TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/18 W159 2236588-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.06.2021
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Entscheidungsdatum

18.06.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W159 2236588-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.09.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 27.04.2021 und am 08.06.2021 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Afghanistan und Angehöriger der tadschikischen Volksgruppe, gelangte (spätestens) am 10.02.2020 nach Österreich und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Noch am gleichen Tag erfolgte die Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Burgenland, Fremden- und Grenzpolizeiliche Abteilung, wobei der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen ausführte, dass er in Afghanistan Polizist gewesen sei und er ca. eineinhalb Jahre in Nuristan und dann zwei Jahre in Baghlan Dienst versehen habe. Nachdem sein Vorgesetzter entlassen worden sei, sei sein Leben in Gefahr gewesen. Er sei von den Taliban bedroht worden und sei ihm auch von der Regierung mitgeteilt worden, dass die Taliban einen Anschlag auf ihn planen würden. Er habe auch von der Regierung keinen Schutz erwarten können und habe deswegen aus seiner Heimat flüchten müssen, da er um sein Leben fürchte. Er könne seine Behauptungen auch beweisen, wie er beispielsweises diverse Drogen aufgegriffen und vernichtet habe.

Der Beschwerdeführer war wegen Kopfschmerzen und Schlafstörungen in ärztlicher Behandlung. Nach Zulassung zum Asylverfahren erfolgte am 02.09.2020 eine inhaltliche Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg. Der Beschwerdeführer gab eingangs der Einvernahme an, dass er Dokumente einschließlich eines USB-Sticks bereits vorgelegt habe (diese wurden jedoch dem Akt nicht angeschlossen). Er sei im Jahre XXXX in der Stadt Kabul geboren worden. Seine Familie lebe derzeit in der Stadt XXXX , in der Provinz Baghlan, sein ältester Bruder in Kabul. Er habe von seiner Geburt bis zum Jahre XXXX in Kabul gewohnt und dann wären sie nach XXXX umgezogen. Er habe sowohl einen Onkel väterlicherseits als auch einen Onkel mütterlicherseits in Afghanistan. Seiner Familie gehe es finanziell relativ gut. Kontakt habe er allerdings nur mit seinen Eltern. Einen Onkel mütterlicherseits habe er auch in Deutschland. Er habe in Afghanistan zwölf Jahre lang die Schule besucht und auch drei Jahre lang eine Handelsschule. Sein Vater habe in Afghanistan einen Mineralölhandel betrieben, er habe in dem Geschäft mitgearbeitet. Es sei ihnen finanziell gut gegangen. Zu den Fluchtgründen gab er an, dass er eineinhalb Jahre in Nuristan als Sekretär und Sicherheitsberater des provinziellen Polizeichefs gearbeitet habe und er in dieser Zeit an allen Operationen gegen Terroristen teilgenommen habe. Er sei öfters in Hinterhalte gelockt worden, aber sei immer wieder davongekommen. Später sei sein Vorgesetzter in die Provinz Baghlan versetzt worden und er mit ihm gemeinsam und habe es noch vielmehr Operationen gegen Drogenschmuggler, Mörder, Räuber und andere Verbrecher gegeben. Er habe Beweise auf einem USB-Stick. Als die Taliban dabei gewesen seien, einen Polizeiposten zu umzingeln, seien sie zu Hilfe gekommen. Sie hätten immer wieder versucht, die Terroristen zu vertreiben und der Bevölkerung Land und Besitz zurückzugeben. Da er der Vertreter des provinziellen Polizeichefs gewesen sei, seien die Taliban auf ihn aufmerksam geworden. Sie hätten dann den Befehl ausgegeben, dass er getötet werden solle, da sie durch ihn Personen und Material verloren hätten. Er sei dann vom polizeilichen Geheimdienst informiert worden, dass er auf einer Todesliste stehe und dass ihn die Terroristen umbringen würden. Sie hätten auch Leute des Kommandanten der Hisbeh Islami verhaftet, der Geschäftsleute entführt hätte und Lösegeld verlangt hätte. Er habe auch drei Mörder festgenommen, die eine Familie in Kabul umgebracht hätten. Sie seien jedoch alle freigekommen und hätten geschworen, dass sie ihn umbringen würden. Zwei Verbrecher namens XXXX und XXXX habe er dreimal verhaftet und jedes Mal wären sie wieder freigekommen. Er habe auch große Drogendealer in XXXX festgenommen und die Drogen sichergestellt. Als sein Vorgesetzter noch tätig gewesen wäre, habe er Unterstützung von ihm und von der Regierung bekommen, aber sein Vorgesetzter sei gekündigt worden und sein Nachfolger habe ihn dann gekündigt. Er sei dann unter direkter Bedrohung der Taliban gestanden. Von seinen zehn Kollegen seien sechs zu Tode gekommen, einer sei sogar in Kabul vor ihm verprügelt und gefoltert worden.

Er sei dann für eine Woche zu seinem Bruder nach Kabul gegangen. Dort habe er seine Ausreise organisiert. Wenn er in Kabul gewesen sei, habe er sich immer tarnen müssen. Wenn er Afghanistan nicht verlassen hätte, wäre es ihm so gegangen wie seinen ermordeten Kollegen. Gefragt, warum er nach seiner Schulausbildung und bei dem Geschäft seines Vaters überhaupt dazu gekommen sei, Polizist zu werden, gab er an, dass das immer schon sein Wunsch gewesen sei und er den Polizeichef auch vorher gekannt habe. Erst habe er ihn als Pressesprecher mitgenommen, dann habe er mehr Verantwortung bekommen und sei sein Stellvertreter geworden. Er habe nur eine praktische Ausbildung vor Ort erfahren, aber er habe vorher zwölf Jahre die Schule besucht. Sein Chef habe sich mit Leuten umgeben wollen, denen er vertrauen könne. Gefragt, ob er sich nicht in einer anderen Provinz von Afghanistan, zum Beispiel in Balkh oder Herat, niederlassen könne, gab er an, dass seine Feinde ihn bis nach Pakistan oder in den Iran verfolgen könnte und werde die Sicherheitslage in Balkh immer schlechter und sei Herat vor allem ein sicherer Ort für Mörder, Räuber und Entführer. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan habe er Angst davor, ermordet zu werden. Er sei oft bedroht worden und sei auf einer Todesliste. In Österreich gehe er in eine Sprachschule. Er möchte in Österreich arbeiten und auf eigenen Beinen stehen, damit er niemandem zur Last falle.

Es wurden zahlreiche vom Beschwerdeführer vorgelegte Urkunden aus Afghanistan wohl in Kopie dem Akt angeschlossen, jedoch keiner Übersetzung zugeführt. Weiters wurde auch der vom Beschwerdeführer vorgelegte afghanische Polizeiausweis kopiert.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg vom 28.09.2020, Zahl XXXX wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchteil II. dieser Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen, unter Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, unter Spruchpunkt IV. eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt V. eine Abschiebung nach Afghanistan für zulässig erklärt und unter Spruchpunkt VI. die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen festgelegt.

In der Begründung des Bescheides wurden der Verfahrensgang und die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und Feststellungen zur Person und zum Herkunftsstaat getroffen. Beweiswürdigend wurde insbesondere ausgeführt, dass anzunehmen sei, dass er in dem Mineralölgeschäft des Vaters mitgearbeitet habe und aufgrund der Urkunden anzunehmen sei, dass er tatsächlich für die afghanische Polizei tätig gewesen sei. Welches Ausmaß die Verantwortlichkeit erreicht hätten, könne allerdings nicht festgestellt werden. Es sei realitätsfremd, dass der Beschwerdeführer, der keine Ausbildung an einer Polizeiakademie abgeschlossen hätte, derart höchst wichtige und sensible Aufgabenbereiche innegehabt habe. Es sei auch durchaus möglich, dass er bei den Einsätzen, welche auf den vorgelegten Foto- und Videoaufnahmen zu sehen seien, anwesend gewesen sei, dass er dabei eine führende oder gar essentielle Rolle gespielt habe, sei jedoch äußerst unwahrscheinlich. Er sei als einfacher Polizist vielmehr kein „high profile target“ für die Taliban oder anderweitig kriminelle Subjekte. Es sei auch nicht erklärlich, warum es der Familie möglich sei, in ihrem Heimatdorf nach wie vor unbehelligt zu leben.

Zu Spruchteil I. wurde insbesondere ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine Fluchtgründe, wie sie in der GFK aufgelistet seien, glaubhaft machen habe können. Zu Spruchteil II. wurde zunächst ausgeführt, dass sowohl hinsichtlich der Heimatprovinz Kabul keine relevante Gefährdungslage vorläge und als auch eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif in Frage komme. Es könne daher angenommen werden, dass der Antragsteller im Falle einer Rückkehr in keine lebensbedrohende Notlage gerate und sei daher kein subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG lägen nicht vor (Spruchteil III.). Zu Spruchteil IV. wurde hervorgehoben, dass der Antragsteller keine Verwandten oder nahe Angehörige im Bundesgebiet habe und daher eine Rückkehrentscheidung keinen Eingriff in das Familienleben darstellen würde. Zum Privatleben wurde festgehalten, dass der Antragssteller erst am 10.02.2020 illegal in das Bundesgebiet eingereist sei und auch keine hervorragende Integration vorliege, sodass letztlich ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht zu erteilen gewesen sei und eine Rückkehrentscheidung als zulässig zu bezeichnen sei. Zu Spruchpunkt V. wurde hingewiesen, dass keine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG vorliege und einer Abschiebung nach Afghanistan auch keine vorläufige Maßnahme des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegenstehe, sodass diese als zulässig zu bezeichnen sei (Spruchpunkt V.), Gründe für die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise wären nicht hervorgekommen (Spruchpunkt VI.)

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller, vertreten durch den XXXX , fristgerecht gegen alle Spruchteile Beschwerde und beantragte ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung. Zur Beweiswürdigung wurde insbesondere hervorgehoben, dass der Beschwerdeführer die vorgelegten Dokumente im Original besitze, diese jedoch nur als Kopie zum Akt genommen worden seien und ihm dann vorgehalten worden seien, dass die Dokumente nur Kopien seien und daher einer Überprüfung nicht zugänglich.

Das Wort „Sicherheitsberater“ im Protokoll sei nicht ganz zutreffend, Leibwächter oder Bodyguard wäre passender. Der Beschwerdeführer habe seine Tätigkeit als Sekretär und als Bodyguard und nicht als klassischer Polizist wahrgenommen. Auch sei die Übersetzung der Funktion als Pressesprecher nicht richtig. Vielmehr habe er am Beginn seiner Tätigkeit Fotos und Videos für den Polizeichef gemacht. Auch sei er nicht Stellvertreter des Polizeichefs gewesen, sondern habe leitende Funktionen im Bereich der Leibwächter übernommen. Es sei daher die Furcht vor den Taliban durchaus nachvollziehbar und würden schließlich nach den einschlägigen Länderberichten alle, die Tätigkeiten für die Regierung ausüben, von den Taliban als Feinde angesehen. Die Fähigkeit des Staates Personen vor Übergriffen der Taliban zu schützen, sei nicht gegeben. Die Furcht des Beschwerdeführers sei daher nachvollziehbar und entspreche den Kriterien für die Gewährung von Asyl. Die belangte Behörde habe es aber unterlassen, sich mit dem gesamten individuellen Vorbringen, einschließlich der Beweismittel, sachgerecht auseinanderzusetzen und leide der Bescheid daher an schwerwiegenden Verfahrensmängeln. Die Lage in Afghanistan habe sich keineswegs gebessert, vielmehr nehme der Einfluss der Taliban weiter zu und hätte der Beschwerdeführer auch bei einer innerstaatlichen Fluchtalternative kaum eine Möglichkeit seine existentiellen Grundbedürfnisse zu befriedigen. Aus diesen Gründe hätte ihm die Behörde zumindest den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen.

Mit Schriftsatz vom 25.11.2020 legte Rechtsanwalt XXXX für den Beschwerdeführer Vollmacht. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 27.04.2021 an.

Mit Datum 21.04.2021 erstattete der ausgewiesene Rechtsvertreter einen vorbereitenden Schriftsatz und legte eine Pflichtschulabschlusskursbestätigung, ein Schreiben der Lehrgangsleiterin XXXX sowie eine VHS-Kursbestätigung Deutsch vor. Weiters wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer sämtliche Originaldokumente vorgelegt habe. Er wies nochmals darauf hin, dass er zu keinem Zeitpunkt als Sicherheitsberater tätig gewesen sei und Polizeiaktionen auch nicht selbst befehligt habe, aber, dass er ein enger Mitarbeiter des Polizeichefs der Provinz Nuristan gewesen sei und später dessen Personenschutz geleitet habe. Er sei auch nicht der „Pressesprecher“ der Polizei gewesen, sondern habe für seinen Vorgesetzten die Facebook-Agenden betreut und bei Einsätzen Fotos gemacht.

Zu der Beschwerdeverhandlung erschien der Beschwerdeführer in Begleitung seines ausgewiesenen Vertreters, auch ein Vertreter der belangten Behörde war anwesend. Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Vorbringen aufrecht und wies auf die bereits im Schriftsatz seines Rechtsvertreters bzw. der Beschwerde monierten Fehlprotokollierungen bzw. Fehlübersetzungen hin. Er sei afghanischer Staatsbürger, Tadschike und sunnitischer Moslem und übe seine Religion auch in Österreich aus. Er sei am XXXX , dies wäre der XXXX , in Kabul geboren. Von seiner Geburt bis zum Jahre XXXX (2011) habe er in Kabul gelebt, dann bis zur Ausreise in der Provinz Baghlan. Er habe zwölf Jahre lang die Schule besucht und drei Jahre lang eine Handelsschule. Sein Vater habe einen Ölhandel betrieben und habe er in dieser Firma mitgearbeitet, bis er zu den Sicherheitskräften gegangen sei. Seine Eltern würden noch leben. Bei seiner Ausreise seien sie noch in der Provinz in Baghlan in XXXX gewesen, seit sechs Monaten jedoch in Kabul. Seine Schwestern seien unverheiratet und lebten bei seinen Eltern. Zwei seiner Brüder seien verheiratet und würden in Kabul leben. Er wies nochmals darauf hin, dass er kein Kommandant gewesen sei, aber, dass er der Sekretär des Provinzkommandanten gewesen sei und sein Leibwächter. Er habe diesen Job bekommen, weil er den Kommandanten schon von früher gekannt habe. Sein Name sei General XXXX gewesen. Er ist ca. 45 Jahre alt, zwei Meter groß und rasiere meistens seinen Bart. Er habe ein gepflegtes Äußeres. Seine Mutter sei Paschtunin, sein Vater Tadschike gewesen. Er sei Sicherheitskommandant der Provinz Nuristan und später Baghlan gewesen. Der Beschwerdeführer habe eine kurze Ausbildung in der Provinz Nuristan erhalten. Dabei habe er gelernt, wie er als Leibwächter Personen schütze. Er habe den Rang eines Leutnants bekleidet. Befragt, warum er eine relativ hohe und verantwortungsvolle Tätigkeit nach so einer kurzen Ausbildung habe ausführen können, erklärte der Beschwerdeführer, dass aufgrund der jahrelangen Kriegsereignisse in Afghanistan es wenige Leute mit höherer Ausbildung gebe und mit einer höheren Schulausbildung man sehr schnell in einen Offiziersrang kommen könne, da bei der Armee und Polizei Leute mit höherer schulischer Ausbildung dringend gebraucht würden. Gefragt, warum er die gefährliche Arbeit bei der Polizei der Tätigkeit in der eigenen Firma seines Vaters vorgezogen habe, gab er an, dass er diesen Beruf geliebt habe und er etwas für sein Land habe tun wollen. Ein Polizeikommandant stelle immer Personen, denen er persönlich vertrauen könne, in seiner Umgebung an, sonst gerate er in Gefahr. Als der Kommandant seine Position verloren habe, habe auch er und alle anderen Leibwächter ihren Job verloren. Von den zehn Leibwächtern seien sieben ermordet worden. Er wisse jedoch nicht genau, warum sein Kommandant die Position verloren habe. Es sei im sechsten Monat XXXX gewesen. Er habe den Kommandanten bei allen gefährlichen Einsätzen begleitet, die Zahl könne er nicht nennen. Eigentlich seien alle Einsätze gefährlich gewesen. In Nuristan habe er bei einem Einsatz einen Freund verloren, dabei sei ein Panzer zerstört worden. Es habe auch mehrere gefährliche Einsätze gegeben, wo sie mit Raketen angegriffen worden seien. Die Gegner seien sowohl die Taliban als auch die Drogenmafia und andere Angehörige der organisierten Kriminalität gewesen.

Gefragt zu seiner Tätigkeit als Sekretär gab er an, dass er die Meetings für den Kommandanten mit anderen hochrangigen Beamten organisiert habe, mit den anderen Provinzen Kontakt aufgenommen habe und für die Sicherheitsmaßnahmen gesorgt habe. Auf dem vom ihm vorgelegten Datenstick seien diverse Filme, die er selbst gemacht habe, aber auch welche von Nachrichtensendern, die er übernommen habe. Auf manchen sei er auch selbst zu sehen. Wenn er selbst gefilmt habe, sei er allerdings nicht zu sehen. Am Anfang habe es zu seiner Tätigkeit gehört, die Operationen zu filmen. Befragt, ob er konkret persönlich bedroht worden sei, gab er an, dass es ein offizielles Schreiben der Taliban gegeben habe, in dem alle aus dem Umfeld des Kommandanten bedroht worden seien. Dieses Schreiben habe er vorgelegt. Auch die verhafteten Angehörigen der Drogenmafia hätten ihn mehrfach bedroht. Die von ihm genannten Personen (AS 121) seien Mörder gewesen, die sie mehrmals verhaftet hätten, aber sie seien aus unerklärlichen Gründen vom Gericht freigelassen worden. Die Namen XXXX und XXXX seien ihm in Erinnerung geblieben, aber er habe viel mehr Verbrecher verhaftet. Nachdem sein Kommandant entlassen worden sei, hätten sie ihre Waffe abgeben müssen und wären sie schutzlos gewesen. Er habe eine Pistole der Marke XXXX aus amerikanischer Fabrikation gehabt. Nach der Entlassung aus dem Polizeidienst seien die Bedrohungen stärker gewesen. Sechs seiner Arbeitskollegen seien innerhalb eines Monats umgebracht worden, zwei in der Provinz Baghlan, einer in der Provinz Parwan und einer in Kapisa. Sie seien entweder zu Hause oder unterwegs umgebracht worden. Bis jetzt habe man die Täter nicht gefasst und man wisse auch nicht, welchen Gruppierungen diese angehören würden.

Gefragt, wie es ihm gelungen sei, von seinen Feinden nicht erwischt zu werden, gab er an, dass er eine Woche nach Kabul gegangen sei und sich dort versteckt habe. Er habe sich aber auch in Kabul nicht sicher gefühlt. Wenn er aus dem Haus gegangen sei, habe er sein Gesicht mit einem Tuch verhüllt. Aufgrund der Ermordung seiner Kollegen habe er dann selbst seine Ausreise geplant. Im Zuge von Polizeieinsätzen sei er einmal von einem Splitter an der Schläfe verletzt worden und einmal in Nuristan von Splittern an beiden Knien. Die Verletzungen seien von einem Sanitäter behandelt worden. Über Befragen durch den Rechtsvertreter, ob er Beweise für die Tötung von Kollegen habe, gab er an, dass er zwei Fotos auf Facebook habe. Die Leichname würden sich in einem schrecklichen Zustand befinden.

Der Behördenvertreter gab an, dass der USB-Stick und die Fotos beim BFA gefunden worden seien und umgehend vorgelegt würden.

Gefragt nach dem unmittelbaren Grund der Ausreise gab er an, die Ermordung seiner Arbeitskollegen und auch seine persönliche Verfolgung. Er sei auch schon im Dienst bedroht worden. Er sei offiziell in den Iran gereist und dann illegal nach Österreich eingereist.

Er stehe in Kontakt mit seinen Familienmitgliedern, und zwar mit seinen Eltern. Sie seien leider an Corona erkrankt. Ein Arbeitskollege namens XXXX sei bei einem Attentat im Mai 2020 schwer verletzt worden und im Oktober 2020 sei sein Haus in Brand gesetzt worden. Zu dieser Zeit sei auch ein anderer Arbeitskollege namens XXXX umgebracht worden. Aus diesem Grund habe auch seine Familie Angst bekommen und sei nach Kabul gezogen. Mit anderen Personen in Afghanistan stehe er nicht in Kontakt. In finanzieller Hinsicht gehe es seiner Familie gut.

Er habe Albträume und wache manchmal auf. Sonst gehe es ihm gesundheitlich gut. Derzeit mache er einen Deutschkurs im Niveau A1 und zusätzlich Vorbereitungskurse für den Pflichtschulabschluss. Er lebe weder in einer Ehe noch in einer Lebensgemeinschaft. Er habe auch in Afghanistan keine Kinder. Er habe aber Kontakte zu Österreichern. Wenn er in Österreich bleiben dürfe, möchte er eine Ausbildung machen und einer Arbeit nachgehen. Wenn er nach Afghanistan zurückkehren würde, würde er schon am Flughafen verhaftet werden, da er seinen Polizeiausweis nicht zurückgegeben habe und er auch ein Schreiben erhalten habe, dass er vom Dienst unerlaubt ferngeblieben sei, obwohl er eigentlich entlassen worden sei. Dies sei in Afghanistan eine Straftat. Er würde dafür zur Verantwortung gezogen werden. Außerdem würde er von den Taliban und auch von anderen Gruppierungen verfolgt werden. Gefragt, ob er sich nicht in Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen könne, da er jung, gesund und arbeitsfähig sei, Schulausbildung und Berufserfahrung habe, gab er an, dass auch in diesen Provinzen zuletzt 120 Militärangehörige umgebracht worden seien. Die großen Städte seien nur sichere Orte für Kidnapper und Drogenbosse. Über Befragen durch den Behördenvertreter, warum er wegen unerlaubten Fernbleibens belangt werden solle, da er doch entlassen worden sei, gab er an, dass die Regierung einen Vorwand suche, ihn zu verfolgen. Er habe immer die Wahrheit gesagt und für jede Aussage könne er ein Dokument vorlegen. Die Dolmetscherin stellte fest, dass die Rückseite des vorgelegten afghanischen Polizeiausweises die Übersetzung der Vorderseite darstelle. Weiters wurde die Dolmetscherin ersucht, die im Akt in Kopie enthaltenen Urkunden (AS 139 bis 189) durchzusehen und wurde sie beauftragt die relevanten Dokumente zu übersetzen. Über Befragen durch den Behördenvertreter, dass sich die Polizeiausweise in der Datenbank im Querformat befänden, seiner jedoch im Hochformat sei, gab der Beschwerdeführer an, dass die Ausweise normalerweise im Querformat wären, die neueren Ausweise, wie er ihn habe, jedoch im Hochformat. Der Behördenvertreter räumte ein, dass die Vergleichsausweise schon etwas älter wären.

Nach Einlangen der vom Beschwerdeführer der belangten Behörde vorgelegten Fotos und des Datensticks sowie der von der Dolmetscherin durchgeführten Übersetzungen wurde der Datenstick in der fortgesetzten Beschwerdeverhandlung vom 08.06.2021 durchgesehen, auf dem sich zunächst Fotos befinden. Darauf ist der Beschwerdeführer bei zahlreichen Operationen mit seinem Kommandanten General XXXX sowie weiteren hohen Militärs und Politiker zu sehen. Weiters wurden kurze Video-Sequenzen auf Facebook, die der Beschwerdeführer selbst gemacht hat, durchgesehen, wo zum Beispiel auch verhaftete Verbrecher zu sehen waren, bis der Rechtsvertreter beantragte, von einer weiteren Durchsicht der in Unzahl übermittelten Fotos und Videos abzusehen. Dem Beschwerdeführer wurde in der Folge vorgehalten, dass in dem übersetzten Schreiben des Innenministeriums vom 05.02.1397 er bloß als Leutnant des zweiten Zuges der operationsführenden Gruppe der Kommandantur des Distriktes XXXX und XXXX bezeichnet wurde und nichts von einer Funktion als Leibwächter oder Sekretär des Militärkommandanten erwähnt worden sei, gab er an, dass man das üblicherweise nicht schreibe. Über Vorhalt, dass er in dem Schreiben der Sicherheitskommandantur der Provinz Baghlan lediglich als einer der Leibwächter des Sicherheitskommandanten der Provinz Baghlan bezeichnet worden sei, aber nicht als Kommandant der Leibwächter, gab er an, dass dies kein offizieller Titel sei. Nochmals nachgefragt, warum er nichts über die Gründe, aus welchen General XXXX seinen Posten verloren habe, wisse, gab er an, dass dies eine Entscheidung von Ministern und Regierungsmitgliedern sei und dass es dazu keine offizielle Begründung gebe. Über Vorhalt, dass es auch in Afghanistan so sei, dass die die Armee die Aufgabe habe, regierungsfeindliche Gruppierungen zu bekämpfen und die Polizei die organisierte Kriminalität, bestätigte der Beschwerdeführer dies, aber aus Personalmangel würden die Aufgaben oft wechseln. In der Folge wurden auch noch die vom Beschwerdeführer in großer Anzahl vorgelegten Fotos teilweise durchgesehen, wo außer dem Beschwerdeführer bei Kampfeinsätzen zum Beispiel auf einem Hummer Geländewagen mit einem Maschinengewehr bzw. einer Kanone auch sichergestellte Drogen und ein vom Beschwerdeführer aus Drogen entfachtes Feuer zu sehen sei.

Abschließend führte der Beschwerdeführer aus, dass er von Anfang an die Wahrheit gesagt habe und seine Aussagen mit Beweismitteln auch belegt habe. Er sei aus Afghanistan geflüchtet, weil sein Leben ernsthaft in Gefahr gewesen sei. In der Videovorführung sei auch zu sehen gewesen, dass eine Mutter am Sarg ihres Sohnes fürchterlich geweint habe. Dies sei ein Arbeitskollege von ihm gewesen. Sollte er nach Afghanistan zurückgeschickt werden, würde ihm dasselbe Schicksal drohen. Er habe im Laufe seiner Karriere viel dazu beigetragen, dass Kriminelle Schaden erlitten hätten. Aus diesem Grunde könnte er, genauso wie sein Arbeitskollege, getötet werden. Außerdem würde er bereits am Flughafen von den Behörden festgenommen werden, da er sich nach den Behauptungen der Behörde unerlaubt vom Dienst entfernt habe und würde ihm deswegen eine Haftstrafe drohen. Im Gefängnis wären wiederum Kriminelle (und ihre Kontaktleute), die seinetwegen in Haft wären und würde ihm auch dort Gefahr drohen.

Verlesen wurde der aktuelle Strafregisterauszug des Beschwerdeführers, in dem keine Verurteilung aufscheint. Am Schluss der Verhandlung wurde das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (soweit verfahrensrelevant) zur Kenntnis gebracht und eine Frist zur allfälligen Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt. Der Rechtsvertreter wollte jedoch gleich in der Verhandlung dazu eine Stellungnahme abgeben:

„Das Länderinformationsblatt wird zur Kenntnis genommen, auf die erhöhte Gefährdungs-lage von Personen im Polizeidienst wird verwiesen. Der Beschwerdeführer war jahrelang in exponierter Weise in der afghanischen Polizeiarbeit überregional tätig, seine Gefährdungslage ist daher im Fall einer Rückkehr als besonders hoch einzuschätzen. Zahlreiche Arbeitskollegen wurden bereits während des Dienstes oder auch nach Ausscheiden aus dem Polizeidienst getötet, der Beschwerdeführer hat sich im Bereich der organisierten Kriminalität, radikaler Gruppierungen wie der Taliban, Feinde gemacht, die vor Übergriffen nicht zurückschrecken werden.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan und Angehöriger der tadschikischen Volksgruppe sowie sunnitischer Moslem. Er wurde XXXX in Kabul geboren und hat dann seit 2011 in Baghlan gelebt. Nach dem Besuch von zwölf Jahren Schule und drei Jahren Handelsschule arbeitete er zunächst in der Ölhandelsfirma seines Vaters mit. Sein Wunsch war jedoch, Polizist zu werden und er kannte den Polizeigeneral XXXX , der zunächst Sicherheitskommandant für die Provinz Nuristan und später für die Provinz Baghlan war. Nach einer kurzen Einschulung für den Securitybereich machte der Beschwerdeführer zunächst vor allem Aufnahmen von Einsätzen und betreute die Facebookseite des Kommandanten. Später fungierte er als dessen Sekretär und Leibwächter, wobei er mit der Leitung der Leibwächtergruppe betraut wurde. Er bekleidete den Rang eines Leutnants. Der Beschwerdeführer war bei zahlreichen Spezialoperationen gegen Taliban und andere Aufständische, aber auch gegen Drogendealer, Mörder und andere Mitglieder der organisierten Kriminalität beteiligt und wurde auch zweimal verwundet. Es gab sowohl Drohungen von Seiten der Taliban als auch von verhafteten (und wieder freigelassenen) Verbrechern. Nachdem der Kommandant im August 2019 seinen Posten verloren hat, wurde auch der Beschwerdeführer (und alle anderen Leibwächter) entlassen. Die Behörden legten das jedoch als ungerechtfertigte Entfernung von Dienst aus. Durch die Entlassung seines Kommandanten hatte der Beschwerdeführer keinen Schutz mehr. In der Folge wurde auf mehrere Leibwächter Attentate verübt und wurden diese auch getötet und verstümmelt. Der Beschwerdeführer tauchte für ca. eine Woche in Kabul unter und organisierte dann seine Ausreise. Er reiste zunächst legal in den Iran und dann, spätestens am 10.02.2020 illegal nach Österreich ein, wo er sogleich einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der Beschwerdeführer hat nach wie vor mit seinen Eltern, die als wohlhabend zu bezeichnen sind, Kontakt. Diese sind jedoch auch von der Provinz Baghlan nach Kabul übersiedelt, weil sie sich in Baghlan nicht mehr sicher fühlten. Der Beschwerdeführer leidet zeitweilig unter Albträumen, sonst hat er keine gesundheitlichen Probleme. Er besucht in Österreich einen Deutschkurs und einen Vorbereitungskurs für den Pflichtschulabschluss. Der Beschwerdeführer ist unbescholten.

Zu Afghanistan wird verfahrensbezogen Folgendes festgestellt:

1.       Politische Lage

Letzte Änderung: 31.03.2021

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019).

Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen (NSIA 6.2020) bis 39 Millionen Menschen (WoM 6.10.2020).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen, die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (CoA 26.2.2004; vgl. STDOK 7.2016, Casolino 2011).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (CoA 26.2.2004; vgl. Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

Im direkt gewählten Unterhaus der Nationalversammlung, der Wolesi Jirga (Haus des Volkes) mit 249 Sitzen, kandidieren die Abgeordneten für eine fünfjährige Amtszeit. In der Meshrano Jirga (House of Elders), dem Oberhaus mit 102 Sitzen, wählen die Provinzräte zwei Drittel der Mitglieder für eine Amtszeit von drei oder vier Jahren, und der Präsident ernennt das verbleibende Drittel für eine Amtszeit von fünf Jahren. Die Verfassung sieht die Wahl von Bezirksräten vor, die ebenfalls Mitglieder in die Meshrano Jirga entsenden würden, aber diese sind noch nicht eingerichtet worden. Zehn Sitze der Wolesi Jirga sind für die nomadische Gemeinschaft der Kutschi reserviert, darunter mindestens drei Frauen, und 65 der allgemeinen Sitze der Kammer sind für Frauen reserviert (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit gelegentlich kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzesentwürfen die grundsätzliche Funktionsfähigkeit des Parlaments. Gleichzeitig werden aber die verfassungsmäßigen Rechte genutzt, um die Arbeit der Regierung gezielt zu behindern, Personalvorschläge der Regierung zum Teil über lange Zeiträume zu blockieren, und einzelne Abgeordnete lassen sich ihre Zustimmung mit Zugeständnissen - wohl auch finanzieller Art - belohnen. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaftspflicht der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 16.7.2020).

Präsidentschafts- und Parlamentswahlen

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21.10.2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (USDOS 11.3.2020). Es ist geplant die Wahlen in Ghazni im Oktober 2021 nachzuholen (AT 19.12.2020; vgl. TN 19.12.2020). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28.9.2019 statt (RFE/RL 20.10.2019; vgl. USDOS 11.3.2020, AA 1.10.2020).

Die ursprünglich für den 20.4.2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, war keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Gültigkeit von Hunderttausenden von Stimmen (DW 18.2.2020; vgl. FH 4.3.2020) waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden (FH 4.3.2020). Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen bei einer geschätzten Bevölkerungszahl von 35 Millionen (DW 18.2.2020). Die umstrittene Entscheidungsfindung der Wahlkommission und deutlich verspätete Verkündung des endgültigen Wahlergebnisses der Präsidentschaftswahlen vertiefte die innenpolitische Krise. Amtsinhaber Ashraf Ghani wurde mit einer knappen Mehrheit zum Wahlsieger im ersten Urnengang erklärt. Sein wichtigster Herausforderer, Abdullah Abdullah erkannte das Wahlergebnis nicht an (AA 16.7.2020) und so ließen sich am 9.3.2020 sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Die daraus resultierende Regierungskrise wurde mit einem von beiden am 17.5.2020 unterzeichneten Abkommen zur gemeinsamen Regierungsbildung für beendet erklärt (AA 16.7.2020; vgl. NZZ 20.4.2020, DP 17.5.2020, TN 11.5.2020).

Diese Situation hatte ebenfalls Auswirkungen auf den afghanischen Friedensprozess. Das Staatsministerium für Frieden konnte zwar im März bereits eine Verhandlungsdelegation benennen, die von den wichtigsten Akteuren akzeptiert wurde, aber erst mit dem Regierungsabkommen vom 17.5.2020 und der darin vorgesehenen Einsetzung eines Hohen Rates für Nationale Versöhnung, unter Vorsitz von Abdullah, wurde eine weitergehende Friedensarchitektur der afghanischen Regierung formal etabliert (AA 16.7.2020). Dr. Abdullah verfügt als Leiter des Nationalen Hohen Versöhnungsrates über die volle Autorität in Bezug auf Friedens- und Versöhnungsfragen, einschließlich Ernennungen in den Nationalen Hohen Versöhnungsrat und das Friedensministerium. Darüber hinaus ist Dr. Abdullah Abdullah befugt, dem Präsidenten Kandidaten für Ernennungen in den Regierungsabteilungen (Ministerien) mit 50% Anteil vorzustellen (RA KBL 12.10.2020).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 10.6.2020). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. CoA 26.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. CoA 26.1.2004, USDOS 20.6.2020). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (CoA 26.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 16.7.2020). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 16.7.2020; vgl. DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 16.7.2020).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein patrimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). 2020 fanden die ersten ernsthaften Verhandlungen zwischen allen Parteien des Afghanistan-Konflikts zur Beendigung des Krieges statt (HRW 13.1.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020, EASO 8.2020) - die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses (EASO 8.2020). Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nicht amerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020; REU 6.10.2020). Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa Al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020, EASO 8.2020). Die Kämpfe zwischen den afghanischen Regierungstruppen, den Taliban und anderen bewaffneten Gruppen hielten jedoch an und forderten in den ersten neun Monaten des Jahres fast 6.000 zivile Opfer, ein deutlicher Rückgang gegenüber den Vorjahren (HRW 13.1.2021).

Die Taliban haben die politische Krise im Zuge der Präsidentschaftswahlen derweil als Vorwand genutzt, um den Einstieg in Verhandlungen hinauszuzögern. Sie werfen der Regierung vor, ihren Teil der am 29.2.2020 von den Taliban mit der US-Regierung geschlossenen Vereinbarung weiterhin nicht einzuhalten, und setzten ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort. Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entspricht dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).

Im September 2020 starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar (REU 6.10.2020; vgl. AJ 5.10.2020, BBC 22.9.2020). Die Gewalt hat jedoch nicht nachgelassen, selbst als afghanische Unterhändler zum ersten Mal in direkte Gespräche verwickelt wurden (AJ 5.10.2020). Insbesondere im Süden, herrscht trotz des Beginns der Friedensverhandlungen weiterhin ein hohes Maß an Gewalt, was weiterhin zu einer hohen Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung führt (UNGASC 9.12.2020). Ein Waffenstillstand steht ganz oben auf der Liste der Regierung und der afghanischen Bevölkerung (BBC 22.9.2020; vgl. EASO 8.2020) wobei einige Analysten sagen, dass die Taliban wahrscheinlich noch keinen umfassenden Waffenstillstand vereinbaren werden, da Gewalt und Zusammenstöße mit den afghanischen Streitkräften den Aufständischen ein Druckmittel am Verhandlungstisch geben (REU 6.10.2020). Die Rechte der Frauen sind ein weiteres Brennpunktthema. Die Taliban sind wiederholt danach gefragt worden und haben wiederholt darauf bestanden, dass Frauen und Mädchen alle Rechte erhalten, die „innerhalb des Islam“ vorgesehen sind (BBC 22.9.2020). Doch bisher (Stand 10.2020) hat es keine Fortschritte gegeben, da sich die kriegführenden Seiten in Prozessen und Verfahren verzettelt haben, so diplomatische Quellen (AJ 5.10.2020).

Am Tag der Wiederaufnahme der Verhandlungen in Doha am 5.1.2021 sei in mindestens 22 von 34 Provinzen des Landes gekämpft worden, sagte das Verteidigungsministerium in Kabul (Ruttig 12.1.2021; vgl. TN 9.1.2021).

Die neue amerikanische Regierung warf den Taliban im Januar 2021 vor, gegen das im Februar 2020 geschlossene Friedensabkommen zu verstoßen und sich nicht an die Verpflichtungen zu halten, ihre Gewaltakte zu reduzieren und ihre Verbindungen zum ExtremistennetzwerkAl-Qaida zu kappen. Ein Pentagon-Sprecher gab an, dass sich der neue Präsident Joe Biden dennoch an dem Abkommen mit den Taliban festhält, betonte aber auch, solange die Taliban ihre Verpflichtungen nicht erfüllten, sei es für deren Verhandlungspartner „schwierig“, sich an ihre eigenen Zusagen zu halten (FAZ 29.1.2020; vgl. DZ 29.1.2021). Jedoch noch vor der Vereidigung des US-Präsidenten Joe Biden am 19.1.2021 hatte der designierte amerikanische Außenminister signalisiert, dass er das mit den Taliban unterzeichnete Abkommen neu evaluieren möchte (DW 29.1.2020; vgl. BBC 23.1.2021).

Nach einer mehr als einmonatigen Verzögerung inmitten eskalierender Gewalt sind die Friedensgespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung am 22.2.2021 in Katar wiederaufgenommen worden (RFE/RL 23.2.2021b.; vgl. AP 23.2.2021).

Quellen:

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2.       Sicherheitslage

Letzte Änderung: 25.03.2021

Die Sicherheitslage inAfghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2020). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF (Afghan National Defense Security Forces) aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen, welche in der Nähe von Provinzhauptstädten stationiert sind - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 (zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Hochburg in der Provinz Nangarhar im November 2019) Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (USDOD 1.7.2020). Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach im Jahr 2020 dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).

Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) zum „vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte“ gemacht (SIGAR 30.7.2020).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt (BBC 1.4.2020). Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020; vgl. HRW 13.1.2021), was den afghanischen Friedensprozess gefährden könnte (SIGAR 30.1.2021).

Die Sicherheitslage im Jahr 2020

Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 verzeichnete UNAMA die niedrigste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021). Laut AAN (Afghanistan Analysts Network) war 2020 in Afghanistan genauso gewalttätig wie 2019, trotz des Friedensprozesses und der COVID-19-Pandemie. Seit dem Abkommen zwischen den Taliban und den USA vom 29. Februar haben sich jedoch die Muster und die Art der Gewalt verändert. Das US-Militär spielt jetzt nur noch eine minimale direkte Rolle in dem Konflikt, so dass es sich fast ausschließlich um einen afghanischen Krieg handelt, in dem sich Landsleute gegenseitig bekämpfen, wenn auch mit erheblicher ausländischer Unterstützung für beide Seiten. Seit der Vereinbarung vom 29.2.2020 haben die Taliban und die afghanische Regierung ihre Aktionen eher heruntergespielt als übertrieben, und die USA haben die Veröffentlichung von Daten zu Luftangriffen eingestellt (AAN 16.8.2020).

Die Taliban starteten wie üblich eine Frühjahrsoffensive, wenn auch unangekündigt, und verursachten in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 43 Prozent aller zivilen Opfer, ein größerer Anteil als 2019 und auch mehr in absoluten Zahlen (AAN 16.8.2020). Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu.

Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu (SIGAR 30.7.2020). Während im Jahr 2020 Angriffe der Taliban auf größere Städte und Luftangriffe der US-Streitkräfte zurückgingen, wurden von den Taliban durch improvisierte Sprengsätze (IEDs) eine große Zahl von Zivilisten getötet, ebenso wie durch Luftangriffe der afghanischen Regierung. Entführungen und gezielte Tötungen von Politikern, Regierungsmitarbeitern und anderen Zivilisten, viele davon durch die Taliban, nahmen zu (HRW 13.1.2021; vgl. AAN 16.8.2020).

In der zweiten Jahreshälfte 2020 nahmen insbesondere die gezielten Tötungen von Personen des öffentlichen Lebens (Journalisten, Menschenrechtler usw.) zu. Personen, die offen für ein modernes und liberales Afghanistan einstehen, werden derzeit landesweit vermehrt Opfer von gezielten Attentaten (AA 14.1.2021, vgl. AIHRC 28.1.2021).

Obwohl sich die territoriale Kontrolle kaum verändert hat, scheint es eine geografische Verschiebung gegeben zu haben, mit mehr Gewalt im Norden und Westen und weniger in einigen südlichen Provinzen, wie Helmand (AAN 16.8.2020).

Zivile Opfer

Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 dokumentierte UNAMA 8.820 zivile Opfer (3.035 Getötete und 5.785 Verletzte), während AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für das gesamte Jahr 2020 insgesamt 8.500 zivile Opfer registrierte, darunter 2.958 Tote und 5.542 Verletzte. Das ist ein Rückgang um 15% (21% laut AIHRC) gegenüber der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 (UNAMA 2.2021; vgl. AIHRC 28.1.2021) und die geringste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021).

Nach dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban dokumentierte UNAMA einen Rückgang der Opfer unter der Zivilbevölkerung bei groß angelegten Angriffen in städtischen Zentren durch regierungsfeindliche Elemente, insbesondere die Taliban, und bei Luftangriffen durch internationale Streitkräfte. Dies wurde jedoch teilweise durc

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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