TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/8 W133 2166869-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.06.2021
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Entscheidungsdatum

08.06.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W133 2166869-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.07.2017, Zl. 1104725304-161585376, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.05.2021 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , geboren am XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 07.02.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Anlässlich seiner Erstbefragung am 23.11.2016 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt vor, dass er im Iran geboren und aufgewachsen und noch nie in Afghanistan gewesen sei. Er wolle nicht in ein Land (Afghanistan) zurückkehren, aus dem alle fliehen würden. Er habe auch Angst um sein Leben.

Am 11.07.2017 fand die Einvernahme des Beschwerdeführers vor der nunmehr belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), statt. Darin brachte er zusammengefasst vor, dass er nicht nach Afghanistan möchte, da er aus einem iranischen Umfeld komme und diese Länder sehr unterschiedlich seien. Zu seinen Fluchtgründen befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass ihm im Iran ein Raub unterstellt worden sei, obwohl er nur versucht habe, zwei aneinandergeratene betrunkene Männer auseinanderzubringen, wobei er auch mit einem Messer verletzt worden sei. Im anschließenden Gerichtsverfahren habe er erkannt, dass er nichts gegen die Unterstellung unternehmen könne, weshalb er aus Angst vor Folter und Gewalt im iranischen Gefängnis geflüchtet sei. Im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA legte er Teilnahmebestätigungen eines Deutschkurses und eines Info-Moduls zum Thema Gesundheit, die Bescheinigung eines erfolgreich abgeschlossenen Deutschbasiskurses und eine Bestätigung einer ehrenamtlichen Tätigkeit vor.

Das BFA wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 07.02.2016 mit Bescheid vom 18.07.2017 zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass das Fluchtgrundvorbringen nicht geeignet sei, eine asylrelevante Verfolgung zu begründen und auch sonst kein in der Person des Beschwerdeführers gelegenes Merkmal hervorgekommen sei, das ein derartiges Vorgehen zwangsläufig erwarten ließe. Aus dem Vorbringen und der allgemeinen Situation sei im Falle einer Rückkehr eine unmenschliche Behandlung oder eine im gesamten Herkunftsstaat vorliegende Gefährdungslage nicht zu erkennen. Es bestehe in Österreich auch kein schützenswertes Privat- oder Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstünde.

Mit Verfahrensanordnung vom 19.07.2017 teilte das BFA dem Beschwerdeführer mit, dass ihm die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt wird. Mit E-Mail vom 27.07.2017 wurde die Vollmacht an das BFA übermittelt.

Mit Fax-Nachricht vom 03.08.2017 erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner Rechtsvertretung gegen den oben genannten Bescheid fristgerecht eine Beschwerde.

Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 07.08.2017 vom BFA vorgelegt. Das Verfahren wurde der hg. Gerichtsabteilung W173 zugeteilt.

Mit Telefax vom 05.09.2017 wurde im Wege der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine Beschwerdeergänzung eingebracht. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sein gesamtes Leben im Iran verbracht habe und bei einer Abschiebung nach Afghanistan aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den schiitischen Hazara sowie wegen seiner Zugehörigkeit zu der sozialen Gruppe der Rückkehrer der zweiten Generation einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sei. Auch sei die Sicherheitslage in Kabul sehr prekär und dem Beschwerdeführer stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Er habe keinen familiären Rückhalt in Afghanistan und auch keine Fachausbildung. Außerdem sei der Beschwerdeführer auf dem besten Weg, sich in Österreich zu integrieren.

Am 02.12.2019 langte ein Telefax der rechtlichen Vertretung des Beschwerdeführers ein, mit dem die Taufurkunde des Beschwerdeführers vom 31.03.2019 sowie eine Erklärung der Kirche „Verein für Mission und Asylantenintegration der Gemeinde Christi“ bezüglich der Nicht-Abhaltung von Kursen vor der Taufe übermittelt wurde.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.03.2021 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W173 abgenommen und der Gerichtsabteilung W133 neu zugwiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht brachte dem Beschwerdeführer im Rahmen der Ladung zur mündlichen Verhandlung zur Kenntnis, dass es beabsichtigt, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, die EASO-Länderleitlinien Afghanistan, den EASO-Bericht Afghanistan Netzwerke, den OCHA Strategic Situation Report: COVID-19 sowie FEWS NET Afghanistan der Entscheidung zu Grund zu legen.

Mit Eingabe vom 14.04.2021 wurden im Wege der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers (nunmehr XXXX ) drei Unterstützungsschreiben zum Beweis der erfolgreichen Integration des Beschwerdeführers in Österreich übermittelt.

Am 04.05.2021 langte beim erkennenden Gericht im Wege der Rechtsvertretung eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein. Darin wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer getauft worden sei und sich zu seinem neuen Glauben bekenne. Auch in Afghanistan würde er den christlichen Glauben beibehalten, wodurch er einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sei. Zudem gehöre er der in Afghanistan stark diskriminierten Gruppe der Hazara an. Er habe dort auch keine Verwandten und es bestehe keine innerstaatliche Fluchtalternative. Außerdem widerspreche eine Rückkehrentscheidung aufgrund der guten Integration des Beschwerdeführers Art. 8 EMRK. Der Stellungnahme wurde die unterzeichnete Vollmacht, eine Bestätigung einer ehrenamtlichen Arbeit vom 08.06.2017, das ÖIF-Zeugnis zur Integrationsprüfung zur Sprachkompetenz auf dem Niveau A2 und zum Werte- und Orientierungswissen vom 29.06.2018 sowie das Zeugnis vom 31.07.2018 beigelegt.

Mit Eingabe der rechtlichen Vertretung vom 06.05.2021 wurde ein Zeugenantrag gestellt und eine Bestätigung über die Teilnahme des Beschwerdeführers an Bibelkursen und Gottesdiensten vom 05.05.2021 an das erkennende Gericht übermittelt.

Am 10.05.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der der Beschwerdeführer, dessen Rechtsvertreterin und ein Dolmetscher für die Sprachen Dari, Farsi und Pashto teilnahmen. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern. In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer eingehend zu seiner Konversion befragt, außerdem wurde diesbezüglich ein Zeuge, nämlich der Taufbegleiter des Beschwerdeführers, gehört. Im Rahmen der Verhandlung wurden wiederum das ÖIF-Zeugnis zur Integrationsprüfung zur Sprachkompetenz auf dem Niveau A2 und zum Werte- und Orientierungswissen vom 29.06.2018 sowie das Zeugnis vom 31.07.2018, die Teilnahmebestätigung für den Deutschkurs vom 23.05.2017 und die Teilnahmebestätigung an Bibelkursen und Gottesdiensten vom 05.05.2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer wurde am XXXX im Iran geboren, der genaue Geburtsort ist nicht bekannt. Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Der Beschwerdeführer ist im Iran aufgewachsen und hat bis zu seiner Ausreise in der Provinz XXXX gelebt, in Afghanistan hat er nie gelebt.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari, diese beherrscht er in Wort und Schrift. Weiters spricht er Deutsch auf dem Niveau A2. Der Beschwerdeführer hat in XXXX in der Provinz XXXX acht Jahre lang die Schule besucht, außerdem war der Beschwerdeführer in der Landwirtschaft seines Vaters, in der sie gepachtete Grundstücke bewirtschafteten, und als Mechaniker tätig. In Österreich hat der Beschwerdeführer Deutsch- und Integrationskurse besucht. Er hat sich in Österreich auch ehrenamtlich engagiert.

Die Angehörigen des Beschwerdeführers (beide Eltern, drei Schwestern, ein Bruder, vier Tanten und drei Onkel mütterlicherseits sowie ein Onkel väterlicherseits) leben im Iran. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie im Iran.

Anfang 2016 reiste der Beschwerdeführer illegal nach Österreich ein und stellte am 07.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Zur Konversion zum Christentum:

Der Beschwerdeführer wuchs im Iran als schiitischer Moslem auf. In seiner Heimat wurde der Beschwerdeführer von seiner Familie zum Beten gezwungen. Er selbst hatte allerdings keinen richtigen Bezug zum Glauben des Islam und er verstand auch den Sinn des Betens nicht.

Nach seiner Einreise in Österreich hatte der Beschwerdeführer durch seinen damaligen Mitbewohner ersten Kontakt zum Christentum und lernte durch diesen auch weitere Christen kennen. Bereits im Jahr 2016 besuchte er mit Freunden eine evangelikale Kirchengemeinschaft in XXXX . Nachdem der Beschwerdeführer zu seinem damaligen Mitbewohner aufgrund einer Verlegung zwischenzeitlich keinen Kontakt hatte, begegneten sie sich im Jahr 2019 wieder. In einem anschließenden Gespräch unterhielten sie sich über das Christentum und sein ehemaliger Mitbewohner lud ihn ein, mit ihm gemeinsam die Kirche zu besuchen. Dieser Einladung kam der Beschwerdeführer nach. In der Folge setzte sich der Beschwerdeführer auch durch Internetrecherchen näher mit dem Christentum auseinander.

Am 31.03.2019, nur einen Monat nach seinem ersten Besuch in dieser evangelikalen Kirchengemeinschaft, ließ sich der Beschwerdeführer in der evangelischen Freikirche „Verein für Mission und Asylantenintegration der Gemeinde Christi“ – eine in Österreich nicht anerkannte Religionsgemeinschaft – taufen. Die Glaubensgemeinschaft wählt den Taufzeitpunkt nach dem Vorbild der Heiligen Schrift und unterrichtet die Täuflinge erst anschließend an die Taufe im christlichen Glauben. Aus diesem Grund absolvierte der Beschwerdeführer vor seiner Taufe keine Taufvorbereitung.

Das Leben des Beschwerdeführers hat sich durch die Hinwendung zum christlichen Glauben verändert. Nach einem Motorradunfall im Iran, bei dem sein Bruder und sein Cousin gestorben sind, hatte der Beschwerdeführer die Hoffnung und die Freude am Leben verloren. Nunmehr hat er durch seinen Glauben neue Hoffnung geschöpft.

Der Beschwerdeführer nimmt regelmäßig an den Bibelstunden und an den Gottesdiensten der oben genannten evangelikalen Freikirche teil, im Zuge der Covid-19-Pandemie nahm er auch an Online-Gottesdiensten via Zoom teil. Darüber hinaus sieht sich der Beschwerdeführer auch dazu verpflichtet, zu missionieren. Im Rahmen dieser Missionierungstätigkeit konnte er bereits eine Person erfolgreich vom christlichen Glauben überzeugen. Der Beschwerdeführer teilte auch seiner im Iran lebenden Familie bei einem Telefonat mit, dass er sich in einer christlichen Freikirche taufen hat lassen. Seine Familie glaubt ihm jedoch nicht, dass er Christ geworden ist.

Der Beschwerdeführer hat sich während seines Aufenthaltes in Österreich aus tiefer freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen in identitätsprägender Weise vom islamischen Glauben ab- und dem Christentum zugewendet. Es ist nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer seine Konversion zum Christentum in seinem Herkunftsstaat Afghanistan verleugnen würde bzw. dauerhaft verleugnen könnte.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Abwendung vom Islam und seiner Konversion zum Christentum physische und/oder psychische Gewalt maßgeblicher Intensität.

Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 01.04.2021 (LIB),

?        UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR)

?        ACCORD-Kurzbericht zu Apostasie, Blasphemie, Konversion, Verstöße gegen islamische Verhaltensregeln, gesellschaftliche Wahrnehmung von RückkehrerInnen aus Europa vom 15.06.2020

Religionsfreiheit:

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 6.10.2020; vgl. AA 16.7.2020). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 1% der Bevölkerung aus (AA 16.7.2020; vgl. CIA 6.10.2020, USDOS 10.6.2020). Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 10.6.2020). In Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Die muslimische Gemeinschaft der Ahmadi schätzt, dass sie landesweit 450 Anhänger hat, gegenüber 600 im Jahr 2017 (USDOS 10.6.2020).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 10.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 10.6.2020). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 16.7.2020; vgl. USCIRF 4.2020, USDOS 10.6.2020), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (RA KBL 10.6.2020). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017). Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (USDOS 10.6.2020). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020). Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.6.2020).

Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 10.6.2020). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 10.6.2020; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 10.6.2020).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Recht zu sprechen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime. Vertreter nicht-muslimischer religiöser Minderheiten, darunter Sikhs und Hindus, berichten über ein Muster der Diskriminierung auf allen Ebenen des Justizsystems (USDOS 10.6.2020).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 10.6.2020).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.3.2020). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 10.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 10.6.2020).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 10.6.2020). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 10.6.2020).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 10.6.2020).

Apostasie, Blasphemie, Konversion:

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (FH 4.3.2020; vgl AA 16.7.2020, USDOS 10.6.2020).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 16.7.2020). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 10.6.2020) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).

Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020); jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertierten, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.6.2020) Die afghanische Regierung scheint kein Interesse daran zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen (LIFOS 21.12.2017; vgl. RA KBL 10.6.2020) - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017).

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).

Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann der Organisation Open Doors zufolge dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird (AA 16.7.2020). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.3.2020). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.3.2020).

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 10.6.2020).

Todesstrafe:

Die Todesstrafe ist in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte vorgesehen (AA 16.7.2020). Das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, hat die Anzahl der mit Todesstrafe bedrohten Verbrechen von 54 auf 14 Delikte reduziert (EASO 7.2020). Vorgesehen ist die Todesstrafe für Delikte wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Angriff gegen den Staat, Mord und Zündung von Sprengladungen, Entführungen bzw. Straßenraub mit tödlicher Folge, Gruppenvergewaltigung von Frauen u.a. (MoJ 15.5.2017: Art. 170). Die Todesstrafe wird vom zuständigen Gericht ausgesprochen und vom Präsidenten genehmigt (MoJ 15.5.2017: Art. 169). Sie wird durch Erhängen ausgeführt (AI 4.2020; vgl. AA 16.7.2020). Unter dem Einfluss der Scharia hingegen droht die Todesstrafe auch bei anderen Delikten (z.B. Blasphemie, Apostasie, Ehebruch sog. „Zina“, Straßenraub). In der afghanischen Bevölkerung trifft diese Form der Bestrafung und Abschreckung auf eine tief verwurzelte Unterstützung. Dies liegt nicht zuletzt auch an einem als korrupt und unzuverlässig geltenden Gefängnissystem und der Tatsache, dass Verurteilte durch Zahlungen freikommen können (AA 16.7.2020).

Obwohl Präsident Ghani sich zwischenzeitlich positiv zu einem möglichen Moratorium zur Todesstrafe geäußert hat und Gesetzesvorhaben auf dem Weg sind, welche eine Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsehen, ist davon auszugehen, dass weiterhin Todesurteile vollstreckt werden (AA 16.7.2020), wobei tatsächliche Hinrichtungen seit 2001 selten geworden sind (DFAT 27.6.2019; vgl. EASO 7.2020). Im Jahr 2019 wurden 14 Personen in Afghanistan zum Tode verurteilt, jedoch niemand hingerichtet (AI 4.2020; vgl. UNGA 16.1.2020, EASO 7.2020).

Zu Jahresende 2019 sollen sich jedoch etwa 700 Menschen in der Todeszelle befinden, darunter etwa 100, die wegen Verbrechen gegen die innere und äußere Sicherheit verurteilt wurden. Im Laufe des Jahres setzte ein 2018 innerhalb des Büros des Generalstaatsanwalts eingerichteter Sonderausschuss die Überwachung von Todesstraffällen fort. Von den insgesamt 102 Fällen, die er prüfte, führten 25 zur Bestätigung der Todesstrafe, 26 zu Empfehlungen für eine Umwandlung und 51 zur Aufhebung der Verurteilungen (AI 4.2020). Mit Stand Juli 2020 sind in Afghanistan ca. 700 Menschen zum Tode verurteilt (AA 16.7.2020).

Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018:

„Nicht-muslimische religiöse Minderheiten, insbesondere Christen, Hindus und Sikhs, werden weiterhin im geltenden Recht diskriminiert. Nicht-muslimische Minderheiten werden Berichten zufolge weiterhin gesellschaftlich schikaniert und in manchen Fällen tätlich angegriffen. Es heißt, dass Angehörige religiöser Minderheiten wie Baha’i und Christen es aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verhaftung oder Tötung vermeiden, sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln.

Im Zeitraum vom 1. Januar bis 7. November 2017 „dokumentierte [UNAMA] 51 – hauptsächlich auf regierungsfeindliche Kräfte zurückzuführende – Fälle gezielter Tötungen, Entführungen, und Einschüchterungen von Religionsgelehrten und religiösen Führern, sowie Anschlägen auf Gebetsstätten und Personen, die ihr Recht auf Religionsausübung durch Gottesdienst, Bräuche und Riten wahrnahmen. Diese Zwischenfälle forderten 850 Opfer unter der Zivilbevölkerung (273 getötete und 577 verletzte Personen), was fast eine Verdoppelung der zivilen Opferzahlen derartiger Angriffe im gesamten zurückliegenden Siebenjahreszeitraum von 2009 bis 2015 darstellt.”

Analysten äußerten ihre Besorgnis, dass gewisse Bestimmungen eines neuen Gesetzesentwurfs zur Versammlungsfreiheit ganz besonders die Rechte religiöser Minderheiten einschränken würden. Der Gesetzesentwurf stellt Berichten zufolge „Ansammlungen, Streiks, Demonstrationen, Sitzstreiks zur Durchsetzung ethnischer, religiöser und regionaler Forderungen” als gesetzwidrige Proteste unter Strafe.

Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Christen ist Berichten zufolge weiterhin offen feindlich. Christen werden gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. In Afghanistan existieren keine öffentlichen Kirchen mehr und Christen beten allein oder in kleinen Versammlungen in Privathäusern. 2013 riefen vier Parlamentsmitglieder Berichten zufolge zur Hinrichtung von Personen auf, die zum Christentum konvertiert sind.

Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie, also als Glaubensabfall betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tode bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, sie fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten „ungeheuerlichen Straftaten“, die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft fallen. Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist. Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grundes und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren. Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion übertreten, müssen Berichten zufolge um ihre persönliche Sicherheit fürchten. Bekehrungsversuche, um Personen zum Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion zu bewegen, sind Berichten zufolge laut der Hanafi Rechtslehre ebenfalls rechtswidrig und es stehen darauf dieselben Strafen wie für Apostasie. Berichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können, so wird berichtet, selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden. In der Regel haben Beschuldigte laut Berichten indes keinen Zugang zu einem Verteidiger oder zu anderen Verfahrensgarantien.“

Auszug aus dem ACCORD-Kurzbericht zu Apostasie, Blasphemie, Konversion, Verstöße gegen islamische Verhaltensregeln, gesellschaftliche Wahrnehmung von RückkehrerInnen aus Europa vom 15.06.2020:

„Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass Apostasie (Arabisch: ridda) in der klassischen Scharia als „Weggehen“ vom Islam verstanden werde und ein Apostat (Arabisch: murtadd) ein Muslim sei, der den Islam verleugne. Apostasie müsse nicht unbedingt bedeuten, dass sich der Apostat einer anderen Glaubensrichtung anschließe (Landinfo, 4. September 2013, S. 10). Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) erwähnt in seinem Bericht vom Juni 2020, dass Konversion vom Islam zu einer anderen Religion nach der sunnitisch-hanafitischen Rechtslehre Apostasie darstelle (USDOS, 10. Juni 2020, Section II).

Artikel 2 der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan vom Jänner 2004 legt die „heilige Religion des Islam“ als Religion Afghanistans fest. Angehörigen anderer Glaubensrichtungen steht es frei, innerhalb der Grenzen des Gesetzes ihren Glauben und ihre religiösen Rituale auszuüben. Gemäß Artikel 3 der Verfassung darf kein Gesetz in Widerspruch zu den Lehren und Vorschriften des Islam stehen. Laut Artikel 7 ist Afghanistan indes verpflichtet, die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen, zwischenstaatlicher Vereinbarungen, internationaler Vertragswerke, deren Vertragsstaat Afghanistan ist, sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einzuhalten. Artikel 130 der Verfassung schreibt vor, dass die Gerichte bei der Beurteilung von Fällen die Bestimmungen der Verfassung und anderer Gesetze zu berücksichtigen haben. Wenn es jedoch zu einem Fall keine Bestimmungen in der Verfassung oder anderen Gesetzen gibt, so haben die Gerichte entsprechend der (sunnitischen) hanafitischen Rechtssprechungstradition innerhalb der Grenzen der Verfassung auf eine Art und Weise zu entscheiden, welche am besten geeignet ist, Gerechtigkeit zu gewährleisten (Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, 26. Jänner 2004, Artikel 130).

Auch im USCIRF-Bericht vom April 2020 findet sich die Information, dass die afghanische Verfassung den Gerichten abverlange, sich auf die Rechtsprechung der hanafitischen Scharia zu stützen, wenn zu einem juristischen Sachverhalt keine geltenden verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Bestimmungen vorliegen würden. Dies habe zur Folge, dass Blasphemie, Abfall vom Glauben und Missionieren durch Nicht-Muslime unter Strafe gestellt sei (USCIRF, April 2020, S. 49).

Laut USDOS-Bericht vom Juni 2020 sei der Straftatbestand Apostasie im Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich vorgesehen. Vielmehr falle er unter die sieben Straftatbestände, die in der Scharia Hudud (Arabisch für „Grenzen“, Anm. ACCORD) genannt würden. Nach dem Strafgesetzbuch würden Personen, die sich Hudud-Verbrechen schuldig gemacht hätten, nach der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung bestraft. Gemäß dieser sei für männliche Apostaten Enthauptung die angemessene Bestrafung, während für weibliche lebenslange Haft das angemessene Strafmaß sei. Es sei denn, die Person tue Buße. Einem Richter stehe es auch frei, mildere Strafen zu verhängen, wie etwa kurzfristige Haftstrafen oder Peitschenhiebe, wenn Zweifel am tatsächlichen Vorliegen eines Abfalls vom Glauben bestehen würden. Nach der hanafitischen Rechtsprechung könne die Regierung auch das Eigentum von ApostatInnen konfiszieren oder Abtrünnige daran hindern, Eigentum zu erben. […]. (USDOS, 10. Juni 2020, Section II).

[…]

Das DFAT hält in seinem Bericht vom Juni 2019 fest, dass jene, denen Blasphemie oder Apostasie vorgeworfen werde, äußerst vulnerabel in Bezug auf gesellschaftliche Diskriminierung seien, die auch die Form von extremer Gewalt annehmen könne. In einem sehr bekannten Fall vom März 2015 habe eine große Gruppe von Menschen im Zentrum Kabuls eine Frau zu Tode geprügelt, ihre Leiche in Brand gesteckt und sie an einem Flussufer abgeladen, nachdem ein Mullah sie (fälschlicherweise) beschuldigt habe, eine Kopie des Korans verbrannt zu haben (Zu diesem Fall siehe auch weiter unten in dieser Anfragebeantwortung, sowie in ACCORD, 1. Juni 2017, Anm. ACCORD). Vom Islam abgefallene und zu einer anderen Religion konvertierte Personen hätten berichtet, dass sie damit die Annullierung ihrer Ehen, die Verstoßung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren würden. Das DFAT hält dazu fest, dass es über keine weiteren Informationen zu diesen Behauptungen verfüge, sowie auch über keine Informationen zur Anzahl von Personen, die versuchen würden, zu konvertieren (DFAT, 27. Juni 2019, S. 28).

[…]

Migrationsverket geht in seinem Bericht vom Dezember 2017 unter Verweis auf verschiedene Quellen ebenfalls auf die möglichen Konsequenzen von Apostasie ein und schreibt, dass mehrere Quellen angegeben hätten, dass es kein Mitgefühl für Muslime gebe, die "ihren Glauben verraten“ würden. ApostatInnen würden riskieren, von ihren Familien vertrieben zu werden. Darüber hinaus könne es in einigen Fällen vorkommen, dass Menschen in der Umgebung der abtrünnigen Person die Sache selbst in die Hand nehmen und die Person töten würden, ohne dass der Fall vor Gericht komme. Das Ansehen des Einzelnen sei eng mit dem Ansehen der Familie in der afghanischen Gesellschaft verflochten. Wenn eine Familie daher beschließe, die Person wegen des Verdachts der Abwendung vom Islam zu vertreiben, gerate die Person in eine sehr vulnerable Situation. Mehrere Quellen würden andeuten, dass die Hauptbedrohung für eine vom islamischen Glauben abgefallene Person nicht in erster Linie von den afghanischen Behörden ausgehe, sondern von der eigenen Familie der Person oder anderen Personen innerhalb der Gemeinschaft der Person (Migrationsverket, 21. Dezember 2017, S. 17).

[…]

Aber auch Desinteresse an Religion könne laut Stahlmann als Apostasie gewertet werden. So könne es in Afghanistan als Hinweis auf bzw. Merkmal von Apostasie wahrgenommen werden, wenn jemand die religiösen Rituale nicht pflege. Und in vielen der von RückkehrerInnen in Anspruch genommenen Unterkünfte werde man sehr stark sozial überwacht, ob und wie häufig man zum Beispiel bete. Also gerade an solchen halb-öffentlichen Orten, oder an Orten, an denen es Zeugen gebe, die man nicht gut kenne, brauche es ein überzeugendes Bekenntnis zum Islam und das Einhalten der damit verbundenen Rituale. Praktisch würden jedoch auch Alltagsregeln religiös legitimiert und damit sei auch deren Einhaltung zentral, um den Vorwurf der Apostasie zu vermeiden. Dies seien Dinge, die gerade zurückkehrende Flüchtlinge, die Afghanistan jung verlassen hätten oder Afghanistan nicht kennen würden, häufig falsch machen würden. […].

[…]

Melissa Kerr Chiovenda schreibt in ihrer E-Mail-Auskunft vom Juni 2020, dass den Islam zu kritisieren oder nicht nach dessen Regeln zu leben Auswirkungen haben könne. Erstens gebe es ein Blasphemie-Gesetz, das Gefängnis- oder Todesstrafen vorsehe und das gegen JournalistInnen und andere Personen angewandt worden sei, die den Islam, wie er in Afghanistan praktiziert werde, in Frage gestellt hätten. AfghanInnen, die säkularer seien, seien in der Regel sehr darauf bedacht, in der Öffentlichkeit den Anschein der Frömmigkeit aufrechtzuerhalten, und seien sehr vorsichtig mit dem, was sie sagen würden. Die öffentliche Zurschaustellung der Frömmigkeit sei für Menschen in Machtpositionen notwendig. Gegen Menschen, die den Islam kritisieren würden, könne das Blasphemie-Gesetz angewendet werden. Aber vergleichbar mit dem Thema Apostasie sei es auch hier so, dass es wahrscheinlicher sei, dass Personen eher gesellschaftliche Auswirkungen zu spüren bekommen würden, es sei denn, es handle sich um jemanden, der eine öffentliche Rolle in der Gesellschaft einnehme (Kerr Chiovenda, 2. Juni 2020).

[…]

Noah Coburn schreibt in seiner E-Mail-Auskunft vom Juni 2020, dass Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten würden oder den Islam kritisieren würden, in manchen ländlichen Regionen des Landes dafür getötet werden könnten. In anderen Regionen könne ein derartiges Verhalten etwa zu einer Verhaftung oder zu Übergriffen führen. […] (Coburn, 1. Juni 2020).

[…]

Die Anthropologin Melissa Kerr Chiovenda antwortet in einer E-Mail-Auskunft vom Juni 2020 wie folgt auf die Frage, ob sich die Reaktion der Gesellschaft auf KonvertitInnen oder andere ApostatInnen unterscheide, je nachdem, ob man sich im ländlichen oder im städtischen Bereich befinde. Laut Kerr Chiovenda rufe das Bekanntwerden solcher Fälle im ländlichen Bereich eine schlimmere Reaktion hervor, jedoch solle diese Bemerkung in keiner Weise die Gefahr in städtischen Gebieten herunterspielen. Zum Teil lasse sich dies damit erklären, dass es in der letzten Zeit eine enorme Migration vom Land in die Stadt gegeben habe, so dass die sozialen Unterschiede zwischen Stadt und Land deutlich abgenommen hätten. […] (Kerr Chiovenda, 10. Juni 2020).

[…]

In einer E-Mail-Auskunft vom Juni 2020 hält Friederike Stahlmann fest, dass sofern Apostasievorwürfe im Raum stehen würden – und sei es auch nur als Gerücht -, nicht davon ausgegangen werden könne, dass es bezüglich der Reaktion des sozialen Umfelds und der Öffentlichkeit Stadt-Land-Unterschiede gebe. Die soziokulturellen Differenzen, die in Vorkriegszeiten einen Stadt-Land-Unterschied geprägt hätten, hätten in vielerlei Hinsicht an Bedeutung verloren. Dies sei zum einen den Migrations- und Fluchtbewegungen geschuldet. Zum anderen sei das soziopolitische Interesse, sich gegen vermeintlich anti-islamische Einflüsse zur Wehr zu setzen, nicht auf militärische Opposition wie die Taliban beschränkt, sondern stelle einen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens dar.

In Städten wie Herat, Kabul oder Mazar-e Sharif mag die Wahrscheinlichkeit geringer sein als in entlegenen ländlichen Regionen, dass Personen, die wegen Apostasie angeklagt würden, von staatlichen Gerichten zum Tode verurteilt würden, und die Chance größer, dass ein Todesurteil durch eine international unterstützte Ausreise abgewandt würde. Ein weiterer minimaler Unterschied sei, dass Städte eher Nischen für eine wenn auch meist nur sehr diskret gelebten liberale Szene bieten würden. Diese setze jedoch die Unterstützung eines sozialen Umfeldes voraus, das weniger konservative Haltungen toleriere und einen vorsichtigeren Umgang mit Vorwürfen wie Apostasie pflege. Voraussetzung dafür sei jedoch zumindest der potente sozio-ökonomische Schutz der erweiterten Familie, der erlaube, sich zum Beispiel durch eigene Fahrer oder Wächter zu schützen, aber auch über die Mittel verfüge, im Notfall eine Ausreise zu ermöglichen. Es setze jedoch auch die Bereitschaft des sozialen Umfelds voraus, das Risiko derart provozierter Übergriffe in Kauf zu nehmen. In einem derartigen Setting könne es möglich sein, privat weniger oder gar nicht zu beten, oder bei Veranstaltungen in Kleidung aufzutreten, die in vielen ländlichen Gebieten ausgeschlossen wäre. Doch auch die kleine liberale Elite investiere viel, um in der Öffentlichkeit die Form zu wahren und möglichst wenig Angriffsfläche für Vorwürfe der Ungläubigkeit zu bieten. Denn nicht zuletzt seien diese auch ein beliebtes Mittel der Diskreditierung durch die politisch machthabende Elite gegenüber der kleinen Opposition, die rechtsstaatliche Standards fordere. Wer jedoch nicht schon Teil dieser Szene sei und deren Schutz genieße, müsse auch in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif damit rechnen, dass sich die Bewertung von Auftreten, Verhalten und Äußerungen nicht von ländlichen Regionen unterscheide (Stahlmann, 11. Juni 2020).

[…]

Noah Coburn antwortet in seiner Auskunft vom Juni 2020 auf die Frage, ob afghanische RückkehrerInnen aufgrund einer wahrgenommenen „Verwestlichung“ mit Misstrauen konfrontiert seien, dass dies bestimmt nicht alle RückkehrerInnen betreffe, da es so viele AfghanInnen gebe, die einmal Flüchtlinge gewesen seien. Es komme aber mit gewisser Regelmäßigkeit vor und betreffe insbesondere schiitische Hazara, die bereits von vielen als nicht als „echte Muslime“ wahrgenommen würden (Coburn, 1. Juni 2020).

Friederike Stahlmann erwähnt im Rahmen der ACCORD Online-Veranstaltung vom Mai 2020 die Gefahr für RückkehrerInnen, als „verwestlicht“ und damit als Ungläubiger wahrgenommen zu werden. In Afghanistan sei hier das Wort „gharbzadeh“ für „verwestlicht“ gebräuchlich. Dieses beschreibe Veränderungen im Auftreten, im Umgang, hinsichtlich der Alltagsregeln und anderen sozialen Regeln. Dieser Habitus, diese Veränderung sei etwas, was die betreffende Person nicht einfach auf Befehl ablegen könne. Es sei frappierend, wie man aus westlichen Ländern Abgeschobene sofort erkenne. Hier drohe auch durch die eigene Familie Gefahr. Die bei der betroffenen Person bemerkten sozialen Veränderungen würden häufig auch religiöse Erwartungen verletzen. Dies werde als Abfall vom Glauben gewertet und man werde als Ungläubiger kategorisiert, was wiederum sehr gefährlich sei. Auch aus der Nachbarschaft drohe Gefahr. Die politisch motivierten Übergriffe aufgrund von Verwestlichung, von denen sie in Kabul gehört habe, seien fast alle aus der Nachbarschaft gekommen, darunter auch im großen Hazara-Viertel Dascht-e-Bartschi, das nicht dafür bekannt sei, besonders konservativ zu sein. […] (Stahlmann, 11. Mai 2020).

[…].“

2. Beweiswürdigung:

Beweise wurden erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und den Gerichtsakt zum Beschwerdeführer sowie in die oben genannten Quellen zur Lage im Herkunftsstaat und durch Einvernahme des Beschwerdeführers sowie des Zeugen XXXX , dem Taufbegleiter des Beschwerdeführers, im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zum Namen, zum Geburtsdatum, zum Geburtsland, zur Staatsangehörigkeit und zur Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem diesbezüglich übereinstimmenden und glaubhaften Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Obwohl im zentralen Melderegister als Geburtsort Mazar Sharif aufscheint, war dennoch festzustellen, dass der Geburtsort des Beschwerdeführers nicht bekannt ist, da dieser im gesamten Verfahren durchgehend vorbrachte, im Iran geboren zu sein.

Auch die Feststellungen dazu, dass der Beschwerdeführer im Iran aufgewachsen ist und noch nie in Afghanistan gelebt hat und die Feststellung zum Wohnort des Beschwerdeführers bis zu seiner Ausreise aus dem Iran, beruhen auf den glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers.

Des Weiteren brachte der Beschwerdeführer glaubhaft vor, dass er ledig sei und keine Kinder habe.

Bezüglich der Feststellung zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass dieser am 29.06.2018 eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 abgelegt und bestanden hat, das entsprechende ÖIF-Zeugnis wurde vorgelegt.

Die Feststellungen zum Schulbesuch und zur bisherigen Berufstätigkeit des Beschwerdeführers im Iran ergeben sich aus seinen diesbezüglich gleichbleibenden Aussagen im Laufe des Verfahrens. Der Beschwerdeführer gab glaubhaft an, dass er im Iran acht Jahre lang die Schule besucht und gemeinsam mit seinem Vater eine Landwirtschaft mit gepachteten Grundstücken bewirtschaftet sowie als Mechaniker gearbeitet hat. Dass der Beschwerdeführer in Österreich Deutsch- und Integrationskurse besucht hat, ergibt sich aus den vorgelegten Urkunden. Die Feststellung, dass sich der Beschwerdeführer in Österreich ehrenamtlich engagiert hat, gründet sich auf seine glaubhafte Aussage sowie auf die vorgelegte Bestätigung vom 08.06.2017.

Die Feststellung, dass die gesamte Familie des Beschwerdeführers im Iran lebt, ergibt sich aus den übereinstimmenden und daher glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA und vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer Anfang 2016 in Österreich illegal eingereist ist, basiert ebenfalls auf der glaubhaften Aussage des Beschwerdeführers. Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus einem aktuell vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem Strafregister.

Zu den Feststellungen zur Konversion zum Christentum:

Die Feststellungen zum religiösen Hintergrund des Beschwerdeführers, zu seinem ersten Kontakt mit dem Christentum und seinem ersten Kirchenbesuch, zu seiner Einstellung zum christlichen Glauben, zur Taufe des Beschwerdeführers, zu seinen Besuchen von Gottesdiensten und Bibelkursen und zur Reaktion seiner im Iran lebenden Familie bezüglich seinem Interesse am Christentum, stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Ausführungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, auf die Bestätigung über die Teilnahme an den Bibelkursen und Gottesdiensten vom 05.05.2021 sowie auf das Taufzertifikat vom 31.03.2019. An der Echtheit und Richtigkeit der vorgelegten Urkunden bestehen beim erkennenden Gericht keine Zweifel.

Die Feststellung zu der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur evangelikalen Freikirche „Verein für Mission und Asylantenintegration der Gemeinde Christi“ ergibt sich ebenfalls aus der glaubwürdigen Aussage des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie aus der Bestätigung vom 05.05.2021. Dass die Glaubensgemeinschaft den Taufzeitpunkt nach dem Vorbild der Heiligen Schrift auswählt und die Täuflinge erst anschließend an die Taufe im christlichen Glauben unterrichtet, ergibt sich aus der vorgelegten Erklärung der Glaubensgemeinschaft. Darüber hinaus führte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht selbst aus, dass man in dieser Glaubensgemeinschaft zuerst getauft werde und erst dann aus der Bibel lerne.

Aus den Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung lässt sich ableiten, dass er sich während seines Aufenthalts in Österreich aus freier persönlicher Überzeugung, faktisch und für Dritte wahrnehmbar zum christlichen Glauben hingewandt hat und die Konversion nicht bloß zum Schein erfolgen sollte, und dass der Beschwerdeführer ein fortgesetztes Interesse und auch einen nachhaltigen Willen zur Ausübung des christlichen Glaubens hat:

Der Beschwerdeführer konnte in der mündlichen Verhandlung ein gutes inhaltliches Wissen über den christlichen Glauben unter Beweis stellen, welches eine vorhergehende eingehende Auseinandersetzung mit diesem voraussetzt. Ein solches Wissen erachtet das erkennende Gericht als starkes Indiz für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel. Der Beschwerdeführer hat sich auch nicht auf die Wiedergabe von leicht verfügbarem Faktenwissen beschränkt, sondern sich glaubhaft darauf berufen, dass der christliche Glaube in seinem Leben eine besondere Bedeutung hat und dass er danach leben möchte und auch danach lebe. Er konnte zudem auch nachvollziehbar die Gründe und den Weg seines Glaubenswechsels darlegen.

Auch wenn der Beschwerdeführer einer – in Österreich nicht anerkannten – evangelikalen Freikirche angehört, lebt er eindeutig nach christlichen Werten, glaubt an Jesus Christus als Sohn Gottes und erachtet es als seine Pflicht, zu missionieren, also auch andere Personen vom christlichen Glauben zu überzeugen, was ihm auch bereits erfolgreich gelungen ist. Dies ergibt sich – neben der Aussage des Beschwerdeführers – auch aus der Bestätigung über die Teilnahme an den Bibelkursen und Gottesdiensten vom 05.05.2021, in der bestätigt wird, dass der Beschwerdeführer seinen Glauben teilt und lebt und mindestens einen ehemaligen Muslim zum Christentum bekehrt hat.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 10.05.2021 wurde auch der Taufbegleiter des Beschwerdeführers als Zeuge gehört. Der Zeuge hat sehr überzeugend die vom erkennenden Gericht getroffenen Beurteilungen betreffend den Beschwerdeführer, nämlich dass bei ihm ein tatsächlicher und aufrichtiger Glaubenswechsel stattgefunden hat, bestätigt. So legte der Zeuge dar, dass der Beschwerdeführer seit der Konversion zum Christentum wieder Hoffnung geschöpft habe und er auch sehr bemüht sei, den Inhalt der Bibel zu verstehen. Da er diesbezüglich öfter Probleme habe, unterhalte sich der Beschwerdeführer auch mit anderen Personen darüber, um die Bibel vollumfänglich verstehen und nachvollziehen zu können.

Dieses selbständige Handeln des Beschwerdeführers hinsichtlich des Studiums der Bibel, sowie die Besuche der Bibelkurse und der Gottesdienste auch während Corona-Zeiten via Zoom sprechen auch dafür, dass der Beschwerdeführer sich aus innerer Überzeugung zum christlichen Glauben hingewandt hat. Dafür spricht auch, dass der Beschwerdeführer sich am 31.03.2019 taufen ließ und mittlerweile selbst missioniert.

Dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner Konversion zum Christentum physische und/oder psychische Gewalt drohen würde, ergibt sich aus den oben angeführten Länderberichten sowie den auszugsweise wiedergegebenen UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender und den Auszügen aus dem ACCORD-Kurzbericht zu Apostasie, Blasphemie, Konversion, Verstöße gegen islamische Verhaltensregeln, gesellschaftliche Wahrnehmung von RückkehrerInnen aus Europa. Daraus geht hervor, dass diese Verfolgung durch afghanische Behörden und durch Privatpersonen fürchten müssen, wenn ihre Konversion zum Christentum oder ihr Abfall vom Islam bekannt wird. Konvertiten haben in Afghanistan mit sozialer Ausgrenzung und Gewalt durch Familienangehörige, durch die Taliban und den Islamischen Staat sowie mit strafrechtlicher Verfolgung bis hin zur Todesstrafe zu rechnen. Auch ist eine Missionierung illegal und steht dieser die öffentliche Meinung feindselig gegenüber.

In einer Gesamtschau der Angaben des Beschwerdeführers im Verlauf des Verfahrens und aus den dargelegten Erwägungen erscheint das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Furcht vor Verfolgung in Afghanistan aus Gründen der Konversion vom Islam zum Christentum insgesamt glaubhaft. Es ist daher davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus asylrelevanten Gründen drohen würde und die staatlichen Einrichtungen Afghanistans nicht in der Lage sein würden, dem Beschwerdeführer vor dieser Verfolgung im ausreichenden Maß Schutz zu bieten.

Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die fallbezogenen Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die entsprechenden Auszüge aus dem Länderinformationsblatt vom 01.04.2021 zum Thema Religionsfreiheit, Apostasie, Blasphemie, Konversion und Todesstrafe, auf Auszüge der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 sowie auf Auszüge des ACCORD-Kurzberichts zu Apostasie, Blasphemie, Konversion, Verstöße gegen islamische Verhaltensregeln, gesellschaftliche Wahrnehmung von RückkehrerInnen aus Europa vom 15.06.2020. Da diese Feststellungen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation fallrelevant nicht entscheidungswesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Verfolgung kann gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind. Ein in der Praxis häufiges Beispiel für sogenannte subjektive Nachfluchtgründe ist die im Zufluchtsstaat erfolgende Konversion zum Christentum insbesondere bei Asylwerbern aus islamischen Staaten. Auch wenn in einem solchen Fall der Nachweis einer (religiösen) Überzeugung, die bereits im Heimatstaat bestanden hat, nicht erbracht werden kann, drohen dem Antragsteller bei seiner Rückkehr in den Heimatstaat gegebenenfalls Sanktionen, die von ihrer Intensität und ihrem Grund her an sich asylrelevant sind. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt in diesen Fällen nicht darauf ab, ob die entsprechende Überzeugung bereits im Heimatland bestanden hat (VwGH 17.09.2008, 2008/23/0675). Vielmehr ist maßgeblich, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (vgl. VwGH 07.05.2018, Ra 2018/20/0186). Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (VwGH 17.09.2008, 2008/23/0675; 14.11.2007, 2004/20/0485, sowie VfGH 12.12.2013, U 2272/2012).

Dabei stellt der Verwaltungsgerichtshof bei einer Konversion zum Christentum nicht darauf ab, ob der Religionswechsel bereits - durch die Taufe - erfol

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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