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KFGNorm
AVG §64 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dkfm. Dr. Porias und die Hofräte DDr. Dolp, Dr. Schmid, Dr. Schmelz und Dr. Rath als Richter, im Beisein des Schriftführers Ministerialoberkommissär Dr. Gancz, über die Beschwerde des KP in W, vertreten durch Dr. Theo Petter, Rechtsanwalt in Wien I, Stephansplatz 4, gegen den Bescheid des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 15. November 1971, Zl. 192.012-II/21/71, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 2.138,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Bundespolizeidirektion Wien-Verkehrsamt entzog dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 22. Juni 1971 unter Berufung auf § 74 Abs. 1 KFG 1967 die von derselben Behörde ausgestellte Lenkerberechtigung für die Gruppe B auf die Dauer von neun Monaten. Gleichzeitig wurde einer allfälligen Berufung gemäß § 64 AVG 1950 die aufschiebende Wirkung aberkannt. In der Begründung dieses Bescheides wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer am 31. Jänner 1971 um 8.30 Uhr seinen Pkw, in dem auch, sein vierjähriger Sohn gesessen sei, auf der Bundesstraße 20 in Richtung Lilienfeld gelenkt habe. Unmittelbar nach der Ortschaft Göblasbruck habe er einen anderen Pkw überholt. Während des Überholmanövers sei sein Fahrzeug auf der nassen, rutschigen Fahrbahn ins Schleudern geraten, von der Fahrbahn abgekommen und über einen 10 m breiten Rasenstreifen gegen das Geländer eines Werksbaches gefahren. Durch den Anprall sei das Geländer durchstoßen worden und der Beschwerdeführer in weiterer Folge mit seinem Fahrzeug in den durchschnittlich 2 m tiefen Werkskanal gestürzt. Der Beschwerdeführer und sein Sohn seien von mehreren Helfern aus dem Pkw, der ca. 250 m abgetrieben worden sei, geborgen und an das Ufer gebracht worden. Wegen dieses Vorfalles sei der Beschwerdeführer mit Urteil des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 23. März 1971 wegen der Übertretung nach § 431 StG zu einer Geldstrafe von S 1.000,-- rechtskräftig verurteilt worden. Somit habe der Beschwerdeführer als Lenker eines Kraftfahrzeuges mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen. Der Beschwerdeführer sei überdies mit der Strafverfügung des Bezirkspolizeikommissariates Leopoldstadt vom 11. Februar 1972 wegen der Verwaltungsübertretungen nach § 16 Abs. 2 StVO 960 mit einer Geldstrafe von S 100,-- (Ersatzarreststrafe 24 Stunden) und nach § 20 Abs. 2 StVO 1960 mit S 200,-- (Ersatzarreststrafe 48 Stunden) bestraft worden, weil er als Lenker eines Pkw‘s auf einer ungeregelten Kreuzung ein mehrspuriges Fahrzeug überholt und dabei die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erheblich überschritten habe. Mit einer weiteren Strafverfügung derselben Behörde vom 25. März 1969 sei der Beschwerdeführer außerdem wegen der Verwaltungsübertretungen nach § 52 Z. 15 StVO 1960 mit einer Geldstrafe von S 100,-- (Ersatzarreststrafe 24 Stunden) und nach § 13 Abs. 1 StVO 1960 zu einer solchen von S 100,-- (Ersatzarreststrafe 24 Stunden) bestraft worden, weil er als Lenker eines Pkw‘s während der Fahrt über den Schwarzenbergplatz das vor der Kreuzung aufgestellte Verkehrszeichen (gemäß § 52 Z. 15 StVO 1960, geradeausweisend) nicht beachtet und in kurzem Bogen nach links abgebogen sei. Aus den vorgenannten Gründen besitze der Beschwerdeführer die gesetzlich geforderte Verkehrszuverlässigkeit nicht. Die Lenkerberechtigung sei daher vorübergehend für die im Spruch angeführte Zeit zu entziehen gewesen. Aus den gleichen Gründen sei einer eventuellen Berufung aus Gründen des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzuge die aufschiebende Wirkung abzuerkennen gewesen. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde darauf verwiesen, daß der Beschwerdeführer am 31. Jänner 1971 auf vorwiegend trockener Straße einen anderen besonders langsam fahrenden Verkehrsteilnehmer überholt habe und kurz vor Beendigung dieses Überholvorganges auf eine vorher nicht erkennbare vereiste Stelle geraten sei, wodurch sein Wagen von der Fahrbahn gerutscht sei. Das Strafgericht habe sein Verschulden darin erblickt, daß er damals eine relativ überhöhte Geschwindigkeit eingehalten habe. Durch diesen Unfall sei niemand verletzt, sondern lediglich sein Sohn in seiner körperlichen Sicherheit konkret gefährdet worden. Eine Gefährdung der Insassen des damals überholten Fahrzeuges sei nicht erfolgt. Der Beschwerdeführer habe jedoch nicht mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen. Auch vorsichtige Fahrer könnten bei plötzlich auftretender Straßenglätte ins Schleudern kommen. Daß das Fahrzeug des Beschwerdeführers im Zuge dieses Schleudervorganges in einen neben der Straße befindlichen Werkskanal gefallen sei, könne eine Rücksichtslosigkeit seines Verhaltens nicht bewirken. Die Behörde habe auch mit keinem Wort ausgeführt, gegenüber welchen anderen Straßenbenützern er sich damals besonders rücksichtslos verhalten habe. Würde die in dem Entziehungsbescheid vertretene Rechtsansicht richtig sein, dann müßte jedem Kraftfahrer, der auf vereister Straße ins Schleudern gerate, wegen besonderer Rücksichtslosigkeit der Führerschein entzogen werden. Die vom Gesetzgeber gebrauchten Worte „besondere Rücksichtslosigkeit“ seien so zu verstehen, daß damit nur eine Art Rowdytum am Lenkrad gemeint sein sollte. Auch die Heranziehung zweier Verwaltungsvorstrafen könne die Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers nicht in Frage stellen. Gerade die Tatsache, daß er im Laufe seiner fast siebenjährigen Lenktätigkeit lediglich zwei Verwaltungsstrafen erhalten habe, beweise, daß er eher zu den besonnenen Fahrern zu zählen sei. Schließlich sei es in Anbetracht der äußerst schleppenden Erledigung von Rechtsmitteln durch die Berufungsbehörden in höchstem Maße bedenklich, wenn bei jedem Bescheid in Führerscheinentziehungssachen die aufschiebende Wirkung einer eventuellen Berufung im Interesse des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzug aberkannt werde. Der gegenständliche Vorfall, aus dem die Behörde die Gefahr für das öffentliche Wohl erblicke, habe sich am 31. Jänner 1971 ereignet. Bis zur Erhebung der Berufung habe der Beschwerdeführer fast sechs Monate im Besitze seines Führerscheines weiter sein Fahrzeug gelenkt und sich dabei nicht das Geringste zuschulden kommen lassen. Es sei nicht einzusehen und es fehle auch eine Begründung hiefür, wieso nunmehr die Behörde Gefahr im Verzug angenommen habe. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. Juli 1971 wurde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. Gleichzeitig wurde einer anfälligen Berufung auch gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung gemäß § 64 Abs. 2 AVG 1950 aberkannt. In der Begründung dieses Bescheides wurde ausgeführt, daß gemäß § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 der Lenker eines Kraftfahrzeuges dann als verkehrsunzuverlässig anzusehen sei, wenn er unter besonders gefährlichen Verhältnissen gegen die für das Lenken eines Fahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen habe. Auf einer nassen und obendrein noch rutschigen Fahrbahn fahre man zweifelsohne unter besonders gefährlichen Verhältnissen. Der Lenker eines Fahrzeuges habe gemäß § 20 StVO 1960 seine Geschwindigkeit den gegebenen Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen anzupassen. Diese wichtige Vorschrift habe der Beschwerdeführer völlig außer acht gelassen, da es sonst zu dem Unfall, der sehr leicht äußerst tragisch hätte ausgehen können, nicht gekommen wäre. Die Lenkerin des überholten Fahrzeuges sei sich der gefährlichen Verhältnisse voll bewußt gewesen und habe sich darnach verhalten, was man auch vom Beschwerdeführer hätte erwarten können. Überholmanöver auf nur zweispurigen Straßen, bei denen mit Gegenverkehr zu rechnen sei, seien an sich schon gefährlich; bei einer Straßenlage, wie sie am Unfallstag bestanden habe, sei das Fahrverhalten des Beschwerdeführers aber ausgesprochen riskant und unfallsträchtig gewesen. Die Regelung der Geschwindigkeit stelle eine ganz maßgebliche Verkehrsvorschrift dar und sei von so wesentlicher Bedeutung, daß sie zu den wichtigsten Verkehrsbestimmungen zu zählen sei. Der Beschwerdeführer, der gegen diese Bestimmung unter besonders gefährlichen Verhältnissen verstoßen habe, weise sohin den Mangel der Verkehrszuverlässigkeit auf, sodaß die Behörde zu einer Maßnahme nach den §§ 73 bzw. 74 KFG 1967 gesetzlich verpflichtet sei. Im Sinne der Wertungsrichtlinien des § 66 Abs. 3 KFG 1967 sei auch darauf Bedacht zu nehmen gewesen, daß der Beschwerdeführer zwei Vorstrafen aufweise, die mit der allgemeinen Verkehrssicherheit eng im Zusammenhang stehen und nicht ganz belanglos sein, da aus einem solchen Verhalten häufig Unfälle entstehen. Da die überhöhte Geschwindigkeit ja auch bei dem Unfall eine maßgebende Rolle gespielt habe, sei sie bei der Bemessung der Entziehungsdauer zu berücksichtigen gewesen. Zu dem Berufungseinwand über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung sei zu sagen, daß in der getroffenen Maßnahme deshalb keine Rechtswidrigkeit erblickt werden könne, weil die Entziehung der Lenkerberechtigung ohne Zweifel eine im Interesse des öffentlichen Wohles gelegene Sicherheitsmaßnahme darstelle, deren Durchführung wegen der beim Lenken von Kraftfahrzeugen durch verkehrsunzuverlässige Lenker sonst gegebenen akuten Gefahr keinen Aufschub zulasse. Auch gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er im wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholte. Mit Bescheid des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 15. November 1971 wurde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben. Die belangte Behörde stützte sich vor allem auf die Gründe des vorinstanzlichen Bescheides und fügte ihrer Begründung bei, der Beschwerdeführer habe durch das ihm von den Vorinstanzen angelastete und im erstinstanzlichen Bescheid ausführlich dargelegte Verhalten zweifellos einen so beträchtlichen Mangel an der gemäß § 64 Abs. 2 KFG 1967 zur Lenkung eines Kraftfahrzeuges erforderlichen Verkehrszuverlässigkeit gezeigt, daß der angestrebte Verwaltungszweck nur durch seine längerdauernde Ausschaltung von der aktiven Teilnahme am Kraftfahrverkehr gesichert erscheine. Zu dem Berufungseinwand, daß der bekämpfte Bescheid „gesetzwidrig sei, da im zugrundeliegenden Sachverhalt beim besten Willen weder besonders gefährliche Verhältnisse noch besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern enthalten sind“, werde bemerkt, daß das überholen auf einer nassen und rutschigen Fahrbahn zweifellos einen Verstoß gegen die für das Lenken von Kraftfahrzeugen maßgebenden Verkehrsvorschriften unter besonders gefährlichen Verhältnissen darstelle. Gerade bei einem solchen Straßenzustand wäre es die Pflicht des Beschwerdeführers gewesen, besonders vorsichtig zu fahren und seine Fahrgeschwindigkeit den gegebenen Straßenverhältnissen anzupassen. In dem gegenständlichen Verhalten des Beschwerdeführers, der schon im Jahre 1969 wegen Nichtbeachtung eines Verkehrszeichens und im Jahre 1970 wegen erheblicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit habe bestraft werden müssen, erblicke die belangte Behörde eine besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern, denn der Beschwerdeführer. habe sich als Kraftfahrer im klaren sein müssen, daß er bei den damals herrschenden Straßenverhältnissen bei einem Überholmanöver leicht ins Schleudern geraten und dadurch allenfalls andere Straßenbenützer gefährden könne. Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage erachte die belangte Behörde die von den Vorinstanzen mit neun Monaten verfügte vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung als Maßnahme zum Schutze der allgemeinen Verkehrssicherheit durchaus gerechtfertigt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Darin bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, es könne aus dem vom Gericht festgestellten Sachverhalt nicht abgeleitet werden, daß er mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen habe. Auch vorsichtige Fahrer könnten bei plötzlich auftretender Straßenglätte ins Schleudern geraten. Die belangte Behörde habe überdies nicht begründet, gegenüber welchen anderen Straßenbenützern er sich damals besonders rücksichtslos verhalten habe. Daß die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Verkehrszuverlässigkeit wegen der konkreten Gefährdung seines Sohnes abgesprochen habe, sei wohl auszuschließen; anscheinend sei sie der Ansicht, es ergebe sich die mangelnde Verkehrszuverlässigkeit aus der Tatsache, daß das Fahrzeug im Anschluß an den Schleudervorgang in den Werkskanal geraten sei. Dieser Umstand müsse Jedoch bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit außer Betracht bleiben, weil für den Beschwerdeführer gar nicht erkennbar gewesen sei, daß sich in der Nähe der Fahrbahn ein Werkskanal befinde. Das Werturteil über die Frage der „Verläßlichkeit“ sei nur auf die Art zu gewinnen, daß gewisse nach außen in Erscheinung tretende Handlungen der zu beurteilenden Person dahin gehend analysiert und gewertet werden, ob in näherer oder fernerer Zukunft gleiche oder ähnliche Handlungen mit einiger Wahrscheinlichkeit erwartet bzw. befürchtet werden können und ob diese Handlungen für die allgemeine Verkehrssicherheit eine Gefahr darstellen. Im konkreten Falle könne aber aus der Tatsache, daß der Beschwerdeführer damals mit seinem Fahrzeug auf Glatteis ins Schleudern geraten sei, nicht geschlossen werden, er werde auch in Zukunft die allgemeine Verkehrssicherheit gefährden. Aus dem Umstand, daß der Beschwerdeführer in den Werkskanal gefallen sei, könne demnach keinerlei Schluß auf sein künftiges Verkehrsverhalten gezogen werden. Wie im abgeführten Verwaltungsverfahren wendet sich der Beschwerdeführer auch dagegen, daß die Bundespolizeidirektion Wien-Verkehrsamt und der Landeshauptmann von Wien in ihren Bescheiden einer allfälligen Berufung die aufschiebende Wirkung gemäß § 64 Abs. 2 AVG 1950 aberkannt hätten. Der Unfall des Beschwerdeführers habe sich am 31. Jänner 1971 ereignet, bis zur Erlassung des Entziehungsbescheides erster Instanz sei er im Besitze seines Führerscheines gewesen und er habe bis dahin durch fast sechs Monate ein Kraftfahrzeug ohne Anstand gelenkt. Das Verhalten des Beschwerdeführers könne nicht plötzlich nach fast einem halben Jahr anstandslosen Lenkens im Hinblick auf die Sicherheit des Straßenverkehrs als besonders gefährlich angesehen werden. Die Bestimmung des § 64 Abs. 2 AVG 1950 sollte nach Ansicht des Beschwerdeführers als Ausnahmebestimmung von den Behörden nicht wahllos, sondern nur in Ausnahmefällen angewendet werden. Demgegenüber hätten aber die mit Entziehungssachen befaßten Behörden den Standpunkt vertreten, daß sämtliche Führerscheinentziehungsfälle solche Ausnahmefälle seien. Dies sei insbesondere deshalb bedenklich, weil durch diese Übungen der Behörden Bescheide in Führerscheinentziehungssachen faktisch unanfechtbar würden, da in Anbetracht der notorischen Überlastung der Behörden und der damit verbundenen Verzögerung in der Erledigung der Rechtsmittel häufig der Rechtsnachteil in seinem gesamten Umfang bereits eingetreten sei, bevor die Berufungsbehörde überhaupt entschieden habe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach der Vorschrift des § 64 Abs. 2 AVG 1950 kann die Behörde die aufschiebende Wirkung u. a. dann ausschließen, wenn die vorzeitige Vollstreckung im Interesse des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Im vorliegenden Fall waren die Behörden erster und zweiter Instanz zu der Rechtsauffassung gelangt, daß dem Beschwerdeführer die Verkehrszuverlässigkeit fehle. Diese Auffassung, die keineswegs etwa denkunmöglich ist, hatten sie bei der Beurteilung der Frage, ob die aufschiebende Wirkung einer Berufung auszuschließen sei oder nicht, zugrunde zu legen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese Rechtsauffassung in der Folge einer Überprüfung durch die Berufungsbehörden oder durch den Verwaltungsgerichtshof standhalten werde. War aber bei der Frage der Ausschließung der aufschiebenden Wirkung einer Berufung davon auszugehen, daß dem Beschwerdeführer die Verkehrszuverlässigkeit fehle, dann ergab sich das dringende Gebot der Vollziehung des Führerscheinentzuges schon aus der Natur der Sache (vgl. auch das Erkenntnis vom 2. Mai 1962, Zl. 59/61, und den Beschluß vom 8. März 1973, Zl. 2012/72). Daran vermag auch der Umstand, daß der Beschwerdeführer nach dem Unfall bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides sein Fahrzeug nahezu sechs Monate ohne Anstand gelenkt hat, schon deswegen nichts zu ändern, weil der Mangel der Verkehrszuverlässigkeit und damit auch die dringende Notwendigkeit der vorzeitigen Vollstreckung im Interesse des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzug nicht etwa schon dann wegfällt, wenn jemand während der Anhängigkeit eines Führerscheinentzugsverfahrens durch sechs Monate anstandslos ein Kraftfahrzeug gelenkt hat.
Eine Person ist gemäß § 66 Abs. 1 lit. a KFG 1967 als verkehrszuverlässig anzusehen, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen und ihrer Wertung u, a. angenommen werden muß, daß sie auf Grund ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen der in Betracht, kommenden Gruppe die Verkehrssicherheit insbesondere durch ein rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr gefährden wird. Diese bestimmten Tatsachen sind im § 66 Abs. 2 KFG 1967 demonstrativ aufgezählt. Sie geben einen Maßstab an, wie der Gesetzgeber „bestimmte Tatsachen“ ausgelegt wissen will (vgl. dazu das Erkenntnis vom 17. Dezember 1970, Zl. 1210/70), wobei nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 die Verkehrszuverlässigkeit unter Berücksichtigung der Abs. 1 und 3 dann fehlt, wenn jemand als Lenker eines Kraftfahrzeuges unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat. Wie der Verwaltungsgerichtshof zu dem in § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 und im § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 gebrauchten Begriff des Verstoßes „gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern“ in ständiger Judikatur ausgesprochen hat (vgl. dazu z. B. die Erkenntnisse vom 4. Juli 1963, Zl. 1752/62, vom 18. Februar 1971, Zl. 702/70, und vom 14. Juni 1973, Zl. 2344/71), müssen - von dem an sich strafbaren verkehrswidrigen Verhalten des Täters unabhängig - noch zusätzliche Sachverhaltselemente hinzukommen, wenn angenommen werden soll, daß die Tat „unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern“ begangen wurde.
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem angefochtenen Bescheid bzw. aus dem Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. Juli 1971, auf dessen Gründe sich die belangte Behörde berufen hat, daß durch das Fahrverhalten des Beschwerdeführers am 31. Jänner 1971 die Vorschrift des § 20 Abs. 1 StVO 1960 verletzt wurde, und zwar dadurch, daß er auf der nassen und rutschigen Fahrbahn seine Geschwindigkeit nicht den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen angepaßt habe, nicht aber auch noch gegen andere Vorschriften verstoßen wurde. Es hätte daher das Fahrverhalten des Beschwerdeführers dann den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960 nicht widersprochen, wenn damals eine trockene Fahrbahn vorgelegen wäre. Demnach ist der Umstand, daß das Überholmanöver auf einer nassen und rutschigen Straße erfolgte, überhaupt erst Voraussetzung dafür, das Fahrverhalten des Beschwerdeführers der Vorschrift des § 20 Abs. 1 StVO 1960 unterstellen zu können. Wie oben ausgeführt, müssen aber zu dem an sich tatbestandsmäßigen verkehrswidrigen Verhalten des Täters noch zusätzliche Sachverhaltselemente hinzukommen, wenn angenommen werden soll, daß die Tat unter „besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern“ begangen wurde. Solche zusätzliche Sachverhaltselemente hat aber die belangte Behörde nicht festgestellt, sodaß das Fahrverhalten des Beschwerdeführers nicht als ein Verstoß gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern angesehen werden kann.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die § 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundekanzlers vom 14. November 1972, BGBl. Nr. 427.
Wien, am 20. September 1973
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1973:1972000241.X00Im RIS seit
01.10.2021Zuletzt aktualisiert am
01.10.2021