen (VB 15.5.2020).
Das Gesetz über das Gesundheitswesen sowie die Verfassung der Föderation BiH legen in allgemeiner Weise fest, dass allen Personen, Bosniaken, Serben, Kroaten als konstitutiven Völkern und allen anderen Bürgern auf dem Gebiet der Föderation die gleichen Rechte garantiert sind. Laut diesen Bestimmungen haben gemäß Artikel 12 des Gesundheitsgesetzes alle Bürger und Bevölkerungsgruppen der Föderation das gleiche Recht auf soziale Sicherung und Gesundheitsversorgung. Es gibt Krankheiten, die auch an den drei besten Spitälern der Föderation BiH - den Universitätskliniken in Sarajevo, Tuzla und Mostar - nur eingeschränkt oder nicht behandelt werden können. Dazu zählen namentlich die Kinderonkologie, die Kinderkardiochirurgie und die Transplantationschirurgie in den Bereichen Herz und Leber. Dieselbe Feststellung gilt auch für die Universitätsklinik Banja Luka. Nierentransplantationen werden in den Transplantationszentren der Universitätskliniken Sarajevo und Tuzla vorgenommen, in der Republika Srpska (RS) im Transplantationszentrum in Banja Luka. Diese Eingriffe sind weiterhin anspruchsvoll, beispielsweise nach schweren Unfällen jeglicher Art. In Westeuropa erfolgen die Behandlungen oft mittels abteilungsübergreifender Teams von Spezialisten. Bei diesen Behandlungsformen, die in BiH keine Tradition haben, fehlen die Erfahrungen in allen Bereichen, auch bei der begleitenden psychiatrischen Unterstützung (BFA-SEM 1.2018).
Personen mit geistigen Einschränkungen erhalten entsprechend bestimmter Kriterien eine staatliche Krankenversicherung. Dazu müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt werden, die von einem medizinisch-forensischen Institut oder anderen staatlich autorisierten Kommissionen/Instituten geprüft werden. Außerdem erfolgt eine medizinische Untersuchung, durch eine staatlich-medizinische Kommission. Generell haben alle Staatsangehörigen aus BiH zudem die Möglichkeit an einer freiwilligen privaten Krankenversicherung teilzunehmen. Die EmpfängerInnen einer staatlichen Krankenversicherung erhalten den Großteil der Medikamente kostenlos. Die Kosten für einige spezielle Medikamente müssen teilweise selbst übernommen werden. Die Beiträge zur Krankenversicherung in BiH sind festgelegt, aber variieren je nach Einrichtung und Kanton. Wenn keine Krankenversicherung vorliegt, ist die Eigenbeteiligung 100 %, ansonsten schwankt sie je nach Art der Behandlung. Die medizinische Versorgung im öffentlichen Gesundheitssektor ist aufgrund der Wirtschaftslage nicht vollständig kostenlos. Abhängig von der Form der medizinischen Behandlung, müssen selbst kleine Beträge einer Behandlung selbst übernommen werden (IOM 2019/19.3.2020).
Grundsätzlich sind alle Arbeitstätigen, Rentner und als arbeitslos gemeldete Personen gesetzlich krankenversichert. Das Krankenversicherungsgesetz der Föderation deckt aber nur Rückkehrer ab, die bereits vor ihrer Ausreise krankenversichert waren (AA 14.3.2020). Im Bereich Gesundheitswesen gibt es keine Änderungen der Gesetze (VB 15.5.2020). Alle Vorschulkinder, Schüler bis 18 Jahre, Kinder von 15 bis 18 Jahren, die keine weitere Ausbildung machen, Studenten bis 26 Jahre, Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose sowie alle Personen ab 65 Jahren krankenversichert sind. Der für viele Gesundheitsleistungen zu erbringende Eigenanteil an den Kosten kann zu einer eingeschränkten Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen führen. Nach Schätzungen des Helsinki-Komitees haben etwa 60 % der Bevölkerung, darunter auch Kinder, keinen Zugang zu einer regelmäßigen Gesundheitsvorsorge. Das Krankenversicherungswesen liegt in der Föderation BiH bei den Kantonalverwaltungen und der Entitätsverwaltung, in der Republika Srpska (RS) auf Entitätsebene bei einem Versicherungsfonds. Das Gesundheitssystem gliedert sich in drei Bereiche - primären, sekundären und tertiären. Es gibt über 300 Ambulanzen, die jeweils zwischen 2.000 und 10.000 Einwohner versorgen. Grundsätzlich existiert in jeder größeren Gemeinde (ca. 120) ein Gesundheitshaus, das eine medizinische Versorgung für 20.000 bis 50.000 Einwohner sicherstellen soll. Es existieren fünf klinische Zentren (drei in der Föderation BiH und zwei in der RS) in den größten Städten des Landes, hinzukommen landesweit 20 staatliche (Kantonal-)Krankenhäuser. Dazu kommen diverse private Krankenhäuser, Poli- und Fachkliniken. In größeren Städten gibt es eine wachsende Zahl an privatärztlichen Praxen und Kliniken (AA 14.3.2020).
Die nach dem Krieg bestehenden psychiatrischen Einrichtungen, beispielsweise diejenige in Jagomir bei Sarajevo, setzt sich zum Ziel, die Bettenzahl deutlich zu vermindern. Wie in anderen jugoslawischen Teilrepubliken basierte die staatliche psychiatrische Versorgung hauptsächlich auf der Verschreibung von Antidepressiva und Beruhigungsmitteln. Vor dem oben angeführten Hintergrund wurde das Konzept der psychiatrischen Behandlung den veränderten Bedürfnissen und modernen westeuropäischen Konzepten und Behandlungsansätzen angepasst. Das heißt, die bereits während des Krieges verfolgte Neuausrichtung wurde sukzessive fortgeführt. Umgesetzt wurde das landesweit in Form von so genannten «Mental Health Centers» (MHC), in der Region und in einzelnen Dokumenten teilweise auch als «Community Mental Centers» (CMHC) bezeichnet. Gemäß einem Projekt-Faktenblatt der DEZA [Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, eine Agentur für internationale Zusammenarbeit im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA)] vom Januar 2017 bestehen landesweit 72 dieser Zentren, davon 48 in der bosnisch-kroatischen Föderation. Es ist durchaus üblich, dass Patienten mit leichten psychischen Krankheitsbildern zu Hause betreut und gepflegt werden. Die Betreuungsleistung von Familienmitgliedern wird nicht entschädigt. In der Republika Srpska (RS) verfügt die Universitätsklinik in Banja Luka über vier Abteilungen und verschiedene Unterabteilungen und Zentren für die Behandlung psychischer Probleme, namentlich für Allgemeine Psychiatrie, für Kinder- und Jugendpsychiatrie, für neurotische und affektive Störungen sowie für Behandlungen von Suchtkrankheiten. Die verschiedenen Abteilungen bieten verschiedene Behandlungen für ein breites Spektrum von psychischen Erkrankungen an, darunter auch Psychotherapie, Gruppen- und Spieltherapien (BFA-SEM 1.2018).
Gesundheitseinrichtungen aller drei Versorgungsstufen und psychiatrische Strukturen verfügen jeweils über eigene Spitalsapotheken. Diese Apotheken decken den spitalsinternen Bedarf ab, Patienten können dort aber keine Medikamente kaufen. Heute bestehen sowohl staatliche als auch reichlich private Apotheken. Auf Rezept können Medikamente der «Essential Drug List» in den staatlichen Apotheken in der Regel kostenlos bezogen. In privaten Apotheken ist heute die überwiegende Mehrheit der Medikamente vorhanden, auch modernere und teurere als die in den Essential Drug Lists enthaltenen. Private Apotheken können Medikamente im Ausland bestellen. Das Apothekennetz ist heute flächendeckend, auch in kleineren Ortschaften finden sich in der Regel mehrere, kleinere oder größere staatliche und/oder private Apotheken. In den ersten Jahren nach dem Konflikt boten eine Reihe von NGOs Behandlungen für traumatisierte Personen an, die meisten Organisationen haben diese Angebote jedoch nach einigen Jahren eingestellt, wie das UNHCR bereits im Jahr 2003 feststellte. Medica in Zenica und Amica in Tuzla bestehen bis heute und haben ihre Angebote und Dienstleistungen für Frauen, Kinder und nachgelagert auch für Familien ausgebaut (BFA-SEM 1.2018).
Ende 2001 wurde ein Abkommen unterschrieben und ab Mai 2002 umgesetzt, das Personen am Ort ihrer Rückkehr aus dem Ausland den Zugang zum Gesundheitswesen ermöglicht. Diese rechtlichen Veränderungen und Anpassungen, namentlich Übereinkommen zum Gesundheitswesen zwischen den Entitäten und zwischen den Kantonen, haben die Möglichkeiten des Zugangs zum Gesundheitswesen am Ort der Rückkehr grundsätzlich verbessert. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer aus dem Ausland, unabhängig von der jeweiligen Verweildauer, nicht nach denselben Regeln behandelt werden wie in der Föderation BiH lebende Patienten. Für die Wieder-Anmeldung bei den relevanten Behörden und Dienststellen ist eine Identitätskarte eine unabdingbare Voraussetzung. Falls diese nicht mehr vorhanden sein sollte, kann sie bei einer lokalen Polizeistelle beantragt werden. Von Rückkehrern mitgebrachte Verschreibungen von Medikamenten, auch von solchen der neuesten Generation, können fortgeführt und medizinisch begleitet werden. Die dafür notwendigen medizinischen Kenntnisse sind in der Regel vorhanden (VB 15.5.2020).
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Rückkehr
Letzte Änderung: 12.06.2020
Bosnische Staatsangehörige, die aus Österreich kommen, müssen für 14 Tage in Selbstisolation. Nächtliche Ausgangssperre zwischen 20 Uhr und 5 Uhr. Schutzausrüstung (Maske und Handschuhe) vorgeschrieben. Flug der Austrian Airlines eingestellt bis mindestens 15.6.2020 (AVRR 27.5.2020).
Die Situation für Rückkehrer, die während des Balkankriegs aus dem Land flohen, hat sich verbessert. Ist die ursprünglich verlassene Wohnung beziehbar, ist eine Registrierung an einem anderen Ort als dem ursprünglichen Wohnort nicht möglich. Bei Zerstörung oder Besetzung der Wohnung erfolgt die Registrierung anderweitig, in der Föderation Bosnien und Herzegowina in dem Kanton, der dem Vorkriegswohnort am nächsten liegt. Wer über kein Identitätsdokument verfügt, muss ein solches beantragen. Zum Teil werden hierfür eine Reihe von Dokumenten verlangt (z. B. Wehrdienst-, Steuerbescheinigung). Die Zuständigkeit für die Koordination der Flüchtlingsrückkehr liegt beim bosnisch-herzegowinischen Ministerium für Menschenrechte und Flüchtlinge, das die staatliche Rückkehrkommission zur Durchführung von Wiederaufbaumaßnahmen gebildet hat. Zurückgeführte Staatsangehörige aus dem Ausland werden zur Aufnahme der Personalien von der Polizei befragt. Die Rückführungen erfolgen über den Flughafen Sarajevo oder über den Flughafen Tuzla. Die Schlechterstellung von Rückkehrern, die einer Minderheit angehören, durch öffentliche Stellen hat abgenommen, ist aber in einigen Regionen wie im Osten der Republika Srpska (RS) und der Herzegowina noch Praxis. Dies betrifft u. a. die Versorgung mit Strom, Wasser, Gas und Telefon durch die öffentlichen Versorgungsunternehmen, Rentenversorgung, Arbeitsaufnahme, Ausgabe von Personaldokumenten sowie den Zugang zu Bildung. Bei Roma ergeben sich oft zusätzliche Probleme darin, dass sich diese bereits vor Ausreise nicht ordnungsgemäß registrieren ließen und dadurch nach Rückkehr zunächst keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Die Behandlung der Rückkehrer durch Dritte ist abhängig davon, ob eine Rückkehr in Minderheitengebiete (z. B. Bosniaken in die Republika Srpska) oder Mehrheitsgebiete (z. B. Serben in die Republika Srpska) erfolgt. Dort, wo sich die Volksgruppe, der die Rückkehrer angehören, in der Minderheit befindet, kommt es immer wieder zu Übergriffen. Während sich die Vorfälle in der Föderation BiH meist auf verbale Angriffe und Sachbeschädigungen beschränken, kommt es auch heute noch in der RS gelegentlich zu schwereren Angriffen. Selbst Rückkehrer in Gebiete, in denen die eigene Volksgruppe die Bevölkerungsmehrheit stellt, sind zuweilen Feindseligkeiten ausgesetzt, da gegen Rückkehrer an sich Vorbehalte bestehen. In Einzelfällen werden Rückkehrer angegriffen oder als vermeintlich vermögende und privilegierte Personen beraubt oder erpresst. Der polizeiliche Schutz für Rückkehrer vor diesen Angriffen ist unzureichend, wie generell die Polizeiarbeit im Land oft wenig effektiv ist. Racheakte für im Krieg verübtes Unrecht sind bisher nicht bekannt geworden (AA 14.3.2020).
Die Lage der Rückkehrer in BiH ist primär durch die wirtschaftliche Lage im Land gezeichnet. Während in der Polizeistatistik Übergriffe auf Rückkehrer einen Rückgang aufweisen können, sind diese in Zeiten mit erhöhter Arbeitslosigkeit oder Wahlkampfrhetorik mit nationalistischem Vorzeichen vorprogrammiert. Rückkehrer sind in solchen Situationen leider ohne besonderen Schutz. Grundsätzlich gehören Rückkehrer und ihre Familien zu den sozial schwächeren Kategorien im Land, da sie auch Jahre nach ihrer Rückkehr mit Arbeitslosigkeit konfrontiert sind (VB 15.5.2020).
Die Schlechterstellung von Rückkehrern, die einer Minderheit angehören, durch öffentliche Stellen hat abgenommen, ist aber in einigen Regionen wie im Osten der Republika Srpska (RS) und der Herzegowina noch Praxis. Dies betrifft u. a. die Versorgung mit Strom, Wasser, Gas und Telefon durch die öffentlichen Versorgungsunternehmen, Rentenversorgung, Arbeitsaufnahme, Ausgabe von Personaldokumenten sowie den Zugang zu Bildung. Bei Roma ergeben sich oft zusätzliche Probleme darin, dass sich diese bereits vor Ausreise nicht ordnungsgemäß registrieren ließen und dadurch nach Rückkehr zunächst keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Die Behandlung der Rückkehrer durch Dritte ist abhängig davon, ob eine Rückkehr in Minderheitengebiete (z. B. Bosniaken in die Republika Srpska) oder Mehrheitsgebiete (z. B. Serben in die Republika Srpska) erfolgt. Dort, wo sich die Volksgruppe, der die Rückkehrer angehören, in der Minderheit befindet, kommt es immer wieder zu Übergriffen. Während sich die Vorfälle in der Föderation BiH meist auf verbale Angriffe und Sachbeschädigungen beschränken, kommt es auch heute noch in der Republika Srpska gelegentlich zu schwereren Angriffen. Selbst Rückkehrer in Gebiete, in denen die eigene Volksgruppe die Bevölkerungsmehrheit stellt, sind zuweilen Feindseligkeiten ausgesetzt, da gegen Rückkehrer an sich Vorbehalte bestehen. In Einzelfällen werden Rückkehrer angegriffen oder als vermeintlich vermögende und privilegierte Personen beraubt oder erpresst. Der polizeiliche Schutz für Rückkehrer vor diesen Angriffen ist unzureichend, wie generell die Polizeiarbeit im Land oft wenig effektiv ist. Racheakte für im Krieg verübtes Unrecht sind bisher nicht bekannt geworden (AA 14.3.2020).
Da die Anzahl von unbegleiteten minderjährigen Rückkehrern nicht von statistischer Bedeutung ist gibt es für diese Gruppe keinen Bedarf für spezielle Aufnahmezentren. Solche Fälle werden von den zuständigen Sozialämtern im Rahmen ihrer Tätigkeit übernommen (VB 15.5.2020).
Die Regierung hat die sichere Rückkehr und Wiederansiedlung oder die lokale Integration von Flüchtlingen u