TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/30 W236 2241752-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.04.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

30.04.2021

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §15
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs1 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z3
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W236 2241752-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Lena BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.03.2021, ZI. 1181760501/200933999, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine ukrainische Staatsangehörige, reiste unter Verwendung ihres von 12.06.2017 bis 12.06.2027 gültigen ukrainischen biometrischen Reisepasses am 20.01.2020 nach Österreich ein.

2. Am 07.06.2020 stellte die Beschwerdeführerin in Österreich einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck „Student“ nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, welcher mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 11.09.2020 abgewiesen wurde.

3. Am 21.09.2020 stellte die Beschwerdeführerin einen weiteren Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck „Student“, über den noch nicht entschieden wurde.

4. Am 30.09.2020 wurde die Beschwerdeführerin im Zuge ihrer Ausreise aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Ukraine am Flughafen Wien-Schwechat wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich angezeigt, weil sie sich länger als drei Monate im österreichischen Bundesgebiet aufgehalten habe, obwohl sie keinen gültigen Einreise- oder Aufenthaltstitel eines Vertragsstaates besitze. Im Anschluss an diese Amtshandlung reiste die Beschwerdeführerin via Flug nach Kiew aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

5. Am selben Tag wurde der Beschwerdeführerin ein schriftliches Parteiengehör des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl persönlich ausgefolgt, mit dem die Beschwerdeführerin von der Einleitung eines Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen sie in Kenntnis gesetzt und ihr Gelegenheit gegeben wurde, innerhalb von vierzehn Tagen zu näher angeführten Punkten eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Die Beschwerdeführerin machte mit Schreiben vom 04.10.2020 von dieser Möglichkeit Gebrauch und gab zusammengefasst an, in der Vergangenheit in Österreich als Au-pair tätig gewesen zu sein; derzeit erhalte sie von ihren Eltern Geld für das Studium bzw. ihren Aufenthalt in Österreich. Sie sei nach Österreich eingereist, um einen ÖSD-Test zu schreiben, den sie bestanden habe; sie habe auch den Zulassungsbescheid für die Universität erhalten. Sie habe innerhalb der drei Monate ihres visumfreien Aufenthaltes angefangen, die erforderlichen Dokumente für den Aufenthaltstitel „Student“ zu sammeln bzw. zu machen, dann sei jedoch Corona ausgebrochen und sie habe aufgrund gestrichener Zug- und Flugverbindungen keine Möglichkeit zur Ausreise gehabt. Sie habe bei der MA 35 einen Antrag auf Aufenthaltsbewilligung gestellt und fälschlicherweise geglaubt, dass die Bewilligung bereits ab dem Zeitpunkt der Antragstellung gültig sein werde und sie somit in Verbindung mit Hausverstand sowie der Absage aller Reisen nicht ausreisen solle. Erst mit dem Brief der MA 35, den sie am 21.09.2020 erhalten habe, sei ihr klar gewesen, dass die Bewilligung nicht so einfach funktioniere; sie habe sofort ein Ticket in die Ukraine gesucht, um möglichst schnell auszureisen.

7. Mit Strafverfügung vom 07.10.2020 wurde über die Beschwerdeführerin wegen der Verwaltungsübertretung des unrechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich gemäß §§ 31 Abs. 1a und Abs. 1 iVm 120 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, eine Geldstrafe in Höhe von 600,00 Euro, für den Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafe von drei Tagen und zehn Stunden, verhängt.

8. Mit oben genanntem, gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 09.03.2021 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 2 FPG gegen die Beschwerdeführerin (Spruchpunkt I.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG in die Ukraine zulässig sei (Spruchpunkt II.) und erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 3 FPG gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt III.). Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 23.03.2021 an ihrer Wohnsitzadresse in der Ukraine zugestellt.

Begründend wird darin zusammengefasst ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin ihre erlaubte Aufenthaltsdauer in Österreich überschritten habe und über keine darüberhinausgehende Aufenthaltsbewilligung in Österreich verfüge. Die Schwester der Beschwerdeführerin lebe legal in Österreich; allerdings habe mit dieser nie ein gemeinsamer Wohnsitz bestanden und lebe die übrige Kernfamilie der Beschwerdeführerin, bestehend aus ihren Eltern, in der Ukraine. Auch verfüge die Beschwerdeführerin über kein schützenswertes Privatleben in Österreich; ihre Bindungen zur Ukraine seien demgegenüber ausgeprägt. Eine wie immer geartete Gefährdung der Beschwerdeführerin in der Ukraine sei nicht ersichtlich. Gegen die Beschwerdeführerin sei wegen einer Übertretung des FPG eine Strafverfügung rechtskräftig geworden, was das Vorliegen einer Gefährdung für die Öffentlichkeit indiziere. Die Behörde gehe davon aus, dass die Beschwerdeführerin – deren Aufenthalt nicht nur aufgrund des Überschreitens der zulässigen Aufenthaltsdauer unrechtmäßig gewesen sei, sondern die gesamte Aufenthaltsdauer in Österreich, weil er keinem der in Anhang 1 des Art. 6 Abs. 3 des Schengener Grenzkodex genannten Gründe gedient habe – ihre Wohnsitznahme in Österreich in vollem Bewusstsein gemacht habe und ihren unrechtmäßigen Aufenthalt unter Missachtung der fremdenrechtlichen Bestimmungen in Kauf genommen habe. Die Beschwerdeführerin habe sich während ihrer gesamten Aufenthaltsdauer von 254 Tagen unrechtmäßig aufgehalten; ihr Verhalten stelle eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre.

9. Gegen diesen Bescheid erhob die nicht rechtsvertretene Beschwerdeführerin am 19.04.2021 fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang.

Begründend wird im Wesentlichen vorgebracht, dass sie sich beim Staat entschuldige, eine schriftliche Stellungnahme rechtzeitig geschickt, die Gründe für die spätere Ausreise erklärt und die Strafe rechtzeitig bezahlt habe. Sie stelle keine Gefahr für die Sicherheit des Staates dar und habe ihr Bestes getan, sich während ihres Aufenthaltes bei freiwilligen Sachen zu engagieren. Von der MA 35 habe sie nicht erfahren, dass sie ausreisen müsse oder keinen Antrag stellen dürfe; erst im September habe sie eine derartige Meldung bekommen und sei daraufhin sofort ausgereist. Sie hoffe, bald wieder im Schengenraum reisen und studieren zu dürfen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Verwaltungsakts der belangten Behörde, des Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes und Einsichtnahmen in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister, das Grundversorgungs-Informationssystem und das Strafregister werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zum Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin reiste unter Verwendung ihres von 12.06.2017 bis 12.06.2027 gültigen ukrainischen biometrischen Reisepasses am 20.01.2020 nach Österreich ein. Am 30.09.2020 reiste die Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Ukraine aus und wurde im Zuge dessen wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich angezeigt; am selben Tag leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen die Beschwerdeführerin ein.

Mit Bescheid vom 09.03.2021 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführerin, stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Ukraine zulässig sei und erließ gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang erhoben.

1.2. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist ukrainische Staatsangehörige und führt die im Spruch ersichtlichen Personalien. Ihre Identität steht fest.

Die Beschwerdeführerin stammt aus dem Oblast Dnipropetrowsk in der Ukraine, wo sie aufgewachsen ist, die Schule besucht und maturiert hat und wo nach wie vor ihre Eltern leben, die ihr ihren Lebensunterhalt finanzieren.

Die Beschwerdeführerin verfügte in Österreich über einen von 01.03.2018 bis 01.03.2019 gültigen Aufenthaltstitel „Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit“ und war damit als Au-pair tätig. Eine andere Aufenthaltsberechtigung – über den nach Art. 6 der Verordnung (EU) 2016/399 (Schengener Grenzkodex) iVm der Verordnung (EU) 2017/850) zulässigen Aufenthalt hinaus – hatte bzw. hat die Beschwerdeführerin weder in Österreich noch einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union.

Am 10.01.2020 reiste die Beschwerdeführerin per Flugzeug zum Zweck der Absolvierung eines Deutschtestes und der Vorbereitung der Aufnahme eines Studiums in Österreich nach Österreich ein und hielt sich bis 30.09.2020 in Österreich auf. Sie beantragte die Zulassung zu einer österreichischen Universität und stellte in weiterer Folge erstmals am 07.06.2020 einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck „Student“ nach dem NAG, welcher mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 11.09.2020 abgewiesen wurde. Nach Zustellung des diesen Antrag abweisenden Bescheides am 21.09.2020 reiste die Beschwerdeführerin unverzüglich am 30.09.2020 per Flugzeug aus dem österreichischen Bundesgebiet aus. Die Beschwerdeführerin ging davon aus, durch die Stellung dieses Antrages zum Aufenthalt in Österreich berechtigt zu sein. Am 21.09.2020 stellte die Beschwerdeführerin einen weiteren Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck „Student“, über den noch nicht entschieden wurde.

Die Beschwerdeführerin kann sich auf Deutsch verständigen. Sie möchte in Österreich studieren. Über enge soziale Anknüpfungspunkte in Österreich verfügt sie nicht. Die Schwester der Beschwerdeführerin lebt in Österreich und verfügt über einen bis 13.07.2021 gültigen Aufenthaltstitel mit dem Aufenthaltszweck „Student“; ein gemeinsamer Haushalt oder ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und ihrer Schwester besteht bzw. bestand nicht. Aktuelle wirtschaftliche Bezugspunkte zu Österreich hat die Beschwerdeführerin nicht.

Die Beschwerdeführerin ist gesund.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Mit Strafverfügung vom 07.10.2020 wurde über die Beschwerdeführerin wegen der Verwaltungsübertretung des unrechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich gemäß §§ 31 Abs. 1a und Abs. 1 iVm 120 Abs. 1a FPG eine Geldstrafe in Höhe von 600,00 Euro, für den Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafe von drei Tagen und zehn Stunden, verhängt. Die Beschwerdeführerin bezahlte diese Strafe.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr in die Ukraine:

Eine Ausreise der Beschwerdeführerin aus Österreich in die Ukraine ab 09.04.2020 war unter erschwerten Bedingungen möglich. Spätestens ab August 2020 war der Beschwerdeführerin eine Ausreise in die Ukraine problemlos möglich.

Die Beschwerdeführerin ist in der Ukraine nicht bedroht oder verfolgt und läuft nicht konkret Gefahr, in der Ukraine der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe beziehungsweise der Todesstrafe unterworfen zu werden oder in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in der Ukraine:

Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern wird unter auszugsweiser Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

„Länderspezifische Anmerkungen

Letzte Änderung: 16.10.2020

Durch die Ereignisse der letzten Jahre hat die ukrainische Regierung de facto nicht die vollständige Kontrolle über ihr Staatsgebiet.

Die Halbinsel Krim wurde am 16.3.2014 durch ein international nicht anerkanntes Referendum von Russland völkerrechtswidrig annektiert. Außerdem haben sich Teile der Ostukraine als von der Ukraine unabhängig erklärt. Diese separatistischen Gebiete bezeichnen sich selbst als die Volksrepubliken Donezk und Luhansk.

Grundsätzliche Aussagen zur Ukraine gelten vorerst nicht für die Halbinsel Krim und die Gebiete der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk, außer es wird ausdrücklich anderes angemerkt!

In den westlichen Landesteilen ist die Lage grundsätzlich ruhig – nähere Informationen sind den Länderinformationen zu entnehmen.

Hinweis:

Die Länderinformationen gehen auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sowie auf eventuelle Maßnahmen gegen diese nur insoweit ein, wie sie der Staatendokumentation für asyl- und fremdenrechtliche Verfahren in Österreich relevant erscheinen. Betreffend die aktuelle Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in der Ukraine empfiehlt die Staatendokumentation, bei Interesse/Bedarf folgende - täglich aktualisierte - Websites zu kontaktieren: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports (WHO), https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 (Johns-Hopkins-Universität).

COVID-19

Letzte Änderung: 01.02.2021

Vom 8. bis 24. Jänner 2021 galten in der Ukraine strenge Quarantänebestimmungen (Gov.ua 7.1.2021; vgl. UP 27.1.2021). Das ukrainische Gesundheitsministerium stellte eine Stabilisierung der Covid-Situation nach den Weihnachts- und Neujahrsfeiertagen fest und beschloss eine Lockerung der Quarantänebestimmungen. Seit dem 25. Jänner 2021 bis 28. Februar 2021 gelten in der Ukraine u.a. folgende Quarantänebestimmungen: (Hoch-)Schulen setzen den Präsenzunterricht wieder fort. In Restaurants und Kaffeehäusern dürfen Speisen und Getränke nun direkt konsumiert werden. Handelsgeschäfte sind wieder geöffnet. Theater- und Kinobesuche sowie sportliche Betätigung innerhalb von Gebäuden sind nun gestattet. Sporteinrichtungen, Museen, Galerien usw. müssen ausreichende Abstandsregelungen beachten (UP 27.1.2021; vgl. UNIAN 25.1.2021, AA 25.1.2021). Verboten sind u.a. die Durchführung von Massenveranstaltungen im Kultur-, Sport- und Gastronomiebereich usw. und öffentliche Bewirtung zwischen 23 Uhr und 7 Uhr (mit Ausnahme von Bestellungslieferungen) (UNIAN 25.1.2021; vgl. AA 25.1.2021). Es herrscht Maskenpflicht im öffentlichen Raum, so auch in öffentlichen Verkehrsmitteln (Gov.ua 7.1.2021, UNIAN 25.1.2021; vgl. WKO 26.1.2021).

Laut Gesundheitsministerium stehen ungefähr 66.000 Spitalsbetten für die COVID-19-Behandlung bereit, von denen ca. 76% über Sauerstoffzufuhranlagen verfügen (IU 4.1.2021).

Die regierungseigene Covid-Homepage verlautbart, bisher (Stichtag 28.1.2021) insgesamt 6.184.320 Covid-Tests durchgeführt zu haben (CMU 28.1.2021).

Nach Aussagen des Premierministers wird die erste Lieferung von 100.000-200.000 COVAX-Impfstoffdosen Ende Jänner 2021 erwartet. Es existiert eine vorläufige Vereinbarung über die Lieferung von mehr als 30 Millionen Dosen (Gov.ua 26.1.2021; vgl. Gavi 15.12.2020). Der Premierminister weist auf die Freiwilligkeit der Impfung hin und prognostiziert den Impfbeginn mit Februar 2021 (Gov.ua 26.1.2021).

Die ukrainische Regierung verteilte im Jänner 2021 80 Millionen US-Dollar an 278.000 Arbeitnehmer und Kleinunternehmer, um die finanziellen Folgen der Covid-Pandemie abzufedern (RFE/RL 2.1.2021).

Laut jüngsten Zahlen des Ukrainischen Statistikamts ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im 3. Quartal 2020 im Vergleich zum Wert des Vorjahres um 3,5% gesunken. Im 2. Quartal 2020 war das BIP um 11,4% gesunken (SSSU o.D.; vgl. WIIW o.D.).

Ein Einreiseverbot in die Ukraine bzw. Beschränkungen im internationalen Reiseverkehr sind derzeit nicht vorgesehen (AA 25.1.2021; vgl. WKO 26.1.2021). Die Flughäfen in Kiew, Dnipro, Charkiw, Lwiw, Odessa und Saporischschja sind für den internationalen und inländischen Flugverkehr geöffnet. Bei der Einreise wird zwischen Ländern der grünen und roten Zone unterschieden. Staatsangehörige von Ländern der roten Zone oder Personen, die sich in den letzten 14 Tagen in solchen Ländern aufgehalten haben, müssen bei Einreise in die Ukraine einen aktuellen negativen COVID-PCR-Test vorweisen oder in 14-tägige Quarantäne (mit der Möglichkeit der Freitestung). Kinder unter 12 Jahren dürfen ohne Quarantäne in die Ukraine einreisen (WKO 26.1.2021).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt Deutschland (25.1.2021): Ukraine: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung und COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ukraine-node/ukrainesicherheit/201946, Zugriff 28.1.2021

?        CMU – Cabinet of Ministers of Ukraine (28.1.2021): COVID-19 pandemic in Ukraine: Current information about coronavirus and quarantine, https://covid19.gov.ua/en/, Zugriff 28.1.2021

?        Gavi – Global Alliance for Vaccines and Immunisation (15.12.2020): COVAX - List of participating economies, https://www.gavi.org/sites/default/files/covid/pr/COVAX_CA_COIP_List_COVAX_PR_15-12.pdf, Zugriff 28.1.2021

?        Gov.ua – Government Portal of Ukraine (7.1.2021): Increased quarantine restrictions will take effect in Ukraine on January 8, https://www.kmu.gov.ua/en/news/z-8-sichnya-v-ukrayini-pochinayut-diyati-posilenni-karantinni-obmezhennya, Zugriff 28.1.2021

?        Gov.ua – Government Portal of Ukraine (26.1.2021): Vaccination against COVID-19 will begin in February, says the Prime Minister, https://www.kmu.gov.ua/en/news/vakcinaciya-vid-covid-19-pochnetsya-v-lyutomu-premyer-ministr, Zugriff 28.1.2021

?        IU – Interfaks Ukraine (4.1.2021): ?????????? ? ??????? ?????????? 76,4% ???????? ???? – ???????? (76,4% der Covid-Betten in der Ukraine mit Sauerstoff ausgestattet – Stepanow), https://interfax.com.ua/news/pharmacy/714078.html, Zugriff 28.1.2021

?        RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (2.1.2021): Ukraine's Health-Care System, Economy Struggle To Cope With COVID-19, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043189.html, Zugriff 28.1.2021

?        SSSU – State Statistics Service of Ukraine (o.D.): Grafik "Macroeconomic indicators: Real GDP change", https://ukrstat.org/en, Zugriff 28.1.2021

?        UNIAN – ?????????? ????????? ???????????? ????????? ????? (Ukrainische unabhängige Nachrichtenagentur) (25.1.2021): ??????? ??????? ?? ???????? ?????????: ????? ??????????? ????????? ? 25 ?????? (???????????) (Ukraine beendet strikte Quarantäne: Welche Einschränkungen seit dem 25. Jänner gelten (Infografik)), https://covid.unian.net/lokdaun-zavershilsya-spisok-ogranicheniy-v-ukraine-s-25-yanvarya-11295872.html, Zugriff 28.1.2021

?        UP – Ukrainska Prawda (27.1.2021): COVID ? ???????: 3,8 ?????? ????? ???????, 2,4 ?????? ?????????????? (COVID in der Ukraine: 3.800 neue Fälle, 2.400 Spitalseinweisungen), https://www.pravda.com.ua/rus/news/2021/01/27/7281337/, Zugriff 28.1.2021

?        WIIW – Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (o.D.): Ukraine – Overview, https://wiiw.ac.at/ukraine-overview-ce-14.html, Zugriff 28.1.2021

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (26.1.2021): Coronavirus: Situation in der Ukraine, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-ukraine.html, Zugriff 28.1.2021

[…]

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 09.07.2020

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 29.2.2020).

Die Sicherheitslage außerhalb der besetzten Gebiete im Osten des Landes ist im Allgemeinen stabil. Allerdings gab es in den letzten Jahren eine Reihe von öffentlichkeitswirksamen Attentaten und Attentatsversuchen, von denen sich einige gegen politische Persönlichkeiten richteten (FH 4.3.2020). In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk wurde nach Wiederherstellung der staatlichen Ordnung der Neuaufbau begonnen. Die humanitäre Versorgung der Bevölkerung ist sichergestellt (AA 29.2.2020).

Russland hat im März 2014 die Krim annektiert und unterstützt seit Frühjahr 2014 die selbst erklärten separatistischen „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine. Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen im Osten sind über 13.000 Menschen getötet und rund 30.000 Personen verletzt worden, davon laut OHCHR zwischen 7.000 und 9.000 Zivilisten. 1,5 Mio. Binnenflüchtlinge sind innerhalb der Ukraine registriert; nach Schätzungen von UNHCR sind weitere 1,55 Mio. Ukrainer in Nachbarländer (Russland, Polen, Belarus) geflohen (AA 29.2.2020). Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt. Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert, Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Schäden ergeben sich auch durch Kampfmittelrückstände (v.a. Antipersonenminen). Mit der Präsidentschaft Selenskyjs hat der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland), insbesondere nach dem Pariser Gipfel im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland) am 9. Dezember 2019 wieder an Dynamik gewonnen. Fortschritte beschränken sich indes überwiegend auf humanitäre Aspekte (Gefangenenaustausch). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die unter anderem aufgrund der Unmöglichkeit, dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Gleichwohl hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten „Sonderstatusgesetzes“ bis Ende 2020 verlängert (AA 29.2.2020).

Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehende Auswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten. (AA 22.2.2019; vgl. FH 4.2.2019). Die Besatzung der involvierten ukrainischen Schiffe wurde im September 2019 freigelassen, ihre Festnahme bleibt indes Gegenstand eines von der Ukraine angestrengten Verfahrens vor dem Internationalen Seegerichtshof (AA 29.2.2020).

Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den offiziellen Einsatz der russischen Streitkräfte gegen die Ukraine. Dafür gibt es einen historischen Präzedenzfall. Als im August 2008 russische Truppen in Georgien einmarschierten, begründete der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht, „das Leben und die Würde russischer Staatsbürger zu schützen, wo auch immer sie sein mögen“. In den Jahren zuvor hatte Russland massenhaft Pässe an die Bewohner der beiden von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ausgegeben (FAZ 26.4.2019; vgl. SO 24.4.2019).

Frieden in der Ostukraine gehörte zu den zentralen Versprechen von Wolodymyr Selenskyj während seiner Wahlkampagne 2019. In der Tat gelangen ihm einige Durchbrüche innerhalb der ersten zehn Monate seiner Präsidentschaft. Es kam zu einem mehrmaligen Austausch von Gefangenen, zur Entflechtung der Streitkräfte beider Seiten an drei Abschnitten der Kontaktlinie, zu einer relativ erfolgreichen Waffenruhe im August 2019 und zum Normandie-Treffen unter Teilnahme des russischen, französischen und ukrainischen Präsidenten sowie der deutschen Bundeskanzlerin. An der Dynamik des Konfliktes hat sich jedoch wenig verändert. Im Donbas wird weiterhin geschossen und die gegenwärtigen Verluste des ukrainischen Militärs sind mit denen in den Jahren 2018 und 2019 vergleichbar. In den ersten drei Monaten 2020 starben 27 ukrainische Soldaten in den Kampfhandlungen (KAS 4.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf, Zugriff 19.5.2020

?        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.4.2019): Ein Signal an Selenskyj, https://www.faz.net/aktuell/politik/putin-verteidigt-russische-staatsbuergerschaft-fuer-ukrainer-16157482.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0, Zugriff 25.5.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025958.html, Zugriff 19.5.2020

?        KAS – Konrad Adenauer Stiftung (4.2020): Ukrainische Politik im Schatten der Pandemie: Teil 1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028885/Ukrainische+Politik+im+Schatten+der+Pandemie.+Teil+1.pdf, Zugriff 25.5.2020

?        SO – Spiegel Online (24.4.2019): Putins Provokation, https://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-wladimir-putin-kuendigt-an-russische-paesse-im-besetzten-donbass-auszuteilen-a-1264280.html, Zugriff 25.5.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 09.07.2020

Der Schutz der Menschenrechte durch die Verfassung ist gewährleistet (AA 29.2.2020; vgl. GIZ 3.2020a). Jedoch bestehen in der Ukraine gegenwärtig noch Unzulänglichkeiten in der Umsetzung und Gewährung der Menschenrechte, was insbesondere die Bereiche Folter, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Behandlung von Geflüchteten und sozialen (LGBTQ) bzw. ethnischen Minderheiten (Roma) betrifft. 2019 stufte Freedom House die Ukraine auf „partly free“ ab (GIZ 3.2020a). Zu den Menschenrechtsproblemen gehören darüber hinaus u.a. rechtswidrige oder willkürliche Tötungen; Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen durch Vollzugspersonal; schlechte Bedingungen in Gefängnissen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; Einschränkungen der Internetfreiheit und Korruption. Die Regierung hat es im Allgemeinen versäumt, angemessene Schritte zu unternehmen, um Fehlverhalten von Beamten strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen stellten erhebliche Mängel bei den Ermittlungen zu mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte fest (USDOS 11.3.2020).

Die Möglichkeit von NGOs, sich im Bereich Menschenrechte zu betätigen, unterliegt keinen staatlichen Restriktionen (AA 29.2.2020). Die Verfassung sieht eine vom Parlament bestellte Ombudsperson vor, den parlamentarischen Menschenrechtsbeauftragten. Das Amt wird derzeit von Lyudmila Denisova bekleidet. Ihr Büro arbeitet bei verschiedenen Projekten zur Überwachung von Menschenrechtspraktiken in Gefängnissen und anderen staatlichen Institutionen häufig mit NGOs zusammen. Die Ombudsperson bemühte sich in der Vergangenheit speziell um Krimtataren, IDPs, Roma, Menschen mit Behinderungen, und von Russland inhaftierte politische Gefangene. Sie ist auch bei Problemen mit der Justiz jederzeit ansprechbar (USDOS 11.3.2020).

Die Verfassung schreibt die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ausdrücklich vor. Auch im Übrigen gibt es keine rechtlichen Benachteiligungen. Nach ukrainischem Arbeitsrecht genießen Frauen die gleichen Rechte wie Männer. Tatsächlich werden sie jedoch häufig schlechter bezahlt und sind in Spitzenpositionen unterrepräsentiert. Nach 2018 kam es auch am 8. März 2019 bei Veranstaltungen und Paraden zum Frauentag in mehreren Städten zu Zwischenfällen mit rechten Gruppierungen (AA 29.2.2020). Durch den bewaffneten Konflikt kommt es vermehrt zu häuslicher Gewalt und Gender Based Violence (GBV), von der vor allem Frauen betroffen sind. Ein neues Gesetz, das häusliche Gewalt als Straftatbestand deklariert, wurde im Dezember 2017 angenommen. Es gibt jedoch kaum ausreichend psychosoziale und medizinische (Notfall-) Einrichtungen mit geschultem Personal (ÖB 2.2019). Frauen und Mitglieder von Minderheitengruppen können am politischen Leben in der Ukraine teilnehmen (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Diese Rechte werden jedoch durch Faktoren wie Diskriminierung, den Konflikt im Osten, Analphabetismus und das Fehlen von Ausweisdokumenten (häufig bei Roma) geschmälert. Das Gesetz über Kommunalwahlen schreibt eine 30%-Quote für Frauen auf Parteilisten vor, die jedoch nicht wirksam durchgesetzt wird (FH 4.3.2020). Nach den Parlamentswahlen vom Juli 2019 stieg der Anteil der Frauen im Parlament von 12 auf 20% (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Die gesellschaftliche Diskriminierung von sexuellen Minderheiten beeinträchtigt ihre Fähigkeit, sich an politischen Prozessen und Wahlprozessen zu beteiligen (FH 4.3.2020).

Die Aktivitäten von Oppositionsparteien und -gruppen sowie die Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit unterliegen keinen rechtsstaatlichen Restriktionen (AA 29.2.2020). Die Medienlandschaft zeichnet sich durch einen beträchtlichen Pluralismus sowie offene Kritik an der Regierung aus (FH 4.3.2020). Meinungs- und Pressefreiheit leiden jedoch weiter hinunter der wirtschaftlichen Schwäche des unabhängigen Mediensektors und dem Übergewicht von Medien, die Oligarchen gehören oder von ihnen finanziert werden. Repressionen und Angriffe gegenüber Journalisten sind insgesamt rückläufig; besorgniserregend bleiben aber die oftmals fehlenden Ermittlungserfolge und die daraus resultierende Straflosigkeit – selbst in schwerwiegenden Fällen. Diverse russische soziale Medien und populäre Onlinedienste bleiben seit einem Dekret von Mai 2017 weiter verboten. Aus diesen Gründen verbleibt die Ukraine trotz großer Fortschritte gegenüber den Jahren vor dem Euromaidan im „Reporter ohne Grenzen“-Index auf Platz 102 von 180 Staaten (AA 29.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Im Jahr 2018 erneuerten die Behörden bestehende Maßnahmen gegen eine Reihe russischer Nachrichtenagenturen und ihre Journalisten. Verschiedene Sprachgesetze schreiben Nachrichtenagenturen vor, dass bestimmte Inhalte in ukrainischer Sprache verfasst sein müssen. Im Jahr 2019 bestätigte der Oberste Gerichtshof der Ukraine regionale Verbote für russischsprachige "Kulturprodukte", darunter Bücher und Filme (FH 4.3.2020). Die Regierung setzte die Praxis fort, bestimmte Werke russischer Schauspieler, Filmregisseure und Sänger zu verbieten und Sanktionen gegen pro-russische Journalisten zu verhängen (USDOS 11.3.2020).

Von einigen Ausnahmen abgesehen, können Einzelpersonen im Allgemeinen öffentlich und privat Kritik an der Regierung üben und Angelegenheiten von öffentlichem Interesse diskutieren, ohne offizielle Repressalien befürchten zu müssen. Das Gesetz verbietet jedoch Aussagen, die die territoriale Integrität bzw. nationale Sicherheit des Landes bedrohen, den Krieg fördern, einen Rassen- oder Religionskonflikt befeuern oder die russische Aggression gegen das Land unterstützen, und die Regierung verfolgt Personen nach diesen Gesetzen (USDOS 11.3.2020). Gewalt und Drohungen gegen Journalisten bleiben weiterhin ein Problem (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Das unabhängige Institut für Masseninformation registrierte von Januar bis Anfang Dezember 2019 226 Verstöße gegen die Medienfreiheit, darunter die Ermordung eines Journalisten. Weitere Verstöße waren 20 Fälle von Schlägen, 16 Cyberangriffe, 93 Fälle von Einmischung, 34 Fälle von Bedrohung und 21 Fälle von Einschränkung des Zugangs zu öffentlichen Informationen (FH 4.3.2020). Die Qualität des ukrainischen Journalismus leidet nicht nur unter russischer Propaganda, Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik sowie der wirtschaftlichen Krise, sondern auch unter einer nicht zufriedenstellenden Ausbildung und Einhalten von journalistischen Standards (GIZ 3.2020a). Die Strafverfolgungsbehörden überwachen das Internet, zeitweise ohne entsprechende rechtliche Befugnisse, und unternahmen 2019 schwerwiegende Schritte, um den Zugang zu Websites aufgrund von "nationalen Sicherheitsbedenken" zu blockieren. Gerichte sollen auch begonnen haben, den Zugang zu Websites aus anderen Gründen als der nationalen Sicherheit zu blockieren. Es gab Berichte darüber, dass die Regierung Einzelpersonen wegen ihrer Beiträge in sozialen Medien strafrechtlich verfolgte (USDOS 11.3.2020).

Die Verfassung sieht die Versammlungsfreiheit vor und die Regierung respektiert dieses Recht im Allgemeinen. Gelegentlich wird berichtet, dass die Polizei übermäßige Gewalt anwendet, um Proteste aufzulösen. In Kiew, Odessa und Charkiw fanden groß angelegte LGBT-Veranstaltungen weitgehend friedlich und unter dem Schutz tausender Polizeibeamter statt. Bisweilen schützte die Polizei die Teilnehmer vor oder nach diesen Veranstaltungen nicht ausreichend vor Angriffen, und auch kleinere Demonstrationen, insbesondere von Minderheiten oder oppositionellen politischen Bewegungen, wurden nicht ausreichend geschützt. Veranstaltungen von Frauenrechtsaktivisten oder der LGBT-Gemeinschaft wurden regelmäßig von Mitgliedern gewalttätiger radikaler Gruppen gestört (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Zu den Pflichten des Veranstalters von friedlichen Versammlungen zählt unter anderem die Anmeldung der Veranstaltung im Vorfeld bei den örtlich zuständigen Behörden. Die Fristen, die in diesem Zusammenhang anzuwenden sind, sind jedoch nicht klar geregelt und variieren je nach vertretener Auffassung zwischen drei und zehn Tagen. Diese Unklarheit lässt den öffentlichen Behörden einen relativ großen Freiraum, Versammlungen zu untersagen (ÖB 2.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Tatsächlich wird die Abhaltung von friedlichen Versammlungen von den Behörden regelmäßig abgelehnt. Als gängige Begründungen dienen die zu späte Ankündigung der Demonstration, der Mangel an verfügbaren Polizisten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der gleichzeitige Besuch einer offiziellen ausländischen Delegation oder das gleichzeitige Stattfinden einer anderen Veranstaltung am gleichen Ort. Auch die Definition der „Friedlichkeit“ einer Versammlung ist nicht immer unstrittig (ÖB 2.2019).

Die Verfassung und das Gesetz sehen die Vereinigungsfreiheit vor und die Regierung respektiert dieses Recht im Allgemeinen. Menschenrechtsorganisationen berichten für 2019 über einen Rückgang der Angriffe auf Aktivisten, nachdem die Zahl der Angriffe 2018 sprunghaft angestiegen war (37 Angriffe 2019, gegenüber 66 im Jahr 2018). Einige zivilgesellschaftliche Organisationen geben jedoch an, dass dies aufgrund von mangelnder Berichterstattung sei, und dass sich Aktivisten gegen eine Beschwerde entscheiden würden, da sie Verfolgung fürchten. Menschenrechts-NGOs sind nach wie vor besorgt über die mangelnde Rechenschaftspflicht bei Angriffen auf Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen (USDOS 11.3.2020). Angriffe auf Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft und Angehörige von Minderheitengruppen sind häufig, und die Reaktion der Polizei ist oft unzureichend (FH 4.3.2020). Sowohl natürliche als auch juristische Personen können einen Verein gründen. Die Vereinsgründung kann nur aus im Gesetz eng definierten Gründen untersagt werden (ÖB 2.2019). Mit Ausnahme eines Verbots der Kommunistischen Partei gibt es keine formellen Hindernisse für die Gründung und den Betrieb politischer Parteien. In den letzten Jahren entstanden mehrere politische Parteien. Ein Gesetz aus dem Jahr 2016 regelt die staatliche Finanzierung im Parlament vertretener Parteien; die Regelung begünstigt etablierte Parteien gegenüber neu entstandenen. Oppositionsgruppen sind im Parla-ment vertreten und ihre politischen Aktivitäten werden im Allgemeinen nicht durch administrative Beschränkungen behindert. Neue Kleinparteien haben Schwierigkeiten mit etablierten Parteien zu konkurrieren, welche die Unterstützung politisch vernetzter Oligarchen genießen (FH 4.3.2020).

Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der ungestörten Religionsausübung wird von der Verfassung garantiert und von der Regierung in ihrer Politik gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften respektiert (AA 29.2.2020). Laut Befragungen sind 67,3% der Ukrainer christlich-orthodox. Davon gehören 28,7% zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats (UOC-KP), 12,8% zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats (UOC-MP), 0,3% zur ukrainisch-autokephalen Kirche (UAOC) und 23,4% bezeichnen sich als „schlicht orthodox“. 9,4% der Ukrainer sind griechisch-katholisch, 0,4% jüdisch, 0,8% römisch-katholisch, 2,2% protestantisch und 0,2% muslimisch. Weitere 7,7% identifizieren sich als „Christen“ und 11% geben an, dass sie keiner religiösen Gruppe angehören (USDOS 21.6.2019). Kleinere religiöse Gruppen berichten jedoch weiterhin von einer gewissen Diskriminierung. So werfen Gläubige der russisch-orthodoxen Kirche dem ukrainischen Staat vereinzelt Verletzungen der Religionsfreiheit vor. Im Oktober 2018 erhielten ukrainisch-orthodoxe Kleriker die Erlaubnis der religiösen Behörden in Istanbul, dem historischen Sitz der östlichen orthodoxen Kirche, zur Errichtung einer eigenen autokephalen Kirche außerhalb der kanonischen Gerichtsbarkeit der russisch-orthodoxen Kirche. Im Dezember 2018 wurde diese neue orthodoxe Kirche der Ukraine gegründet, um die bestehenden Denominationen zu vereinigen. Der Kreml und die Kirchenführer in Moskau lehnen diesen Schritt entschieden ab (FH 4.3.2020). Die Gründung der orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) hat zwar zu heftigen kircheninternen Auseinandersetzungen geführt, verlief insgesamt aber weitestgehend friedlich. Die OKU wurde inzwischen durch die Patriarchen von Konstantinopel und Alexandrien sowie durch die orthodoxe Kirche Griechenlands formal anerkannt (AA 29.2.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf, Zugriff 19.5.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025958.html, Zugriff 19.5.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Länderinformationsportal, Ukraine, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/ukraine/geschichte-staat/#c4037, Zugriff 22.5.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003113/UKRA_%C3%96B-Bericht_2018.doc, Zugriff 20.5.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026415.html, Zugriff 19.5.2020

?        USDOS – US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2011020.html, Zugriff 22.5.2020

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 09.07.2020

In Gebieten unter Regierungskontrolle ist die Bewegungsfreiheit im Allgemeinen nicht eingeschränkt. Das komplizierte ukrainische System, das von Einzelpersonen verlangt, dass sie sich rechtmäßig an einer Adresse registrieren lassen müssen, um wählen und bestimmte Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können, stellt jedoch ein Hindernis für die volle Bewegungsfreiheit dar, insbesondere für Vertriebene und Personen ohne offizielle Adresse, wo sie für offizielle Zwecke registriert werden könnten (FH 4.3.2020).

Verfassung und Gesetz gewähren den Bürgern Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Rückkehr. Die Regierung schränkt diese Rechte jedoch ein, insbesondere im östlichen Teil des Landes in der Nähe der Konfliktzone. Die Regierung und die von Russland geführten Kräfte kontrollieren die Bewegungen zwischen den von der Regierung kontrollierten Gebieten und den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten in der Region Donbas streng. Das Überschreiten der Kontaktlinie ist weiterhin mühsam. Am 17. Juli 2019 verabschiedete die Regierung neue Bestimmungen, die den Menschen mehr Flexibilität beim Transport von Gegenständen über die Kontaktlinie bieten sollten. Der öffentliche Personentransport über die Grenze bleibt verboten; private Beförderungsmittel sind zu hohen Preisen verfügbar und für die Mehrheit der Reisenden im Allgemeinen unbezahlbar. Obwohl es fünf Grenzübergänge gibt, waren während eines Großteils des Jahres 2019 nur vier in Betrieb. Nach Angaben des HRMMU überquerten zwischen Mai und August 2019 täglich durchschnittlich 39.000 Personen die Kontaktlinie. Das Pass-System, welches die ukrainische Regierung für den Übertritt vorsieht, bringt erhebliche Härten für Personen mit sich, die in das von der Regierung kontrollierte Gebiet einreisen, besonders für diejenigen, die Renten und staatliche Leistungen erhalten wollen (USDOS 11.3.2020). Rentner mit eingeschränkter Mobilität aufgrund von Krankheit, Behinderung oder fortschreitendem Alter, die in nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten im Osten der Ukraine leben, sehen sich überwältigenden Schwierigkeiten beim Zugang zu ihren Renten gegenüber oder erhalten diese überhaupt nicht (HRW 24.1.2020). Die Regierung versuchte, das Pass-System zu reformieren, und führte ein Online-Antragsverfahren zur Kontrolle der Einreise in das von der Regierung kontrollierte Gebiet ein, wobei die Maßnahme jedoch wenig Verbesserung brachte. Viele Personen in den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten haben keinen Zugang zum Internet, um solche Pässe zu erhalten (USDOS 11.3.2020).

Die Ausreisefreiheit wird (vorbehaltlich gesetzlicher Einschränkungen) von der Verfassung garantiert. Ausreisewillige ukrainische Staatsangehörige müssen über einen Reisepass verfügen, der auf Antrag und gegen Gebühr ausgestellt wird. Bei Ausreise zur ständigen Wohnsitznahme im Ausland ist zudem zuvor ein gebührenpflichtiger Sichtvermerk des Staatlichen Migrationsdienstes einzuholen und dem Zoll eine Bestätigung des zuständigen Finanzamts vorzulegen, dass sämtliche steuerlichen Verpflichtungen erfüllt wurden. Weitergehende Verpflichtungen sind seit 1. Oktober 2016 entfallen. Die ukrainischen Grenzschutzbehörden kontrollieren an der Grenze, ob ein gültiger Reisepass und gegebenenfalls ein Visum des Ziellandes vorliegen, der Ausreisende in der Ukraine zur Fahndung ausgeschrieben ist oder andere Ausreisehindernisse bestehen. Ausgereist wird vornehmlich auf dem Landweg. Derzeit liegen keine Erkenntnisse vor, dass bei männlichen Reisenden an der Grenze der Status ihrer Wehrpflicht überprüft wird (AA 29.2.2020).

Die von Russland geführten Kräfte behindern weiterhin die Bewegungsfreiheit im östlichen Teil des Landes. An der Grenze zwischen der russisch besetzten Krim und dem Festland gibt es strenge Passkontrollen. Es gibt keinen Eisenbahn- und kommerziellen Busverkehr über die Verwaltungsgrenze; Menschen müssen die Verwaltungsgrenze entweder zu Fuß oder mit einem Privatfahrzeug überqueren (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf, Zugriff 19.5.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025958.html, Zugriff 19.5.2020

?        HRW – Human Rights Watch (24.1.2020): Ukraine: People with Limited Mobility Can’t Access Pensions, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023448.html, Zugriff 19.5.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026415.html, Zugriff 19.5.2020

Grundversorgung

Letzte Änderung: 09.07.2020

Die makroökonomische Lage hat sich nach schweren Krisenjahren stabilisiert. Ungeachtet der durch den Konflikt in der Ostukraine hervorgerufenen Umstände wurde 2018 ein Wirtschaftswachstum von 3,3% erzielt, das 2019 auf geschätzte 3,6% angestiegen ist. Die Staatsverschuldung ist in den letzten Jahren stark angestiegen und belief sich 2018 auf ca. 62,7% des BIP (2013 noch ca. ein Drittel). Der gesetzliche Mindestlohn wurde zuletzt mehrfach erhöht und beträgt seit Jahresbeginn 4.173 UAH (ca. 130 EUR) (AA 29.2.2020).

Die EU avancierte zum größten Handelspartner der Ukraine. Der Außenhandel mit Russland nimmt weiterhin ab. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU regelt das Assoziierungsabkommen, das am 1. September 2017 vollständig in Kraft getreten ist (GIZ 3.2020b).

Die Existenzbedingungen sind im Landesdurchschnitt knapp ausreichend. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. Vor allem in ländlichen Gebieten stehen Strom, Gas und warmes Wasser zum Teil nicht immer ganztägig zur Verfügung (AA 29.2.2020; vgl. GIZ 12.2018). Die Situation, gerade von auf staatliche Versorgung angewiesenen älteren Menschen, Kranken, Behinderten und Kindern, bleibt daher karg. Die Ukraine gehört trotzt zuletzt deutlich steigender Reallöhne zu den ärmsten Ländern Europas. Das offizielle BIP pro Kopf gehört zu den niedrigsten im Regionalvergleich und beträgt lediglich ca. 3.221 USD p.a. Ein hoher Anteil von nicht erfasster Schattenwirtschaft muss in Rechnung gestellt werden (AA 29.2.2020). Die Mietpreise für Wohnungen haben sich in den letzten Jahren in den ukrainischen Großstädten deutlich erhöht. Wohnraum von guter Qualität ist knapp (GIZ 12.2018). Insbesondere alte bzw. schlecht qualifizierte und auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbare Menschen leben zum Teil weit unter der Armutsgrenze (GIZ 3.2020b). Ohne zusätzliche Einkommensquellen (in ländlichen Gebieten oft Selbstversorger, Schattenwirtschaft) bzw. private Netzwerke ist es insbesondere Rentnern und sonstigen Transferleistungsempfängern kaum möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sozialleistungen und Renten werden zwar regelmäßig gezahlt, sind aber trotz regelmäßiger Erhöhungen größtenteils sehr niedrig (Mindestrente zum 1. Dezember 2019: 1.638 UAH (ca. 63 EUR) (AA 29.2.2020). Nachdem die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten weit hinter den Möglichkeiten im EU-Raum, aber auch in Russland, zurückbleiben, spielt Arbeitsmigration am ukrainischen Arbeitsmarkt eine nicht unbedeutende Rolle (ÖB 2.2019).

Das ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eingeführte ukrainische Sozialversicherungssystem umfasst eine gesetzliche Pensionsversicherung, eine Arbeitslosenversicherung und eine Arbeitsunfallversicherung. Aufgrund der Sparpolitik der letzten Jahre wurde im Sozialsystem einiges verändert, darunter Anspruchsanforderungen, Finanzierung des Systems und beim Versicherungsfonds. Die Ausgaben für das Sozialsystem im nicht-medizinischen Sektor sanken von 23% des BIP im Jahr 2013 auf 18,5% im Jahr 2015 und danach weiter auf 17,8%. Dies ist vor allem auf Reduktion von Sozialleistungen, besonders der Pensionen, zurückzuführen. Das Wirtschaftsministerium schätzte den Schattensektor der ukrainischen Wirtschaft 2017 auf 35%, andere Schätzungen gehen eher von 50% aus. Das Existenzminimum für eine alleinstehende Person wurde für Jänner 2019 mit 1.853 UAH beziffert (ca. 58 EUR), ab 1. Juli 2019 mit 1.936 UAH (ca. 62 EUR) und ab 1. Dezember 2019 mit 2.027 (ca. 64,5 EUR) festgelegt. Alleinstehende Personen mit Kindern können in Form einer Beihilfe für Alleinerziehende staatlich unterstützt werden. Diese wird für Kinder unter 18 Jahren (bzw. StudentInnen unter 23 Jahren) ausbezahlt. Die Zulage orientiert sich am Existenzminimum für Kinder (entspricht 80% des Existenzminimums für alleinstehende Personen) und dem durchschnittlichen Familieneinkommen. Diese Form von Unterstützung ist mit einer maximalen Höhe von 1.626 UAH (ca. 50,8 EUR) für Kinder im Alter bis zu 6 Jahren, 2.027 UAH (ca. 63,3 EUR) für Kinder im Alter von 6 bis 18 Jahren bzw. 1.921 UAH (ca. 60 EUR) für Kinder im Alter von 18 bis 23 Jahren pro Monat gedeckelt. Außerdem ist eine Hinterbliebenenrente vorgesehen, die monatlich 50% der Rente des Verstorbenen für eine Person beträgt; bei zwei oder mehr Hinterbliebenen werden 100% ausgezahlt. Für Minderjährige gibt es staatliche Unterstützungen in Form von Familienbeihilfen, die an arme Familien vergeben werden. Hinzu kommt ein Zuschuss bei der Geburt oder bei der Adoption eines Kindes sowie die o.g. Beihilfe für Alleinerziehende. Der Geburtenzuschuss beträgt derzeit in Summe 41.280 UAH (ca. 1.288 EUR). Davon werden 10.320 UAH (ca. 322,15 EUR) in den zwei bis drei Monaten nach Geburt/Adoption ausgezahlt, die restliche Summe in gleichen Zahlungen von 860 UAH (ca. 26,85 EUR) monatlich im Laufe der folgenden drei Jahre. Laut geltenden ukrainischen Gesetzen beträgt die Dauer des Mutterschutzes zwischen 126 Tagen (70 Tage vor und 56 Tage nach der Geburt) und 180 Tagen (jeweils 90 Tage vor und nach der Geburt). Für diese Periode bekommen die Mütter ihren Lohn hundertprozentig ausbezahlt. In den nächsten drei Karenzjahren bekommen die Mütter keine weiteren Auszahlungen außer dem o.g. Geburtenzuschuss bzw. den finanziellen Zuschüssen für Alleinerziehende. Gesetzlich ist grundsätzlich ebenfalls die Möglichkeit einer Väterkarenz vorgesehen, wobei diese in der Praxis weiterhin kaum in Anspruch genommen wird. Versicherte Erwerbslose erhalten mindestens 1.440 UAH (ca. 45 EUR) und maximal 7.684 UAH (240 EUR) Arbeitslosengeld pro Monat, was dem Vierfachen des gesetzlichen Mindesteinkommens entspricht. Nicht versicherte Arbeitslose erhalten mindestens 544 UAH (ca. 17 EUR). In den ersten 90 Kalendertagen werden 100% der Berechnungsgrundlage ausbezahlt, in den nächsten 90 Tagen sind es 80%, danach 70%. Die gesetzlich verpflichtende Pensionsversicherung wird durch den Pensionsfonds der Ukraine verwaltet, der sich aus Pflichtbeiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, aus Budgetmitteln und diversen Sozialversicherungsfonds speist. Im Oktober 2017 nahm das ukrainische Parlament eine umfassende Pensionsreform an, die vor allem auch von internationalen Geldgebern zur Reduzierung des großen strukturellen Defizits gefordert wurde. Darin enthalten ist vor allem eine Anhebung der Mindestpension, welche von knapp zwei Drittel aller Pensionisten bezogen wird, um knapp 700 UAH (ca. 22 EUR). Ebenfalls vorgesehen ist eine automatische Indexierung der Mindestpension sowohl an die Inflationsrate, wie auch an die Entwicklung des Mindestlohns. Weiters wurde für arbeitende Pensionisten der Beitrag zur staatlichen Pensionsversicherung von 15% zur Gänze gestrichen. Das Pensionsantrittsalter wurde bei 60 Jahren belassen, die Anzahl an Beitragsjahren zur Erlangung einer staatlichen Pension wurde jedoch von 15 auf 25 Jahre erhöht und soll sukzessive bis 2028 weiter auf 35 Jahre steigen. Ebenfalls abgeschafft wurden gewisse Privilegien z.B. für öffentliche Bedienstete, Richter, Staatsanwälte und Lehrer. Im Jahr 2017 belief sich die Durchschnittspension auf 2.480,50 UAH (ca. 77 EUR), die durchschnittliche Invaliditätsrente auf 1.996,20 UAH (ca. 62,31 EUR) und die Hinterbliebenenpension auf 2.259,99 UAH (ca. 70,55 EUR). Viele Pensionisten sind dementsprechend gezwungen, weiterzuarbeiten. Private Pensionsvereinbarungen sind seit 2004 gesetzlich möglich. Die Ukraine hat mit 12 Millionen Pensionisten (knapp ein Drittel der Gesamtbevölkerung) europaweit eine der höchsten Quoten in diesem Bevölkerungssegment, was sich auch im öffentlichen Haushalt widerspiegelt: 2014 wurden 17,2% des Bruttoinlandsprodukts der Ukraine für Pensionszahlungen aufgewendet (ÖB 2.2019; vgl. UA 27.4.2018).

Seit dem russisch-ukrainischen Krieg in der Ostukraine verschärfte sich die Lage der Bevölkerung in den Gebieten Donezk und Luhansk beträchtlich. Circa 3,5 Millionen Menschen sind auf die humanitäre Hilfe angewiesen. Die Infrastruktur in der Region ist zerstört, die Wirtschaft ist paralysiert, lediglich kleine und mittlere Unternehmen können überleben (GIZ 3.2020b). In den von Separatisten besetzten Gebieten in Donezk und Luhansk müssen die Bewohner die Kontaktlinie überqueren, um ihre Ansprüche bei den ukrainischen Behörden geltend zu machen (AA 29.2.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf, Zugriff 19.5.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (19.12.2019): Ukraine: Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ukraine-node/politisches-portrait/202780, Zugriff 25.5.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Länderinformationsportal, Ukraine, Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/ukraine/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 25.5.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2018): Länderinformationsportal, Ukraine, Alltag, https://www.liportal.de/ukraine/alltag/, Zugriff 25.5.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003113/UKRA_%C3%96B-Bericht_2018.doc, Zugriff 11.4.2019

?        UA – Ukraine Analysen (27.4.2018): Rentenreform, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen200.pdf, Zugriff 27.5.2019

Rückkehr

Letzte Änderung: 09.07.2020

Es sind keine Berichte bekannt, wonach in die Ukraine abgeschobene oder freiwillig zurück-gekehrte ukrainische Asylbewerber wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland behelligt worden wären. Neue Dokumente können landesweit in den Servicezentren des Staatlichen Migrationsdiensts beantragt werden. Ohne ordnungsgemäße Dokumente können sich – wie bei anderen Personengruppen auch – Schwierigkeiten bei der Wohnungs- und Arbeitssuche oder der Inanspruchnahme des staatlichen Gesundheitswesens ergeben (AA 29.2.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf, Zugriff 19.5.2020“

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Die Feststellungen zum Verfahren der Beschwerdeführerin ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin ergeben sich aus dem Reisepass der Beschwerdeführerin (AS 11).

Die Feststellungen zum Herkunftsort und den Lebensumständen sowie Familienangehörigen der Beschwerdeführerin in der Ukraine ergeben sich aus den plausiblen Angaben der Beschwerdeführerin (AS 39 iVm AS 18), an denen kein Grund zu zweifeln besteht.

Die Feststellungen zu den Aufenthaltsberechtigungen der Beschwerdeführerin in Österreich beruhen auf einer Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister in Verbindung mit den damit übereinstimmenden eigenen Angaben der Beschwerdeführerin (AS 39).

Die Feststellungen zur Einreise, deren Zweck und dem weiteren Aufenthalt und den Lebensumständen der Beschwerdeführerin in Österreich, den Deutschkenntnissen und den sozialen, familiären und wirtschaftlichen Bezugspunkten der Beschwerdeführerin in Österreich ergeben sich aus den schlüssigen Angaben der Beschwerdeführerin (AS 29, 31, 39 und 41) und einem Sozialversicherungsdatenauszug (AS 75f) in Verbindung mit Einsichtnahmen in das Zentrale Melderegister und das Zentrale Fremdenregister. Zum Zweck der Einreise der Beschwerdeführerin ist festzuhalten, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid davon ausging, dass die Beschwerdeführerin „zur Wohnsitznahme“ in den Schengen-Raum eingereist sei und „keinen der in Anhang 1 des Art. 6 Abs. 3 des Schengener Grenzkodex genannten Gründe“ zur Einreise gehabt habe. Die Beschwerdeführerin hat jedoch aufgrund ihrer stimmigen Angaben glaubhaft gemacht, zur Absolvierung eines Deutschtests und der Beantragung der Universitätszulassung nach Österreich gereist zu sein, da es in der Ukraine bis zum Ende der Zulassungsfrist keine freien Testtermine mehr gegeben habe und sie nicht ein ganzes Semester verlieren habe wollen (AS 39), was auch angesichts des vergangenen Au-pair Aufenthaltes der Beschwerdeführerin sowie des Umstandes, dass ihre Schwester in Österreich lebt und über einen gültigen Aufenthaltstitel mit dem Aufenthaltszweck „Student“ verfügt, nachvollziehbar ist. Dabei ist anzumerken, dass die Beschwerdeführerin ab 03.04.2020 meldebehördlich in einem Studentenheim gemeldet war, was ebenfalls für die Glaubhaftigkeit des entsprechenden Vorbringens der Beschwerdeführerin spricht. Die Beschwerdeführerin hat damit glaubhaft gemacht, zur Absolvierung eines Deutschtests und der Vorbereitung de

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten