Entscheidungsdatum
14.06.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W195 2140671-2-2/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX StA. Bangladesch, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.04.2021, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.06.2021 zu Recht erkannt:
A)
1. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
2. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Vorangegangenes, rechtskräftig erledigtes Verfahren:
I.1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bangladesch und stellte am 06.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.1.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit Bescheid vom 03.11.2016 den Antrag (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
I.1.3.Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 23.07.2020, XXXX im Wesentlichen, d.h. mit gleichzeitiger Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise auf vier Wochen, ab.
In dieser Entscheidung stellte das BVwG fest:
„1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen in Bangladesch
Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bangladesch, gehört der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht nicht fest. (NS EB 06.02.2016 S 1, NS EV 29.09.2016, S 4)
Er stammt aus XXXX ) besuchte in Bangladesch bis zur vierten Klasse die Schule. Er hat in Bangladesch in der Landwirtschaft gearbeitet und ein kleines Geschäft gehabt, in dem er Kleider verkaufte und seine Ehefrau Sachen genäht hat. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und Vater von zwei minderjährigen Kindern. Die Ehefrau und die Kinder leben aktuell in einer Mietwohnung im Ort XXXX in Bangladesch, im Ort der Schwiegereltern. Die Schwiegereltern sind bereits verstorben. Die Ehefrau verdient ihren Unterhalt durch Näharbeiten. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Ehefrau und seinen Kindern alle 15 Tage oder einmal im Monat in telefonischen Kontakt (NS EB 06.02.2016 S 1, 2; NS EV 29.09.2016, S 5; VS 14.07.2020, S 6)
Der Beschwerdeführer verließ Bangladesch ungefähr Ende 2014 legal mit dem Flugzeug in den XXXX , wo er sich ungefähr ein Jahr lang aufhielt, ehe er über weitere Länder nach Österreich weiterreiste. (NS EB 06.02.2016, S 4; NS EV 29.09.2016, S 3)
1.2 Zu den Lebensverhältnissen in Österreich
Im Februar 2016 reiste der Beschwerdeführer nach Österreich ein, wo er sich gestützt auf das vorläufige Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz seit nunmehr rund vier Jahren und sechs Monaten ununterbrochen aufhält. Er bezieht seit Oktober 2017 keine Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde. Seinen Lebensunterhalt hat er seither zwischenzeitlich durch Zeitungszustellungen sowie Zuwendungen eines Cousins und von Freunden bestritten. Er ist arbeitswillig und hat am 10.07.2020 mit Wirksamkeit 01.08.2020 ein Gewerbe angemeldet. Der Beschwerdeführer hat in Österreich Freunde aus Bangladesch. Er ist Mitglied in einem Verein. Er lebt in Österreich in keiner partnerschaftlichen oder familienähnlichen Beziehung. Er spricht kein Deutsch. Er ist strafrechtlich unbescholten. (IZR, GVS, VS 14.07.2020, S 4, 5, 6; VS 14.07.2020, Beilage Schreiben XXXX , Honorarnoten, Schreiben Gewerbebehörde, Strafregister der Republik Österreich)
1.3 Zum Gesundheitszustand
Der Beschwerdeführer ist gesund (VS 14.07.2020, S 4)
1.4 Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung seines Antrages auf internationalen Schutz - zusammengefasst - vor:
Im Verfahren vor dem BFA führte der Beschwerdeführer aus, er habe in seinem Land politische Probleme bekommen und sei mit einem 3-Monatsvisum in den Irak gekommen. Er habe dort 11 Monate für eine Firma gearbeitet, habe jedoch kein Geld dafür erhalten, sei dort nur geschlagen und in einem Lager festgehalten worden. Einmal sei ihm die Flucht gelungen und er sei dann aus dem Irak in die Türkei weitergereist ehe er dann mit einem Schlepper nach Österreich gekommen sei (NS EV 29.09.2016, S 3, 4). Er sei in seiner Heimat bei der Partei B.N.P. Sekretär gewesen, in seiner „Union“ (Eine Union besteht aus mehreren Dörfern). Wenn es irgendwelche Veranstaltungen oder Treffen gegeben habe, habe er dies organisieren müssen. Der Bürgermeister habe ihm gesagt, wann er wo mitorganisieren und seine Leute mitbringen solle. Seine Tätigkeit sei gewesen, die Leute von den Dörfern zu den Treffen zu bringen oder zu motivieren. Bei diesen Treffen habe es oft Vorträge von Leuten höherer Position gegeben. Er selbst sei nur Sekretär gewesen und habe keine Führungsposition gehabt, er sei seit 2008 Parteimitglied. Er habe seine Heimat verlassen, da gleich neben seinem Haus der Bürgermeister wohne und er habe den Bürgermeister oft auf dem Hintersitz seines Motorrades zu Veranstaltungen und Treffen mitgenommen. Er habe eine gute Beziehung zum Bürgermeister gehabt. Er habe auch oft Leute zu den Veranstaltungen, Treffen und Demonstrationen mitgenommen. Dann sei von Leuten der Awami League versucht worden, ihn zu verletzen und umzubringen. Einmal sei er nachts sehr stark geschlagen und mit einem Messer an seinem linken Oberarm verletzt worden. Er sei geflüchtet. Eine Anzeige zu erstatten habe keinen Sinn, weil die Polizei unter deren Fittiche stehe. Er sei von jenen ein paar Mal geschlagen worden, sie hätten Geld von ihm gewollt. Und sie hätten ihn über die Polizei unter Druck gesetzt. Die Polizei sei oft nach Hause gekommen und habe ihn mitnehmen wollen. Er sei aber nicht zu Hause gewesen. Wegen des Stresses sei seine Familie dann zum Haus seiner Schwiegereltern gezogen. Dann habe er den Entschluss gefasst, ins Ausland zu gehen. Er sei dann in den Irak gekommen. Der Bürgermeister sei auch auf der Flucht. Der Bürgermeister sei 10 Jahre Bürgermeister gewesen und in diesen 10 Jahren sei nichts passiert, nur kurz vor der Ausreise des Beschwerdeführers seien jene Vorkommnisse gewesen. Die Probleme des Beschwerdeführers hätten nach der zweiten (Amts-)Periode des Bürgermeisters begonnen, das sei im Jahr 2014 gewesen (NS EV 29.09.2016, S 6, 7, 8, 9).
In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht führte der Beschwerdeführer zur Begründung seines Antrages – zusammengefasst – aus, er sei bei der BNP gewesen und habe weiterhin Versammlungen und Treffen veranstaltet, Er habe den Burschen erklärt, was im Land Schlechtes passiere. Die gegnerische Partei sei deshalb wütend geworden und habe ihn bedroht. Er sei sogar mit einem Messer angegriffen und verletzt worden. Es habe auch eine Anzeige gegen ihn gegeben. Einmal seien sie auch nach Hause gekommen und all seine Sachen seien beschädigt worden. Er sei dann einmal hier und einmal dort aufhältig gewesen. Seine Familie sei in das Haus seiner Schwiegereltern gezogen, er sei später auch dort hingegangen und als es dann dort auch Schwierigkeiten gegeben habe, sei er ausgereist. Als er in Bangladesch gewesen sei, sei auch zwei oder drei Mal die Polizei nach Hause gekommen. Vor kurzem, vor ungefähr zwei Monaten habe er erfahren, dass es einen Haftbefehlt gegen ihn gebe.
Dazu in der Verhandlung näher befragt, brachte er dann vor, er sei stellvertretender Sekretär in der Krishak Dal (Bauernpartei der BNP) gewesen. Er war auf Gemeindeebene zuständig, hauptsächlich für den „ XXXX “ (phonetisch). Wann er der BNP beigetreten sei, wisse er nicht. Seit 2008 sei er ganz für die Partei tätig gewesen, vorher habe er sich langsam angepirscht. Die Probleme hätten begonnen, nachdem die BNP verloren habe, das sei 2007 oder 2008 gewesen. Nachdem die Partei verloren habe, sei er nach einigen Tagen immer bedroht worden. Er sei das erste Mal 2010 oder 2011 geschlagen worden. Die Mitglieder der Awami League seien auch öfters zu ihm nach Hause gekommen, das erste Mal, nachdem die Partei (BNP) verloren habe, so etwa nach drei, vier, eins Monaten. Er sei später auch geschlagen worden und mit dem Messer verletzt worden und sei auch ins Spital gekommen. Nachdem er geschlagen worden sei, sei er zur Polizeistation gegangen, um eine Anzeige aufzugeben, die man aber nicht aufgenommen habe. Er sei nach dem ersten Mal 10 Tage im Spital gewesen. Er sei mit der Metallstange am Rücken und mit dem Messer am linken Oberarm verletzt worden. Er sei nur das eine Mal im Spital gewesen. Jener Vorfall mit dem Messer und der Stange sei 2010 oder 2011 gewesen. (VS 14.07.2020, 8 ff)
1.5 Zur Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens und Gefährdung bei einer Rückkehr nach Bangladesch
Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er wegen seiner politischen Tätigkeit für die oppositionelle BNP in Bangladesch verfolgt worden sei, ist nicht glaubhaft. Er hat damit nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr in seine Heimat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Pakistan einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung von erheblicher Intensität ausgesetzt wäre.“
I.1.4. Der Verfassungsgerichtshof wies mit Beschluss vom 05.10.2020, XXXX , den Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes wegen offenbarer Aussichtslosigkeit ab.
I.2. Gegenständliches Verfahren
I.2.1. Am 16.02.2021, somit knapp ein halbes Jahr nach der rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes und ca. drei Monate nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, brachte der BF einen „Asyl-Folgeantrag“ ein und begründete diesen damit, dass seine „alten Fluchtgründe“ aufrecht blieben und er einen neuen Fluchtgrund habe, nämlich eine angebliche neuerliche Polizeianzeige gegen ihn, von der er gehört habe. Die entsprechenden Unterlagen würde er vorlegen.
I.2.2. Im Zuge der Einvernahme vor dem BFA am 10.03.2021 gab der BF an, dass er keinen Deutschkurs besucht habe. Er verstehe nur wenig Deutsch, verkaufe Zeitungen. Sein Anwalt in Bangladesch habe dem BF eine Übersetzung (auf Englisch) hinsichtlich der neuen Anzeige geschickt.
Seine Familie, die Ehefrau sowie seine Kinder, leben bei den Schwiegereltern in Bangladesch; ebenso wohnen die engsten Verwandten (Eltern, Geschwister etc.) in Bangladesch, ein Bruder in Saudi-Arabien. Es besteht regelmäßiger Kontakt zur Familie. Seiner Familie gehe es in Bangladesch schlecht, seine Frau sei Näherin, der Bruder würde die Eltern unterstützen.
Seit dem letzten Verfahren habe sich nichts an seinen Verhältnissen in Österreich geändert.
Seine bisherigen Fluchtgründe würden aufrecht bleiben.
Zu seinem neuen Fluchtgrund bemerkte der BF, dass „Leute der Awami League“, die in Österreich seien, die eine neuerliche Anzeige in Bangladesch veranlasst hätten; er könne jedoch keine Namen nennen, weil er nicht wisse, wer dies weitergegeben habe.
Der BF wisse lediglich, dass er 2020 angezeigt wurde, weil er Autos in Brand gesetzt und an Demonstrationen teilgenommen haben soll. Er habe die Anzeige nicht gelesen, weil er nicht lesen könne.
Hinsichtlich des Widerspruches, dass er nicht erst vor einem Monat, sondern vor drei, vier Monaten von der Anzeige erfahren habe, antwortete der BF nichts.
Abschließend zur Einvernahme teilte der BF mit, dass sein Geburtsdatum nicht richtig sei. Er sei XXXX geboren, mehr wisse er darüber nicht.
I.2.3. In einer Eingabe des BF wurde eine Kopie der behaupteten Anzeige sowie eine englischsprachige Übersetzung vorgelegt. Diese Dokumente befinden sich im Administrativakt, Seite 79 – 101. Diesen Schriftstücken zufolge habe „ XXXX (27)“ am 01.08.2020 an einer regierungsfeindlichen Demonstration mit unerlaubten Waffen teilgenommen. Ein Haftbefehl vom 05.11.2020 liege ebenfalls vor. Weiters wurde eine „Bestätigung“ der BNP vom 04.02.2021 hinsichtlich Parteiaktivitäten des „ XXXX (27)“ vorgelegt.
I.2.4. Mit einer weiteren Eingabe des rechtsanwaltlich vertretenen BF gab dieser eine Stellungnahme zu den Länderberichten ab.
I.2.5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Zugleich wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel besonderer Schutz wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung getroffen. Festgestellt wurde, dass die Abschiebung des BF zulässig sei, eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht bestimmt.
Begründend wurde – zusammengefasst – festgehalten, dass sich seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung hinsichtlich internationalen Schutz, subsidiären Schutz und Rückkehrentscheidung keine wesentliche Änderung des Sachverhaltes ergeben hätte.
Die neu vorgebrachte Anzeige habe keinen glaubhaften Kern enthalten. Unbekannte Personen der Awami League hätten den BF angezeigt hinsichtlich von Straftaten, welche er nicht begangen haben könne in Folge Abwesenheit. Der BF habe auch keine Originale, sondern lediglich englischsprachige Übersetzungen vorgelegt. Da auch im Erstverfahren rechtskräftig festgestellt worden sei, dass das Fluchtvorbringen keinerlei Glaubwürdigkeit enthielt ist nunmehr keine Glaubwürdigkeit hinsichtlich der vorliegenden Behauptungen anzunehmen, da diese keinen nachvollziehbaren Inhalt hätten.
Da keinerlei Fluchtgründe vorliegen würden sei nicht anzunehmen, dass dem BF im Falle seiner Rückkehr nach Bangladesch irgendwelche Verfolgungshandlungen drohen würden.
1.2.6. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, fristgerechte Beschwerde des rechtsanwaltlich vertretenen BF.
In dieser Beschwerde wird ausgeführt, dass die „Identität der Sache“, welche Grundlage der Anwendung des § 68 AVG wäre, nicht vorliege, weil ein maßgeblich anderer Sachverhalt gegeben wäre. Der BF habe eine neue Anzeige vorgelegt, welche nicht Vor Ort überprüft worden sei. Das BFA habe – zu Unrecht – angenommen, dass die vorgelegten Urkunden keinerlei Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes bewirken würden.
Darüber hinaus habe das BFA es unterlassen umfassende Abwägungen zum Privatleben des BF vorzunehmen. Weder sei die verfestigte zwischenmenschliche Beziehung des BF zu Freunden in Österreich noch die soziale Entfremdung zu seinem Heimatland thematisiert worden.
Da die belangte Behörde es auch unterlassen habe, die konkreten Gefahren des BF, welche ihm im Heimatland drohen würden, zu ermitteln, habe sie den Bescheid ebenfalls mit Rechtswidrigkeit belastet.
Um weiteres Unheil abzuwenden wurde auch der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt.
I.2.7. Mit Schreiben vom 05.05.2021 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
I.2.8. Mit der Ladung zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem BF das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch (Stand November 2020) zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 08.06.2021 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.
I.2.9. Am 08.06.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Vertreters des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.
Im Zuge dieser Verhandlung wiederholte der BF – zusammengefasst – die bereits aus dem Vorverfahren wesentlichen Punkte seiner derzeitigen Lebenssituation.
Der BF habe eine Ehefrau und zwei Kinder in Bangladesch, welche im Dorf der Schwiegereltern wohnen, ca 200 – 250, 300 Kilometer von seinem Heimatdorf entfernt. Seine Ehefrau sei Näherin, der Familie ginge es finanziell nicht so gut. Er habe 2004 geheiratet, seine Kinder seien mittlerweile ca. 13 bzw. 8 Jahre alt. Wenn es zulässig wäre würde er die Familie nach Österreich bringen wollen.
Zu seinen persönlichen Daten befragt gab der BF an, er sei nicht am XXXX , sondern im Jahr XXXX geboren worden. Man habe dies nicht berichtigt, als er es (wiederholt) vorbrachte.
Er habe lediglich wenig Schulbildung und sei nahezu Analphabet. Er habe früher – über einige Jahre - im Kleidungshandel gearbeitet, dann im Curry-Handel. Danach sei er in der Politik involviert gewesen.
„2015“ (tatsächlich 2016) sei er nach Österreich gekommen, es wären „noch keine fünf Jahre“. Er habe keinen Deutschkurs besucht, weil er sich „Deutsch nicht merken“ könne. Eine Vorstellung, wie er in einem Land leben könne, ohne die Sprache zu beherrschen, habe er nicht. Tatsächlich war mit dem BF keine Unterhaltung auf Deutsch möglich, nicht einmal die einfachsten Alltagsworte (wie zB „Essen“, „Arbeiten“, „Sport“) waren dem BF geläufig.
In Österreich habe der BF keine Beziehung und auch keine Kinder oder Verwandten. Seinen Freundeskreis bezeichnet der BF mit Personen, die alle „aus unserem Bangladesch“ kommen. Ehrenamtliche Tätigkeiten entfaltete der BF keine, er lebt von der „Zeitungsarbeit“ und verdient damit 300 – 400 Euro. An Miete müsse er 150 Euro zahlen, Geld würde ihm nicht übrigbleiben. Wenn er mehr Geld zum Leben benötige, würde er sich etwas von den Freunden leihen. Ein Vermögen in Bangladesch habe er nicht. Bis auf Hüftschmerzen sei er gesund.
Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, dass zusätzlich zu den bisherigen politischen Gründen noch eine Anzeige dazugekommen sei. Diese stamme vom 01.08.2020 und er habe sie aus der Heimat erhalten. Die Beschaffung der Dokumente habe 2.000 Taka gekostet.
In den Dokumenten, welche der BF im Original vorlegte (die Kopien befanden sich bereits im Administrativakt, S 79 – 101), werde der BF beschuldigt, er hätte Fahrzeuge beschädigt, Brandstiftung gemacht, Feuer gelegt, Menschen geschlagen, Bomben gezündet und geworfen.
Die Anzeige müsse falsch sein, führte der BF aus, weil der BF zum angegebenen Zeitpunkt in Österreich gewesen sei. Er habe sich nicht gegen die Anzeige gewehrt, weil er dies von Österreich aus nicht könne. Er habe keinen Anwalt zu seiner Verteidigung beauftragt, das System in Bangladesch sei ganz unterschiedlich zu dem in Österreich.
In den Dokumenten (Anzeige, Haftbefehl, alle datiert aus dem Jahr 2020) wird eine Person namens „ XXXX (27)“ genannt. In der „Bestätigung“ XXXX (einem Zweig der BNP) hinsichtlich Parteimitgliedschaft (datiert aus dem Jahr 2021) wird ebenfalls „ XXXX (27)“ als Person angeführt (AS 101).
Der BF sieht sich als gesetzestreuer Mensch. Nachgefragt, wieso er das Erkenntnis des BVwG vom 23.07.2020, mit dem der erste Asylantrag abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung getroffen wurde, sowie in weiterer Folge auch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 05.10.2020 nicht respektiere, konnte der BF keine befriedigende Antwort geben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:
Die diesbezüglichen Feststellungen aus dem Erkenntnis des BVwG vom 23.07.2020 sind Grundlage auch der vorliegenden Entscheidung, so ferne nicht in Folge aktualisiert.
Festgestellt wird, dass der BF, welcher im ersten Asylantrag sein Geburtsdatum mit XXXX angab, nunmehr als Geburtsjahr „ XXXX “ angibt.
Demnach stammt der BF aus XXXX Er besuchte bis zur vierten Klasse die Schule. Er hat in Bangladesch in der Landwirtschaft (nebenbei) gearbeitet und einen Kleiderhandel bzw. Handel mit Curry über mehrere Jahre betrieben.
Der BF ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Familie lebt im Dorf der Schwiegereltern, mehrere hundert Kilometer von seinem Heimatdorf entfernt. Seiner Familie geht es finanziell nicht gut, die Ehefrau ist Näherin. Der BF hat regelmäßigen Kontakt zur Familie und würde diese nach Möglichkeit nach Österreich bringen wollen.
Der BF hat Hüftschmerzen, aber keine lebensbedrohliche Krankheit.
Der BF, der 2016 illegal in das Bundesgebiet einreiste, hat bisher keinen Deutschkurs absolviert. Der BF kann nur sehr bruchstückhaft Deutsch, er könne sich die Sprache nicht merken. Eine Unterhaltung in deutscher Sprache ist nicht möglich.
Der BF ist Zeitungszusteller und verdient zwischen 300 und 400 Euro monatlich; Der BF zahlt 150 Euro monatlich an Miete. Wenn er zusätzlich Geld benötigt leiht er es sich bei seinen Freunden, welche alle „aus unserem Bangladesch“ stammen. Der BF hat kein Vermögen. Der BF ist nicht ehrenamtlich engagiert und bemüht sich nicht um Integration.
II.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:
Festgestellt wird, dass der erste Asylantrag des BF rechtskräftig mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.07.2020 abgewiesen wurde.
Festgestellt wird, dass der VfGH mit Entscheidung vom 05.10.2020 die Gewährung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde gegen das Erkenntnis des BVwG wegen Aussichtslosigkeit abwies.
Festgestellt wird, dass der BF hinsichtlich seines früheren Fluchtvorbringens präkludiert ist.
Festgestellt wird, dass die vom BF nunmehr vorgelegten Dokumente betreffend einen Vorfall (Anzeige, Haftantrag) vom 01.08.2020 Fälschungen sind. In diesem Zusammenhang wird festgestellt, dass der – nach seinen Angaben „ XXXX “ geborene – BF als „ XXXX (27)“ bezeichnet wird.
Festgestellt wird, dass der BF angab, für die Beschaffung der Dokumente 2.000 Taka bezahlt zu haben.
Festgestellt wird, dass die angebliche Bestätigung über die Parteizugehörigkeit aus dem Jahr 2021 den BF als „ XXXX (27)“ bezeichnet.
Festgestellt wird, dass die behauptete Anzeige vom 01.08.2020 gegen den BF eine inhaltlich falsche Anzeige ist, weil sich der BF zum angegebenen Zeitpunkt im Bundesgebiet aufhielt. Festgestellt wird, dass der BF sich nicht gegen die Anzeige, etwa mittels Anwalt, gewehrt hat und damit bewusst die Chance vertan hat, diese behauptete Anzeige zu falsifizieren.
Es wird somit festgestellt, dass eine konkrete Verfolgung des BF in Bangladesch tatsächlich nicht besteht.
Es wird nicht festgestellt, dass der BF in Bangladesch angezeigt wurde und es wird nicht festgestellt, dass der BF in Bangladesch von Behörden gesucht würde.
Es wird nicht festgestellt, dass der BF Mitglied einer politischen Partei war.
Es wird festgestellt, dass sich der BF im Falle einer Rückkehr allfälligen Behelligungen durch eine Niederlassung in anderen Landesteilen entziehen wird können. Eine Verfolgung des BF nach Rückkehr ins Heimatland wird ausgeschlossen.
II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:
COVID-19:
Letzte Änderung: 11.11.2020
Die COVID-Krise trifft Bangladesch sehr hart, nachdem am 8.3.2020 die ersten Fälle nachgewiesen wurden. Die Regierung verhängte ab dem 22.3.2020 einen umfassenden Lockdown, der jedoch de facto immer brüchig war und einmal mehr und einmal weniger eingehalten wurde. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weiter Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020). Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association etwa 36 Mio. Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Mio. rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).
Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Durch die Coronakrise gerät das seit Jahrzehnten unterfinanzierte staatliche Gesundheitswesen in Bangladesch enorm unter Druck und die Versorgung von Covid-19-Patienten stößt an ihre Grenzen (GTAI 21.9.2020b). So sind landesweit nur etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar (GTAI 21.9.2020; vgl. WKO 4.2020). Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020).
Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens dar. Auf Grund der beengten Arbeits- und Lebensverhältnissen in den Gastländern sind diese Arbeiter besonders von Ansteckungen mit dem Virus betroffen. Darum, aber auch wegen des mit COVID verbundenen weltweiten Wirtschaftsabschwungs, schicken vor allem die Staaten des Nahen Osten tausende Arbeiter wieder zurück nach Bangladesch. Viele bringen so das Virus auf ihrem Heimweg mit ins Land. Da viele Migranten aus Bangladesch im Nahen Osten im Zuge der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben und ausgewiesen wurden, ist in den kommenden Jahren mit einem vermehrten Aufkommen von AsylwerberInnen aus Bangladesch in (West-)Europa zu rechnen (ÖB 9.2020).
Quellen:
? GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020a): Covid-19: Maßnahmen der Regierung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/covid-19-massnahmen-der-regierung-260866, Zugriff 5.11.2020
? GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020b): Covid-19: Gesundheitswesen in Bangladesch: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/bangladeschs-wirtschaft-behauptet-sich-trotz-coronakrise-260868, Zugriff 5.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
? WKO – Wirtschaftskammer Österreich (25.4.2020): Coronavirus: Situation in Bangladesch, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-bangladesch.html, Zugriff 8.5.2020
Politische Lage:
Letzte Änderung: 16.11.2020
Bangladesch ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 4.11.2020; vgl. GIZ 5.2020, AA 6.11.2020).
Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 492 Polizeidistrikte (Thana/Upazila), mehr als 4.500 Gemeindeverbände (Unions) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 9.2020). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 9.2020). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).
Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 9.2020) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 9.2020).
Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, in dem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB 9.2020).
Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen überragenden Sieg (ÖB 9.2020) mit 96 Prozent der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. DT 27.1.2019, DW 14.2.2019).
Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und einem harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 31.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet. Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden rund 20 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet und Tausende verletzt (ÖB 9.2020; vgl. Reuters 1.1.2019). Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen (ÖB 9.2020).
Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).
Da die Politik in Bangladesch generell extrem korrupt ist, sind die Grenzen zwischen begründeter Strafverfolgung und politisch motivierter Verfolgung fließend. Sicherheitskräfte sind in jüngster Vergangenheit sowohl bei Demonstrationen von Anhängern der beiden Großparteien, als auch bei islamistischen oder gewerkschaftlichen Protesten mit Brutalität vorgegangen. Im Zuge des Wahlkampfes Ende 2018 wurden gegen Anhänger und KandidatInnen der oppositionellen BNP durch die Sicherheitsbehörden falsche Anzeigen verfasst (ÖB 9.2020).
Im Vorfeld der elften Parlamentswahl in Bangladesch wurden nach Angaben der Opposition seit Anfang November 2018 bis zu 21.000 ihrer Mitglieder und Aktivisten verhaftet. Mehrere Menschenrechtsgruppen haben seit Anfang 2018 einen dramatischen Anstieg von fingierten Klagen gegen Gegner der Regierungspartei festgestellt. Unter den Verhafteten befinden sich prominente Führer des Oppositionsbündnisses, wie Mainul Hosain wegen krimineller Diffamierung und Dr. Zaffrullah Chowdhury wegen Verrats, Erpressung und Fischdiebstahls (FIDH 9.1.2019). Die BNP-Vorsitzende, Khaleda Zia, war von März 2018 bis März 2020 aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Gefängnis (AA 21.6.2020; vgl. NAU 25.3.2020). Seit Zia auf freiem Fuß ist, sind praktisch keine Aktivitäten der BNP mehr wahrnehmbar (ÖB 9.2020).
Nachdem die oppositionelle BNP nunmehr nicht existent ist und im politischen Prozess kaum bis gar keine Rolle mehr spielt, ist eine Verfolgung, bzw. Unterdrückung ihrer AnhängerInnen aus Sicht der Regierung offenbar nicht mehr nötig. Anzumerken ist, dass seit März 2020 das politische Geschehen vollständig von der COVID-Krise überlagert wird. Von einer staatlichen Überwachung der politischen Opposition ist auszugehen (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (6.11.2020): Bangladesch – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/-/206322, Zugriff 10.11.2020
? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? BBC – British Broadcasting Corporation (31.12.2018): Bangladesh election: PM Sheikh Hasina wins landslide in disputed vote, https://www.bbc.com/news/world-asia-46718393, Zugriff 11.11.2020
? BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029402/country_report_2020_BGD.pdf, Zugriff 10.11.2020
? CIA – Central Intelligence Agency (4.11.2020): The World Factbook – Bangladesh, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/bg.html, Zugriff 10.11.2020
? DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 10.11.2020
? DW – Deutsche Welle (14.2.2019): Bangladesh PM Sheikh Hasina hints at last term as prime minister, https://www.dw.com/en/bangladesh-pm-sheikh-hasina-hints-at-last-term-as-prime-minister/a-47513555, Zugriff 10.11.2020
? DGVN – Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (2016): EWP – Eine Welt Presse . Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, https://nachhaltig-entwickeln.dgvn.de/fileadmin/publications/PDFs/Eine_Welt_Presse/20170119_EWP_Arbeitsbedingungen_Nachdruck-web.pdf, Zugriff 9.11.2020
? FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.11.2020
? FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (9.1.2019): Joint statement [by AHRC - Asian Human Rights Commission; ANFREL - Asian Network for Free Elections; GNDEM - Global Network of Domestic Election Monitors; FIDH - International Federation for Human Rights; CMEV - Centre for Monitoring Election Violence, Sri Lanka] on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 10.11.2020
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2019a): Bangladesch – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 10.11.2020
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020): Bangladesch – Überblick, https://www.liportal.de/bangladesch/ueberblick/, Zugriff 10.11.2020
? Guardian, The (31.12.2018): Bangladesh PM Hasina wins thumping victory in elections opposition reject as 'farcical', https://www.theguardian.com/world/2018/dec/30/bangladesh-election-polls-open-after-campaign-marred-by-violence, Zugriff 10.11.2020
? Hindu, The (1.1.2019): Hasina’s triumph: on Bangladesh election results, https://www.thehindu.com/opinion/editorial/hasinas-triumph/article25874907.ece, Zugriff 10.11.2020
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 11.11.2020
? NAU – Schweizer Nachrichtenportal (25.3.2020): Bangladeschs Oppositionsführerin Zia aus Haft entlassen, https://www.nau.ch/politik/international/bangladeschs-oppositionsfuhrerin-zia-aus-haft-entlassen-65684195, Zugriff 10.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch, per E-Mail
? Reuters (1.1.2019): Western powers call for probe into Bangladesh election irregularities, violence, https://www.reuters.com/article/us-bangladesh-election/western-powers-call-for-probe-into-bangladesh-election-irregularities-violence-idUSKCN1OV1PK, Zugriff 10.11.2020
? USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 10.11.2020
Sicherheitslage:
Letzte Änderung: 16.11.2020
Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere der Awami League (AL) und der Bangladesh Nationalist Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende AL hat ihre politische Macht durch anhaltende Schikanen gegenüber der Opposition und den als mit ihr verbündet wahrgenommenen Personen sowie gegenüber kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft gefestigt (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).
Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere der Opposition, Islamisten, Studenten) geht in vielen Fällen nach wie vor Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 21.6.2020).
Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020; vgl. AA 28.7.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 12.11.2020a).
Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna (UKFCO 12.11.2020b). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für solche Vorfälle sind (AA 21.6.2020).
In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 28.7.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Der inter-ethnische Konflikt in Myanmar wirkt sich auf Bangladesch aus. Er hat politische und soziale Spannungen insbesondere aufgrund der Ankunft von rund einer Million Rohingya-Flüchtlingen seit August 2017 verstärkt. Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben (HRW 18.9.2019; vgl. AnAg 5.11.2019, TDS 24.8.2019). Die Schutzfähigkeit staatlicher Behörden ist grundsätzlich gering. Die Behörden sind in der Regel keine neutralen Akteure, sondern unterstützen die politischen Ziele der jeweiligen Machthaber (ÖB 9.2020).
An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzsicherungsorganen. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 12.11.2020a). Auch wenn sich die dortige Lage zeitweise etwas entspannt, bleibt sie grundsätzlich labil (EDA 14.8.2020).
Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2018 insgesamt 135 Vorfälle terrorismusrelevanter Gewalt im Land. Im Jahr 2019 wurden 104 solcher Vorfälle, bis zum 8.11.2020 wurden im Jahr 2020 insgesamt 82 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 8.11.2020).
Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) verzeichnet im Berichtzeitraum 2019 insgesamt 1.713 Konfliktvorfälle (angeführt werden beispielsweise Demonstrationen, Ausschreitungen, Kampfhandlungen, Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen u.a.) bei denen 337 Personen getötet wurden (ACCORD 29.6.2020). 2020 wurden bis Ende Oktober in insgesamt 1.189 Konfliktvorfällen 244 Personen getötet (ACLED 4.11.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (28.7.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 9.11.2020
? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (29.6.2020): Bangladesh, year 2019: Update on incidents according to the Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2032553/2019yBangladesh_en.pdf, Zugriff 5.11.2020
? ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (4.11.2020): South Asia Regional Overview: Bangladesh, https://acleddata.com/2020/11/04/regional-overview-south-asia25-31-october-2020/, Zugriff 5.11.2020
? ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 5.11.2020
? AnAg – Anadolu Agency (5.11.2019): Bangladesh rejects Amnesty report on Rohingya killings, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-rejects-amnesty-report-on-rohingya-killings/1636457, Zugriff 13.11.2020
? AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023864.html, Zugriff 13.11.2020
? BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (6.8.2020): Bangladesch – Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 16.11.2020
? EDA - Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (14.8.2020): Bangladesch, Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/bangladesch/reisehinweise-fuerbangladesch.html#par_textimage, Zugriff 10.11.2020
? FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 16.11.2020
? HRW – Human Rights Watch (18.9.2019): Spate of Bangladesh ‘Crossfire’ Killings of Rohingya, https://www.hrw.org/news/2019/09/18/spate-bangladesh-crossfire-killings-rohingya, Zugriff 16.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
? SATP – South Asia Terrorism Portal (8.11.2020): Data Sheet – Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 10.11.2020
? TDS – The Daily Star (24.8.2019): Jubo League leader killed by ‘Rohingyas’, https://www.thedailystar.net/frontpage/news/jubo-league-leader-killed-rohingyas-1789726, Zugriff 16.11.2020
? UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020a): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 16.11.2020
? UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020b): Foreign travel advice Bangladesh – Terrorism, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/terrorism, Zugriff 16.11.2020
Rechtsschutz / Justizwesen:
Letzte Änderung: 11.11.2020
Die Justiz ist überlastet. Überlange Verfahrensdauern, Korruption und politische Einflussnahme behindern die Unabhängigkeit. Presseberichten zufolge kommt es in ländlichen Gebieten zu Verurteilungen durch unbefugte Dorfälteste oder Geistliche nach traditionellem, islamischem „Scharia Recht“. Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019). Nicht immer greifen die Behörden ein (AA 21.6.2020).
Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Die erstinstanzlichen Gerichte bestehen aus „Magistrates“, die der Exekutive zuzurechnen sind, sowie Session und District Judges, die der Judikative angehören. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem High Court, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem Appellate Court, dessen
Entscheidungen alle übrigen Gerichte, einschließlich des High Court, binden. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 9.2020).
Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 9.2020). Die Einflussnahme der Regierungspartei auf Parlament und Justiz haben deren Unabhängigkeit inzwischen weitgehend beseitigt (AA 21.6.2020).
Auf Grundlage des „Public Safety Act“, des „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, „Women and Children Repression Prevention Act” sowie des „Special Powers Act“ wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen – es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Speedy Trial Tribunals haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zu Tode verurteilt (ÖB 9.2020).
Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom Dezember 2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).
Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese „Gerichte“ eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020
? FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020
? FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 3.4.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
Allgemeine Menschenrechtslage:
Letzte Änderung: 16.11.2020
Die Menschenrechte werden nach der Verfassung mit Gesetzesvorbehalten garantiert (AA 21.6.2020). Bangladesch hat bisher mehrere UN Menschenrechtskonventionen ratifiziert, ist diesen beigetreten oder hat sie akzeptiert (ÖB 9.2020; vgl. UNHROHC o.D.). Die Verfassung von Bangladesch in der seit 17. Mai 2004 geltenden Fassung listet in Teil III, Artikel 26 bis 47A, einen umfassenden Katalog an Grundrechten auf. Artikel 102 aus Teil VI, Kapitel 1 der Verfassung regelt die Durchsetzung der Grundrechte durch die High Court Abteilung des Obersten Gerichtshofes. Jeder Person, die sich in ihren verfassungsmäßigen Grundrechten verletzt fühlt, steht der direkte Weg zum „High Court“ offen. Die „National Human Rights Commission“ wurde im Dezember 2007 unter dem „National Human Rights Commission Ordinance“ von 2007 eingerichtet, hat aber noch keine nennenswerte Aktivität entfaltet (ÖB 9.2020). Die Verwirklichung der in der Verfassung garantierten Rechte ist nicht ausreichend (AA 21.6.2020).
Teils finden Menschenrechtsverletzungen auch unter Duldung und aktiver Mitwirkung der Polizei und anderer Sicherheitskräfte statt (GIZ 11.2019a). Dazu zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen von Personen, willkürliche Festnahmen und Verhaftungen sowie Folter (USDOS 11.3.2020). Die Regierung verhaftete laut neuesten Berichten bis zu 2.000 Mitglieder der RABs (Rapid Action Battalion (RAB), Spezialkräfte für u.a. den Antiterrorkampf) wegen diverser Vergehen. Obwohl die RABs in den letzten Jahren hunderte Tötungen bzw. mutmaßliche Morde verübt haben, kam es noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen (ÖB 9.2020, siehe auch Abschnitt 4).
Menschenrechtsverletzungen beinhalten weiters harte und lebensbedrohende Haftbedingungen, politische Gefangene, willkürliche oder rechtswidrige Eingriffe in die Privatsphäre, Zensur, Sperrung von Websites und strafrechtliche Verleumdung; erhebliche Behinderungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, wie beispielsweise restriktive Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Beschränkungen der Aktivitäten von NGOs; erhebliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit; Einschränkungen der politischen Partizipation, da Wahlen nicht als frei oder fair empfunden werden; Korruption, Menschenhandel; Gewalt gegen Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender- und Intersexuelle (LGBTI) und Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher sexueller Aktivitäten; Einschränkungen für unabhängige Gewerkschaften und der Arbeitnehmerrechte sowie die Anwendung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (USDOS 11.3.2020).
Die Regierung von Bangladesch ignoriert Empfehlungen im Hinblick auf glaubwürdige Berichte zu Wahlbetrug, hartem Vorgehen gegen die Redefreiheit, Folterpraktiken von Sicherheitskräften und zunehmenden Fällen von erzwungenem Verschwinden und Tötungen (EEAS 1.1.2019; vgl. HRW 14.1.2020).
Das Gesetz verbietet Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen und es werden Maßnahmen ergriffen, um diese Bestimmungen wirksamer durchzusetzen. Fälle von Diskriminierung und gesellschaftlicher Gewalt gegen religiöse und ethnische Minderheiten sowie von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bestehen fort (USDOS 11.3.2020). Das Informations- und Kommunikationstechnologiegesetz (Information and Communication Technology Act - ICT Act) wird angewandt, um Oppositionelle und Mitglieder der Zivilgesellschaft wegen Verleumdungsdelikten juristisch zu verfolgen (USDOS 11.3.2020).
Bangladesch ist nach wie vor ein wichtiger Zubringer wie auch Transitpunkt für Opfer von Menschenhandel. Jährlich werden Zehntausende Menschen in Bangladesch Opfer von Menschenhandel. Frauen und Kinder werden sowohl in Übersee als auch innerhalb des Landes zum Zweck der häuslichen Knechtschaft und sexuellen Ausbeutung gehandelt, während Männer vor allem zum Zweck der Arbeit im Ausland gehandelt werden. Ein umfassendes Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels aus dem Jahr 2013 bietet den Opfern Schutz und verschärft die Strafen für die Menschenhändler, doch die Durchsetzung ist nach wie vor unzureichend (FH 2020). Internationale Organisationen behaupten, dass einige Grenzschutz-, Militär- und Polizeibeamte an der Erleichterung des Handels mit Rohingya-Frauen und -Kindern beteiligt waren. Formen der Unterstützung von Menschenhandel reichen dabei von „Wegschauen“ über Annahme von Bestechungsgeldern für den Zugang der Händler zu Rohingya in den Lagern, bis hin zur direkten Beteiligung am Handel (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? EEAS - European External Action Service (1.1.2019): Statement by the Spokesperson on parliamentary elections in Bangladesh, https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage/56110/node/56110_es, Zugriff 13.11.2020
? FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 10.11.2020
? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2019a): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat, Zugriff 10.11.2020
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 10.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
? UNHROHC- United Nations Human Rights Office of the High Commissioner (o.D.): View the ratification status by country or by treaty - Bangladesh, http://tbinternet.ohchr.org/_layouts/TreatyBodyExternal/Treaty.aspx?CountryID=37&Lang=EN, Zugriff 11.11.2020
? USDOS – US Department of State (11.3.2020): Coun