TE Vwgh Beschluss 2021/9/2 Ra 2021/21/0089

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Veröffentlicht am 02.09.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs5
FrPolG 2005 §52 Abs9
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
MRK Art8 Abs2
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des S Z A, vertreten durch Dr. Martin Mahrer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 19/5. Stock, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. Dezember 2020, L506 2230096-2/11E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der 1996 geborene, ledige Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Pakistans, hält sich nach seiner Einreise im Rahmen des Familiennachzugs zu seiner Mutter und dem österreichischen Stiefvater jedenfalls seit Februar 2011 in Österreich auf. Ihm waren wiederholt Aufenthaltstitel, zuletzt der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“, erteilt worden.

2        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10. Dezember 2019 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens des Raubes zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten (davon 16 Monate bedingt nachgesehen) verurteilt. Er hatte am 3. November 2019 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem Mittäter einer anderen Person den Rucksack samt Laptop und Tablet sowie ein Mobiltelefon geraubt, wobei der Mittäter das Opfer zu Boden riss und dann beide Täter nach Schlägen mit den Fäusten auch mit den Füßen mehrmals gegen dessen Kopf traten, es mit einer alkoholischen Flüssigkeit überschütteten und mit dem Anzünden bedrohten. Der unbedingt verhängte Strafteil wurde, nach Anrechnung einer ab dem 3. November 2019 verbüßten Vorhaft, bis zur bedingten Entlassung des Revisionswerbers am 10. April 2020 vollzogen.

3        Mit Bescheid vom 24. Februar 2020 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber daraufhin gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung. Das BFA stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Pakistan zulässig sei, und erließ gemäß § 53 Abs. 1 und 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot.

4        Nach Ergehen einer bestätigenden Beschwerdevorentscheidung durch das BFA über die vom Revisionswerber dagegen erhobene Beschwerde stellte dieser rechtzeitig einen Vorlageantrag.

5        Mit dem angefochtenen, nach mündlicher Verhandlung ergangenen Erkenntnis vom 7. Dezember 2020 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der Beschwerde teilweise Folge und setzte die Dauer des Einreiseverbotes auf drei Jahre herab. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Das BVwG sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit dem Beschluss VfGH 18.1.2021, E 45/2021, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

7        Die in der Folge ausgeführte Revision erweist sich als unzulässig.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

10       Die diesbezügliche Begründung in der Revision lautet wörtlich wie folgt:

„Es fehlt Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage, ob im Anwendungsbereich des § 9 BFA-VG - diese Norm ist verfahrensgegenständlich der Dreh- und Angelpunkt der Erkenntnisbegründung (Erkenntnis, S. 66ff), wovon letztlich sämtliche Spruchteile abhängen - die ‚zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele‘ als durchschlagender Grund für die getroffene Entscheidung wider den Revisionswerber (nicht) ihrerseits wegen Art. 53 MRK auf weitergehende innerstaatliche Schranken stoßen (müssen), die sich insbesondere aus der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung (Art. 2 B-VG) ergeben, und folglich eine verfassungskonforme Interpretation und Anwendung von § 9 BFA-VG es ‚dringend‘ iS dieser Norm gebietet, innerhalb der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele wiederum in concreto ausschließlich auf Bundesbelange abzustellen, dagegen nicht pauschal auf die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit (vgl Erkenntnis, S. 74) als solche, welche ja neben der Bundeskompetenz von Art. 10 Abs. 1 Z 7 B-VG auch die Landeskompetenz nach Art. 15 Abs. 2 B-VG und mitunter die Gemeindekompetenz nach Art. 118 Abs. 3 Z 3 B-VG betrifft und gegenständlich nur Bundesinteressen behördlich vollzogen werden dürfen und folglich bei Bejahung des Gebotenseins der Einhaltung der aufgezeigten bundesstaatlichen Differenzierung im Anwendungsbereich des § 9 BFA-VG sich entweder die Angelegenheit als nicht spruchreif erweist und die Angelegenheit daher zurückzuverweisen ist oder aber im Hinblick auf bloß vermindert wahrnehmbare öffentliche (Bundes)Interessen dieselben in ihrem dann angenommenen Verbleib nicht ausreichend wider den Revisionswerber durchschlagen können und der Bescheid daher zu beheben ist.“

11       Abgesehen davon, dass der Inhalt dieses Satzes schwer nachvollziehbar und kaum verständlich ist, wird in diesem Zusammenhang vor allem die Herstellung eines konkreten Fallbezuges gänzlich unterlassen. Aufgrund der (insoweit ergänzenden) Ausführungen in der weiteren Begründung der Revision (ab Seite 18) wird zwar die Zielrichtung der wiedergegebenen Überlegungen erkennbar, nämlich dass die vom BVwG als überwiegend angenommenen öffentlichen Interessen iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK „zudem (im Sinne einer Eingriffszusatzvoraussetzung) Bundesinteressen betreffen“ müssen, dagegen keine „Landes- oder Gemeindebelange“, weil das BFA als Bundesbehörde „nicht quasi en passant“ zur Wahrnehmung von Landes- oder Gemeindeinteressen berufen sein könne. Aber auch insoweit bleibt völlig offen, welche „Landes- oder Gemeindeinteressen“ vom BFA oder vom BVwG „in unrichtiger rechtlicher Beurteilung“ bei der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG zu Lasten des Revisionswerbers nach dessen Auffassung nicht hätten berücksichtigt werden dürfen.

12       In der Revision, in der (sonst) die Vertretbarkeit der nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Verwertung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber vorgenommenen Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG nicht in Frage gestellt wird (siehe zu diesem Maßstab für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 22.1.2021, Ra 2020/21/0457, Rn. 18, und VwGH 22.3.2021, Ra 2020/21/0403, Rn. 14, jeweils mwN) und die diesbezüglichen Sachverhaltsannahmen auch nicht konkret bekämpft werden, wird somit keine fallbezogen relevante grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne der genannten Verfassungsbestimmung aufgezeigt.

13       Soweit die Revision mit ihren Ausführungen allenfalls Bedenken an der Verfassungskonformität des § 9 BFA-VG aufzeigen will, genügt der Hinweis, dass auch der Verfassungsgerichtshof bei Ablehnung der Behandlung der an ihn gerichteten Beschwerde mit dem erwähnten Beschluss VfGH 18.1.2021, E 45/2021, die ihm gegenüber inhaltsgleich vorgetragene Argumentation nicht zum Anlass für die Einleitung eines Normprüfungsverfahrens genommen hat.

14       Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 2. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210089.L00

Im RIS seit

29.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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