TE Vwgh Beschluss 2021/3/15 Ra 2021/01/0051

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Veröffentlicht am 15.03.2021
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Index

E6J
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
StbG 1985 §28 Abs1 Z1
StbG 1985 §28 Abs2
VwGG §34 Abs1
62017CJ0221 Tjebbes VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der Mag. B L in R, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 17. August 2020, Zl. LVwG 70.8-2770/2019-15, betreffend Beibehaltung der Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Steiermärkische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark (Verwaltungsgericht) wurde in der Sache der Antrag der Revisionswerberin auf Beibehaltung österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall des Erwerbs der US-amerikanischen Staatsangehörigkeit gemäß § 28 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) abgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen.

2        Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, die Revisionswerberin lebe seit 1996 zusammen mit ihrem österreichischen Ehemann und ihrem in den USA geborenen gemeinsamen Sohn, der amerikanischer und österreichischer Staatsbürger sei, in den USA. Die Revisionswerberin und ihr Ehemann seien im Besitz der „Greencard“; als „Greencardholderin“ sei die Revisionswerberin wie eine US-Staatsbürgerin berechtigt, sich ohne Visum im Schengenraum frei zu bewegen und sei in ihrer Reisefreiheit grundsätzlich nicht beschränkt. Durch ihre Steuerleistungen in den USA habe die Revisionswerberin Anspruch auf eine Pension und Krankenvorsorge. Steuerrechtlich sei die Revisionswerberin aufgrund ihres langen Aufenthaltsstatus in den USA als „resident alien“ amerikanischen Staatsangehörigen mit wenigen Ausnahmen gleichgestellt. Die 75-jährige Mutter und der 78-jährige Vater der Revisionswerberin litten an keinen Krankheiten, die unmittelbar eine Pflege oder langen Krankenhausaufenthalt befürchten ließen. Konkrete Absichten der Revisionswerberin, sich längere Zeit in Österreich aufzuhalten, hätten nicht festgestellt werden können.

3        In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, die von der Revisionswerberin ins Treffen geführte mögliche zukünftige Pflegebedürftigkeit ihrer Eltern sei noch nicht konkret zu befürchten; im Übrigen habe die Revisionswerberin diesbezüglich einen besonders berücksichtigungswürdigen Grund auch nicht dargetan, stünden doch für den Fall des Eintritts eines Pflegefalls der Erlangung entsprechender aufenthaltsrechtlicher Bewilligungen keine Hindernisse entgegen. Ein Verlust der Greencard (im Falle eines längeren Aufenthalts in Österreich) sei nicht zu befürchten. Dem Vorbringen der Revisionswerberin, sie habe für den Fall der Nichtannahme der Staatsangehörigkeit der USA mit beruflichen und steuerrechtlichen Nachteilen zu rechnen, sei zu entgegnen, dass dies keine extreme Beeinträchtigung der Revisionswerberin darstelle. Die von der Revisionswerberin vorgebrachte Möglichkeit, sich in den USA politisch zu engagieren und eine bestimmte Partei zu unterstützen, führten ebenso wenig wie die nicht näher konkretisierten bzw. widersprüchlich dargestellten erb- und steuerrechtlichen Nachteile nach amerikanischem Recht zu einer Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens.

4        Im Rahmen der - unter Hinweis auf EuGH 2.3.2010, C-135/08, Rottmann, sowie 12.3.2019, C 221/17, Tjebbes ua - durchgeführten Verhältnismäßigkeitsprüfung verwies das Verwaltungsgericht darauf, dass die Revisionswerberin zwar in regelmäßigem Kontakt zu ihren in Österreich lebenden Eltern stehe, sich aber während der letzten Jahre keinesfalls häufiger oder länger in Österreich aufgehalten habe. Auch aus diesem Verhalten könne nicht für die Zukunft geschlossen werden, dass sie ihren Lebensmittelpunkt nach Österreich verlegen werde. Aufenthalte in Österreich im bisherigen Ausmaß seien der Revisionswerberin ungehindert möglich, weshalb eine Beeinträchtigung ihrer Beziehungen zu in Österreich lebenden Verwandten für den Fall des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht zu erwarten sei. Selbst wenn die Revisionswerberin häufigere und längere Aufenthalte in Österreich plane, stellten diese - im Hinblick auf die „Greencard“ - keine extreme Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens dar. Darüber hinaus hätte die Revisionswerberin für den Fall des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft einen Rechtsanspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 NAG, womit ein Aufenthalt in Österreich sowie die Bewegungsfreiheit innerhalb der EU jedenfalls als gesichert anzusehen seien. Soweit die Revisionswerberin angebe, es könnten bei Verlust der Staatsbürgerschaft extreme Beeinträchtigungen ihres Privat- und Familienlebens im Falle des Todes ihres Ehemannes eintreten, sei dem zu entgegnen, dass es keine Hinweise auf einen zu erwartenden Todesfall gebe. In Bezug auf die vorgebrachte Wahrung des Kindeswohls (des 17-jährigen Sohnes) sei zu berücksichtigen, dass der Sohn zwei Staatsbürgerschaften besitze und jedenfalls eine Staatsbürgerschaft mit der Mutter teile, dies auch für den Fall, dass die Revisionswerberin die österreichische Staatsbürgerschaft verliere.

5        Es lägen daher keine besonders berücksichtigungswürdigen Gründe gemäß § 28 Abs. 1 und 2 StbG vor.

6        Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 24. November 2020, E 3279/2020-5, die Behandlung der dagegen von der Revisionswerberin erhobenen Beschwerde ab und trat diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Die Revisionswerberin führt zur Zulässigkeit der Revision aus, die gesundheitlichen Probleme der Eltern könnten „jederzeit zu einem schweren Krankheitsfall und damit zu einer Pflegebedürftigkeit führen“. Die Revisionswerberin verweist weiters auf die „erheblichen steuerlichen Nachteile, die im Falle des Todes meines Mannes eintreten werden“; die von der Revisionswerberin zu tragende Erbschaftssteuer betrage in diesem Fall 40%. Indem das Verwaltungsgericht diese Aspekte nicht zu Gunsten der Revisionswerberin berücksichtigt habe, sei es von den „Vorgaben der Rechtsprechung“ abgewichen.

11       Dieses Vorbringen führt nicht zur Zulässigkeit der Revision.

12       Im vorliegenden Fall kommt lediglich die Beibehaltung nach § 28 Abs. 2 StbG in Betracht.

13       Gemäß § 28 Abs. 2 StbG ist Staatsbürgern für den Fall des Erwerbes einer fremden Staatsangehörigkeit (§ 27) die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft zu bewilligen, wenn sie die Staatsbürgerschaft durch Abstammung erworben haben und in ihrem Privat- und Familienleben ein für die Beibehaltung besonders berücksichtigungswürdiger Grund vorliegt.

14       Der durch die Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 geschaffene Tatbestand des § 28 Abs. 2 StbG soll Staatsbürgern die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft trotz Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit ermöglichen, wenn ein für die Beibehaltung besonders berücksichtigungswürdiger Grund vorliegt, um extreme Beeinträchtigungen des Privat- oder Familienlebens des Staatsbürgers zu vermeiden, die sich aus der Nichtannahme der Staatsangehörigkeit oder dem Verlust der Staatsbürgerschaft ergeben (vgl.VwGH 15.5.2019, Ra 2018/01/0076, mwN).

15       Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner jüngsten Rechtsprechung (VfGH 17.6.2019, E 1832/2019, VfSlg. 20.330) klargestellt, dass dem Verfahren zur Bewilligung der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 28 StbG insofern grundrechtliche Bedeutung zukommt, als die Behörde anlässlich eines Antrages auf Beibehaltung der Staatsbürgerschaft die Folgen eines allfälligen Verlustes auf ihre Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf Art. 8 EMRK prüfen kann und muss und dabei auch die unionsrechtlich gebotene Abwägung der Folgen des Verlustes der Unionsbürgerschaft nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache C-221/17, Tjebbes ua, durchführen kann und muss.

16       Diese Rechtsprechung zeigt auch, dass ein „besonders berücksichtigungswürdiger Grund“ (nach § 28 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 StbG) auch dann gegeben ist, wenn der gesetzlich angeordnete Verlust der Staatsbürgerschaft eine Verletzung des durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens und damit einen Verstoß gegen die Verpflichtung der Republik Österreich zur Gewährleistung dieses Konventionsrechts bedeuten würde (vgl. abermals VfSlg. 20.330).

17       Dieser verfassungskonformen Auslegung des VfGH hat sich der Verwaltungsgerichtshof bereits angeschlossen (vgl. VwGH 12.12.2019, Ra 2019/01/0437; 8.10.2020, Ra 2020/01/0354; 29.1.2021, Ra 2021/01/0002).

18       Demnach ist die unionsrechtlich gebotene Abwägung vor dem Hintergrund von Art. 8 EMRK zu betrachten. Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG und daher vom Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nur aufzugreifen, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten hat oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalls vorgenommen hat bzw. die Entscheidung auf einer verfahrensrechtlich nicht einwandfreien Grundlage erfolgte (vgl. VwGH 28.1.2020, Ra 2019/01/0466, mwN).

19       Derartiges zeigt die Revision nicht auf.

20       So ist zu den von der Revisionswerberin behaupteten Eingriffen in ihr Privat- und Familienleben - wie bereits im angefochtenen Erkenntnis - darauf hinzuweisen, dass es sich nicht um nur hypothetische oder potentielle Folgen handeln darf (vgl. VwGH 18.2.2020, Ra 2020/01/0022, mwN, u.a. auf EuGH 12.3.2019, C-221/17, Tjebbes ua, Rn. 44) bzw. um konkret zu erwartende Beeinträchtigungen handeln muss und nicht um solche, die von ungewissen, in der Zukunft vom Beibehaltungswerber selbst zu setzenden Handlungen abhängen (vgl. abermals VwGH Ra 2020/01/0354 und VwGH Ra 2021/01/0002).

21       Davon ausgehend wird auch die Relevanz des von der Revision vorgebrachten Verfahrensfehlers („Überraschungsverbot“) nicht dargetan.

22       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 15. März 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62017CJ0221 Tjebbes VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021010051.L00

Im RIS seit

28.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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