TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/20 W204 2228933-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.08.2021
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Entscheidungsdatum

20.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W204 2228933-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER über die Beschwerde des M XXXX XXXX S XXXX , geb. am XXXX 1995, StA. Afghanistan, vertreten durch Mag. Susanne SINGER, Rechtsanwältin in 4600 Wels, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.01.2020, Zl. 1083244306/191205001, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I. und III. bis VI. werden ersatzlos aufgehoben.

Spruchpunkt II. wird dahingehend abgeändert, dass dem BF in Stattgebung seines Antrags auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine auf zwei Jahre ab dem Tag der Zustellung des Erkenntnisses befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Dem Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), einem afghanischen Staatsbürger, wurde mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 20.12.2016 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

I.2. Die befristet erteilte Aufenthaltsberechtigung wurde nach einem entsprechenden Antrag des BF mit Bescheid vom 21.12.2017 um zwei Jahre verlängert.

I.3. Nachdem der BF einen Antrag auf weitere Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung gestellt hatte, wurde der BF am 19.12.2019 vom zur Entscheidung berufenen Organwalter des BFA im Beisein eines Dolmetschers der Sprache Dari und einer Vertrauensperson niederschriftlich einvernommen und zu seiner Situation in Österreich und einer möglichen Rückkehr nach Afghanistan befragt. Der BF gab an, in Afghanistan gebe es Krieg und Unruhe, weswegen er nicht zurückkehren könne.

I.4. Mit Bescheid vom 27.01.2020, dem BF am 30.01.2020 durch Hinterlegung zugestellt, wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen und die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das BFA aus, die Situation des BF habe sich geändert, indem er Berufserfahrung im Bundesgebiet gesammelt habe. Er sei dadurch nunmehr selbsterhaltungsfähig und könne daher zurückkehren.

I.5. Mit Verfahrensanordnung vom 27.01.2020 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.6. Am 14.02.2020 erhob der BF gegen den unter I.4. genannten Bescheid Beschwerde in vollem Umfang und beantragte, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, den Bescheid dahingehend abzuändern, dass der dem BF zuerkannte Status nicht aberkannt und die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung nicht entzogen werde, in eventu ihm einen Aufenthaltstitel zu erteilen, in eventu festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig und die Abschiebung nicht zulässig sei, in eventu den Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.

Darin wurde ausgeführt, das BFA verletze das Prinzip der Rechtskraft. Geändert habe sich nicht die Lage, sondern die rechtliche Bewertung.

I.7. Am 25.02.2020 langte die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein, wobei das BFA die Abweisung der Beschwerde beantragte.

I.8. Am 09.10.2020 und am 28.04.2021 legte der BF Integrationsunterlagen vor.

I.9. Am 05.07.2021 wurde die Rechtssache der erkennenden Gerichtsabteilung aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses neu zugewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

-        Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle;

-        Einsicht in die aktuellsten Länder- und Medienberichte;

-        Einsicht in die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten Unterlagen;

-        Einsicht in das Strafregister, in das Grundversorgungssystem und in das Zentrale Melderegister.

II. Feststellungen:

II.1. Zur Person des BF:

Der BF führt den Namen M XXXX XXXX S XXXX und das Geburtsdatum XXXX 1995. Seine Identität steht nicht fest. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zum schiitischen Islam. Seine Muttersprache ist Dari. Der BF beherrscht Dari in Wort und Schrift. Er ist ledig und kinderlos.

Der BF stammt aus dem Dorf S XXXX im Distrikt Jaghori in der Provinz Ghazni. Der BF hat die Schule fünf Jahre besucht und danach in der Landwirtschaft der Familie gearbeitet. Er absolvierte keine Berufsausbildung in Afghanistan. Sein Vater verstarb, als der BF noch ein Kind war. Seitdem lebte der BF bei seinem Onkel väterlicherseits. Seine Mutter hat erneut geheiratet und den BF verlassen. Der BF hat viele Freunde in Afghanistan, die im Dezember 2019 etwa in den Provinzen Kabul, Kandahar und Ghazni lebten und mit denen er zu diesem Zeitpunkt über Internet in Kontakt stand.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

Der BF ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert. Er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

II.2. Zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der befristeten Aufenthaltsberechtigung:

Der BF stellte am 18.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, der in Bezug auf den Status des Asylberechtigten rechtskräftig abgewiesen wurde. In Bezug auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dem Antrag mit Bescheid vom 20.12.2016 stattgegeben und dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 20.12.2017 erteilt.

Begründend führte das BFA aus, es könne keine Verfolgung aus in der GFK genannten Gründen festgestellt werden, allerdings bestünden Gründe für die Annahme, dass im Falle der Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung eine für den BF zum Entscheidungszeitpunkt nicht ausreichende Lebenssicherheit bestehe. Diese Feststellung stützte das BFA darauf, dass der BF nur über eine fünfjährige Schulbildung und eine mehrjährige Hilfstätigkeit in der Landwirtschaft, jedoch nicht über eine geeignete Berufsausbildung zur Bestreitung des Lebensunterhalts in Afghanistan verfüge. Er habe nur in seiner Heimatprovinz Ghazni ein soziales Netz, das ihn bei einer Rückkehr auffangen und unterstützen könnte. In seine Heimatprovinz könne er jedoch bereits aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage nicht zurückkehren. Die Existenzgrundlage in anderen Provinzen erscheine aufgrund des mangelnden familiären oder sozialen Anschlusses als gefährdet. Eine Rückführung nach Afghanistan bedeute daher eine Verletzung von Art. 3 EMRK.

Am 06.10.2017 stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, dem mit Bescheid vom 21.12.2017 stattgegeben wurde. Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde bis zum 20.12.2019 erteilt.

Am 30.09.2019 stellte der BF einen weiteren Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.

II.3. Zu Änderungen beim BF seit der Zuerkennung und der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung:

Ab Dezember 2016 war der BF jeweils von Dezember bis April in einem Berghotel und von Mai bis Oktober/November in einer Pension in der Küche angestellt. Seit dem 25.11.2019 und damit nach der Verlängerung hat er einen unbefristeten Vertrag im Berghotel. Sein Betrieb ist mit der Arbeitsleistung des BF sehr zufrieden. Von März bis Anfang Mai 2021 bereitete sich der BF auf die außerordentliche Lehrabschlussprüfung als Koch vor. Der BF hat durch seine Tätigkeiten einen Betrag von zumindest € 30.000 angespart. Er ist selbsterhaltungsfähig.

II.4. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Die Taliban haben in Afghanistan so gut wie kampflos die Macht übernommen, während der Präsident und einige weitere Regierungsmitglieder ins Ausland geflohen sind. Der erste Vizepräsident der international anerkannten Regierung befindet sich nach seinen eigenen Angaben noch in Afghanistan und bezeichnet sich als rechtmäßiger Übergangspräsident. Er hat öffentlich aufgerufen, sich dem Widerstand anzuschließen, der versucht, sich im Pandschir-Tal zu organisieren. Im gesamten restlichen Staatsgebiet haben die Taliban die Staatsfunktionen übernommen. In einer Pressekonferenz erklärten die Taliban eine Generalamnestie für alle Regierungsmitarbeiter und alle Afghanen, die mit den ausländischen Militärs zusammengearbeitet hätten. Weiters gaben die Taliban in ihrer Pressekonferenz unter anderem an, dass auch Minderheitsrechte geachtet würden, dies allerdings nur innerhalb der Regeln der Scharia.

In der internationalen Staatengemeinschaft werden diese Versprechen der Taliban aufgrund der bisherigen Erfahrungen, ihrem Verhalten in ihrer früheren Herrschaft, aber auch wegen der Ermordung des Chefs des Informationszentrums der Taliban elf Tage vor der Pressekonferenz durch die Taliban selbst sowie der aktuellen Berichtslage über ausgesprochene Verbote und Tötungen stark angezweifelt. In Bamyan wurde nach Berichten bereits eine Statue eines Hazara-Führers von den Taliban geköpft.

Die Situation in Afghanistan ist derzeit aufgrund der dramatischen Ereignisse vor Ort (vgl. Sonderkurzinformation der Staatendokumentation vom 17.08.2021, S 4) unübersichtlich. Vor allem rund um den Flughafen in Kabul ist sie chaotisch, die Taliban kontrollieren die Zufahrtsstraßen. In Kabul wie auch in anderen Landesteilen wird mit der Flagge Afghanistans demonstriert. Teils werden diese Demonstrationen mit Waffengewalt aufgelöst. Nach Berichten sind neben Frauen und Menschenrechtsaktivisten vor allem die Angehörigen der schiitischen Hazara aufgrund der Machtübernahme durch die Taliban beunruhigt und bewegen sich kaum mehr öffentlich. Viele Afghanen sind vor der Machtübernahme der Taliban in die Städte, vor allem Kabul, geflüchtet, wo sie teils auf den Straßen campieren. Die wirtschaftliche Lage in Afghanistan ist sehr angespannt, die Taliban haben keinen Zugriff auf die Devisenreserven des Landes.

Dem BF droht bei einer Rückkehr ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, derzeit nicht befriedigen, ohne in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Es ist dem BF in der derzeit volatilen Lage nicht möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in Afghanistan Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

III. Beweiswürdigung:

III.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

III.2. Zu den Feststellungen zur Person des BF:

Die Feststellungen zur Verfahrensidentität des BF wie auch zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und seinem Familienstand waren aufgrund der insoweit stets gleichbleibenden Angaben des BF zu treffen. Auch das BFA hegte an diesen Aussagen nie Zweifel und traf daher in beiden Verfahren entsprechende Feststellungen. Mangels Bestreitung im Beschwerdeverfahren haben sich daran auch beim Bundesverwaltungsgericht keine Zweifel ergeben.

Gleiches gilt im Wesentlichen zum Aufwachsen des BF in Afghanistan, seiner Schulbildung und Berufserfahrung in Afghanistan sowie den dortigen Familienverhältnissen. Auch dazu war die Aussage des BF stets gleichbleibend und nachvollziehbar, weswegen sie das BFA seinen Entscheidungen zugrunde legte. Es besteht kein Grund, diese unbestrittenen Feststellungen nicht auch der gegenständlichen Entscheidung zugrunde zu legen. Dass der BF viele Freunde in Afghanistan hat und mit diesen zumindest gelegentlichen Kontakt pflegt, gab er im Aberkennungsverfahren selbst an (AS 13f).

Die Feststellung zur Gesundheit folgt aus den Angaben des BF (AS 12), der keine Dokumente vorlegte, die eine Erkrankung auch nur nahelegen würden. Daraus folgt die Feststellung zur Arbeitsfähigkeit, die sich auch aus seiner derzeitigen Erwerbstätigkeit ergibt.

Aus dem bisherigen Leben des BF folgt auch zweifelsfrei, dass der BF mit der Kultur Afghanistans vertraut ist.

III.3. Zu den Feststellungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der befristeten Aufenthaltsberechtigung:

Dass und warum dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gewährt wurde sowie die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ausgesprochen wurde, ergibt sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt.

III.4. Zu den Feststellungen zu Änderungen beim BF seit der Zuerkennung und der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung:

Die Feststellungen zur Arbeitstätigkeit des BF beruhen auf dem unstrittigen Akteninhalt und insbesondere auf den vom BF vorgelegten Dokumenten. Wie der BF selbst angab, hat er durch seine Arbeitstätigkeit € 30.000 angespart und verfügt über eine entsprechende Berufserfahrung (AS 14). Es waren daher entsprechende Feststellungen zu treffen.

III.5. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr der BF:

Die Feststellungen zur aktuellen Situation beruhen (mangels eines aktuellen vollständigen Länderinformationsblatts) auf den aktuellsten und öffentlich zugänglichen Berichten angesehener seriöser Medien. Aufgrund dieser Vielzahl an übereinstimmenden Berichten, die zudem als allgemein bekannt vorausgesetzt werden können, kann nur auf eine Auswahl verschiedener Artikel verwiesen werden (s. https://taz.de/Taliban-uebernehmen-Afghanistan/!5789645/; https://tolonews.com/index.php/afghanistan-174247; https://tolonews.com/index.php/afghanistan-174245; https://www.bbc.com/news/live/world-asia-58219963; https://www.diepresse.com/6021224/taliban-erreichen-kabul-prasidentenpalast-eingenommen?from=rss; https://www.sueddeutsche.de/politik/afghanistan-aktuell-taliban-kabul-evakuierung-1.5377155; https://www.derstandard.at/story/2000128937798/kabul-faellt-kampflos-an-die-taliban?ref=rec; https://www.diepresse.com/6021466/prasident-ghani-habe-afghanistan-verlassen-um-blutvergiessen-zu-vermeiden?from=rss; https://tolonews.com/afghanistan-174248; https://tolonews.com/afghanistan-174252; https://www.diepresse.com/6021482/taliban-der-krieg-in-afghanistan-ist-vorbei?from=rss; https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-abdullah-afghanistans-praesident-aschraf-ghani-hat-das-land-verlassen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210815-99-850834; https://www.derstandard.at/story/2000128988237/taliban-geben-sich-in-pressekonferenz-mildevizechef-in-afghanistan-eingetroffen; https://www.diepresse.com/6022198/die-milden-worte-der-ersten-taliban-pressekonferenz?from=rss; https://orf.at/stories/3225195/; https://www.bbc.com/news/world-asia-58250607; https://twitter.com/courtneybody/status/1427650075602337792; https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-taliban-uebernehmen-wichtigste-behoerden-in-afghanistan-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210817-99-874853; https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afghanistan-wie-die-taliban-sich-um-vertrauen-bemuehen-17489392.html; https://tolonews.com/afghanistan-174273; https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-taliban-machen-versprechungen-us-regierung-skeptisch-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210817-99-876345; https://tolonews.com/afghanistan-174269; https://twitter.com/AmrullahSaleh2/status/1427631191545589772; https://pajhwok.com/2021/08/17/i-am-legitimate-care-taker-president-saleh/; https://www.diepresse.com/6022442/das-panjshir-tal-eine-provinz-widersetzt-sich-den-taliban; https://edition.cnn.com/videos/world/2021/08/13/taliban-former-us-military-base-afghanistan-ghazni-province-ward-dnt-lead-vpx.cnn; Zugriff jeweils am 18.08.2021; https://orf.at/stories/3225186/; https://www.tagesschau.de/ausland/asien/afghanistan-hunger-101.html; https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/taliban-zentralbank-devisenreserven-afghanistan-usa-101.html; https://orf.at/stories/3225407/; https://orf.at/stories/3225342/; Zugriff jeweils am 19.08.2021).

Aus diesen Berichten folgt, dass dem BF als schiitischem Hazara derzeit durchaus eine Gefahr einer Verletzung seiner in der EMRK garantierten Rechte droht und ihm aktuell eine Neuansiedelung nicht möglich ist. Die Taliban geben sich zwar nach außen als moderater, allerdings werden diese Versprechen nach den oben zitierten Berichten in den von ihnen schon länger kontrollierten Gebieten bereits nach einer kurzen Anfangsphase nicht eingehalten. Dies nährt die Furcht einer Rückkehr ihrer Herrschaft von 1996 bis 2001 und der damaligen Bedrohung von Frauen, Ortskräften und Menschenrechtsaktivisten sowie der religiösen Minderheiten wie insbesondere der schiitischen Hazara. Die übereinstimmenden Berichte legen dar, dass – auch wenn die Situation außerhalb des Flughafengeländes beziehungsweise seiner Umgebung Großteils relativ ruhig sein soll – vor allem die wirtschaftliche Situation derzeit besonders angespannt ist, zumal nicht klar ist, ob die Nichtregierungsorganisationen weiterarbeiten können/wollen und derzeit auch kein Zugriff auf die Reserven der Nationalbank besteht. Hinzu kommt, dass die (temporären) Unterkünfte wie Hotels oder Teehäuser derzeit aufgrund der allgemeinen Lage weitgehend geschlossen sind. Auch der Arbeitsmarkt ist von den Unruhen betroffen. Aufgrund der unübersichtlichen Situation in Afghanistan stehen Rückkehrer derzeit vor unüberwindbaren Hürden. Zudem ist nicht einmal eine Anreise möglich, ist doch der Flughafen weitestgehend nur für militärische Evakuierungsflüge offen, während rund um ihn die Taliban Checkpoints errichtet haben und nicht annähernd klar ist, wer wann wie durchgelassen wird.

IV. Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

IV.1. Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht (erster Fall) oder nicht mehr (zweiter Fall) vorliegen. Diese Bestimmung verfolgt das Ziel, sicherzustellen, dass nur jenen Fremden, die die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfüllen, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153). Es würde nämlich der allgemeinen Systematik und den Zielen der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (im Folgenden: Statusrichtlinie) widersprechen, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechtsstellungen Drittstaatsangehörigen zuzuerkennen, die sich in Situationen befinden, die keinen Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes aufweisen. Der Verlust des subsidiären Schutzstatus unter solchen Umständen steht mit der Zielsetzung und der allgemeinen Systematik der Statusrichtlinie, insbesondere mit Art. 18, der die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nur an Personen vorsieht, die die Voraussetzungen erfüllen, im Einklang (EuGH 23.5.2019, Bilali, C-720/17, Rn 44 ff).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfasst der erste Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG die Konstellation, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung von subsidiärem Schutz die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat (VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005). § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG erlaubt es der Behörde, die Aberkennung des früher zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten vorzunehmen, wenn sich der Kenntnisstand zu jenem Sachverhalt, der für die Zuerkennung maßgeblich war, geändert hat. Dabei ist nicht erforderlich, dass die damaligen Feststellungen, die sich aufgrund neuer Erkenntnisse später als unzutreffend herausstellen, auf Handlungen zurückgeführt werden müssten, mit denen sich der Fremde die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erschlichen hätte (VwGH 18.11.2020, Ra 2020/14/0082). Dieser Fall ist hier offensichtlich nicht erfüllt und wurde auch vom BFA seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt, sodass darauf in weiterer Folge nicht mehr einzugehen ist.

Nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG darf der Status des subsidiär Schutzberechtigten dann aberkannt werden, wenn sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes beziehungsweise der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG, die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf, geändert hat. Nicht jede Änderung des Sachverhalts rechtfertigt allerdings die Aberkennung des subsidiären Schutzes. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 Statusrichtlinie vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht (VwGH 12.02.2021, Ra 2020/20/0415).

Dabei kommt es regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses an. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann auch ein Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen sein, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation gelegen sind. Bei Hinzutreten neuer Umstände dürfen alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (VwGH 22.03.2021, Ra 2020/01/0171).

Bei einer Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG sind nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern es dürfen im Rahmen der bei der Beurteilung vorzunehmenden umfassenden Betrachtung bei Hinzutreten neuer Umstände alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (VwGH 10.12.2020, Ra 2020/01/0425; 29.01.2020, Ro 2019/18/0002; 09.01.2020, Ra 2019/19/0496). Unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen der Zuerkennungsentscheidung ist es allerdings nicht zulässig, die Aberkennung auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes beziehungsweise der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG nicht geändert hat (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

Nun liegen beim BF zwar durchaus gute Gründe vor, die die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zum Entscheidungszeitpunkt des BFA, aber wohl auch noch bis vor wenigen Wochen, als rechtmäßig erscheinen lassen. Das ist einerseits die seit der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gewonnene Berufserfahrung, die nunmehr bereits so weit fortgeschritten ist, dass sich der BF auf eine außerordentliche Lehrabschlussprüfung vorbereiten kann. Der BF hat auch an Lebenserfahrung gewonnen und ist nun vollständig selbsterhaltungsfähig. Diese vergrößerte Berufserfahrung würde (in normalen Zeiten) dem BF selbstverständlich auch in Afghanistan zugutekommen. Andererseits ist aber vor allem das Sparguthaben des BF hervorzuheben. Gerade dieses stellt eine beachtenswerte Änderung zum Zuerkennungszeitpunkt und insbesondere auch zum Zeitpunkt der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung dar. Mithilfe dieses Betrags wäre der BF bis vor kurzem in der Lage gewesen, selbst ohne einen Arbeitsplatz zu finden, seine Lebensbedürfnisse mehrere Monate lang zu bestreiten, auch wenn er nicht in seinen Heimatort zurückgekehrt wäre. Auch die Sicherheits- und Versorgungslage stand bis vor kurzem einer Rückkehr jedenfalls in die größeren Städte nicht grundlegend entgegen. Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten war daher bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BFA durchaus gerechtfertigt.

Zum jetzigen Zeitpunkt kann aufgrund der jüngsten Ereignisse die Aberkennung jedoch nicht mehr als rechtmäßig angesehen werden. Zusätzlich zu den Änderungen in der Person des BF, die nach wie vor unverändert vorliegen, muss als weitere Voraussetzung für die Aberkennung nämlich geprüft werden, ob eine Rückkehr in den Herkunftsstaat in der jetzigen Situation ohne Beeinträchtigung der in § 8 Abs. 1 AsylG geschützten Rechte möglich ist (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0381). Dies ist derzeit jedoch zu verneinen. Mittlerweile ist (beinahe) das gesamte Staatsgebiet an die Taliban gefallen. Diese haben zwar den Krieg in Afghanistan für beendet und etwa auch erklärt, Minderheitenrechte zu achten. Erste Berichte aus Gebieten, die bereits länger unter der Herrschaft der Taliban stehen, zeigen jedoch, dass bereits Verletzungen begangen wurden. So wurde beispielsweise auch die Statue eines Hazara-Führers zerstört. In der derzeitigen, besonders volatilen Situation kann für den BF deshalb nicht von einer bestehenden innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen werden. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft auf Grund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung werden besonders die Städte wirtschaftlich wie auch in Bezug auf die Sicherheitslage unter besonderen Druck gesetzt. Ein annähernd normales Leben wäre dem BF als Rückkehrer ohne familiären Anschluss derzeit in Afghanistan nicht möglich, vielmehr ist die Situation unübersichtlich und unklar (vgl. Sonderkurzinformation der Staatendokumentation vom 17.08.2021). Als Angehöriger einer Minderheit ohne familiäres Netzwerk vor Ort wäre der BF der Willkür der Kämpfer wie auch von Kriminellen, die die derzeitige Lage ausnützen und sich als Taliban-Kämpfer ausgeben, ausgesetzt. Darüber hinaus ist derzeit nicht absehbar, wann eine sichere Anreise nach Afghanistan und Weiterreise vom dortigen Flughafen überhaupt wieder möglich sein wird.

Die derzeitige Lage steht daher einer Rückkehr entgegen, was aber die Aberkennung rechtswidrig macht. Es sind auch keine Gründe hervorgekommen, die eine Aberkennung nach § 9 Abs. 2 AsylG rechtfertigen könnten. Der Beschwerde war daher wie im Spruch ersichtlich stattzugeben.

Mit Spruchpunkt II. wurde der Antrag des BF auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen, da ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde. Wie oben ausgeführt, ist diese Aberkennung derzeit rechtswidrig, sodass dem Antrag des BF auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung stattzugeben war. Auch bei der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung ist die Gültigkeitsdauer der zu erteilenden Berechtigung ausgehend vom Entscheidungszeitpunkt festzulegen. Da die rechtlichen Wirkungen eines Erkenntnisses erst mit dessen Zustellung eintreten und aufgrund der maßgeblichen Rechtsvorschriften eine zweijährige Gültigkeitsdauer der zu verlängernden Aufenthaltsberechtigung vorzusehen ist, hat die Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ab dem Datum der Zustellung des Erkenntnisses zu erfolgen (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).

Die übrigen Spruchpunkte verloren damit ihre rechtliche Grundlage und waren entsprechend ersatzlos zu beheben.

IV.2. Zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Nach Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

Gemäß Art. 47 Abs. 1 GRC hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Zufolge des Abs. 2 leg. cit. hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

Nach Art. 52 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

Zur Frage der Verhandlungspflicht brachte der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 14.03.2012, U 466/11, u.a. zum Ausdruck, er hege vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung weder Bedenken ob Vorgängerbestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG noch könne er finden, dass der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen tatsachenwidrig sei, stehe im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt worden sei.

Auch der EuGH führte aus, dass im Lichte des Art. 47 GRC und dessen Auslegung anhand von Art. 6 Abs. 1 EMRK keine absolute Verhandlungspflicht besteht. Die Durchführung einer Verhandlung ist im Zusammenhang mit einer umfassenden ex-nunc-Prüfung der angefochtenen Sache durch das Gericht zu verstehen. Ist das Gericht der Auffassung, dass es den Rechtsbehelf anhand des Akteninhalts - einschließlich der Niederschrift einer persönlichen Anhörung durch die Verwaltungsbehörde - prüfen kann, so muss keine mündliche Verhandlung erfolgen. Ist das Gericht dagegen der Auffassung, dass eine mündliche Verhandlung für die umfassende Beurteilung notwendig ist, so hat es eine solche durchzuführen und darf nicht etwa aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung darauf verzichten. Bei der Frage der Durchführung beziehungsweise des Verzichts auf eine mündliche Verhandlung kommt es vor allem darauf an, ob sich die Rechts- und Tatsachenfragen anhand des Akteninhalts lösen lassen und ob die Informationen aus vorangegangenen Anhörungen durch die Behörde entsprechend umfassend und vollständig sind (EuGH 26.07.2017, C-348/16, Sacko/Commissione Territoriale per il riconoscimento della protezione internazionale di Milano).

Zur vorrangig maßgeblichen Bestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG judiziert der Verwaltungsgerichtshof, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden ist. Er muss bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (VwGH 19.07.2021, Ra 2020/14/0574).

Dazu ist nun festzuhalten, dass dem Bundesverwaltungsgericht bewusst ist, dass es seiner Entscheidung aktualisierte Länder- und öffentlich zugängliche Medienberichte zugrunde legte, was nach dem Verwaltungsgerichtshof grundsätzlich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erfordert (siehe statt vieler nur VwGH 29.03.2021, Ra 2020/18/0346; 19.06.2020, Ra 2019/19/0562). Im konkreten Fall ist jedoch zu bedenken, dass durch die Heranziehung der aktuellen Berichte der BF nicht beschwert ist. Vielmehr war aufgrund dieser seinem Hauptantrag stattzugeben. Der BF ist damit in seinen Rechten nicht verletzt.

Auch das BFA ist in seinen Parteirechten nicht verletzt, auch wenn ihm kein Parteiengehör zu den verwendeten Berichten gewährt wurde, weil die Berichte die Situation in Afghanistan allesamt übereinstimmend schildern, keine andere Beurteilung der derzeitigen Situation zulassen und das BFA in seiner jüngsten Sonderkurzinformation vom 17.08.2021 die Situation selbst derart darlegt. Damit steht aber aufgrund der Aktenlage fest, dass der Bescheid aufzuheben ist, was nach § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG den Entfall der Verhandlung rechtfertigt.

IV.3. Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Frage, wann nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt werden kann, ist vom Verwaltungsgerichtshof geklärt, wozu auf die oben zitierte Judikatur verwiesen werden kann. Von dieser Judikatur weicht die Entscheidung nicht ab. Ebenfalls geklärt sind die Voraussetzungen zum rechtmäßigen Entfall der Verhandlung.

Schlagworte

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1 befristete Aufenthaltsberechtigung Behebung der Entscheidung ersatzlose Teilbehebung familiäre Situation Rückkehrentscheidung behoben Rückkehrsituation Sicherheitslage Verlängerung wesentliche Änderung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W204.2228933.1.00

Im RIS seit

29.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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