Entscheidungsdatum
19.11.2020Index
41/01 SicherheitsrechtNorm
StGG Art10aText
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat durch den Richter Dr. Kundegraber über die Beschwerde der A B, geboren am ****, vertreten durch Mag. C D, Rechtsanwältin in G, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt,
z u R e c h t e r k a n n t:
A. Das bei der Amtshandlung am 20.05.2020 in E, S, von Seiten des Organes des öffentlichen Sicherheitsdienstes ausgesprochene Verbot gegenüber der Beschwerdeführerin mit ihrer Rechtsanwältin ein Telefongespräch ohne Lautsprecher durchzuführen, war
rechtswidrig.
Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
Rechtsgrundlagen:
Art. 130 Abs 1 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
§§ 7, 9, 28 Abs 6, 35 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG)
§§ 18 und 110 Abs 3 Z 2 Strafprozessordnung (StPO)
§§ 16 Abs 2 Z 4, 88 Sicherheitspolizeigesetz (SPG)
Art. 48 Abs 2 Europäische Grundrechts Charta (ERC)
Art. 10a Staatsgrundgesetz über die Allgemeinen Rechte der Staatsbürger (StGG)
Art. 8 Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK)
B. Die Bezirkshauptmannschaft Leibnitz hat gemäß § 35 VwGVG iVm § 1 VwG-Aufwandersatzverordnung (VwG-AufwErsV) die Kosten des Verfahrens in der Höhe von € 1.659,60 zu bezahlen.
C. Gegen diese Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) eine ordentliche Revision unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. 1. In der Beschwerde vom 25.06.2020 wird im Wesentlichen vorgebracht, dass im Haus der Beschwerdeführerin eine Sicherstellung von 6 Gramm Marihuana und 3 kleine CBD-Cannabispflanzen am 20.05.2020 durch Organe der Polizeiinspektion L vorgenommen worden sei. Als die Beschwerdeführerin den Organen mitgeteilt habe, sie wolle ihre Rechtsanwältin anrufen und zu dem Zweck die Tür angelehnt habe, um ungestört mit ihrer Verteidigerin sprechen zu können, sei die Tür durch Beamte aufgestoßen worden. Daraufhin sei die Beschwerdeführerin davongelaufen und in weiterer Folge von einem Beamten angehalten worden. Da sie nur mit einem Bademantel bekleidet gewesen sei, sei ihr dieser vom Körper gerissen worden. Die Beschwerdeführerin wäre auch beim Handgelenk verletzt worden, da sie nach der Anhaltung am Handgelenk gefasst und zu der in der Nähe befindlichen Couch gedrängt worden sei.
Durch die Amtshandlung sei die Beschwerdeführerin in ihrem Hausrecht (Art. 9 StGG, Art. 8 Abs 1 EMRK), dem Recht keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden (Art. 3 EMRK) und dem Recht auf respektvollen Umgang (§ 9 RLV) verletzt worden.
Es wurde der Antrag gestellt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und die angefochtenen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären sowie dem Bund als Rechtsträger aufzutragen, die Kosten des Verfahrens zu ersetzen.
2. Die belangte Behörde legte am 24.07.2020 eine Gegenschrift vor, in der sie beantragte die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass eine Sicherstellung von mehreren Marihuanapflanzen und Marihuana gemäß § 110 Abs 1 Z 1 iVm Abs 3 Z 3 StPO stattgefunden habe. Die Beschwerdeführerin sei auf ihre Mitwirkungspflicht nach § 111 Abs 1 StPO bei Herausgabe der Pflanzen hingewiesen worden. Die vier einschreitenden Beamten seien in Uniform bei der Beschwerdeführerin gewesen, sodass sie diese augenscheinlich als Polizisten erkannt habe. Zudem sei sie durch einen Beamten aufgeklärt worden, dass bei mangelnder Mitwirkung wegen Gefahr im Verzug unter Verständigung des Journaldienstes der Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung und Sicherstellung erfolgen würde. Die Beschwerdeführerin habe dem entgegnet, dass sie mit ihrer Rechtsanwältin fernmündlich Kontakt aufnehmen wolle und sei sodann im Begriff gewesen, im Inneren des Hauses zu verschwinden. Im Hinblick, dass hiebei strafrechtliche Delikte nach dem Suchtmittelgesetz möglicherweise verwirklicht worden seien und daher von der Beschwerdeführerin ein gefährlicher Angriff gemäß § 16 Abs 3 SPG ausgegangen sei, sei das Schließen der Eingangstüre durch einen Beamten unterbunden worden. Der Beschwerdeführerin wurde erklärt, dass eine Kontaktaufnahme mit der Rechtsanwältin bei geöffneter Wohnungstür möglich sei. Daraufhin sei die Beschwerdeführerin weggelaufen und konnte durch einen Beamten angehalten werden. Hiebei sei der Bademantel der Beschwerdeführerin leicht verrutscht und der freigelegte Teil des Oberkörpers sofort wieder mit dem Bademantel bedeckt worden. Um sich zu beruhigen, sei die Beschwerdeführerin in weiterer Folge am Handgelenk gefasst und zu der in der Nähe befindlichen Couch gebracht worden. Auf der Couch habe die Beschwerdeführerin mit ihrem Mobiltelefon über Lautsprecher ihre Rechtsanwältin kontaktieren können. Eine Durchsuchung der Wohnung habe niemals im Sinne des § 119 bis § 122 StPO stattgefunden.
Als Beilage wurde der Aktenvermerk über die Amtshandlung, der unmittelbar nach Abschluss der Amtshandlung verfasst wurde, sowie eine Lichtbildbeilage über die Sicherstellung, ein Abschlussbericht, Beschuldigtenvernehmung und Sicherstellungsprotokoll sowie die Stellungnahme von AI F H vorgelegt.
3. Die Beschwerdeführerin legte aufgrund des gerichtlichen Auftrages den Ambulanzbericht des LKH Südsteiermark vom 20.05.2020, ein Lichtbild von der im Eingangsbereich beschädigten Jalousie und ein Lichtbild von der Hand der Beschwerdeführerin nach dem Vorfall mit Schreiben vom 14.08.2020 vor.
II. Sachverhalt:
1. Nach Durchführung einer Verhandlung an Ort und Stelle, wobei die Beschwerdeführerin und die Zeugen BI F H, BI I J, Insp. K L und GI M N einvernommen wurden, sowie in Ansehung des Akteninhalts war von nachfolgendem entscheidungsrelevanten Sachverhalt auszugehen:
Die Beschwerdeführerin bewohnt ein Einfamilienhaus E, S. Am 20.05.2020 um ca. 10.00 Uhr war sie alleine Zuhause. Aufgrund des Klopfens bei der Eingangstür wurde diese geöffnet, wobei zwei Beamte – BI F H und Insp. K L – sich der Beschwerdeführerin als Polizisten vorstellten. Die Polizisten waren in Uniform. An der Türschwelle wurde der Beschwerdeführerin von BI F H ein Video gezeigt, auf dem man Hanfpflanzen in Blumentöpfen auf der Terrasse des Hauses sowie 5 Gläser mit offensichtlichem Marihuana am Wohnzimmertisch sehen konnte. Die Beschwerdeführerin wurde aufgeklärt, dass es ich bei Marihuana um eine verbotene Substanz handle und forderte BI F H die Beschwerdeführerin auf, diese Pflanzen bzw. Suchtmittel freiwillig herauszugeben. Die Beschwerdeführerin antwortet hierauf, dass „ihr den Scheiss bzw. Dreck eh haben könnts“, wobei sie jedoch angab, dass sie zuvor mit ihrer Anwältin telefonieren wolle. Zu dem Zweck nahm sie das in der Nähe der Türe abgelegte Handy und war im Begriffe die Türe zu schließen. Dies war jedoch nicht möglich, da BI F H den Fuß in der Türschwelle hatte und sodann die Türe aufstieß. BI F H wollte das Handy an sich nehmen, worauf die Beschwerdeführerin in den Innenraum des Hauses verschwand. Sie wurde daraufhin von Insp. K L und BI F H verfolgt, wobei die Beschwerdeführerin von BI F H aufgefordert wurde, stehen zu bleiben.
Nachdem die Beschwerdeführerin das Wohnzimmer, die Küche, den Gästeraum im Parterre des Hauses durchlaufen hatte, kam sie wiederrum zum Eingangsraum, wo sie von GI M N im Schulterbereich mit der Hand erfasst wurde. Durch das Erfassen wurde der Bademantel, mit dem die Beschwerdeführerin bekleidet war, zum Teil vom Oberkörper gezogen, worauf ein Teil der Brust der Beschwerdeführerin frei wurde. Die Beschwerdeführerin wurde daraufhin sofort von GI M N am Handgelenk genommen und der Bademantel wieder dahingehend gerichtet, dass alle freien Körperteile bedeckt waren. Daraufhin wurde die Beschwerdeführerin von GI M N und BI F H zu der in der Nähe stehenden Couch im Wohnzimmer gebracht. Bei dem Weg hielt die Beschwerdeführerin ihr Handy in der Hand, wobei sie dem Festhaltegriff an den Handgelenken entkommen versuchte. Sie war der Auffassung, dass ihr das Handy weggenommen werde. Bei der Couch wurde die Beschwerdeführerin hingesetzt und von BI F H aufgefordert, dass sie sich beruhigen möge. BI F H sagte der Beschwerdeführerin, dass das Telefon wegen Beweiszwecken sichergestellt werden könne und sie darauf keine Löschungen vornehmen dürfe. Bei der Couch wurde die Fixierung an den Handgelenken gelöst und der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass sie mit ihrer Rechtsanwältin telefonieren könne, jedoch müsse sie den Lautsprecher einschalten.
Nachdem das Handy auf den Tisch gelegt wurde, hat die Beschwerdeführerin im Beisein der Polizisten mit ihrer Anwältin gesprochen, die ihr riet, die Gegenstände herauszugeben. Die anwesenden Polizisten hörten das Gespräch mit.
Währenddessen betrat ein Polizist die Küche und ging in den ersten Stock des Hauses, um eine Eigensicherung – möglicherweise Vorhandensein anderer Personen – vorzunehmen. Behältnisse wurden hiebei nicht durchsucht.
Das Telefon wurde nicht sichergestellt, da es sich offensichtlich nur um eine geringe Menge Suchtmittel gehandelt hat und um die Situation nicht eskalieren zu lassen. In weiterer Folge wurden im Rahmen der Amtshandlung drei kleine Sträucher mit Blüten und vier Pflänzchen in Aufzucht sowie ca. 6 Gramm Marihuana sichergestellt.
2. Die getroffenen Feststellungen gründen sich im Wesentlichen auf dem Inhalt der Einvernahme der Zeugen BI F H, GI M N, BI I J, Insp. K L und der Beschwerdeführerin. Weiters konnte sich das Gericht aufgrund der Besichtigung der Örtlichkeit einen detaillierten Eindruck über den geschilderten Ablauf der Amtshandlung machen. Die Aussagen der Beschwerdeführerin, als auch der einschreitenden Polizisten decken sich grosso modo. Die durchaus glaubwürdigen Verletzungen der Beschwerdeführerin am Handgelenk sind primär darauf zurückzuführen, dass sie bei der Fixierung ihrer Handgelenke gezerrt hat, da sie der Auffassung war, ihr würde das Handy weggenommen. Sie gab selbst an das Handy, welches sie in der Hand hielt, in der Bauchbeuge verstecken zu wollen. Eine Hausdurchsuchung – wie in der Beschwerde behauptet – hat nicht stattgefunden und war auch nicht dem Inhalt der Aussage der Beschwerdeführerin zu entnehmen. Soweit die Beschwerdeführerin vermeint, dass ein Polizist einen Behälter, der im Wohnzimmer stand und indem Paprika und Salate gezüchtet wurden, geöffnet habe, wird darauf hingewiesen, dass der Behälter im Zuge des Augenscheines wahrgenommen wurde und ein Glasbehälter war. Zudem gab kein einschreitender Beamter an den Behälter geöffnet zu haben. Die Beschwerdeführerin konnte jedenfalls diese Behauptung nicht bekräftigen, da sie bei der Verhandlung den Polizisten nicht wiedererkannte. Feststeht, dass der Beschwerdeführerin, nachdem ihr der Bademantel bei der Anhaltung zum Teil heruntergerissen wurde, sofort wieder die Möglichkeit gegeben wurde, diesen zurecht zu rücken.
III. Rechtsbeurteilung:
1. Gemäß Art. 130 Abs 1 Z 2 B-VG erkennen Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit.
Die Beschwerde vom 25.06.2020 wurde am 26.06.2020 (Postaufgabestempel) sowie am 26.06.2020 mittels E-Mail beim Gericht eingebracht, sodass die 6-wöchige Beschwerdefrist gemäß § 7 Abs 4 VwGVG gewahrt wurde. Die Amtshandlung fand im Sprengel des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark statt, sodass auch die örtliche Zuständigkeit gegeben ist.
2. Der Gesetzgeber hat die Verwaltungsgerichte auch zur Beurteilung behördlicher Übergriffe – in concreto der Polizei – eingerichtet um Eingriffe in subjektive Rechte Betroffener bzw. Rechte von juristischen Personen einer gerichtlichen Überprüfung zuzuleiten. Hier ist entscheidend, ob eine Zuständigkeit nach § 106 Abs 1 StPO besteht oder eine doppelfunktionale Tätigkeit der einschreitenden Sicherheitsorgane vorliegt. Entscheidend für die Abgrenzung der Maßnahmenbeschwerde nach Art. 130 Abs 1 Z 2 B-VG vom Rechtsschutz nach § 106 Abs 1 StPO, ist daher nicht, ob eine gerichtliche Ermächtigung oder staatsanwaltschaftliche Anordnung vorlag und die verletzten Maßnahmen von dieser gedeckt waren, sondern die Rechtsgrundlage, aufgrund derer die Sicherheitsbehörden bzw. deren Exekutivorgane eingeschritten sind und damit strafprozessuale oder sicherheits- bzw. verwaltungspolizeiliche Befugnisse ausübten (VwGH 19.01.2016, Ra 2015/01/0133). Wie das Verfahren ergeben hat und in der vorgelegten Gegenschrift ausgeführt wird, ist die Kultivierung von Marihuanapflanzen als Suchtmittel (gemäß § 27 Abs 1 Suchtmittelgesetz, SMG) einzustufen und daher ein nach § 16 Abs 2 Z 4 SPG gefährlicher Angriff, „denn es im Sinne der Gefahrenabwehr nach dem Sicherheitspolizeigesetz zu beenden gilt“. Somit war in dem Anwendungsbereich des § 106 StPO die Sicherstellung nach § 110 Abs 3 Z 2 StPO („die Kriminalpolizei ist berechtigt, Gegenstände [§ 109 Z 1 lit a] von sich aus sicherzustellen, wenn ihr Besitz allgemein verboten ist [§ 445a Abs 1])“ als auch der § 88 SPG ist für die Beurteilung – ob bei der Gefahrenabwehr ein exzessives Vorgehen vorlag – anzuwenden.
„Ein gefährlicher Angriff ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Verlangen eines Verletzten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand nach dem Suchtmittelgesetz (SMG), BGBl. I Nr. 112/1997, ausgenommen der Erwerb oder Besitz von Suchtmitteln zum ausschließlich persönlichen Gebrauch (§§ 27 Abs. 2, 30 Abs. 2 SMG).“
Im Fokus der Betrachtungen des Verwaltungsgerichtes ist daher die Anwendung von Zwang gegenüber der Beschwerdeführerin (gewaltsames Eindringen in das Haus und Festhalten der Beschwerdeführerin) sowie das Verbot der Kontaktaufnahme der Beschwerdeführerin mit der Rechtsanwältin mittels Handy (ohne Lautsprecher).
3. Zur Frage des gewaltsamen Eindringens in das Haus der Beschwerdeführerin:
Die einschreitenden Exekutivbeamten waren durch ein von einem strafverfolgten Marihuanadealers sichergestellten Video in Kenntnis, dass auf der Terrasse des Hauses der Beschwerdeführerin offensichtlich Hanf kultiviert wurde. Es waren auf dem Video mehrere Marihuanapflanzen in Töpfen zu erkennen und im Inneren des Hauses auf einem Couchtisch offensichtlich Marihuana, welches in mehreren Gläsern aufbewahrt wurde (siehe vorgelegte Lichtbilder). Nachdem der einschreitende Polizeibeamte mit der Beschwerdeführerin auf der Türschwelle Kontakt aufgenommen und ihr das Video gezeigt hat, wollte die Beschwerdeführerin ungestört mit ihrer Rechtsanwältin telefonieren und hat zu dem Zweck versucht, die Eingangstüre zuzudrücken. Dies wurde vom Exekutivorgan durch das Stellen seines Fußes in der Türschwelle unterbunden. Danach wurde die Türe vom Exekutivorgan aufgestoßen.
Es konnte begründet vermutet werden, dass bei der Beschwerdeführerin Suchtmittel gelagert waren. Der Exekutivbeamte konnte davon ausgehen, dass ein gefährlicher Angriff nach § 16 Abs 2 Z 4 SPG vorlag und war das gewaltsame Eindringen in das Haus der Beschwerdeführerin notwendig, um zu verhindern, dass etwaige Beweismittel (Suchtmittel) vernichtet werden. Das Stellen des Fußes in die Türschwelle, als auch das danach erfolgte Aufdrücken der Türe mittels Körpergewalt war sicherlich erforderlich und verhältnismäßig. Wäre dies nicht geschehen, so hätte eine verschlossene Türe unter ungleich größeren Aufwand bzw. Gewaltanwendung geöffnet werden müssen. Das gewaltsame Eindringen in das Haus der Beschwerdeführerin war somit rechtmäßig.
4. Zur Frage des Festhaltens der Beschwerdeführerin mittels Fixierung am Handgelenk:
Die Beschwerdeführerin konnte vom Einschreiten der Polizei ausgehen, da sie uniformierten Polizisten gegenüberstand und AI F H sich am Beginn der Amtshandlung als Polizist vorstellte.
Nach gewaltsamer Öffnung der Eingangstüre flüchtete die Beschwerdeführerin in das dem Eingangsbereich zunächstliegende Wohnzimmer, sodann in die Küche in das Gästezimmer und kam letztendlich wieder in den Eingangsbereich, wo sie von GI M N mit der Hand im Schulterbereich erfasst wurde. Da die Beschwerdeführerin mit dem Bademantel bekleidet war, wurde dieser zum Teil bei der Anhaltung heruntergerissen, sodass ein Teil des Oberkörpers entblößt war. Die Beschwerdeführerin konnte sofort den Bademantel gleichrichten, um die Entblößung zu verdecken. Die durchgeführte Anhaltung erfolgte mittels Körperkraft und war sicherlich das gelindeste Mittel um die flüchtige Beschwerdeführerin zu stoppen. Zudem war primär der Festhaltegriff von GI M N auf die Anhaltung und nicht auf das Entblößen des Oberkörpers gerichtet.
In weiterer Folge wurde die Beschwerdeführerin von BI F H und GI M N an den Handgelenken erfasst und zu der ein paar Meter entfernten Couch geführt, wo sie sich niedersetzen konnte. Die dadurch verursachten Hämatome der Beschwerdeführerin (siehe vorgelegtes Lichtbild und orthopädischer-traumatologischer Ambulanzbericht des LKH Südsteiermark, Standort W, vom 20.05.2020) sind davon herzuleiten, dass die Beschwerdeführerin bei ihrer Verbringung zur Couch sich dem Haltegriff losreißen wollte.
Wie bereits oben ausgeführt, war es notwendig, die flüchtige Beschwerdeführerin anzuhalten und ist es durchaus nachvollziehbar, dass sie nach Anhaltung zur der ein paar Meter entfernten Couch gebracht wurde, wo sie sich hinsetzen konnte. Dass die beiden Polizisten hiebei die Beschwerdeführerin am Handgelenk hielten, war notwendig, da sie eine nochmalige Flucht der Beschwerdeführerin verhindern wollten. Dass die Beschwerdeführerin davon ausging, dass man ihr Handy wegnehmen wollte, ist von keiner Relevanz, da für die einschreitenden Polizisten primär die Verhinderung einer weiteren Flucht im Vordergrund stand. Zudem diente das Hinführen der Beschwerdeführerin zur Couch zur Beruhigung der Situation, umso mehr die Beschwerdeführerin sehr aufgebracht war. In Anbetracht dieser Aspekte war sowohl die Anhaltung als auch das Verbringen der Beschwerdeführerin zur Couch unter Anwendung von Körperkraft notwendig und verhältnismäßig.
5. Zur Frage des Unterbindens eines vertraulichen Telefongespräches:
Der Beschwerdeführerin wurde als sie auf der Couch saß ein Telefongespräch mit ihrer Rechtsanwältin erlaubt, jedoch nur unter der Bedingung, dass sie den Lautsprecher einschalte. BI F H drohte der Beschwerdeführerin auch an, dass er das Telefon als Beweismittel sicherstellen werde und griff auch nach dem Telefon, als die Beschwerdeführerin das Handy bediente.
Hiebei wird festgestellt, dass es sich bei der Amtshandlung um eine Sicherstellung von Suchtgift (§ 110 Abs 3 Z 2 StPO) gehandelt hat und damit auch zur Abwehr eines gefährlichen Angriffes (§ 16 Abs 2 Z 4 SPG). Eine Festnahme der Beschwerdeführerin wurde weder ausgesprochen noch durchgeführt. Die Anwendung der körperlichen Gewalt der Polizisten war ausschließlich darauf gerichtet, die Beschwerdeführerin während der Amtshandlung im Auge zu behalten, damit sie kein Beweismittel (Suchtgift) vernichten hätte können.
Gemäß Art. 10a des Staatsgrundgesetzes für Allgemeine Rechte der Staatsbürger darf das Fernmeldegeheimnis nicht verletzt werden. Eine Durchbrechung des Fernmeldegeheimnisses ist nur aufgrund eines richterlichen Befehls „in Gemäßheit bestehender Gesetze zulässig“.
Art. 8 EMRK:
„(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“
Der Art. 8 EMRK schützt jedenfalls den Fernmeldeverkehr, wobei er nicht nur die verbreiteten Inhalte, sondern auch die Vermittlungsdaten (z.B. Telefonnummer) schützt.
Der Art. 48 Abs 2 GRC gewährleistet jedem Angeklagten die Achtung der Verteidigungsrechte.
Es ist zwar im Art. 48 Abs 2 GRC nicht konkret geregelt, ab wann die Verteidigungsrechte zu gewährleisten sind, jedoch wird es wie bei der Unschuldsvermutung (Art. 48 Abs 1 GRC) nicht auf den rechtstechnischen Begriff der „Anklage“ ankommen. Ein Verteidigungsbedürfnis wird bereits dann anzuerkennen sein, wenn sich eine Person aufgrund einer bestimmten Beschuldigung konkreten Ermittlungsmaßnahmen ausgesetzt sieht. Die Verteidigungsrechte können daher je nach Stand des Verfahrens unter besonderen Umständen des zu beurteilenden Falles differieren (Neyer/Borowsky Art. 48 RN 25, dritte Auflage Nonnos Verlag).
Den Beamten war durch Äußerung der Beschwerdeführerin bekannt, dass diese mit ihrer Rechtsanwältin mittels Handy kommunizieren wollte. Hiebei geht das Gericht davon aus, dass bereits ein „Verteidigungsbedürfnis“ von Seiten der Beschwerdeführerin bestand, da die Sicherstellung von Suchtmittel in ihrem Haus unmittelbar bevorstand. Das Unterbinden eines vertraulichen Gespräches mit der Rechtsanwältin hat jedenfalls in das Grundrecht der Verteidigung als auch in das Grundrecht auf Schutz des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10a StGG und Art. 8 EMRK) massiv eingegriffen. Es war in der Situation keinesfalls geboten, ein vertrauliches Gespräch zwischen der Beschwerdeführerin und ihrer Rechtsanwältin zu unterbinden, da dies keinesfalls zur Abwehr eines gefährlichen Angriffes (§ 16 SPG) notwendig war und auch die Sicherstellung der Suchtmittel nicht gefährden hätte können. Soweit die belangte Behörde vorbringt, dass die Beschwerdeführerin nach § 111 Abs 1 StPO verpflichtet war, Gegenstände, die sichergestellt werden sollten, der Kriminalpolizei herauszugeben, geht dieser Verweis ins Leere. Vielmehr ist durch das Gespräch mit Rechtsanwältin, die Beschwerdeführerin in ihrem Beschluss bekräftigt worden, die zu sicherstellenden Gegenstände herauszugeben.
Das kein Grund vorhanden war, ein Telefongespräch ohne Lautsprecherfunktion mit der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin nicht zuzulassen, war der Beschwerde stattzugeben.
IV. Als Kosten sind gemäß § 35 VwGVG in Verbindung mit § 1 VwGVG-AufwRrsV der Beschwerdeführerin einen Betrag von € 1.659,60 zuzusprechen. Der Aufwandersatz setzt sich zusammen aus dem Schriftsatzaufwand in der Höhe von und € 737,60 und dem Verhandlungsaufwand von € 922,00.
V. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
vertrauliches Gespräch, Telefongespräch, Verteidigungsrecht, Fernmeldegeheimnis, Abwehr eines gefährlichen Angriffes, Sicherstellung von SuchtmittelnEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGST:2020:LVwG.20.3.1457.2020Zuletzt aktualisiert am
28.09.2021