Entscheidungsdatum
01.09.2021Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
W283 2242883-2/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Stefanie OMENITSCH im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl 1277766403/210602604 über die weitere Anhaltung von XXXX , geb. am XXXX , StA. Vietnam, in Schubhaft zu Recht:
A)
Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger von Vietnam, wollte am 05.05.2021 von Österreich mit dem Zug nach Deutschland reisen. Der BF wurde an der deutschen Grenze von den deutschen Behörden nach Österreich zurückgewiesen. In Folge wurde der BF im Bundesgebiet festgenommen. Der BF wurde einvernommen, wobei er angab, einen Hauptwohnsitz in der Slowakei zu haben und dorthin zurückkehren zu wollen. Er gab weiteres an in der Slowakei asylberechtigt zu sein.
Das Bundesamt stellte sowohl an Ungarn als auch an die Slowakei Anfragen im Hinblick auf ein Aufenthaltsrecht des BF. Die ungarischen Behörden antworteten, dass der BF in Ungarn kein Aufenthaltsrecht habe, sein Aufenthaltstitel sei ihm am 18.06.2019 entzogen worden. Die slowakischen Behörden antworteten, dass der BF am 05.05.2021 einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel (Unternehmer) gestellt habe und dass das Verfahren laufend sei, der BF sei jedoch nicht im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels. Durch die Ausreise aus der Slowakei habe der BF zudem ein vorläufiges Bleiberecht verwirkt und sei die neuerliche Einreise in die Slowakei nicht gestattet.
Mit Mandatsbescheid vom 06.05.2021 wurde die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) vom 10.05.2021 wurde eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot erlassen. Eine Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.06.2021 als unbegründet abgewiesen, das Einreiseverbot wurde ersatzlos behoben.
Eine Schubhaftbeschwerde des BF wurde nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.06.2021 als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
Am 27.08.2021 legte das Bundesamt die Verwaltungsakten unter Abgabe einer Stellungnahme zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung verspätet vor. Diese Stellungnahme wurde dem BF als Parteiengehör übermittelt und ihm eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt, die bis dato fruchtlos verstrich.
Eine begleitete Abschiebung ist für den 09.10.2021 geplant.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der Beschwerdeführer befindet sich seit 06.05.2021, durchgehend in Schubhaft. Es ist gemäß § 22a Abs 4 BFA-VG daher die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu prüfen und festzustellen, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.
Der Beschwerdeführer befindet sich am 06.09.2021 länger als vier Monate in Schubhaft. Es ist zu überprüfen, ob die weitere Anhaltung in Schubhaft rechtmäßig ist und die Abschiebung innerhalb der gesetzlichen Höchstdauer durchgeführt werden kann.
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF und zu den Voraussetzungen der Schubhaft
1.1.1 Der BF besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft nicht, er besitzt auch keine Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates, er ist Staatsangehöriger von Vietnam. Der Beschwerdeführer ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.
1.1.2. Es besteht gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme.
1.1.3. Der Beschwerdeführer ist gesund und haftfähig. Er nimmt keine Medikamente. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim BF vor. Der BF hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung.
1.1.4. Der BF wird seit 06.05.2021 in Schubhaft angehalten. Am 06.09.2021 wird der BF länger als vier Monate in Schubhaft angehalten werden.
1.2. Zur Fluchtgefahr und zum Sicherungsbedarf
1.2.1. Der BF ist nicht vertrauenswürdig und zuverlässig.
1.2.2. Der BF verfügt über einen abgelaufenen ungarischen Aufenthaltstitel zur Arbeitsaufnahme, mit Gültigkeitszeitraum von 05.11.2018 bis 02.11.2020. Dieser Aufenthaltstitel wurde dem BF von den ungarischen Behörden jedoch am 18.06.2019 entzogen, der BF gab die Aufenthaltstitelkarte aber nicht bei den ungarischen Behörden ab. Der BF hat sich in Ungarn aufgehalten und ist im Juli 2020 ohne im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels eines Schengenstaates zu sein, in die Slowakei eingereist. Der BF hat den slowakischen Behörden die Tatsache, dass ihm sein ungarischer Aufenthaltstitel bereits im Juni 2019 entzogen wurde, verschwiegen. Der BF hat sich dann in der Slowakei aufgehalten, wo ihm am 12.04.2021 eine Arbeitsbewilligung als Selbstständiger (Unternehmen) erteilt worden ist. Der BF hat am 05.05.2021 einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel „Unternehmer“ in der Slowakei gestellt.
Der BF ist in der Slowakei nicht aufenthaltsberechtigt und ist nicht zur Wiedereinreise in die Slowakei berechtigt. Dem BF kommt auch in Ungarn kein Aufenthaltsrecht zu.
1.2.3. Der BF hat seine ungarische Aufenthaltstitelkarte, obwohl ihm der Aufenthaltstitel von den ungarischen Behörden Mitte 2019 entzogen wurde, nicht abgegeben, sondern diese zur Vorspiegelung einer legalen Einreise von Ungarn in die Slowakei genützt. Der BF hat die slowakischen Behörden über die Gültigkeit seines ungarischen Aufenthaltstitels getäuscht.
1.2.4. Der BF hat versucht nach Deutschland weiterzureisen. Der BF ist sehr mobil und wird erneut den Versuch einer Weiterreise unternehmen. Der BF wird mit hoher Wahrscheinlichkeit bei seiner Entlassung aus der Schubhaft untertauchen um sich der Abschiebung nach Vietnam zu entziehen, da er nicht nach Vietnam zurückkehren möchte.
1.2.5. Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine engen sozialen Anknüpfungspunkte in Österreich. Er ist beruflich in Österreich nicht verankert. Er verfügt über keinen eigenen gesicherten Wohnsitz und kann seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenem bestreiten.
1.3. Zur Verhältnismäßigkeit und Dauer
1.3.1. Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht vorbestraft.
1.3.2. Eine begleitete Abschiebung ist für den 09.10.2021 geplant. Ein gültiger Reisepass liegt vor. Die Abschiebung des BF ist daher jedenfalls innerhalb der Schubhafthöchstdauer, möglich.
2. Beweiswürdigung:
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vorliegenden Akt des Bundesamtes und den Gerichtsakten zum Schubhaftbeschwerdeverfahren (W282 2242883-1). Einsicht genommen wurde in das Strafregister, das Zentrale Fremden- und Melderegister, in das Betreuungsinformationssystem sowie in die Anhaltedatei.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF und zu den Voraussetzungen der Schubhaft
2.1.1 Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des BF und der Volljährigkeit ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt, insbesondere aufgrund der eigenen Angaben des BF im Rahmen seiner Befragungen und der im Akt aufliegenden Kopie des Reisepasses des BF (AS 41). Dass der BF weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter ist, war aufgrund der negativen Anfragen in Ungarn und der Slowakei festzustellen.
2.1.2. Dass gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht, ergibt sich aufgrund des Verfahrensausgangs des Beschwerdeverfahrens, wobei die Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung als unbegründet abgewiesen wurde. Dass die aufenthaltsbeendende Maßnahme rechtskräftig ist, ergibt sich aufgrund des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.06.2021 (W142 2243256-1/2E).
2.1.3. Dass der Beschwerdeführer gesund und haftfähig ist und er keine Medikamente einnimmt, war aufgrund seiner eigenen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 02.06.2021 festzustellen. Aus dem Akt ergeben sich überdies keine Indizien für eine Haftunfähigkeit des BF. Dem Polizeianhaltezentrum obliegt der Vollzug der Anhalteordnung. Bereits aufgrund der gesetzlichen Bestimmung, wonach Personen, deren Haftunfähigkeit festgestellt oder offensichtlich ist, nicht angehalten werden dürfen, war festzustellen, dass der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt haftfähig ist und keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim Beschwerdeführer vorliegen. Dass der Beschwerdeführer Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung hat, ist unzweifelhaft.
2.1.4. Dass der BF seit 06.05.2021 in Schubhaft angehalten wird, ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes sowie aus der Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres. Aus dem Zeitpunkt der Anhaltung in Schubhaft seit 06.05.2021 ergibt sich, dass der BF am 06.09.2021 länger als vier Monate in Schubhaft angehalten werden wird.
2.2. Zu den Feststellungen zur Fluchtgefahr und zum Sicherungsbedarf
2.2.1. Dass der Beschwerdeführer nicht vertrauenswürdig und zuverlässig ist, sondern hochmobil ist, ergibt sich aus seinem Vorverhalten und seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung zur Zahl W282 2242883-1. Dabei zeigte der BF keinerlei Unrechtsbewusstsein im Hinblick auf die Täuschung der slowakischen Behörden und der Tatsache, dass er illegal in Ungarn verblieb, nachdem ihm die Aufenthaltsbewilligung entzogen wurde. Der BF gab dabei unter anderem an, dass er ein Jahr lang keine Zeit gefunden habe, die Aufenthaltstitel-Karte bei den ungarischen Behörden abzugeben. Es ergibt sich aber aufgrund der im Akt aufliegenden Stellungnahmen der ungarischen Behörde, dass dem BF der Aufenthaltstitel in Ungarn entzogen wurde und der BF die Karte nicht zurückgab, in der Absicht damit weiter einen legalen Aufenthalt vorzuspiegeln.
2.2.2. Die Feststellung, dass dem BF sein Aufenthaltstitel in Ungarn bereits Mitte 2019 aberkannt worden ist, ergibt sich aus der Antwort der ungarischen Behörden auf eine diesbezügliche Anfrage (AS 91). Die Tatsache, dass der BF das dazugehörige Dokument den ungarischen Behörden aber nicht ablieferte, ergibt sich schon daraus, dass er bei seinem Aufgriff im Mai 2021 noch immer bei sich trug. Der BF nutze diese Dokument somit offenkundig, um den slowakischen Behörden bei seiner Einreise in die Slowakei im Juli 2020 eine legale Einreise vorzuspiegeln. Der BF war somit auch in der Slowakei niemals rechtmäßig aufhältig, wobei die slowakischen Behörden vom Entzug der ungarischen Aufenthaltsbewilligung und der somit unrechtmäßigen Einreise nichts zu wissen scheinen. Weiters ist aber auch ein allfälliges Bleiberecht des BF nun jedenfalls mit der Ausreise des BF aus der Slowakei erloschen. Dies geht nun zweifelsfrei aus der Antwort der slowakischen Fremdenpolizei hervor (AS 223) Es war daher auch hinsichtlich der Slowakei festzustellen, dass der BF dort kein – auch nur vorübergehendes – Aufenthaltsrecht mehr hat und nicht zur Wiedereinreise berechtigt ist.
2.2.3. Dass Beschwerdeführer seine ungarische Aufenthaltstitelkarte, obwohl ihm der Aufenthaltstitel von den ungarischen Behörden Mitte 2019 entzogen wurde, nicht abgegeben hat, sondern diese zur Vorspiegelung einer legalen Einreise von Ungarn in die Slowakei genützt hat, ergibt sich daraus, dass der BF bei seinem Aufgriff im Mai 2021 den Aufenthaltstitel noch immer bei sich trug. Der BF nutze diese Dokument somit offenkundig, um den slowakischen Behörden bei seiner Einreise in die Slowakei im Juli 2020 eine legale Einreise vorzuspiegeln. Der BF hat die slowakischen Behörden über die Gültigkeit seines ungarischen Aufenthaltstitels getäuscht, da auch seine Angaben, dass er ein Jahr lang keine Zeit gefunden habe, die Aufenthaltstitel-Karte bei den ungarischen Behörden abzugeben, nicht glaubhaft waren.
2.2.4. Dass der BF versucht hat nach Deutschland weiterzureisen, war aufgrund des im Akt aufliegenden Berichts über die Einreiseverweigerung der deutschen Polizei vom 05.05.2021 (AS 27 f). Dass der BF im Falle seiner Entlassung aus der Schubhaft untertauchen wird, um sich seiner Abschiebung nach Vietnam zu entziehen, war aufgrund seiner eigenen Angaben im Schubhaftbeschwerdeverfahren festzustellen, wonach er selbst ausführte, dass er aus wirtschaftlichen Gründen nicht in seinen Herkunftsstaat zurückkehren wolle.
2.2.5. Die Feststellungen zu den mangelnden sozialen Anknüpfungspunkten des BF in Österreich ergeben sich aus den eigenen Angaben des BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 02.06.2021. Eine berufliche Integration in Österreich war mangels Vorliegens einer Beschäftigungsbewilligung nicht festzustellen. Anhaltspunkte dafür, dass der BF über einen eigenen gesicherten Wohnsitz verfügt, liegen nicht vor, insbesondere verfügte er im Bundesgebiet über keine Meldeadresse außerhalb eines Polizeianhaltezentrums, wie sich aus dem Melderegister ableiten lässt. Dass der BF seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenem bestreiten kann, war festzustellen, da er aufgrund der Eintragungen in der Anhaltedatei lediglich über keine Barmittel verfügt (W282 2242883-1/18Z; OZ 1: Melderegister, Anhaltedatei).
2.3. Zur Verhältnismäßigkeit und Dauer
2.3.1. Dass der BF in Österreich keine Vorstrafen ausweist, ergibt sich aus einem aktuellen Strafregisterauszug (OZ 1).
2.3.2. Dass für den BF zum Entscheidungszeitpunkt eine begleitete Abschiebung am 09.10.2021 geplant ist, fußt auf der im Akt aufliegenden Stellungnahme des Bundesamtes vom 27.08.2021 (OZ 5). Dass ein gültiger Reisepass des BF vorliegt, war aufgrund er im Akt aufliegenden Kopie desselben festzustellen (AS 41). Dass die Abschiebung des BF jedenfalls innerhalb der Schubhafthöchstdauer möglich ist, war aufgrund der aktuell geplanten Abschiebung innerhalb der nächsten sechs Wochen festzustellen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
3.1. Maßgebliche Rechtslage
3.1.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lauten:
„Schubhaft
§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“
„Gelinderes Mittel
„§ 77. (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.
(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.
(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.
(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.
(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.
(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.
(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.
(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.“
„Dauer der Schubhaft
§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.
(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.
(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.
(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.
(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.
(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.
(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.“
3.1.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des BFA-Verfahrensgesetzes idgF, lauten:
„Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft
§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn
1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,
2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder
3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.
(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.
(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“
3.2. Zur Judikatur
Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).
Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).
Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).
In Verfahren nach § 22a Abs. 4 BFA-VG vom BFA erstattete Stellungnahmen sind einem Parteiengehör zu unterziehen. Dies kann schriftlich oder auch im Rahmen einer mündlichen Verhandlung erfolgen. Jedenfalls ist dem in Schubhaft angehaltenen Fremden Gelegenheit zu geben, sich zu der Stellungnahme und zum maßgeblichen Sachverhalt zu äußern (vgl. VwGH 27.08.2020, Ro 2020/21/0010, mwN).
3.3. Allgemeine Voraussetzungen
Aufgrund der oben zitierten gesetzlichen Bestimmungen und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Bundesamt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung vorzulegen. Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Es ist Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes hierüber im Verfahren eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung durchzuführen.
Zur Frage der Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung des BF:
Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter oder auch Asylwerber weshalb die Aufrechterhaltung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – Vorliegen eines Sicherungsbedarfes, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft – i möglich ist.
Der BF war bei Anordnung der Schubhaft haftfähig und ist dies auch weiterhin. Für Gegenteiliges gab es im Verfahren keinerlei Anhaltspunkte.
Die Schubhaft wurde auf § 76 Abs. 2 Z 2 FPG gestützt angeordnet. Aktuell liegt gegen den BF eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung vor. Die weitere Anhaltung kann daher im Entscheidungszeitpunkt weiterhin auf die Sicherung der Abschiebung gestützt werden.
Der Beschwerdeführer verhält sich nicht kooperativ oder zuverlässig, da er über kein Aufenthaltsrecht in einem Mitgliedstaat verfügt, der BF aber dennoch versucht hat unrechtmäßig nach Deutschland einzureisen. Der BF möchte aus wirtschaftlichen Gründen nicht in seinen Herkunftsstaat zurückkehren, obwohl er kein Recht zum Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat. Die Abschiebung des BF ist in den nächsten Wochen geplant.
Sowohl das Vorverhalten als auch die vorzunehmende Verhaltensprognose haben bei dem Beschwerdeführer ein erhöhtes Risiko des Untertauchens sowie einen Sicherungsbedarf ergeben. In diesem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist.
Er hat in Österreich keine Familienangehörigen oder soziale Bindungen, die ihn von einem Untertauchen abhalten würden. Der BF ist zudem in Österreich nicht beruflich verankert. Er hat auch keinen eigenen Wohnsitz.
Im vorliegenden Fall geht das Gericht auch weiterhin von Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG aus:
Gemessen an § 76 Abs. 3 FPG, konkret an dessen ersten Satz „liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 2" - immer noch - vor, da „bestimmte Tatsachen“, nämlich jene bereits im Rahmen der angeführten Beweiswürdigung relevierten, indizieren, dass sich der BF einer drohenden Abschiebung in den Herkunftsstaat entziehen wird. Die Gründe, aus denen das Bundesamt die Schubhaft anordnete und das Bundesverwaltungsgericht seinen Fortsetzungsausspruch gründete (§ 76 Abs. 3 Z 9 FPG), haben sich seither nicht geändert.
Da gegen den BF zudem eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht, ist auch § 76 Abs. 3 Z 3 FPG nunmehr erfüllt.
Das bisheriges Verhalten des BF haben ein erhöhtes Risiko des Untertauchens sowie einen Sicherungsbedarf ergeben. Die Abschiebung ist innerhalb der nächsten sechs Wochen geplant.
In diesem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden von der Judikatur bereits als erhöht angesehen wird. Überdies war aufgrund seines aktuellen sowie seines Verhaltens in der Vergangenheit festzustellen, dass der BF als nicht vertrauenswürdig anzusehen war. Im Lichte dieser Umstände bestehen aktuell Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf. Bei einer Entlassung aus der Schubhaft wird der BF untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten, um sich einer Abschiebung zu entziehen.
Insgesamt ergibt sich sohin weiterhin das Vorliegen von Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 3 und 9 FPG.
3.4. Zur Verhältnismäßigkeit und Dauer der Anhaltung:
Die Anhaltung in Schubhaft darf gemäß § 80 Abs. 2 FPG grundsätzlich die Dauer von sechs Monaten nicht übersteigen. Im gegenständlichen Fall ist die Abschiebung des BF innerhalb der nächsten sechs Wochen geplant. Eine Abschiebung des Beschwerdeführers innerhalb der höchstmöglichen Schubhaftdauer ist zum Entscheidungszeitpunkt wahrscheinlich. Die absehbare weitere Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist nach derzeitigem Stand mit einigen Wochen einzustufen. Das Bundesverwaltungsgericht geht sohin davon aus, dass die seit 06.05.2021 aufrechte Schubhaft im Entscheidungszeitpunkt auch weiterhin das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllt.
Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen ist zudem jedenfalls gewährleistet, dass eine allfällige weitere Verlängerung der Schubhaft und auch die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft einer neuerlichen gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen sein wird. Dabei wird abermals eine Prognoseentscheidung hinsichtlich einer zeitnahen Effektuierung der Außerlandesbringung des BF durchzuführen sein.
3.5. Gelinderes Mittel und ultima ratio
Zu prüfen ist weiters, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllen würde. Eine Sicherheitsleistung sowie die konkrete Zuweisung einer Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung kann auf Grund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens und angesichts fehlender persönlicher Vertrauenswürdigkeit nicht zum Ziel der Sicherung der Abschiebung führen, da dies falls die konkrete Gefahr des Untertauchens des BF besteht. Die Verhängung eines gelinderen Mittels kommt daher weiterhin nicht in Betracht.
Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor die „ultima ratio“ dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, eine gesicherte Außerlandesbringung des BF zu gewährleisten.
Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.
3.6. Entfall der mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte unterbleiben, da der Sachverhalt im Rahmen des behördlichen Verfahrens hinreichend geklärt wurde und das gerichtliche Verfahren keine wesentlichen Änderungen ergeben hat. Der gesamte entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt sich bereits aus dem Inhalt der verwaltungsbehördlichen sowie gerichtlichen Akten. Dem BF wurde die Stellungnahme des Bundesamtes zum Parteiengehör übermittelt, von der Möglichkeit der Äußerung hat der BF keinen Gebrauch gemacht.
Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Es sind keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren hervorgekommen und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts auch nicht gegeben.
Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
Einreiseverbot Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel illegaler Aufenthalt öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Täuschung Ultima Ratio Untertauchen VerhältnismäßigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W283.2242883.2.00Im RIS seit
01.10.2021Zuletzt aktualisiert am
01.10.2021