TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/19 W187 2182852-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.05.2021
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Entscheidungsdatum

19.05.2021

Norm

AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W187 2182852-2/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Dr. Benno WAGENEDER, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis IV. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 9 Abs. 1 Z 1, 9 Abs 4, 8 Abs 4, 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

III.     XXXX wird gemäß § 54 Abs 1 Z 1, § 58 Abs 2 iVm § 55 Abs 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.

IV.      Die Spruchpunkte VI. und VII. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Jedoch wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 bis zum XXXX (gemeint: XXXX ) erteilt (Spruchpunkt III.).

Die belangte Behörde stellte im Bescheid vom XXXX fest, der Beschwerdeführer sei im Iran aufgewachsen, sein Vater stamme aus der afghanischen Provinz Ghor. Der Beschwerdeführer gehöre der Volksgruppe der HazaRa an und bekenne sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Er leide an keiner Lebensbedrohlichen Krankheit. Im Fall einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat drohe dem Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung. Allerdings bestünden Gründe für die Annahme, dass für den Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan keine ausreichende Lebenssicherheit bestehe. In der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde dazu aus, der Beschwerdeführer sei minderjährig, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass er in Afghanistan alleine für seine Grundbedürfnisse sorgen könne, zumal er noch nie alleine in seinem Herkunftsstaat gelebt habe. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei daher im Fall des Beschwerdeführers nicht zumutbar und werde von der Behörde nicht in Betracht gezogen. In der rechtlichen Beurteilung dieses Bescheides begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Zuerkennung von subsidiärem Schutz wie folgt:

„[…] Aufgrund Ihrer Minderjährigkeit kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass Sie alleine für Ihren Unterhalt sorgen können, erscheint Ihre Existenzgrundlage in Ihrem Herkunftsstaat als gefährdet, weshalb eine Verbringung nach Afghanistan die Verletzung von Art. 3 EMRK bewirken würde.“

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

3. Mit Berichtigungsbescheid vom XXXX wurde der Bescheid vom XXXX , in seinem Spruchpunkt III. dahingehend berichtigt, dass dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 bis zum XXXX erteilt wird.

4. Mit Schreiben vom XXXX erhob der Beschwerdeführer gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom XXXX , fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Diese Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Gegen dieses Erkenntnis erhoben weder der Beschwerdeführer noch die belangte Behörde Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Das Erkenntnis vom XXXX ist daher rechtskräftig.

5. Mit Schreiben vom XXXX stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs 4 AsylG 2005. Begründend führte er aus, die Voraussetzungen für die Verlängerung seines Aufenthaltsrechtes würden vorliegen.

6. Die belangte Behörde leitete mit Aktenvermerk vom XXXX ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gegen den Beschwerdeführer ein. Begründend wurde festgehalten, im Zuge der Prüfung hinsichtlich der Erteilung der Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 hätten sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung infolge geänderter persönlicher Umstände (Eintritt der Volljährigkeit) nicht mehr vorliegen. Es sei daher von einer Erfüllung des Tatbestandes gemäß § 9 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 auszugehen.

7. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und einer Vertrauensperson des Beschwerdeführers niederschriftlich zur Prüfung eines Aberkennungsverfahrens einvernommen. Hier gab der Beschwerdeführer an, er stehe nicht in ärztlicher Behandlung und nehme keine Medikamente. Er sei ledig, lebe nicht in einer Lebensgemeinschaft und habe keine Kinder. Zu seinen Familienverhältnissen führte er aus, er habe in Afghanistan keine Verwandten. Seine Eltern und seine Geschwister würden im Iran leben. Der Vater des Beschwerdeführers habe Probleme mit dem Knie und dem Rücken und könne nicht arbeiten. Sein jüngerer Bruder sammle Früchte, sein älterer Bruder fertige Schläuche für Shishas an. Auch seine Mutter arbeite. Dennoch sei die finanzielle Lage der Familie derzeit sehr schlecht. Der Beschwerdeführer habe unregelmäßigen Kontakt zu seiner Familie im Iran. In Österreich lebe ein Cousin des Beschwerdeführers, mit dem er jedoch nicht in Kontakt stehe. Zu seinem Lebenslauf gab der Beschwerdeführer an, er habe im Iran bis zur vierten oder fünften Schulstufe eine Schule für Afghanen besucht. Nebenbei habe er drei Jahre als Schneider gearbeitet. Befragt zu seinem Leben in Österreich schilderte der Beschwerdeführer, dass er derzeit eine Lehre als Maurer absolviere und sich im zweiten Lehrjahr befinde. Seinen Lebensunterhalt bestreite er von der Lehrlingsentschädigung. Zu seinen Zukunftsvorstellungen gab er an, er würde gerne Polier werden und später vielleicht Baumeister. Derzeit sei er nicht ehrenamtlich tätig, er habe jedoch bereits freiwillig im Tierheim XXXX gearbeitet. Weiter habe er in Österreich Deutschkurse bis Niveau B1 Teil 2 besucht. Er wohne gemeinsam mit einem Freund in einer Privatwohnung. In seiner Freizeit treffe sich der Beschwerdeführer mit Freunden, mit welchen er gerne Fußball spiele oder schwimmen gehe. Außerdem spiele er Sitar (ein Musikinstrument). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Beschwerdeführer darauf hin, dass ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund seiner Minderjährigkeit in Ermangelung eines Sozialsystems, welches ihn bei der Befriedigung seiner Grundbedürfnisse unterstützen hätte können, zuerkannt worden sei. Nunmehr würden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dies nicht mehr der Fall sei und der Beschwerdeführer nach Afghanistan zurückkehren könne. Er sei ein volljähriger arbeitsfähiger Mann und könne sich in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat niederlassen. Der Beschwerdeführer gab dazu an, er befürchte im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan, aufgrund seines persischen Akzentes Probleme zu bekommen. Zudem habe er nie in Afghanistan gelebt und kenne die Kultur nicht. Um eine Arbeitsstelle zu finden brauche man in Afghanistan Kontakte, die er nicht habe. Auch befürchte er, keine Unterkunft zu finden.

8. Am XXXX langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zur Länderberichtslage in Afghanistan bei der belangten Behörde ein. Der Beschwerdeführer verwies auf mehrere ergänzende Länderberichte und brachte im Wesentlichen vor, er könne weder auf finanzielle Unterstützung durch seine Familie zurückgreifen, noch verfüge er über ein soziales Netzwerk in Afghanistan. Das Erreichen der Volljährigkeit stelle kein Ereignis dar, das für sich genommen eine Änderung der Sach- und Rechtslage begründen könne. Im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan wäre der Beschwerdeführer der Gefahr ausgesetzt, Opfer willkürlicher Gewalt im Rahmen des bewaffneten Konflikts zu werden. Es könne in keinem Gebiet in Afghanistan von langfristiger Sicherheit ausgegangen werden.

9. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX , zugestellt am XXXX , wurde dem Beschwerdeführer der ihm mit Bescheid vom XXXX , zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und ihm die mit Bescheid vom XXXX erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Der Antrag des Beschwerdeführers vom XXXX auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt III.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt IV.). Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt V) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt VI). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund der nicht garantierten Versorgung im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan zuerkannt worden sei. Diese Einschätzung habe sich auf die damalige Minderjährigkeit und die damit verbundene Gefahr, dass der Beschwerdeführer nicht für seinen Lebensunterhalt sorgen könne, sowie auf das Fehlen von sozialen oder familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsland, also Personen oder Institutionen, welchen ihn als Minderjährigen aufnehmen und versorgen hätten können, gestützt. Aufgrund der damaligen Minderjährigkeit des Beschwerdeführers habe in Ermangelung sozialer Anknüpfungspunkte in Afghanistan die Gefahr bestanden, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan in eine ausweglose Lage geraten könnte. Diese Gründe seien nun nicht mehr gegeben, da sich die subjektive Lage des Beschwerdeführers dahingehend geändert habe, dass er nunmehr volljährig sei. Es handle sich beim Beschwerdeführer nicht mehr um einen unerfahrenen, auf Hilfe angewiesenen Jugendlichen, sondern um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, der grundsätzlich mit den Gegebenheiten und Gepflogenheiten im Heimatland, bedingt durch die Sozialisierung im afghanischen Familienverband, vertraut sei. Zudem habe der Beschwerdeführer in den letzten XXXX Monaten an Reife, Lebens- und Berufserfahrung in einem für ihn fremden Umfeld dazugewonnen. So absolviere er seit XXXX eine Lehre zum Maurer in XXXX , habe sich neue Sprachkenntnisse angeeignet und seine Bildung verbessert. Diese neu erworbenen Fähigkeiten könnten dem Beschwerdeführer bei der Arbeitssuche in seinem Herkunftsstaat von Nutzen sein. Die belangte Behörde gehe davon aus, dass dem Beschwerdeführer eine Niederlassung in einer afghanischen Großstatt nunmehr auch ohne familiäre Anknüpfungspunkte und Ortskenntnisse zumutbar sei. Zwar handle es sich bei der Heimatprovinz des Beschwerdeführers (Ghor) um eine der volatilen Provinzen Afghanistans. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten sei dem Beschwerdeführer daher gemäß § 9 Abs 1 AsylG 2005 abzuerkennen gewesen.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

10. Mit Schreiben vom XXXX erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung fristgerecht vollumfängliche Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie wegen mangelnder Beweiswürdigung durch die belangte Behörde.

Der Beschwerdeführer führte im Wesentlichen zusammengefasst aus, im Vergleich zu den dem Bescheid des Bundesamtes vom XXXX zugrunde gelegten Länderfeststellungen sei eine dauerhafte und nachhaltige Änderung der Lage in der ursprünglichen Heimatprovinz des Beschwerdeführers sowie an den Orten einer in Betracht kommenden innerstaatlichen Fluchtalternative, die im Übrigen erst nach einem angemessenen Beobachtungszeitraum feststellbar wäre, aus den im angefochtenen Bescheid angeführten Länderberichten nicht erkennbar. Zudem verfüge der Beschwerdeführer nach wie vor über keine familiären oder sonstigen sozialen Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Auch die Familie des Beschwerdeführers verfüge über keinerlei Kontakte oder Informationen, die bei einer Neuansiedelung des Beschwerdeführers helfen könnten. Eine Änderung der persönlichen Umstände sei ebenfalls nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer habe gleichbleibend angegeben, über keine sozialen Anknüpfungspunkte in Afghanistan zu verfügen. Er habe bereits im Iran die Schule besucht. Die Angaben zu seiner Berufserfahrung als Schneider im Iran müssten auch im Zusammenhang mit dem jungen Alter des Beschwerdeführers gesehen werden. Er habe dort als Hilfsarbeiter gearbeitet und keine umfassenden Kenntnisse als Schneider erworben. Maßgebliche Berufserfahrung habe der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Lehrstelle zum Maurer gemacht. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan wäre der Beschwerdeführer auf sich alleine gestellt. Er verfüge nach wie vor über keine Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen oder traditionellen Gegebenheiten, was die Suche nach einem Arbeitsplatz sowie Wohnraum erschweren würde. Dass die in Österreich erworbene Lebenserfahrung hier maßgeblich helfen würde, sei nicht anzunehmen

11. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch die belangte Behörde zur Entscheidung vorgelegt.

12. Am XXXX langte eine Vollmachtsbekanntgabe von Dr. Benno WAGENEDER, Rechtsanwalt, für den Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht ein.

13. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde mit Schreiben vom XXXX das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 13.11.2019) zur Stellungnahme.

14. Der Beschwerdeführer äußerte sich dazu mit Schriftsatz vom XXXX . Im Wesentlichen zusammengefasst führte der Beschwerdeführer aus, das Länderinformationsblatt sei hinsichtlich des Friedens- und Versöhnungsprozesses nicht mehr aktuell. Die Zukunft Afghanistans sei nach wie vor unsicher. Ein Friedensabkommen würde zwangsläufig bedeuten, dass die Taliban an der Regierung und der Verwaltung beteiligt wären.

15. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom XXXX wurde die gegenständliche Rechtssache der erkennenden Gerichtsabteilung zugewiesen.

16. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte mit Ladung vom XXXX eine mündliche Verhandlung für den XXXX an, übermittelte den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan, darunter insbesondere das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 1.4.2021, Version 3), und gab ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme.

17. Die belangte Behörde teilte dem erkennende Gericht mit Schreiben vom XXXX mit, dass ein informierter Vertreter an der Beschwerdeverhandlung teilnehmen werde.

18. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seines ausgewiesenen Rechtsvertreters, eines Dolmetschers für die Sprache Dari und eines Vertreters der belangten Behörde vom erkennenden Richter zu seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Weiter wurde XXXX , Bauleiter im Betrieb, in dem der Beschwerdeführer als Lehrling beschäftigt ist, als Zeuge befragt.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

[…]

Richter: Verstehen Sie den Dolmetscher gut?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja und ich bin gesund.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Nein.

[…]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ja, beim BFA habe ich leider keinen guten Dolmetscher/in gehabt. Deshalb musste ich selber sprechen. Ansonsten ging alles normal.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Ich bin in der Stadt XXXX am XXXX geboren.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich spreche Farsi, Deutsch und ein bisschen Englisch.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin ledig. Meine Religion ist schiitischer Moslem und ich bin Hazara.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich im Iran aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Soweit ich mich erinnere, von meinem XXXX Lebensjahr bis zu meinem XXXX Lebensjahr bin ich zur Schule gegangen. Es war keine offizielle Schule, sondern eine Schule, die für Migranten oder Flüchtlinge gedacht war. Danach bin ich sowohl zur Schule gegangen und habe meinem Vater bei der Arbeit geholfen. Das heißt ich bin den halben Tag zur Schule gegangen und habe einen halben Tag gearbeitet. Die ersten zwei Jahre habe ich bei meinem Vater gearbeitet und danach habe ich in einer Schneiderei als Schneider gearbeitet. Unsere Werkstatt war leider so, dass die Jungs und Mädels zusammen waren und zusammengearbeitet haben. Einmal habe ich meine Arbeit schneller als geplant fertig gehabt. Deshalb hatte ich nichts zu tun. Eine Kollegin hat mir vorgeschlagen, diese Zeit zu nutzen, um einen Spaziergang zu unternehmen. Wir sind zu einem Vergnügungspark gegangen. Ich war auf einer Rutsche. Wir haben miteinander gesprochen und gespielt, als ein Mann mit einem Motorrad zu uns kam. Das waren zwei Leute. Die zwei haben das Mädchen nicht mitgenommen, sie haben sie nur einmal geohrfeigt und nachhause geschickt, sie aber nicht mitgenommen. Sie haben mich zu einem Ort gebracht. Das war eine Grenze zwischen den beiden Teilen der Stadt, am Rande der Stadt. Sie haben mich dreimal geohrfeigt und fragten mich, was ich mit ihrer Schwester zu tun hätte. Ich sagte ihnen, dass sie nur eine Mitarbeiterin von mir ist und wir nur zusammenarbeiten. Die zwei haben es so geplant, dass einer mich jedes Mal geohrfeigt hat und der andere mich gefragt hat. Auf einmal hat mich einer von ihnen mit einem Messer gestochen. Ich bin auf den Boden gefallen. Einer von ihnen hat versucht, meinen Gürtel aufzumachen. Deshalb habe ich so laut geschrien, wie ich konnte. In der Nähe haben einige ältere Herren gearbeitet und haben die zwei bemerkt. Die zwei haben mit der Angst zu tun bekommen und sind weggegangen. Ich war in einem gesundheitlichen Zustand, dass ich in jeder Sekunde mein Bewusstsein hätte verlieren können. Als ich meine Augen aufgemacht habe, habe ich mich zuhause befunden und mein Vater war bei mir anwesend. Zwei, drei von diesen älteren Herren, die in der Nähe waren, als das geschah, waren auch bei uns zuhause. Ein Arzt ist auch anwesend gewesen. Der Arzt hat letztendlich mit meinem Vater etwas gesprochen und ist weggegangen. Ich konnte es nicht sehr gut hören, meine Hörfähigkeit funktionierte nicht sehr gut an diesem Tag. Mein Vater fragte mich dann, warum man mich mit einem Messer angegriffen hat. Ich hatte große Achtung bzw. Angst vor meinem Vater und konnte nicht darüber sprechen, dass es wegen einer Mitarbeiterin passiert ist. Ich habe ihm nichts gesagt. Ich habe meinem Vater gesagt, dass die zwei mich angegriffen und geschlagen haben. Den Grund weiß ich auch nicht. Dann sagte mein Vater, wenn das geschehen ist, ist es für mich sehr gefährlich. Ich musste nach XXXX gehen zu einem Freund meines Vaters namens XXXX . Als ich dort angekommen bin, war die Wohnsituation sehr schlecht. Das Gebäude war eine Art Baustelle. Dort wohnten nur erwachsene Männer. Das hat mir nicht so gut gefallen. Natürlich hat XXXX auf mich aufgepasst, weil er der beste Freund meines Vaters war. Ich bin ca. 3 Jahre lang dort gewesen. XXXX hat auf mich aufgepasst, aber ich durfte nicht alleine hinausgehen. Manchmal aber bin ich hinaus gegangen mit XXXX zusammen, wenn er z.B. etwas einkaufen wollte. Nach dieser besagten Zeit hat mein Vater den Meister XXXX angerufen und sagte ihm, dass er das Geld bereit hätte und er mich „schicken“ könne. Nach ein paar Tagen ist ein Schlepper zu uns gekommen. Dann hat dieser Schlepper mich mit einem Auto zur türkischen Grenze XXXX gebracht. Bis nach Österreich war ich mit diesem Schlepper zusammen.

Richter: In welcher Stadt haben Sie als Schneider gearbeitet?

Beschwerdeführer: Das war in XXXX An diesem Tag, an dem wir gespielt haben, der Park hieß XXXX Dieser Ort oder dieser Teil am Rande der Stadt heißt XXXX .

Richter: Wie haben Sie im Iran gewohnt?

Beschwerdeführer: Mit der Familie habe ich zusammengelebt in einer Mietwohnung. Das heißt, wir haben im oberen Geschoss gelebt und der Besitzer hat im Erdgeschoss gelebt. Bei Meister XXXX war es kein richtiges Haus, sondern eine Baustelle.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Sie leben in der Stadt XXXX im Ort XXXX Ich habe einen älteren Bruder. Ich glaube er ist seit 2-3 Jahren auch verheiratet. Er hat auch mit meinem Vater zusammengearbeitet. Mein Vater geht es gesundheitlich nicht sehr gut. Er arbeitet zwar aber versucht auf seine Gesundheit zu schauen. Ich habe auch zwei jüngere Brüder und natürlich meine Mutter. Der Bruder nach mir ging auch arbeiten und der jüngste hatte einen Englisch-Kurs. Ich habe ihn beraten, diesen Kurs zu machen. Meine Schwester ist auch nicht gesund, sie ist krank. Das heißt, zu einer gewissen Zeit muss ein Arzt nachhause kommen, um sie zu untersuchen. Ich glaube, dass sie deshalb auch keine gute wirtschaftliche Situation haben. So sieht, soweit ich weiß, ihr Leben aus.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Ja. Alle zwei bis drei Monate haben wir Kontakt. Sie haben keine guten Internetmöglichkeiten und wenn ich anrufe, muss ich das Internet verwenden.

Richter: Haben Sie in Afghanistan oder im Iran Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: In Afghanistan nicht, aber im Iran würde ich sagen, habe ich welche gehabt, aber jetzt nicht mehr. Das ist deshalb, weil die Beziehung meines Vaters zur Familie meiner Mutter nicht gut ist. Als Beispiel: Als ich früher mit meinen Verwandten mütterlicherseits gespielt habe, hat mein Vater mir davon abgeraten oder war sogar böse. Umgekehrt, wenn ich mit meinen Verwandten väterlicherseits versucht habe, Kontakt zu haben, war meine Mutter böse. Es war keine gute Situation. Meine Mutter hat mich deshalb zwar nicht geschlagen aber hat gesagt, dass ich nicht zu diesen Leuten gehen soll, weil sie zu meinem Vater gehören. Deshalb habe ich versucht, mit den Jungs, die dort lebten, zu spielen, weil ich mit den Verwandten nicht zusammen sein durfte.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Gottseidank habe ich die Zeit, die ich hier lebe, genossen. Zuerst muss ich die Planierung loben, weil die Leute wissen, was sie arbeiten sollen, wann sie frei haben und genießen ihre Wochenenden. Zumindest, wenn du hinausgehst, fragt dich niemand, wo du hingehst. Diese Freiheit genieße ich. Wenn ich mich an den Iran erinnere, ich habe mit diesem Mädchen nichts gemacht, wir haben nur in einer Werkstatt gearbeitet. Wir waren auch nicht in einem Alter, in dem wir was tun konnten. Wir waren Kinder. Hier habe ich eine Freundin gehabt, Sie hat XXXX geheißen. Vor 4 oder 5 Monaten haben wir unsere Beziehung zu Ende gebracht. Sie war der Meinung und ich habe gesagt, dass wenn sie es nicht mehr weiter will, wir es lassen sollten. Wenn ich das mit dem Iran vergleiche, dort darf ich keine Freundin haben. Das ist dort nicht möglich, dass ich über die Gefühle zu einem Mädchen spreche. Auf der anderen Seite fühle ich mich auch ein bisschen frei, weil mir meine Mutter nicht mehr abrät mit den Verwandten väterlicherseits Kontakt zu haben und mein Vater mir nicht mehr abrät mit den Verwandten mütterlicherseits zu spielen.

Richter: Wie verbringen Sie Ihre Zeit in Österreich?

Beschwerdeführer: Am Wochenende war immer das Fußballspielen angesagt, damit meine ich, bevor die Coronakrise angefangen hat. Zurzeit geht das Fußballspielen deshalb nicht. Ich gehe auch gerne schwimmen. Ein paar Freunde von mir können sehr gut Gitarre spielen. Wir gehen dann hinaus um Gitarre zu spielen und Musik zu hören. Ich ging auch gerne ins Kino. Manchmal bin ich auch einkaufen oder shoppen gegangen.

Richter: Wie verbringen Sie Ihre Zeit, wenn gerade nicht Wochenende ist?

Beschwerdeführer: Jeden Tag 10 Minuten vor 06.00 Uhr wache ich auf, mache Frühstück, gehe zur Arbeit. Von 06:45 Uhr bis 16:00 Uhr arbeite ich normal. Ich habe zurzeit auch einen B1 Plus Kurs.

Richter: Was arbeiten Sie?

Beschwerdeführer: Ich bin Lehrling für den Beruf als Maurer im dritten Lehrjahr.

Richter: Wann würden Sie die Lehre abschließen können, wenn alles nach Wunsch läuft?

Beschwerdeführer: Am XXXX .

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja. Ich habe viele Freunde unter meinen Arbeitskollegen in der Lehre. Ich habe viele Freunde von der Berufsschule. Ich habe einige Freunde vom Flüchtlingsheim, in dem ich früher gelebt habe. Ich habe einige Freunde in einem Lehrlingsheim, in dem ich damals 1 Jahr gelebt habe. Ich habe einige Freunde vom Projekt „ XXXX “.

Richter: Wie wohnen Sie derzeit?

Beschwerdeführer (Auf Deutsch): Jetzt wohne ich alleine in XXXX in der XXXX . Dort bin ich neu hingezogen. Ich zahle 550 € Miete und wohne alleine. Es ist ungefähr 40 m² groß.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer (Auf Deutsch): Nein, zum Beispiel am Wochenende bin ich mit meinen Freunden unterwegs. Wegen der Arbeit kann ich nicht zu einem Verein gehen.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer (Auf Deutsch): Leider hatte ich einmal welche. Das war das erste und letzte Mal.

Richter: Wenn Sie in Österreich bleiben könnten, wie würden Sie Ihr Leben gestalten wollen? Was würden Sie in der Zukunft machen wollen?

Beschwerdeführer (Auf Deutsch): Zuerst möchte ich meinen Führerschein machen, ich möchte ein Auto kaufen und später vielleicht eine Wohnung oder ein Haus kaufen. Ich möchte meine Arbeit bis zum Facharbeiter machen.

Richter: Wodurch wären Sie in Afghanistan aktuell bedroht?

Beschwerdeführer: Wenn ich dorthin zurückgehen muss, was ich mir überhaupt nicht vorstellen kann, würde ich es so ausdrücken, dass ich diese Möglichkeiten, die ich hier habe, dort sicher nicht habe oder die Freiheit die ich hier habe. Meine Meinung kann ich dort nicht äußern. Ich kann dort nicht mit meiner Freunde Hände halten und auf der Straße gehen. Ich sehe dort ehrlich gesagt keine Zukunft für mich.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Wenn ich nach Afghanistan gehen müsste, zuerst kenne ich die Sprache nicht. Zweitens gibt es dort Leute, die mich dort nicht anerkennen. Ich bin solchen Leuten auch in Österreich begegnet. Sie nennen mich „ XXXX “. Deshalb kann ich dort auch nicht leben und nicht überleben. Noch wichtiger ist für mich, dass ich dort nicht überleben kann, ist der Mangel meiner Information über den Islam, weil ich mit XXXX Jahren nach Österreich ging. Afghanistan hat eine sehr konservative Bevölkerung. Wenn ich dort zum Islam etwas gefragt werde und ich die Antwort nicht parat habe, weiß ich nicht, was dann geschieht. Bis zum heutigen Tag kann ich mir keine Antwort geben, warum ich wegen dieser Mitarbeiterin mit einem Messer angegriffen wurde.

Rechtsvertreter des Beschwerdeführers: Sie haben etwas von einer XXXX erwähnt. Wann gab es diese Beziehung mit XXXX bzw. gibt es sie noch?

Beschwerdeführer: Sie hat mit mir Schluss gemacht.

Rechtsvertreter des Beschwerdeführers: Wie lange waren Sie mit ihr zusammen?

Beschwerdeführer: Ich war ungefähr 4 Monate mit ihr zusammen.

Rechtsvertreter des Beschwerdeführers: Was haben Sie mit ihr gemacht?

Beschwerdeführer: Wir sind an der XXXX spazieren gegangen. Wir haben an der XXXX Bier getrunken. Wir sind mit der U-Bahn auf den XXXX gefahren. Sie wollte ein paar Mal zu mir nachhause kommen aber in meiner Wohnung waren immer zwei, drei Leute, deswegen ging das nicht. Deshalb hat sie mit mir Schluss gemacht.

Rechtsvertreter des Beschwerdeführers: Welche Feste feiern Sie im Laufe eines Jahres?

Beschwerdeführer: Weihnachten, Ostern, Halloween. Wir hatten am Tag der Arbeit frei vorige Woche.

Rechtsvertreter des Beschwerdeführers: Feiern Sie das Eid-Fest? Feiern Sie muslimische Feste?

Beschwerdeführer: Nein.

Rechtsvertreter des Beschwerdeführers: Woran glauben Sie persönlich?

Beschwerdeführer: Ich finde es gibt einen Gott. Ich kann nicht sagen wer Gott ist, das weiß ich auch nicht.

Vertreter der belangten Behörde: Sie haben eingangs gesagt, Sie können Farsi sprechen. Können Sie das lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ja.

Vertreter der belangten Behörde: Sie wurden in XXXX geboren. Haben Sie da mit Ihren Eltern und Geschwistern in einer Community gelebt, in einem Stadtteil, in dem sich Ihresgleichen befunden haben?

Beschwerdeführer (Auf Deutsch): Als ich nach Österreich gekommen bin, habe ich erst verstanden, dass ich HazaRa bin. Ich habe es erst in Österreich verstanden, dass es Paschtunen, Hazara, … gibt.

Vertreter der belangten Behörde: Sie sind in einem Umfeld aufgewachsen, in dem schon afghanische Verhältnisse und Gruppierungen gelebt haben?

Beschwerdeführer (Auf Deutsch): Ja.

Vertreter der belangten Behörde: Kennen Sie auch die Kultur? Sie haben im Bescheid auf Seite 7 angegeben: „Ich kenne die Kultur nicht.“

Beschwerdeführer: Ich kenne die iranische Kultur aber nicht die afghanische. In der Schule habe ich über die iranische Kultur gelernt. Wir haben solche Feiern nicht gefeiert, weil mein Vater Probleme mit dem Geld hatte.

Vertreter der belangten Behörde: Haben Sie bei einem Telefonat mit Ihren Angehörigen auch darüber erzählt, dass Sie eventuell nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Nein.

Um 13:32 Uhr wird Herr XXXX als Zeuge nach Belehrung vernommen.

Richter: Sie sind bei der XXXX beschäftigt. Welche Funktion haben Sie dort?

Zeuge: Bauleiter.

Richter: Welchen Bezug haben Sie zum BF?

Zeuge: Wir arbeiten viel miteinander. Ich als Bauleiter, der BF als Lehrling.

Richter: Welchen Eindruck haben Sie vom BF?

Zeuge: Mein Eindruck ist so, dass er sehr freundlich, zuverlässig und ein fleißiger Mitarbeiter ist. Die Vorarbeiter und Polier nehmen ihn sehr gerne auf die Baustellen mit. Er ist auch sehr zuvorkommend, offen und freundlich und auf jeden Fall eine Stütze in unserem Unternehmen.

Richter: Haben Sie auch außerhalb der Arbeit Kontakt zum BF?

Zeuge: Eigentlich nicht.

Richter: Wie kommt er mit seinen Kollegen aus?

Zeuge: Ich habe nichts Negatives gehört. Ich mache die Einteilung für das Personal. Da werde ich öfters gefragt, wo der BF ist und er wird von den Kollegen sehr geschätzt und gerne mitgenommen.

Richter: Der BF ist noch als Lehrling in Ihrem Unternehmen. Wer ist für die Lehrlingsausbildung zuständig?

Zeuge: Der Geschäftsführer namens Baumeister XXXX .

Richter: Sind Sie über seine fachlichen Fortschritte im Zuge der Lehre informiert?

Zeuge: Ja, ich kann sagen, dass er sich super entwickelt hat und sehr weit ist, für das 3. Lehrjahr. Ich kann auf jeden Fall sagen, dass er für das 3. Lehrjahr sicher sehr weit ist.

Richter: Wie viele Mitarbeiter hat das Unternehmen?

Zeuge: 55.

Richter: Wie viele Lehrlinge werden da gleichzeitig ausgebildet?

Zeuge: 3.

Rechtsvertreter des Beschwerdeführers: Aus welchen Ländern oder Nationen kommen Ihre 55 Mitarbeiter?

Zeuge: Rumänien, Bosnien, Kroatien, Iran, ...

Rechtsvertreter des Beschwerdeführers: Funktioniert das Zusammenarbeiten?

Zeuge: Ja, es gibt keine Probleme und funktioniert sehr gut.

Rechtsvertreter des Beschwerdeführers: Wie oft ist der BF im Krankenstand?

Zeuge: Er ist kaum bis gar nicht im Krankenstand. Ich könnte mich nicht erinnern, wann er das letzte Mal im Krankenstand war. Er ist relativ vorne dabei mit Anwesenheit und Nicht-Kranken-ständen.

Rechtsvertreter des Beschwerdeführers: Was kann er im Betrieb nach der Lehre werden?

Zeuge: Facharbeiter, Partiearbeiter bis hin zum Polier.

Rechtsvertreter des Beschwerdeführers: Wie kommt er von seiner Wohnung zum Betrieb?

Zeuge: Ich weiß es nicht genau aber ich glaube mit den öffentlichen Verkehrsmitteln.

Vertreter der belangten Behörde: Wie schätzen Sie das berufsschulische Vorankommen des BF ein? Ist es im Bereich des Möglichen, dass er positiv abschließt?

Zeuge: Absolut, ich habe keine Zweifel, dass er es nicht schafft. Er hat immer ein vernünftiges Zeugnis gehabt.

Richter: Würde das Unternehmen den BF weiter beschäftigen, nach Abschluss der Lehre?

Zeuge: Auf jeden Fall.

Richter: Wer ist in Ihrem Unternehmen für die Einstellung und sonstige Personalangelegenheiten zuständig?

Zeuge: Der Geschäftsführer Baumeister XXXX und ich.

[…]

Rechtsvertreter des Beschwerdeführers: Die beruflichen Chancen wie zum Beispiel als Partie-führer oder Polier hätte der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan in der derzeitigen politischen und wirtschaftlichen Situation nicht, weil dort gute Beziehungen vorrangig sind und er diese nicht hat.

[…]

Vertreter der belangten Behörde: Abschließend möchte ich nochmal auf den Leitsatz des Verfassungsgerichtshofes E 2068/2017 verweisen, in welchem dieser ausführt, dass schwierige Lebenssituationen bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche keine reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und daher keine Verletzung von Art. 3 EMRK dartut. Somit geht das Bundesamt davon aus, dass das Gericht diesem Erkenntnis folgen wird.

Der Beschwerdeführer und die belangte Behörde bringen nichts mehr vor.

Richter: Haben Sie den Dolmetscher gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja.“

Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers legte im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung drei Empfehlungsschreiben aus dem XXXX vor, welche zum Akt genommen wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und den Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist im Entscheidungszeitpunkt volljährig und Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der HazaRa an und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Dari bzw. Farsi. Er kann diese Sprache lesen und schreiben. Weiter spricht er ein wenig Englisch und bereits sehr gut Deutsch. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Die Familie des Beschwerdeführers stammt aus der afghanischen Provinz Ghor und verließ Afghanistan in den XXXX -Jahren nach der Machtübernahme durch die Taliban. Der Beschwerdeführer wurde im Iran geboren und wuchs in XXXX in einer Mietwohnung mit seinen Eltern, drei Brüdern und einer Schwester auf. Der Beschwerdeführer besuchte im Iran fünf Jahre eine afghanische Schule, half seinem Vater nebenbei zwei Jahre bei dessen Arbeit und arbeitete anschließend drei Jahre als Gehilfe in einer Schneiderei. Er verbrachte sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise Richtung Europa im Iran und war noch nie in seinem Herkunftsstaat Afghanistan.

Die Eltern des Beschwerdeführers und seine Geschwister leben nach wie vor in XXXX im Iran. Die Mutter des Beschwerdeführers sowie zwei seiner Brüder arbeiten und sorgen für den Lebensunterhalt der Familie. Der Vater des Beschwerdeführers ist wegen gesundheitlicher Probleme nur beschränkt arbeitsfähig. Die Schwester des Beschwerdeführers ist krank und auf medizinische Versorgung und regelmäßige ärztliche Kontrollen angewiesen. Die finanzielle Situation der Familie im Iran ist schlecht. Der Beschwerdeführer hat Kontakt mit seiner Familie im Iran. Ein Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers lebt ebenfalls in XXXX Der Beschwerdeführer verfügt über keine – allenfalls auch entfernten – Verwandten in Afghanistan. Er hat in Afghanistan kein soziales Netzwerk. Ein Cousin mütterlicherseits des Beschwerdeführers lebt in Österreich. Es besteht jedoch kein Kontakt.

1.2 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer gelangte im XXXX in das österreichische Bundesgebiet und stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Seither hält er sich durchgehend im Bundesgebiet auf.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis XXXX (gemeint: XXXX ) erteilt. Tragender Grund für die Gewährung des subsidiären Schutzes war die damalige Minderjährigkeit des Beschwerdeführers und seine daraus resultierende Vulnerabilität.

Der Beschwerdeführer hat seit seiner Einreise an mehreren Deutsch- und Integrations- bzw. Basisbildungskursen teilgenommen. Insbesondere legte er erfolgreich eine Deutschprüfung auf Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen ab und besuchte anschließend Deutschkurse bis Niveau B1 Teil 2. Der Beschwerdeführer spricht bereits sehr gut Deutsch und ist in der Lage, Gespräche in Deutsch zu führen. In der Berufsschule wurde der Beschwerdeführer im Schuljahr XXXX im Pflichtgegenstand „Deutsch und Kommunikation“ mit „Gut“ beurteilt. Derzeit besucht der Beschwerdeführer neben der Berufsschule einen Deutschkurs auf Niveau B1 Plus.

Seit seiner Einreise zeigte der Beschwerdeführer besonderes ehrenamtliches Engagement und arbeitete freiwillig bei mehreren Organisationen und Vereinen: So unterstützte er etwa im XXXX die Österreichischen Kinderfreunde, Ortsgruppe XXXX , beim Osterlager und engagierte sich von XXXX bis XXXX als Schneider im XXXX . Weiter war er im XXXX ehrenamtlich für die Organisation XXXX tätig. Zu seinen Aufgaben zählte das Nähen von kleinen Stoffsäcken, die anschließend bei einer vorweihnachtlichen Veranstaltung an Freiwillige als Dankeschön verteilt wurden. Hierbei fiel der Beschwerdeführer vor allem durch seine Hilfsbereitschaft, seinen Fleiß und sein Verantwortungsbewusstsein auf. Der Beschwerdeführer unterstützte auch den XXXX als Helfer beim Flohmarkt des Tierheims XXXX . Dabei zeigte er sich motiviert, verantwortungsvoll und verlässlich. Im XXXX unterstützte der Beschwerdeführer die Österreichischen Kinderfreunde, Ortsgruppe XXXX als Helfer.

Neben seinem sozialen Engagement war der Beschwerdeführer seit seiner Einreise auch sehr an seiner Weiterbildung interessiert und um seine wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit bemüht. Der Beschwerdeführer besuchte den Lehrgang des XXXX “ und bemühte sich erfolgreich um die Erlangung einer Lehrstelle: Seit XXXX absolviert der Beschwerdeführer eine Ausbildung im Lehrberuf Maurer bei der XXXX . Der Beschwerdeführer befindet sich derzeit im dritten Lehrjahr, das voraussichtliche Ausbildungsende ist der XXXX . Sein Lehrmeister betont in seiner Stellungnahme vom XXXX insbesondere, dass sich der Beschwerdeführer mehr als überdurchschnittlich gegenüber anderen Lehrlingen das Wissen und Praktiken im Lehrberuf Maurer angeeignet habe und die eigenen (fertig ausgebildeten) Lehrlinge anschließend im Betrieb weiterbeschäftigt würden. Der Beschwerdeführer habe auch seine Deutsch-Sprachkenntnisse deutlich verbessert und sei in der Lage, sich mit Kunden auf der Baustelle zu verständigen. Seit XXXX ist der Beschwerdeführer Schüler der Berufsschule XXXX , wo er sich fleißig zeigt und durch seine guten Umgangsformen auffällt. Die XXXX würde den Beschwerdeführer nach Abschluss seiner Lehre weiterhin beschäftigen. Neben seiner Lehre absolvierte der Beschwerdeführer im XXXX eine Ausbildung für das Führen von Hubstaplern an der XXXX und erlangte einen Staplerführerausweis. Der Beschwerdeführer bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist selbsterhaltungsfähig. Er lebt seit XXXX in einer Privatwohnung.

In seiner Freizeit nahm der Beschwerdeführer im XXXX und XXXX am Pfingstlager der Österreichischen Kinderfreunde, Ortsgruppe XXXX teil. Er verfügt in Österreich über einige soziale Kontakte – auch zu österreichischen Staatsbürgern – und ist bereits gut in die österreichische Gesellschaft integriert. Er trifft sich gerne mit Freunden, spielt mit ihnen Fußball oder geht schwimmen. Außerdem spielt der Beschwerdeführer Sitar (ein Musikinstrument). Der Beschwerdeführer plant, in naher Zukunft den Führerschein zu machen und zukünftig Polier und später Baumeister zu werden.

Unter Berücksichtigung der Persönlichkeitskonstellation des Beschwerdeführers, dessen Lebens- und Ausbildungsverlaufs seit seiner Einreise und seinen Zukunftsperspektiven ist von einer positiven Prognose auszugehen.

In Österreich lebt ein Cousin mütterlicherseits des Beschwerdeführers, zudem jedoch kein Kontakt besteht. Es leben keine weiteren Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers in Österreich. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Er ist im Wesentlichen gesund und arbeitsfähig.

1.3 Zur Änderung der Umstände seit der Gewährung von subsidiärem Schutz

Seit dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , mit welchem dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ist es zu keiner Verbesserung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan gekommen.

Der Beschwerdeführer ist jedoch im Vergleich zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid vom XXXX , älter und erfahrener. Der Beschwerdeführer hat Berufserfahrung gesammelt, sich weitergebildet, Zusatzqualifikationen erworben und selbständig soziale Kontakte geknüpft. Er ist zwischenzeitlich selbsterhaltungsfähig. Inzwischen hat der Beschwerdeführer auch seine Volljährigkeit erreicht und ist nunmehr ein selbstständiger junger Mann von XXXX Jahren. Die persönliche Situation des Beschwerdeführers stellt sich anders dar als im Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid vom XXXX .

Es ist daher eine nachhaltige maßgebliche Verbesserung der subjektiven bzw persönlichen Situation des Beschwerdeführers eingetreten. Die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes mit Bescheid vom XXXX , geführt haben, haben sich seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer wesentlich und nachhaltig verändert bzw verbessert.

1.4 Zur Rückkehrsituation des Beschwerdeführers

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers (Ghor) zählt zu den ärmsten und instabilsten Gegenden Afghanistans. Bewaffnete kriminelle Gruppen, Taliban-Aufständische und afghanische Regierungstruppen, die oft nicht klar voneinander abgegrenzt werden können, sind in der Provinz aktiv. Im Jahr 2020 nahm die Zahl ziviler Opfer gegenüber 2019 um 251 % zu. Hauptursachen für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper, gefolgt von Bodenkämpfen und Drohungen/Einschüchterung/Belästigung. Es werden regelmäßige Sicherheitsoperationen und Luftangriffe in der Provinz durchgeführt. Immer wieder kommt es zu Angriffen der Taliban auf Distriktzentren oder Sicherheitsposten der Regierung.

Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Ghor droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Hauptstadt Kabul ist von innerstaatlichen Konflikten und insbesondere stark von öffentlichkeitswirksamen Angriffen der Taliban und anderer militanter Gruppierungen betroffen. Kabul verzeichnet eine hohe Anzahl ziviler Opfer. Die afghanische Regierung führt regelmäßig Sicherheitsoperationen in der Hauptstadt durch.

Im Fall einer Niederlassung in Kabul droht dem Beschwerdeführer die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinzen Balkh und Herat zählten zu den relativ friedlichen Provinzen Afghanistans, die vom Konflikt relativ wenig betroffen sind. In Balkh hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren in einigen der abgelegenen Distrikte der Provinz verschlechtert, da militante Taliban versuchen, in dieser wichtigen nördlichen Provinz Fuß zu fassen. Die Taliban greifen nun häufiger an und kontrollieren auch mehr Gebiete im Westen, Nordwesten und Süden der Provinz. Anfang Oktober 2020 galt der Distrikt Dawlat Abad als unter Talibankontrolle stehend, während die Distrikte Char Bolak, Chimtal und Zari als umkämpft galten. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif ist davon jedoch wenig betroffen und gilt nach wie vor als vergleichsweise sicher. Im Jahr 2019 kam es beinahe monatlich zu kleineren Anschlägen mit improvisierten Sprengkörpern, meist in der Nähe der Blauen Moschee. Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Kriminalität in Mazar-e Sharif ein Problem. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif jedoch so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein.

Die Provinz Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen Afghanistans. Die Sicherheitslage auf Stadt- und Distriktebene unterscheidet sich voneinander. Während einige Distrikte, wie z.B. Shindand, als unsicher gelten, weil die Kontrolle zwischen der Regierung und den Taliban umkämpft ist, ist die Hauptstadt der Provinz – Herat (Stadt) – davon wenig betroffen. In Herat (Stadt) kam es in den letzten Jahren vor allem zu kriminellen Handlungen und kleineren sicherheitsrelevanten Vorfällen, jedoch nicht zu groß angelegten Angriffen oder offenen Kämpfen, die das tägliche Leben vorübergehend zum Erliegen gebracht hätten. Die sicherheitsrelevanten Vorfälle, die in letzter Zeit in der Stadt Herat gemeldet wurden, fielen meist in zwei Kategorien: gezielte Tötungen und Angriffe auf Polizeikräfte. Die Distrikte um die Stadt Herat stehen unter der Kontrolle der Regierung. Je weiter man sich von der Stadt Herat, die im Jänner 2019 als „sehr sicher“ galt, und ihren Nachbardistrikten in Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer ist der Einfluss der Taliban. Herat (Stadt) gilt trotz Anstiegs der Kriminalität nach wie vor als relativ sicher.

Sowohl Mazar-e Sharif in Balkh als auch Herat (Stadt) stehen unter Regierungskontrolle. Beide Städte verfügen über einen internationalen Flughafen, über den sie sicher erreicht werden können.

Für den Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) droht diesem nicht die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinzen Balkh und Herat waren im Jahr 2018 von einer Dürre betroffen. Durch die sozioökonomischen Auswirkungen der derzeit bestehenden COVID-19-Pandemie und dem damit einhergehenden Anstieg der Lebensmittelpreise hat die Ernährungsunsicherheit inzwischen wieder ein ähnliches Niveau erreicht wie während dieser Dürre. In Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) sind Ernährungssicherheit, Zugang zu Wohnmöglichkeiten, Trinkwasser und medizinische Versorgung jedoch grundsätzlich gegeben. Der Zugang zu einer medizinischen Versorgung in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) ist zwar aufgrund der derzeit bestehenden Pandemie durch das Corona-Virus beschränkt, jedoch grundsätzlich vorhanden. In Krankhäusern sind sogenannte „Fix-Teams“ stationiert, die verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort untersuchen und in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung stehen. in den Großstädten wurden einige der Regional- und Provinzkrankhäuser in Hinblick auf COVID-19 mit Test- und Quarantäneeinrichtungen ausgestattet. COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult. Die Arbeitslosigkeit im Herkunftsstaat ist hoch und Armut verbreitet. Aufgrund kurzfristiger Lockdowns kann auch die Möglichkeit, sich durch eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zeitlich begrenzt eingeschränkt sein. Gegenwärtig gibt es jedoch weder in Mazar-e Sharif, noch in Herat (Stadt) Ausgangssperren. Aktuell sind alle Grenzübergänge geöffnet. Die internationalen Flughäfen in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) werden aktuell international wie auch national angeflogen. Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden. Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten sind derzeit nur für Geschäftsreisende geöffnet, wobei Hotels bzw. Teehäuser nicht genau nachfragen, weil sie Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können. Seit Februar 2021 sind COVID-19-Tests in Afghanistan leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhielten, diese durchzuführen. Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen; bis zum 10.3.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht. Mit Stand 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet.

Im Fall einer Niederlassung des – inzwischen volljährigen, gesunden und arbeitsfähigen – Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) ist davon auszugehen, dass er sich – wenn auch nach anfänglichen Schwierigkeiten – eine Lebensgrundlage wird aufbauen und die Grundbedürfnisse seiner menschlichen Existenz wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft wird decken können. Der Beschwerdeführer wird im Fall seiner Niederlassung in Herat (Stadt) oder Mazar-e Sharif ein mit anderen dort lebenden Afghanen vergleichbares Leben ohne unbillige Härten führen können. Der Beschwerdeführer ist ein junger Mann von XXXX Jahren, der an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leidet und (hinsichtlich COVID-19) nicht unter die Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit bestimmten Vorerkrankungen wie Diabetes, Herzkrankheiten oder Bluthochdruck fällt. Der Beschwerdeführer ist gesund; sein Gesundheitszustand steht einer Rückkehr nach Afghanistan daher nicht entgegen. Der Beschwerdeführer wuchs im afghanischen Familienverband in einem Stadtteil in XXXX , in dem auch viele andere Afghanen lebten, auf und ist daher mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut. Er verfügt über eine fünfjährige Schulbildung sowie über mehrjährige Berufserfahrung als Schneidergehilfe im Iran. In Österreich erwarb der Beschwerdeführer mehrjährige Berufserfahrung als Maurerlehrling, besuchte die Berufsschule, erwarb eine Zusatzqualifikation (Staplerführerausweis) und lernte die deutsche Sprache. Zudem spricht der Beschwerdeführer mit Dari eine Sprache seines Herkunftsstaates muttersprachlich. Der Beschwerdeführer wurde im afghanischen Familienverband sozialisiert. Er ist arbeits- und erwerbsfähig und hat keine Sorgepflichten in Afghanistan. Der Aufbau einer Existenzgrundlage in den Großstädten Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) ist ihm, wenn auch nach anfänglichen Schwierigkeiten, möglich. Seine Existenz könnte der Beschwerdeführer – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern.

Es gibt in Afghanistan unterschiedliche Unterstützungsprogramme für Rückkehrer von Seiten der Regierung, von NGOs und durch internationale Organisationen, die der Beschwerdeführer in Anspruch nehmen könnte. IOM bietet in Afghanistan Unterstützung bei der Reintegration an.

1.5 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

1.5.1 Staatendokumentation (Stand 1.4.2021, außer wenn anders angegeben)

1.5.1.1 COVID-19

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; cf. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a). Bis Dezember 2020 gab es insgesamt 50.536 [Anmerkung: offizielle] Fälle im Land. Davon ein Drittel in Kabul. Die tatsächliche Zahl der positiven Fälle wird jedoch weiterhin deutlich höher eingeschätzt (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; cf. IOM 18.3.2021).

Die Infektionen steigen weiter an und bis zum 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet (IOM 18.3.2021; WHO 17.3.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.3.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht (IOM 18.3.2021)

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunde

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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