TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/4 W233 2241565-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.05.2021
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Entscheidungsdatum

04.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch


W233 2241565-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Andreas FELLNER als Einzelrichter über die Beschwerde der minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörige von Georgien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.03.2021, Zl. 1267509310 – 201174867, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass das in Spruchpunkt I. angeführte Datum der Antragstellung auf internationalen Schutz 17.08.2020 statt 02.12.2020 lautet.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin wurde am XXXX als Tochter der XXXX und des XXXX im österreichischen Bundesgebiet geboren.

Mit Eingabe ihres gewillkürten Vertreters vom 17.08.2020 stellte die Beschwerdeführerin schriftlich den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG und legte unter einem ihre Geburtsurkunde vor.

Mit Schreiben vom 14.09.2020 forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die gewillkürt vertretene Beschwerdeführerin auf, diesen Antrag persönlich beim Bundesamt einzubringen und informierte sie darüber, dass mangels Mitwirkung an diesem Verfahren, ihr Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG zurückzuweisen sei. Diese Aufforderung wurde vom gewillkürten Vertreter am 16.09.2020 persönlich übernommen.

Aufgrund der mit Eingabe vom 17.08.2020 dem Bundesamt vorgelegten Geburtsurkunde der Beschwerdeführerin hat das Bundesamt Kenntnis von ihrer Geburt erlangt, sodass der Antrag auf internationalen Schutz für sie als gestellt und eingebracht gilt.

Dieser Antrag auf internationalen Schutz wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 10.03.2021 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Mit Schriftsatz vom 09.04.2021 brachte die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid ein und begründete dies damit, dass die Mutter der Beschwerdeführerin nie einen Asylantrag gestellt habe und der Vater in Österreich geduldet worden sei. Der Vater der Beschwerdeführerin habe am 17.08.2020 für sie und sich selbst einen Antrag auf humanitäres Aufenthaltsrecht gemäß § 55 AsylG und keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Aufgrund dessen habe die belangte Behörde nicht über einen Antrag auf internationalen Schutz absprechen dürfen. Im Übrigen wurde die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung und die Einvernahme des Vaters der Beschwerdeführerin als Zeugen beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und Lebenssituation der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin trägt den Namen XXXX , wurde am XXXX in Österreich geboren und ist die Tochter des XXXX , alias XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Georgien, und der XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörige von Georgien. Zudem verfügt die Beschwerdeführerin über einen Bruder, XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Georgien.

Der vom Vater der Beschwerdeführerin eingebrachte erste Asylantrag wurde mit Entscheidung vom 09.02.2007 rechtskräftig negativ entschieden. Auch die in der Folge vom Vater der Beschwerdeführerin eingebrachten zwei Folgeanträge wurden mit Entscheidungen vom 13.11.2008 und vom 02.09.2009 rechtskräftig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Seitdem hält sich der Vater der Beschwerdeführer rechtswidrig im Bundesgebiet auf.

Die Beschwerdeführerin ist das nachgeborene Kind des sich im österreichischen Bundesgebiet nach rechtskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens nicht rechtmäßig aufhältigen Vaters XXXX , geboren am XXXX , dessen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht geduldet ist und der zur Vertretung der Beschwerdeführerin befugt ist.

Der belangten Behörde gegenüber wurde die Geburt der Beschwerdeführerin am 17.08.2020 durch die Übersendung ihrer Geburtsurkunde angezeigt.

Eigene Fluchtgründe wurden für die Beschwerdeführerin nicht vorgebracht.

Aus dem Vorbringen ihres Vaters kann für die Beschwerdeführerin nicht abgeleitet werden, dass sie in Georgien aus wohlbegründeter Furcht aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt oder bedroht werden würde. Auch sonst kamen keine eigenen Fluchtgründe der Beschwerdeführerin hervor.

Es steht nicht fest, dass die Beschwerdeführerin im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Ferner konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Fall der Rückkehr nach Georgien Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, da die gesamte Familie von dieser Rückkehrentscheidung betroffen ist und deshalb die Pflege und Obsorge der minderjährigen Beschwerdeführerin in Georgien durch ihre Eltern gesichert ist.

Die Mutter der Beschwerdeführerin ist seit 2008 im österreichischen Bundesgebiet aufhältig. Vorerst verfügte sie über Aufenthaltstitel für den Aufenthaltszweck „Schüler“, anschließend für den Aufenthaltszweck „Studierender“. Der letzte Verlängerungsantrag vom XXXX 2016 zur Zahl MA35 XXXX wurde vom Verwaltungsgericht Wien am XXXX 2017 zweitinstanzlich abgewiesen. Am 26.04.2017 stellten die Mutter und der Bruder der Beschwerdeführerin Anträge auf Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG, welche mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts GZ: L515 2209451-1/11E und L515 2209447-1/3E vom 26.03.2020 rechtskräftig abgewiesen wurden. Die Mutter und der Bruder der Beschwerdeführerin halten sich seit dieser rechtskräftigen Entscheidung nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Gegenüber allen Familienmitgliedern der Beschwerdeführerin sind damit rechtskräftige Rückkehrentscheidungen erlassen.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Georgien vom 29.03.2021, mit Stichtag vom 23.04.2021:

1.2.1. COVID-19

COVID-19-Infektionen kommen in allen Regionen des Landes vor; und es kommt landesweit zu unkontrollierter Übertragung von COVID-19 (USEMB 25.2.2021).

Georgien hat die Verbreitung von COVID-19 im Frühling 2020 durch strenge Maßnahmen weitgehend eingedämmt. Nachdem im Sommer 2020 die strengen Regeln aufgehoben, die Einreisebestimmungen an den Grenzen gelockert und Inlandstourismus beworben wurde, kam es ab Ende August 2020 zu einem exponentiellen Anstieg bei positiven Tests. Bis Mitte September 2020 stieg die Zahl der täglichen positiven Testergebnisse von niedrigen zweistelligen Zahlen auf etwa 150 (Eurasianet 18.9.2020) und um Mitte Oktober auf ungefähr 1.000 (Jam 16.10.2020). Gegen Ende November 2020 lag die tägliche Zahl positiver Tests um die 4.000 und die der Verstorbenen an oder mit SARS-CoV-2 bei 35-50 Personen (Agenda 26.11.2020). Im Dezember stieg die tägliche Zahl der Infektionen auf ca. 5.000. Mit strengen Maßnahmen konnte die zweite Welle bis Mitte Jänner 2021 weitgehend unter Kontrolle gebracht werden (civil 18.1.2021)

Die zentrale Homepage der Regierung mit Informationen über Covid-19 ist in Georgien unter www.stopcov.ge zu finden. Die Internetseite ist neben Georgisch auch auf Englisch, Abchasisch, Aserbaidschanisch, Armenisch und Russisch verfügbar. Somit wird gewährleistet, dass auch die Angehörigen von Minderheiten alle relevanten Informationen zur Pandemie im Allgemeinen, zur speziellen Hygiene und zu Maßnahmen der Regierung erhalten (BAMF 10.2020). Auf dieser Seite werden auch tagesaktuelle Zahlen zu bestätigten Infektionen, Genesungen, Todesfällen und Hospitalisierungen veröffentlicht (StopCoV.ge o.D.).

Der öffentliche Überlandverkehr wurde landesweit mit 25.2.2021 wieder aufgenommen (USEMB 25.2.2021). Mit Wirkung von 1.2.2021 durften Schulen, Hochschulen und Kindergärten wieder öffnen (Jam 23.1.2021). Weitere Lockerungen des wirtschaftlichen Lebens wurden im Zeitraum Februar-März 2021 ermöglicht (Gov.ge 24.2.2021). Stand Mitte März 2021 bestehen weiterhin nächtliche Ausgangssperren (USEMB 25.2.2021; vgl. Gov.ge 24.2.2021).

Mitte Jänner 2021 wurde der nationale Impfplan vorgestellt. Die Risikogruppen sollen bis Jahresmitte 2021 geimpft sein. Es ist nicht zu erwarten, dass Personen, die nicht den Risikogruppen angehören, vor dem Spätsommer/Frühherbst 2021 geimpft werden (civil 18.1.2021). Am 13.3.2021 erhielt Georgien, mit Unterstützung der Vereinten Nationen, erstmals 43.200 Impfdosen von Astra Zeneca (UNICEF 12.3.2021).

Mit 1.2.2021 wurden alle Einschränkungen für Linienflüge aufgehoben (1TV 1.2.2021; vgl. Jam 23.1.2021). Alle Personen, die einen vollständigen Impfschutz nachweisen können, müssen bei Einreise nicht in Quarantäne. Personen, die keinen Impfschutz und keinen negativen PCR-Test (nicht älter als 72 Stunden), nachweisen können, werden bei Einreise für unbestimmte Zeit und auf eigene Kosten in Quarantäne verbracht (USDOS 25.2.2021; vgl. MoF o.D.), falls eine Selbstisolierung nicht möglich ist. Bei Vorlage eines negativen PCR-Tests (nicht älter als 72 Stunden) muss eine achttägige Selbstisolation samt einer weiteren PCR-Testung fünf Tage nach Einreise auf eigene Kosten durchgeführt werden (MoF o.D.).

Trotz der Zugangsbeschränkungen unterstützt die Georgische Regierung die separatistische Region Abchasien bei der Bekämpfung von COVID-19 materiell und fachlich. Auch die Behandlung von abchasischen COVID-19-Patienten in Kern-Georgien wurde ermöglicht (CW 27.11.2020; vgl. Jam 16.10.2020). Internationale Hilfe in Südossetien ist auf das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beschränkt. Die georgische Zentralregierung hat Zchinwali ebenfalls humanitäre Hilfe angeboten, aber der Vorschlag wurde nicht weiterverfolgt (CW 27.11.2020). Dennoch werden auch COVID-Patienten aus Südossetien in Georgien behandelt, wenn auch in geringerem Ausmaße als aus Abchasien (Jam 16.10.2020).

1.2.2. Sicherheitslage

Die Lage kann in den meisten Landesteilen als stabil bezeichnet werden. Die Konflikte um die beiden separatistischen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien sind indes ungelöst und verursachen Spannungen (EDA 28.7.2020). Die schlechten wirtschaftlichen Bedingungen und die hohe Arbeitslosigkeit haben zu einem Anstieg der allgemeinen Kriminalität beigetragen, die jedoch immer noch niedriger ist, als in vielen europäischen Ländern (MSZ o.D.; vgl. EDA 28.7.2020).

Im Dezember 2017 führte eine Reihe von Operationen georgischer Spezialkräfte in der Hauptstadt und im Pankisi-Tal [Munizipalität Achmeta, Region Kachetien] zur Verhaftung von Militanten, die beschuldigt wurden, an Terroranschlägen im Ausland beteiligt gewesen zu sein und Berichten zufolge beabsichtigten, Ziele auf georgischem Boden anzugreifen (MAECI 27.1.2021). Die politische Lage ist polarisiert (SZ 18.2.2021).

Die Situation an der De-facto-Grenze zwischen Georgien und den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien ist seit dem georgisch-russischen Krieg im August 2008 weitgehend ruhig. Doch bleibt die Lage angesichts der Unvereinbarkeit der Positionen und der zahlreichen Behinderungen des kleinen Grenzverkehrs angespannt. Russland betreibt gegenüber beiden Regionen eine Politik der informellen militärischen und wirtschaftlichen Annexion. Seit dem August-Krieg 2008 stellt Moskau finanzielle Unterstützung für die sozio-ökonomische Entwicklung und die Infrastruktur bereit und gewährt der abchasischen und südossetischen Bevölkerung Zugang zur russischen Staatsbürgerschaft. Russland unterhält weiterhin Stützpunkte und Truppen in Abchasien und Südossetien, darunter zwischen 3.000 und 4.000 Soldaten sowie Grenzschutztruppen des Inlandsgeheimdienstes FSB, welche die Demarkationslinien (administrative border lines – ABL) zum georgischen Kernland sichern. Zwischen Tiflis und den De-facto-Regierungen in Sochumi und Zchinwali bestehen keine offiziellen bilateralen Kontakte. Einziges Forum zum Austausch auf hochrangiger politischer Ebene sind die vierteljährlichen internationalen Gespräche im Rahmen des Genfer Prozesses. Trotzdem hat Georgien seit 2012 seine Politik der Isolation Abchasiens und Südossetiens aufgegeben und bemüht sich um Kooperation auf humanitärer Ebene. Dazu zählt etwa das Angebot, der abchasischen und südossetischen Bevölkerung den kostenfreien Zugang zum georgischen Bildungs- und Gesundheitssystems zu ermöglichen (bpb 26.8.2020; vgl. ACLED 2.2020).

Aus Sicht Abchasiens und Südossetiens ist der politische Status ihrer Gebiete endgültig geklärt. Sie lehnen Verhandlungen mit Georgien über eine gemeinsame Staatlichkeit ab und verfolgen den Aufbau bilateraler Beziehungen unter Anerkennung ihrer Unabhängigkeit. Die Regierung in Tiflis pocht dagegen auf die Wahrung der territorialen Integrität Georgiens. Sie versucht, ihre guten Beziehungen zur EU und den USA zu nutzen, aber auch multilaterale Foren wie die UNO, um ihrer Position Nachdruck zu verschaffen (bpb 26.8.2020). Gemäß dem georgischen Gesetz über "besetzte Gebiete" vom 23. Oktober 2008 sind die Gebiete der Autonomen Republik Abchasien und der Region Zchinwali (Südossetien) als "besetzt" zu betrachten (MAECI 27.1.2021).

Wegen Zugangsbeschränkungen gibt es nur wenige Informationen über die humanitäre Lage und Menschenrechtslage in Abchasien und Südossetien (US DOS 11.3.2020). Der EU-Sonderbeauftragte für den Südkaukasus und die EU-Beobachtermission (EUMM) unterstützen aktiv die Bemühungen um Konfliktlösung (EC 5.2.2021). Obwohl der EUMM der Zutritt zu Abchasien und Südossetien verwehrt bleibt, und es weiterhin zu Zwischenfällen kommt, konnte bisher ein Wiederaufflammen der bewaffneten Auseinandersetzungen verhindert werden (bpb 26.8.2020).

1.2.3. Rechtsschutz / Justizwesen

Das Gesetz garantiert ein ordnungsgemäßes Verfahren, aber die damit verbundenen Regelungen werden nicht immer respektiert. Urteile des Verfassungsgerichts in Bezug auf ordnungsgemäße Verfahren werden unvollständig umgesetzt, es kommt zu administrativen Verzögerungen bei Gerichtsverfahren, zu Verletzungen der Unschuldsvermutung, die Nichteinhaltung von Vorschriften in Bezug auf Inhaftierung und Verhöre und die Verweigerung des Zugangs zu einem Anwalt bei der Festnahme (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Wichtige Herausforderungen bleiben in Bezug auf die Unabhängigkeit und Rechenschaftspflicht der Justiz bestehen. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Hohen Rat der Justiz ist nach wie vor gering. Am 30.9.2020 verabschiedete das Parlament weitere Gesetzesänderungen in Bezug auf das Ernennungsverfahren von Richtern des Obersten Gerichtshofs, ohne die einschlägige Stellungnahme der Venedig-Kommission abzuwarten und ohne die fortbestehenden Unzulänglichkeiten in diesem Verfahren vollständig zu beheben. Das Hauptaugenmerk der Reformen der Staatsanwaltschaft im Jahr 2020 lag weiterhin auf der Trennung der Funktionen zwischen Ermittlern und Staatsanwälten. Ein entsprechendes Gesetzespaket wurde vorbereitet (EC 5.2.2021).

Die Stärkung eines unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Justizwesens gehört zu den wichtigsten Zielen der Regierung und wird fortgesetzt. NGOs begleiten den Reformprozess sehr aktiv und sehr kritisch mit. Ungeachtet der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz wenig ausgeprägt. Politisch motivierte Strafverfolgung war bis [zum Regierungswechsel] 2012 erkennbar und erfolgte in der Regel durch fingierte Vorwürfe von Korruption, Amtsmissbrauch oder Steuervergehen. Seit 2012 laufende Ermittlungen oder mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossene Strafverfahren gegen hochrangige Mitglieder und nachgeordnete Mitarbeiter der ehemaligen Regierung werden von georgischen und ausländischen NGOs nicht als politisch motiviert eingeschätzt, sondern beruhen auf rechtswidrigen bzw. strafrechtlich relevanten Handlungen durch Amtsträger oder Parteifunktionäre der Vorgängerregierung. Die Tatsache, dass Gerichte hierbei nicht immer den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen, zeigt eine wachsende Unabhängigkeit der Justiz und Grenzen für eine etwaige politische Zielsetzung der Verfahren. Nach dem Regierungswechsel 2012/13 erfolgte eine kontinuierliche Liberalisierung des Strafrechts. Eine feststellbare niedrigere Verurteilungsrate ist auf eine stärkere Emanzipierung der Richterschaft von den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurückzuführen, aber auch auf eine Stärkung der Rechte der Verteidigung im Strafprozess (AA 17.11.2020).

In den Jahren 2016-2020 hat die Regierungspartei Georgischer Traum zwei Wellen der Justizreform umgesetzt. Die Änderungen umfassten die Einführung der elektronischen Zuordnung von Fällen; die Einführung des Amtes des unabhängigen Inspektors des Hohen Justizrates in das Justizsystem; und Verbesserung der Normen zur Disziplinarhaftung von Richtern und zu Gerichtsverfahren. Es wurden wichtige Schritte unternommen, um die Transparenz und Offenheit der Aktivitäten des Hohen Justizrates zu erhöhen (TI 30.10.2020). Trotz der laufenden Justizreformen bleiben die Einmischung der Exekutive und der Legislative in die Gerichte ein erhebliches Problem, ebenso wie die Korruption und der Mangel an Transparenz und Professionalität bei Gerichtsverfahren. Nach einem neuen verfassungsrechtlichen Rahmen, der nach den Präsidentschaftswahlen 2018 in Kraft trat, werden die Richter des Obersten Gerichtshofs nicht mehr vom Präsidenten, sondern vom Hohen Justizrat ernannt und vom Parlament gebilligt. Ein gerichtliches Selbstverwaltungsorgan wählt die Mehrheit der Mitglieder des Rates (FH 3.3.2021). Bei der Justizreform ist der Ansatz der Behörden fragmentiert und inkonsistent. In bestimmten Fällen diente die Reform nur dazu, die Interessen einer kleinen Gruppe zu stärken (TI 30.10.2020).

1.2.4. Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium und der Staatssicherheitsdienst (SSSG) tragen die Hauptverantwortung für die Durchsetzung der Gesetze und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Das Ministerium ist die primäre Organisation der Strafverfolgung und umfasst die nationale Polizei, die Grenzsicherheitsdienste und die georgische Küstenwache. Der SSSG ist der Inlandsnachrichtendienst, der für Spionageabwehr, Terrorismusbekämpfung und Korruptionsbekämpfung zuständig ist. Es gibt Anzeichen dafür, dass die zivilen Behörden zeitweise keine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte ausüben (US DOS 11.3.2020).

Bis zum Regierungswechsel im Oktober 2012 waren Exekutivorgane, z. B. Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzbehörden, häufig von der Regierung als Machtinstrument oder von Regierungsangehörigen oder ihnen nahestehenden Personen als Mittel zur rechtswidrigen Erlangung u. a. wirtschaftlicher Vorteile missbraucht worden. Seit dem Regierungswechsel hat der Machtmissbrauch in dem Ausmaß aufgehört. Die Regierung behält jedoch einen erheblichen informellen Einfluss auf Politik und Justiz bei. Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Polizisten sind allgemein nicht mehr zu verzeichnen. In ihrer Rolle als Hüter von Regeln werden sie öffentlich als zurückhaltend, aber auch oft als untätig oder wenig effektiv wahrgenommen. Die Geheim- und Nachrichtendienste treten nicht als Repressionsinstrumente auf, sind jedoch in ihrer Tätigkeit auch im Inneren nicht transparent. NGOs fordern jedoch eine organisatorische Trennung der Sicherheitsdienste vom Innenministerium (AA 17.11.2020).

Die Wirksamkeit der staatlichen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte ist begrenzt (US DOS 11.3.2020; vgl. FH 3.3.2021) und Straffreiheit bei Misshandlungsfällen bleibt ein anhaltendes Problem (HRW 13.1.2021; vgl. US DOS 11.3.2020, FH 3.3.2021), insbesondere bei Fällen, die vor der Arbeitsaufnahme des Büros der staatlichen Inspektoren (State Inspector‘s Office) am 1.11.2019 geschahen (HRW 13.1.2021). Neben der Beobachtung etwa der gesetzeskonformen Verarbeitung von personenbezogenen Daten ist eine weitere Hauptaufgabe des State Inspector‘s Service die unparteiische und wirksame Untersuchung schwerer Verbrechen (inklusive Folter), die von Vertretern der Strafverfolgungsbehörden gegen die Menschenrechte und Freiheiten verübt werden, sowie Untersuchung von Straftaten, die unter Anwendung von Gewalt oder unter Verletzung der persönlichen Würde eines Opfers begangen wurden (SIS o.D.).

Eine laufende Polizeireform zielt auf die Trennung der Rollen zwischen Staatsanwälten und Ermittlern sowie zwischen operativen und investigativen Funktionen verschiedener Polizeibeamter ab. Bürgernahe und nachrichtendienstlich geführte Polizeiarbeit sollen ausgeweitet; die zentralisierte analytische Arbeit verbessert, der Kampf gegen Cyberkriminalität und organisierte Kriminalität intensiviert sowie die internationale Zusammenarbeit ausgebaut werden (EC 5.2.2021).

Im Jahr 2020 erhielt das Büro des State Inspector's Office bis August über 1.300 Berichte über mutmaßliche Misshandlungen durch Strafverfolgungsbehörden und andere Beamte und leitete in 168 Fällen strafrechtliche Ermittlungen ein, meist wegen Amtsmissbrauchs, aber auch wegen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung. Im gleichen Zeitraum erhielt das Büro des Ombudsmannes 68 Beschwerden über Misshandlungen durch Gefängnispersonal oder Polizei (HRW 13.1.2021).

1.2.5. Korruption

Georgien, das früher für die Reformen gelobt wurde, hat seit 2012 kaum Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung gemacht (TI 28.1.2021b; vgl. EC 5.2.2021). Während das Land bei der Bekämpfung der kleinen Korruption erhebliche Fortschritte gemacht hat, bleibt die Korruption innerhalb der Regierung ein Problem (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 11.3.2020; SWP 5.2020, NZZ 30.12.2020). Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Polizisten sind allgemein nicht mehr zu verzeichnen (AA 17.11.2020).

Das politische System zeichnet sich durch ein extrem hohes Maß an Machtkonzentration aus, da eine einzelne politische Gruppe eine unverhältnismäßige Kontrolle über alle wichtigen öffentlichen Institutionen ausübt. Dieselbe dominante Gruppe strebt häufig auch eine unangemessene Beeinflussung nicht staatlicher Akteure an, einschließlich der Medien und des Privatsektors (TI 28.1.2021b). In einigen Fällen hat sie bei der staatlichen Postenbesetzung die Form von Vettern- und Günstlingswirtschaft angenommen. Die wirksame Anwendung von Antikorruptionsgesetzen und -vorschriften wird durch die mangelnde Unabhängigkeit sowohl der Strafverfolgungsbehörden als auch der Justiz beeinträchtigt (FH 3.3.2021; vgl. SWP 5.2020). Erfolgreiche Klagen gegen hochrangige Beamte, die mit der Führung der Regierungspartei „Georgischer Traum“ in gutem Einvernehmen stehen, sind selten (FH 3.3.2021).

Zur Korruptionsprävention und -bekämpfung hat das Sekretariat des Antikorruptionsrates 2020 ein Handbuch zur Methodik der Risikobewertung für Ministerien und juristische Personen des öffentlichen Rechts verfasst. Eine Entscheidung über die Einrichtung einer Antikorruptionsbehörde wurde bisher noch nicht getroffen (EC 5.2.2021).

Im Corruption Perceptions Index 2020 von Transparency International erreichte Georgien 56 von 100 [bester Wert] Punkten und lag damit auf Rang 45 von 180 untersuchten Ländern (2019: 56 Punkte, Rang 44 von 180 Ländern; 2018: 58 Punkte, Rang 41 von 180 Ländern) (TI 28.1.2021a).

1.2.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Artikel 7 der georgischen Verfassung verpflichtet den Staat zu Anerkennung und Schutz der universellen Menschenrechte; sie sind direkt anwendbares Recht für Staat und Bürger. Einzelne Menschenrechte sind explizit in eigenen Verfassungsartikeln aufgeführt. Mit dem Büro des Public Defenders (Ombudsperson), aber auch dem Menschenrechtsausschuss des Parlaments bestehen weithin bekannte Institutionen und Beschwerdeeinrichtungen. Auch Staatsanwaltschaft und Gerichte, die in Georgien an Unabhängigkeit und Vertrauen in der Bevölkerung gewonnen haben, werden zunehmend zur Wahrung individueller Rechte in Anspruch genommen. Darüber hinaus können lokale und internationale Menschenrechtsorganisationen ohne jede staatliche Behinderung ermitteln und öffentlichkeitswirksam Ergebnisse präsentieren und Kritik äußern. Menschenrechte und die Rechte von Minderheiten werden vom Staat weitgehend geachtet und gestärkt. Die Lage der Menschenrechte hat sich weiter den internationalen Standards angenähert und in vielen Bereichen einen guten Stand erreicht. In einigen Bereichen der Gesellschaft sind insbesondere Minderheitenrechte wenig akzeptiert, sodass Minderheiten mit Benachteiligung und Diskriminierung rechnen müssen. Vereinzelt kommt es auch zu gewalttätigen Handlungen. Erhebliche Fortschritte gab es insbesondere im Justizwesen und im Strafvollzug, wo eine menschenrechtswidrige Behandlung in aller Regel nicht mehr festgestellt werden kann (AA 17.11.2020).

Beim Schutz der Versammlungs- und Meinungsfreiheit gibt es systemische Probleme. Seit Jahren wird die georgische Regierung immer noch für politische Verfolgung und politische Inhaftierung verantwortlich gemacht. Die Bedrohung durch Informationsmanipulation und Radikalisierung im polarisierten Medienumfeld nehmen zu. Der Schutz der Rechte verschiedener Minderheitengruppen und die Umsetzung von Gleichberechtigung gehören immer noch zu den größten Herausforderungen im Lande. Ungeachtet der positiven Gesetzesänderungen der letzten Jahre und der verstärkten Reaktion auf die begangenen Verbrechen, ist die Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt immer noch eine große Herausforderung in der georgischen Gesellschaft. Die Lage von Menschen mit Behinderungen ist immer noch ernst. Ethnische und religiöse Minderheiten sowie Angehörige sexueller Minderheiten sind immer noch Gegenstand von systemischer Diskriminierung und Stigmatisierung (HRC 2021; vgl. US DOS 11.3.2020). In Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden nicht dominante und bereits marginalisierten Gruppen aus dem Anti-Krisen-Aktionsplan ausgeschlossen. Die Krise wird vermutlich einen schweren und langfristigen Einfluss auf die Durchsetzung der Gleichstellungspolitik haben (HRC 2021). Die Straffreiheit bei Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden bleibt ein anhaltendes Problem (HRW 13.1.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Georgien ist weiterhin, trotz der COVID-19-bedingten Herausforderungen, der Umsetzung, den Verpflichtungen und Zusagen des EU-Assoziierungsabkommens verpflichtet. Die Angleichung an die europäischen Standards im Bereich der Menschenrechte wurde auch 2020 im Großen und Ganzen fortgesetzt. Verbesserungen 2019/2020 konzentrierten sich auf die Entwicklung und Umsetzung einer neuen Menschenrechtsstrategie, die insbesondere auf die Rechte des Kindes, häusliche Gewalt und die Inklusion von Mitgliedern gefährdeter Gruppen/Minderheiten abzielt (EC 5.2.2021).

Es kommt weiterhin zu eklatanten Menschenrechtsverletzungen in den separatistischen Regionen Georgiens (HRC 2021; vgl. US DOS 11.3.2020), darunter rechtswidrige oder willkürliche Tötungen und Inhaftierungen (US DOS 11.3.2020).

1.2.7. Relevante Bevölkerungsgruppen

1.2.7.1. Kinder

Staatliche repressive Handlungen gegen Kinder gibt es in Georgien nicht. Jedoch ist die staatliche Unterstützung von Kindern – ob bei Bildung oder Sozialhilfe – gering. Kinderarmut wie auch Fehl- oder Unterentwicklung aufgrund Mangelernährung stellen ein großes Problem dar. Mithilfe von Kindern zum Erwerb des Familieneinkommens ist insbesondere bei ethnischen Minderheiten verbreitet und akzeptiert mit der Folge, dass die Schulpflicht vernachlässigt wird (AA 17.11.2020). Gewalt gegen Kinder im familiären Kontext, in Heimen, Pflegefamilien und Bildungseinrichtungen ist nach wie vor ein erhebliches Problem, wobei 70% der Kinder mindestens eine Methode der gewaltsamen Disziplinierung erleben. Gleichzeitig steigt das Vertrauen der Öffentlichkeit, Fälle von Gewalt den zuständigen Behörden zu melden (EC 5.2.2021; vgl. AA 17.11.2020).

Die Zahl der Fälle von Selbstmord und Selbstmordversuchen unter Jugendlichen hat im Jahr 2019 im Vergleich zu den Vorjahren zugenommen. Der Schutz vor sexuellem Missbrauch in Gemeinschaftsunterkünften ist von entscheidender Bedeutung. Die Schulabbrecherquote ist hoch; Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten, oder Kinder, die in jungen Jahren beschäftigt, verheiratet oder in die Arbeitswelt eingebunden sind, sind besonders gefährdete Gruppen. Die staatliche Fürsorge für Kinder in Internaten, die nach religiösen Bekenntnissen arbeiten, bleibt ein Problem. Die hohe Kinderarmutsrate zeigt weiterhin, dass die staatliche Politik nicht auf die Beseitigung der Armut ausgerichtet ist; staatliche Programme können die Bedürfnisse von Familien, die in Armut leben, nicht voll befriedigen (PD 2.4.2020).

Mit 1.9.2020 ist das Gesetz über die Kinderrechte in Kraft getreten. Es hat positive Auswirkungen auf die Situation der Kinder. Mit dem Gesetz wurde die Aufsichtsrolle des Pflichtverteidigers bei der Beurteilung des Rechtsstatus von Kindern gestärkt. Die Justiz gewährt kostenlose Rechtshilfe und spezialisierte Personen werden für die Arbeit mit Kindern ausgebildet. Bildungseinrichtungen wurde die Pflicht auferlegt, Kinder über ihre Rechte und Mechanismen zu ihrem Schutz zu informieren. Ein ständiger parlamentarischer Rat für den Schutz der Kinderrechte wurde in der Legislative eingerichtet, um die Arbeit zwischen den Behörden zu koordinieren. In Übereinstimmung mit dem Gesetz kann nur ein Richter die Frage der Trennung eines Kindes von seiner Familie, und nur im Falle einer extremen Notlage, entscheiden. Nach dem neuen Gesetz ist der Staat dafür verantwortlich, sozial bedürftige Familien mit bedarfsgerechter finanzieller Unterstützung zu versorgen. Außerdem müssen bei Bedarf Sozialarbeiter und Psychologen die Eltern bei der Erziehung unterstützen (HRC 2021; vgl. EC 5.2.2021, GE-Pr 20.9.2019).

Das gesetzliche Mindestalter für die Eheschließung beträgt für beide Geschlechter 18 Jahre. Die Zwangsverheiratung von Minderjährigen unter 18 Jahren wird mit zwei bis vier Jahren Freiheitsstrafe geahndet. Im Jahr 2019 untersuchte mit Stand 12.12.19 das Büro der Ombudsperson 43 Fälle von Verheiratung Minderjähriger, verglichen mit 45 im Jahr davor. Im Jahr 2018 startete das Innenministerium eine Informationskampagne gegen Kinderehen. Berichten zufolge kommt es bei bestimmten ethnischen und religiösen Gruppen häufiger zu Kinderehen (US DOS 11.3.2020).

Die Kinderbetreuung ist nicht vollständig deinstitutionalisiert. Zwei große staatliche Einrichtungen sind weiterhin in Betrieb und beherbergen etwa 80 Kinder mit schweren und mehrfachen Behinderungen. Die Regierung hat spezialisierte familienähnliche Dienste entwickelt und zwei solcher Einrichtungen eingeführt. Die Mechanismen für spezialisierte Pflegedienste für Kinder mit komplexen Behinderungen und Bedürfnissen wurden verstärkt. Über 900 Kinder leben in 38 unregulierten Einrichtungen, hauptsächlich Internaten, die von lokalen Gemeinden, der georgisch-orthodoxen Kirche und muslimischen Gemeinden finanziert und betrieben werden (EC 5.2.2021; vgl. US DOS 11.3.2020). Das effektive Funktionieren des Koordinationsmechanismus, der sich mit der Deinstitutionalisierung befasst, wurde durch die COVID-19-Pandemie behindert (EC 5.2.2021). Die Regierung gewährt Zuschüsse für die Hochschulbildung von Kindern in Heimen und Pflegefamilien, einschließlich einer vollständigen Deckung der Studiengebühren und eines Stipendiums, und leistet Soforthilfe für Pflegefamilien (US DOS 11.3.2020).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurde der Schulbetrieb zeitweise eingeschränkt. Aufgrund mangelnden Internetzugangs hatten zehntausende Kinder auch nur eingeschränkten Zugang zur Fernlehre (Jam 23.1.2021).

1.2.8. Grundversorgung

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet (AA 17.11.2020). Die staatliche Sozialhilfe liegt bei GEL 220 [ca. EUR 55] im Monat. Die Rentensätze für Personen unter 70 Jahre liegen bei 220 Georgischen Lari [GEL; ca. 55 Euro] im Monat. Rentner über 70 Jahre erhalten aktuell zwischen 250 und 300 GEL [ca. 62 bis 75 Euro]. Zum Erhalt müssen die Personen seitens der Behörden als bedürftig eingestuft werden. Die soziale Absicherung erfolgt in aller Regel durch den Familienverband. Eine große Rolle spielen die Geldtransfers der georgischen Diaspora im Ausland (AA 17.11.2020).

Trotz der beachtlichen wirtschaftlichen Entwicklung seit 2003 sind große Teile der georgischen Bevölkerung unterbeschäftigt oder arbeitslos. Etwa 20 % der Georgier leben in Armut. Vor allem die Bewohner der ländlichen Bergregionen sind betroffen, aber auch städtische Arbeitslose sowie zumeist in Isolation lebende Binnenvertriebene und Alleinerzieherinnen. Ländliche Armut führt meist zu Landflucht oder Emigration. Die Rücküberweisungen von saisonalen und permanenten Auslandsmigranten machen einen nennenswerten Anteil des Bruttoinlandsprodukts aus (ADA 8.2020).

Die meisten Arbeitsplätze gibt es im Groß- und Einzelhandel sowie in Autowerkstätten, im Kleinwarengeschäft, in der Industrie und im Bauwesen (IOM 2019). Viele Pensionisten sind noch erwerbstätig, da die Pension alleine zum Überleben nicht ausreicht. Dagegen ist die Arbeitslosigkeit unter den 15-25-Jährigen recht hoch. Die meisten Erwerbstätigen befinden sich im Alter von 40 bis 60 Jahren (IOM 2019). Das Durchschnittseinkommen (nominal) der unselbstständig Beschäftigten lag im dritten Quartal 2020 bei den Männern bei GEL 1.472,5 [rund EUR 370] und bei den Frauen bei GEL 978,1 [rund EUR 245] (GeoStat 2021b).

Die COVID-19-Pandemie hatte verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft (HRW 13.1.2021; vgl. KP 11.2.2021, ADA 8.2020) Statt der ursprünglich prognostizierten Steigerung des Brutto-Inlands-Produktes (BIP) um 4,3 % wurde am Jahresende schließlich ein Rückgang um 5,1 % des BIP vermeldet (KP 11.2.2021). Allein im zweiten Quartal 2020 schrumpfte das BIP um über 16 % (HRW 13.1.2021) Der Tourismus, der in den letzten Jahren stark gewachsen war und für rund 20 % des georgischen BIP verantwortlich ist, kam völlig zum Erliegen (KfW 3.6.1010). Die Zahl der internationalen Besucher Georgiens sank im Jahr 2020 um 80 % im Vergleich zum Vorjahr (KP 11.2.2021).

Es kam 2020, im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie, zu einem Anstieg von Arbeitslosigkeit und Armut (HRW 13.1.2021; vgl. ADA 8.2020, GeoStat 2021a). Die Arbeitslosigkeit lag im 4. Quartal 2020 im urbanen Raum bei 22,2 % (verglichen mit 16,6 % im 4. Quartal 2019). Im ländlichen Raum lag die Arbeitslosigkeit im 4. Quartal 2020 bei 17,7 % (verglichen mit 16,7 % im 4. Quartal 2019) (GeoStat 2021a). Die hohe Zahl Erwerbstätiger in ländlichen Gegenden ist mit den gering vergüteten Jobs im Agrarsektor zu erklären (IOM 2019). Um die Folgen der COVID-19-Pandemie abzumildern, verabschiedete die Regierung im April 2020 einen Anti-Krisen-Plan in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar, der ein Sozialhilfepaket für Einzelpersonen sowie Steuererleichterungen und -befreiungen für Unternehmen für mindestens sechs Monate beinhaltete. Drei Monate vor den Wahlen im Oktober 2020 kündigte die Regierung zusätzliche Anti-Krisen-Maßnahmen in Höhe von 132 Millionen US-Dollar an, darunter ein weiteres Sozialhilfepaket. Die Opposition und einige zivilgesellschaftliche Gruppen sahen die Schritte als "Manipulation, um Wähler anzulocken" (HRW 13.1.2021).

Negativ hat sich auch der Außenhandel Georgiens entwickelt, die Exporte sanken um 12 %, die Importe um knapp 16 %, allerdings von einem weitaus höheren Realniveau. Das Außenhandelsdefizit hat sich daher nur geringfügig verbessert. Die Entwicklung des Wechselkurses zum Euro ist weitaus dramatischer: Seit Jahresanfang 2021 hat sich der Lari auf einem Wert von etwa 4:1 zum Euro eingependelt, am Jahresanfang 2020 lag er noch bei 3,2:1. Überraschenderweise sind die Rücküberweisungen der Auslandsgeorgier im vergangenen Jahr um 8,8 % gestiegen, was sich durchaus mäßigend auf die Abwertung des Lari ausgewirkt hat (KP 11.2.2021).

1.2.8.1. Sozialbeihilfen

Das Sozialsystem in Georgien umfasst die folgenden finanziellen Zuschüsse:

Existenzhilfe

Re-Integrationshilfe

Pflegehilfe

Familienhilfe

Soziale Sachleistungen

Sozialpakete (IOM 2019)

Menschen unterhalb der Armutsgrenze können zum Beispiel mit einer Unterstützung von GEL 10-60 [Georgische Lari; entspricht ca. 2,50 bis 15 Euro] pro Familienmitglied rechnen. Der Sozialdienst ist für Personen unterhalb der Armutsgrenze verantwortlich. Der staatliche Fond zum Shutz und Unterstützung für Opfer von Menschenhandel hilft schutzbedürftigen Personen, wie z.B. Opfern häuslicher Gewalt, Personen mit Einschränkungen, Alten und Waisen. Dabei bietet er: Kinderheime, Pflegeheime für Personen mit Einschränkungen, Unterkünfte für Opfer von Menschenhandel, Krisenzentren und Unterkünfte für Opfer häuslicher Gewalt. Eine Arbeitslosenunterstützung gibt es nicht (IOM 2019).

Familien, die unter der Armutsgrenze leben, können um Sozialhilfe ansuchen. Dafür muss der Vertreter der Familie zunächst ein Ansuchen für sich und alle übrigen Familienmitglieder stellen, um in das staatliche Register für besonders schutzbedürftige Familien aufgenommen zu werden. Danach besucht ein Vertreter des Sozialamtes die Familie vor Ort, wobei in der „Familiendeklaration“ der sozio-ökonomische Stand der Familie festgestellt wird. Mittels eines Punktevergabesystems wird die Bedürftigkeit festgestellt. Bis zu einem Wert von 57.000 Punkten besteht der Anspruch auf finanzielle Unterstützung wie folgt: GEL 60 [ca. 15 Euro] für Alleinstehende; ab zwei Personen erhält das älteste Familienmitglied GEL 60 [ca. 15 Euro] und alle anderen GEL 48 [ca. 12 Euro] pro Monat. Ausschlussgründe sind insbesondere die Arbeitsaufnahme eines Familienmitgliedes, Gefängnishaft, Militärdienst oder ein Auslandsaufenthalt von mehr als drei Monaten. Die Sozialhilfe kann nicht gleichzeitig mit der staatlichen „Haushaltsunterstützung“ oder der monatlichen Zahlung an Flüchtlinge bezogen werden (SSA o.D.a.).

Es gibt ein staatliches Pensionssystem. Bezugsberechtigt sind Männer über 65 und Frauen über 60 Jahre. Für die Registrierung der Pension ist ein Antrag beim zuständigen Sozialamt (Social Service Centre) nötig. Die Entscheidung fällt innerhalb von zehn Tagen. Personen, die bereits aus dem Ausland eine Pension beziehen, sind vom georgischen Pensionssystem ausgeschlossen (IOM 2019). Die Höhe der Pension wird jährlich gemäß Inflationsrate und Wirtschaftswachstumsdaten angeglichen. Mit 1.1.2021 stieg die Alterspension auf 240 GEL[ca. 60 Euro] für Personen unter 70 Jahre und auf 275 GEL[ca. 69 Euro] für Personen über 70 Jahre. Es gibt Zuschläge für Pensionisten, die in Hochgebirgssiedlungen leben (Agenda 5.1.2021).

Seit dem 1.1.2019 ist das kumulierte Pensionssystem für Beschäftigte unter 40 Jahren verpflichtend, d.h., sie werden automatisch registriert. Für Selbständige und Personen über 40 Jahren ist die Aufnahme in das Programm freiwillig. Dieses System gilt sowohl für Mitarbeiter des öffentlichen als auch des privaten Sektors. Das System wird nach einem 2+2+2-Schema arbeiten. Jeder Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der Staat leisten einen Beitrag von je 2% des Bruttoeinkommens des Arbeitnehmers auf ein individuelles Pensionskonto. Selbstständige müssen eine Einlage von 4% ihres Einkommens leisten und der Staat schießt weitere 2% zu. Das neue Pensionsgesetz sieht keine Aufhebung des bestehenden Pensionssystems vor (Agenda.ge 3.1.2019). Angesichts der Tatsache, dass Georgien bislang nur eine Pensionsersatzrate von 18% aufweist und über 44% der Erwerbstätigen Selbstständige sind, insbesondere in der einkommensschwachen Landwirtschaft, bestehen Zweifel am Funktionieren des neuen Systems (OCM 14.12.2018).

Das Recht auf Mutterschaftskarenz- und Pflegeurlaub gewährleistet 730 Tage Freistellung, von denen 183 Tage bezahlt sind. Bei Geburtskomplikationen oder der Geburt von Zwillingen werden 200 Tage bezahlt. Das Mutterschaftsgeld, auch im Falle einer Adoption, beträgt maximal GEL 1.000 [ca. 250 Euro] (SSA o.D.b, vgl. USSSA 3.2019).

1.2.9. Medizinische Versorgung

Medizinische Versorgung ist für alle georgischen Staatsangehörigen durch eine staatlich finanzierte Grundversorgung (Universal Health Care, UHC) sowie zusätzlich bestehende staatliche Gesundheitsprogramme für bestimmte Krankheitsbilder (z. B. Diabetes, Hepatitis C, Tuberkulose) je nach sozialer Lage kostenlos oder mit Zuzahlungen gewährleistet. Mit privater Krankenversicherung kann die Leistungsübernahme medizinischer Behandlungen beitragsabhängig erweitert werden (AA 17.11.2020; vgl. SEM 21.3.2018, BDA 2019). Da Versicherte bei bestimmten Leistungen einen Teil der Kosten selbst bezahlen müssen, spricht man von einem co-payment System. Eingeschlossen ins UHC sind alle Bewohner der de facto unabhängigen Republiken Abchasien und Südossetien, denen der georgische Staat neutrale Identitäts- und Reisepapiere ausstellt. Offiziell anerkannte Staatenlose haben ebenfalls Anrecht auf UHC. Nur einen Teil der Leistungen erhält, wer vor dem 1.1.2017 eine private Krankenversicherung besaß oder über den Arbeitgeber krankenversichert war. Seit 1.5.2017 wird bei der Kostenübernahme zudem nach Einkommen differenziert. Personen mit hohem Einkommen sind von der UHC ausgeschlossen. Personen mit mittlerem Einkommen erhalten nur einen Teil der Leistungen. Für sozial schwache Gruppen, Kinder und Rentner bleiben die Leistungen wie gehabt bestehen (SEM 21.3.2018; vgl. BDA 2019).

Im Notfall wendet sich ein georgischer Bürger an eine beliebige medizinische Einrichtung. Alle medizinischen Einrichtungen sind an der UHC beteiligt. Für geplante stationäre Behandlungen wendet man sich mit einem gültigen Ausweis und einer Überweisung eines Allgemeinmediziners an die Abteilung Social Service Agency. Die Social Service Agency betreibt eine Hotline unter der Nummer 1505. Die Social Service Agency stellt einen Gutschein (Voucher) oder einen „Letter of Guarantee“ (dt. Garantiebrief) über die von ihr berechneten Kosten für die beantragte medizinische Dienstleistung aus (SEM 21.3.2018; vgl. BDA 2019). Medizinische Einrichtungen gibt es landesweit, jedoch mit stark voneinander abweichender Qualität. In der Hauptstadt Tiflis und weiteren städtischen Zentren (Kutaissi, Batumi) bieten private Einrichtungen umfassende und moderne Behandlungen an; staatliche Einrichtungen, wie sie primär in den ländlichen Regionen anzutreffen sind, haben deutlichen Rückstand an technischer und personeller Ausstattung. Für manche lebensnotwendigen Eingriffe und Maßnahmen ist daher allein eine Behandlung in Tiflis möglich. Medikamente werden weitgehend importiert, zumeist aus der Türkei und Russland, aber auch aus EU-Ländern (AA 17.11.2020).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurde der laufende Ausbau elektronischer medizinischer Dienstleistungen weiter forciert. Ab Frühling 2021 soll die Möglichkeit für elektronische Arztgespräche flächendeckend verfügbar sein. Dies soll insbesondere die Primärversorgung in peripheren Gebieten verbessern (EU4Digital 7.12.2020).

Das staatliche Gesundheitssystem (UHC) umfasst ambulante und stationäre Behandlung für Begünstigte verschiedener Alters- und Sozialgruppen, wie folgt:

Offen für alle Staatsbürger sowie Asylsuchende (während des Verfahrens) und Personen mit Flüchtlingsstatus.

Stationäre und ambulante Behandlung sind vollständig gedeckt.

Behandlung von HIV und TB ist kostenfrei, sowie Insulin für Diabetespatienten.

Dialyse ist ebenfalls gewährleistet.

Für Drogenabhängige ist ein staatlich gefördertes Methadon-Ersatzprogramm kostenfrei verfügbar. Lediglich eine einmalige Registrierungsgebühr von GEL 70 [ca. 17 Euro] muss entrichtet werden.

Kosten für die Behandlung von Kindern bis zu 5 Jahren ist teilweise gedeckt, abhängig von der Krankheit.

Kontaktinformationen erhält man beim Ministerium für Gesundheit (Ministry of Health) (IOM 2019)

Hat man Anrecht auf die gesamten Leistungen der UHC, werden Kosten in den drei Bereichen Notfallbehandlung, stationäre Behandlung und ambulante Behandlungen ganz oder zum Teil übernommen. Eine Kostenübernahme von 100% bedeutet in den meisten Fällen, dass der Staat der medizinischen Institution einen fixen Betrag zurückerstattet. Für die Berechnung dieses Betrags analysiert der Staat, wie viel die Dienstleistung in der Vergangenheit kostete und nimmt davon einen tiefen Durchschnittswert. Kommt die Behandlung teurer, muss der Patient die Differenz selber bezahlen (SEM 21.3.2018; vgl. BDA 2019, IOM 2019). Ambulante und einige stationäre Notfallbehandlungen werden zu 100% übernommen (SEM 21.3.2018; vgl. IOM 2019). Behandlungen spezialisierter Ärzte nach Überweisung durch den Hausarzt werden zu 70-100% übernommen, einige Notfallbehandlungen zu 100% (IOM 2019). Von den stationären Behandlungen werden spezifische Operationen und die stationäre Nachbetreuung zu 100% übernommen. Andere Leistungen werden zu 70% übernommen (SEM 21.3.2018). Notwendige Operationen werden zu 70% übernommen (IOM 2019).

Georgische Staatsbürger sind automatisch versichert. Allerdings ist eine Registrierung notwendig, um alle Leistungen des Programms beanspruchen zu können. In diesem Zusammenhang sollten Rückkehrer die 1505 Hotline des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales anrufen oder sich direkt an die nächstgelegene Poliklinik oder Krankenhaus wenden (IOM 2019).

Alle Kliniken in Georgien sind privatisiert. Obwohl die allgemeine Krankenversicherung nicht alle Bereiche abdeckt, können georgische Staatsbürger zu jeder Zeit jede Klinik aufsuchen, jedoch müssen die Leistungen dann bezahlt werden. Vorzugsweise sollten Termine vereinbart werden. Bei Notfällen ist eine Behandlung ohne Termin mit Wartezeiten möglich. Patienten können einen Termin vereinbaren, für die staatliche Versicherung muss der Hausarzt kontaktiert werden, welcher eine Überweisung zu spezialisierten Ärzten verfassen kann. Große Apotheken stellen eine Vielzahl von Medikamenten (IOM 2019). Die Verfügbarkeit gewisser Medikamente kann anhand ihrer Handelsbezeichnung online oder telefonisch überprüft werden: Medical Information Service http://www.mis.ge/; TEL: +995 032 2 252233 (MIS o.D.). Die meisten Medikamente werden nicht vom staatlichen Programm erfasst. Daher müssen die Patienten die Kosten für diese selbst tragen. Für einige Medikamente ist eine ärztliche Verschreibung nötig (IOM 2019).

Bei Kostenübernahmen von weniger als 100% kommt der Patient für den Rest auf. Für Pensionisten zahlt der Staat zusätzlich monatlich GEL 100 [ca. 25 Euro] für drei Monate, erstattet bei den Bürgerämtern (IOM 2019). Für Behandlungskosten, die von Patienten selber getragen werden müssen, kann bei der zuständigen Kommission des Ministeriums um Kostenersatz angesucht werden. Die Unterstützungsleistungen hängen sowohl von der Art der Erkrankung bzw. Therapie als auch von der Bedürftigkeit der Person selbst ab. Bei manchen Therapien gibt es z.B. für "Veteranen" 100% Vergütung, bei anderen Erkrankungen nur 50% oder gar keine Unterstützung. Manches Mal sind die Unterstützungsleistungen auch zeitlich begrenzt. Aus diesem Grund muss betreffend Unterstützung bei Behandlungskosten jede Erkrankung/Medikament/Therapie separat betrachtet werden (VB 13.1.2021).

Eine Konsultation in einer Privatklinik kostet umgerechnet ca. 30-40 Euro (MSZ o.D.).

1.2.10. Rückkehr

Georgische Rückkehrer/Rückgeführte können die allgemeinen, wenn auch in der Regel insgesamt unzureichenden Sozialleistungen in Anspruch nehmen, darunter eine kostenlose medizinische Grundversorgung. Rückkehrer und Rückkehrerinnen, die Unterstützung benötigen, sind bislang vor allem auf Familie und Freunde angewiesen. Internationale Organisationen bieten ebenfalls Unterstützung an. Das Ministerium für Binnenvertriebene, Arbeit, Gesundheit und Soziales koordiniert das staatliche Reintegrationsprogramm (State Reintegration Programme). Hier wird Beratung und auch finanzielle Hilfe zur Reintegration in den Arbeitsmarkt (auch Hilfe zur Selbstständigkeit) und bei Bedarf auch Erst- bzw. Zwischenunterkunft zur Verfügung gestellt. Staatliche Repressalien gegen Rückkehrer sind nicht bekannt. Auch die Tatsache einer Asylantragstellung im Ausland ist für die Behandlung durch staatliche Stellen ohne Bedeutung. Georgien hat Rückübernahme-Abkommen mit der EU und weiteren europäischen Ländern geschlossen. Die georgische Regierung stellt sich zunehmend den Problemen von Rückkehrern (AA 17.11.2020; vgl. IOM/EU 2017).

Um die Reintegration der zurückgekehrten georgischen Migranten zu unterstützen, wurden GEL 500.000 [Georgische Lari; ca. EUR 125.000] aus dem Staatshaushalt 2020 bereitgestellt. Das Programm sieht die Gewährung von Zuschüssen für Einkommens- und Beschäftigungszwecke, die Unterstützung der beruflichen Bildung, die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten und die Bereitstellung von vorübergehenden Unterkünften vor. Insgesamt werden rund 150 zurückgekehrte Migranten finanziert, um die Schaffung von Einkommensquelle, Beschäftigung und Selbstständigkeit zu unterstützen. Es werden maximale Zuschüsse von 4.000 GEL [ca. 1.000 Euro] gewährt. Teilnahmeberechtigt sind Bürger Georgiens (oder Personen mit staatenlosem Status, die dauerhaft in Georgien leben), die sich seit mehr als 12 Monaten unrechtmäßig im Ausland aufhalten oder im Ausland Asyl beantragt oder erhalten haben und innerhalb des letzten Jahres nach Georgien zurückgekehrt sind (MoH 16.7.2020; vgl. MRA o.D.).

Auch IOM bietet Unterstützung von Rückkehrern im Rahmen der AVRR-Programme (Assisted Voluntary Return and Reintegration) (IOM 2019).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person und der Lebenssituation der Beschwerdeführerin:

Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin und der Umstand, dass sie die Tochter des XXXX , alias XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Georgien und der XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörige von Georgien ist, ergeben sich aus ihrer dem Bundesamt vorgelegten Geburtsurkunde.

Dass die Beschwerdeführerin in Österreich zudem über einen Bruder verfügt, kann aufgrund der vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis vom 26.03.2020 getroffenen Feststellungen festgestellt werden.

Die Feststellung, dass die drei Asylanträge des Vaters und gesetzlichen Vertreters der Beschwerdeführerin am 09.02.2007, am 13.11.2008 und am 02.09.2009 negativ entschieden worden sind, kann aufgrund einer Einsichtnahme in das Informationssystem Zentrales Fremdenregister getroffen werden. Dass sich der Vater der Beschwerdeführerin seit der letzten zurückweisenden Entscheidung am 02.09.2009 über seinen Folgeantrag überwiegend durchgängig, wenn auch rechtswidrig, im Bundesgebiet aufhält kann aufgrund einer Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister getroffen werden.

Die Feststellung, dass der Aufenthalt des Vaters der Beschwerdeführerin nicht geduldet ist, gründet sich auf eine Einsichtnahme in seinen Auszug aus dem Informationssystem Zentrales Fremdenregister, worin eine solcher Titel nicht angeführt ist. Daran vermögen auch die Ausführungen in der Beschwerde vom 09.04.2021 nichts zu ändern, wonach aus dem Umstand, dass die belangte Behörde den Vater der Beschwerdeführerin seit rund 10 Jahren nicht versucht hätte abzuschieben, eine ihm gewährte Duldung zu erkennen wäre. Denn das österreichische Recht kennt keine Duldung aus Untätigkeit einer Behörde.

Die Feststellung, dass der Vater der Beschwerdeführerin zu ihrer gesetzlichen Vertretung befugt ist, gründet sich darauf, dass Gegenteiliges weder im Verfahren noch in der Beschwerde vorgebracht wurde und das Bundesverwaltungsgericht auch sonst keine Hinweise darauf erkennen kann, dass dem Vater der minderjährigen Beschwerdeführer keine Vertretungsbefugnis zukommt.

Die Feststellung, dass der belangten Behörde der Umstand der Geburt der Beschwerdeführerin am 17.08.2020 angezeigt wurde, kann aufgrund der in ihrem Akt diesbezüglichen Korrespondenz getroffen werden. Daran vermag auch der Umstand, dass in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides das Datum der Antragstellung auf internationalen Schutz mit 02.12.2020 angeführt ist, etwas ändern. Denn bei diesem Datum handelt es sich offensichtlich um einen Fehler der belangten Behörde, der auf einem Versehen beruht. Die Berichtigung ist auf jene Fälle ihrer Fehlerhaftigkeit eingeschränkt, in denen die Unrichtigkeit eine offenkundige ist, dh dass die Unrichtigkeit des Bescheides von der Behörde - bei entsprechender Aufmerksamkeit - bei Erlassung hätte vermieden werden können (VwSlg 13.233A/1990; VwGH 27.02.2004, 2003/02/0144). Ein Versehen ist dann klar erkennbar, wenn zu dessen Erkennung kein längeres Nachdenken und keine Nachschau in Gesetzeswerken notwendig ist, wobei vom Maßstab eines mit der zu behandelten Materie vertrauten Durchschnittsbetrachters auszugehen ist (VwGH 13.09.1991, 90/18/0248; vgl zu alledem näher Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 2005, § 62 Rz 45 ff). Dass diese Unrichtigkeit offenbar auf einem Versehen beruht und deshalb von der belangten Behörde bei entsprechender Aufmerksamkeit hätte vermieden werden können, ergibt sich zweifelsfrei daraus, dass die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung festhält, dass die Identität der Beschwerdeführerin durch die Vorlage ihrer Geburtsurkunde feststehe. Da diese Vorlage am 17.08.2020 erfolgte war das Datum der Antragstellung der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz im angefochtenen Bescheid von 02.12.2020 auf 17.08.2020 zu berichtigen.

Die Feststellung, dass keine eigenen Fluchtgründe für die Beschwerdeführerin vorgebracht wurden, ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin in ihrem Verfahren aus dem Vorbringen ihres Vaters keine Gründe für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten herleiten kann, stützt sich auf die negativen Asylverfahren ihres Vaters.

Der Umstand, dass im Verfahren auch amtswegig keine eigenen Fluchtgründe der Beschwerdeführerin hervorgekommen sind, stützt sich auf die in ihr Verfahren eingebrachten Berichte über die Situation in ihrem Herkunftsstaat.

Dass der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Abschiebung nach Georgien weder in ihren von Art. 2 und Art. 3 EMRK geschützten Rechten gefährdet wäre bzw. in Georgien Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können, stützt sich ebenso auf die in ihr Verfahren eingebrachten Berichte über die Situation in ihrem Herkunftsstaat.

Die Beschwerdeführerin befindet sich in einem anpassungsfähigen Alter und hat ihre Sozialisierung gerade erst begonnen (vgl. dazu VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0059). In Anbetracht der gemeinsamen Rückkehr im Familienverband kann auch davon ausgegangen werden, dass aufgrund der Anwesenheit sämtlicher Bezugspersonen und aufgrund der noch begrenzen Einsichtsfähigkeit als Kleinkind keine das Kindeswohl beeinträchtigende Entwurzelung eintritt (VwGH 23.11.2017, Ra 2015/22/0162).

Ferner ist im vorliegenden Fall zu beachten, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um ein Mitglied einer Familie mit zwei Kindern im Alter von ein paar Monaten und vier Jahren und daher um eine besonders vulnerable und besonders schutzbedürftige Personengruppe handelt. Diese besondere Vulnerabilität ist bei der Beurteilung, ob der Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in die Heimat im Familienverband eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besonders zu berücksichtigen. Dies erfordert insbesondere eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation die revisionswerbenden Parteien tatsächlich vorfinden (siehe dazu statt aller VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0336 mwN; VfGH 11.12.2018, E 2025/2018).

In Anbetracht der herangezogenen länderkundlichen Informationen gibt es keine Kenntnis über spezifische Menschenrechtsverletzungen an Kindern oder Hinweise auf systematisch begangenem Kinderhandel, sexuelle Ausbeutung von Kindern oder Kinderarbeit in Georgien, wenngleich die staatliche Unterstützung von Kindern gering ist. Mit 01.09.2020 trat jedoch das Gesetz über Kinderrechte in Kraft, das eine positive Auswirkung auf die Situation der Kinder hat und deren Position stärken soll.

Im gegenständlichen Fall ist jedoch festzuhalten, dass von einer R

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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