TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/17 W195 2205345-1

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Veröffentlicht am 17.05.2021
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Entscheidungsdatum

17.05.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W195 2205345-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX StA. Bangladesch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.08.2018, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.02.2020 zu Recht erkannt:

A)


Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 26.02.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen einer am 27.02.2018 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgten niederschriftlichen Erstbefragung gab der BF zu seinen Fluchtgründen an, homosexuell zu sein. Als Angehöriger dieser sozialen Gruppe werde er in Bangladesch allgemein diskriminiert und strafrechtlich verfolgt. Am 29.01.2018 sei der BF mit seinem Partner bei einer sexuellen Handlung erwischt worden. Sie seien in der gleichen Nacht nach Dhaka gefahren und hätten bis zu ihrer Ausreise bei einem Freund gewohnt. Am 16.02.2018 seien Polizisten bei der Mutter des BF gewesen und hätten ihr einen Anzeigebericht gegeben. Der BF habe aus Angst, wegen seiner sexuellen Neigung verurteilt zu werden, Bangladesch verlassen. Er und sein Partner hätten sich in Indien getrennt.

I.2. Am 26.07.2018 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei führte der BF zu seinen Fluchtgründen soweit wesentlich aus, er sei Homosexuell. Aufgrund der prinzipiellen Ablehnung Homosexueller sei er in seinem Herkunftsland diskriminiert worden. Daher habe er einen Suizidversuch hinter sich.

Am 14.03.2018 sei gegen den BF eine Beschwerde erhoben worden, weil er mit seinem Partner beim homosexuellen Geschlechtsverkehr betreten worden sei. Die Person, die sie erwischt habe, habe sie beschimpft. Der Vater des BF habe versucht ihn umzubringen.

Der BF und sein Partner seien dann nach Dhaka geflohen.

Der BF habe sich unter einem Vorwand bei einem Bekannten in Dhaka versteckt gehalten. Er habe sich bis zu seiner Ausreise in Dhaka aufgehalten.

Dem BF wurde vorgehalten, dass der die Homosexualität pönalisierende § 377 Bangladesh Penal Code noch nie angewendet wurde und er keine Haftstrafe befürchten müsse. Dazu gab der BF mit näherer Begründung an, dass die Behörden im Geheimen oder unter Vorwänden gegen ihn vorgehen würden.

Der BF legte ein Konvolut an Unterlagen vor, darunter ein Deutschzertifikat A2.

I.3 Mit dem angefochtenen Bescheid vom 13.08.2018, XXXX wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Homosexuelle wären in Bangladesch keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.

I.4. Mit Schriftsatz vom 29.08.2018 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des – damals durch die XXXX vertretenen – BF wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze angefochten.

Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes und des behaupteten Sachverhaltes wurde dabei zusammengefasst begründend ausgeführt, dass die Behörde ihre eigenen Länderinformationen nur unzureichend auswerte und einen Abgleich mit dem Vorbringen des BF unterlassen. Einzelne Passagen des Länderinformationsblattes würden das Fluchtvorbringen des BF bestätigen. Nach § 377 des bengalischen Strafgesetzbuches sei Homosexualität kriminalisiert. Das BFA hege keinen Zweifel an der Homosexualität des BF, verkenne aber die dem BF drohende Verfolgung aufgrund seiner Homosexualität. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe dem BF nicht zur Verfügung, weil es ihm im Lichte der höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht zumutbar sei, seine Homosexualität zu verbergen. Dem BF sei es gelungen, eine drohende Verfolgung glaubhaft zu machen. Daher sei dem BF der Status eines Asylberechtigten zu gewähren. Sollte das Bundesverwaltungsgericht die Asylrelevanz verneinen, wäre ihm jedenfalls aufgrund der ihm drohenden Lebensgefahr der Status einen subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren. In Österreich sei der BF darüber hinaus bereits gut integriert.

Es wurden die Anträge gestellt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, allfällige nicht geltend gemachte Rechtswidrigkeiten amtswegig aufzugreifen, den angefochtenen Bescheid zu beheben und dem BF Asyl zu gewähren, in eventu, Spruchpunkt II. zu beheben und dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu, Spruchpunkt III. bis VI. aufzugehen bzw. dahingehend abzuändern, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt werde und dem BF ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK erteilt werde, in eventu den Bescheid – „im angefochtenen Umfang – ersatzlos“ zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung das BFA zurückzuverweisen.

I.5. Mit Schreiben vom 04.09.2018 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

I.6. Mit Schreiben vom 08.01.2020 wurde zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht geladen und damit dem BF auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 04.02.2020 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.

I.7. Am 04.02.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.

Einleitend konnte, nach Vorlage diverser zusätzlicher Unterlagen, festgestellt werden, dass der BF gesund sei und der Verhandlung gut folgen konnte.

Der BF habe keinen Kontakt zu seiner Familie in Bangladesch. Verwandte, Kinder oder eine Beziehung in Österreich habe er nicht, er sei im Lager untergebracht und habe wenig Kontakt, ausgenommen zu einer Betreuerin, welche ihn berate und unterstütze.

Der BF, welcher von der Grundversorgung lebt, sei intensiv dabei, Deutsch zu lernen. Davon konnte sich auch der erkennende Richter in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht überzeugen, weil eine Konversation mit dem BF in deutscher Sprache auf Grund eines ausreichenden Wortschatzes möglich war. Darin drückte sich auch das Bildungsniveau der BF aus, welcher sich um eine Zulassung zum Studium an der TU Wien bemüht und mittlerweile die Sprachqualifikation A2 mit sehr gut bestanden hat. Sein Ziel sei es als Elektrotechniker zu arbeiten.

Der BF, der von sich behauptet, dass er homosexuell sei, beantwortete in der Verhandlung vor dem BVwG die Frage, mit wie vielen Männern er in Österreich sexuellen Kontakt hatte: „Ich habe noch keinen Freund hier in Österreich, mit niemanden“.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der BF an, dass er homosexuell sei und deshalb in Bangladesch verfolgt werde. Er sei mit einem Freund Ende Jänner 2018 bei sexuellen Handlungen erwischt worden und habe in weiterer Folge im Februar 2018 sein Heimatland verlassen.

Seine ersten sexuellen Erfahrungen mit einem Mann habe er im März oder April 2013 gemacht, als er 20 oder 21 Jahre gewesen sei. Das tatsächliche Alter blieb, im Hinblick auf das angegebene Geburtsjahr von XXXX , ungeklärt.

Jedenfalls habe der BF 2013 zum ersten Mal Sex mit einem Mann namens XXXX gehabt. Diese Sexualbeziehung habe „von 2013 bis 2014“ gedauert (Verhandlungsschrift Seite 10). Der erkenndende Richter verwies auf die Aussage des BF vor dem BFA, demzufolge der BF angab, dass er mit seinem Partner von „2012 bis 2015“ zusammen gewesen sei (AS 42). Der BF blieb danach bei seiner Aussage, er habe diesen Sexualpartner von „2013 bis Ende 2014“ gehabt.

Seinen zweiten Sexualpartner habe er anfänglich über eine Internetplattform kennen gelernt. Er habe den Eintrag „Dhaka gay“ gemacht und sei daraufhin zu diesem Mann, XXXX verlinkt worden. Dieser hab ca eine Busstunde entfernt gewohnt. Getroffen hätten sie sich viele Male, aber sie hätten lediglich viermal Sex miteinander gehabt. Das letzte Mal sei dies am 29.01.2018 gewesen, wo sie erwischt worden wären. Die Person, welche sie erwischt habe, hätte erst vierzehn Tage nach diesem Vorfall eine Anzeige gemacht. Er habe sich danach versteckt gehalten, seine Mutter habe ihm mitgeteilt, dass die Polizei ihn suchen würde und habe ihm 700.000 Taka zukommen lassen, damit er aus Bangladesch schlepperunterstützt ausreisen könne.

In Bangladesch habe er außer mit seinen beiden behaupteten Sexualpartnern nicht über seine Sexualität gesprochen; er habe dies auch zu Hause verheimlicht. Er sei einsam gewesen und habe er sich auch Selbstmordgedanken gemacht.

Nach diesem Vorfall vom Jänner 2018 habe er keinen Kontakt mit seinem Vater gehabt („Nein, nicht mehr“). Er habe lediglich mit seiner Mutter gesprochen. Auf die Frage, ob der Vater versucht habe, ihn umzubringen, antwortete der BF – nachgefragt - in der Verhandlung vor dem BVwG mit einem klaren „Nein“ (VS 15). Damit widerspricht sich der BF aber in den Aussagen vor dem BFA, weil der BF dem BFA erzählte: „Mein Vater versuchte, mich umzubringen. Dann hatten wir keinen weiteren Kontakt.“ (AS 47).

I.8. Das Bundesverwaltungsgericht wies sodann mit Entscheidung vom 13.02.2020, XXXX , die Beschwerde ab.

I. 9. Der Verwaltungsgerichthof behob mit Erkenntnis vom 14.04.2021, XXXX die vorinstanzliche Entscheidung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali (gleichlautende Angaben in Erstbefragung AS 1 sowie bei Einvernahme vom beim BFA AS 37). Seine Identität steht fest (AS 21 ff.).

Der BF ist in Dhaka geboren und hat dort gelebt (AS 1 ff.; AS 37). Er hat in seinem Heimatland für fünf Jahre die Grundschule, fünf Jahre die Hauptschule, zwei Jahre eine allgemein höherbildende Schule und zwei Jahre die Universität in XXXX besucht, wo er Elektroingenieurwesen studiert hat (AS 3, 51 f.).

Der BF ist ledig und hat keine Kinder (AS 1 ff.; AS 37). In Bangladesch halten sich die Eltern und ein Bruder auf. Weiters hat er noch Tanten, Onkeln; Cousinen und Cousins in Bangladesch (AS 37 f.). Zwischen dem BF und seinen Verwandten besteht nach Aussage des BF derzeit kein Kontakt.

Der BF ist im Februar 2018 nicht legal in das Bundesgebiet eingereist. Er ist in die staatliche Grundversorgung einbezogen. Er geht in Österreich keiner Beschäftigung nach (AS 52).

Der BF ist in Österreich kein Mitglied in einem Verein und engagierte sich während seines bisherigen Aufenthaltes im geringem Ausmaß ehrenamtlich (AS 53; Vorlage von Bestätigungen in der Verhandlung vor dem BVwG). Festgestellt wird, dass der BF nach eigenen Angaben über keinen österreichischen Freundeskreis verfüge (AS 53)

Der BF verfügt über gute Deutschkenntnisse (AS 52, VS 5,6), er hat das Deutschzertifikat A2 vorgelegt (AS 55). Er ist strafrechtlich unbescholten.

Der BF ist grundsätzlich gesund (AS 37).

I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Festgestellt wird, dass der einzige Fluchtgrund des BF in seiner angegebenen Homosexualität gelegen ist.

Festgestellt wird, das der BF hinsichtlich der ersten homosexuellen Erfahrungen unterschiedliche zeitliche Angaben vor dem BFA und dem BVwG machte.

Festgestellt wird, dass der BF hinsichtlich der Dauer seiner behaupteten Partnerschaft zu seinem ersten Mann unterschiedliche Angaben machte.

Festgestellt wird, dass der BF behauptet, seinen zweiten homosexuellen Partner auf einer Internetplattform mit der Eingabe der Worte „Dhaka“ und „Gay“ gefunden zu haben.

Festgestellt wird, dass der BF behauptet, keine Probleme mit staatlichen Behörden oder Gerichten in seinem Heimatland gehabt zu haben, da er vorher ausgereist sei (AS 50). Dennoch behauptet der BF, dass er vor seiner Ausreise von der Polizei gesucht worden wäre wegen einer Anzeige, welche 14 Tage nach dem fluchtauslösenden Vorfall eingebracht worden sei.

Festgestellt wird, dass der BF hinsichtlich seines Verhältnisses zu seinem Vater nach dem behaupteten Vorfall unterschiedliche Aussagen tätigte; demnach wollte der Vater ihn umbringen (AS 47), was der BF vor dem BVwG definitiv verneinte (VS 15).

Festgestellt wird, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der BF bei seiner Rückkehr einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt zu sein.

II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:

SOGI - Sexuelle Orientierung und Genderidentität

Homosexuelle Handlungen sind illegal und können nach § 377 des „Bangladesh Penal Code, 1860“ (BPC) mit lebenslangen Freiheitsentzug (ILGA 3.2019), mit einer Haftstrafe von bis zu zehn Jahren, inklusive der Möglichkeit einer Geldstrafe bestraft werden (ILGA 3.2019; vgl. AA 27.7.2019). Das Gesetz wird nicht aktiv angewandt. Gerichtsverfahren oder Verurteilungen von Homosexuellen sind nicht bekannt (ÖB 8.2019). Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft (Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender und Intersex) berichteten, dass die Polizei das Gesetz als Vorwand benutzt, um LGBTI-Personen sowie feminine Männer, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, zu schikanieren (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 27.7.2019).

Homosexualität ist gesellschaftlich absolut verpönt und wird von den Betroffenen nicht offen gelebt. Wo Homosexuelle als solche erkannt werden, haben sie mit gesellschaftlicher Diskriminierung, in Einzelfällen auch mit Misshandlungen bis hin zum Mord zu rechnen (ÖB 8.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Jedes Jahr wird über dutzende Angriffe auf Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft berichtet (FH 2020). Bei einem durch das Human Rights Forum Bangladesh (HRFB) eingereichten Bericht beim UN-Ausschuss gegen Folter vom 29.6.2019 wurden für den Zeitraum 2013 bis 2018 insgesamt 434 Beschwerden wegen schikanöser Behandlungen oder Misshandlungen angeführt. Davon betrafen 294 Fälle Angriffe gegen Angehörige sexueller Minderheiten (HRFB 22.6.2019).

Eine besondere Rolle kommt dem „dritten Geschlecht“ zu, den sogenannten „Hijras“, Eunuchen und Personen mit unterentwickelten oder missgebildeten Geschlechtsorganen. Diese Gruppe ist aufgrund einer langen Tradition auf dem indischen Subkontinent im Bewusstsein der Gesellschaft präsent und quasi etabliert. Dieser Umstand schützt sie jedoch nicht vor Übergriffen und massiver gesellschaftlicher Diskriminierung (AA 27.7.2019), auch wenn viele Hijras in klar definierten und organisierten Gemeinschaften leben, die sich seit Generationen erhalten haben. Obwohl sie eine anerkannte Rolle in der Gesellschaft Bangladeschs innehaben, bleiben sie trotzdem marginalisiert (DFAT 22.8.2019). Die Regierung verabsäumte es, den Schutz der Rechte von Hijras ordnungsgemäß durchzusetzen (HRW 14.1.2020).

LGBT-Organisationen, insbesondere für Lesben, sind selten (USDOS 11.3.2020). Es gibt keine NGO für sexuelle Orientierung und Geschlechteridentität in Bangladesch, dafür aber NGOs wie „Boys of Bangladesh“, die „Bhandu Social Welfare Society“ und online Gemeinschaften wie „Roopbaan“, das lesbische Netzwerk „Shambhab“ und „Vivid Rainbow“ (ILGA 3.2019).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (22.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014277/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2019%29%2C_22.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade (22.8.2019): DFAT Country Information Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2016264/country-information-report-bangladesh.pdf, Zugriff 6.4.2020

FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020

HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 1.4.2020

HRFB - Human Rights Forum Bangladesh (22.6.2019): veröffentlicht von CAT – UN Committee Against Torture: Stakeholders' Submission to the United Nations Committee against Torture, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014744/INT_CAT_CSS_BGD_35310_E.docx, Zugriff 6.4.2020

ILGA – International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (3.2019): State Sponsored Homophobia 2019 (Autor: Mendos, Lucas Ramon), https://www.ecoi.net/en/file/local/2004824/ILGA_State_Sponsored_Homophobia_2019.pdf, Zugriff 6.4.2020

ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (8.2019): Asylländerbericht Bangladesch

USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 26.3.2020

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Hinsichtlich der Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des BF sowie zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und seiner Muttersprache wird den bereits im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen des BFA gefolgt, an denen sich im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht keine Zweifel ergeben haben, zumal diese Feststellungen, die auf den im Verfahren vor dem BFA getätigten eigenen Angaben des BF gründen (AS 1, 37), im vorliegenden Beschwerdeschriftsatz auch nicht beanstandet wurden.

Die Identität des BF konnte seitens des Bundesverwaltungsgerichtes aufgrund des in Kopie im Akt liegenden Personalausweis (AS 21 ff.) festgestellt werden. Bereits das BFA ging von feststehender Identität aus (Bescheid AS 95).

Die Feststellungen zur Herkunft des BF (geboren und gelebt in Dhaka, AS 1 ff.; AS 37), seiner absolvierten Schulausbildung, seinem Familienstand und seinen in Bangladesch aufhältigen Familienangehörigen legte ebenso bereits das BFA dem angefochtenen Bescheid zu Grunde, diese decken sich mit dem vom BF im Verfahren mehrfach übereinstimmend getätigten Angaben (vgl. AS 37 f.) und wurden im Beschwerdeschriftsatz nicht bestritten.

Die im April 2018 erfolgte illegale Einreise des BF ist aktenkundig. Dass der BF in die staatliche Grundversorgung einbezogen und er strafrechtlich unbescholten ist, geht aus einer Einsichtnahme in die österreichischen amtlichen Register (Grundversorgungs-Informationssystem, Fremdeninformationssystem, Zentrales Melderegister, Strafregister) hervor.

Dass der BF in Österreich kein Mitglied in einem Verein ist und sich während seines bisherigen Aufenthaltes wenig ehrenamtlich engagiert hat, gab dieser selbst bereits vor der Behörde zu Protokoll (AS 53, neuere Unterlagen dem BVwG vorgelegt).

Dass der BF über private Anknüpfungspunkte in Österreich in nennenswertem Ausmaß verfügt, war seinen diesbezüglich getätigten Angaben nicht zu entnehmen (vgl. AS 53). Auch dem Beschwerdeschriftsatz lassen sich keine darüberhinausgehenden substantiierten Ausführungen dahingehend entnehmen. Ebenso wurden im Laufe des Verfahrens auch keine weiteren Stellungnahmen abgegeben bzw. Unterlagen vorgelegt, aus denen anderes hervorgehen würde und sind die Ausführungen der belangten Behörde, wonach der BF im Bundesgebiet über keine relevanten privaten Anknüpfungspunkte verfügt (Bescheid AS 96), nicht zu beanstanden. Dass der BF am sozialen bzw. kulturellen Leben in Österreich teilnimmt, konnte mangels diesbezüglicher Angaben des BF bzw. der Vorlage von entsprechenden Unterlagen jedenfalls nicht festgestellt werden (vgl. AS 53: „LA: Haben Sie einen österreichischen Freundeskreis? VP: Nein. LA: Sind Sie in einem Verein aktiv oder leisten ehrenamtliche Arbeit? VP: Ich habe von ehrenamtlichen Tätigkeiten gehört, aber ich habe bisher immer umsiedeln müssen.“).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF gründen ebenso auf dessen eigenen Angaben vor dem BFA bzw. dem Bundesverwaltungsgericht (AS 38). Im Laufe des Verfahrens wurden auch keine ärztlichen Unterlagen vorgelegt, die lebensbedrohliche gesundheitliche Beeinträchtigungen des BF nachweisen würden.

II.2.2.1. Schon das BFA konnte dem BF hinsichtlich seiner sexuellen Präferenzen nicht widerlegen.

Wie dem Erkenntnis des VwGH zu entnehmen ist, bestünde auf der Grundlage der vorliegenden Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Lage homosexueller Personen in Bangladesch eine Situation, die es diesem Personenkries nicht ermögliche, ihre sexuellen Neigungen offen zu leben. Das Länderinformationsblatt – aus dem Jahr 2019 - zu Bangladesch wurde dem Rechtsvertreter des BF vor Durchführung der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis gebracht. In den angeführten Länderfeststellungen wird eine Vielzahl von Berichten verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen zusammengefasst, die ein ausgewogenes Bild betreffend die allgemeine Situation in Bangladesch zeigen. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal die Länderinformationen seitens des vertretenen BF unbestritten geblieben sind.

Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich die Umstände unter Berücksichtigung der vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation bisher nicht (wesentlich) geändert haben.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA. Somit ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates oder wegen Schutzes in einem EWR-Staat oder in der Schweiz zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Ausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat. Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Herkunftsstaates zugemutet werden kann. Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind. Gemäß Abs. 2 ist bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist ein Flüchtling, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist somit die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, 2016/19/0074 uva.).

Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht gemäß § 3 AsylG 2005 setzt gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes positiv getroffene Feststellungen von Seiten der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus. Gleichfalls nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers die zentrale Entscheidungsgrundlage dar. Dabei genügen aber nicht bloße Behauptungen, sondern bedarf es, um eine Anerkennung als Flüchtling zu erwirken, hierfür einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch den Asylwerber.

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

Grundsätzlich obliegt es dem Asylwerber, alles Zweckdienliche, insbesondere seine wahre Bedrohungssituation in dem seiner Auffassung nach auf ihn zutreffenden Herkunftsstaat, für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (vgl. VwGH 31.05.2001, 2001/20/0041; 23.07.1999, 98/20/0464). Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 28 AsylG 1997 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. VwGH 14.12.2000, 2000/20/0494; 06.10.1999, 98/01/0311; 14.10.1998, 98/01/0222). Die Ermittlungspflicht der Behörde geht auch nicht soweit, den Asylwerber zu erfolgversprechenden Argumenten und Vorbringen anzuleiten (vgl. VwGH 21.09.2000, 98/20/0361; 04.05.2000, 99/20/0599).

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 07.11.2013, C-199/12, ausgesprochen, dass Art 9 Abs. 1 in Verbindung mit Art 9 Abs. 2 lit c der Qualifikations-Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, als solcher keine Verfolgungshandlung darstellt. Dagegen ist eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind und die im Herkunftsland, welches eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar. Art 10 Abs. 1 lit d in Verbindung mit Art 2 Buchst c der Qualifikations-Richtlinie ist dahin auszulegen, dass vom Geltungsbereich der Richtlinie nur homosexuelle Handlungen ausgeschlossen sind, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten strafbar sind. Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden von dem Asylbewerber auch nicht erwarten, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat letztlich die ursprünglich negative Entscheidung der Vorinstanz zum Antrag auf internationalen Schutz behoben.

Der BF hat im Verfahren dargelegt, dass er wegen seiner behaupteten Homosexualität in seinem Herkunftsland Diskriminierungshandlungen ausgesetzt war. Es ist davon auszugehen, dass die Homosexualität des BF im Fall einer Rückkehr in seiner Umgebung erneut offenkundig wird, womit der BF mit hoher Wahrscheinlichkeit (erneut) Opfer diskriminierender Praktiken der Gesellschaft in Bangladesch werden würde, vor denen staatliche Organe Homosexuelle - den Länderfeststellungen zufolge - nicht zu schützen vermögen, sondern den Berichten zufolge vielmehr selbst in Schikanen involviert sein können.

Im Fall einer Rückkehr wäre der BF der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt und würde dieser maßgeblichen Einschränkungen in seinem Beziehungs- und Sexualleben unterliegen. Der BF wäre gezwungen, seine sexuelle Orientierung im Geheimen – unter ständiger Angst entdeckt zu werden – zu leben, um sich nicht der Gefahr von Diskriminierung, strafgerichtlicher Verfolgung oder körperlicher Schädigung auszusetzen.

Dies ist mit der Rechtsprechung nicht vereinbar, wonach auch vom BF nicht erwartet werden kann, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim haltet oder Zurückhaltung hinsichtlich seiner sexuellen Ausrichtung übt ("l'expression de son orientation sexuelle"), um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden (siehe dazu auch VfGH 21.06.2017, E3074/2016; VfGH 18.09.2014, E910/2014).

Es ist daher im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass dem BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ungerechtfertigte Eingriffe von erheblicher Intensität aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen drohen. Die behaupteten Diskriminierungen sind ein wesentliches Indiz für eine drohende Verfolgung im Fall einer Rückkehr des BF. Diese Verfolgung ist dem Heimatstaat zuzurechnen, weil der Heimatstaat des BF den Länderfeststellungen zufolge nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, von anderen Stellen ausgehende Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Im vorliegenden Fall sind somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gegeben.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II.3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides ausführlich wiedergegeben.

Schlagworte

Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Bürgerkrieg Ersatzentscheidung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Homosexualität inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative mündliche Verhandlung sexuelle Orientierung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W195.2205345.1.00

Im RIS seit

01.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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