TE Vwgh Erkenntnis 2021/6/1 Ro 2019/15/0012

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Veröffentlicht am 01.06.2021
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Index

E3L E09301000
E6J
32/04 Steuern vom Umsatz

Norm

ErstattungsV abziehbare Vorsteuern ausländischer Unternehmer 1995
UStG 1994 §21 Abs9
UStG 1994 §3a Abs13 lita
UStG 1994 §3a Abs14 Z12
UStG 1994 §3a Abs16
Verlagerung des Ortes Telekommunikationsdienste 2003 §1
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art59a Abs1 litb
62019CJ0593 SK Telecom VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn sowie die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Graz-Stadt in 8010 Graz, Conrad von Hötzendorfstraße 14-18, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 26. Februar 2019, Zl. RV/2100366/2016, betreffend Erstattung von Vorsteuern für den Zeitraum Jänner bis Dezember 2014 (mitbeteiligte Partei: V LTD in V, vertreten durch die KPMG Alpen-Treuhand GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 1090 Wien, Porzellangasse 51), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Die mitbeteiligte Partei ist eine in Südafrika ansässige Mobilfunkgesellschaft, die an ihre ebenfalls in Südafrika ansässigen Kunden im Revisionszeitraum Telekommunikationsdienstleistungen erbracht hat.

2        Um den Kunden der mitbeteiligten Partei während derer Aufenthalte in Österreich die Benützung von Mobiltelefonen zu ermöglichen, stellte ein österreichischer Netzbetreiber (Provider) der mitbeteiligten Partei sein Netz gegen Verrechnung von Benützungsgebühren unter Ausweis österreichischer Umsatzsteuer zur Verfügung. Die mitbeteiligte Partei verrechnete ihren Kunden für die Nutzung des österreichischen Netzes Roaming-Gebühren.

3        Die mitbeteiligte Partei beantragte für den Zeitraum Jänner bis Dezember 2014 die Erstattung der ihr vom österreichischen Netzbetreiber in Rechnung gestellten Umsatzsteuer nach dem Verfahren gemäß der Verordnung BGBl. Nr. 279/1995.

4        Das Finanzamt versagte die Erstattung der Vorsteuern.

5        Der dagegen eingebrachten Beschwerde der mitbeteiligten Partei gab das Bundesfinanzgericht nach Ergehen einer abweisenden Beschwerdevorentscheidung statt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Anwendung des Vorsteuererstattungsverfahrens sei ausgeschlossen, weil die im Revisionsfall anwendbare Telekom-VO BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009 eine Leistungsortverlagerung der Umsätze der mitbeteiligten Partei, soweit es das „Roaming“ in Österreich betreffe, ins Inland bewirke. Von einer Leistungsortverlagerung in das Inland sei in unionsrechtskonformer Interpretation jedenfalls dann auszugehen, wenn die Leistung im Drittland keiner der inländischen Umsatzsteuerbelastung vergleichbaren Steuerbelastung unterliege. Ein Steuersatz von 14% könne als vergleichbare Steuerbelastung angesehen werden, weil er nur um einen Prozentpunkt unter dem in Art. 97 der RL 2006/112/EG idF RL 2010/88/EU normierten Mindeststeuersatz liege.

6        Das Finanzamt macht in der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Revision - zu der die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung erstattet hat - unter anderem geltend, im Jahr 2014 hätten die Umsatzsteuersätze für Telekomleistungen in der Europäischen Union 17% bis 27% betragen. Sofern derartige Leistungen in Südafrika mit einem Steuersatz von nur 14% besteuert würden, sei dies nicht mit einer Umsatzsteuerbelastung im Sinne der RL 2006/112/EG idF RL 2010/88/EU vergleichbar. Im Übrigen habe die mitbeteiligte Partei - trotz wiederholter Aufforderung - nicht nachgewiesen, dass es in Südafrika tatsächlich zu einer Besteuerung gekommen sei.

7        Mit Beschluss vom 10. Dezember 2019 hat der Verwaltungsgerichtshof das Revisionsverfahren bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union über die mit Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom 29. Juli 2019, Zl. RE/2100001/2019, vorgelegten Fragen ausgesetzt, weil der Beantwortung dieser Fragen auch für die Behandlung der vorliegenden Revision Bedeutung zukommt.

8        Mit Urteil vom 15. April 2021, SK Telecom Co. Ltd, C-593/19, hat der Gerichtshof der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzgerichtes vom 29. Juli 2019 entschieden.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10       Gemäß § 21 Abs. 9 UStG 1994 kann der Bundesminister für Finanzen für Unternehmer, die im Inland weder ihren Sitz noch eine Betriebsstätte haben, durch Verordnung die Erstattung der Vorsteuern abweichend von den Abs. 1 bis 5 sowie den §§ 12 und 20 regeln.

11       Auf Grund des § 21 Abs. 9 UStG 1994 erging die Verordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBl. Nr. 279/1995 in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. II Nr. 222/2009 bzw. BGBl. II Nr. 158/2014, „mit der ein eigenes Verfahren für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern an ausländische Unternehmer geschaffen wird“, wenn der Unternehmer (von gegenständlich nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen) keine Umsätze iSd § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 und Art. 1 UStG 1994 ausgeführt hat.

12       Nach § 3a Abs. 13 lit. a iVm Abs. 14 Z 12 UStG 1994 idF BGBl. I Nr. 52/2009 werden Telekommunikationsdienste im Drittland ausgeführt, wenn der Empfänger ein Nichtunternehmer ist und er keinen Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Gemeinschaftsgebiet hat.

13       Nach § 3a Abs. 16 UStG 1994 in der angeführten Fassung kann der Bundesminister für Finanzen, um Doppelbesteuerungen, Nichtbesteuerungen oder Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, durch Verordnung festlegen, dass sich bei sonstigen Leistungen, deren Leistungsort sich u.a. nach Abs. 13 lit. a UStG 1994 bestimmt, der Ort der sonstigen Leistungen danach richtet, wo die sonstige Leistung genutzt oder ausgewertet wird. Der Ort der sonstigen Leistung kann danach statt im Drittlandsgebiet als im Inland gelegen behandelt werden.

14       § 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei Telekommunikationsdiensten sowie Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen, BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009, bestimmt:

„Liegt bei einer in § 3a Abs. 14 Z 12 und 13 des Umsatzsteuergesetzes 1994, BGBl. Nr. 663, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 52/2009, bezeichneten Leistung der Ort der Leistung gemäß § 3a des Umsatzsteuergesetzes 1994 außerhalb des Gemeinschaftsgebietes, so wird die Leistung im Inland ausgeführt, wenn sie dort genutzt oder ausgewertet wird.“

15       Das Bundesfinanzgericht vertrat im angefochtenen Erkenntnis den Standpunkt, die mitbeteiligte Partei habe im Streitzeitraum keine Umsätze in Österreich ausgeführt, weil die in § 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei Telekommunikationsdiensten sowie Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen normierte Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei unionsrechtskonformer Interpretation dann nicht in Betracht komme, wenn die betreffende Leistung im Drittland einer der inländischen Umsatzsteuerbelastung vergleichbaren Steuerbelastung unterliege.

16       Diese Rechtsansicht des Bundesfinanzgerichts steht im Widerspruch zu den Ausführungen des EuGH im Urteil vom 15. April 2021, SK Telecom Co. Ltd, C-593/19, wonach Art. 59a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 mit Wirkung vom 1. Januar 2010 geänderten Fassung dahin auszulegen ist, dass Roamingleistungen, die von einem in einem Drittland ansässigen Mobilfunkbetreiber an seine Kunden, die ebenfalls in diesem Drittland ansässig sind bzw. dort ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, erbracht werden und die es diesen Kunden ermöglichen, das nationale Mobilfunknetz des Mitgliedstaats, in dem sie sich vorübergehend aufhalten, zu nutzen, als Dienstleistungen anzusehen sind, deren „tatsächliche Nutzung oder Auswertung“ im Sinne dieser Bestimmung im Gebiet dieses Mitgliedstaats erfolgt, so dass dieser den Ort der Roamingleistungen so behandeln kann, als läge er in seinem Gebiet, wenn dadurch eine Nichtbesteuerung der Roamingleistungen in der Union vermieden wird und ohne dass es hierbei darauf ankommt, welcher steuerlichen Behandlung die Roamingleistungen nach dem nationalen Steuerrecht des Drittlands unterliegen.

17       Das angefochtene Erkenntnis ist daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 1. Juni 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62019CJ0593 SK Telecom VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RO2019150012.J00

Im RIS seit

28.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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