Index
82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art139 Abs1 Z1Leitsatz
Gesetzwidrigkeit der COVID-19-LockerungsV betreffend das Verbot des Betretens von Gastgewerbebetriebsstätten für Kunden in der Zeit von 23.00 bis 06.00 Uhr mangels nachvollziehbarer Dokumentation der EntscheidungsgrundlagenSpruch
I. §6 Abs2 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden, BGBl II Nr 197/2020, idF BGBl II Nr 207/2020 war gesetzwidrig.
II. Die als gesetzwidrig festgestellte Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass §6 Abs2 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden, BGBl II 197/2020, idF BGBl II 207/2020 (in eventu idF BGBl II 246/2020) gesetzwidrig war.
II. Rechtslage
1. §§1 und 3 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz – im Folgenden: COVID-19-MG), BGBl I 12/2020, idF BGBl I 23/2020 (§1) und BGBl I 12/2020 (§3) lauteten auszugsweise:
"Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und
Dienstleistungen sowie Arbeitsorte
§1. Beim Auftreten von COVID-19 kann der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen oder Arbeitsorte im Sinne des §2 Abs3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind. Darüber hinaus kann geregelt werden, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen Betriebsstätten oder Arbeitsorte betreten werden dürfen.
[…]
Strafbestimmungen
§3. (1) Wer eine Betriebsstätte betritt, deren Betreten gemäß §1 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.
(2) Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte, deren Betreten gemäß §1 untersagt ist, nicht betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 30 000 Euro zu bestrafen. Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte höchstens von der in der Verordnung genannten Zahl an Personen betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.
[…]"
2. §6 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden (COVID-19-Lockerungsverordnung – COVID-19-LV), BGBl II 197/2020, idF BGBl II 231/2020 (der angefochtene Abs2 wurde zuletzt mit BGBl II 207/2020 geändert und ist hervorgehoben; mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1.10.2020, G272/2020 ua, wurden die Abs1 und 4 idF BGBl II 207/2020 als gesetzwidrig aufgehoben und Abs5 idF BGBl II 231/2020 als gesetzwidrig festgestellt) lautete wie folgt:
"Gastgewerbe
§6. (1) Das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe ist unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen zulässig.
(2) Der Betreiber darf das Betreten der Betriebsstätte für Kunden nur im Zeitraum zwischen 06.00 und 23.00 Uhr zulassen. Restriktivere Sperrstunden und Aufsperrstunden aufgrund anderer Rechtsvorschriften bleiben unberührt.
(3) Der Betreiber hat sicherzustellen, dass die Konsumation von Speisen und Getränken nicht in unmittelbarer Nähe der Ausgabestelle erfolgt.
(4) Der Betreiber hat die Verabreichungsplätze so einzurichten, dass zwischen den Besuchergruppen ein Abstand von mindestens einem Meter besteht. Dies gilt nicht, wenn durch geeignete Schutzmaßnahmen zur räumlichen Trennung das Infektionsrisiko minimiert werden kann.
(5) Der Betreiber darf Besuchergruppen nur einlassen, wenn diese
1. aus maximal vier Erwachsenen zuzüglich ihrer minderjährigen Kinder oder minderjährigen Kindern, denen gegenüber Obsorgepflichten vorhanden sind, bestehen oder
2. aus Personen bestehen, die im gemeinsamen Haushalt leben.
Der gemeinsame Einlass von mehreren zusammengehörenden Besuchergruppen ist nach Maßgabe des Abs4 möglich.
(6) Der Betreiber hat sicherzustellen, dass jeder Kunde in geschlossenen Räumen der Betriebsstätte durch den Betreiber oder einen Mitarbeiter platziert wird.
(7) Der Betreiber hat sicherzustellen, dass er und seine Mitarbeiter bei Kundenkontakt eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung tragen, sofern zwischen den Personen keine sonstige geeignete Schutzvorrichtung zur räumlichen Trennung vorhanden ist, die das gleiche Schutzniveau gewährleistet.
(8) Vom erstmaligen Betreten der Betriebsstätte bis zum Einfinden am Verabreichungsplatz hat der Kunde gegenüber anderen Personen, die nicht zu seiner Besuchergruppe gehören, einen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten und in geschlossenen Räumen eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen. Beim Verlassen des Verabreichungsplatzes hat der Kunde gegenüber anderen Personen, die nicht zu seiner Besuchergruppe gehören, einen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten.
(9) Der Betreiber hat sicherzustellen, dass sich am Verabreichungsplatz keine Gegenstände befinden, die zum gemeinsamen Gebrauch durch die Kunden bestimmt sind. Selbstbedienung ist nur zulässig, wenn die Speisen und Getränke vom Betreiber oder einem Mitarbeiter ausgegeben werden oder zur Entnahme vorportionierter und abgedeckter Speisen und Getränke.
(10) Bei der Abholung vorbestellter Speisen und/oder Getränke ist sicherzustellen, dass diese nicht vor Ort konsumiert werden und gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten wird sowie eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung getragen wird. Bei der Abholung können zusätzlich auch nicht vorbestellte Getränke mitgenommen werden.
(11) Die Abs1 bis 10 gelten nicht für Betriebsarten der Gastgewerbe, die innerhalb folgender Einrichtungen betrieben werden:
1. Krankenanstalten und Kureinrichtungen;
2. Pflegeanstalten und Seniorenheime;
3. Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen einschließlich Schulen und Kindergärten;
4. Betrieben, wenn diese ausschließlich durch Betriebsangehörige genützt werden dürfen;
5. Massenbeförderungsmittel."
III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Der Beschwerdeführerin des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol (im Folgenden: antragstellendes Gericht) wurde mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Schwaz vom 5. Oktober 2020 zur Last gelegt, sie habe als Gewerbeinhaberin des reglementierten Gewerbes "Gastgewerbe in der Betriebsart Restaurant" an einer näher genannten Adresse, welche eine Betriebsstätte der Betriebsart des Gastgewerbes darstelle, nicht dafür Sorge getragen, dass die Betriebsstätte nur im Zeitraum zwischen 06:00 Uhr und 23:00 Uhr betreten werden dürfe. Es sei festgestellt worden, dass am 13. Juni 2020 gegen 02:05 Uhr noch mehrere Gäste im und vor dem Lokal aufhältig gewesen seien. Über sie wurde daher eine Geldstrafe verhängt.
1.2. Gegen dieses Straferkenntnis erhob die Beschwerdeführerin des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht Beschwerde.
2. Das antragstellende Gericht legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, zusammengefasst wie folgt dar:
2.1. Zu den Prozessvoraussetzungen führt das antragstellende Gericht aus, dass das in §1 Abs2 VStG normierte "Günstigkeitsprinzip" im vorliegenden Fall nicht anzuwenden sei: Zwar sehe §1 Abs2 VStG vor, dass sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht richte, es sei denn, dass das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht in seiner Gesamtauswirkung für den Täter günstiger wäre. Dies gelte allerdings nicht für "Zeitgesetze": Dabei handle es sich um Gesetze, die von vornherein nur für einen bestimmten Zeitraum gegolten hätten und der Wegfall der Regelung somit nicht auf einem geänderten Unwerturteil des Normgebers basiere (vgl VwGH 22.7.2019, Ra 2019/02/0107). Die COVID-19-LV idF BGBl II 207/2020 sei zwischenzeitlich mehrfach abgeändert worden und spätestens mit der COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung – COVID-19-SchuMaV, BGBl II 463/2020, aufgehoben worden. Die Aufhebung der Verordnung sei jedoch eindeutig auf eine Änderung der für die Anordnung relevanten Sachlage zurückzuführen und nicht auf eine nachträglich andere Beurteilung der Gefährlichkeit des Virus. Da die Handlung der Beschwerdeführerin unter die zum Tatzeitpunkt geltende COVID-19-LV idF BGBl II 207/2020 zu subsumieren und die behördlichen Verfolgungshandlungen auch in Übereinstimmung mit dieser Rechtsgrundlage gesetzt worden seien, sei §6 Abs1 und 2 dieser Verordnung anzuwenden. Dass die Verordnung bereits außer Kraft getreten sei, sei unter Verweis auf obige Ausführungen zu §1 Abs2 VStG unbeachtlich.
2.2. In der Sache führt das antragstellende Gericht zusammengefasst aus, der Verfassungsgerichtshof habe mit seinem [im Antrag in Auszügen wiedergegebenen] Erkenntnis vom 14. Juli 2020, V411/2020, ausgesprochen, dass der Gesetzgeber mit §1 COVID-19-MG dem Verordnungsgeber (Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) einen Einschätzungs- und Prognosespielraum übertragen habe, ob und inwieweit er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 auch erhebliche Grundrechtsbeschränkungen für erforderlich halte, womit der Verordnungsgeber seine Entscheidung als Ergebnis einer Abwägung mit den einschlägigen grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Unternehmen, ihrer Arbeitnehmer und Kunden zu treffen habe. Angesichts der damit inhaltlich weitreichenden Ermächtigung des Verordnungsgebers verpflichte §1 COVID-19-MG vor dem Hintergrund des Art18 Abs2 B-VG den Verordnungsgeber im einschlägigen Zusammenhang auch, die Wahrnehmung seines Entscheidungsspielraumes im Lichte der gesetzlichen Zielsetzungen insoweit nachvollziehbar zu machen, als er im Verordnungserlassungsverfahren festhalte, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Verordnungsentscheidung fuße und die gesetzlich vorgegebene Abwägungsentscheidung erfolgt sei.
2.3. Das antragstellende Gericht verweist weiters auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Oktober 2020, G272/2020 ua In dieser Entscheidung sei der Verfassungsgerichtshof zu dem [im Antrag wörtlich wiedergegebenen] Ergebnis gekommen, dass die angefochtenen §6 Abs1 und 4 COVID-19-LV idF BGBl II 207/2020 und §6 Abs5 COVID-19-LV idF BGBl II 231/2020 gegen §1 COVID-19-MG verstoßen würden, weil es der Verordnungsgeber gänzlich unterlassen habe, jene Umstände, die ihn bei der Verordnungserlassung bestimmt hätten, so festzuhalten, dass entsprechend nachvollziehbar sei, warum der Verordnungsgeber die mit diesen Regelungen getroffenen Maßnahmen für erforderlich gehalten habe.
2.4. Nach Ansicht des antragstellenden Gerichtes träfen die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes in vollem Umfang auch auf die im Anlassverfahren relevanten Regelungen zu.
3. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (im Folgenden: BMSGPK) hat eine Äußerung erstattet, in der er Folgendes ausführt:
3.1. Der Antrag sei unzulässig: Das antragstellende Gericht zitiere im Zuge seiner Darlegungen in der Sache das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Oktober 2020, G272/2020 ua, in dem der Verfassungsgerichtshof einen Verstoß des §6 Abs1 und 4 COVID-19-LV idF BGBl II 207/2020 sowie des §6 Abs5 COVID-19-LV idF BGBl II 231/2020 gegen §1 COVID-19-MG idF BGBl I 23/2020 festgestellt habe. Bei der Darstellung der Rechtslage führe das antragstellende Gericht nur die gesetzliche Grundlage des §2 COVID-19-MG an. Die angefochtene Bestimmung stütze sich jedoch nicht auf die gesetzliche Ermächtigung des §2 COVID-19-MG, sondern nur auf §1 leg. cit.: Bei Betriebsstätten der Gastgewerbe handle es sich nicht um "bestimmte Orte" iSd §2, sondern um bestimmte Betriebsstätten zum Erwerb von Dienstleistungen iSd §1 COVID-19-MG. §1 COVID-19-MG sei lex specialis zu §2 leg. cit., der somit nicht als gesetzliche Grundlage für Regelungen über Betriebsstätten in Betracht komme. Im Ergebnis komme sohin nicht klar hervor, mit welcher Gesetzesbestimmung die bekämpfte Verordnungsstelle nach Ansicht des antragstellenden Gerichtes in Widerspruch stehen solle. Auch aus den Darlegungen in der Sache lasse sich dies nicht erschließen. Wenn das antragstellende Gericht unter Bezugnahme auf die zitierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes vermeine, die "obigen Ausführungen" träfen in vollem Umfang auch auf den verfahrensrelevanten §6 Abs2 COVID-19-LV idF BGBl II 207/2020 zu, komme daraus nicht klar hervor, ob sich dies auf die Aussagen des Verfassungsgerichtshofes zum Dokumentationsmangel oder insgesamt auf die Übereinstimmung mit der gesetzlichen Grundlage des §1 COVID-19-MG beziehe. Auch in letzterem Fall bleibe ein Widerspruch zu den Ausführungen zur Rechtslage.
3.2. In der Sache führt der BMSGPK aus, er erachte es vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu §6 Abs1 und 4 COVID-19-LV idF BGBl II 207/2020 (VfGH 1.10.2020, G272/2020 ua) für aussichtslos, ein inhaltliches Vorbringen zu erstatten. Dadurch solle jedoch nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass die COVID-19-LV idF BGBl II 207/2020 oder BGBl II 246/2020 inhaltlich als gesetz- bzw verfassungswidrig angesehen werde. Hinsichtlich der auf die angefochtene Verordnung bezughabenden Akten verweist der BMSGPK auf die entsprechenden Beilagen zum Verfahren V350-354/2020.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001, 16.927/2003).
1.2. Gemäß §57 Abs1 VfGG hat der Antrag die gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Die Gründe der behaupteten Gesetzwidrigkeit sind präzise zu umschreiben, die Bedenken sind schlüssig und überprüfbar darzulegen (vgl zB VfSlg 13.571/1993, 13.652/1993; VfGH 11.6.2018, V 20/2018). Dem Antrag muss mit hinreichender Deutlichkeit entnehmbar sein, zu welcher Rechtsvorschrift die zur Aufhebung beantragte Bestimmung in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese These sprechen (vgl VfSlg 14.802/1997; VfGH 28.2.2020, V3/2020).
1.3. Das antragstellende Gericht verweist in der Begründung seines Antrages auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Juli 2020, V411/2020, und die darin enthaltenen Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes zur gesetzlichen Verordnungsermächtigung des §1 COVID-19-MG sowie die sich aus §1 COVID-19-MG ergebenden Verpflichtungen des Verordnungsgebers. Des Weiteren verweist das antragstellende Gericht auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Oktober 2020, G272/2020 ua, mit der der Verfassungsgerichtshof – mit näherer, im Antrag in Auszügen wiedergegebener Begründung – ausgesprochen hat, dass §6 Abs1 und 4 COVID-19-LV idF BGBl II 207/2020 und §6 Abs5 COVID-19-LV idF BGBl II 231/2020 den Vorgaben des §1 COVID-19-MG nicht genügen. Im Anschluss daran führt das antragstellende Gericht aus, die im Antrag wiedergegebenen Erwägungen des Verfassungsgerichtshofes träfen seiner Ansicht nach auch auf die angefochtene Bestimmung zu.
1.4. Ausgehend davon ist dem Antragsvorbringen mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, welche konkreten Bedenken das antragstellende Gericht gegen die angefochtene Bestimmung des §6 Abs2 COVID-19-LV idF BGBl II 207/2020 hegt. Der Umstand, dass der Antrag im Rahmen der Darstellung der Rechtslage (nur) §2 COVID-19-MG zitiert, macht den vorliegenden Antrag daher nicht unzulässig.
1.5. Dem antragstellenden Gericht ist weiters nicht entgegenzutreten, wenn es davon ausgeht, dass es §6 Abs2 COVID-19-LV idF BGBl II 207/2020 im Anlassverfahren anzuwenden hat. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der (Haupt-)Antrag insgesamt als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Der Antrag ist begründet.
2.3. Das antragstellende Gericht bringt dieselben Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Bestimmung vor, wie sie das antragstellende Gericht in dem beim Verfassungsgerichtshof zu V615/2020 protokollierten Verfahren dargelegt hat.
2.4. Soweit sich das Erkenntnis zur Zahl V615/2020 auf die Bestimmung des §6 Abs2 COVID-19-LV, BGBl II 197/2020, idF BGBl II 207/2020 bezieht, kann der Verfassungsgerichtshof daher auf die diesbezüglichen Erwägungen zur Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Bestimmung in diesem Erkenntnis verweisen (siehe die Punkte IV.2.3. bis IV.2.6. des Erkenntnisses vom 8. Juni 2021 zu V615/2020).
V. Ergebnis
1. §6 Abs2 COVID-19-LV, BGBl II 197/2020, idF BGBl II 207/2020 ist durch die Verordnung BGBl II 266/2020 geändert worden (diese Änderung trat mit Ablauf des 14. Juni 2020 in Kraft, siehe §13 Abs7 COVID-19-LV idF BGBl II 266/2020). Der Verfassungsgerichtshof hat sich daher gemäß Art139 Abs4 B-VG auf die Feststellung zu beschränken, dass §6 Abs2 COVID-19-LV, BGBl II 197/2020, idF BGBl II 207/2020 gesetzwidrig war.
2. Der Ausspruch, dass die unter Punkt 1. genannte Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist, stützt sich auf Art139 Abs6 zweiter Satz B-VG.
3. Die Verpflichtung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zur unverzüglichen Kundmachung der Aussprüche kann hier entfallen, weil diese Verpflichtung bereits im Erkenntnis vom heutigen Tag, V615/2020, enthalten ist.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
COVID (Corona), Verordnungserlassung, Legalitätsprinzip, Determinierungsgebot, VfGH / GerichtsantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:V576.2020Zuletzt aktualisiert am
30.09.2021