Entscheidungsdatum
06.07.2021Norm
BAO §236Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch MMag. Kammerhofer als Einzelrichter über die Beschwerde der A, vertreten durch B, Steuerberater in ***, ***, gegen den Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde *** vom 6. Juli 2020, Zl. ***, mit dem der Berufung gegen den Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 12. September 2019 betreffend Nachsichtansuchen vom 7. September 2018 hinsichtlich des Abgabenbescheides vom 8. August 2018, Kdt Nr ***, teilweise Folge gegeben und eine Nachsicht in der Höhe von € 5.000,00 gewährt wurde, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zur Recht:
1. Der Beschwerde wird insoweit Folge gegeben als der Spruch des angefochtenen Bescheides dahingehend abgeändert wird, dass eine Nachsicht in der Höhe von € 16.000,- gewährt wird.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
§ 279 Abs. 1 Bundesabgabenordnung – BAO
§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG
Entscheidungsgründe:
1. Sachverhalt:
1.1. Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:
Die gegenständliche Liegenschaft, welche im Eigentum der Beschwerdeführerin steht, wird von ihr und ihrem Ehegatten als Wochenend- und Freizeitwohnsitz genützt. Aufgrund eines Leitungsschadens ergab sich ein gemessener Wasserverbrauch von 10.425 m³. Die Wasserbezugsgebühr in Höhe von € 25.183,32 (inkl. 10% USt) wurde mit Bescheid vom 8. August 2018 festgesetzt und vorgeschrieben. Dieser Bescheid ist zwischenzeitig in Rechtskraft erwachsen.
Mit Schreiben vom 7. September 2018 wurde von der Beschwerdeführerin ein Antrag auf Nachsicht gemäß § 236 BAO gestellt. Der Antrag enthielt Argumente für eine persönliche und sachliche Unbilligkeit.
Über dieses Nachsichtansuchen entschied der Stadtrat der Stadtgemeinde *** mit Bescheid vom 12. September 2019 und gewährte eine Nachsicht in Höhe von € 5.000,-. Im Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde wurde eine persönliche Unbilligkeit aufgrund der Einkommenssituation der Beschwerdeführerin festgestellt und eine Nachsicht von € 5.000,00 gewährt. Auch wurde festgestellt, dass sie Alleineigentümerin der gegenständlichen Liegenschaft in *** sei und der Hausrat keine verwertbaren Gegenstände umfasse.
Gegen diesen Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde *** wurde Berufung vom 25. September 2019, eingelangt am 27. September 2019, erhoben und die gänzliche Nachsicht der Wassergebühr in Höhe von € 25.138,14 (inkl. 10% USt) begehrt und begründend vorgebracht, dass in der Pension ein P?egegeld von € 290,00 enthalten sei, der Abgabep?ichtigen gesamtheitlich eine Pension € 958,92 je Monat zur Verfügung stehe, die Behörde ihre Ermessenentscheidung nicht ausreichend begründet habe, die Behörde sämtliche Auseinandersetzungen mit den Kriterien für die Ermessenausübung unterlassen und das geringe Einkommen unbeachtet gelassen habe, der einzige Vermögensgegenstand die gegenständliche Liegenschaft in *** sei, die nur durch Verschleuderung realisiert werden könnte,
die Bezahlung der gesamten Schuld aus den bestehenden Finanzmitteln der Abgabep?ichtigen unter Beachtung der Existenzgrundlage in einem sinnvollen Zeitraum überhaupt nicht möglich sei, der Wasserschaden/Rohrbruch nicht bemerkt werden habe können, weil keine sichtbaren Schäden am Haus /in der Liegenschaft zutage getreten seien, der Wasserschaden unverschuldet und durch ein besonderes Unglück eine hohe Abgabenbelastung entstanden sei, andere Gemeinden bei derartigen SachverhaltskonstelIationen durchaus den gesamten Betrag nachsehen würden und die Behörde unterlassen habe darzustellen welche Kosten ihr selbst erwachsen seien und nur die variablen Produktionskosten eine Belastung der Behörde darstellen würden wodurch sich die Ermessensübung der Behörde als rechtswidrig erweise.
Mit Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde *** vom 6. Juli 2020, Zl. ***, wurde der Berufung gegen den Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 12. September 2019 betreffend Nachsichtansuchen vom 7. September 2018 hinsichtlich des Abgabenbescheides vom 8. August 2018, Kdt Nr ***, teilweise Folge gegeben und eine Nachsicht in der Höhe von € 5.000,00 gewährt.
Begründend wurde dazu ausgeführt, dass grundsätzlich festzuhalten sei, dass die im Instanzenzug bekämpften Bescheid zugrunde gelegten offenen Forderungen/Abgabenschuldigkeiten außer Streit stünden. Gemäß § 236 BAO und der dazu ergangenen Verordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBI. II 435/2005 idF BGBI. II 449/2013, könne eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung persönlicher oder sachlicher Natur sein. Eine sachliche Unbilligkeit sei anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anomalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff komme. Sie liege insbesondere dann nicht vor, wenn sie ganz allgemein die Auswirkung genereller Normen sei. Eine „sachliche“ Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus „persönlichen“ Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ereignis eintritt. Gemäß § 236 Abs. 1 BAO könnten fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach Lage des Falles unbillig wäre. Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach Lage des Falles sei tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in dieser Bestimmung vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneine die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so sei für eine Ermessensentscheidung kein Raum. Eine „persönliche“ Unbilligkeit liege insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlage des Nachsichtswerbers gefährde. Die Abgabenbehörde habe daher im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nur die vom Nachsichtswerber geltend gemachten Gründe zu prüfen. Dabei seien nicht die Vermögens- und Einkommensverhältnisse zum Zeitpunkt des Entstehens der Abgabenschuld maßgebend, sondern jene zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Ansuchen. Allerdings bedürfe es zur Bewilligung einer Nachsicht aus „persönlichen“ Gründen nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, der Existenzgefährdung, besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genüge, dass die Abstattung der Abgaben mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, etwa, wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Liegenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme. Ist die Abgabenschuld tatsächlich nicht einbringlich, sei im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine persönliche Unbilligkeit (Existenzgefährdung durch eine drohende Abgabeneinhebung) im Sinne des § 236 BAO gegeben. Die Feststellung, ob das gesetzliche Merkmal der Unbilligkeit der Einhebung (iSd § 236 BAO) gegeben ist, liege im Bereich der gesetzlichen Gebundenheit. Erst nach der Feststellung, dass der Sachverhalt dem unbestimmten Gesetzesbegriff „Einhebung nach der Lage des Falles unbillig“ entspricht, betrete die Behörde den Bereich des Ermessens und habe nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Liege nach begründeter Auffassung der Behörde also Unbilligkeit nicht vor, so fehlt die gesetzlich vorgesehene Bedingung für die Nachsicht und das darauf gerichtete Ansuchen sei abzuweisen. Im Nachsichtverfahren liege das Hauptgewicht der Behauptungs- und Beweislast beim Nachsichtwerber. Dabei treffe den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Er habe somit einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden könne. Daher habe die Abgabenbehörde im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nur die vom Nachsichtswerber geltend gemachten Gründe zu prüfen. Auf eine weitere Aufforderung der Stadtgemeinde vom 10. März 2020 an den Antragsteller, welche im Rahmen der Prüfung über die Berufung der Nachsicht im Auftrag des Gemeinderates erfolgt sei, nämlich eine Aktualisierung des Einkommensnachweises, sowie Bekanntgabe der Unterhaltsverpflichtung aus der aufrechten Ehegemeinschaft mit ihrem Ehegatten, Bestätigung der Versicherung über den erhaltenen Schadenersatz, etc sei keine Antwort ergangen. Es seien daher die zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Berufung bekannten Vermögens- und Einkommensverhältnisse für den Gemeinderat maßgebend. Das im Rahmen des Antrages nachgewiesene Einkommen der Beschwerdeführerin setze sich aus einer Leistung der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) mit € 1.023,91/Monat (Stand Jänner 2018) und einer Rente der Deutschen Rentenversicherung in der Höhe von € 225,01/Monat (Stand Juli 2018) zusammen. Insgesamt betrage das im Rahmen der Berufung im September 2019 bekannt gegebene monatliche Netto-Einkommen € 1.248,92 (nach Abzug aller Abgaben), welches den Stand aus 2018 wiedergebe. In der genannten Alterspension, die die PVA auszahle, sei ein P?egegeld von € 290,00 (Pflegestufe 2) enthalten. Ein aktueller Einkommensnachweis sei der Behörde auf ihre Anfrage nicht vorgelegt worden, somit ergebe sich nach Abzug des Pflegegeldes ein monatliches Netto-Einkommen von € 958,92 (Stand 2018). Die Beschwerdeführerin lebe in einer aufrechten Ehe. Das Ehepaar nutze das gegenständliche Grundstück gegebenenfalls gemeinsam. Eine von der Behörde angefragte Unterhaltsverpflichtung aus der aufrechten Ehegemeinschaft mit ihrem Ehegatten sei von der Antragstellerin nicht beantwortet bzw. vom steuerlichen Vertreter mündlich mitgeteilt worden, dass keine Antwort erfolgen werde. Aus der Darlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführerin aus 2019 gehe hervor, dass auf dem Girokonto keine nennenswerten Guthaben bestünden und die Beschwerdeführerin über keine verwertbaren Gegenstände verfüge (inkl. Hausrat) und Alleineigentümerin der Liegenschaft in ***/*** sei. Die Beschwerdeführerin sei Alleineigentümerin der Liegenschaft in der Gemeinde ***, Katastralgemeinde ***, EZ *** Grundstücknummer *** u ***, im Gesamtausmaß von 673 m² (davon Baufläche 337 m², 336 m² Garten, Pfandrecht im Höchstbetrag von € 6.500,00, It. Grundbuchsauszug vom Juni 2020). Der Gemeinderat gehe von einem vorsichtig geschätzten Grundstückswert (ohne Gebäude) von rund € 40.000,00 (673 m² x € 60 / m² = € 40.380,00) aus. Der Wert der Iastenfreien Liegenschaft übersteige daher die gegenständliche Wassergebühr erheblich. Die Beschwerdeführerin habe in ihrem Antrag selbst angegeben, dass eine Belastung der Liegenschaft mit einem Kredit denkbar sei. Im gegenständlichen Fall liege daher nach Auffassung des Gemeinderates keine persönliche Unbilligkeit vor, da die Beschwerdeführerin über ausreichendes Vermögen verfüge, um die Abgabenschuld tilgen zu können (etwa durch einen Kredit oder eine Ratenzahlung) bzw. ihr Vermögen die gegenständliche Abgabenschuld erheblich übersteigt. Die Beschwerdeführerin habe in ihrem Antrag vom September 2018 sowohl eine persönliche als auch sachliche Unbilligkeit argumentiert. Da eine persönliche Unbilligkeit nicht gegeben sei, sei eine sachliche Unbilligkeit zu prüfen.
Nach der diesbezüglichen Rechtsprechung liege eine sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung vor, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offensichtlich nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit anderen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff komme. Sachliche Unbilligkeit einer Abgabeneinhebung sei grundsätzlich in Fällen anzunehmen, in denen das ungewöhnliche Entstehen einer Abgabenschuld zu einem unproportionalen Vermögenseingriff beim Steuerpflichtigen führe. Der in der anormalen Belastungswirkung und verglichen mit ähnlichen Fällen, im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigen Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der eine vom Steuerpflichtigen nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt sei. Eine sachliche Unbilligkeit liege nicht vor, wenn sie ganz allgemein die Auswirkung genereller Normen ist. Der gemessene Wasserverbrauch im Jahr 2017 von 10.425 m³ stelle einen erheblichen, unerwarteten und atypisch hohen Mehrverbrauch dar. Auch blieb dieser Leitungsschaden auf der Liegenschaft der Beschwerdeführerin längere Zeit unentdeckt und wurde erst durch die Vorschreibung bzw. die Ablesung des Standes des Wasserzählers entdeckt.
Der Gemeinde entstünden variable Produktionskosten von netto ohne USt € 1,77 je m³ Trinkwasser (Durchschnittswert aus 2017 u. 2018) im Rahmen der zentral betriebenen Wasserversorgungsanlage, mit der auch die Abgabepflichtige versorgt werde. Bei diesen herangezogenen Produktionskosten seien die Fixkosten nicht miteingerechnet. Es handle sich um die variablen Kosten zur Herstellung von Trinkwasser. In der Berufung sei beantragt worden, dass nur die variablen Kosten zu Herstellung von Trinkwasser eine konkrete Belastung darstellen und als Kosten anzusetzen seien. Die Gemeinde habe für die ausreichende Deckung der Wasserversorgung der gesamten Gemeinde im Jahr 2017 um Netto ohne USt € 1,164 je m³ und im Jahr 2018 um Netto ohne USt € 1,201 je m³ erhebliche Mengen an Wasser zukaufen müssen (2017 hätten 65% der Gesamtverbrauchsmenge zugekauft werden müssen). Diese stellen einen nicht unerheblichen Anteil der oben erwähnten variablen Kosten von Netto ohne USt € 1,77 je m³ dar, die für Herstellung je m³ Trinkwasser in der zentralen Wasserversorgungsanlage der Stadtgemeinde anfallen würden. Für den gegenständlichen gemessenen Wasserverbrauch im Jahre 2017 seien daher für 10.425 m³ x € 1,77/m³ = € 18.452,25 Netto ohne Ust an variablen Produktionskosten in der Stadtgemeinde angefallen (davon Einkaufkosten D 10.425 m³ x € 1,164/m³ Netto ohne Ust = € 12.134,70). Da es sich um einen Wasserschaden handle, sei u.a. eine Deckung des Schadens durch eine allfällige Versicherung zur prüfen gewesen. Die Stadtgemeinde habe in der Gemeindezeitung darauf hingewiesen, dass bei Wasserschäden keine Nachlässe gewährt werden und jeder Haushalt eine entsprechende aktuelle Versicherung abschließen sollten, die neben allfälligen Gebäudeschäden und auch Schadensforderungen durch Wasserverluste decke. Im Zuge dessen sei der Bevölkerung in der Gemeindezeitung mitgeteilt worden, dass eine Kostenreduktion seitens der Stadtgemeinde aufgrund erhöhter Wasserverbräuche nicht vorgesehen sei. Im Nachsichtsverfahren liege das Hauptgewicht der Behauptungslast und Beweislast naturgemäß beim Nachsichtswerber. Seine Sache sei es, einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden könne. Auf einem Bank-Kontoauszug der Beschwerdeführerin vom 1.10. sei ein Betrag von € 750,- (Wert 28.9.) ausgewiesen, der den Hinweis „Leitungswasser Kulanz C AG“ enthalte. Eine von der Behörde angeforderte Bestätigung der Versicherung sei nicht vorgelegt worden. An Hand dieser Grundlagen gehe der Gemeinderat vorerst davon aus, dass die Versicherung der Beschwerdeführerin einen Betrag von € 750,- für den gegenständlichen „Wasserschaden“ ersetzt habe. Da es in Befolgung des Gebotes der Gleichbehandlung von Abgabepflichtigen keine Bevorzugung oder Benachteiligung von Steuerschuldnern durch die Stadtgemeinde geben dürfe, sei die begehrte, vollständige Nachsicht der Abgabenschuldigkeiten rechtlich nicht geboten. Dies deshalb, da dies zu einer Bevorzugung der Beschwerdeführerin im Vergleich zu den anderen Abgabepflichtigen führen würde. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass in den letzten Jahren keine vergleichbaren Nachlässe an Abgabenschuldner gewährt worden seien. Als Untergrenze für eine Nachsicht seien die für die Stadtgemeinde angefallenen variablen Kosten anzusetzen. Daraus ergebe sich wie folgt: Wasserverbrauch 2017: 10.425 m³ x variable Kosten € 1,77/m³ netto ohne Ust = € 18.452,25, zuzüglich 10% Umsatzsteuer ergebe € 20.297,48 (Bruttobetrag) Die offene Forderung gemäß Bescheid (inkl 10% Ust) in Höhe von € 25.183,32 abzüglich € 20.297,48 (Bruttobetrag) = € 4.885,84. Daraus ergebe sich eine Nachsicht der offenen Abgabenschuld in Höhe von € 5.000,- (auf)gerundet. Im gegenständlichen Fall liege nach Auffassung des Gemeinderates eine sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung im Einzelfall vor. Auch das bisherige Verhalten der Antragstellerin, dass sie ihrer Abgabenpflicht nachgekommen und Gebühren ordnungsgemäß entrichtet habe, habe in die Entscheidung des Gemeinderates Eingang gefunden. Im gegenständlichen Fall erachte der Gemeinderat, als zuständige Behörde über die Berufung der Gewährung der Nachsicht eine Nachsicht in Höhe von € 5.000,00 im Sinne der vom Gesetz geforderten Ermessensausübung als billig und zweckmäßig.
1.2. Zum Beschwerdevorbringen:
Gegen diesen Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde vom 6. Juli 2020, Zl. ***, richtet sich die gegenständliche Beschwerde mit der (weiterhin) die Nachsicht der Wasserbezugsgebühr in der Höhe von 25.138,14 begehrt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass mit dem angefochtenen Bescheid zunächst festgestellt worden sei, dass sehr wohl eine persönliche Unbilligkeit im Sinne von § 236 BAO vorliege. Sohin stehe dem Grunde nach fest, dass die Voraussetzungen für eine Nachsicht vorliegen.
Fraglich sei daher nur noch, ob die Behörde das Ermessen rechtlich richtig ausgeübt habe. Dies sei nicht der Fall.
Zum nachgewiesenen Einkommen laut Bescheid werde – nochmals – festgehalten, dass in der Pension der Pensionsversicherungsanstalt auch ein Pflegegeld i.H.v. EUR 290,- enthalten sei. Nach der bereits in der Übermittlung der Einkommensnachweise dargebrachten Erläuterung sei nachgewiesen worden, dass das Pflegegeld der Abdeckung eines entsprechenden Mehraufwandes diene. Es bedürfe daher keiner weiteren Erläuterung, dass das Pflegegeld nicht zur Deckung von anderen Aufwendungen zur Verfügung stehen könne. Somit stehe gesamtheitlich nur eine Pension von EUR 958,92 zur Verfügung. Auch bei einer Pension unter Einschluss des Pflegegeldes ergebe sich freilich keine andere Betrachtung. Wie die Behörde selbst ausführe, sei die Ermessensübung zu begründen. Die einzige Begründung finde sich jedoch in dem Satz, dass der Stadtrat die Gewährung einer Nachsicht i.H.v. EUR 5.000,- im Sinne der vom Gesetz geforderten Ermessensausübung als billig und zweckmäßig erachte.
Die Kriterien der Billigkeit und Zweckmäßigkeit seien grundsätzlich und subsidiär zu beachten. Daraus ergebe sich, dass diese Kriterien nur den gesamten Rahmen der Ermessensübung darstellen, nichtsdestotrotz aber eine genaue Abwägung aller Kriterien im Sinne einer Begründung vorzunehmen sei.
Die Behörde habe jedoch sämtliche Auseinandersetzung mit den Kriterien für die Ermessensausübung unterlassen.
Bei richtiger Ermessensausübung hätte sie das geringe Einkommen, das nur knapp über der monatlichen Existenzgrundlage liege, berücksichtigen müssen wie auch die Tatsache, dass erwiesenermaßen das Haus in *** der einzige Vermögensgegenstand sei, der einen gewissen Wert habe, der aber nur durch Verschleuderung realisiert hätte werden können, die Tatsache, dass eine Bezahlung dieser Schuld aus Finanzmitteln über der Existenzgrundlage somit in einem sinnvollen Zeitraum überhaupt nicht möglich sei, die Tatsache, dass der der Abgabenschuld zugrunde liegende Wasserverbrauch wegen eines Rohrbruches überhaupt nicht bemerkt werden habe können, da bis heute unerklärlich sei, wohin das Wasser versickert sei und entsprechende Schäden am Haus nicht wahrnehmbar gewesen seien sowie die Tatsache, dass daher unverschuldet und durch ein besonderes Unglück eine hohe Abgabenbelastung entstanden sei.
Bei richtiger Wertung hätte die Behörde daher zur Auffassung kommen müssen, dass in Ermessensausübung der gesamte Betrag der Abgabenschuld nachzusehen sei.
Nach Medienberichten und eigenen Wahrnehmungen in verschiedenen Bundesländern würden verschiedene Gemeinden in derartigen SachverhaItskonstellationen durchaus den gesamten Betrag an Abgabenschuld nachsehen.
Unter dieser Überlegung habe die Behörde jede Darstellung unterlassen, welche Kosten ihr selbst mit dem verbrauchten Wasser erwachsen seien. Dabei sei bei der Nachsicht zu bedenken, dass offensichtlich nur variable Kosten eine konkrete Belastung darstellen, während fixe Kosten zwar für die Ermittlung des Wasserpreises geschlüsselt werden könnten, aber durch den Mehrverbrauch keine zusätzliche Belastung für die Gemeinde bedeuten würden und sohin jedenfalls für eine Nachsicht zur Verfügung stünden.
Nachdem die Gemeinde jedoch nur einen geringen Teil von weniger als 20 % der Abgabenschuld nachgesehen habe, hätte sie auch darstellen müssen, welche Auswirkungen die Nachsicht auf ihre eigene Finanzgebarung habe, also welche variablen Kosten der Gemeinde entstanden seien. Die Ermessensausübung erweise sich daher als rechtswidrig, weshalb weiterhin die Nachsicht des gesamten Betrages beantragt werde.
1.3. Zum durchgeführten Ermittlungsverfahren:
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich führte eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. In dieser wurde Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegen Verwaltungsakt und die Vorbringen der Parteien.
1.4. Weitere Feststellungen:
Das im Rahmen des Antrages nachgewiesene Einkommen der Beschwerdeführerin setzt sich aus einer Leistung der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) mit € 1.023,91/Monat (Stand Jänner 2018) und einer Rente der Deutschen Rentenversicherung in der Höhe von € 225,01/Monat (Stand Juli 2018) zusammen. Insgesamt beträgt das im Rahmen der Berufung im September 2019 bekannt gegebene monatliche Netto-Einkommen € 1.248,92 (nach Abzug aller Abgaben), welches den Stand aus 2018 wiedergibt. In der genannten Alterspension, die die PVA auszahlt, ist ein Pflegegeld von € 290,00 (Pflegestufe 2) enthalten.
Aus der Darlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführerin aus 2019 geht hervor, dass auf dem Girokonto keine nennenswerten Guthaben bestehen und die Beschwerdeführerin über keine verwertbaren Gegenstände verfügt (inkl. Hausrat).
Die Beschwerdeführerin ist Alleineigentümerin der Liegenschaft in der Gemeinde ***, Katastralgemeinde ***, EZ *** Grundstücknummer *** u ***, im Gesamtausmaß von 673 m² (davon Baufläche 337 m², 336 m² Garten, Pfandrecht im Höchstbetrag von € 6.500,00, It. Grundbuchsauszug vom Juni 2020).
Das Landesverwaltungsgericht geht in Anlehnung an die Ausführungen der belangten Behörde von einem geschätzten Grundstückswert (ohne Gebäude) von rund € 40.000,00 (673 m² x € 60/m² = € 40.380,00) aus.
Die Versicherung der Beschwerdeführerin hat der Beschwerdeführerin einen Betrag von € 750,00 für den gegenständlichen „Wasserschaden" ersetzt.
Die Gemeinde hat für die ausreichende Deckung der Wasserversorgung der gesamten Gemeinde im Jahr 2017 um Netto ohne USt € 1,164 je m³ und im Jahr 2018 um Netto ohne USt € 1,201 je m³ erhebliche Mengen an Wasser zukaufen müssen (2017 mussten 65% der Gesamtverbrauchsmenge zugekauft werden). Diese stellen einen nicht unerheblichen Anteil der oben erwähnten variablen Kosten von Netto ohne USt € 1,77 je m³ dar, die für Herstellung je m³ Trinkwasser in der zentralen Wasserversorgungsanlage der Stadtgemeinde anfallen.
Für den gegenständlichen gemessenen Wasserverbrauch im Jahre 2017 sind daher für 10.425 m³ x € 1,77 / m³ = € 18.452,25 Netto ohne Ust an variablen Produktionskosten in der Stadtgemeinde angefallen (davon Einkaufkosten D 10.425 m³ x € 1,164 / m³ Netto ohne Ust = € 12.134,70).
1.5. Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt ergibt sich im Wesentlichen aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt in Zusammenhalt mit den Vorbringen der Parteien.
Die Vermögensverhältnisse ergeben sich aus den Ausführungen der Beschwerdeführerin und den von ihr vorgelegten Unterlagen.
Die Feststellung, dass die Versicherung der Beschwerdeführerin einen Betrag von € 750,00 für den gegenständlichen „Wasserschaden" ersetzt hat ergibt sich aus dem im Akt befindlichen Bank-Kontoauszug der Beschwerdeführerin vom 1.10. wo ein Betrag von € 750,00 (Wert 28.9.) ausgewiesen ist und den Hinweis „Leitungswasser Kulanz C AG" enthält.
Die Feststellung hinsichtlich der Eigenkosten der Gemeinde ergibt sich aus den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung die in der mündlichen Verhandlung präzisiert wurden.
2. Rechtslage:
2.1. Bundesabgabenordnung – BAO
§ 236.
(1) Fällige Abgabenschuldigkeiten können auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbiIIig wäre.
(2) Abs. 1 findet auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.
(3) Die Bestimmungen des 5 235 Abs. 2 und 3 gelten auch für die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten.
§ 279.
(1) Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
(2) Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat.
(3) Im Verfahren betreffend Bescheide, die Erkenntnisse (Abs. 1) abändern, aufheben oder ersetzen, sind die Abgabenbehörden an die für das Erkenntnis maßgebliche, dort dargelegte Rechtsanschauung gebunden. Dies gilt auch dann, wenn das Erkenntnis einen kürzeren Zeitraum als der spätere Bescheid umfasst.
2.2. NÖ Gemeindeordnung 1973
§ 35.
Dem Gemeinderat sind, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt wird, folgende Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde zur selbständigen Erledigung vorbehalten:
[…]
22. folgende Angelegenheiten der Vermögenswirtschaft:
d) die Löschung fälliger, uneinbringlicher Abgabenschuldigkeiten, die Nachsicht fälliger Abgabenschuldigkeiten wegen Unbilligkeit sowie die gänzliche oder teilweise Abschreibung zweifelhafter oder uneinbringlicher sonstiger Forderungen öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur über einem Wert von 0,5 % der Summe der Erträge des Ergebnisvoranschlages, ausgenommen bei Konkurs- und Ausgleichsverfahren,
[…]
2.3. Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG)
§ 25a.
(1) Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
(2) Eine Revision ist nicht zulässig gegen:
1. Beschlüsse gemäß § 30a Abs. 1, 3, 8 und 9;
2. Beschlüsse gemäß § 30b Abs. 3;
3. Beschlüsse gemäß § 61 Abs. 2.
(3) Gegen verfahrensleitende Beschlüsse ist eine abgesonderte Revision nicht zulässig. Sie können erst in der Revision gegen das die Rechtssache erledigende Erkenntnis angefochten werden.
(4) Wenn in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache
1. eine Geldstrafe von bis zu 750 Euro und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und
2. im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu 400 Euro verhängt wurde,
ist eine Revision wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG) nicht zulässig.
(4a) Die Revision ist nicht mehr zulässig, wenn nach Verkündung oder Zustellung des Erkenntnisses oder Beschlusses ausdrücklich auf die Revision verzichtet wurde. Der Verzicht ist dem Verwaltungsgericht schriftlich bekanntzugeben oder zu Protokoll zu erklären. Wurde der Verzicht nicht von einem berufsmäßigen Parteienvertreter oder im Beisein eines solchen abgegeben, so kann er binnen drei Tagen schriftlich oder zur Niederschrift widerrufen werden. Ein Verzicht ist nur zulässig, wenn die Partei zuvor über die Folgen des Verzichts belehrt wurde. Wurde das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts mündlich verkündet (§ 29 Abs. 2 VwGVG), ist eine Revision nur nach einem Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG durch mindestens einen der hiezu Berechtigten zulässig.
(5) Die Revision ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.
§ 60.
(1) Der Instanzenzug in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches geht 1. gegen Bescheide des Bürgermeisters (des Gemeindeamtes gemäß § 42 Abs. 3) an den Gemeindevorstand (Stadtrat),
2. gegen erstinstanzliche Bescheide des Gemeindevorstandes (Stadtrates) an den Gemeinderat Gegen Berufungsbescheide des Gemeindevorstandes (Stadtrates) nach Z 1 ist eine weitere Berufung unzulässig.
(2) Die in den verfahrensgesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen oberbehördlichen Befugnisse üben aus:
1. gegenüber dem Bürgermeister und dem Gemeindeamt mit Organstellung der
Gemeindevorstand (Stadtrat),
2. gegenüber dem Gemeindevorstand (Stadtrat) der Gemeinderat.
Gegen Bescheide des Gemeindevorstandes (Stadtrates) nach Z 1 ist eine Berufung
unzulässig.
3. Erwägungen:
3.1. In der Sache
3.1.1. Allgemeines
§ 236 BAO sieht vor, dass fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden können, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Das Nachsichtsverfahren ist ein antragsbedürftiges Verfahren, d. h. der Antragsteller, muss einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen aller jener Umstände dartun, auf die der Nachlass gestützt werden kann (vgl. VwGH 2006/13/0189 mwN). Im Nachsichtverfahren trifft den Antragsteller somit eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 2010/16/0219).
Die Abgabennachsicht ist nicht das geeignete Mittel, um möglichen, aber unterbliebenen Einwänden gegen Sachbescheide zum Durchbruch zu verhelfen (VwGH 2002/15/0002).
3.1.2. Unbilligkeit der Abgabeneinhebung
Eine Abgabennachsicht gemäß § 236 BAO setzt die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung voraus; eine solche kann grundsätzlich nicht damit begründet werden, dass die Abgabenfestsetzung zu Unrecht erfolgt ist. Vielmehr muss die behauptete Unbilligkeit in Umständen liegen, die die Entrichtung der Abgabe selbst betreffen. Im Nachsichtsverfahren können daher nicht Einwände nachgeholt werden, die im Festsetzungsverfahren geltend zu machen gewesen wären (VwGH 003/13/0062).
Im Falle eines Ansuchens um Nachsicht hat die Abgabenbehörde zuerst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff „Einhebung nach der Lage des Falles unbillig“ entspricht.
Verneint sie diese Frage, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr, demnach ist der Antrag abzuweisen (vgl. VwGH 2013/15/0173).
Bejaht sie dagegen eine Unbilligkeit, so erfließt daraus ebenso wenig bereits zwingend eine Abgabennachsicht, denn diesfalls hat die Abgabenbehörde im Rahmen einer umfassenden Ermessensabwägung erst zu prüfen, ob die besonderen Umstände des Einzelfalls so schwer wiegen, dass dem Abgabepflichtigen im konkreten Fall der Nachsichtsweg - und gegebenenfalls in welchem Umfang (Vertrauensschaden) – offensteht (VwGH 2011/15/0050).
Nicht verwaltungsökonomische Erwägungen, sondern besondere rechtliche oder wirtschaftliche Gegebenheiten auf der Seite des Abgabepflichtigen sollen maßgebend dafür sein, Härten, zu denen auch Existenzgefährdungen zählen, im Einzelfall zu vermeiden (VwGH 94/13/0044).
Ein Vermögensverlust für sich allein stellt keinen Grund für eine Abgabennachsicht dar. Dabei ist es unerheblich, ob der Verlust durch einen Schicksalsschlag oder durch (grobes) menschliches Fehlverhalten herbeigeführt wurde und ob mit ihm gerechnet werden konnte, oder ob er völlig unerwartet eingetreten ist. Eine Abgabennachsicht dient nämlich nicht dazu, einen außersteuerlich erlittenen wirtschaftlichen Nachteil ganz oder teilweise auszugleichen. Nur dann, wenn sich durch die Vermögenseinbuße oder durch andere Ereignisse die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Abgabepflichtigen derart verschlechtern, dass ihm die Entrichtung von Abgaben nicht mehr zugemutet werden kann, liegen Gründe vor, die die Abgabeneinhebung aus persönlichen Gründen als unbillig erscheinen lassen können (VwGH 92/13/0125).
Dem Gesetzesbegriff „Billigkeit“ ist die Bedeutung von „Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei“, und den Begriff „Zweckmäßigkeit“ die Bedeutung „öffentliches Interesse, insbesondere an der Einbringung der Abgaben“ beizumessen (VwGH 83/17/0159). Bei Abwägung dieser Interessen ist nicht nur darauf Bedacht zu nehmen, welchem Interesse im Einzelfall an sich Priorität einzuräumen wäre, sondern es muss die Ermessensentscheidung auch tatsächlich geeignet sein, jenen Effekt herbeizuführen, der dem als vorrangig erkannten Interesse entspricht, d. h dass eine drohende Existenzgefährdung nur dann eine Nachsicht nach § 236 Abs 1 BAO rechtfertigt, wenn die wirtschaftliche Existenz gerade durch die Einbringung der betreffenden Abgaben gefährdet ist und mit einer Abgabennachsicht die Existenzgefährdung abgewendet werden könnte (VwGH 89/14/0196).
Im gegenständlichen Fall trat aufgrund eines Leitungsschadens ein besonders hoher Wasserverbrauch von 10.425 m³ auf wurde darauf hin eine Wasserbezugsgebühr in Höhe von € 25.183,32 (inkl. 10% USt) mit Bescheid vom 8. August 2018 festgesetzt.
Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Antrag dargelegt, dass die gänzliche Einhebung dieser Wasserbezugsgebühr sie existentiell gefährden würde und daher um Nachsicht angesucht.
Eine sachliche Unbilligkeit liegt nicht vor, wenn sie ganz allgemein die Auswirkung genereller Normen ist (etwa VwGH vom 22.3.1995, ZI 93/15/0072). Der gemessene Wasserverbrauch im Jahr 2017 von 10.425 m³ stellt einen erheblichen, unerwarteten und atypisch hohen Mehrverbrauch dar. Auch blieb dieser Leitungsschaden auf der Liegenschaft der Beschwerdeführerin längere Zeit unentdeckt und wurde erst durch die Vorschreibung bzw. die Ablesung des Standes des Wasserzählers entdeckt.
Da im gegenständlichen Fall eine Unbilligkeit vorliegt kommt eine Nachsicht dem Grunde nach in Betracht.
3.1.3. Zum Ausmaß der Nachsicht
Im Hinblick auf die Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei ist zu berücksichtigen das geringe Einkommen, welches nur knapp über der monatlichen Existenzgrundlage liegt, der Umstand, dass der Wert der lastenfreien Liegenschaft zwar die gegenständliche Wassergebühr übersteigt, jedoch der einzige Vermögensgegenstand der Beschwerdeführerin ist, der einen nennenswerten Wert hat, sowie der Umstand, dass eine gänzliche Bezahlung dieser Abgabe aus Finanzmitteln über der Existenzgrundlage somit in einem sinnvollen Zeitraum nicht möglich wäre.
Dem Vorbringen, der Wasserverbrauch wegen eines Rohrbruches habe überhaupt nicht bemerkt werden können, da bis heute unerklärlich sei, wohin das Wasser versickert sei, ist entgegenzuhalten, dass die Beschwerdeführerin über einen Zeitraum von mehreren Monaten nicht bei der Liegenschaft war und der Haupthahn nicht abgedreht wurde. Dies wäre möglich und zumutbar gewesen und hätte damit der Schaden von vorne herein verhindert werden können. Dieses Versäumnis ist der Beschwerdeführerin als Sorgfaltswidrigkeit anzulasten.
Das öffentliches Interesse, insbesondere an der Einbringung der Abgaben, besteht bei der Wasserbezugsgebühr darin, dass mit dieser Abgabe die Wasserversorgung in der Gemeinde finanziert und damit sichergestellt wird.
Gemäß § 10 Abs. 5 NÖ Gemeindewasserleitungsgesetz ist die die Höhe der Grundgebühr (als Berechnungsparameter für die Wasserbezugsgebühr) in Euro pro Kubikmeter so festzusetzen, dass der voraussichtliche Jahresertrag an Wasserversorgungsabgaben und Wassergebühren den für die Erhaltung und den Betrieb der Gemeindewasserleitung sowie die Verzinsung und Tilgung der Anlagekosten erforderlichen voraussichtlichen doppelten Jahresaufwand nicht übersteigt. Eine Nichteinhebung bei einzelnen Abgabepflichtigen hat zur Folge, dass kalkulierte Einnahmen ausbleiben und letztlich auf die anderen Abgabepflichtigen umgelegt werden müssen.
Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Gemeinde das Wasser nicht nur aus einer eigenen Quelle bezieht, sondern Wasser zukaufen muss. Durch den Mehrverbrauch war mehr Wasser von der Gemeinde zuzukaufen.
Festzuhalten ist, dass für eine Nachsicht keine Untergrenze besteht, insbesondere stellen die Selbstkosten der Gemeinde keine absolute Untergrenze für eine Nachsicht dar. Vielmehr ist bei der Abwägung der Interessen zu berücksichtigen, dass, je höher der nachgesehene Betrag ist, umso mehr Kosten auf die anderen Abgabepflichtigen überwälzt werden (vgl. VwGH 90/14/0065).
Die gänzliche Nachsicht der festgesetzten Abgabe kommt in Anbetracht des sorgfaltswidrigen Verhaltens der Beschwerdeführerin nicht in Betracht.
In Abwägung der Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei und dem öffentlichen Interesse an der Einbringung der Abgaben war das Ausmaß der Nachsicht spruchgemäß zu ändern. Damit wird die durch eine vollständige Einhebung der Abgabe drohende wirtschaftliche Existenzgefährdung abgewendet, wenngleich die Abgabe in der verbleibenden Höhe immer noch für die Beschwerdeführerin eine erhebliche wirtschaftliche Herausforderung darstellt. Eine weitergehende Nachsicht kam aber unter Berücksichtigung des Vorgehens der Beschwerdeführerin und dem öffentlichen Interesse auf Einhebung der Abgabe (Umlegung auf die anderen Abgabepflichtigen) nicht in Betracht.
3.2. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Schlagworte
Finanzrecht; Wasserbezugsgebühr; Abgabenschuldigkeiten; Nachsichtsantrag; Unbilligkeit; Ermessen; Interessenabwägung; Angemessenheit; Ausmaß;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.AV.1007.001.2020Zuletzt aktualisiert am
27.09.2021