TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/11 W237 1257046-3

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Veröffentlicht am 11.06.2021
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Entscheidungsdatum

11.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W237 1257046-3/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 22.03.2019, Zl. 740267505-160883985, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.04.2021 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VI. des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 7 Abs. 1 Z 1 und § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 3 FPG, § 52 Abs. 9 iVm § 46 FPG sowie § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG mit der Maßgabe abgewiesen, dass die Dauer des Einreiseverbots gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG auf acht Jahre herabgesetzt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl leitete aufgrund strafgerichtlicher Verurteilungen des Beschwerdeführers sowie in Anbetracht seiner Reise in die Russische Föderation unter Verwendung eines russischen Reisepasses im Jahr 2015 von Amts wegen ein Verfahren zur Aberkennung des ihm zukommenden Status des Asylberechtigten ein. In diesem Zusammenhang fand am 01.02.2019 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Einvernahme mit dem Beschwerdeführer statt.

Mit Bescheid vom 22.03.2019 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den ihm mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 28.12.2006 zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters erkannte es dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG (Spruchpunkt IV.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG iVm § 46 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation fest (Spruchpunkt V.), legte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.) und erließ schließlich gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegenüber dem Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 18.04.2019 über seinen zur Vertretung im Beschwerdeverfahren bevollmächtigten (damaligen) Rechtsberater vollinhaltlich Beschwerde.

2.1. Der Beschwerdeschriftsatz wurde samt Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht am 24.04.2019 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt.

2.2. Mit Schreiben vom 11.12.2020 teilte der damalige Rechtsberater dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass die erteilte Vertretungsvollmacht mit 31.12.2020 zurückgelegt werde.

2.3. Am 23.04.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung mit dem aus dem Stande der Strafhaft vorgeführten Beschwerdeführer und seinem (neuen) Rechtsvertreter statt, in der der Beschwerdeführer zu den maßgeblichen Sachverhaltsaspekten, insbesondere seinen im Bundesgebiet verübten Straftaten, näher befragt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation sowie der tschetschenischen Volksgruppe und dem islamischen Glauben zugehörig.

Er wuchs in Tschetschenien im Dorf XXXX nahe der Grenze zu Inguschetien auf; mit seiner Mutter und seinen Geschwistern lebte er zwischen 2001 und 2002 zeitweilig in XXXX in Inguschetien. Der Beschwerdeführer beherrscht die tschetschenische Sprache und besuchte in Tschetschenien ein Jahr die Volksschule. Er kann sich auch in russischer Sprache verständigen, wobei seine konkreten Sprachkenntnisse unbekannt sind.

Die Eltern des Beschwerdeführers gewährten tschetschenischen Widerstandskämpfern während des zweiten Tschetschenienkriegs Unterkunft und verköstigten sie. Aus diesem Grund fanden bei ihnen mehrmals Hausdurchsuchungen von russischen Sicherheitskräften statt. Im Jahr 2001 erfolgten Festnahmen des Vaters und mehrerer Onkel des Beschwerdeführers. Nach deren Freilassung verschwand der Vater des Beschwerdeführers. Die Mutter des Beschwerdeführers gewährte tschetschenischen Widerstandskämpfern weiterhin Unterkunft und leitete Nachrichten weiter, wobei Kontrollen und Hausdurchsuchungen durch russische Sicherheitskräfte erneut stattfanden.

1.2. Im Jahr 2003 reiste der damals minderjährige Beschwerdeführer mit seiner Mutter und seinen vier Geschwistern aus Tschetschenien aus und gelangte über Weißrussland, Polen und Tschechien am 15.02.2004 nach Österreich, wo seine Mutter als seine gesetzliche Vertreterin für ihn am 16.02.2004 einen Asylantrag stellte. Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 28.12.2006 Asyl gewährt, weil er durch den Umstand, dass seine Mutter mehrmals Kontrollen und Hausdurchsuchungen durch russische Sicherheitskräfte in Tschetschenien ausgesetzt war, in erheblichem Maße gefährdet schien.

1.3. Gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Geschwistern lebte er in weiterer Folge zunächst in Kärnten und ab Oktober 2009 in Wien. Der Beschwerdeführer besuchte eine Volksschule und eine Hauptschule bis zur dritten Klasse im Bundesgebiet.

Anfang des Jahres 2011 kam der Vater des Beschwerdeführers nach Österreich, dem in der Folge mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 28.11.2012 der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde. Der Vater des Beschwerdeführers lebte mit seiner Frau und seinen Kindern im gemeinsamen Haushalt. Dabei kam es zu häufigen Gewalthandlungen seitens des Vaters gegenüber seinen Familienangehörigen – auch gegenüber dem Beschwerdeführer –, aufgrund derer sich auch das Jugendamt einschaltete. Die Ehe der Eltern des Beschwerdeführers wurde im September 2012 geschieden und ein Betretungsverbot gegen den Vater erlassen. Dies änderte nichts an dessen Bestreben, die Familie nach Tschetschenien zurückzubringen, den Namen seiner Kinder auf seinen zu ändern und das Sorgerecht für sie zu erlangen. So gelang es ihm im Jahr 2013 oder 2014, die beiden jüngeren Schwestern des Beschwerdeführers nach Tschetschenien zu entführen und dort zu verheiraten. Eine der beiden konnte zu einem späteren Zeitpunkt erneut nach Österreich fliehen.

Ohne Wissen des Beschwerdeführers, seiner Mutter und seiner damals noch in Österreich lebenden Geschwister ließ sein Vater russische Reisepässe für seine Familienmitglieder ausstellen. Er setzte diese dermaßen unter Druck, dass der Beschwerdeführer, seine Mutter und sein jüngerer Bruder am XXXX 2015 die Ausreise in die Russische Föderation auf dem Luftweg über Moskau und Mineralnyje Wody antraten. Bei der Ausreisekontrolle wurde die Familie aber getrennt, was dazu führte, dass der Beschwerdeführer alleine das Flugzeug nach Moskau bestieg; er setzte sodann die Weiterreise nach Tschetschenien fort, wo er von seinem Onkel abgeholt wurde. Ein bis eineinhalb Monate lebte der Beschwerdeführer unter nicht bekannten Umständen im Haus seines Onkels, wohin auch sein Vater für einige Tage nachreiste. Dem Beschwerdeführer gelang sodann die erneute Ausreise nach Österreich dadurch, dass er sich bereits vor seiner Rückkehr nach Tschetschenien – in der Befürchtung, sein Vater würde für ihn ein russisches Reisedokument ausstellen lassen und ihm den österreichischen Konventionspass entziehen – einen zweiten Konventionspass unter der Behauptung, sein erster sein verloren gegangen, hatte ausstellen lassen.

1.4. Der Beschwerdeführer riss aufgrund seiner familiären Probleme ab dem Jahr 2010 oft von zu Hause aus und war unsteten Aufenthalts. Er wurde in der Folge im Bundesgebiet wiederholt straffällig:

1.4.1. Am XXXX 2009 versetzte der Beschwerdeführer einem anderen Burschen einen Stoß mit dem Fuß in das Gesicht, was eine Nasenprellung beim Verletzten zur Folge hatte. Am XXXX 08.2010 nötigte er einem anderen Burschen ein Mobiltelefon im Wert von € 180,– dadurch ab, dass er diesem ein Klappmesser in Richtung Brust hielt und die Herausgabe des Telefons forderte; er hatte dabei den Vorsatz, sich unrechtmäßig zu bereichern. Am XXXX 09.2009 stahl der Beschwerdeführer zwei Mobiltelefone aus einem Handyshop, indem er sie mit dem Vorsatz wegnahm, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien verurteilte den Beschwerdeführer wegen dieser Straftaten unter einem mit Urteil vom XXXX 12.2010 wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB, des Vergehens des Diebstahls gemäß § 127 StGB und des Verbrechens des schweren Raubes gemäß §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von vierzehn Monaten, wobei ein Teil der Freiheitsstrafe von dreizehn Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Das Gericht berücksichtigte das Teilgeständnis zu den Taten vom XXXX 2009 und XXXX 09.2009 und den bisher ordentlichen Lebenswandel als mildernd, erschwerend jedoch das Zusammentreffen von einem Verbrechen und zwei Vergehen sowie die Tatbegehung bei anhängigem Verfahren. Mit Beschluss vom selben Tag wurde für den Beschwerdeführer für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet sowie die Weisung erteilt, weiterhin die Schule zu besuchen und dem Gericht dies vierteljährlich nachzuweisen. Der Beschwerdeführer erhob kein Rechtsmittel gegen dieses Urteil.

Er war wegen der angeführten Tathandlungen bereits am XXXX 09.2010 in Untersuchungshaft genommen worden; aus dieser wurde er nach Verkündung des Urteils am XXXX .2010 entlassen, weil der unbedingte Teil der Freiheitsstrafe damit vollzogen war.

1.4.2. Im Zeitraum von Juli bis September 2010 nahm der Beschwerdeführer zusammen mit anderen Mittätern verschiedenen Geschädigten zumindest 13 Fahrräder in einem insgesamt € 3.000,– übersteigenden Wert weg; er hatte dabei die Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Diebstählen durch Einbruch eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Der Beschwerdeführer und seine Mittäter begingen die Fahrraddiebstähle durch Aufbrechen von Sperrvorrichtungen, indem sie Fahrradschlösser jeweils aufzwickten oder aufzwängten, sowie durch Einbruch in Kellerabteile, indem sie Vorhängeschlösser aufzwickten oder Kellertüren gewaltsam aufbrachen.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien verurteilte den Beschwerdeführer deswegen mit Urteil vom XXXX 07.2011 wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch gemäß §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und Z 3, 130 vierter Fall StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von fünf Monaten, die unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Das Gericht berücksichtigte das Geständnis und die bisherige Unbescholtenheit als mildernd, erschwerend jedoch die Tatwiederholung. Für den Beschwerdeführer wurde Bewährungshilfe angeordnet und er verzichtete auf ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil.

1.4.3. Im August 2011 beging der Beschwerdeführer zusammen mit anderen Mittätern mehrfach Diebstähle durch Einbruch in Gebäude bzw. durch das Aufbrechen von Sperrvorrichtungen in der Absicht, sich dadurch eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Dabei stahl er: ein Fahrrad im Wert von € 900,–, indem er das Bügelschloss aufbrach und das Fahrrad mit sich nahm; Bargeld und andere stehlenswerte Objekte aus einem Marktstand, indem er die Türe des Marktstands mit einem Brecheisen aufbrach, diesen betrat und durchsuchte; Bargeld und andere stehlenswerte Güter eines Lokals, indem er das Essensausgabefenster aushebelte und durch dieses eintrat, wobei er auf frischer Tat betreten wurde; Bargeld und andere stehlenswerte Objekte eines Bekleidungsgeschäftes, indem er die Verglasung des daneben liegenden Hauseingangs vergeblich einzutreten versuchte, wobei sich ein Mittäter verletzte, weshalb es beim Versuch blieb; Bargeld und andere stehlenswerte Güter, indem er mittels Räuberleiter erfolglos versuchte, durch das gekippte Fenster der Hintertüre eines Marktstands dort einzusteigen; Bargeld und andere stehlenswerte Güter eines Cafés, indem er die Fenstervergitterung aufbrach, durch das Fenster des Lokals einstieg und dieses nach Bargeld durchsuchte, wobei er auf frischer Tat betreten wurde.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien verurteilte den Beschwerdeführer deswegen mit Urteil vom XXXX 11.2011 wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch gemäß § 15 iVm §§ 127, 129 Z 1 und Z 3, 130 vierter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, wobei ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 16 Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Das Gericht berücksichtigte das Geständnis und den Umstand, dass die Taten teilweise beim Versuch blieben, als mildernd, erschwerend jedoch die Tatwiederholung und die einschlägige Vorstrafe. Mit Beschluss desselben Gerichts vom selben Tag wurde die bedingte Strafnachsicht zum Urteil vom XXXX 07.2011 (Zusatzfreiheitsstrafe von fünf Monaten) widerrufen, vom Widerruf der im Urteil vom XXXX 12.2010 gewährten bedingten Strafnachsicht jedoch abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert. Der Beschwerdeführer verzichtete auf ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil.

Er war wegen der angeführten Tathandlungen bereits am XXXX 08.2011 festgenommen und im Anschluss in Untersuchungshaft genommen worden; an diese schloss sich die mit Urteil vom XXXX 11.2011 ausgesprochene Strafhaft an, aus welcher der Beschwerdeführer mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom XXXX 02.2012 am XXXX 04.2012 unter Anordnung der Bewährungshilfe nach Verbüßung von zwei Drittel der Strafzeit – auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt – entlassen wurde.

1.4.4. Zu einem Zeitpunkt zwischen 01.06.2012 und XXXX .09.2012 stahl der Beschwerdeführer ein Kleinkraftrad, indem er dessen Zündschloss kurzschloss und mit diesem davonfuhr. Am XXXX 11.2012 versuchte der Beschwerdeführer mit einem Mittäter, zunächst durch das Versetzen von Fußtritten, in weiterer Folge mit einem Brecheisen, einen Parkscheinautomaten gewaltsam zu öffnen, wobei es deshalb beim Versuch blieb, weil Passanten die Polizei alarmierten. Der Beschwerdeführer beging diese Taten in der Absicht, sich dadurch eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Im Zeitraum von XXXX 09.2012 bis XXXX 09.2012 unterdrückte der Beschwerdeführer die Kennzeichentafel einer anderen Person, um zu verhindern, dass diese im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes bzw. einer Tatsache gebraucht wird. Der Beschwerdeführer versuchte überdies, ein Leichtmotorrad ohne Einwilligung der Berechtigten in Gebrauch zu nehmen, indem er dieses anschob.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien verurteilte den Beschwerdeführer für diese Taten mit Urteil vom XXXX 03.2013 wegen des Verbrechens des teilweise vollendeten, teilweise versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch gemäß § 15 iVm §§ 127, 129 Z 2, 130 vierter Fall StGB, des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB und des Vergehens des versuchten unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 15 iVm § 136 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten. Das Gericht berücksichtigte das teilweise Geständnis und den Umstand, dass die Taten teilweise beim Versuch geblieben sind, als mildernd, erschwerend jedoch den raschen Rückfall, die einschlägige Vorstrafe, die Tatwiederholung sowie das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom selben Tag wurde – in offenkundigem Widerspruch zum Beschluss vom XXXX 11.2011 – vom Widerruf der mit Urteil vom XXXX 07.2011 ausgesprochenen bedingten Freiheitsstrafe abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert. Vom Widerruf der im Urteil vom XXXX 12.2010 gewährten bedingten Strafnachsicht wurde (erneut) abgesehen. Der Beschwerdeführer verzichtete auf ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil.

Der Beschwerdeführer war wegen der angeführten Tathandlungen bereits am XXXX 11.2012 festgenommen und im Anschluss in Untersuchungshaft genommen worden; an diese schloss sich die mit Urteil vom XXXX 03.2013 ausgesprochene Strafhaft an, aus welcher der Beschwerdeführer am XXXX 08.2014 entlassen wurde. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX 04.2013 wurde die Bewährungshilfe aufgehoben.

1.4.5. Am XXXX 08.2015 nahm der Beschwerdeführer zwei anderen Personen drei Mobiltelefone, zwei Tablets, zwei Laptops, eine Laptoptasche, eine Computermaus eine silberne Halskette, zwei silberne Armbänder, drei Armbanduhren und 25g Marihuana weg, indem er eine der Personen in dessen Wohnung stieß, die beiden dadurch eingeschüchterten Personen zunächst nötigte, ihre Handys auszufolgen und danach in die Toilette zu gehen, sie dann dort einschloss und sodann die Wohnung nach Wertgegenständen durchsuchte.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien verurteilte den Beschwerdeführer deswegen mit Urteil vom XXXX 03.2016 wegen des Verbrechens des Raubes gemäß § 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Das Gericht berücksichtigte das Alter unter 21 Jahren und das umfassende Geständnis als mildernd, erschwerend jedoch die drei einschlägigen Vorstrafen und die Begehung während offener Probezeit. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX 03.2016 wurde vom Widerruf der bedingten Strafnachsichten der vorangegangenen Urteile abgesehen, jedoch die mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX 05.2012 gewährte bedingte Entlassung widerrufen. Der Beschwerdeführer erhob gegen diese Entscheidungen kein Rechtsmittel.

Der Beschwerdeführer war wegen seiner Tat bereits am XXXX 11.2015 in Untersuchungshaft genommen worden; an diese schloss sich die mit Urteil vom XXXX 03.2016 ausgesprochene Strafhaft an, aus welcher der Beschwerdeführer am XXXX 05.2019 entlassen wurde.

1.4.6. Am XXXX 06.2019 geriet der Beschwerdeführer in die polizeiliche Durchsuchung eines Lokals mit einem Spürhund. Dabei versuchte er, Polizeibeamte mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern, indem er einer Beamtin einen Stoß versetzte und mit seinem rechten Fuß zumindest einen gezielten Tritt in Richtung des Körpers eines weiteren Beamten setzte. Am XXXX und XXXX 06.2019 setzte er diese Polizeibeamten dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung aus, indem er sie des Vergehens der Körperverletzung an ihm falsch bezichtigte, wobei er wusste, dass die Verdächtigungen falsch sind: konkret gab er gegenüber der Kriminalpolizei an, der Polizist habe ihm zwei Faustschläge gegen den Rücken versetzt und die Polizistin habe ihn zweimal in den Rücken getreten.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien verurteilte den Beschwerdeführer deswegen am XXXX 08.2019 wegen des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß § 15 iVm § 269 Abs. 1 erster Fall StGB und wegen des Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten. Das Gericht berücksichtigte den Umstand, dass es hinsichtlich des Widerstands gegen die Staatsgewalt beim Versuch geblieben ist, als mildernd, erschwerend jedoch die einschlägige Vorstrafenbelastung, den raschen Rückfall nach Entlassung aus dem Gefängnis und das Zusammentreffen von drei Vergehen.

Der Beschwerdeführer war wegen der dieser Tathandlungen bereits am XXXX 06.2019 festgenommen und am XXXX 06.2019 in Untersuchungshaft genommen worden; an diese schloss sich die mit Urteil vom XXXX 08.2019 ausgesprochene Strafhaft an. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX 05.2021 aus der Strafhaft entlassen.

1.4.7. Hinsichtlich der angeführten Strafhandlungen verantwortet sich der Beschwerdeführer heute dahingehend, dass er seinen ersten Raub deshalb begangen habe, weil er selbst von mehreren, zum Teil älteren Burschen überfallen worden sei. Diese hätten ihm Geld weggenommen, worauf der Beschwerdeführer den Tätern nachgelaufen sei und einen der Burschen gestellt, gepackt und mit seinem Klappmesser bedroht habe, worauf ihm dieser statt des Geldes sein Handy gegeben habe. Über die anderen Taten, für die er am XXXX 2020 verurteilt wurde, wisse er nichts. Er habe viele Fahrräder gestohlen und wiederholt Einbrüche begangen; an manche dieser Taten erinnere er sich allerdings nicht bzw. seien die unterschiedlichen Vorfälle in seiner Erinnerung verschwommen. Der Beschwerdeführer gibt in diesem Zusammenhang an, in der damaligen Zeit einfach auf der Straße gelebt zu haben und mit Freunden unterwegs gewesen zu sein. Die Tat vom XXXX 08.2015 ist ihm hingegen erinnerlich; er habe damals für eine Freundin Marihuana von einem Bekannten wegnehmen wollen.

Den Vorfall vom XXXX 06.2019 erachtet der Beschwerdeführer als großen Fehler seinerseits. Er sei damals in ein Spiellokal gegangen, wo eine polizeiliche Untersuchung stattgefunden habe. Die Polizisten hätten gemeint, dass der Beschwerdeführer zur Gruppe der untersuchten Personen gehören würde. Er habe begonnen, mit seinem Handy zu filmen, worauf eine aggressive Stimmung entstanden sei. Auf Anordnung von WEGA-Beamten sollte er auf die Toilette gehen und sich untersuchen lassen, was er verweigert habe. Dann sollte er mit mehreren anderen in einen kleinen Raum gehen, wo ein Polizist mit einem Hund gestanden sei. Als der Beschwerdeführer in Panik geraten sei, habe ihn ein WEGA-Beamter von hinten genommen, ihn auf den Boden gedrückt und ihm Handschellen angelegt. Ein Polizist und eine Polizistin hätten ihn sodann getreten, wovon er Schürfwunden erlitten habe. Sowohl der Beschwerdeführer als auch die Polizisten hätten Anzeige erstattet, worauf er wegen Verleumdung und versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt verurteilt worden sei.

Insgesamt bereut der Beschwerdeführer sein strafrechtliches Fehlverhalten und setzt seine Probleme mit dem Erscheinen seines Vaters in Österreich bzw. den damit beginnenden häuslichen Gewalthandlungen in Verbindung.

1.5. Der Beschwerdeführer ist gesund und nimmt keine Medikamente; er leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten. Beginnend mit dem Jahr 2011 begann er, unterschiedliche Drogen zu konsumieren. Über die Jahre nahm er Marihuana, Kokain, Mephedron (MMC) sowie die Schmerzmittel Lyrica und Tramadol zu sich. Mit der Inhaftierung im Jahr 2015 stellte der Beschwerdeführer seinen Drogenkonsum ein.

1.6. Während seinen Strafhaften trat der Beschwerdeführer unterschiedliche Lehrverhältnisse an: Zunächst lernte er eineinhalb Jahre Spengler und Autolackierer, schloss diese Lehre aber nicht ab. Sodann lernte er zwei Jahre den Beruf des Schlossers. Zuletzt absolvierte er in der Haft eine Schnelllehre als Bäcker. Diesem Beruf möchte er nunmehr nach seiner Freilassung – vorzugsweise bei einem größeren Bäckerunternehmen – nachgehen. Der Beschwerdeführer plant, mit ausreichend ersparten finanziellen Mitteln mittelfristig selbständig ein Gewerbe aufbauen zu können. Außerhalb seiner Strafhaften ging der Beschwerdeführer bislang keinen beruflichen Beschäftigungen nach; in den Jahren 2014 und 2015 bezog er Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Er beherrscht die deutsche Sprache fließend und ohne Einschränkungen.

In Österreich leben die Mutter des Beschwerdeführers, sein älterer und sein jüngerer Bruder sowie seine jüngere Schwester samt deren Tochter. Diese Familienmitglieder sah der Beschwerdeführer auch während seiner letzten Strafhaft wiederholt im Rahmen von Besuchen. Zu seinem Vater hatte er zuletzt im Jahr 2019 Kontakt; über dessen aktuellen Aufenthaltsort weiß der Beschwerdeführer nichts, vermutet aber, dass er sich wieder in Tschetschenien aufhält. Der Vater des Beschwerdeführers war im vergangenen Jahrzehnt wiederholt in Tschetschenien. Dort leben der Onkel des Beschwerdeführers väterlicherseits sowie weitere entfernte Verwandte, die der Beschwerdeführer nicht kennt.

1.7. Zur aktuellen Lage in der Russischen Föderation, insbesondere Tschetschenien, werden folgende Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 2.2020c, vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 2.2020a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 2.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der [derzeitigen] Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt (GIZ 2.2020a). Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c).

Im Jänner 2020 kündigte Präsident Putin bei seiner Neujahrsrede Verfassungsänderungen an. Daraufhin trat die Regierung unter Ministerpräsident Medwedew zurück (Spiegel Online 15.1.2020). Kurz darauf wurde Putins Kandidat Michail Mischustin, der zehn Jahre lang Leiter der russischen Steuerbehörde war, von der Duma zum neuen Ministerpräsident gewählt (Spiegel Online 16.1.2020). Dmitrij Medwedew wird Vizevorsitzender im Sicherheitsrat. Die angestrebte Verfassungsänderung ist ein umfangreicher Maßnahmenkatalog, bei dem es sich laut Putin um von der Gesellschaft geforderte Veränderungen handelt (Spiegel Online 15.1.2020). Das Volk wird über die Verfassungsänderungen abstimmen, um diese zu legitimieren (NZZ 19.3.2020), jedoch wird die Abstimmung aufgrund der Corona-Pandemie vom geplanten Termin im April nach hinten verschoben (ORF.at 25.3.2020). Vorgesehen ist nicht nur eine Ausweitung der Machtbefugnisse des Präsidenten. Putin soll nach einem Votum der Abgeordneten auch die Möglichkeit haben, sich noch einmal für maximal zwei Amtszeiten zu bewerben – er könnte also bei Wiederwahl bis 2036 im Amt bleiben. Nach bisheriger Verfassung könnte er 2024 nicht mehr antreten. Kritiker und Oppositionelle werfen Putin einen Staatsstreich vor. Das Verfassungsgericht hat den Änderungen bereits zugestimmt (NZZ 19.3.2020).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 2.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016, vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht infrage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 2.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 2.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (2.3.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 10.3.2020

-        CIA – Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 10.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 10.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 10.3.2020

-        Global Security (21.9.2016): Duma Election - 18 September 2016, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/politics-2016.htm, Zugriff 10.3.2020

-        Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.3.2020

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (19.3.2020): Putin hält trotz Coronavirus-Krise an der Verfassungsabstimmung fest, https://www.nzz.ch/international/coronavirus-in-russland-krise-ueberschattet-verfassungsabstimmung-ld.1547213, Zugriff 26.3.2020

-        ORF.at (25.3.2020): Putin verschiebt Abstimmung über Verfassungsänderung, https://orf.at/stories/3159340/, Zugriff 26.3.2020

-        ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 10.3.2020

-        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.3.2020

-        Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020

-        RIA Nowosti (23.9.2016): ??? ???????? ?????????? ??????? ? ???????, https://ria.ru/20160923/1477668197.html, Zugriff 10.3.2020

-        Spiegel Online (15.1.2020): Putins Operation Machterhalt, https://www.spiegel.de/politik/ausland/russland-putins-operation-machterhalt-a-aafe31f8-54b2-4d38-9bf4-6e613e586b96, Zugriff 2.3.2020

-        Spiegel Online (16.1.2020): Michail Mischustin ist neuer Premierminister Russlands, https://www.spiegel.de/politik/ausland/russland-michail-mischustin-ist-neuer-premierminister-a-1b3bd2eb-bc42-43cf-9033-25c8221cc7ed, Zugriff 2.3.2020

-        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

-        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020

-        Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020

Tschetschenien

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020

-        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 3.3.2020

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich-zerrissen-ld.1492435, Zugriff 11.3.2020

-        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.3.2020

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS (Islamischer Staat) kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (19.3.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 19.3.2020

-        BMeiA (19.3.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.3.2020

-        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

-        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.3.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 19.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits, weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt (SWP 10.2015, vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz“, eine „Provinz Kaukasus“, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2019). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Der größte Anteil an Gewalt im Nordkaukasus entfällt weiterhin auf Dagestan und Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz (Caucasian Knot 30.8.2019).

Im Jahr 2019 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] bei 44 Personen, davon wurden 31 getötet (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.3.2020

-        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl aufseiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im Jahr 2018 wurden in Tschetschenien mindestens 35 Menschen Opfer des bewaffneten Konflikts, von denen mindestens 26 getötet und neun weitere verletzt wurden. Unter den Opfern befanden sich drei Zivilisten (zwei getötet, einer verletzt), elf Exekutivkräfte (drei getötet, acht verletzt) und 21 Aufständische (alle getötet). Im Vergleich zu 2017, als es 75 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl 2018 um 53,3% (Caucasian Knot 30.8.2019). 2019 wurden in Tschetschenien im Rahmen des bewaffneten Konflikts sechs Personen getötet und fünf verletzt [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

-        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2019). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 4.3.2020).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs-und Kassationsverfahren geschaffen wurden, sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto „Schuldvermutung“ im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter, etc.). Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen Ende 2018 rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2019). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukaew im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2019).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationale

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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