TE Vwgh Beschluss 2021/9/2 Ra 2021/21/0209

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Veröffentlicht am 02.09.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §55
BFA-VG 2014 §9 Abs2
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M, über die Revision des M C, vertreten durch Kocher & Bucher, Rechtsanwälte OG in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28. Mai 2021, L514 1423548-4/11E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 sowie Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der 1984 geborene Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner illegalen Einreise am 10. Dezember 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz, der - in Verbindung mit einer Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei - vollinhaltlich abgewiesen wurde. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 12. Jänner 2012 abgewiesen.

2        Ein in weiterer Folge gestellter Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens blieb erfolglos.

3        Am 18. Mai 2018 stellte der in Österreich verbliebene Revisionswerber einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 12. Dezember 2018 abwies. Unter einem wurde gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen und damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein mit zwei Jahren befristetes Einreiseverbot verbunden. Des Weiteren stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Türkei zulässig sei.

4        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), nachdem es am 7. Mai 2021 eine mündliche Verhandlung durchgeführt hatte, mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 28. Mai 2021 als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        In der Begründung hob das BVwG im Rahmen der Interessenabwägung zunächst die lange Aufenthaltsdauer zugunsten des Revisionswerbers hervor, führte jedoch relativierend aus, dass dieser Aufenthalt seit der Entscheidung des Asylgerichtshofes im Jänner 2012 unrechtmäßig gewesen sei. Der Revisionswerber habe weder Kinder, noch führe er - entgegen seinen ursprünglichen Behauptungen - eine familienähnliche Beziehung mit einer Lebensgefährtin. Mit seinen in Österreich lebenden beiden Brüdern wohne er nicht in einem gemeinsamen Haushalt, und auch aus seinem Verhältnis zu rund 30 in Österreich lebenden Verwandten könne kein Familienleben iSd Art. 8 EMRK abgeleitet werden. Seine Behauptung, von seinen Brüdern und Verwandten finanziell unterstützt zu werden, lasse - wie das BVwG näher begründete - die Herkunft der Mittel für seine Lebensführung in Österreich nicht nachvollziehbar erscheinen. Der gesunde und arbeitsfähige Revisionswerber habe während seines Aufenthaltes keinerlei berufliche oder zumindest ehrenamtliche Aktivitäten gesetzt und auch die deutsche Sprache nicht in einem Maße erlernt, um sich im Alltag verständigen zu können. Unter Bedachtnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen sei, außer die in Österreich verbrachte Zeit sei überhaupt nicht genützt worden, um sich sozial und beruflich zu integrieren, hielt das BVwG fest, dass gerade Letzteres beim Revisionswerber, der mit 27 Jahren nach Österreich gekommen und „seitdem schlichtweg nichts getan“ habe, der Fall sei. Demnach sei der beantragte Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung eines Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK nicht zu erteilen und diese Entscheidung zu Recht mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden gewesen. Die Verhängung des Einreiseverbotes begründete das BVwG im Wesentlichen mit dem langjährigen beharrlichen Verbleiben im Bundesgebiet trotz rechtskräftigen Ausreisebefehls, mit einer (mittlerweile getilgten) strafgerichtlichen Verurteilung wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage, mit dem vom Revisionswerber nicht substantiiert bestrittenen Inhalt eines polizeilichen Abschlussberichtes vom November 2020 über den Verdacht der beharrlichen Verfolgung einer näher genannten Frau sowie mit der fehlenden Selbsterhaltungsfähigkeit und der daraus ableitbaren Mittellosigkeit des Revisionswerbers, woran auch ein vorgelegter Arbeitsvorvertrag aus dem Jahr 2018 nichts ändere.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.

7        Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

9        In dieser Hinsicht wendet sich die Revision unter Hinweis auf die lange Aufenthaltsdauer gegen die - für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 gleichermaßen wie für die Rückkehrentscheidung maßgebliche - Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG. Da der Revisionswerber durch die finanzielle Unterstützung seiner Verwandten in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen stehe, über Grundkenntnisse der deutschen Sprache sowie über eine Einstellungszusage verfüge, sei seine soziale und berufliche Integration nicht zu vernachlässigen.

10       Wie auch die Revision ins Treffen führt und vom BVwG ohnehin berücksichtigt wurde, geht der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig ein Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich anzunehmen ist. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurde eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (und umgekehrt die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005) ausnahmsweise nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. etwa VwGH 30.4.2021, Ra 2020/21/0357, Rn. 12, mwN). Diese Judikatur wurde vom Verwaltungsgerichtshof - aber nur: bei stärkerem Integrationserfolg - auch auf Fälle übertragen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag (vgl. erneut VwGH 30.4.2021, Ra 2020/21/0357, nunmehr Rn. 13, mwN).

11       Im vorliegenden Fall befand sich der Revisionswerber im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung neun Jahre und etwas weniger als sechs Monate in Österreich. Diesbezüglich ist das BVwG zum Ergebnis gelangt, der Revisionswerber habe die Zeit in Österreich zur Integration überhaupt nicht genützt. Es hat somit schon die bei einem mehr als zehnjährigen Aufenthalt als Minimalerfordernis verlangten Integrationsmerkmale verneint und umso weniger einen darüber hinaus gehenden stärkeren Integrationserfolg als vorliegend erachtet.

12       Dabei hat das BVwG die in der Revision ins Treffen geführten integrativen Aspekte - insbesondere die (geringen) Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1, das Verhältnis zu seinen Verwandten und das Vorliegen eines (jedoch als nicht tragfähig angesehenen) Arbeitsvorvertrages vom April 2018 - fallbezogen genügend berücksichtigt. Die Revision vermag der darauf gegründeten Annahme des BVwG, der Revisionswerber habe im Laufe seines langjährigen Aufenthaltes keine ausreichenden Schritte zur Integration unternommen, nichts Konkretes entgegen zu setzen. Aufgrund der fehlenden Integrationsbemühungen des Revisionswerbers in der Vergangenheit durfte das BVwG daher - auch unter Einbeziehung der bestehenden Bindungen im Herkunftsstaat, wo im Heimatort die Eltern des Revisionswerbers und weitere Geschwister leben - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Verwertung des vom Revisionswerber gewonnenen persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Gesamtbetrachtung vertretbar davon ausgehen, dass die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen das private Interesse des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen. Eine solche einzelfallbezogene und vertretbar vorgenommene Beurteilung steht nach ständiger Rechtsprechung aber der Zulässigkeit einer Revision entgegen (vgl. VwGH 30.4.2021, Ra 2021/21/0112, Rn. 9, mwN).

13       In der Revision, die im Übrigen auf das gegen den Revisionswerber erlassene Einreiseverbot nicht konkret Bezug nimmt, werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 2. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210209.L00

Im RIS seit

29.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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