TE Vwgh Erkenntnis 2021/9/2 Ra 2020/21/0467

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Veröffentlicht am 02.09.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/01 Sicherheitsrecht
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

AnhO 1999 §1a Z1
AnhO 1999 §5 Abs4
AVG §1
BFA-G 2014 §3 Abs1 Z3
BFA-VG 2014 §5
BFA-VG 2014 §7 Abs1 Z3
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art131 Abs2
FrPolG 2005 §76
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2
FrPolG 2005 §78 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §9 Abs1 Z2
VwGVG 2014 §9 Abs2 Z2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Dr. Wiesinger sowie den Hofrat Dr. Chvosta als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des O U, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 1. Oktober 2020, W137 2233021-2/14E, betreffend teils Abweisung und teils Zurückweisung einer Maßnahmenbeschwerde (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl; richtig: Landespolizeidirektion Wien),

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Spruch

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis, somit dessen Spruchpunkte A.I., A.III. und A.IV., wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet Mitte Juli 2015 einen erfolglos gebliebenen Antrag auf internationalen Schutz, in dessen Rahmen gegen ihn eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung erlassen wurde.

2        Am 29. Juni 2020 wurde der Revisionswerber in Innsbruck einer Personenkontrolle unterzogen, anschließend festgenommen und in das Polizeianhaltezentrum in Wien überstellt. Nach seiner Vernehmung wurde über ihn mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 1. Juli 2020 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft (insbesondere) zum Zweck der Sicherung der Abschiebung verhängt. Die Anhaltung in Schubhaft dauerte bis zum Vollzug der Abschiebung am 12. November 2020 an.

3        Mit Schriftsatz seines rechtsanwaltlichen Vertreters vom 23. Juli 2020 hatte der Revisionswerber eine an das Verwaltungsgericht Wien adressierte Maßnahmenbeschwerde erhoben. Darin beantragte er, das Verwaltungsgericht möge nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung „die in ihrem genauen Umfang noch zu erhebenden Durchsuchungen, insbesondere durch Besichtigung meines nackten Körpers, für rechtswidrig erklären“.

4        Inhaltlich bezog er sich in diesem Schriftsatz darauf, dass das BFA durch - ohne sein Zutun oder das seines Vertreters - im Internet verbreitete Artikel zur Vermutung gelangt sei, ihm wären von Besuchern gefährliche Gegenstände zugesteckt worden. Dieser Verdacht habe dazu geführt, dass er seiner Erinnerung nach erstmals am 16. Juli 2020 einer Zimmerkontrolle unterworfen worden sei. Zusätzlich habe er seinen entkleideten Körper „besichtigen lassen“ müssen. Derartige Leibesvisitationen seien seinem „Gefühl nach täglich“ wiederholt worden, wodurch seine Intimsphäre „aufs Äußerste“ missachtet worden sei. Ein iSd § 40 Abs. 1 und 2 SPG tauglicher Grund für die Durchsuchung sei nicht vorgelegen. Er sei seit seiner Einreise nach Österreich „noch nie wegen irgendwelcher Gewalttaten aufgefallen“. Es könne auch keine bestimmten Tatsachen geben, aufgrund derer anzunehmen wäre, er würde irgendeinen Angriff ausführen oder einen gefährlichen Gegenstand besitzen. Von einem Referenten des BFA in einem der Beschwerde angeschlossenen Email-Verkehr ausgesprochene Warnungen wären „an den Haaren herbeigezogen“. Die über ihn veröffentlichten Texte, mit denen er „nichts zu tun“ habe, seien im Übrigen harmlos, forderten nicht zu Straftaten auf und ließen nicht den Schluss zu, dass von ihren - lediglich ihr Recht auf Meinungsfreiheit nutzenden - Verfassern irgendeine Gefahr für die öffentliche Ordnung ausgehe. Jedenfalls dürfe das nicht dazu führen, dass der Revisionswerber täglich eine Besichtigung seines nackten Körpers zu dulden habe.

5        Mit Note vom 30. Juli 2020 übermittelte das Verwaltungsgericht Wien diese Beschwerde an das für zuständig erachtete Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

6        In der Folge erteilte das BVwG - unter der Annahme seiner Zuständigkeit - dem Rechtsvertreter des Revisionswerbers einen Auftrag zur Mängelbehebung, insbesondere durch nähere (zeitliche und örtliche) Umschreibung der konkret in Beschwerde gezogenen Maßnahmen und die Stellung eines bestimmten Begehrens, einen konkreten Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären, um insbesondere eine Fristberechnung, die Zuordnung zu einer konkreten belangten Behörde und - nach der Anzahl der sachlich und zeitlich trenn- und unterscheidbaren Verwaltungsakte - die Kostenfolgen bestimmen zu können. Nach fruchtlosem Ablauf der gesetzten Frist werde die Beschwerde, soweit sie mangelhaft ausgeführt worden sei, gemäß § 13 Abs. 3 AVG iVm § 17 VwGVG zurückgewiesen werden.

7        Dieser Auftrag zur Mängelbehebung ist - nach wiederholten Anträgen auf Fristerstreckung - letztlich inhaltlich unbeantwortet geblieben. Allerdings vertrat der Revisionswerber in der Eingabe vom 24. August 2020 die Auffassung, vom BVwG werde das BFA zu Unrecht als belangte Behörde bezeichnet, weil für die „Nacktdurchsuchungen“ die Landespolizeidirektion Wien (LPD Wien) verantwortlich sei. Das BFA habe nur „wenig qualifiziert“ auf ein Sicherheitsrisiko hingewiesen. Wie damit „umgegangen“ werde, entscheide die LPD Wien, die gemäß § 1a Z 1 Anhalteordnung (AnhO) in Bezug auf die Schubhaft Vollzugsbehörde sei, wobei gemäß § 5b Abs. 6 AnhO die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahme dem dienstführenden Aufsichtsorgan zustehe.

8        Mit Schreiben vom 22. September 2020 ersuchte das BVwG das (weiterhin) als belangte Behörde angesehene BFA um eine Stellungnahme. Es möge Auskunft darüber erteilt werden, ob am 16. Juli 2020 „eine entsprechende Zimmerkontrolle/Leibesvisitation“ stattgefunden habe, bejahendenfalls aus welchen Gründen sie durchgeführt worden sei und warum die getroffenen Modalitäten erforderlich gewesen seien.

9        Das BFA übermittelte dem BVwG hierauf mit Note vom 28. September 2020 den schon der Beschwerde angeschlossenen, in Reaktion auf die Internet-Artikel betreffend den Revisionswerber erfolgten Email-Verkehr zwischen dem BFA und der LPD Wien und einen Auszug der Eintragungen aus der Anhaltedatei zu Vorkommnissen in Bezug auf den Revisionswerber, gab aber sonst keine Stellungnahme im Sinne des erwähnten Ersuchens des BVwG ab.

10       Hierauf erging das angefochtene Erkenntnis vom 1. Oktober 2020, mit dem das BVwG „die Beschwerde gegen die Zimmerkontrolle/Leibesvisitation am 16.07.2020“ gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 6 und § 47 BFA-VG als unbegründet abwies (Spruchpunkt A.I.). „Darüber hinaus“, nämlich offenbar betreffend die Bekämpfung der „in ihrem genauen Umfang noch zu erhebenden“ weiteren gleichartigen Durchsuchungen, wies es die Beschwerde gemäß § 13 Abs. 3 AVG iVm § 17 VwGVG als unzulässig zurück (Spruchpunkt A.II.). Es traf, auf § 35 Abs. 1 VwGVG gestützt, diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenaussprüche (Spruchpunkte A.III. und A.IV.). Schließlich erklärte das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B.).

11       In Bezug auf die „Zimmerkontrolle/Leibesvisitation am 16.07.2020“ ging das BVwG davon aus, insoweit sei die in Beschwerde gezogene Maßnahme ausreichend konkretisiert worden und darüber daher inhaltlich abzusprechen. Dazu hielt das BVwG zunächst fest, dass den Aufzeichungen in der Anhaltedatei zu diesem Vorgang nichts zu entnehmen sei. Aus der Aktenlage ergebe sich aber jedenfalls, dass das BFA am 4. Juli 2020 die „relevanten Dienststellen“ der LPD Wien davon informiert habe, dass am 2. Juli 2020 auf einer „öffentlichen Internetseite“ angekündigt worden sei, dem Revisionswerber ein Mobiltelefon zukommen zu lassen, es also rechtswidrig „in das Polizeianhaltezentrum einzuschmuggeln“. Vor diesem Hintergrund sei eine Zimmerkontrolle nach dem Empfang externer Besucher - auch verbunden mit einer Leibesvisitation und dem Erfordernis der Entkleidung - „grundsätzlich nachvollziehbar“.

12       Auf Basis dieser in der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegten Annahmen - ausdrückliche Feststellungen wurden dazu nicht getroffen, sondern insoweit offenbar dem Vorbringen in der Maßnahmenbeschwerde gefolgt - ging das BVwG auch von seiner Zuständigkeit und weiters davon aus, dass das BFA als belangte Behörde anzusehen sei. Gemäß § 6 BFA-VG seien die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (fallbezogen: der LPD Wien) für das BFA eingeschritten. Das gelte auch für die Anwendung unmittelbarer Zwangsgewalt nach § 47 BFA-VG, die hier im Rahmen der vom BFA angeordneten Schubhaft ausgeübt worden sei, und zwar „im Übrigen auch aufgrund einer konkreten Anlassmeldung seitens der (für die Verfahrensführung) zuständigen Regionaldirektion“.Demgemäß sei das BFA im vorliegenden Verfahren die belangte Behörde, „wenngleich ‚nach außen‘ eine Maßnahme durch der LPD Wien zuzurechnende Personen erfolgte“, und das BVwG sei „somit“ gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde zuständig.

13       Die im Übrigen vorgenommene teilweise Zurückweisung der Beschwerde begründete das BVwG damit, dass der Revisionswerber ungeachtet des ihm erteilten Mängelbehebungsauftrags keine zeitlich und örtlich konkretisierten weiters bekämpften Maßnahmen ausreichend genau bezeichnet habe.

14       Zum Absehen von der in der Beschwerde beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung führte das BVwG aus, dass der Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA-VG aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt sei.

15       Die Kostenentscheidungen stützte das BVwG auf § 35 Abs. 1 VwGVG, wobei die belangte Behörde als vollständig obsiegende Partei Anspruch auf Aufwandersatz habe und dem Revisionswerber als unterlegene Partei hingegen kein Kostenersatz gebühre.

16       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens - weder das BFA noch die LPD Wien erstatteten eine Revisionsbeantwortung - erwogen hat:

17       In Bezug auf den mit der Revision auch bekämpften Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses fehlt - entgegen dem in § 28 Abs. 3 VwGG normierten Erfordernis - eine gesonderte Darstellung der Gründe, weshalb die Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erachtet wird. Insoweit war sie schon deshalb gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat als unzulässig zurückzuweisen.

18       Verbleibender Gegenstand des Revisionsverfahrens sind daher nur mehr die mit Spruchpunkt A.I. vorgenommene Abweisung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die „Zimmerkontrolle/Leibesvisitation am 16.07.2020“ richtete, und die damit zusammenhängenden Kostenentscheidungen in den Spruchpunkten A.III. und A.IV. Insoweit erweist sich die Revision aber - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG - unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt.

19       Nicht berechtigt ist allerdings der in der Revision weiter aufrecht erhaltene Einwand der Unzuständigkeit des BVwG. Dazu wird ins Treffen geführt, das BFA habe keine Weisung zur Durchführung der gegenständlich in Beschwerde gezogenen Maßnahmen erteilt, sondern habe nur „geeignete Maßnahmen“ geprüft wissen wollen. Durchgeführt hätten die Maßnahmen dann - auf eigene Veranlassung - Mitarbeiter des Polizeianhaltezentrums Wien, woraus folge, dass nicht das BVwG, sondern das Verwaltungsgericht Wien zur Behandlung der Maßnahmenbeschwerde zuständig gewesen wäre (Hinweis auf VwGH 29.4.2010, 2008/21/0545).

20       Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof in dem vom Revisionswerber angeführten Erkenntnis unter Punkt 4. der Entscheidungsgründe zur Schubhaftbeschwerde nach den §§ 82 f FPG (in der Stammfassung) näher dargelegt, dass die Bekämpfung von Umständen des Schubhaftvollzugs bzw. von Vorkommnissen während des Schubhaftvollzugs nicht mit Schubhaftbeschwerde, sondern mit einer „allgemeinen Maßnahmenbeschwerde“ zu erfolgen habe. Daran ist auch für die aktuell geltende Rechtslage festzuhalten. Die behauptete Rechtswidrigkeit von Modalitäten der Schubhaft wurde daher vom Revisionswerber zu Recht mit einer Beschwerde gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt geltend gemacht.

21       Die Zuständigkeit zur Entscheidung über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß (u.a.) dem 8. Hauptstück des FPG - dazu gehört auch die Schubhaft - kommt gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG dem BVwG zu. Es gibt aber keinen Grund, diese Regelung nur auf Schubhaftbeschwerden zu beziehen und nicht auch auf gegen die Modalitäten ihrer Vollziehung gerichtete Beschwerden (vgl. in diesem Sinn mit näherer Begründung zu den Modalitäten der Abschiebung gemäß § 46 FPG das Erkenntnis VwGH 17.11.2016, Ro 2016/21/0016, Rn. 5, und darauf Bezug nehmend zu den Modalitäten der Anhaltung nach einer Festnahme gemäß § 40 BFA-VG die Erkenntnisse VwGH 18.1.2017, Ra 2016/18/0335, Rn. 9/10, und VwGH 25.4.2017, Ro 2016/01/0005, Rn. 10).

Insoweit ist aus dem in der Revision ins Treffen geführten Erkenntnis VwGH 29.4.2010, 2008/21/0545, in dem es in erster Linie um die Frage der örtlichen Zuständigkeit der damals für Maßnahmenbeschwerden zuständigen unabhängigen Verwaltungssenate ging, für die nunmehr geltende Rechtslage nichts zu gewinnen.

22       Richtig ist, dass die Anordnung der Schubhaft gemäß § 76 FPG durch das BFA vorgenommen wird. Die Regelungen über Schubhaft sind nämlich - wie schon erwähnt - Teil des 8. Hauptstücks des FPG, dessen Vollziehung gemäß § 3 Abs. 1 Z 3 BFA-Einrichtungsgesetz dem BFA obliegt. Gemäß § 78 Abs. 1 FPG ist die Schubhaft in den Hafträumen der LPD zu vollziehen. Damit korrespondiert § 5 BFA-VG, wonach der Vollzug der Anhaltung eines Fremden in Schubhaft der LPD obliegt, in deren Sprengel sich der Fremde aufhält. Dem entsprechend ist nach der auch für den Schubhaftvollzug maßgeblichen AnhO gemäß deren § 1a Z 1 Vollzugsbehörde diejenige Sicherheitsbehörde, in deren Haftraum die Haft vollzogen wird, fallbezogen also die LPD Wien.

23       Es ist demnach zwischen der Schaffung der Rechtsgrundlage einer freiheitsentziehenden Maßnahme und der Veranlassung der Anhaltung einerseits und dem Vollzug einer solchen Maßnahme im engeren Sinn andererseits zu unterscheiden. Die alleinige Zuständigkeit für die ordnungsgemäße Herstellung und Überwachung der Haftbedingungen kommt regelmäßig - soweit insbesondere nicht ausnahmsweise im Sinne des § 5 Abs. 4 AnhO spezifische Anordnungen der Schubhaftbehörde (zur Anhaltung in Einzelhaft wegen Verabredungsgefahr) ergehen - der Vollzugsbehörde zu. Diese Behörde ist im Verfahren über eine Maßnahmenbeschwerde, die sich gegen die Modalitäten des Schubhaftvollzugs richtet, belangte Behörde (vgl. auch dazu das in der Revision relevierte Erkenntnis VwGH 29.4.2010, 2008/21/0545).

In diesem Sinn wurde im schon erwähnten Erkenntnis VwGH 17.11.2016, Ro 2016/21/0016, unter Rn. 6 verallgemeinerungsfähig auch wiederholt, die Modalitäten der Durchführung könnten einer anderen Behörde zuzurechnen sein als die Maßnahme als solche, sodass im jeweiligen Beschwerdeverfahren vor dem BVwG jeweils unterschiedliche belangte Behörden zu bezeichnen und beizuziehen wären. Das war in diesem Fall bezüglich der in Beschwerde gezogenen Modalitäten der Abschiebung nicht das BFA, sondern die örtlich zuständige LPD, der gemäß § 5 BFA-VG der Vollzug der Abschiebung eines Fremden obliegt (vgl. Rn. 11 dieses Erkenntnisses).

24       Nach dem Gesagten ist das BVwG daher - entgegen der Meinung des Revisionswerbers - zu Recht von seiner Zuständigkeit für die Entscheidung über die gegenständliche Maßnahmenbeschwerde ausgegangen, wobei dem Verfahren allerdings die LPD Wien als belangte Behörde hätte beigezogen werden müssen.

25       Daran ändert nichts, dass der Referent des BFA die Organe der LPD Wien darüber informierte, dass sich aus im Internet zugänglichen Artikeln die Absicht ergäbe, dem Revisionswerber ein Mobiltelefon zukommen zu lassen, und dass - wie es in dieser Email wörtlich heißt - nach „h.a. Beurteilung ab sofort erhöhte Aufmerksamkeit in Bezug auf seine Kontakte innerhalb des PAZ-HG und in Bezug auf Besuche von Extern“ bestehe, wurde doch darauf von Seiten der LPD Wien damit reagiert, dass bezüglich des Revisionswerbers deshalb „angedachte präventive Maßnahmen“ unter anderem „Zellenkontrollen, welche durch den OpV angeordnet werden“, seien. Das steht im Einklang mit § 5b Abs. 6 AnhO, wonach die Anordnung besonderer Sicherheitsmaßnahmen - dazu zählen gemäß § 5b Abs. 2 Z 1 AnhO die häufigere Durchsuchung des Häftlings, seiner Sachen und seiner Zelle - dem dienstführenden Aufsichtsorgan zusteht. Die in Beschwerde gezogene und noch verfahrensgegenständliche Maßnahme ist daher auf Basis der bisherigen Aktenlage ungeachtet der - wie das BVwG formulierte - „konkreten Anlassmeldung“ seitens des BFA der LPD Wien zuzurechnen. Insoweit ist der Auffassung des Revisionswerbers zu folgen.

26       Schon wegen der auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung beruhenden unterlassenen Beiziehung der LPD Wien als belangte Behörde liegt ein entscheidungswesentlicher Verfahrensfehler vor. Im fortzusetzenden Verfahren wird das BVwG daher die LPD Wien aufzufordern haben, sich zum Beschwerdevorbringen betreffend die bekämpfte Durchsuchung am 16. Juli 2020 zu äußern und nach Durchführung der in der Beschwerde beantragten und voraussichtlich erforderlichen Verhandlung nähere Feststellungen zu dieser Maßnahme zu treffen und die Prüfung von deren Zulässigkeit und Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 5b AnhO vorzunehmen haben. Die vom BVwG für maßgeblich angesehenen Bestimmungen, nämlich § 6 iVm § 47 BFA-VG, kommen - worauf in diesem Zusammenhang noch hinzuweisen ist - hingegen nicht als Rechtsgrundlage für die in Rede stehende Maßnahme in Betracht.

27       Demnach war das angefochtene Erkenntnis in Bezug auf die Spruchpunkte A.I., A.III. und A.IV. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

28       Von der Durchführung der in der Revision beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1, 4 und 5 VwGG abgesehen werden.

29       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 50 VwGG, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 2. September 2021

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete sachliche Zuständigkeit Verfahrensbestimmungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210467.L00

Im RIS seit

29.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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