TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/20 W169 2146394-1

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Veröffentlicht am 20.08.2021
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Entscheidungsdatum

20.08.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W169 2146394-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Nadja LORENZ, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.01.2017, Zl. 1076316106-150788476, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.05.2021, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 idgF wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 20.08.2022 erteilt.

IV. Der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und diese ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:


I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler, schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 03.07.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er aus der Provinz Bamyan stamme, die letzten vier Jahre im Iran gelebt habe, die Sprache Farsi spreche, der Religionsgemeinschaft der Muslime angehöre und ledig sei. Der Beschwerdeführer habe zwei Jahre die Grundschule besucht und zuletzt als Landwirt bzw. im Gemüsehandel gearbeitet. Seine Eltern seien verstorben und er habe zwei minderjährige Brüder, die bei seinem Onkel mütterlicherseits leben würden. Zum Ausreisegrund führte der Beschwerdeführer an, dass er im Iran illegal aufhältig gewesen sei. Er habe keine Aufenthaltsberechtigung gehabt und sei einmal fast abgeschoben worden. Es sei dem Beschwerdeführer ein Angebot gemacht worden, für den Iran nach Syrien in den Krieg zu ziehen. Da der Beschwerdeführer dies nicht gewollt habe, sei er aus dem Iran geflohen. Aus Afghanistan sei er weggegangen, weil es dort Streit um Ländereien gegeben habe, die der Stamm der Kutschi beansprucht habe. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte der Beschwerdeführer, dass die Taliban ihn verfolgen und umbringen würden, weil er Schiit sei.

2. Anlässlich seiner Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 15.11.2016 gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er gesund sei. Der Beschwerdeführer stamme aus der Provinz Bamyan und habe von 2010 bis zu seiner Ausreise im Iran gelebt. Er gehöre der Religionsgemeinschaft der Muslime und der Volksgruppe der Hazara an. Er spreche Farsi und könne es auch ein wenig lesen und schreiben. Er habe zwei Jahre die Grundschule besucht. Seine Familie habe ein Haus und eine Landwirtschaft gehabt, welche die Kutschis ihnen nach dem Tod des Vaters des Beschwerdeführers weggenommen hätten. Seine Eltern seien vor etwa fünf Jahren verstorben und seine beiden minderjährigen Brüder würden beim Onkel mütterlicherseits leben. Ansonsten habe er noch einen Großonkel im Iran. Er habe mit den Angehörigen in Afghanistan und im Iran Kontakt.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer vor, dass seine Familie einen Grundstücksstreit mit in der Nachbarschaft lebenden Kutschis gehabt habe. Sie hätten ihnen das Land wegnehmen wollen. Die Kutschis seien schon seit langem dort sesshaft gewesen und durch andere Kutschis unterstützt worden. Diese seien aus Kabul unterstützt worden. Die Kutschis aus der Gegend seien im Frühjahr zu ihnen gekommen und hätten ihnen nicht erlaubt, die Felder zu bestellen. Sie hätten die Schafe auf die Felder getrieben, welche das Getreide abgefressen hätten. Sie hätten immer wieder Probleme gemacht. Dies habe zwei Jahre gedauert. Die Familie des Beschwerdeführers habe sich an die Regierung gewandt und dort ihre Dokumente vorgezeigt, jedoch habe die Regierung gemeint, dass die Dokumente nicht gültig seien. Eines Tages seien zwei Leute auf dem Feld mit dem Vater des Beschwerdeführers ins Streiten gekommen und dieser habe jene Personen mit einem Messer verletzt. Die Familie des Beschwerdeführers habe sich dann Sorgen gemacht, weil sich diese Leute sicherlich rächen würden. Sie hätten dann das Dorf verlassen und seien in ein anderes Dorf gezogen, welches circa eine Stunde mit dem Auto entfernt gewesen sei. Sie hätten alles zurückgelassen. Sie hätten einfach eine Wohnung in einem anderen Dorf gemietet. Jene Personen hätten den Vater des Beschwerdeführers angezeigt und er sei für zehn Tage inhaftiert worden. Als er wieder entlassen worden sei, sei er nach Hause gekommen. Am nächsten Tag sei er nach draußen gegangen und abseits des Hauses erschossen worden. Die Familie des Beschwerdeführers habe die Leiche beerdigt. Die Polizei habe den Vorfall untersucht. Der Onkel des Beschwerdeführers habe nach dem Vorfall die Familie zu sich geholt. „Die Leute“ hätten gesagt, dass die Kutschis dort alle verfolgen würden. Sie hätten die Familie des Beschwerdeführers gewarnt. Sein Onkel habe dem Beschwerdeführer gesagt, dass er in den Iran fliehen solle, da er ihn nicht beschützen könne. Sein Onkel habe ihn mit seinem älteren Großcousin in den Iran geschickt. Nach zwei Jahren sei der Großcousin nach Afghanistan zurückgekehrt und der Beschwerdeführer im Iran geblieben. Der Beschwerdeführer habe keinen Aufenthaltstitel gehabt, weshalb er mehrmals festgenommen und einmal nach Afghanistan zurückgewiesen worden sei. Er sei über Herat und Nimruz wieder in den Iran gereist, wo er dann vier Jahre geblieben sei. Dann sei er nochmals festgenommen worden. „Sie“ hätten ihm erzählt, dass „wir“ zwei Monate nach Syrien gehen sollen, ansonsten würden sie sie nach Afghanistan schicken. Der Beschwerdeführer habe abgelehnt, nach Syrien zu gehen, weshalb er in ein Abschiebezentrum gebracht worden sei. Von dort habe er sich mithilfe seines Arbeitgebers freikaufen können. Der Beschwerdeführer habe dann entschlossen, nach Europa zu gehen.

Zu den Lebensumständen in Österreich führte der Beschwerdeführer aus, dass er einen Deutschkurs besuche und viel Deutsch lerne. Er fahre gerne mit dem Rad, gehe spazieren und treffe sich mit Freunden.

Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer die Bestätigungen über die Teilnahme an Deutschkursen vom 11.09.2015, 26.06.2016, 17.10.2016 und 03.11.2016 sowie eine Bestätigung über die Mithilfe im Gemeinschaftsgarten „Bio-Treff“ vom 07.11.2016 vor.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und wurde nach Wiederholung der bisher getätigten Angaben aus näher genannten Gründen ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, eine mangelhafte Beweiswürdigung und inhaltliche Rechtswidrigkeit moniert. Beantragt wurde die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung.

5. Mit Schriftsatz vom 30.07.2019 machte der Beschwerdeführer geltend, dass er zuletzt vor circa einem Jahr telefonischen Kontakt zu seinem Onkel „väterlicherseits“ gehabt habe, bei welchem auch die Brüder des Beschwerdeführers leben würden. Der Onkel habe ihm damals mitgeteilt, dass alle in den Iran fliehen würden. Seither habe er keinen Kontakt mehr gehabt. Desweiteren habe sich die Einstellung des Beschwerdeführers zur islamischen Religion während seines Aufenthaltes in Österreich maßgeblich geändert, sodass er den Glauben schon lange nicht mehr praktiziere und sich als unreligiös bezeichne. Er sei aus innerer Überzeugung nicht mehr bereit, sich den in Afghanistan vorherrschenden strengen religiösen Zwängen zu unterwerfen. Weiters würde der Beschwerdeführer auch aufgrund seines westlichen Erscheinungsbildes und Lebensstils im Falle einer Rückkehr keine Unterstützung erhalten. Er würde im Falle einer Rückkehr zudem aufgrund des fehlenden sozialen Netzwerks und „seiner Sprache“ in eine ausweglose Lage geraten. Er sei aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit besonders gefährdet. Eine Rückkehr nach Kabul sei aufgrund der dort vorherrschenden Lage nicht möglich. Auch in Herat und Mazar-e Sharif habe sich die Sicherheitslage verschlechtert und sei die Versorgungslage zumal aufgrund einer Dürre katastrophal. Schließlich machte der Beschwerdeführer noch Ausführungen zu seinem Privatleben im Bundesgebiet.

Gemeinsam mit dem Schriftsatz legte der Beschwerdeführer ein Zeugnis über den „Abschluss der fachlichen Vorqualifikation im Zuge des Projekts „TourIK“ im Bereich Küche vom 19.11.2018, eine Bestätigung über ein absolviertes sechswöchiges Praktikum im „Thermenhotel XXXX “ vom April 2018, ein Zwischenzeugnis des Hotels „ XXXX “ über ein befristetes Arbeitsverhältnis als Frühstückskoch/Spülhilfe vom 19.07.2019 sowie einen Lohnzettel vom Juni 2019 über einen Bruttolohn von EUR 1.263,15, eine Bestätigung über eine ehrenamtliche Tätigkeit im Seniorenhaus „ XXXX “ vom 28.05.2018, zwei Bestätigungen der Kärntner Volkshochschulen über eine Teilnahme an zwei Exkursionen vom 02.07.2019, eine Bestätigung der Kärntner Volkshochschulen über die Teilnahme am Vorbereitungskurs für das Nachholen des Pflichtschulabschlusses vom 27.06.2019, eine Bestätigung der Diakonie de La Tour über die Teilnahme am Kursprogramm im Rahmen des Projekts „TourIK“ vom 27.06.2019 sowie zwei Empfehlungsschreiben vom 09.07.2019 und 16.07.2019 vor.

6. Am 04.06.2020 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Mitteilung des AMS über die Ausstellung einer Beschäftigungsbewilligung an den Beschwerdeführer.

7. Am 10.09.2020 legte der Beschwerdeführer eine befristete Beschäftigungsbewilligung des AMS vom 03.06.2020, einen Arbeitsvertrag als Küchenhilfe/Frühstückskoch vom 01.07.2020 bis 31.08.2020 zu einem Bruttomonatslohn von EUR 1.670,-, zwei Lohnzettel und ein Arbeitszeugnis der „ XXXX “ sowie ein Zeugnis über eine bestandene Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 vom 12.08.2019 vor.

8. Mit Schriftsatz vom 30.10.2020 beantragte der Beschwerdeführer die Vernehmung eines namentlich genannten Zeugen über dessen Wahrnehmungen zum Glaubensabfall des Beschwerdeführers und machte Ausführungen über die durch die COVID-19-Pandemie veränderte Lage in Afghanistan. Der Beschwerdeführer legte eine Bestätigung der Kärntner Volkshochschulen über den Besuch des Vorbereitungslehrgangs zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses vom 23.10.2020 vor.

9. Am 26.05.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche, mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertreterin teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist entschuldigt ferngeblieben. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung wurde der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen, Rückkehrbefürchtungen und Integrationsbemühungen in Österreich befragt (s. Verhandlungsprotokoll). Der Beschwerdeführer legte einen Antrag an das AMS auf eine befristete Beschäftigungsbewilligung vom 01.07.2021 bis 15.09.2021 als Küchenhilfe/Frühstückskoch zu einem Bruttomonatslohn von EUR 1.575,- in der „ XXXX “ vom 30.04.2021 sowie acht aktuelle Empfehlungsschreiben vor (Beilage ./A). Dem Beschwerdeführer wurden die bereits mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelten aktuellen Länderberichte vorgehalten.

10. Am 02.06.2021 übermittelte der Beschwerdeführer eine ihm vom AMS erteilte Beschäftigungsbewilligung als Küchenhilfe/Frühstückskoch vom 01.07.2021 bis 15.09.2021.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Religionsgemeinschaft der schiitischen Muslime und der Volksgruppe der Hazara. Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Bamyan und hat die letzten rund sechs Jahre vor seiner Ausreise nach Österreich im Iran gelebt. Er ist volljährig und im erwerbsfähigen Alter.

Der Beschwerdeführer spricht die Sprache Dari. Er besuchte in Afghanistan zwei Jahre die Grundschule, half als Kind in der elterlichen Landwirtschaft in Afghanistan mit und arbeitete zuletzt während seines gesamten Aufenthaltes im Iran – ebenso als Minderjähriger – in der Fabrik eines Gemüsehandels.

Die Eltern des Beschwerdeführers sind verstorben. Seine beiden Brüder im Alter von etwa 14 und 16 Jahren leben bei seinem Onkel mütterlicherseits in der Provinz Bamyan. Der Beschwerdeführer hat zudem einen Großonkel im Iran. Der Beschwerdeführer hat Kontakt mit seinen Angehörigen. Der Beschwerdeführer hat Freunde in Kabul.

Der Beschwerdeführer ist gesund und strafgerichtlich unbescholten.

Die Fluchtgründe des Beschwerdeführers sind nicht glaubwürdig und werden dem Verfahren wird zugrunde gelegt. Der Beschwerdeführer wird in Afghanistan nicht von Angehörigen des Stammes der Kutschis aufgrund einer Grundstücksstreitigkeit bedroht. Er wird im Falle einer Rückkehr nicht aufgrund einer Apostasie bzw. einer Verwestlichung bedroht. Dem Beschwerdeführer droht auch sonst keine asylrelevante Gefahr in Afghanistan.

Der Beschwerdeführer hat keine Angehörigen in Österreich. Er hat die Integrationsprüfung des ÖIF auf dem Niveau A2 bestanden. Der Beschwerdeführer verfügt über durchaus passable, aber noch stark ausbaufähige Deutschkenntnisse. Der Beschwerdeführer besucht derzeit einen Vorbereitungskurs zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses. Er hat am Kursprogramm im Rahmen des Projekts „TourIK“ teilgenommen und in diesem Rahmen vom März bis April 2018 ein sechswöchiges Praktikum im „Thermenhotel XXXX “ absolviert. Er hat im Zuge dieses Projekts einen Abschluss der fachlichen Vorqualifikation im Bereich Küche erlangt.

Der Beschwerdeführer hat vom 07.06.2019 bis zum 06.10.2019 und vom 01.07.2020 bis 31.08.2020 im Hotel „ XXXX “ als Frühstückskoch/Spülhilfe gearbeitet. Ihm wurde für den Zeitraum 01.07.2021 bis zum 15.09.2021 eine erneute Beschäftigungsbewilligung für diesen Arbeitsplatz erteilt. Der Beschwerdeführer erhielt im Jahr 2020 einen Bruttomonatslohn von EUR 1.670,- und würde im aktuellen Jahr einen Bruttomonatslohn von EUR 1.575,- verdienen. Außerhalb dieser Zeiträume bezieht der Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung. Dem Beschwerdeführer wurde eine Kochlehre im Hotel „ XXXX “ in Aussicht gestellt.

Der Beschwerdeführer hat vom April bis September 2016 circa 20 Stunden beim Gemeinschaftsgarten „Bio-Treff“ mitgeholfen. Er hat rund um das Jahr 2018 für ein Jahr einen Tag pro Woche ehrenamtlich im Seniorenhaus „ XXXX “ gearbeitet.

Der Beschwerdeführer ist mit zwei österreichischen Familien befreundet – wobei mit einer lediglich telefonischer Kontakt besteht und es sich bei der anderen Familie um die Arbeitgeber des Beschwerdeführers handelt – und hat Bekanntschaften – hauptsächlich zu Hotelgästen – gefunden. Er geht in seiner Freizeit spazieren und Fahrrad fahren. Er wohnt in einer organisierten Unterkunft der Grundversorgung.

Dem Beschwerdeführer ist eine Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgehalten:

1. Notorische Lage vom 16.08.2021

Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich seit Abzug der internationalen Truppen rasant verschlechtert. Kontrollierten die Taliban am 13.04.2021 noch lediglich 77 der 407 afghanischen Distrikte, stieg diese Zahl bis zum 15.08.2021 bereits auf 304 Distrikte.
Aus den Massenmedien und somit allgemein bekannt ist desweiteren, dass ab 06.08.2021 bis 16.08.2021 der Reihe nach die Provinzhauptstädte Zaranj (Provinz Nimruz), Sheberghan (Provinz Jowzjan), Taloqan (Provinz Takhar), Sar-e Pol (Provinz Sar-e Pol), Kunduz (Provinz Kunduz), Aybak (Provinz Samangan), Farah (Provinz Farah), Pol-e Khumri (Provinz Baghlan), Faizabad (Provinz Badakhshan), Ghazni (Provinz Ghazni), Kandahar (Provinz Kandahar), Lashkargah (Provinz Helmand), Firozkoh (Provinz Ghor), Qala-e Now (Provinz Badghis), Herat (Provinz Herat), Qalat (Provinz Zabul), Tarinkot (Provinz Uruzgan), Pol-e Alam (Provinz Logar), Asadabad (Provinz Kunar), Mazar-e Sharif (Provinz Balkh), Mihtarlam (Provinz Laghman), Sharana (Provinz Paktika), Gardez (Provinz Paktia), Jalalabad (Provinz Nangarhar), Maymana (Provinz Faryab), Maidan Shahr (Provinz Maidan Wardak), Khost (Provinz Khost), Bamyan (Provinz Bamyan), Nili (Provinz Daykundi) und Mahmud-i-Raqi (Provinz Kapisa) durch die Taliban erobert wurden. Zuletzt zogen die Taliban kampflos in die Hauptstadt Kabul ein, nachdem der Präsident Ashraf Ghani aus Afghanistan geflohen war.

Quellen:

?        Long War Journal, Mapping Taliban Contested and Controlled Districts in Afghanistan, https://www.longwarjournal.org/mapping-taliban-control-in-afghanistan, aufgerufen am 16.08.2021

?        ORF, Taliban setzen Offensive in Afghanistan fort, https://orf.at/stories/3224110/, aufgerufen am 16.08.2021

?        ORF, Viertelmillion neue Binnenflüchtlinge, https://orf.at/stories/3224199, aufgerufen am 16.08.2021

?        ORF, Taliban erobern weitere Provinzhauptstadt in Afghanistan, https://orf.at/stories/3224360/, aufgerufen am 16.08.2021

?        ORF, Taliban erobern Provinzhauptstadt nahe Kabul, https://orf.at/stories/3224556/, aufgerufen am 16.08.2021

?        ORF, Taliban übernehmen Kandahar, https://orf.at/stories/3224681/, aufgerufen am 16.08.2021

?        Al Jazeera, Taliban seizes 18th Afghan city as UK warns of civil war, https://www.aljazeera.com/news/2021/8/13/afghanistan-taliban-herat-kandahar-kabul-cities-live-updates, aufgerufen am 16.08.2021

?        N-TV, So verlief die Blitzoffensive der Taliban, https://www.n-tv.de/politik/So-verlief-die-Blitzoffensive-der-Taliban-article22745389.html, aufgerufen am 16.08.2021

?        Die Presse, Taliban vor Kabul: Mazar-i-Sharif eingenommen, https:// www.diepresse.com/6020994/taliban-vor-kabul-mazar-i-sharif-eingenommen, aufgerufen am 16.08.2021

?        Xinhua, Taliban militants overrun key city Jalalabad in eastern Afghanistan: spokesman, www.xinhuanet.com/english/asiapacific/2021-08/15/c_1310127895.htm, aufgerufen am 16.08.2021

?        Tagesschau, Kabul vor Übergabe an Taliban, https://www.tagesschau.de/ausland/asien/afghanistan-kabul-111.html, aufgerufen am 16.08.2021

?        NHK, Taliban ‚seize 6 more regional capitals‘, https://www3.nhk.or.jp/nhkworld/en/news/20210815_23/, aufgerufen am 16.08.2021

?        ORF, „Krieg in Afghanistan ist vorbei“, https://orf.at/stories/3225020/; aufgerufen am 16.08.2021

2. Kurzinformation der Staatendokumentation vom 02.08.2021: Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan

Sicherheitslage und Gebietskontrolle

In Afghanistan ist die Zahl der konfliktbedingten Todesopfer derzeit so hoch wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNHCR, mit durchschnittlich 500-600 Sicherheitsvorfällen pro Woche. Berichten zufolge liegt die Gebietskontrolle der Regierung auf dem niedrigsten Stand seit 2001 (UNHCR 20.7.2021).

Nach Angaben des Long War Journals (LWJ) kontrollieren die Taliban 223 der 407 Distrikte Afghanistan.

Die Regierungstruppen kämpfen aktuell (Ende Juli / Anfang August 2021) gegen Angriffe der Taliban auf größere Städte, darunter Herat, Lashkar Gah und Kandahar, dessen Flughafen von den Taliban bombardiert wurde. Seit 1.8.2021 gibt es keine Flüge mehr zu und von dem Flughafen (AJ 1.8.2021).

Von den 17 Distrikten Herats sind nur Guzara und die Stadt Herat unter Kontrolle der Regierung. Die übrigen Bezirke werden von den Taliban gehalten, die versuchen, in das Zentrum der Stadt vorzudringen (TN 31.7.2021; vgl. ANI 2.8.2021). Die afghanische Regierung entsendet mehr Truppen nach Herat, da die Kämpfe mit den Taliban zunehmen (ANI 2.8.2021; vgl. AJ 1.8.2021).

Zivile Opfer und Fluchtbewegungen

Zwischen 1.1.2021 und 30.6.2021 dokumentierte UNAMA 5.183 zivile Opfer und fast eine Verdreifachung der zivilen Opfer durch den Einsatz von improvisierten Sprengsätzen (IEDs) durch regierungsfeindliche Kräfte. Zwischen Mai und Juni 2021 gab es nach Angaben von UNAMA fast soviele zivile Opfer wie in den vier Monate davor (UNAMA 26.7.2021).

Nach Angaben von Human Rights Watch (HRW) halten die Taliban hunderte Einwohner der Provinz Kandarhar fest, denen sie vorwerfen mit der Regierung in Verbindung zu stehen. Berichten zufolge haben die Taliban einige Gefangene getötet, darunter Angehörige von Beamten der Provinzregierung sowie Mitglieder der Polizei und der Armee (HRW 23.7.2021).

UNOCHA zufolge wurden zwischen 1.1.2021 und 18.7.2021 294.703 Menschen in Afghanistan durch den Konflikt vertrieben (UNOCHA 22.7.2021).

Noch kann keine Massenflucht afghanischer Staatsbürger in den Iran festgestellt werden, jedoch hat die Zahl der Neuankömmlinge zugenommen. Der Notstandsplan wurde bislang noch nicht aktiviert. Sollte er aktiviert werden, rechnet die iranische Regierung mit einem Zustrom vom 500.000 Menschen innerhalb von sechs Monaten, wobei davon ausgegangen wird, dass ihr Aufenthalt nur vorübergehend sein wird. UNHCR rechnet mit 150.000 Menschen innerhalb von drei Monaten (UNHCR 20.7.2021).

Weitere Entwicklungen

Die Taliban haben im Juli 2021 erklärt, dass sie der afghanischen Regierung im August ihren Friedensplan vorlegen wollen und dass die Friedensgespräche beschleunigt werden sollen (UNHCR 20.7.2021).

Die afghanische Regierung hat am 25.7.2021 eine einmonatige Ausgangssperre über fast das gesamte Land verhängt, um ein Eindringen der Taliban in die Städte zu verhindern. Ausnahmen sind die Provinzen Kabul, Panjshir und Nangarhar. Die Ausgangssperre verbietet alle Bewegungen zwischen 22:00 und 04:00 (BBC 25.7.2021; vgl. TG 24.7.2021).

In den von den Taliban eroberten Gebieten im Norden dürften Frauen laut Meldung vom 14.7.2021 nur vollverschleiert und mit männlicher Begleitung auf die Straße gehen (BAMF 20.7.2021; vgl. VOA 9.7.2021).

Aufgrund von COVID-19 waren alle Schulen und Universitäten bis zum 23.7.2021 geschlossen (BAMF 19.7.2021; AAN 25.7.2021). Nach Angaben der für das Gesundheits- und Bildungswesen zuständigen Beamten soll die Wiedereröffnung in den Provinzen schrittweise erfolgen, je nach Ausbreitung von COVID-19 (AAN 25.7.2021).

Mit 2.8.2021 werden die Flughäfen von Kabul und Mazar-e Sharif weiterhin national und international angeflogen. Der Flughafen von Herat ist national erreichbar (F 24 2.8.2021).

Quellen:

?        AAN - Afghan Analyst Network (25.7.2021): Schools reopen in Afghanistan after months of COVID-19 closure, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/schools-reopen-in-afghanistan-after-months-of-covid-19-closure/2313635, Zugriff am 2.8.2021

?        AJ - Aljazeera (1.8.2021): Afghan forces bomb Taliban in bid to halt advance on cities, https://www.aljazeera.com/news/2021/8/1/rockets-hit-kandahar-airport-in-southern-afghanistan, Zugriff am 2.8.2021

?        ANI - Asian News International (2.8.2021): Afghan govt deploys more troops in Herat as clashes with Taliban intensify, https://www.aninews.in/news/world/asia/afghan-govt-deploys-more-troops-in-herat-as-clashes-with-taliban-intensify20210802031342/, Zugriff am 2.8.2021

?        ANI - Asian News International (13.7.2021): Over 5000 families displaced by violence in Afghanistan's Kandahar, https://www.aninews.in/news/world/asia/over-5000-families-displaced-by-violence-in-afghanistans-kandahar20210713192229/, Zugriff am 2.8.2021
• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (19.7.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw29-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff am 2.8.2021

?        BBC - British Broadcasting Corporation (25.7.2021): Afghanistan curfew imposed as Taliban militants advance, https://www.bbc.com/news/world-asia-57933364, Zugriff am 2.8.2021

?        F 24 - Flightradar 24 (2.8.2021): https://www.flightradar24.com/34.57,69.21/8,

?        HRW - Human Rights Watch (23.7.2021): Afghanistan: Threats of Taliban Atrocities in Kandahar, https://www.hrw.org/news/2021/07/23/afghanistan-threats-taliban-atrocities-kandahar, Zugriff am 2.8.2021

?        TG - The Guardien (24.7.2021): Curfew imposed in Afghanistan to curb Taliban offensive, https://www.theguardian.com/world/2021/jul/24/curfew-imposed-in-afghanistan-to-curb-taliban-offensive, Zugriff am 2.8.2021

?        TN - Tolonews (31.7.2021): Taliban Gets Closer to Herat City as Clashes Intensify, https://tolonews.com/afghanistan-173868, Zugriff am 2.8.2021

?        UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (26.7.2021): Afghanistan Midyear Report On Protection Of Civilians In Armed Conflict: 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2056652/unama_poc_midyear_report_2021_26_july.pdf, Zugriff am 2.8.2021

?        UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (20.7.2021): Afghanistan situation: Emergency preparedness and response in Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2056773/Situation+Update+-+Afghanistan+situation+preparedness+in+Iran+-+20+July+2021.pdf, Zugriff am 2.8.2021

?        UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (22.7.2021): Afghanistan -Weekly Humanitarian Update, https://www.ecoi.net/en/file/local/2056663/afghanistan_humanitarian_weekly_22_july_2021.pdf, Zugriff am 2.8.2021

?        VOA - Voice of America (9.7.2021): Taliban Impose New Restrictions on Women, Media In Afghanistan’s North, https://www.voanews.com/extremism-watch/taliban-impose-new-restrictions-women-media-afghanistans-north, Zugriff am 2.8.2021

3. COVID-19

Letzte Änderung: 10.06.2021

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).

Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).

Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern" (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als "schwer erreichbar" gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021).

Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden (UNOCHA 3.6.2021; vgl. IPC 22.4.2021). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch lang anhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).

Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).

Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).

Nach Erkenntnissen der WHO steht Afghanistan [Anm.: mit März 2021] vor einer schleppenden wirtschaftlichen Erholung inmitten anhaltender politischer Unsicherheiten und einem möglichen Rückgang der internationalen Hilfe. Das solide Wachstum in der Landwirtschaft hat die afghanische Wirtschaft teilweise gestützt, die im Jahr 2020 um etwa zwei Prozent schrumpfte, deutlich weniger als ursprünglich geschätzt. Schwer getroffen wurden aber der Dienstleistungs- und Industriesektor, wodurch sich die Arbeitslosigkeit in den Städten erhöhte. Aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums ist nicht zu erwarten, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen bis 2025 wieder auf das Niveau von vor der COVID-19-Pandemie erholt (BAMF 12.4.2021).

Frauen, Kinder und Binnenvertriebene

Auch auf den Bereich Bildung hatte die COVID-19 Pandemie Auswirkungen. Die Regierung ordnete im März 2020 an, alle Schulen zu schließen (IOM 23.9.2020; vgl. ACCORD 25.5.2021), wobei diese ab August 2020 wieder stufenweise geöffnet wurden (ACCORD 25.5.2021). Angesichts einer zweiten COVID-19-Welle verkündete die Regierung jedoch Ende November die abermalige Schließung der Schulen (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021) wobei diese im Laufe des ersten Quartals 2021 wieder geöffnet wurden (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021, UNICEF 4.5.2021). Im Oktober 2020 berichtete ein Beamter, dass 56 Schüler und Lehrer in der Provinz Herat positiv getestet wurden (von 386 Getesteten). 35 bis 60 Schüler lernen in einem einzigen Raum, weil es an Einrichtungen fehlt und die Richtlinien zur sozialen Distanzierung nicht beachtet werden (IOM 18.3.2021). Ende Mai 2021 wurde berichtet, dass in 16 Provinzen aufgrund steigender Fallzahlen für 14 Tage die Schulen geschlossen würden (BAMF 31.5.2021).

Kinder (vor allem Jungen), die von den Auswirkungen der Schulschließungen im Rahmen von COVID-19 betroffen waren, waren nun auch anfälliger für Rekrutierung durch die Konfliktparteien (IPS 12.11.2020; vgl. UNAMA 10.8.2020, ACCORD 25.5.2021). In den ersten Monaten des Jahres 2021 wurde im Durchschnitt eines von drei Kindern in Afghanistan außer Haus geschickt, um zu arbeiten. Besonders außerhalb der Städte wurde ein hoher Anstieg der Kinderarbeit berichtet (IOM 18.3.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021). Die Krise verschärft auch die bestehende Vulnerabilität von Mädchen betreffend Kinderheirat und Schwangerschaften von Minderjährigen (UNOCHA 19.12.2020; vgl. IPS 12.11.2020, UNAMA 10.8.2020, ACCORD 25.5.2021). Die Pandemie hat auch spezifische Folgen für Frauen, insbesondere während eines Lockdowns, einschließlich eines erhöhten Maßes an häuslicher Gewalt (ACCORD 25.5.2021; vgl. AI 3.2021, HRW 13.1.2021, UNOCHA 19.12.2020). Frauen und Mädchen sind durch den generell geringeren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen zusätzlich betroffen (AI 3.2021; vgl. HRW 13.1.2021, Martins/Parto 11.2020, AAN 1.10.2020).

Binnenvertriebene sind besonders gefährdet, sich mit COVID-19 anzustecken, da sie bereits vorher anfällig waren, es keine Gesundheitseinrichtungen gibt, die Siedlungen überfüllt sind und sie nur begrenzten Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen haben. Aufgrund ihrer schlechten Lebensbedingungen sind die vertriebenen Gemeinschaften nicht in der Lage, Präventivmaßnahmen wie soziale Distanzierung und Quarantäne zu praktizieren und sind daher anfälliger für die Ansteckung und Verbreitung des Virus (AI 3.2021).

Bewegungsfreiheit

Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei später alle Grenzübergänge geöffnet wurden (IOM 18.3.2021). Seit dem 29.4.2021 hat die iranische Regierung eine unbefristete Abriegelung mit Grenzschließungen verhängt (UNOCHA 3.6.2021; vgl. AnA 29.4.2021). Die Grenze bleibt nur für den kommerziellen Verkehr und die Bewegung von dokumentierten Staatsangehörigen, die nach Afghanistan zurückkehren, offen. Die Grenze zu Pakistan wurde am 20.5.2021 nach einer zweiwöchigen Abriegelung durch Pakistan wieder geöffnet (UNOCHA 3.6.2021).

Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 23.9.2020). Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 18.3.2021). Mit Stand 25.5.2021 ist das Projekt Restart III weiter aktiv und Teilnehmer melden sich (IOM AUT 25.5.2021).

Quellen:

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?        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (25.5.2021): Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Gewalt gegen Kinder und etwaige Veränderungen durch die Covid-19-Pandemie; Zugang zu Bildungseinrichtungen im Zusammenhang mit Pandemie, insb. in Kabul und Mazar-e-Sharif, https://www.ecoi.net/en/document/2052138.html, Zugriff 4.6.2021

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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