TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/1 L514 2242837-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.06.2021
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Entscheidungsdatum

01.06.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §35
VwGVG §35 Abs3

Spruch


L514 2242837-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KLOIBMÜLLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.05.2021, Zl. 1177627707/210625035-EAST West, und die Anhaltung in Schubhaft zu Recht erkannt:

A)

I.       Die Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG als unbegründet abgewiesen und die Anhaltung in Schubhaft seit 19.05.2021 für rechtmäßig erklärt.

II.      Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

III.    Gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG iVm VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013, hat der Beschwerdeführer dem Bund (Bundesminister für Inneres) Aufwendungen in Höhe von 426,20 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV.      Der Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG als unzulässig abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang

1.       Der Beschwerdeführer stellte am XXXX 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Er war zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig. Bei der Erstbefragung am 28.12.2017 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, afghanischer Staatsangehöriger zu sein sowie der Volksgruppe der Paschtunen anzugehören. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe führte er im Wesentlichen aus, dass das Haus der Familie im Zuge des in Afghanistan herrschenden Krieges eingestürzt sei und er sich zu diesem Zeitpunkt im Haus befunden habe, sodass er verletzt worden sei. Er habe Angst um sein Leben; dies wegen den Taliban. Überdies gab der Beschwerdeführer auf Nachfrage an, dass sein Neffe mit ihm mitgereist und sein Bruder in Österreich aufhältig sei.

Am XXXX 2018 wurde der Beschwerdeführer volljährig.

Im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) am 05.09.2018 in Anwesenheit einer Vertrauensperson führte der Beschwerdeführer aus, seine Heimat aufgrund des Krieges verlassen zu haben, als er noch sehr klein gewesen sei. Er sei damals beim Einsturz des Familienhauses verletzt worden und leide noch immer unter Beinschmerzen. Sein Vater sei von den Taliban getötet worden. Der Beschwerdeführer sei sodann in Pakistan aufgewachsen und habe dort gearbeitet. Als er jedoch in Pakistan nicht mehr geduldet worden und auch eine Rückkehr nach Afghanistan wegen des Krieges für ihn ausgeschlossen gewesen sei, habe er beschlossen, nach Österreich zu reisen. Er habe zwar noch Verwandte in Afghanistan, aber zu niemandem Kontakt. Zuletzt habe sich der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Mutter, seiner Schwägerin und seinem Neffen in Pakistan aufgehalten.

Im Zuge dieser Einvernahme legte der Beschwerdeführer Unterlagen betreffend seine Integration in Österreich vor.

Das BFA hat mit Bescheid vom 29.11.2018 den Antrag auf internationalen Schutz vom XXXX 2017 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Am 18.01.2019 brachte der Beschwerdeführer dagegen fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde ein, worin er seine Fluchtgründe wiederholte. Aufgrund der Vorkommnisse in Österreich, wonach sein Neffe einen anderen Afghanen erstochen haben soll (diesbezüglich wurden Zeitungsartikel vorgelegt), könne der Beschwerdeführer aufgrund der Blutrache, welche im Paschtunwali fest verankert sei, nicht nach Afghanistan zurückkehren. Die Familie des Opfers sei mutmaßlich Mitglied eines Drogenrings gewesen, weshalb der Beschwerdeführer in Afghanistan nirgends sicher vor Blutrache sei. Aufgrund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer von Blutrache bedroht sei, sich im wehrfähigen Alter befinde, lange im Ausland gelebt und sich den dortigen Werten angepasst habe, falle er in mehrere Risikoprofile der UNHCR Richtlinie. Dem Beschwerdeführer stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Es sei ihm nicht möglich, sich in Afghanistan eine neue Existenz aufzubauen. Zudem würde eine Rückkehrentscheidung einen unzulässigen Eingriff in sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens darstellen.

Am 12.03.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter teilnahmen und der eine Dolmetscherin für die Sprachen Dari, Farsi und Paschtu beigezogen wurde. Die anwesende Rechtsvertretung verwies auf die EASO-Guidance, wonach für jene Rückkehrer, die außerhalb Afghanistans geboren worden seien und/oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt hätten, qualifizierte Umstände erforderlich wären, um von einer in Hinblick auf Art. 2 und 3 EMRK zumutbaren Rückkehrsituation ausgehen zu können. Diese seien im vorliegenden Fall nicht gegeben, weshalb der Beschwerdeführer einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Sodann wurde näher ausgeführt, weshalb beim Beschwerdeführer keine schwere Straftat und demnach auch kein Asylausschlussgrund vorliegen würde.

Mit Erkenntnis vom 25.03.2021, W216 2213741-1/26E, wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Bescheid des BFA vom 29.11.2018 erhobene Beschwerde als unbegründet ab.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekenne sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers sei Paschtu, er habe aber auch Sprachkenntnisse in Urdu, Punjabi, Dari, Englisch und Deutsch. Er stamme aus der Provinz XXXX . Zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt sei er mit seiner Familie nach Pakistan gezogen, wo er als Wasser- und Schneiderwarenverkäufer sowie als Maler gearbeitet bzw. nachts Container ausgeladen habe. Er habe dort in einem afghanischem Viertel gewohnt. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer zumindest bis 2011 bzw. jedenfalls länger als von ihm angeführt in Afghanistan aufhältig gewesen sei. Seine Mutter sei nach wie vor in Pakistan aufhältig und werde vom Ehemann der Tante des Beschwerdeführers unterstützt. Der Beschwerdeführer habe auch noch Verwandte (zumindest Tanten mütterlicherseits und väterlicherseits sowie drei Onkel mütterlicherseits und einen Onkel väterlicherseits) in Afghanistan und könne zu diesen – nicht zuletzt mit Hilfe seiner in Österreich lebenden Verwandten – Kontakt aufnehmen. Die Familie habe noch Besitztümer in Afghanistan (ein Haus und Grundstücke). Der Beschwerdeführer leide zwar an Beinschmerzen, jedoch an keinen lebensbedrohenden Krankheiten. Er sei jung und arbeitsfähig. Die aktuell vorherrschende – auch in Afghanistan aufgetretene – Pandemie aufgrund des Corona-Virus stelle kein Rückkehrhindernis dar. Der Beschwerdeführer weise keine lebensbedrohlichen Krankheiten auf und gehöre mit Blick auf sein Alter und das Fehlen maßgeblicher physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an.

Der Beschwerdeführer sei im Herkunftsstaat weder einer individuellen gegen ihn gerichteten Verfolgung (durch die Taliban) ausgesetzt gewesen, noch wäre er im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan einer solchen ausgesetzt. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass die Angehörigen jenes Mannes, den der Neffe des Beschwerdeführers in Österreich getötet habe, den Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in ganz Afghanistan suchen bzw. finden würden. Weiters könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder (von staatlichen Organen geduldet) durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit (Paschtune), seiner Religion (sunnitischer Islam), Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung zu erwarten hätte. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er sich nunmehr seit dem Jahr 2017 in Europa aufhalte, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt wäre. Er habe keine "westliche Lebenseinstellung" angenommen, welche im Widerspruch zur Gesellschaftsordnung in Afghanistan stehe.

Dem volljährigen Beschwerdeführer stehe jedenfalls eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat zur Verfügung. Er sei mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und einer in Afghanistan gesprochenen Sprache (Paschtu) vertraut und in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen. Angesichts seiner vielfältigen Sprachkenntnisse (Urdu, Punjabi, Dari, Englisch und Deutsch), seiner uneingeschränkten Arbeitsfähigkeit, seiner bislang erlangten Berufserfahrung (in Pakistan u.a. als Wasser- und Schneiderwarenverkäufer sowie als Maler) sowie seiner in Österreich erworbenen Fähigkeiten, Kenntnisse und Berufserfahrung (als Küchengehilfe und als Zeitungsausträger) könne sich der Beschwerdeführer in den genannten Städten eine Existenz aufbauen und diese zumindest anfänglich mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Ihm sei der Aufbau einer Existenzgrundlage in Herat oder Mazar-e Sharif möglich. Er sei in der Lage, in Herat oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Er habe die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form von Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Er könne die Städte Herat und Mazar-e Sharif grundsätzlich auf dem Luftweg (via Kabul) sicher erreichen.

In Österreich würden u.a. der Bruder und dessen ältester Sohn (der Neffe des Beschwerdeführers) leben. Der Bruder des Beschwerdeführers halte sich seit XXXX 2011 in Österreich auf, sei bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten und zuletzt mit Urteil vom XXXX 2020 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels und der Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel sowie des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Zudem sei die gegenüber dem Bruder mit Bescheid vom 27.06.2019 u.a. ausgesprochene Rückkehrentscheidung der belangten Behörde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.11.2020 zur W200 1423095-3/28E rechtskräftig bestätigt worden.

Der Neffe des Beschwerdeführers sei gemeinsam mit dem Beschwerdeführer XXXX 2017 nach Österreich eingereist und habe hier auch einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Auch der Neffe sei in Österreich bereits mehrfach rechtskräftig vorbestraft worden. Er sei u.a. wegen versuchter Nötigung, falscher Beweisaussage, Verleumdung und schließlich wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. Zudem sei die gegenüber dem Neffen mit Bescheid vom 17.12.2019 u.a. ausgesprochene Rückkehrentscheidung der belangten Behörde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.01.2021 zur W207 2229133-1/32E rechtskräftig bestätigt worden.

Der Beschwerdeführer wohne in Österreich zusammen mit einem Freund in einer Wohnung. Er habe gelegentlich Kontakt zu seiner "Schwägerin" (es handle sich hierbei um die in Österreich aufhältige Partnerin seines Bruders, mit welcher der Bruder lediglich nach islamischem Ritus, nicht jedoch standesamtlich verheiratet sei). Der Beschwerdeführer verfüge über gewisse Deutschkenntnisse. Er habe Deutschkurse auf A1 und A2 Niveau besucht; die A2 Prüfung habe er nicht bestanden. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer keine weiteren Kurse besucht. Es bestehen auch keine Mitgliedschaften in Vereinen oder Organisationen. Zudem sei auch kein nachweisliches ehrenamtliches Engagement des Beschwerdeführers ersichtlich. In seiner Freizeit treffe sich der Beschwerdeführer mit Freunden aus Pakistan, Afghanistan und Österreich und sei sportlich aktiv.

Der Beschwerdeführer beziehe Leistungen aus der Grundversorgung und sei selbst strafgerichtlich vorbestraft. So sei er – wie sein Bruder und sein Neffe – wegen derselben Delikte in Anwendung des JGG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Konkret sei er mit Urteil vom XXXX 2020 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall, Abs. 2 Z 3 SMG, des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 1. Satz SMG sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 7. Fall SMG und nach § 27 Abs. 1 Z 1 1. und 2. Fall, Abs. 2 SMG zur erwähnten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt worden.

Beweiswürdigend wurde zu den vom Beschwerdeführer behaupteten Fluchtgründen im Wesentlichen ausgeführt, ob sein Vater, wie von ihm behauptet, tatsächlich von Taliban getötet worden sei, könne aufgrund der vagen bzw. nur wenigen Angaben des Beschwerdeführers und dem Umstand, dass sich dies laut seinen Angaben im Kleinkindalter zugetragen haben soll, wobei er seinen Vater "nie gesehen" und demnach auch keine Erinnerungen habe, nicht festgestellt werden. Entscheidungsrelevant sei jedoch, dass der Beschwerdeführer im gesamten Asylverfahren kein konkretes Vorbringen erstattet habe, wonach er selbst in Afghanistan einer individuellen gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung habe der Beschwerdeführer immer nur von allgemeinen Befürchtungen in Zusammenhang mit den Taliban gesprochen, die allgemein nach einer Kontrolle Afghanistans streben und Jugendliche rekrutieren wollen würden. Dass der Beschwerdeführer einer solchen Verfolgung in Form einer (versuchten) Zwangsrekrutierung durch Taliban auch im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre, ergebe sich insbesondere daraus, dass er diesbezüglich nur allgemeine Befürchtungen geäußert habe. Eine derartige allgemeine in den Raum gestellte Befürchtung genüge jedoch nicht, um die abstrakte Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban oder ähnliche Gruppierungen bereits als (drohende) Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention erscheinen zu lassen, zumal durch die grundsätzlich bestehende Möglichkeit, dass junge Männer in Afghanistan einer Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppen ausgesetzt sein könnten, noch keine konkrete Bedrohung des Beschwerdeführers aufgezeigt bzw. glaubhaft gemacht werde.

Soweit der Beschwerdeführer weiters als Nachfluchtgrund angegeben habe, Angst vor Blutrache seitens der Familie des Mordopfers seines Neffen zu haben, sei festzuhalten, dass seine diesbezüglichen Angaben sehr vage gewesen seien. So habe der Beschwerdeführer davon gesprochen, dass "diese Leute" – ohne diese näher konkretisieren bzw. benennen zu können – von seiner Entlassung aus dem Gefängnis erfahren hätten, weshalb er nun Angst habe; er wisse dies von seinen Freunden. Der Beschwerdeführer habe jedoch weder angeben können, woher die Freunde dies wissen würden, noch um welche Freunde es sich dabei handle. Woher die Informationen über eine Bedrohung durch Angehörige des Mordopfers seines Neffen stammten, habe der Beschwerdeführer ebenso wenig angeben können, wie wo genau in Afghanistan die Angehörigen des Mordopfers wohnen würden. Zudem habe der Beschwerdeführer angegeben, dass das Mordopfer nicht nur Familienangehörige in Afghanistan, sondern auch in Österreich habe und er vor diesen Angst habe. Bislang sei der Beschwerdeführer in Österreich aber eigenen Angaben zufolge nicht persönlich von der Familie des Ermordeten bedroht worden. Auch der Bruder des Beschwerdeführers, der sich nach Angaben des Beschwerdeführers bei der Familie des Mordopfers entschuldigt habe, sei bislang keinen (nachweislichen) Racheakten ausgesetzt gewesen. So sei bereits im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.01.2021 zur W207 2229133-1/32E den Neffen des Beschwerdeführers betreffend ausgeführt worden, dass zum einen keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte und Belege dafür vorliegen würden, dass sich behauptete Attacken auf den Vater des Neffen (also den Bruder des Beschwerdeführers) tatsächlich ereignet hätten bzw. dass solche Übergriffe, sollten sie tatsächlich stattgefunden haben, im Zusammenhang mit der gegenständlichen Mordsache und damit verbundenen Drohungen oder Forderungen gestanden seien. Zum anderen habe der Neffe des Beschwerdeführers selbst aufgrund seines Verhaltens keine glaubhafte und reale Furcht vor Verfolgung in Zusammenhang mit einer allfällig drohenden Blutrache ins Treffen führen können.

2.       Laut Aufgriffsbericht der Bundespolizeiinspektion XXXX vom XXXX 2021 wurde der Beschwerdeführer am XXXX 2021, um 13:31 Uhr, im ICE26, von Österreich kommend, einer grenzpolizeilichen Kontrolle unterzogen, wobei er lediglich seine österreichische Asylverfahrenskarte mitführte. Laut Einreiseverweigerung der Bundespolizeiinspektion XXXX vom XXXX 2021 wurde dem Beschwerdeführer die Einreise nach Deutschland verweigert. Er wurde am selben Tag nach Österreich rücküberstellt.

Am XXXX 2021 stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf internationalen Schutz und somit einen Folgeantrag iSd § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005.

Noch am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab der Beschwerdeführer an, er habe keine Krankheiten oder Beschwerden, welche ihn an der Einvernahme hindern oder beeinträchtigen würden. Er habe Österreich verlassen und sei am Tag zuvor irrtümlich mit dem Zug nach Deutschland gefahren; es sei aber nicht seine Absicht gewesen, nach Deutschland zu fahren, er habe eigentlich nach Linz fahren wollen, sei jedoch im Zug eingeschlafen. Darüber hinaus gab der Beschwerdeführer an, er habe in Österreich Deutschkurse besucht, die Sprache gelernt und hier gearbeitet. Er habe sich hier integriert, kenne sich in Linz gut aus, er habe sich auch beim AMS um einen Job erkundigt.

Zu seinen Fluchtgründe gab der Beschwerdeführer an, diese seien nach wie vor aufrecht. Weiters habe er mit seinem Onkel väterlicherseits in Afghanistan Schwierigkeiten. Sein Onkel wolle ihm seine Grundstücke wegnehmen. Sein Bruder sei bei der Militärgarde „Mili Urdu", er sei verschollen. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan werde er von den Taliban oder von seinem Onkel getötet. Nunmehr habe er alle Flucht- bzw. Verfolgungsgründe genannt. Die Änderungen der Situation, der Fluchtgründe, seien ihm bekannt, seitdem er das erste Mal nach Österreich gekommen sei. Er habe dies aber damals nicht bei seinem Fluchtgrund gesagt, weil er nicht gewusst habe, dass es wichtig sei. Er habe Drohbriefe und andere Beweise, die er vorlegen wolle.

Die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 21.04.2021 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu gestaltete sich in inhaltlicher Hinsicht – hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben - wie folgt:

„[……]

F: Ihre Muttersprache ist Paschtu und sind Sie damit einverstanden, dass die Einvernahme in der Sprache Paschtu durchgeführt wird?

A: Ja.

F: Wie können Sie den Dolmetscher verstehen?

A: Gut

F: Welche Sprachen sprechen Sie noch? A: Urdu, Punjabi, Paschtu, Dari, Englisch und Deutsch.

F: Haben Sie das alles verstanden?

A: Ja.

F: Haben Sie die Merk- und Informationsblätter zum Asylverfahren in einer Ihnen verständlichen Sprache erhalten?

A: Ja. F: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, die Einvernahme durchzuführen?

A: Ja.

F: Haben Sie irgendwelche Krankheiten oder nehmen Sie Medikamente ein? A: Nein, keine Krankheiten, Medikamente nehme ich auch keine ein.

F: Sie werden aufgefordert, selbstständig und unverzüglich medizinische Unterlagen, Befunde, Gutachten, usw. unaufgefordert dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzulegen. (AW wird über die Möglichkeiten der Befundvorlage aufgeklärt.)

A: Gut, das werde ich machen.

[……]

F: Gern. § 14 Abs. 2 AsylG 2005 werden Sie darüber belehrt, dass Sie sich für Zustellungen im Asylverfahren eines Zustellbevollmächtigten bedienen können.

A: Ich habe verstanden, werde jedoch nicht vertreten.

F: Welche Staatsbürgerschaft besitzen Sie?

A: Afghanische, Provinz XXXX .

F: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

A: Paschtune.

F: Welcher Religion gehören Sie an?

A: Sunnitischer Moslem.

F: Wie lautet Ihr Familienstand?

A: Ledig.

F: Haben Sie Kinder und wenn ja, wie heißen diese und wo leben diese?

A: Nein.

F: Haben Sie Geschwister und wenn ja, wie heißen diese und wo leben diese?

A: Ich habe drei Schwestern, sie sind älter als ich. Ich weiß nicht wo diese aufhäitig sind.

F: Seit wann ist Ihnen der Aufenthalt der Schwestern unbekannt?

A: Seit 4 oder 5 Jahren kenne ich den Aufenthalt nicht mehr.

F: Haben Sie auch Brüder?

A: Ja. Ich habe einen Bruder, der hier in Österreich lebt.

F: Sind Ihre Angaben die Sie bei der Erstbefragung am XXXX 2021 bei der Polizeiinspektion W. Fremdenpolizei, gemacht haben richtig und halten Sie diese aufrecht?

A: Mein Onkel mütterlicherseits hat gesagt, dass ich einen anderen Bruder hatte, aber dieser sei vermisst.

F: Wollen Sie zu der durchgeführten Erstbefragung Ergänzungen oder Berichtigungen angeben?

A: Ich habe damals gesagt, dass meine Mutter beim Ehemann meiner Tante lebt Ich habe jetzt erfahren, dass der Ehemann meiner Tante getötet worden ist.

V: Sie haben am XXXX 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der rechtskräftig abgewiesen wurde.

F: Warum stellen Sie einen neuerlichen Antrag?

A: Ich habe neue Beweise und ich möchte diese vorlegen, damit sie mir glauben, dass ich Probleme habe.

F: Stimmen Ihre Angaben die Sie bei den Einvernahmen vor österreichischen Behörden, zB Gerichte, Asylgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Unabhängiger Bundesasylsenat, Polizeiinspektion, Fremdenpolizei, Bundesasylamt, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, usw., bzw. schriftlich, zB Berufung, Beschwerden, usw. angaben?

A: Ja, ich habe die Wahrheit gesagt

F: Haben Sie seit der ersten Antragstellung Österreich verlassen?

A: Nein.

F: Von wann bis wann waren Sie in Deutschland?

A: Ich habe mich ein Mal verfahren, bin im Zug eingeschlafen. Dann kam ich nach Deutschland, versehentlich.

F: Gibt es noch andere Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben?

A: Mein Onkel väterlicherseits ist hinter mir her, er will mich töten. Er will mein Eigentum mir wegnehmen.

F: Was für Eigentum ist das?

A: Landwirtschaft und Haus.

F: Warum gehören Ihnen diese Güter?

A: Das gehört eigentlich meinem Vater, aber jetzt gehört es mir. Der Onkel, der Bruder meines Vaters, behauptet, dass das Eigentum auch ihm gehört.

F: Seit wann gehören Ihnen diese Güter?

A: Nach dem Tod meines Vaters. Ich habe den Tod meines Vaters nicht gesehen, meine Mutter hat mir das gesagt.

F: Wann ist Ihr Vater verstorben?

A: Vor meiner Geburt ist er bereits verstorben.

F: Wer hat sich bis jetzt um diese Landwirtschaft und das Haus gekümmert?

A: Der Ehemann meiner Tante hat auf die Landwirtschaft auf gepasst Aber jetzt ist er mittlerweile Tod. Und jetzt passt mein Onkel mütterlicherseits auf die Landwirtschaft auf.

F: Wann hat Ihnen der Onkel gesagt, dass Sie einen weiteren Bruder haben sollten?

A: Der Onkel mütterlicherseits hat mir das gesagt.

F: Nochmals, wann hat Ihnen der Onkel gesagt, dass Sie einen weiteren Bruder haben sollten?

A: Das ist nicht lange her. Ich weiß nicht wann das war.

F: Warum hat Ihr Onkel Ihnen dies nun gesagt, dass Sie einen Bruder haben sollen?

A: Als ich mit meinem Onkel über mein Asyl in Österreich geredet habe, habe ich erzählt, dass ich einen negativen Bescheid bekommen habe. Ich habe gesagt, dass ich neue Beweise brauche. Dann hat er mir über meinen Bruder erzählt

F: Wie lauten die Personalien und der Aufenthaltsort dieses Bruders?

A: Ich habe von meinem Onkel gehört, dass er in Afghanistan war. Jetzt ist er entführt worden, von den Taliban. Aber ich habe ihn persönlich nicht gesehen.

F: Nochmals, wie lauten die Personalien dieses Bruders?

A: Ich kenne den Namen nicht, ich habe ihn auch nicht gesehen.

F: Wer sind die Eltern dieses Bruders?

A: I. ist der Name der Mutter, Vater A. Nachgefragt gibt der AW an, dass diese auch seine Eltern sind. Aber ich weiß nicht auf welchen Unterlagen der Name ist, das müsste ich nachfragen.

F: Warum sagt Ihnen dies der Onkel und nicht Ihre Mutter?

A: Den Grund weiß ich nicht. Das hat meine Mama verheimlicht.

F: Wo lebt Ihre Mutter?

A: In Afghanistan.

F: Besitzen Sie noch hier, zu Hause oder sonst irgendwo Dokumente die Ihre Identität bestätigen?

A: Ich habe eine Tazkira. Es gibt auch einen Brief über den Tod des Ehemannes meiner Tante.

F: Wo ist die Tazkira?

A: Diese ist auf meinem Handy.

Sie werden aufgefordert das Foto vom Handy der Behörde zu übermitteln.

Der AW gibt an: Ich habe mit meinem Onkel darüber gesprochen und er hat gesagt, dass es Krieg gibt und es nicht möglich ist, dies zu finden und weiterzuschicken.

F: Haben Sie im Bereich der EU, in Norwegen oder in Island Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung besteht?

A: Ja, die Frau meines Bruders. Diese befindet sich in Linz. Sie hat Dokumente von Österreich.

F: Wie schaut Ihr Alltag in Österreich aus? Sind Sie Mitglied in einem Verein, haben Sie Kurse besucht oder sind Sie ehrenamtlich tätig?

A: Deutschkurs A1 habe ich schon, A2 Deutschkurs habe ich besucht, aber die Prüfung habe ich nicht geschafft.

F: Wie schaut Ihre soziale Unterstützung in Österreich aus?

A: Staatliche Hilfe bekomme ich.

F: Haben Sie enge Verwandte oder Familienangehörige in Österreich?

A: Mein Bruder, seine Frau und mein Neffe.

F: Gibt es seit rechtskräftigem Abschluss Ihres Vorasylverfahrens, dies war der 27.03.2021, bis zum heutigen Datum irgend eine Änderung in Ihrem Privat- oder Familienleben?

A: Nein, keine Änderung.

F: Haben Ihre Familienmitglieder, bzw. Verwandte im Herkunftsstaat irgendwelche Probleme?

A: Ja, sie haben Probleme.

F: Wer hat welche Probleme?

A: Meine Mutter hat mit meinem Onkel väterlicherseits.

F: Ihre Mutter ist jedoch laut Ihren Angaben in Pakistan. Was sagen Sie dazu?

A: Nein, die ist jetzt wieder in Afghanistan.

F: Seit wann ist Ihre Mutter wieder in Afghanistan?

A: Ich weiß nicht genau seit wann. Als ich mit meinem Onkel mütterlicherseits gesprochen habe, hat er mir erzählt, dass meine Mutter jetzt beim Onkel mütterlicherseits lebt. Zuvor hat sie beim Ehemann meiner Tante gelegt.

F: Wo lebt jetzt Ihre Mutter, somit auch der Onkel mütterlicherseits?

A: In der Provinz XXXX , Distrikt X.

F: Wo befindet sich Ihre Landwirtschaft und Ihr Haus?

A: Das ist ein Dorf Y, dies gehört zum Distrikt X. Nachgefragt gebe ich an, dass meine Mutter in unserem eigenen Haus mein Onkel väterlicherseits lebt. Meine Mutter lebt beim Onkel mütterlicherseits.

L.d.A.: Sie werden über die Möglichkeit informiert, dass Sie Einsicht in die Quellen der Berichte zum Staat Afghanistan nehmen können, aus welchen sich das Amtswissen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zur dortigen Lage ableitet F: Möchten Sie Einsicht nehmen?

A: Nein, ich brauche diese nicht.

Anmerkung: Der AW wird über den Umstand informiert, dass eine Einsichtnahme während der Amtsstunden während des weiteren Verfahrens vorgenommen werden kann.

Die Berichtsquellen über Afghanistan werden als Beilage zur EV angehängt.

F: Sind Sie je von einer gerichtlichen Untersuchung als Zeuge oder Opfer in Österreichbetroffen gewesen?

A: Ich war einmal bei Gericht, habe ein Mal Haschisch geraucht

F: Sind Sie je von einem zivil- oder strafrechtlichen Gerichtsverfahren oder eine (einstweiligen) gerichtlichen Verfügung in Österreich betroffen gewesen?

A: Ja.

F: Wollen Sie freiwillig in den Herkunftsstaat zurückkehren?

A: Nein, warum.

F: Gibt es seit rechtskräftigem Abschluss ihres Vorasylverfahrens, dies war der 27.03.2021, bis zum heutigen Datum irgend eine Änderung Ihrer Fluchtgründe?

A: Neu ist, dass meine Mutter zu meinem Onkel mütterlicherseits gezogen ist. Und der Ehemann meiner Tante wurde getötet. Mein hier in Österreich lebende Neffe hat jemanden getötet und nun werden wir von der Familie wegen Blutfehde bedroht. Und die Familie meines Onkels behauptet; dass wir für den Tod verantwortlich sind.

F: Wann ist Ihre Mutter zum Onkel mütterlicherseits gezogen?

A; Das weiß ich nicht genau. Ich habe diese Frage aber auch nicht gestellt

F: Wann und wo wurde der Ehemann Ihrer Tante getötet?

A: Das weiß ich nicht, aber ich habe ein Papier diesbezüglich.

F: Wann und wo wurde ein Sohn Ihres Onkels getötet?

A: 2018, ich glaube im September oder Oktober.

F: Was für Unterlagen wollen Sie vorlegen?

A: Die Dokumente, die ich habe, sind auf E-Mail. Ich habe diese nicht ausgedruckt

F: Wann haben Sie diese E-Mails erhalten?

A: Das war gestern Abend, spät. Ich habe versucht dies ausdrucken zu lassen, aber die Geschäfte waren bereits geschlossen.

Sie werden aufgefordert sämtliche Dokumente, als auch Ihre Tazkira, an die Einlaufstelle des BFA zu übermitteln (E-Mail-Adresse ist in der Niederschrift rechts oben vermerkt - AW wird diesbezüglich hingewiesen).

Der AW gibt an. Gut, das werde ich machen.

F: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals ob Sie noch etwas Asylrelevantes angeben möchten oder etwas angeben möchten, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe?

A: Mein Ausweis wurde mir von der Polizei abgenommen (Nach Rückfrage: Gemeint Aufenthaltsberechtigungskarte gern. § 51 AsylG)

F: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben Ihren Herkunftsstaat zu verlassen, vollständig geschildert?

A: Ja.

F: Wurde Ihnen ausreichend Zeit eingeräumt Ihre Probleme vollständig und so ausführlich wie Sie es wollten zu schildern?

A: Ja.

F: Haben Sie alles verstanden was Sie gefragt wurden, sowohl von der Sprache als auch vom Verständnis her und konnten Sie auch alles angeben was Sie wollten?

A: Ja.

V: Ihnen wird nun mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, Ihren Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen und eine Rückkehrentscheidung in Verbindungmit einem Einreiseverbot zu erlassen.

F: Sie können nunmehr dazu Stellung nehmen.

A: Was soll ich machen, ich habe keine weiße Karte. Ich suche Arbeit.

V: Ihnen wird nun zur Kenntnis gebracht, dass Sie nach einer Frist von mindestens 24 Stunden im Zuge einer niederschriftlichen Befragung im Beisein eines Rechtsberaters die Möglichkeit haben, zu diesem Sachverhalt Stellung zu beziehen. Von diesem Termin werden Sie schriftlich in Kenntnis gesetzt. Sollten Sie diesem Termin nicht nachkommen und die Betreuungsstelle verlassen, müssen Sie damit rechnen, dass das Verfahren eingestellt wird.

F: Wollen Sie noch etwas angeben?

A: Wie geht es jetzt weiter (AW wird diesbezüglich aufgeklärt.)

Nach erfolgter Rückübersetzung:

F: Haben Sie den Dolmetscher während der gesamten Befragung einwandfrei verstanden?

A: Ja.

F: Hat Ihnen der Dolmetscher alles rückübersetzt was Sie gesagt haben?

A: Ja.

F: Mächten Sie eine Ablichtung der Niederschrift?

A: Ja.

Die Niederschrift wurde mir rückübersetzt. Der Inhalt ist richtig und ich bestätige dies mit meiner Unterschrift.

Ich bestätige auch mit meiner Unterschrift, dass ich eine Kopie der Niederschrift und die Länderfeststellungen erhalten habe. Außerdem bestätige mit meiner Unterschrift, dass ich die Mitteilung gem. § 29/3/4 AsylG erhalten habe und mir diese durch den Dolmetscher übersetzt wurde.“

Die Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG vom 21.04.2021 wurde dem Beschwerdeführer am selben Tag gegen Unterschriftsleistung ausgefolgt. Darin wurde dem Beschwerdeführer auch eine Meldeverpflichtung gemäß § 15a AsylG auferlegt, der der Beschwerdeführer mehrfach nicht nachkam.

Am 22.04.2021 wurden vom Beschwerdeführer per Mail verschiedene Schriftstücke vorgelegt, die von der belangten Behörde in dem Umfang, in dem sie lesbar waren, einer Übersetzung in die deutsche Sprache zugeführt wurden. Begleitet wurde die Vorlage dieser Schriftstücke von einem Schreiben des Beschwerdeführers folgenden Inhaltes: „Hallo ich bin XXXX das mein alles Sachen habe ich dir geschickt ein Sohn ist von mein Tante das er nehmen von seine Vater Geld von Regierung Lg“

Mit Ladung der belangten Behörde vom 23.04.2021 wurde der Beschwerdeführer zu einer weiteren Einvernahme für den 28.04.2021 geladen. Diese Ladung wurde dem Beschwerdeführer am 27.04.2021 gegen Unterschriftsleistung persönlich ausgefolgt.

Am 27.04.2021 wurde vom Beschwerdeführer per Mail bekannt gegeben, dass er sich nicht gesund fühle und daher am morgigen Tag leider nicht kommen werde. Er leide unter Übelkeit und Erbrechen. Nach entsprechender Aufforderung durch die belangte Behörde wurde vom Beschwerdeführer am 28.04.2021 um 19:44 Uhr per Mail eine ärztliche Bestätigung vorgelegt.

Am 04.05.2021 wurde dem Beschwerdeführer gegen Unterschriftsleistung die Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 Z 6 AsylG vom 28.04.2021 persönlich ausgefolgt.

Am 05.05.2021 langten Übersetzungen bezüglich der vom Beschwerdeführer vorgelegten Schriftstücke bei der belangten Behörde ein. Dabei handelt es sich um eine Einwohnerregistrierung seines Vaters, die Geburtsurkunde seiner Mutter, einen Brief seines Vaters bezüglich einer Anzeige eines näher genannten Onkels, ein Schreiben an die Anti-Terror-Abteilung, dass eine näher genannte Person im 4. Quartal des Jahres 1395 im Zuge des Angriffs des IS im Bezirk K. von „Schahistakhel“ entführt und danach getötet und der Leichnam am XXXX 97 in einem näher genannten Dorf beigesetzt worden sei.

Mit Ladung der belangten Behörde vom 11.05.2021 wurde der Beschwerdeführer zu einer weiteren Einvernahme für den 18.05.2021 geladen. Diese Ladung wurde dem Beschwerdeführer am 12.05.2021 gegen Unterschriftsleistung persönlich ausgefolgt und damit zugestellt (siehe die im Akt der belangten Behörde aufliegende mit der Unterschrift des Beschwerdeführers versehene Übernahmebestätigung vom 12.05.2021, AS 357 des Verwaltungsaktes der belangten Behörde).

Der Beschwerdeführer erschien trotz ordnungsgemäßer und damit rechtswirksamer Ladung unentschuldigt auch zu diesem Einvernahmetermin am 18.05.2021 nicht. Nach vergeblichem Zuwarten auf das Erscheinen des Beschwerdeführers wurde seitens der belangten Behörde telefonisch Kontakt mit dem Beschwerdeführer aufgenommen; im Zuge dieses Gespräches gab der Beschwerdeführer an, dass er sich in Linz befinden würde, er habe einen Termin beim Verein „Neustart". Auf Vorhalt, dass er am heutigen Tag um 12:00 Uhr einen Einvernahmetermin beim BFA habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er keine Briefe durch die Post zugestellt bekommen würde und er somit keine Kenntnis von der Einvernahme vor dem BFA gehabt habe. Auf Vorhalt, dass dies nicht zutreffe, weil dem Beschwerdeführer die Ladung zur Einvernahme am 18.05.20 durch einen Beamten einer näher genannten Polizeiinspektion am 12.05.2021 persönlich gegen Unterschriftsleitung ausgefolgt wurde, gab der Beschwerdeführer abermals an, dass er keine Briefe durch die Post zugestellt bekomme.

Mit dem gegenständlichen mündlich verkündeten Bescheid vom 18.05.2021 – die belangte Behörde ging zu Recht davon aus, dass der rechtswirksam geladene Beschwerdeführer von der Einvernahme am 18.05.2021 Kenntnis hatte und dieser unentschuldigt fernblieb – hob das BFA gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 22 Abs. 10 AsylG 2005 den faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG 2005 auf.

Begründend führte das BFA, welches in der schriftlichen Ausfertigung dieses mündlich verkündeten Bescheides abermals umfassende, dem Beschwerdeführer zuvor zur Kenntnis gebrachte Länderfeststellungen zu Afghanistan traf, zusammengefasst im Wesentlichen aus, dass sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt seit dem rechtskräftigen Abschluss des Vorverfahrens mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.03.2021 nicht entscheidungswesentlich geändert habe. Im Zuge des gegenständlichen Folgeantrages habe sich kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben. Der Beschwerdeführer stütze den gegenständlichen Folgeantrag auf Umstände, die er bereits im ersten Verfahren vorgebracht habe bzw. – soweit diese neu seien wie das Vorbringen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Onkel väterlicherseits im Herkunftsstaat Schwierigkeiten habe, weil dieser dem Beschwerdeführer seine Grundstücke wegnehmen und den Beschwerdeführer töten wolle – auf solche Gründe, die er während des ersten Asylverfahrens schon gekannt, jedoch wissentlich nicht vorgebracht habe; zudem seien diese neu vorgebrachten Gründe mit näherer Begründung nicht glaubhaft.

Am 19.05.2021 wurde der Beschwerdeführer aufgrund eines gültigen Festnahmeauftrages festgenommen. Im Zuge der Festnahme unternahm der Beschwerdeführer einen Fluchtversuch von der PI XXXX in Richtung XXXX . Er wurde in weiterer Folge, nach kurzer Flucht, von den Beamten der PI XXXX im Bereich der XXXX XXXX gestellt.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.05.2021, W207 2213741-2/4E, wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes für rechtmäßig erklärt.

Begründend wurde in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass es sich bei dem im Rahmen der neuerlichen Antragstellung auf internationalen Schutz vom XXXX 2021 und der Einvernahme vor dem BFA am 21.04.2021 getätigten Vorbringen des Beschwerdeführers, seine Fluchtgründe, die er bereits erwähnt habe, seien nach wie vor aufrecht, im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte der Beschwerdeführer, von den Taliban getötet zu werden, außerdem habe er Angst vor Blutrache seitens der Familie des in Österreich getöteten Mordopfers seines Neffen, um Sachverhalte, die bereits Gegenstand der Erörterung und Beurteilung im rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren gewesen seien und die damit nicht geeignet seien, eine zulässige neuerliche Antragstellung begründen zu können.

Bei dem nunmehr neu erstatteten Vorbringen betreffend eine Verfolgung durch den Onkel väterlicherseits wegen Grundstücksstreitigkeiten sowie betreffend einen weiteren Bruder, den der Beschwerdeführer bisher nicht erwähnt habe, den er nicht kenne und dessen Namen er nicht nennen könne, der aber verschollen bzw. von den Taliban entführt worden sei, handle es sich wiederum um (behauptete) Sachverhalte, die – bei hypothetischem Zutreffen – bereits bei bzw. vor rechtskräftigem inhaltlichen Abschluss des Verfahrens über den ersten Antrag auf internationalen Schutz bestanden hätten, die dem Beschwerdeführer – wie er selbst angab – auch bekannt gewesen wären, die aber vom Beschwerdeführer im rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren nicht vorgebracht wurden. Nicht jedoch handelt es sich bei diesem Vorbringen um das Vorbringen von erst nach Abschluss des ersten rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens neu entstandenen Tatsachen, die allenfalls geeignet sein könnten, eine neue Sachentscheidung begründen zu können. Einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung entgegen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen der nunmehr bereits zweiten Antragstellung auf internationalen Schutz sei daher nicht geeignet, eine zulässige neuerliche Sachentscheidung begründen zu können

Abgesehen und unabhängig davon komme dem nunmehr im Folgeverfahren erstatteten neuen Vorbringen – auch unter Berücksichtigung der wenig aussagekräftigen, per Mail vorgelegten Unterlagen, die außerdem Tatsachen belegen sollen, die bereits vor rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens bestanden hätten – kein glaubhafter Kern zu; diesbezüglich wird auf obige beweiswürdigende Ausführungen verwiesen. Außerdem handle es sich bei den vom Beschwerdeführer im nunmehrigen Folgeantragsverfahren vorgelegten Unterlagen um Beweismittel, die, unabhängig von der Frage ihrer Echtheit bzw. inhaltlichen Richtigkeit, bereits während des letzten Asylverfahrens existent gewesen seien, nicht aber erst nach rechtskräftigem Abschluss des letzten Asylverfahrens mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.03.2021 neu entstanden seien.

Die Lage im Herkunftsstaat hat sich seit der rechtskräftigen Entscheidung über den ersten Antrag auf internationalen Schutz nicht entscheidungswesentlich geändert; eine solche Änderung wurde vom Beschwerdeführer auch nicht vorgebracht.

Folglich steht dem zweiten Antrag auf internationalen Schutz die Rechtskraft der über den ersten Antrag absprechenden Entscheidungen entgegen.

Nach einer Grobprüfung des Aktes sei aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat für ihn somit keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK bzw. sei ein Eingriff in allfällig bestehende Rechte nach Art. 8 EMRK gerechtfertigt. Es bestehe für ihn als Zivilperson auch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens und seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

Es werde der Folgeantrag daher voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein. Somit seien die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 gegeben, sodass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes durch den mündlich verkündeten Bescheid des BFA vom 18.05.2021 rechtmäßig sei.

3.       Mit Mandatsbescheid des BFA vom 19.05.2021, Zl. 1177627707/210625035-EAST West, wurde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG über den Beschwerdeführer die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Begründend wurde Folgendes ausgeführt:

„Entsprechend ihres bisherigen Verhaltens begründen folgende Kriterien in Ihrem Fall eine Fluchtgefahr:

Ziffer 1: Am XXXX 2021 wurden Sie beim Versuch ohne gültige Reisedokumente und ohne gültiges Visum in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen, durch Beamte der deutschen Bundespolizei betreten und Sie wurden in weiterer Folge nach Österreich zurückgewiesen.

Ziffer 3: Gegen Sie besteht bereits mit rechtskräftiger Wirkung vom 29.03.2021 eine Rückkehrentscheidung in Ihren Herkunftsstaat Afghanistan.

Ziffer 4: In Ihrem Folge-Asylantragsverfahren in Österreich wurde mittels mündlich verkündeten Bescheides des BFA, EASt-West, vom 18.05.2021, der faktische Abschiebeschutz gem. § 12a Abs. 2 Ziffer 2 AsylG. aufgehoben.

Ziffer 5: Zum Zeitpunkt Ihres zweiten Asylantrages in Österreich am XXXX 2021 befand sich bereits eine gegen Sie im ersten Asylverfahren erlassene und in Rechtskraft erwachsene Rückkehrentscheidung im Rechtsbestand.

Ziffer 8: Ihnen wurde mittels Verfahrensanordnung gem. § 29 Abs. 3 und § 15a AsylG behördlich aufgetragen, sich beginnend ab dem 22.04.2021, alle 2 Tage bei der PI XXXX zu melden. Die Anordnung haben Sie im Zeitraum zwischen dem 22.04.2021 und 19.05.2021 (Tag d. Anordnung der Schubhaft) insgesamt neun Mal missachtet.

Ziffer 9: Sie sind in Österreich nicht integriert. In Österreich leben Ihr Bruder mit seiner Frau sowie Ihr Neffe. Sie verfügen über nicht ausreichende Bargeldmittel und üben keine legale Erwerbstätigkeit aus.

Der VwGH stellte mit Erkenntnis vom 24.10.2019 fest, dass einem Antragsteller, welcher einen ersten Folgeantrag gestellt hat und dem der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG aberkannt worden ist, aufgrund der Verfahrens-RL ein Bleiberecht bis zur Entscheidung des BVwG über den faktischen Abschiebeschutz zukommt, außer er hat den Folgeantrag in Missbrauchsabsicht gestellt (vgl. VwGH Ra 2019/21/0198, RdNr 19).

Im Erkenntnis, Zl.: Ra 2020/21/0094-11, v. 15.02.2021, stellte der VwGH dazu wie folgt weiter ergänzend fest:

(…)

schon im Erkenntnis VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0198, Rn. 18, festgehalten, dass die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes in Bezug auf einen ersten Folgeantrag gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 jedenfalls dann, wenn sie vom Bundesverwaltungsgericht noch nicht im Wege des amtswegigen Überprüfungsverfahrens nach § 22 BFA-VG bestätigt worden ist, nichts daran ändert, dass der Fremde Asylwerber ist und ihm vor dem Hintergrund der Verfahrens-RL (Richtlinie 2013/32/EU) ungeachtet der innerstaatlichen Regelung des § 22 Abs. 2 zweiter Satz BFA-VG grundsätzlich - auch wenn man schon die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 als Entscheidung iS von Art. 40 Abs. 5 der Verfahrens-RL, den wiederholten Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zu betrachten, begreifen wollte - weiterhin ein Bleiberecht zukommt. Das steht einer Schubhaft auf Basis von Art. 15 der Rückführungs- RL (Richtlinie 2008/115/EG) und damit auf Grundlage von § 76 Abs. 2 Z 2 FPG entgegen (siehe auch VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0090, Rn. 17). Im Fall eines ersten Folgeantrags könnte, solange keine gerichtliche Bestätigung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ergangen ist, nur das Vorliegen von Missbrauchsabsicht im Sinn des Art. 41 Abs. 1 lit. a der Verfahrens-RL zu einem anderen Ergebnis führen (vgl. auch dazu VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0198, Rn. 19, und VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0090, Rn. 17).

( )

Bereits aus dem erstinstanzlich geführten Ermittlungsverfahren zu Ihrem Folgeasylantrag geht hervor, dass Sie objektiv keine neuen Fluchtgründe vorgebracht haben, sodass dass BFA Ihren Folgeasylantrag wegen entschiedener Sache als unzulässig zurückweisen wird. Die bereits im mündlich verkündeten Bescheid des BFA vom 18.05.2021, mit welchem in Ihrem Asylfolgeantragsverfahren der faktische Abschiebeschutz nach § 12 AsylG gemäß § 12a Abs. 2 AsylG aufgehoben wurde, beinhaltete Feststellung zu den Gründen für Ihren neuen Antrag auf internationalen Schutz und die daraus auch abgeleitete Argumentation, dass Sie Ihren neuerlichen Asylantrag in missbräuchlicher Verzögerungsabsicht gestellt haben, ist schlüssig.

Die Feststellung Ihrer missbräuchlichen Asylantragsstellung ist zuzüglich dadurch untermauert, dass Sie bereits nur einen Tag nach Ablauf der Ihnen gewährten Frist für eine freiwillige Ausreise einen Folgeasylantrag einbrachten, ohne objektiv neue Asylgründe ins Treffen führen zu können. Durch Ihre Verhaltensweise stellten Sie unter Beweis, die von einem unabhängigen österreichischen Gericht (BVwG) getroffene Entscheidung zu Ihrem Asylbegehren in keiner Weise zu akzeptieren und dass Sie nicht gewillt sind Ihre gesetzliche Ausreiseverpflichtung anzuerkennen. Folgerichtig gilt es festzuhalten, dass Ihre Motivation zur Folgeasylantragsstellung am XXXX 2021, ausschließlich darin lag, die Ihnen ab diesem Zeitpunkt drohende Gefahr der behördlichen Abschiebung in Ihren Herkunftsstaat Afghanistan hintanzuhalten.

Deshalb wird an dieser Stelle festgehalten, dass bereits zum Zeitpunkt der Anordnung der gegenständlichen Schubhaft über Sie Art. 15 der Rückführungsrichtlinie Anwendung findet und somit die Rechtsgrundlage von § 76 Abs. 2 Z 2 FPG zugunsten einer Anordnung der gegenständlichen Schubhaft auch nicht mehr entgegen steht. Auf Basis der Verfahrensrichtlinie kommt Ihnen somit bereits jetzt - und noch bevor die erfolgte Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes vom Bundesverwaltungsgericht im Wege des amtswegigen Überprüfungsverfahrens nach § 22 BFA-VG bestätigt wurde - kein Bleiberecht mehr zu.

Die Sicherung des Verfahrens bzw. der Abschiebung ist erforderlich, da Sie sich aufgrund Ihres oben geschilderten Vorverhaltens als nicht vertrauenswürdig erwiesen haben. Es ist davon auszugehen, dass Sie auch hinkünftig wiederum nicht gewillt sein werden, die Rechtsvorschriften einzuhalten.

Aus Ihrer Wohn- und Familiensituation, aus Ihrer fehlenden sonstigen Verankerung in Österreich sowie aufgrund Ihres bisherigen Verhaltens kann geschlossen werden, dass bezüglich Ihrer Person ein beträchtliches Risiko des Untertauchens vorliegt.

Einem geordneten Fremdenwesen kommt im Hinblick auf die öffentliche Ordnung und dem wirtschaftlichen Wohl des Staates ein hoher Stellenwert zu. Es besteht die Verpflichtung Österreichs, seinen europarechtlichen Vorgaben, als auch den Pflichten gegenüber seinen Staatsbürgern und anderen legal aufhältigen Personen nachzukommen.

Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft und ihrer Notwendigkeit ergibt daher in Ihrem Fall, dass Ihr privates Interesse an der Schonung Ihrer persönlichen Freiheit dem Interesse des Staates am reibungslosen Funktionieren der öffentlichen Verwaltung hintanzustehen hat.

Sie verfügen zwar nicht über hinreichende Barmittel sich Ihren Unterhalt aus Eigenem zu finanzieren, haben sich aber bisweilen als höchst mobil erwiesen, wie der Vorfall vom XXXX 2021 eindeutig aufzeigt. Deshalb besteht seitens der Behörde auch das begründete Risiko, dass Sie sich letztlich wiederum in der Anonymität absetzen könnten, um Ihrer Abschiebung zu entgehen. Außerdem besteht seitens der Behörde der begründete Verdacht, dass Sie neuerlich versuchen werden, sich in einen anderen Mitgliedsstaat der EU absetzen zu wollen, um Ihrer Abschiebung in Ihren Herkunftsstaat zu entgehen.

In Ihrem konkreten Fall muss daher, nicht zuletzt auch aufgrund der Tatsache, dass sich Ihre vermeintliche Hoffnung auf eine Legalisierung Ihres Aufenthaltes im Rahmen eines weiteren von Ihnen angestrebten Asylverfahrens in Österreich durch die nun erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht erfüllt hat, höchste Fluchtgefahr angenommen werden. Aufgrund des fortgeschrittenen Verfahrensstandes besteht in Ihrem konkreten Fall zudem ein erheblich gesteigerter Sicherungsbedarf. Mit der Effektuierung Ihrer Ausreise ist zeitnah zu rechnen, jedenfalls aber innerhalb der gesetzlich zulässigen Schubhaftdauer.

Zudem laufen Sie mit der Ihnen drohenden Abschiebung in Ihren Herkunftsstaat Gefahr die von Ihnen erbrachten finanziellen Aufwendungen für Ihre Schleusung nach Europa in als ertraglos abschreiben zu müssen. Dieser Aspekt verstärkt die ohnehin bereits massive Fluchtgefahr weiter.

Aufgrund der Gesamtheit des geschilderten Sachverhaltes besteht - ohne Sicherungsmaßnahme nach den Bestimmungen des FPG - die unmittelbare und eminente Gefahr, dass Sie sich dem weiteren Zugriff der Behörde entziehen werden um eine Außerlandesbringung von Österreich nach Afghanistan dauerhaft zu vereiteln bzw. um diese Maßnahmen zumindest weiterhin temporär weiterhin wesentlich zu verzögern.

Dabei wurde auch berücksichtigt, dass die Schubhaft eine ultima - ratio - Maßnahme darstellt. Es ist daher zu prüfen, ob die Anordnung gelinderer Mittel gleichermaßen zur Zweckerreichung dienlich wäre. In Betracht käme dabei das gelindere Mittel gem. § 77 FPG mit den dafür vorgesehenen Aufenthalts- und Meldepflichten bzw. der Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit. Dabei kommt die finanzielle Sicherheitsleistung aufgrund Ihrer finanziellen Situation schon von vornherein nicht in Betracht.

Doch auch was die Unterkunftsnahme in bestimmten Räumlichkeiten und die periodische Meldeverpflichtung betrifft, kann in Ihrem Fall damit nicht das Auslangen gefunden werden.

Selbst bei der Anordnung eines Gelinderen Mittels unter Anwendung von verschärften Auflagen, z.B.: die behördliche Anordnung zur Unterkunftsaufnahme in einem von der Behörde bestimmten Wohnobjekt unter gleich gehender Anordnung einer periodisch kurz gehaltenen Meldeverpflichtung bei der nächstgelegenen Sicherheitsdienststelle, wäre der von Ihnen bereits (durch Ihr gesetztes Verhalten der stetigen Missachtung der Meldeverpflichtung in Österreich sowie Ihrer irregulären versuchten Sekundärmigration nach Deutschland) unter Beweis gestellten äußerst hohen räumlichen Mobilität und Selbstorganisation kein effektiver Einhalt geboten und demzufolge könne somit das von der Behörde zu verfolgende Ziel, nämlich die Sicherung der Abschiebung - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - auch nicht adäquat erreicht werden. Die Möglichkeit einer im Rahmen des Gelinderen Mittels allfällig darüber hinausgehenden zusätzlich anwendbaren Auflage, nämlich eine finanzielle Sicherheit bei der Behörde in einer dem individuell in diesem Fall vorliegenden Sachverhalt angemessenen Höhe zu hinterlegen, scheidet in Ihrem Fall, und zwar in Anbetracht Ihrer finanziellen Situation ohnehin aus.

Im Hinblick auf die bisher bereits von Ihnen gezeigte Motivation, sich nicht an die gesetzlichen Bestimmungen und Verordnungen in Österreich bzw. der europäischen Union zu halten, eine größtmögliche räumliche Mobilität verschaffen möchten, um damit gleich gehend die Gefahr einer behördlichen Abschiebung zu minimieren, ist jegliches Vertrauen in Sie derart erschüttert, welches jedoch für die allfällige Anordnung eines Gelinderen Mittels (anstelle der Schubhaft) zur Sicherung Ihrer Abschiebung von Österreich nach Afghanistan elementar dazu notwendig wäre.

Demzufolge ist auch die von der bescheiderlassenden Behörde mit der gegenständlichen Anordnung einer Schubhaft getroffene Prognose, nämlich dass Sie - mit wiederum an Sicherheit angrenzender Wahrscheinlichkeit - einem Abtauchen in der Anonymität in Österreich und/oder allfällig einem neuerlichen Versuch einer irregulären Reisebewegung von Österreich in einen weiteren Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorzug geben werden, gegenüber einem den Behörden bekannten Aufenthalt in Österreich bis zu einer behördlichen Abschiebung von Österreich nach Afghanistan, zulässig.

Wie oben ausführlich dargelegt, besteht in Ihrem Fall aufgrund Ihrer persönlichen Lebenssituation sowie aufgrund Ihres bisherigen Verhaltens ein beträchtliches Risiko des Untertauchens. Damit wäre jedoch der Zweck der Schubhaft, nämlich die Sicherung des Verfahrens bzw. der Abschiebung, vereitelt. Es liegt somit eine ultima - ratio - Situation vor, die die Anordnung der Schubhaftverhängung unabdingbar erfordert und eine Verfahrensführung, während derer Sie sich in Freiheit befinden, ausschließt.

Es ist weiters aufgrund Ihres Gesundheitszustandes davon auszugehen, dass auch die subjektiven Haftbedingungen, wie Ihre Haftfähigkeit, gegeben sind. Es sind keine Hinweise aktenkundig, dass Sie an einer Krankheit leiden, welche Ihrer Haftfähigkeit entgegenstehen würde. Die medizinische Prüfung Ihrer tatsächlichen Haftfähigkeit obliegt dem zuständigen Polizeiarzt im Polizeianhaltezentrum.

Die Behörde gelangt daher zum Ergebnis, dass sowohl die gesetzlichen Formalerfordernisse vorliegen als auch, dass die Schubhaft zum Zweck der Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis steht und im Interesse des öffentlichen Wohls dringend erforderlich und geboten ist.

In diesem Einzelfall ist eine Sicherung Ihrer Abschiebung durch die Anordnung eines Gelinderen Mittels nicht ausreichend, da mit dieser Maßnahme, dass der Sicherung zugrundeliegende finale Ziel - nämlich die behördliche Abschiebung von Österreich nach Afghanistan - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erreicht werden kann. Um die im Interesse des Staates gebotenen Ziele zu gewährleisten, war der Eingriff in Ihr Recht auf den Schutz der persönlichen Freiheit notwendig und demzufolge war von der Alternative der Anordnung eines Gelinderen Mittels Abstand zu nehmen und eine konkrete und akute Sicherungsnotwendigkeit - welcher in der gegenständlich vorliegenden Sachverhaltskonstellation ausschließlich durch die Anordnung einer Schubhaft Folge getragen werden kann - zu bejahen.“

Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 19.05.2021 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

Der Mandatsbescheid und die Verfahrensanordnung wurden dem Beschwerdeführer persönlich in der Schubhaft am selben Tag ausgefolgt.

4.       Gegen den Mandatsbescheid des BFA vom 19.05.2021

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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