TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/31 W282 2245812-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.08.2021
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Entscheidungsdatum

31.08.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77
FPG §80

Spruch


W282 2245812-1/37E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA im am 27.07.2021 amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX , über die weitere Anhaltung von XXXX in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

I. Feststellungen

1.Verfahrensgang:

1.1 Der Beschwerdeführer (BF) reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt, jedoch vor dem 20.06.2011 illegal ins Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Asylantrag wurde mit Bescheid der EAST-Ost vom XXXX .2011, Zl. XXXX , abgewiesen und erwuchs diese Entscheidung mit 16.09.2011 in Rechtskraft erwachsen. Dennoch erhob der BF gegen diesen Bescheid Beschwerde an den Asylgerichtshof.

1.2. Mit Erkenntnis zur GZ I406 1424246-1/12E vom 26.05.2014 wurde die Beschwerde vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) als verspätet zurückgewiesen.

1.3. Nach einem Aufenthalt in Strafhaft in einer Justizanstalt (JA) wurde der BF behördlich abgemeldet und scheint nach 26.03.2014 keine Meldung des BF im Melderegister auf.

1.4. Seit dem 26.03.2017 befand sich der BF in der Justizanstalt Innsbruck in Strafhaft. Während dieser Strafhaft wurde dem BF am 13.07.2017 vom Bundesamt ein Parteiengehör betreffend einer beabsichtigten Rückkehrentscheidung und Sicherungsmaßnahme im Hinblick der Verhängung der Schubhaft in die JA zugestellt und eine Frist zur Stellungnahme von 14 Tagen eingeräumt.

1.5. Mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX 2017 wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gleichzeitig eine Rückkehrentscheidung erlassen; der Bescheid wurde dem BF in Strafhaft zugestellt. In diesem Bescheid sprach die Behörde die Zulässigkeit der Abschiebung nach Marokko aus, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise, erkannte die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde ab und erließ ein für die Dauer von sieben Jahren gültiges Einreiseverbot. Dieser Bescheid ist seit dem 01.12.2017 in Rechtskraft erwachsen. Gegen den BF liegt somit eine durchsetzbare und rk. aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

1.6 Vor seiner Haftentlassung im Mai 2021 wurde der BF in Strafhaft zur Verhängung der Schubhaft einvernommen. Mit (ordentlichem) Bescheid vom XXXX .2021 wurde über den BF die Schubhaft im Anschluss an die Strafhaft zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG verhängt. Der BF wurde am XXXX 2021 bei seiner Entlassung aus der Strafhaft festgenommen und eine Polizeianhaltezentrum gebracht, wo seit dem XXXX .2021 die Schubhaft vollzogen wird.

1.7. Am 11.06.2021 begann der Fremde einen Hungerstreik welchen er aber am 13.06.2021 freiwillig beendete. Am 20.06.2021 verletze der BF einen Mithäftling, als er ihn im Rahmen eines Streits mit der flachen Hand einen Schlag versetzte.

1.8 Am 27.08.2021 legte das Bundesamt den Akt zur Überprüfung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG über das vierte Monat der Anhaltung hinaus dem BVwG vor und erstattete eine Stellungnahme.

1.9. Die Stellungnahme des Bundesamtes wurde dem BF ins PAZ zum Parteiengehör übermittelt. Eine Stellungnahme des BF langte nicht ein.

2. Zur Person des BF:

2.1 Der BF ist in Österreich unter der Identität XXXX bekannt. Seine Identität steht nicht zweifelsfrei fest. Er verfügt über kein gültiges Dokument welches seine Identität zweifelsfrei bestätigt. Der wurde aber bereits im Jahr 2017 von marokkanischen Behörden als Marokkaner identifiziert.

Der BF nutzte aber während seiner Aufenthaltes im Bundesgebiet auch die im Spruchkopf angeführten Alias Identitäten um seine wahre Identität vor den Behörden zu verschleiern.

2.2 Der BF verfügt in Österreich weder über einen gesicherten Wohnsitz noch über wesentliche soziale oder familiäre Beziehungen. Der BF geht in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, hat in Österreich kein Einkommen und verfügt über kein zur Sicherung seiner Existenz ausreichendes Vermögen. Der BF verfügt aktuell über Barmittel im Höhe von ca. 500€ (Stand 27.08.2021). Er hat in Österreich seit dem Jahr 2014 im Verborgenen Unterkunft genommen und sich nicht behördlich angemeldet, so er sich nicht Strafhaft aufgehalten hat.

3. Zum Verfahrensgang, zu den Voraussetzungen der Schubhaft und zur Straffälligkeit

3.1 Der BF ist nicht Asylberechtigter oder subsidiär Schutzberechtigter, er ist auch nicht Asylwerber.

3.2 Mit (ordentlichem) Bescheid vom XXXX .2021 wurde über den BF die Schubhaft im Anschluss an die Strafhaft zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG verhängt. Der BF wurde am XXXX .2021 bei seiner Entlassung aus der Strafhaft festgenommen und eine Polizeianhaltezentrum gebracht, wo seit dem XXXX .2021 die Schubhaft vollzogen wird.

3.3 Der Beschwerdeführer ist haftfähig. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim Beschwerdeführer vor. Der Beschwerdeführer hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung. Der BF hat sich im Polizeianhaltezentrum aggressiv verhalten und am 20.06.2021 einen Mithäftling angegriffen und verletzt.

3.4 Im Strafregisterauszug des BF scheinen 8 Vorstrafen wegen Vergehen bzw. Verbrechen nach dem StGB (83, 87, 107, 125, 127, 129, 130, 164, 241, 229) und dem SMG (§ 27, 28a) zu (un)bedingten Geld- und (un)bedingten Haftstrafen auf:

XXXX

Gegen den BF ist weiters von der LPD Wien, SVA, Ref. 4, Zahl XXXX , am XXXX 2012, gültig bis 20.12.2023, ein Waffenverbot erlassen worden.

4. Zum Sicherungsbedarf, zur Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit:

4.1 Der BF befand sich von 11.06.2021 bis 13.06.2021 im Hungerstreik, um sich aus der Schubhaft freizupressen. Der BF hat diesen Hungerstreik freiwillig beendet. Der BF ist nicht ausreisewillig und wirkt am Verfahren zu seiner Außerlandesbringung nicht mit. Er verweigert Angaben zu seiner Identität bzw. gibt Alias-Identitäten an, um seine Identifizierung zu erschweren.

4.2 Der BF ist im Hinblick auf sein bisheriges Verhalten und seine Straffälligkeit in besonderem Maß vertrauensunwürdig und nicht kooperativ. Der BF wird im Falle der Entlassung aus der Schubhaft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit untertauchen. Der BF hat mehrere Jahre im Bundesgebiet im Verborgenen gelebt, soweit er sich nicht gerade in Strafhaft befand, nach seiner Entlassung aus der Strafhaft war er bis zu seiner erneuten Strafhaft nicht mehr behördlich gemeldet.

4.3 Heimreisezertifikate (HRZ) für Marokko werden bei Vorlage einer gültigen Flugbuchung (Direktflug) und der Identifizierung der Person durch die Botschaft ausgestellt. Das Bundesamt hatte bereits im Jahr 2017 ein HRZ-Verfahren mit der marokkanischen Botschaft eingeleitet. Der BF konnte auch bereits im Jahr 2017 als Marokkaner von der Botschaft identifiziert werden, die noch andauernde Strafhaft verhinderte aber eine Abschiebung. Direktflüge nach Marokko sind seit Juli 2021 wieder verfügbar, die Flugdaten müssen vor eine Abschiebung 4 Wochen zuvor an die marokkanische Botschaft übermittelt werden, dann wird eine HRZ ausgestellt. Die marokkanischen Behörden akzeptieren seit Aufhebung der Reisebeschränkungen durch COVID-19 (derzeit) nur 2-3 Abschiebungen pro Monat, wodurch der genaue Zeitpunkt der Ausstellung eines HRZ für den BF noch nicht prognostiziert werden kann. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikats durch Marokko innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer ist aber äußerst wahrscheinlich. Das Bundesamt hat die Ausstellung eines HRZ regelmäßig urgiert, letztmalig am 30.07.2021. Sobald für den BF ein HRZ vorliegt, wird die Abschiebung nach Marokko durchgeführt.

Eine relevante Änderung der Umstände seit der letzten Feststellung des Vorliegens der maßgeblichen Voraussetzungen und der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft liegt nicht vor.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die Akten des Bundesamtes und in die Akten des Bundesverwaltungsgerichtes zu den Zahlen I406 1424246-1 sowie durch Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister, in das Strafregister, in das Grundversorgungsinformationssystem sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

Zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu der in Österreich geführten Identität(en) des BF ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt, dem Zentralen Fremdenregister und der Anhaltedatei des Bundesministeriums. Dass seine Identität nicht zweifelsfrei feststeht ergibt sich daraus, dass der BF bisher keine Dokumente zum Nachweis seiner Identität vorgelegt hat und sich bei einer (fremden)polizeilichen Kontrolle nicht ausweisen konnte. Der BF konnte aber unter einer seiner Identitäten von marokkanischen Behörden als Marokkaner identifiziert werden.

Die Feststellungen zur gänzlich fehlenden sozialen und beruflichen Integration, dem fehlenden Wohnsitz und seinen Sprachkenntnissen ergeben sich aus seiner Einvernahme vor dem Bundesamt im April 2021 zur Verhängung Schubhaft. Die Feststellungen zu seinen finanziellen Verhältnissen ergeben sich aus der Anhaltedatei des Bundesministeriums. Die Tatsache, dass der BF im Bundesgebiet nie (legal) berufstätig war, ergibt sich aus einem Versicherungsdatenauszug, der BF gibt selbst an einer illegalen Beschäftigung in einem Kebap-Stand nachgegangen zu sein. Aufgrund der zahlreichen und langen Aufenthalte in Strafhaft des BF war auch nicht von einer nennenswerten sozialen Verankerung auszugehen.

Die Feststellung zur Unterkunftnahme im Verborgenen ergibt sich aus dem ZMR, da seit der Haftentlassung des BF im Jahr 2014 keine behördliche Meldung unter seinem eigentlichen Namen mehr aufscheint.

Zum Verfahrensgang und zu den Voraussetzungen der Schubhaft:

Anhaltspunkte dafür, dass der BF die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, in Österreich Asylberechtigter oder subsidiär Schutzberechtigter ist, finden sich weder im Akt des Bundesamtes noch in den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes. Es sind auch keine Ermittlungsergebnisse hervorgekommen, dass der BF nicht volljährig wäre.

Die Feststellungen zum Schubhaftbescheid und der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot ergeben sich widerspruchsfrei aus dem Verwaltungsakt.

Die Feststellung, wonach der BF haftfähig ist und keine die Haftfähigkeit ausschließende gesundheitliche Beeinträchtigungen oder Erkrankungen vorliegen, ergibt sich aus der Anhaltedatei, gegenteiliges wurde vom BF auch nicht vorgebacht. Der BF gab bei seiner Einvernahme im April 2021 auch lediglich an, Schlaftabletten einzunehmen. Dass der BF im Juni 2021 einen Mithäftling angegriffen hat, ergibt sich aus der Anhaltedatei.

Aus der Einsichtnahme in das Strafregister und aus den Abschriften der Strafurteile im Verwaltungsakt ergeben sich die Feststellungen zur umfänglichen Straffälligkeit.

Zum Sicherungsbedarf, zur Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit:

Dass der BF nicht maßgeblich rückkehrwillig ist, ergibt sich aus seinem gesamten Verhalten im bisherigen Verfahren. Einen Antrag auf freiwillige Rückkehr hat er bis dato nicht gestellt. Der BF hat durch die Angabe von Alias-Identitäten sein Identifizierung erschwert.

Die Feststellung zur aktuellen allgemeinen Lage hinsichtlich der Ausstellung von Heimreisezertifikaten für Marokko ergeben sich aus der Information der Abteilung B/II/1 des Bundesamtes für die Kalenderwoche 34 (OZ 4) sowie aus der Stellungnahem des verfahrensführenden Referenten des Bundesamtes. Flugverbindungen sind aktuell nach Marrakesch buchbar. Auch wenn die marokkanischen Behörden die Zahl der rückübernommenen Personen pro Monat auf 2 bis 3 Personen beschränkt hat, ist dennoch davon auszugehen, dass dem BF in naher Zukunft ein HRZ ausgestellt wird, zumal er bereits als Marokkaner identifiziert ist.

Dass der Beschwerdeführer nicht gewillt ist, mit den Behörden zu kooperieren und sich an die Rechtsordnung in Österreich zu halten, ergibt sich aus dem festgestellten bisherigen Verhalten des Beschwerdeführers, aus den unrichtigen Angaben zu seiner Identität, seinen strafrechtlichen Verurteilungen sowie auch seinem Verhalten während der Anhaltung in Schubhaft. So behauptete der BF noch bei seiner Einvernahme im April 2021 keinesfalls Marokkaner zu sein, obwohl er bereits 2017 von marokkanischen Behörden positiv identifiziert wurde. Weiters trat der BF in einen Hungerstreik um sich aus der Schubhaft freizupressen.

Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer bei einer Entlassung aus der Schubhaft untertauchen und sich erneut vor den Behörden verborgen halten werde. Es haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschwerdeführer sein bisher gezeigtes Verhalten ändern werde.

Eine Änderung der Umstände für die Verhängung der Schubhaft am XXXX .2021 ist dem Verwaltungsakt nicht zu entnehmen. Gegenteiliges ist auch im durchgeführten Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A. – Fortsetzungsausspruch

3.1.1. §§ 76 und 77 Fremdenpolizeigesetz (FPG), § 22a Abs 4 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten auszugsweise:

Schubhaft (FPG)


„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. 

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gelinderes Mittel (FPG)

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1.         in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2.         sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2.         eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Dauer der Schubhaft (FPG)

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich,
1.         drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2.         sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil,
1.         die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2.         eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3.         der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4.         die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)

§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde

Anwendungsbereich (Rückführungsrichtlinie)

Art 2. (1) Diese Richtlinie findet Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.

Inhaftnahme (Rückführungsrichtlinie)

Art 15. (1) Sofern in dem konkreten Fall keine anderen ausreichenden, jedoch weniger intensiven Zwangsmaßnahmen wirksam angewandt werden können, dürfen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörige, gegen die ein Rückkehrverfahren anhängig ist, nur in Haft nehmen, um deren Rückkehr vorzubereiten und/oder die Abschiebung durchzuführen, (…)

(5) Die Haft wird so lange aufrechterhalten, wie die in Absatz 1 dargelegten Umstände gegeben sind und wie dies erforderlich ist, um den erfolgreichen Vollzug der Abschiebung zu gewährleisten. Jeder Mitgliedstaat legt eine Höchsthaftdauer fest, die sechs Monate nicht überschreiten darf. 

(6) Die Mitgliedstaaten dürfen den in Absatz 5 genannten Zeitraum nicht verlängern; lediglich in den Fällen, in denen die Abschiebungsmaßnahme trotz ihrer angemessenen Bemühungen aufgrund der nachstehend genannten Faktoren wahrscheinlich länger dauern wird, dürfen sie diesen Zeitraum im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht um höchstens zwölf Monate verlängern:
a.         mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der betroffenen Drittstaatsangehörigen oder,
b.         Verzögerung bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten.

3.1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Der Behörde kommt aber dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043).

Gemäß § 80 Abs. 4 FPG darf die Anhaltung in Schubhaft nur bei Vorliegen der dort in den Z 1 bis 4 genannten alternativen Voraussetzungen höchstens achtzehn Monate dauern. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so beträgt die Schubhaftdauer - wie in § 80 Abs. 2 Z 2 FPG als Grundsatz normiert - nur sechs Monate. Mit § 80 Abs 4 FPG soll Art. 15 Abs. 6 RückführungsRL umgesetzt werden, sodass die Bestimmung richtlinienkonform auszulegen ist. In diesem Sinn ist auch der Verlängerungstatbestand des § 80 Abs. 4 Z 4 FPG dahingehend auszulegen, dass der Verlängerungstatbestand nur dann vorliegt, wenn das Verhalten des Beschwerdeführers kausal für die längere (mehr als sechsmonatige) Anhaltung ist. Wenn kein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Drittstaatsangehörigen und der Verzögerung der Abschiebung festgestellt werden kann, liegen die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft gemäß § 80 Abs 4 Z 4 FPG über die Dauer von sechs Monaten nicht vor (VwGH vom 15.12.2020, Ra 2020/21/0404).

3.2 Zum konkret vorliegenden Fall:

Aufgrund des § 22a Abs. 4 BFA-VG hat das Bundesamt dem Bundesverwaltungsgericht den Verwaltungsakt rechtzeitig zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung, welche über die Viermonatsfrist hinausgehen soll, vorzulegen. Nach rezenter Judikatur des VwGH (VwGH 16.07.2020, Ra 2020/21/0099, Rn. 14f) ist die Frist für das viermonatige Überprüfungsintervall nach § 22a Abs. 4 S 1 BFA-VG unter Außerachtlassung des § 32 Abs. 2 AVG unter Einrechnung des Tages der Inschubhaftnahme zu berechnen. Der BF wurde am XXXX .2021 in Schubhaft genommen und wird seitdem durchgehend in Schubhaft angehalten. Jener Tag an dem die Schubhaftdauer von vier Monaten im Sinne des ersten Satzes des § 22a Abs. 4 BFA-VG „überschritten“ wird ist somit der 03.09.2021. Die ggst. Überprüfung hat spätestens am Tag danach, also spätestes am 04.09.2021 zu ergehen. Gleichzeitig verbleibt dem BVwG ein Spielraum zur Entscheidung von einer Woche vor diesem Termin (VwGH aaO. Rn. 15). Die gegenständliche Entscheidung kann bzw. muss daher zwischen dem 28.08.2021 und dem 04.09.2021 ergehen.

Der Beschwerdeführer besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Ziff. 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen (Vorliegen eines Sicherungsbedarfes, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft) – möglich ist. Im vorliegenden Fall liegt eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

3.2.1 Zu Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf:
Es liegt beim BF fortgesetzt Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf iSd § 76 Abs. 3 FPG vor.

Der Beschwerdeführer achtet die österreichische Rechtsordnung nicht, er ist nicht kooperativ. Der BF hat zahlreiche Alias-Identitäten benutzt um seien wahre Identität zu verschleiern, weiters trat er von 11.6 bis 13.6.2021 in einen Hungerstreik um sich freizupressen. Der BF verhält sich auch während seiner Anhaltung im PAZ äußert unkooperativ und aggressiv, er hat bereits einen Mithäftling angegriffen und diesen verletzt. § 73 Abs. 3 Z 1 FPG ist daher erfüllt.

Auch besteht gegen den BF seit dem Jahr 2014 eine rk. und durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme, der sich der BF bis dato durch Nicht-Ausreise und Untertauchen entzogen hat, soweit er sich nicht in Strafhaft befand. So meldete sich der BF nach seinen Haftentlassungen behördlich nicht an und war nicht greifbar. In Zusammenhalt mit Z 1 und Z 9 des § 73 Abs. 3 FPG ist daher ggst. auch Z 3 fortgesetzt erfüllt.

Der BF verfügt über keine substanziellen sozialen Beziehungen im Bundesgebiet. Er hat in Österreich keinen Wohnsitz, sondern hat bisher fast ausschließlich im Verborgenen oder in Strafhaft gelebt. Er geht in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, hat kein Einkommen und verfügt über kein zur Sicherung seiner Existenz ausreichendes Vermögen.
§ 73 Abs. 3 Z 9 FPG ist daher ebenfalls fortgesetzt erfüllt.

Sowohl das Vorverhalten als auch die vorzunehmende Verhaltensprognose haben bei dem Beschwerdeführer ein erhöhtes Risiko des Untertauchens sowie einen Sicherungsbedarf ergeben. Der BF hat seine in diesem Fall ausgeprägte Vertrauensunwürdigkeit und seine Unzuverlässigkeit durch sein unkooperatives Verhalten unter Beweis gestellt.

Es liegt daher weiterhin Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 FPG vor und ist auch Sicherungsbedarf gegeben.

3.2.2 Zur Verhältnismäßigkeit

Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich weder sozial noch familiär verankert. Er hat keine Verwandten oder sonstigen engen Nahebeziehungen in Österreich. Er ist beruflich nicht verwurzelt und hat auch keinen eigenen gesicherten Wohnsitz.

Im Hinblick auf die Straffälligkeit des BF, die gemäß § 76 Abs. 2a FPG bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen ist, ist festzuhalten, dass der BF acht Mal rechtskräftig wegen verschiedener Vergehen bzw. Verbrechen nach dem SMG und dem StGB verurteilt wurde. Der BF wurde dabei regelmäßig auch während offener Probezeiten bedingter Strafnachsichten bzw. bedingter Entlassungen rückfällig, wodurch diese tw. von Strafgerichten wiederrufen werden mussten. Der BF wurde tw. auch wegen Gewalttaten wie Körperverletzung und absichtlicher schwere Körperverletzung (§§ 83, 87 StGB) bzw. gefährlicher Drohung (§ 107 StGB) bestraft. Letztmalig wurde der BF im Jahr 2017 wegen Diebstahl und Gewaltdelikten (§§ 164 (1), 125, 127, 83 (1), 87 (1) StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt. Dennoch hat sich der BF nicht gebessert, da er erneut in Schubhaft einen Mithäftling angegriffen und verletzt hat. Fallbezogen kommt in Zusammenhalt mit dem zuvor Gesagten einer gesicherten Aufenthaltsbeendigung iSd § 76 Abs. 2a FPG daher ein sehr hohes öffentliches Interesse zu.

Der BF wird seit XXXX .2021 in Schubhaft angehalten. Die Dauer der Anhaltung des BF in Schubhaft ist maßgeblich auf die Dauer des Verfahrens zur Erlangung eines Heimreisezertifikates zurückzuführen. Verzögerungen, die in der Sphäre des Bundesamtes liegen würden, sind nicht zu erkennen. Wie den Feststellungen zu entnehmen ist, hat das Bundesamt vielmehr rechtzeitig und zielführend ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF eingeleitet. Der BF wurde so bereits 2017 von marokkanischen Behörden identifiziert. Die marokkanischen Behörden haben aber aufgrund der Restriktionen durch COVID-19 die Rückübernahme ihrer Staatsbürger im Wege der Abschiebung auf 2-3 Personen pro Monat beschränkt, wodurch die Ausstellung eines HRZ für den BF bis dato noch nicht erfolgt ist, aber jedenfalls innerhalb der zulässigen Schubhafthöchstdauer sehr wahrscheinlich ist, da der BF bereits positiv identifiziert ist.

Die absehbare weitere Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist nach derzeitigem Stand - kooperatives Verhalten des BF vorausgesetzt - mit wenigen Monaten einzustufen und eine Abschiebung aus derzeitiger Sicht sohin innerhalb der gesetzlichen Schubhafthöchstdauer noch im Jahr 2021 realistisch. Eine bereits jetzt klar sichtbare bestehende faktische Unmöglichkeit oder Unwahrscheinlichkeit der Abschiebung des BF ist aufgrund der oben erörterten Lageeinschätzung derzeit nicht gegeben.

Die rezente Judikatur des VwGH zu dieser Frage ist hier daher nicht einschlägig, da in diesen Fällen überhaupt keine realistische Prognose einer HRZ Erlangung durch das Bundesamt mehr gegeben werden konnte und der VwGH aussprach, ein Bemühen des Bundesamtes allein reiche nicht aus. Die vom VwGH hierbei (VwGH am 22.12.2020, Ra 2020/21/0174) jüngst angenommenen Kriterien für eine Zulässigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft, nämlich, dass bei länger andauernden Schubhaften eine rechtzeitige Erlangbarkeit eines HRZ typischerweise entscheidend für die weitere Verhältnismäßigkeit sei, wobei bloße Bemühungen der Behörde nicht genügen würden, sondern es eine gewisse Wahrscheinlichkeit für Erfolg geben müsse, liegen im gegenständlichen Fall jedenfalls vor.

Unter Berücksichtigung dieser weiteren Umstände bleibt im Zuge der durchzuführenden Abwägung festzuhalten, dass aufgrund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens (Unwilligkeit mit den Behörden zu kooperieren, sein Verhalten während der Schubhaft sowie seiner massiven Straffälligkeit), dass das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung und eines geordneten Fremdenwesens das Interesse des BF am Schutz der persönlichen Freiheit seiner Person weiterhin überwiegt und auch der Gesundheitszustand des BF der weiteren Anhaltung in Schubhaft nicht entgegensteht.

Insgesamt kommt den persönlichen Interessen des BF daher ein geringerer Stellenwert zu als dem öffentlichen Interesse an der Sicherung seiner Aufenthaltsbeendigung.

Das Bundesverwaltungsgericht geht sohin davon aus, dass die seit XXXX .2021 aufrechte Schubhaft im Entscheidungszeitpunkt auch weiterhin das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllt. Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen des § 22a Abs. 4 BFA-VG ist zudem jedenfalls gewährleistet, dass eine allfällige weitere längere Anhaltedauer aufgrund Erfolglosigkeit des HRZ-Verfahren oder einer mangelnden Abschiebemöglichkeit durch Reiseeinschränkungen und damit auch die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft einer neuerlichen gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen sein wird. Dabei wird abermals eine Prognoseentscheidung hinsichtlich einer zeitnahen Effektuierung der Außerlandesbringung des BF durchzuführen sein.

Zu prüfen ist, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt. Eine Sicherheitsleistung sowie die konkrete Zuweisung einer Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung kann auf Grund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens und angesichts fehlender persönlicher Vertrauenswürdigkeit bzw. mangels gesichertem Wohnsitz nicht zum Ziel der Sicherung der Abschiebung führen, da diesfalls die konkrete Gefahr des Untertauchens des BF besteht.

Die Verhängung eines gelinderen Mittels kommt daher weiterhin nicht in Betracht.

Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor eine „ultima ratio“ dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, eine gesicherte Außerlandesbringung des BF zu gewährleisten.

3.1. Zu Spruchteil B. – Unzulässigkeit der Revision

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist der Fall wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Einreiseverbot Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Heimreisezertifikat Identität öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Ultima Ratio Untertauchen Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W282.2245812.1.00

Im RIS seit

01.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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