TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/7 W258 2186528-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.05.2021
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Entscheidungsdatum

07.05.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W258 2186528-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Mag. Georg BÜRSTMAYR, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.05.2021, zu Recht:

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid abgeändert, dass es insgesamt zu lauten hat:

I. XXXX , geb. XXXX , wird gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (in Folge kurz „BF“) stellte am XXXX in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

In seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 06.11.2015 und in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge „belangte Behörde“) am 13.07.2017 brachte der BF im Wesentlichen vor, er sei Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan (in Folge kurz „Afghanistan“), stamme aus dem Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Ghazni, sei Schiit und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Aus Afghanistan sei er geflohen, weil der Bruder des BF Polizist bzw Soldat für die afghanische Nationalarmee gewesen sei, weshalb die Taliban den Bruder getötet und den BF verfolgt hätten.

Die belangte Behörde wies den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, sprach aus, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt IV.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt V.) und legte die Frist für die freiwillige Ausreise des BF mit vierzehn Tagen fest (Spruchpunkt VI.).

Dagegen richtet sich die gegenständliche Beschwerde des BF wegen näher genannter verfahrensrechtlicher Mängel und inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Mit Schriftsätzen vom 27.06.2018, 10.09.2018, 18.09.2018, 17.05.2019, 11.11.2019 und 12.04.2021 machte der BF uA unter Vorlage diverser Urkunden den Nachfluchtgrund des Abfalls vom islamischen Glauben und die Konversion zum Christentum geltend.

Am 04.05.2021 wurde über die Beschwerde hg mündlich verhandelt.

Beweis wurde aufgenommen durch Einvernahme des BF als Partei und Sr. XXXX , Barmherzige Schwestern vom XXXX XXXX XXXX als Zeugin sowie Einsicht in den Verwaltungsakt (OZ 1) und in die folgenden Urkunden:

?        Strafregisterauszug des BF vom 04.05.2021,

?        EASO – European Asylum Support Office Country Guidance Afghanistan; Guidance note and common analysis, Dezember 2020 als Beilage ./I,

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Version 3, vom 01.04.2021 als Beilage ./II,

?        UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 als Beilage ./III,

?        Bestätigung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich vom 25.04.2018, wonach der BF kein Mitglied sei (OZ 5),

?        Bestätigung der Zeugin Sr. XXXX vom 28.05.2018, über die Teilnahme des BF an katholischem Glaubensunterricht und seiner Aufnahme in die 1. Stufe des Katechumenats per 30.06.2018 (OZ 5),

?        Bestätigung des Pfarrers XXXX , OSB, vom 05.07.2018, über die Aufnahme des BF in das Katechumenat der röm.-kath. Kirche (OZ 6),

?        Bestätigung der XXXX vom 28.05.2018 über ehrenamtliche Mitarbeit des BF (OZ 6),

?        ÖSD Sprachzertifikat A2 vom 27.06.2018 (OZ 6, S 11 f),

?        Taufschein vom 21.04.2019 (OZ 8),

?        Bestätigung der Pfarre XXXX vom 29.04.2019 und vom 29.07.2019 über ehrenamtliche Tätigkeit des BF im Rahmen des Projekts XXXX “ (OZ 8 und OZ 9, ./C),

?        Zeugnis über die Pflichtschulabschlussprüfung vom 30.09.2019 (OZ 9, Beilage ./A),

?        Bestätigung des Hilfswerks „ XXXX “ vom 03.10.2019 (OZ 9, Beilage ./B) über ehrenamtliche Tätigkeit des BF,

?        Bestätigung des Magistrats der Stadt XXXX vom 27.05.2019 über die gemeinnützige Tätigkeit des BF im Rahmen des Projekts „ XXXX “ (OZ 9),

?        Bestätigung des Bildungszentrums XXXX vom 30.08.2019 über die Teilnahme des BF an der Sommerakademie 2019 (OZ 9, Beilage ./E),

?        Bestätigung der Erzdiözese XXXX vom 12.03.2021 über die ehrenamtliche Mithilfe des BF bei pastoralen Projekten (OZ 11),

?        Bestätigung der XXXX Betriebsgesellschaft m.b.H. vom 19.11.2020 über die ehrenamtliche Tätigkeit des BF seit Juli 2109 (sic!) (OZ 11),

?        Bestätigung der XXXX vom 20.10.2020 über ehrenamtliche Tätigkeit des BF seit August 2019 im Haus Franziskus und Haus Elisabeth (OZ 11),

?        GISA Auszug vom 04.02.2021 über die Anmeldung des Gewerbes „Personenbetreuung“ (OZ 11),

?        Ausweis des Österreichschein Radverbands für das Jahr 2021 (OZ 11),

?        Zertifikat Deutsch B1 vom 15.12.2020 (OZ 11, Beilage ./D) und

?        diverse in der Beschwerdeverhandlung vorgelegte Empfehlungsschreiben, Bestätigungen über die Teilnahme an kirchlichen Veranstaltungen und ehrenamtlicher Tätigkeit und Lichtbilder, die den BF bei Aktivitäten in der Pfarre zeigen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Der folgende Sachverhalt steht fest:

1.1. Zur individuellen Situation des BF:

1.1.1. Allgemeines:

Der männliche BF, ein Staatsangehöriger Afghanistans, ist volljährig, gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist Schiit und spricht als Muttersprache Dari. Er wurde am XXXX in Afghanistan in XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Ghazni geboren, wo er aufgewachsen ist und – abgesehen von einem drei bis vierjährigen Aufenthalt im Iran – bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 gelebt hat.

Der BF ist aus Afghanistan schlepperunterstützt in Richtung Europa ausgereist. Er ist unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet eingereist, wo er am 03.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.

Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.

1.1.2. Zu den Fluchtgründen:

Der BF ist aus innerer Überzeugung vom Islam abgefallen und zum Christentum konvertiert.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Zur Lage von Apostaten in Afghanistan (LIB Kapitel „Apostasie, Blasphemie, Konversion“ und andere jeweils zitierte Quellen):

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (siehe auch UNHCR S 71). Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. In der Regel haben Beschuldigte keinen Zugang zu einem Verteidiger oder zu anderen Verfahrensgarantien (UNHCR S 72).

Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden. Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt. Für Personen die als Apostaten wahrgenommen werden oder die im Verdacht stehen, vom Islam abgefallen zu sein, besteht das Risiko, dass sie, ohne vor ein Gericht gestellt zu werden, Opfer gewaltsamer Angriffe werden, die bis zum Tode führen können. (EASO 2.16 und LIB „Apostasie, Blasphemie, Konversion“)

In den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertierten, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren.

Es kann auch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen.

2. Die Feststellungen gründen in der folgenden Beweiswürdigung:

2.1. Zu den allgemeinen Feststellungen:

Die Feststellungen zu den persönlichen Daten, zum Leben und zur Ausreise des BF aus Afghanistan und zur Einreise in das Bundesgebiet ergeben sich aus den im Wesentlichen gleichbleibenden, übereinstimmenden und schlüssigen Aussagen des BF im behördlichen und im gerichtlichen Verfahren.

Die Feststellungen zur Einreise und zum behördlichen Asylverfahren des BF ergeben sich aus dem unbedenklichen Verwaltungsakt.

Die Feststellung zum Leumund des BF ergeben sich aus seinem Strafregisterauszug.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen bzw den Verfolgungsgründen:

Die Feststellung, wonach der BF aus innerer Überzeugung vom Islam abgefallen ist und sich dem Christentum zugewendet hat gründet auf den folgenden Überlegungen.

Zwar sprechen einige Aspekte gegen eine Konversion aus innerer Überzeugung: So konnte der BF das Gebet „Vater unser“ beten, er war aber nicht in der Lage, die Bedeutung des Gebets wiederzugeben. Ebensowenig konnte er den Inhalt der letzten Predigt widergeben oder angeben, warum er sich nach Jahren des Desinteresses an seinem alten Glauben im Iran nunmehr in Österreich mit Religionen im Allgemeinen und dem Christentum im Besonderen beschäftigt haben will. Auch auf die Frage, warum gerade die von ihm genannten Stellen aus der Bibel seine Lieblingsstellen sind, wusste er keine plausible Antwort. Gemindert werden diese Aspekte aber dadurch, dass der BF zumindest grundsätzlich angeben konnte, dass er über Freunde, die im – dem Christentum nahestehenden – Kolpinghaus gearbeitet haben, in Kontakt mit dem Christentum gekommen ist und durch sie auch sein Interesse am Christentum geweckt worden ist.

Schwerer wiegt jedoch, dass sich das Vorbringen des BF, wonach das wesentliche Wesen des Christentums in der Hilfe für Andere liegt, sich mit seiner Lebensführung deckt, die er danach ausrichtet. So besteht – durch eine Vielzahl von Urkunden nachgewiesen – ein wesentliches Element seines Lebens seit mehreren Jahren in der Hilfe anderer. Sei es bei kirchlichen Veranstaltung oder bei ehrenamtlichen und nunmehr (auch) gewerblichen Tätigkeiten in der Personenbetreuung. Damit in Übereinstimmung steht auch die vom BF – grundsätzlich korrekt – zitierte Bibelstelle, dem Evangelium nach Markus 12, 28 ff, wonach Nächstenliebe das wichtigste Gebot des Christentums sei.

Auch hat er sich im Zuge seiner Vorbereitung auf die Taufe kritisch mit dem eigenen Glauben aber auch mit seinem alten Glauben, dem Islam, auseinandergesetzt. Dies wird durch die Aussage der Zeugin XXXX , wonach er im Rahmen des Taufkurses aktiv Fragen zum Christentum aber auch zum Islam gestellt hat bestätigt. Er verfügt dementsprechend auch über Wissen über die seine Religion: so konnte er in der Beschwerdverhandlung zwei Bibelstellen benennen, das Glaubensbekenntnis beten, den Namen und die Bezeichnung des Oberhaupts der römisch-katholischen Kirche sowie die wesentlichen christlichen Feiertage benennen und ihre grundsätzliche Bedeutung erklären.

Auch die Aktivitäten des BF im Rahmen des kirchlichen Lebens sprechen für die Ernsthaftigkeit seiner Konversion. So konnte der BF schlüssig und in Übereinstimmung mit den vorgelegten Bestätigungen der Pfarre und der Aussage der Zeugin XXXX glaubhaft machen, dass er seit mehreren Jahren regelmäßig den Gottesdienst und über ein Jahr regelmäßig einen wöchentlichen Taufvorbereitungskurs besucht hat, in dem er auch durch Fragen aktiv mitgearbeitet hat. Er hat nachvollziehbar geschildert, dass er zwar er zuerst sprachlich nicht Allem folgen konnte, er aber mit der Zeit immer besser wurde, was mit den von ihm abgelegten Sprachprüfungen (zuletzt auf dem Niveau B1) übereinstimmt. Er wurde am 21.04.2019 getauft, wobei er die rituelle Bedeutung der Taufe widergeben konnte. Darüber hinaus hat er bei Veranstaltungen seiner Pfarre regelmäßig aktiv mitgeholfen, etwa durch Reinigungs-, Auf- und Wegräumarbeiten oder bei Essensausgaben, und sowohl an kirchlichen Veranstaltungen, etwa bei Fronleichnahm Prozessionen oder bei Pfingstfesten, und auch an von der Kirche organisierten Veranstaltungen, etwa bei Ausflügen oder Sommerkursen, teilgenommen; dies wird durch seine Aussage, den vorgelegten Lichtbildern und Bestätigungen belegt.

Glaubhaft waren auch seine Angaben, wonach er versucht andere – wenngleich nicht erfolgreich – von seinem neuen Glauben zu überzeugen und – vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen, wonach Konvertiten in Afghanistan gesellschaftlich abgelehnt und zum Teil verfolgt werden – seine Angaben, dass seine Mutter, als sie von seiner Konversion erfahren hat, jeden weiteren Kontakt mit ihm verweigert hat.

Gegen eine asyltaktische Konversion spricht letztlich, dass der BF deutlich intensiver am kirchlichen Leben teilnimmt, als für die Taufe erforderlich war und diese Aktivität auch nach der Taufe beibehalten hat.

In einer Gesamtabwägung war daher mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der BF aus innerer Überzeugung vom Islam abgefallen und zum Christentum konvertiert ist.

2.3. Zu den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage in Afghanistan ergeben sich aus den bei den jeweiligen Feststellungen angeführten Quellen, die auf mehreren, im Wesentlichen übereinstimmenden Berichten verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen gründen.

3. Rechtlich folgt daraus:

3.1. Beschwerde gegen Spruchpunkt I., Asyl nach § 3 Asylgesetz 2005:

3.1.1. Rechtsgrundlagen:

Gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention („GFK“) droht.

Flüchtling im Sinn des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 1974/78, ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar und nach wie vor aktuell ist. Maßgeblich hierfür ist, ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (vgl bspw VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074; VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212).

Auch eine auf einem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch nicht staatliche Akteure ist asylrelevant, wenn der Herkunftsstaat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063). Entscheidend ist, ob für einen von dritter Seite aus den in der GFK genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069).

3.1.2. Zur Verfolgung als Apostat:

Der BF ist aus innerer Überzeugung vom Islam abgefallen. Apostaten droht von staatlicher Seite die Todesstrafe, Freiheitsstrafen und Enteignungen. Von privater Seite werden Apostaten und Personen die in Verdacht stehen, vom Islam abgefallen zu sein, abgelehnt und zum Teil, ohne vor ein Gericht gestellt zu werden, angegriffen. Die Angriffe können bis zur Tötung des Apostaten führen. Die Intensität und Dichte der Eingriffe erreicht dabei ein Ausmaß, dass von einer Verfolgung im Sinne der Konvention auszugehen ist (siehe auch die Risikoprofile des UNHCR, „Konversion vom Islam“, (UNHCR S 73) und von EASO, „Personen von denen angenommen wird, dass sie Blasphemie begangen haben oder vom Glauben abgefallen sind“, bei denen EASO davon ausgeht, dass für diese Personen grundsätzlich ein Bedarf an Flüchtlingsschutz besteht (EASO 2.16)).

Es besteht daher ein wesentliches Risiko, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat aus einem Konventionsgrund, nämlich auf Grund seiner Religion, verfolgt werden würde. Dem BF kann nicht zugemutet werden, die Ausübung seiner inneren Glaubensüberzeugung zu unterdrücken. Da sich seine Bedrohung auf den gesamten Heimatstaat bezieht, steht dem BF keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung (§ 11 AsylG 2005).

3.1.3. Ergebnis:

Da dem BF somit glaubhaft gemacht hat, dass ihm in seinem Herkunftsstaat Verfolgung iSv Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht und keine Asylausschlussgründe vorliegen, war ihm der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 gleichzeitig auszusprechen, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.1.4. „Asyl auf Zeit“:

Festzuhalten ist, dass der BF seinen Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt hat, weshalb die Regelung „Asyl auf Zeit“ des § 3 Abs 4 AsylG 2005 nicht zur Anwendung kommt.

3.2. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Zu Spruchpunkt B), (Un)Zulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine – wie hier zur maßgeblichen Frage der Konversion des BF zum Christentum – im Rahmen der vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Grundsätze vorgenommene einzelfallbezogene Beweiswürdigung ist nicht reversibel (vgl etwa jüngst VwGH 09.04.2021, Ra 2020/17/0052.

Schlagworte

Apostasie Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Christentum Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Konversion mündliche Verhandlung Nachfluchtgründe Religionsausübung Religionsfreiheit religiöse Gründe Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W258.2186528.1.00

Im RIS seit

29.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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