Entscheidungsdatum
17.06.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W184 2242873-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner PIPAL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Kosovo, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.04.2021, Zl. 549706601/200852395, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 10, 55 AsylG 2005, §§ 52, 55 FPG und § 9 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die beschwerdeführende Partei, ein männlicher Staatsangehöriger des Kosovo, stellte am 10.09.2020 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005.
In weiterer Folge legte die beschwerdeführende Partei folgende Unterlagen vor:
- Kopie seiner E-Card
- mehrere Unterschriften
- Auszug aus dem Melderegister
- Auszug aus dem kosovarischen Zivilregister, die beschwerdeführende Partei betreffend
- Auszug aus dem kosovarischen Zivilregister, die Lebensgefährtin der beschwerdeführenden Partei betreffend
- Kopie einer Fahrerkarte der Republik Österreich
- Kopie eines kosovarischen Reisepasses
- Kopie mehrer Visa für den Schengenraum (letztes Visum gültig vom 15.05.2019 bis 20.02.2021)
- Arbeitsvorvertrag vom 10.08.2020 als Bus-Taxifahrer
- Unterschriftenliste
- deutsche Übersetzung eines Auszuges aus dem Personenstandsregister der Republik Kosovo vom 27.05.2020
- deutsche Übersetzung einer Heiratsurkunde der Republik Kosovo
- ÖSD Zertifikat vom 09.03.2020 auf dem Niveau A2
Mit Schriftsatz vom 09.09.2020 wurde vom bevollmächtigten Vertreter der beschwerdeführenden Partei ausgeführt, dass sich die beschwerdeführende Partei seit dem Jahr 2009 im Bundesgebiet aufhalte. Die beschwerdeführende Partei sei aktuell im Besitz eines Schengenvisums, das bis zum 20.02.2021 gültig sei. Er sei gerichtlich unbescholten, ein weiterer Verbleib im Bundesgebiet der Republik Österreich stelle keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit dar. Gegen die beschwerdeführende Partei bestehe kein Aufenthalts- oder Einreiseverbot. Die Interessen der beschwerdeführenden Partei an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet der Republik Österreich und die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK seien im gegenständlichen Fall evident und höher anzusetzen als jene der Republik selbst. Bei Erteilung eines Aufenthaltstitels könne die beschwerdeführende Partei einer geregelten Beschäftigung als Busfahrer nachgehen. Die beschwerdeführende Partei verfüge über die notwendigen Deutschkenntnisse und sein Aufenthalt sei als finanziell abgesichert anzusehen.
Mit Urkundenvorlage vom 08.10.2020 wurde vom bevollmächtigten Vertreter der beschwerdeführenden Partei ein Zeugnis zur Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 in Vorlage gebracht.
In einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 17.03.2021 führte die beschwerführende Partei aus, dass er ein slowenisches Visum habe, das bis zum 23.02.2023 gültig sei, weil er in Österreich auch weiterhin mit seiner Freundin zusammenleben wolle, die derzeit in XXXX wohnhaft sei. Er beabsichtige die Scheidung von seiner Ehefrau. Die Frage, ob er mit seiner Freundin an derselben Adresse gemeldet sei, wurde von der beschwerdeführenden Partei verneint. Zur Frage, ob er in der Vergangenheit bereits im Besitz von Visa gewesen sei und was der Zweck dafür gewesen sei, entgegnete die beschwerdeführende Partei, dass er seit 2009 als Busfahrer gearbeitet habe. Der Arbeitsvorvertrag sei ein Beleg dafür, dass man daran interessiert sei, ihn dauerhaft zu beschäftigen. Befragt, wie oft und wann er das Bundesgebiet verlassen habe, erwiderte die beschwerdeführende Partei, dass er das Visum am 17.01.2021 bei der slowenischen Botschaft beantragt habe. Er habe im Herkunftsstaat keine persönlichen Probleme und seine wirtschaftliche Situation sei insgesamt mittelmäßig gewesen. Auf die Frage, ob er im Heimatland noch Familie, Verwandte oder Besitz habe, erklärte die beschwerdeführende Partei, dass seine drei Töchter und zwei Söhne bereits erwachsen seien und seine Ehefrau bei den Söhnen wohne. Der beschwerdeführenden Partei stehe ein Haus als Wohnmöglichkeit zur Verfügung, das seinem Bruder gehöre. Er selbst habe keine Immobilien im Kosovo. Zur Frage, wie er sein Leben in Österreich finanziere, gab die beschwerdeführende Partei an, dass er sein eigenes Einkommen lukriere, das zwischen 1.200 und 1.500,- Euro variiere. Die Frage, ob er in Österreich krankenversichert sei, wurde von der beschwerdeführenden Partei verneint, weil es eine Versicherung erst gebe, wenn man ein Schengenvisum erhalte.
Mit Urkundenvorlage vom 29.03.2021 wurden vom bevollmächtigten Vertreter der beschwerdeführenden Partei ein Arbeitsvertrag vom 01.01.2021 über den Beruf „Busfahrer“, eine handschriftliche Unterschriftenliste, eine Meldebestätigung der Lebensgefährtin der beschwerdeführenden Partei samt Aufenthaltstitel und Reisepass und ein Nachweis der Krankenversicherung übermittelt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde folgende Entscheidung über den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels getroffen:
„I. Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 10.09.2020 aus Gründen des Art. 8 EMRK wird gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen.
II. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen.
III. Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Kosovo zulässig sei.
IV. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“
Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens wurden im angefochtenen Bescheid folgendermaßen zusammengefasst:
Der beschwerdeführenden Partei sei von 18.01.2007 bis 17.07.2007 erstmals ein Schengen-Visum der Kategorie C ausgestellt worden. Er habe sich in der Folge jedes Jahr solche Visa für den Schengenraum ausstellen lassen, zuletzt sei der beschwerdeführenden Partei ein solches Visum C durch die slowenischen Behörden ausgestellt worden. Die beschwerdeführende Partei habe in der Einvernahme nicht glaubhaft darlegen können, dass er in einem Abhängigkeitsverhältnis zu seiner in Österreich lebenden Freundin stehe, weil er mit dieser bis dato nicht zusammen gemeldet sei und gegenwärtig auch kein Scheidungsverfahren im Kosovo anhängig sei. Der von der beschwerdeführenden Partei vorgelegte Arbeitsvorvertrag einer Firma könne kein schützenswertes Privatleben begründen, weil insbesondere die Reisebranche in eine ungewisse Zukunft blicke. Es sei somit nicht auszuschließen, dass die beschwerdeführende Partei zu einer finanziellen Belastung der Gebietskörperschaft werden könnte.
Es folgten im angefochtenen Bescheid die Sachverhaltsfeststellungen, die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, worin im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass die beschwerdeführende Partei bereits seit zehn Jahren mit seiner Freundin, die in XXXX wohnhaft sei, eine Beziehung führe, obgleich im Kosovo noch kein Scheidungsverfahren anhängig sei. Unabhängig von dieser Tatsache verfüge die beschwerdeführende Partei in seinem Heimatland über keine existentielle Grundlage, zumal die beiden Häuser im Kosovo im Eigentum seines Bruders stehen würden. Faktum sei, dass die beschwerdeführende Partei auch darauf verwiesen habe, dass er als Busfahrer einer Beschäftigung nachgehe und somit über ein geregeltes Einkommen verfüge und auch bereits zuvor im Bundesgebiet beschäftigt gewesen sei. Im gegenständlichen Verfahren sei ein unbedenklicher Arbeitsvorvertrag in Vorlage gebracht worden, dem zu entnehmen sei, dass die beschwerdeführende Partei bei Erteilung eines Aufenthaltstitels umgehend einer geregelten Beschäftigung werde nachgehen können. Es sei im gegenständlichen Fall anzunehmen, dass die von Seiten der beschwerdeführenden Partei im Verfahren dargelegten Angaben, insbesondere die vorgelegten Urkunden, nur unzureichend zu seinen Gunsten gewertet worden seien, sodass jedenfalls der erstinstanzlichen Behörde eine antizipierende Beweiswürdigung anzulasten sei. Weiters stelle die Entscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK dar.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person und zu den allgemeinen Lebensumständen
Die beschwerdeführende Partei ist Staatsangehöriger des Kosovo. Seine Identität steht fest. Die beschwerdeführende Partei ist verheiratet und hat fünf Kinder. Die beschwerdeführende Partei ist gesund und strafrechtlich unbescholten. Die Muttersprache der beschwerdeführenden Partei ist Albanisch.
Die beschwerdeführende Partei wurde im Kosovo geboren und lebte dort im Haus seines Bruders. Er ist zwar von seiner Ehefrau getrennt, jedoch ist derzeit noch kein Scheidungsverfahren anhängig. Die beschwerdeführende Partei ist im Kosovo aufgewachsen.
Die beschwerdeführende Partei hielt sich bislang mit Schengen-Visa der Kategorie C, gültig vom 18.01.2007-17.07.2007, vom 02.07.2008-31.08.2008, vom 28.11.2008-27.11.2009, vom 11.02.2010-10.02.2011, vom 08.04.2011-07.10.2011, vom 31.03.2011-29.03.2012, vom 02.04.2012-29.03.2013, vom 10.04.2013-06.04.2014, vom 08.07.2014-23.06.2015, vom 28.06.2016-27.06.2017, vom 14.08.2017-13.11.2017, vom 01.12.2017-31.03.2018, vom 25.04.2018-23.04.2019 sowie vom 15.05.2019-20.02.2021 in Österreich auf.
1.2. Zum Familien- und Privatleben in Österreich:
Die beschwerdeführende Partei hat in Österreich eine Freundin, mit der er jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt zusammenlebt.
Die Ehefrau und die volljährigen Kinder der beschwerdeführenden Partei sind im Kosovo wohnhaft.
Die beschwerdeführende Partei war in Österreich bereits von 2016-2020 für einzelne Tage (kürzer als ein Monat) als geringfügig beschäftigter Buslenker tätig und kann einen Arbeitsvorvertrag als Bustaxifahrer für die Firma XXXX vorweisen. Er hat eine Deutschprüfung und eine Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 gut bestanden.
Die beschwerdeführende Partei verfügt derzeit über keinen Krankenversicherungsschutz, insbesondere über keine private Krankenversicherung. Er ist arbeitswillig und arbeitsfähig.
Die beschwerdeführende Partei kann den Kontakt zu seiner in Österreich lebenden Freundin und zu Freunden per Telefon und sozialen Medien aufrechterhalten. Die beschwerdeführende Partei kann im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben nach Österreich zu Besuchszwecken einreisen.
Die beschwerdeführende Partei kann im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben in seinem Herkunftsstaat eine Aufenthaltsbewilligung für Österreich nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz beantragen.
1.3. Zur Rückkehr der beschwerdeführenden Partei in den Herkunftsstaat
Der Herkunftsstaat der beschwerdeführenden Partei ist ein sicherer Herkunftsstaat.
Bei einer Rückkehr in den Kosovo kann die beschwerdeführende Partei im Haus seines Bruders Unterkunft nehmen. Er kann seine Lebensbedürfnisse befriedigen, er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen, einer Arbeit nachgehen und sich wie bereits in der Vergangenheit selbst erhalten.
1.4. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat
Kosovo gilt als sicherer Herkunftsstaat. Es besteht keine reale Gefahr, dass die beschwerdeführende Partei im Kosovo einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt ist. Es sind keine Umstände hinsichtlich etwaiger staatlicher Repressalien oder anderweitig gearteter Probleme bekannt bzw. wurden keine solchen vorgebracht.
Zur Lage im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:
Politische Lage
Letzte Änderung: 11.5.2020
Die am 15. Juni 2008 in Kraft getretene Verfassung sieht eine parlamentarische Demokratie mit Gewaltenteilung vor. Die politische Macht konzentriert sich beim Ministerpräsidenten. Ein umfassender Schutz der anerkannten Minderheiten ist gewährleistet (AA 19.4.2020). Durch die Verfassung als ethnische Minderheit anerkannt sind Serben, Roma, Ashkali, Ägypter, Türken, Bosniaken und Gorani (CIA 7.4.2020; vgl. GIZ 3.2020b). Im Parlament stehen diesen 20 von 120 Sitzen zu, wobei 10 Sitze für Repräsentanten der serbischen Minderheit reserviert sind (GIZ 3.2020a). Die Republik Kosovo ist international von mehr als 110 Staaten anerkannt, nicht jedoch von Serbien. Das ungeklärte Verhältnis zu Serbien behindert die Annäherung des Kosovo an EU und NATO. Seit 2011 vermittelt die EU einen politischen Dialog zwischen den beiden Ländern mit dem Ziel einer ehestmöglichen und umfassenden Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen. Inzwischen wurden mehrere wichtige Vereinbarungen erzielt, die zu einer deutlichen Entspannung geführt haben. Im Kosovo sind einige internationale Missionen tätig: Die NATO-Mission KFOR mit ca. 3500 Soldaten, die EU-Rechtsstaatlichkeitsmission (EULEX), die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen (UNMIK) sowie die OSZE-Mission (OmiK) (AA 19.4.2020).
Generell werden die Konsolidierung der Demokratie im Kosovo sowie deren Effizienz und Reaktionsfähigkeit im politischen Prozess durch eine Reihe von Faktoren, wie beispielsweise eine mangelnde Rechenschaftspflicht der politischen Klasse, untergraben. Die demokratischen Institutionen werden oftmals als undurchsichtig und wenig kooperativ in der Zusammenarbeit wahrgenommen. Trotzdem ist etwa ein Drittel der Bevölkerung mit Regierung und Parlament zufrieden. In den letzten vier Jahren konnte - wenngleich von einem niedrigen Niveau ausgehend - doch eine deutliche Verbesserung verzeichnet werden. Eine Umfrage der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) aus dem Jahr 2010 ergab, dass 75% der Kosovaren eine positive Einstellung zur Demokratie haben. Die hohe Zustimmung zur Demokratie hat unter den sozioökonomischen Veränderungen, dem Versöhnungsprozess der Regierung mit Serbien und den serbischen Gemeinden im Kosovo und den 2015 von der Opposition organisierten Straßenprotesten gelitten (BS 2020).
Am 5.10.2019 fanden im Kosovo vorgezogene Parlamentswahlen statt. Diese Wahl war erforderlich geworden, weil der amtierende Ministerpräsident und ehemalige UCK-Kommandeur Ramush Haradinaj wegen einer Vorladung zum Sondertribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag vom Amt als Regierungschef zurückgetreten war (DS 7.10.2019; NZZ 7.10.2019). Die Wahlen wurden – bei einer Wahlbeteiligung von 44% - von den bisherigen Oppositionsparteien gewonnen. Den Kampf um den ersten Platz und damit um den Regierungsauftrag entschied mit knapp 25,6% der Stimmen die groß-albanische, nationalistische und EU-kritische Oppositionspartei Vetëvendosje (Selbstbestimmung) mit ihrem Spitzenkandidaten Albin Kurti für sich. Dicht dahinter folgte mit 24,9% der Stimmen die moderat-konservative Demokratische Liga des Kosovo (LDK) mit ihrer Spitzenkandidatin Vjosa Osmani. Den dritten Platz belegte mit 21,1% die – von Staatspräsident Hashim Thaci dominierte - Demokratische Partei des Kosovo (PDK). Die Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK) des nur zwei Jahre amtierenden Ministerpräsidenten Ramush Haradinaj kam auf 11,6% der Stimmen (NZZ 7.10.2019; vgl. DP 7.10.2019; GIZ 3.2020a).
Der Wahlausgang wurde als Signal gegen Korruption und Stillstand gewertet und bedeutete zunächst das Ende der langjährigen Dominanz der PDK von Staatspräsident Hashim Thaci über die kosovarische Politik (ORF 6.10.2019). Mehr als die Hälfte aller Stimmen konnten zwei Politiker auf sich vereinen, deren Karriere nicht in der UCK begann und die für einen klaren Bruch mit dem Klientelsystem des politischen Establishments stehen (NZZ 7.10.2019). Wie von Beobachtern erwartet, kam es zu einem Regierungsbündnis zwischen den nunmehr siegreichen bisherigen Oppositionsparteien unter Führung von Kurti und Osmani. Beide kündigten an, die grassierende Korruption bekämpfen und den Rechtsstaat stärken zu wollen (Spiegel 9.2.2020; vgl. DP 7.10.2019).
Nach nur etwa 50 Tagen im Amt wurde die Regierung von Ministerpräsident Albin Kurti per Misstrauensvotum gestürzt. Hintergrund war ein Streit um Verhandlungen mit Serbien, das die Unabhängigkeit des Kosovo bis heute nicht anerkennt (Standard 2.5.2020). Während Kurti baldige Neuwahlen favorisierte, forderte Präsident Hashim Thaci die Bildung einer Einheitsregierung; dies hätte zu einer Regierungsbeteiligung der oppositionellen Demokratischen Partei des Kosovo, der PDK, führen können, jener Partei, die Thaci bis zur Übernahme der Präsidentschaft vor vier Jahren geleitet hatte (AA – 6.4.2020, vgl. BBC 26.3.2020).
Ein vorläufiges Dekret von Präsident Thaci, mit dem ein Politiker der Mitte-Rechts-Partei LDK den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten hatte, wurde jedoch vom Verfassungsgericht ausgesetzt, womit die Regierungsbildung bis zu einer endgültigen Gerichtsentscheidung nunmehr auf Eis liegt (Standard 2.5.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (19.4.2020): Außen- und Europapolitik, Kosovo. Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kosovonode/politisches-portraet/207468?openAccordionId=item-207450-0-panel, Zugriff4.5.2020
- AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 3.4.2020
- BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (6.4.2020): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027827/briefingnotes-kw15-2020.pdf, Zugriff 3.4.2020
- BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Kosovo, https://www.btiproject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RKS.pdf, Zugriff 17.4.2020
- BBC (26.3.2020): Coronavirus row helps topple Kosovo government, https://www.bbc.com/news/world-europe-52044136, Zugriff 7.4.2020
- CIA – Central Intelligence Agency (7.4.2020): The Worlöd Factbook. Europe. Kosovo, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/kv.html, Zugriff 17.4.2020
- DS - Der Standard (7.10.2019): Riskante Wachablöse im Kosovo, https://www.derstandard.at/story/2000109598474/riskante-wachabloese-im-kosovo, Zugriff 6.4.2020
- DP - Die Presse (7.10.2019): Kosovos Rebell greift nach der Macht, https://www.diepresse.com/5702091/kosovos-rebell-greift-nach-der-macht, Zugriff 8.10.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Kosovo -Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 4.5.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Kosovo - Gesellschaft, https://www.liportal.de/kosovo/gesellschaft/, Zugriff 4.5.2020
- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (7.10.2019): Wahlerfolg der Opposition: In Kosovo weht ein neuer Wind, https://www.nzz.ch/international/wahlen-im-kosovo-bisherigeoppositionsparteien-liegen-vorn-ld.1513769, Zugriff 3.4.2020
- ORF - Österreichischer Rundfunk (6.10.2019): Opposition gewinnt Parlamentswahl im Kosovo, https://orf.at/stories/3139956/, Zugriff 8.10.2019
- Spiegel (9.2.2020): Kurti stellt die Systemfrage, https://www.spiegel.de/politik/ausland/kosovo-albin-kurti-will-als-premier-alles-andersmachen-a-9cbb96a8-c191-4366-ae0d-66a0e9b8ac0d, Zugriff 7.4.2020
- Standard (2.5.2020): Verfassungsgericht im Kosovo stoppt Bildung einer neuen Regierung, https://www.derstandard.at/story/2000117242247/verfassungsgericht-imkosovo-stoppt-bildung-einer-neuen-regierung, Zugriff 7.4.2020
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 11.5.2020
Ethische Spannungen konzentrieren sich im Wesentlichen auf die Beziehungen zwischen der serbischen Minderheit und der albanischen Mehrheit. Zu differenzieren sind dabei die Beziehungen zu den im Norden in einem zusammenhängenden Gebiet lebenden Serben und jenen Serben, die im restlichen Kosovo in kleineren versprengten Gemeinden wohnen. Letztere unterhalten relativ gute Beziehungen zu den kosovo-albanischen Autoritäten und beteiligen sich an der gesellschaftspolitischen Ausgestaltung im Rahmen der kosovarischen Institutionen. Ganz anders ist hingegen die Situation im Nordkosovo. Die hier lebenden Serben weigern sich, die Unabhängigkeit des Kosovo und zum Teil die Institutionen des neu geschaffenen Staates anzuerkennen. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die Zusammenarbeit. Besonders problematisch sind speziell Fragen der Grenze zwischen dem Kosovo und Serbien, zumal diese von den im Norden lebenden Serben nicht anerkannt wird (GIZ 9.2018a).
Somit bleibt die Lage im Norden des Kosovo (Gemeinden Zubin Potok, Leposavic, Zvecan und Nord-Mitrovica) angespannt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es auch künftig zu isolierten sicherheitsrelevanten Vorkommnissen kommt, die die allgemeine Bewegungsfreiheit einschränken (AA 2.5.2020). Mit der Ausnahme des Nordkosovo gilt die Sicherheitslage allgemein als entspannt. Allerdings kann es zu punktuellen Spannungen kommen (GIZ 9.2018a).
In Pristina und anderen Städten des Landes kann es gelegentlich zu Demonstrationen und damit zu einer Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit kommen. In allen anderen Landesteilen Kosovos ist die Lage grundsätzlich ruhig und stabil. Teilweise gewalttätige Protestaktionen der Opposition gegen die Regierung haben sich seit dem ersten Halbjahr 2016 nicht mehr ereignet, das Potential für solche Proteste besteht aber weiterhin (AA 2.5.2020).
Eine Studie des angesehenen Kosovo Center for Security Studies zum Sicherheitsgefühl der Kosovaren aus dem Jahr 2018 ergab, dass sich 85,5% der Befragten in ihrem Zuhause (Wohnung, Haus), 78,8% in ihrer Stadt und 52,4% im Kosovo sicher fühlten. Albanische und nicht-serbische Minderheitenangehörige fühlen sich im Kosovo sicherer als Serben (KCSS 7.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (2.5.2020): Kosovo: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/kosovosicherheit/207442, Zugriff 4.5.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 23.12.2019
- KCSS - Kosovo Center for Security Studies (7.2019): Kosovo Security Barometer – Trends of Citizens’ Perceptions on Public safety in Kosovo (2016 – 2018), https://www.academia.edu/40117450/REPORT_BY_KCSS_TRENDS_OF_CITIZENS_PERCEPTIONS_ON_PUBLIC_SAFETY_IN_KOSOVO, Zugriff 23.12.2019
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 11.5.2020
Die innere Sicherheit der Republik Kosovo beruht auf drei Komponenten: der Kosovo Polizei (KP), den unterstützenden internationalen EULEX-Polizeikräften (EU-Rechtstaatlichkeitsmission, Anm.) und den KFOR-Truppen (mit 3.500 Soldaten) (AA 21.3.2019). Als eine ihrer Operationslinien unterstützt die KFOR Aufbau und Training der multiethnischen und zivil kontrollierten, leicht bewaffneten Sicherheitskräfte „Kosovo Security Force“ (KSF), die nach dem bisherigen Gesetzesrahmen nicht mehr als 2.500 Mitglieder und maximal 800 Reservisten hatten. Die KSF übernimmt derzeit primär zivile Aufgaben wie Krisenreaktion, Sprengmittelbeseitigung und Zivilschutz. Das am 14.12.2018 mit überwältigender parlamentarischer Mehrheit verabschiedete Gesetzespaket zur Transition in reguläre, defensiv ausgerichtete Streitkräfte unterwirft die KSF einem 10-jährigen Übergangsprozess, an dessen Ende ca. 5.000 leicht bewaffnete Defensivkräfte stehen sollen. Die kosovarische Regierung hat der NATO gegenüber schriftlich die volle Transparenz des Prozesses, die Bewahrung des multiethnischen Charakters der KSF sowie das Festhalten an den Bedingungen von UNSCR 1244 und dem KFOR-Mandat bekundet (AA 21.3.2019).
Die Polizei (Kosovo Police, KP) hat derzeit eine Stärke von ca. 9.000 Personen. Der Frauenanteil in der KP beträgt 14%; der Anteil der Angehörigen von Minderheiten liegt bei 16%. EULEX-Polizisten beraten und unterstützen Polizeidienststellen im gesamten Land. Für die parlamentarische Kontrolle der Sicherheitskräfte ist im Parlament der Ausschuss für Inneres, Sicherheitsfragen und Überwachung der KSF zuständig (AA 21.3.2019). Weiterhin sollen die Polizeistrukturen im Kosovo vereinheitlicht und Mitglieder serbischer Sicherheitskräfte in die kosovarische Polizei integriert werden. Die Polizeikräfte im serbischen Norden sollen die Bevölkerungsverhältnisse widerspiegeln und unter Führung eines kosovo-serbischen Regionalkommandanten stehen (GIZ 3.2020a). Es gibt 436 Polizeibeamte (Angehörige der KP) pro 100.000 Einwohner. Dies übertrifft den EU-Durchschnitt, der sich im Jahr 2016 gemäß Eurostat auf 318 Beamte belief. Die Polizei ist relativ gut ausgebildet und ausgerüstet. Sie verfügt über moderne IT-Infrastruktur. Die „Kosovo Academy for Public Safety“ gewährleistet eine gute Ausbildung für Polizeibeamte und andere Angehörige des Sicherheitsapparats (Zollbeamte, Beamte des Strafvollzugs) sowohl im Bereich der Grundausbildung als auch im Bereich der berufsbegleitenden Weiterbildung. Die Kapazität der Polizei zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist gut, jedoch unterliegt die Polizei immer noch Korruption und politischem Druck (EC 29.5.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 10.4.2020
- EC - Europäische Kommission (29.5.2019): Kosovo 2019 Report, S33 u. S35, https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20190529-kosovoreport.pdf, Zugriff 27.11.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 5.5.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 23.12.2019
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 11.5.2020
Das Verbot der Folter sowie der grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe wird im Artikel 27 der kosovarischen Verfassung verankert. Artikel 199 des Strafgesetzbuches kriminalisiert Folter in voller Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsnormen (AA 21.3.2019). Die Gesetze werden aber uneinheitlich umgesetzt und es gab anhaltende Vorwürfe, dass Gefangene von der Polizei und in geringerem Maße auch vom Personal des Strafvollzugsdienstes gefoltert und misshandelt wurden (UDOS 11.3.2020). Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nahm in seinem letzten Bericht über den Besuch in Serbien und Kosovo mit großer Besorgnis zahlreiche Anschuldigungen wegen Folter und Misshandlungen durch die Polizei zur Kenntnis (AA 21.3.2019; vgl. UN 25.1.2019). In erwähntem Papier wird über Misshandlungen von Gefangenen sowie verbale und psychologische Drohungen berichtet. Auch besteht ein Mangel an Aufsicht in der Untersuchungs- und Verhörphase der Inhaftierung, was angeblich zu erzwungenen Geständnissen führt (USDOS 11.3.2020).
Die Ombudsperson des Kosovo (KOI) verfügt in ihrer Eigenschaft als Nationaler Präventionsmechanismus gegen Folter (National Preventive Mechanism against Torture – NPMT) über sieben Mitarbeiter. Darunter sind ein Arzt, ein Psychiater, ein Sozialarbeiter und zwei Anwälte, die sich hauptberuflich mit der Verhütung von Folter befassen. Im Jahr 2018 unterzog sich der NPMT einem intensiven, vom Europarat finanzierten Schulungsprogramm, um seine Kapazitäten zu verbessern. Auch führte er in Gefängnissen, Haftanstalten, psychiatrischen Einrichtungen und Polizeistationen Inspektionen durch. Gefangene und Inhaftierte können den NPMT über Rechtsanwälte, Familienangehörige, internationale Organisationen, direkte Telefonanrufe oder über Briefkästen in Haftanstalten, die nur für Mitarbeiter der KOI zugänglich sind, kontaktieren. Die KOI berichtete zwar über Beschwerden gegen die Polizei und den Strafvollzugsdienst; darunter Vorwürfe der körperlichen Misshandlung von Gefangenen, aber keine Folterhandlungen (USDOS 11.3.2020).
Das Kosovo-Rehabilitationszentrum für Folteropfer (KRCT), die führende NGO des Landes in Fragen der Folter, gab ebenfalls an, im Laufe des Jahres keine glaubwürdigen Berichte über Folterungen erhalten zu haben, obwohl die Misshandlung von Gefangenen nach wie vor ein Problem darstellt (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, - 30/72 –BE-0311-415 https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 30.3.2020
- UNHRC – United Nations Human Rights Council (25.1.2019): Visit to Serbia and Kosovo. Report of the Special Rapporteur on torture and other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment, https://atlas-oftorture.org/api/files/1552483246133hd6yw6vl38u.pdf, Zugriff 31.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Kosovo, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026405.html, Zugriff 21.4.2020
Korruption
Letzte Änderung: 11.5.2020
Laut Gesetz steht Korruption von Beamten unter Strafe, aber die Regierung setzt diese Vorgaben nicht effektiv um. Korruption bei Beamten bleibt gelegentlich ungesühnt. Das Fehlen einer wirksamen Justizaufsicht und eine allgemeine Schwäche der Rechtsstaatlichkeit tragen zu diesem Problem bei. Gegen Korruptionsfälle wird routinemäßig wiederholt Berufung eingelegt, und das Justizsystem lässt oft Verjährungsfristen auslaufen, ohne die Fälle vor Gericht zu bringen. Die Antikorruptionsbehörde (ACA) und das Nationale Rechnungsprüfungsamt tragen gemeinsam die Verantwortung für die Bekämpfung staatlicher Korruption. Verurteilungen wegen Korruptionsvorwürfen machen weiterhin nur einen geringen Teil der untersuchten und angeklagten Fälle aus. NGOs berichten, dass Anklageerhebungen oft fehlschlagen, weil Staatsanwälte falsche Anklagen erheben oder Verfahrensfehler machen (USDOS 11.3.2020).
Die institutionellen Rahmenbedingungen zur Korruptionsbekämpfung sind schwach. Die Zuständigkeitsbereiche der vier primären Korruptionsbekämpfungsbehörden überlappen sich, was eine effiziente Koordinierung der Bemühungen erschwert. Die Behörden zeigen nur wenig Anstrengung, hochrangige Korruptionsfälle zu untersuchen, und wenn hochrangige Beamte doch verfolgt werden, so kommt es selten zu Verurteilungen. Ende 2018 waren vier Minister, denen Korruption bzw. Interessenskonflikte vorgeworfen wurden, trotz entsprechender Anklagen weiterhin im Amt. Staatsanwälte und Gerichte sind nach wie vor anfällig für politische Einmischung und Korruption durch mächtige politische und geschäftliche Eliten, wodurch ordnungsgemäße Verfahren untergraben werden (FH 4.2.2019). Auch die Ergebnisse der EULEX-Anti-Korruptionsbemühungen waren minimal. Besonders hochrangige Korruptionsfälle wurden nicht einmal untersucht, was einen weit verbreiteten Eindruck der Straflosigkeit hervorrief. Es schien, als sollte wichtigen Persönlichkeiten der politischen Elite des Kosovo eine Untersuchung oder gar ein Gerichtsverfahren erspart bleiben, im höheren Interesse der Aufrechterhaltung des kosovarischen Staatsbildungsprojekts (BS 2020).
Zentrale Bereiche der Korruption sind neben dem Gesundheits- und Bildungswesen die Justiz, in der es regelmäßig zu politischer Einflussnahme kommt, außerdem die öffentliche Verwaltung, in der Nepotismus, Beschäftigung nach Parteibuch wie die Manipulation öffentlicher Ausschreibungsverfahren weit verbreitet sind. Politische Korruption, etwa bei der Besetzung von Aufsichtsräten herrscht auch bei öffentlichen Unternehmen vor. Die kosovarische Presse berichtet regelmäßig von Korruptionsskandalen, in die hochkarätige Partei- oder Regierungsvertreter verwickelt sein sollen. Zur Anklage kommt bisher jedoch nur ein kleiner Teil davon und zu Verurteilungen kommt es ganz selten. So wurde der frühere Minister Fatmir Limaj diverse Male, unter anderem von EULEX-Richtern, wegen Korruption angeklagt, zu einer Verurteilung kam es nie. Auch sein Bruder, Florim Limaj, der im Innenministerium mit der Bekämpfung von Korruption betraut war, wurde wegen Korruption angeklagt. Ähnlich gelagert war der Fall des Staatsanwalts Nazim Mustafi. Der mit der Bekämpfung von Korruption beauftragte Staatsanwalt wurde 2013 von einem EULEX-Gericht selbst zu fünf Jahren Haft verurteilt - wegen Bestechlichkeit. Nicht nur lokalen Richtern, Staatsanwälten und Polizei fehlt die politische Unabhängigkeit zur Verfolgung politisch sensibler Korruptionsfälle – selbst die EU-Rechtsstaatsmission EULEX erwies sich als außerordentlich ineffizient, hochkarätige Fälle politischer Korruption abzuurteilen. 2017 wurden laut offiziellen Statistiken von den Staatsanwaltschaften im Kosovo knapp 1.800 Personen wegen Korruption angeklagt, 90% davon waren Behördenvertreter. 2015 wurde eine behördenübergreifende Task Force gegen politisch sensible Korruption und organisierte Kriminalität geschaffen. Bis einschließlich 2018 kamen allerdings lediglich 27 Fälle zur Anklage, ganze 9 Personen wurden verurteilt. Nicht zuletzt wegen der ineffizienten Korruptionsbekämpfung haben zwei Drittel der Bevölkerung im Kosovo kein Vertrauen in die Justiz bzw. den Rechtsstaat (GIZ 3.2020a).
Diese Auffassung vertritt auch der Direktor der albanischen Antikorruptionsbehörde, Shaip Havolli und rief die Justizbehörden auf, keine Angst zu haben, auch hochrangige Personen wegen Korruption anzuklagen. Er betonte, dass niedrige Strafen und Freilassungen ein negatives Signal für die Entwicklung des Kosovo und seine Integration in die internationalen Strukturen seien (CoE o.D.a; vgl. Telegrafi 25.5.2019). Das Kosovo Law Institute beklagte 2019, dass das Ausmaß der Nichtbestrafung von Korruption besorgniserregend sei. Die Korruption auf hoher Ebene bleibe ein ernstes Problem. Der britische Botschafter im Kosovo zeigte sich beunruhigt, dass trotz aller Investitionen der internationalen Gemeinschaft ein hoher Prozentsatz von in Korruption verwickelten hohen Beamten nicht bestraft wird (CoE o.D.b).
Transparency International listet den Kosovo in seinem „Corruption Perceptions Index“ 2019 auf Platz 101 von insgesamt 180 bewerteten Staaten. Dies entspricht einer Verschlechterung um acht Plätze gegenüber 2018 (TI 1.2020; vgl. TI 30.1.2019). Im regionalen Vergleich zu seinen Nachbarländern liegt das Kosovo hinsichtlich des Ausmaßes an Korruption im Mittelfeld GIZ 3.2020a).
Quellen:
- BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Kosovo, https://www.btiproject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RKS.pdf, Zugriff 14.4.2020
- CoE – Council of Europe (o.D.a): Action against economic crime and corruption. KLI: The Justice System has failed to treat targeted cases, https://www.coe.int/en/web/corruption/anti-corruption-digest/kosovo, Zugriff 14.4.2020
- CoE – Council of Europe (o.D.b): Action against economic crime and corruption. Kosovo Law Institute: corruption remains unpunished in the country, https://www.coe.int/en/web/corruption/anti-corruption-digest/kosovo, Zugriff 17.4.2020
- FH - Freedon House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Kosovo, https://www.ecoi.net/en/document/2015997.html, Zugriff 27.11.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 5.5.2020
- Telegrafi.com (25.5.2019): Havolli kërkon dënime të larta për korrupsion, fton prokurorët e gjyqtarët të mos frikësohen, https://telegrafi.com/havolli-kerkon-denime-te-larta-perkorrupsion-fton-prokuroret-e-gjyqtaret-te-mos-frikesohen/, Zugriff 5.5.2020
- TI – Transparency International (1.2020): Corruptions Perceptions Index 2019, https://www.transparency.org/whatwedo/publication/corruption_perceptions_index_2019, Zugriff 5.5.2020
- TI – Transparency International (30.1.2019): Corruptions Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/cpi2018, Zugriff 5.5.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Kosovo, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026405.html, Zugriff 3.4.2020
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Haftbedingungen
Letzte Änderung: 11.5.2020
Die Situation in kosovarischen Haftanstalten ist unzureichend, und trotz Verbesserungen (insbesondere in Hinblick auf schwere Menschenrechtsverletzungen) werden internationale Standards verfehlt (GIZ 3.2020a). Probleme stellen insbesondere Gewalt zwischen den Häftlingen, Korruption, Kontakt mit radikalen religiösen oder politischen Ansichten sowie eine unterdurchschnittliche medizinische Versorgung dar. In einigen Teilen des überfüllten Gefängnisses von Dubrava sind die physischen Bedingungen nach wie vor minderwertig. Im Laufe des Jahres 2019 gingen beim KRCT („Kosovo Rehabilitation Center for Torture Victims“) Beschwerden von Häftlingen ein, die behaupteten, Opfer von Belästigung bzw. körperlicher Misshandlung durch Vollzugsbeamte geworden zu sein, vor allem in den Gefängnissen von Dubrava und Lipjan/Lipljan. Auch haben sich mehrere Häftlinge Verletzungen zugefügt, um auf ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen (USDOS 11.3.2020). Aufgrund mangelhafter Ausbildung und unzureichender Personalausstattung üben die Behörden nicht immer die Kontrolle über Einrichtungen oder Häftlinge aus. Ungefähr 30% der Insassen kommen mit einer Drogenabhängigkeit ins Gefängnis. Es gab keine Drogenbehandlungsprogramme innerhalb des Strafvollzugssystems, und das KRCT berichtet, dass regelmäßig illegale Drogen in die Einrichtungen geschmuggelt werden. Das KRCT dokumentierte Verzögerungen und Fehler bei der medizinischen Versorgung der Gefangenen sowie einen Mangel an spezialisierter Behandlung. Häufig sehen sich Gefangene gezwungen, benötigte Medikamente aus privaten Quellen zu beschaffen. Das KRCT beobachtete Lücken im Gesundheitsversorgungssystem des Gefängnisses in der Einrichtung in Dubrava und berichtet über eine unzureichende Zahl von psychiatrischen Fachkräften. Anwälte beschuldigen die Regierung, regelmäßig Untersuchungshäftlinge mit diagnostizierter geistiger Behinderung zusammen mit anderen Untersuchungshäftlingen unterzubringen. Die Untersuchungshäftlinge werden getrennt von den verurteilten Häftlingen untergebracht. Das Gesetz schreibt jedoch vor, dass verurteilte Kriminelle mit nachgewiesenen psychischen Problemen in Einrichtungen für psychische Gesundheitsfürsorge inhaftiert werden müssen. Aufgrund der Überbelegung solcher Einrichtungen ist dies oftmals nicht möglich. Betroffene erhalten Medikamente und können regelmäßige Konsultationen bei einem Psychiater wahrnehmen, bekommen aber darüber hinaus keinerlei Unterstützung und Behandlung (USDOS 11.3.2020).
Die Behörden führen nicht immer ordnungsgemäße Untersuchungen von Misshandlungsvorwürfen durch. Außerdem funktioniert der gesetzlich vorgeschriebene interne Beschwerdemechanismus nicht, da die Häftlinge Misshandlungen oft aus Mangel an Vertraulichkeit und aus Angst vor Vergeltung nicht melden. Das KRCT stellt auch fest, dass die Behörden keine schriftlichen Entscheidungen zur Rechtfertigung der Einzelhaft vorlegen. Die Regierung gestattet Besuche unabhängiger Menschenrechtsbeobachter, aber nur die nationale Institution der Ombudsperson und EULEX hatten das ganze Jahr über kontinuierlichen und ungehinderten Zugang zu den Haftanstalten. Das KRCT und das Zentrum für die Verteidigung der Menschenrechte und Freiheiten sind verpflichtet, Besuche 24 Stunden im Voraus anzukündigen. Zu den Verbesserungen, die 2019 vorgenommen wurden, gehören die Einstellung von 120 neuen Vollzugsbeamten, die teilweise Eröffnung des neuen Haftzentrums in Pristina, die Durchführung eines Pilotprogramms für Bewertungs- und Klassifizierungseinheiten und ein Verfahren, das es einigen Häftlingen ermöglicht, über Skype mit ihren Familien zu kommunizieren (USDOS 11.3.2020). Die Lebensbedingungen in den Gefängnissen gelten insgesamt als sehr schlecht. Der Informationsgrad unter Häftlingen über deren Rechte ist gering (GIZ 3.2020a).
Quellen:
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 8.5.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Kosovo, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026405.html, Zugriff 8.5.2020
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Grundversorgung
Letzte Änderung: 11.5.2020
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet. Das Warenangebot entspricht in der Auswahl (nicht immer in der Qualität) westeuropäischen Standards. Die Sozialhilfe bewegt sich auf niedrigem Niveau. Sozialleistungen reichen zur Befriedigung der Grundbedürfnisse kaum aus. Das wirtschaftliche Überleben sichert in der Regel zum einen der Zusammenhalt der Familien, zum anderen die im Kosovo ausgeprägte zivilgesellschaftliche Solidargemeinschaft. Im Jahr 2017 erhielten 26.111 Familien bzw. 106.649 Personen Sozialhilfe (AA 21.3.2019).
Obwohl das Wirtschaftswachstum des Kosovo in den letzten zehn Jahren besser war als das seiner Nachbarn und weitgehend integrativ, reichte es nicht aus, um genügend formelle Arbeitsplätze, insbesondere für Frauen und Jugendliche, bereitzustellen oder die hohen Arbeitslosenquoten deutlich zu senken. Das Wachstumsmodell stützt sich in hohem Maße auf Überweisungen, um den Binnenkonsum anzukurbeln, hat sich aber in jüngster Zeit auf ein stärker investitions- und exportgetriebenes Wachstum verlagert (WB o.D.).
Die kosovarische Wirtschaft wuchs in der Zeit nach der globalen Finanzkrise beständig über dem Durchschnitt des Westbalkans, wenn auch von einer niedrigen Basis aus. Das Pro-Kopf-BIP stieg von 1.088 US-Dollar im Jahr 2000 auf 4.458 US-Dollar im Jahr 2019. Trotz dieses Anstiegs des Pro-Kopf-Einkommens in den letzten 20 Jahren ist das Kosovo gemessen am Pro-Kopf-BIP nach wie vor das drittteuerste Land in Europa. Das jährliche Wachstum wird auf vier Prozent geschätzt, angetrieben durch den Konsum, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich, und durch Dienstleistungsexporte. Das Leistungsbilanzdefizit fiel von 7,6% des BIP im Jahr 2018 auf 5,5% im Jahr 2019, da sich das Importwachstum verlangsamte. Die Erwerbsbeteiligung ist mit durchschnittlich 40,5% der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter im Jahr 2019 nach wie vor chronisch niedrig. Die Arbeitslosenquote sank um 3,9 Prozentpunkte auf 25,7%. Die Staatsverschuldung ist gering, hat aber in den letzten Jahren rasch zugenommen. Die öffentliche und staatlich garantierte Verschuldung wird für Ende 2019 auf 17,7% des BIP geschätzt und ist damit die niedrigste auf dem Westbalkan, was dem Land Raum für die Aufnahme von Krediten zu Vorzugsbedingungen für produktive Investitionen mit einer hohen Rendite bietet. Der von den Banken dominierte Finanzsektor im Kosovo ist gesund und solide. Sowohl Kredite als auch Einlagen nahmen weiter zu (WB 2020).
Die kosovarische Wirtschaft leidet an einer unzureichenden Infrastruktur. Während es in den letzten Jahren zwar deutliche Verbesserungen hinsichtlich der Verkehrsinfrastruktur, v. a. beim Ausbau des Autobahnnetzes, gegeben, hat, stellt die instabile Energieversorgung weiterhin ein schwerwiegendes Entwicklungsproblem dar. Problematisch ist auch die politische Instabilität mit häufigen Regierungswechseln und fehlender entwicklungsorientierter Wirtschaftspolitik. Das Wirtschaftssystem weist klare Charakteristika politischer Patronage auf, mit der Dominanz des öffentlichen Sektors. Dazu gehören einerseits die öffentliche Verwaltung, in der - basierend auf einer parteipolitisch motivierten Personalpolitik - extrem hohe Gehälter bezahlt werden, und andererseits ineffiziente, politisch kontrollierte öffentliche Unternehmen bei gleichzeitig schleppend voranschreitender Privatisierung. Hinzu kommt ein schwacher Rechtsstaat mit einer schwachen und politisierten Justiz und Polizei, teils kriegsbedingt noch immer unklaren Eigentumsverhältnissen, der mangelnden auch wirtschaftlichen Kontrolle über Teile des kosovarischen Territoriums, in erster Linie der vier mehrheitlich serbisch bewohnten Gemeinden im Norden, sowie das Problem grassierender, systematischer Korruption (GIZ 3.2020c).
Vor diesem Hintergrund blüht weiterhin ein substantieller informeller Wirtschaftssektor, der marktwirtschaftliche Regeln unterläuft, Arbeiterrechte und den Sozialstaat aushöhlt. Die EU-Kommission schätzte 2019 den Anteil der Schattenwirtschaft am Bruttosozialprodukt auf 30%. Das extreme Handelsbilanzdefizit macht Kosovo in hohem Maße von ausländischer Hilfe und Überweisungen abhängig. Der Anteil der informellen Wirtschaftsleistung ist immens – schätzungsweise zwischen 27% und 45%. Weitere Probleme sind die unzureichende Infrastruktur (Energie, Wasser und Verkehr), ungelöste rechtliche Verhältnisse, mangelnde Transparenz, Korruption, Kriminalität, etc. (GIZ 3.2020c).
Kosovos Arbeitslosenquote belief sich laut nationalem Statistikamt im Jahr 2019 auf 25,70% (gegenüber 29,60% im Jahr 2018). Dies ist der geringste Wert, der seit zwanzig Jahren gemessen wurde (CEIC 2.4.2020; vgl. WB 2020). Trotzdem bleibt die Arbeitslosigkeit mit einer Zahl von ca. 130.000 Unbeschäftigten Ende 2019 eines der zentralen Probleme. Der Arbeitsmarkt im Kosovo ist geprägt durch eine niedrige Erwerbsbeteiligung (Beschäftigungsqoute Ende 2019: 30,7%), ein hohes Maß an langfristiger Arbeitslosigkeit (über 70% aller Arbeitslosen) und Jugendarbeitslosigkeit (Jugendarbeitslosigkeitsquote 2019, Q4: 49,1%) sowie durch erhebliche Genderdisparitäten (Frauenbeschäftigungsquote 2016, Q4: 22,4%, gegenüber einer Männerbeschäftigungsquote von 60,2%). Im Kosovo existiert allerdings ein sehr ausgedehnter informeller, nicht von der Statistik erfasster Sektor, welcher z. B. einen Großteil der Frauen umfasst, die in Subsistenzwirtschaften Leistungen im Agrarsektor erbringen. Folgen der Informalität sind Einnahmeeinbußen bei den Sozialabgaben sowie ein Mangel an sozialer und arbeitsrechtlicher Absicherung der Arbeitnehmer. Eine staatliche Arbeitslosenversicherung existiert im Kosovo nicht. Jährlich drängen ungefähr 36.000 junge Arbeitssuchende neu auf den Arbeitsmarkt, von denen nur ein geringer Teil absorbiert werden kann. Für die überwiegende Mehrheit bleibt daher eine der folgenden Optionen: (weiterführende) Aus- und Weiterbildung, Studium, Arbeitslosigkeit, informelle Beschäftigung oder Migration. Etwa ein Drittel aller jungen Kosovaren geht weder einer Schulbildung, Ausbildung oder Beschäftigung nach. Die Arbeitgeber bemängeln, dass der Ausbildungsstand der jungen Kosovaren nicht den Bedürfnissen der Unternehmen nach qualifizierten Arbeitskräften entspricht. Hieraus resultiert das Paradoxon der Gleichzeitigkeit von hoher Arbeitslosigkeit und unbesetzten Arbeitsstellen. Ein weiteres Problem ist, dass die ökonomischen und sozialen Statistikdaten immer noch unvollständig und teils von mangelnder Qualität sind, was sowohl die Bewertung der effektiven Wirtschaftsentwicklung beeinträchtigt als auch die wirtschafts- und sozialpolitische Planung (GIZ 3.2020c).
Etwa 18% der kosovarischen Bevölkerung leben in absoluter Armut (täglich verfügbares Einkommen geringer als € 1,72) und 5,2% in extremer Armut (€ 1,20). Obwohl die einzelnen Studien und Armutsberichte nicht direkt vergleichbar sind, gibt es Hinweise dafür, dass sich das Ausmaß der Armut im Kosovo in den letzten zehn Jahren leicht reduziert hat. Armutsgefährdung korreliert stark mit Ethnizität (insbesondere die Gruppen der RAE (Roma, Ashkali, Ägypter)-Minderheiten sind von Armut überproportional stark betroffen), Alter (Kinder), Bildung (Geringqualifizierte), Geographie und Haushaltsgröße (große Familien sowie Familien mit weiblichem Haushaltsvorstand). Der Lebensstandard ist im Kosovo sehr ungleich verteilt, mit Unterschieden in der durchschnittlichen Lebenserwartung von bis zu 10 Jahren zwischen einzelnen Gemeinden. Ein konsistentes geographisches Muster lässt sich jedoch nicht feststellen. Ein bedeutender Teil der Gesellschaft ist als mehrdimensional arm zu bezeichnen: Neben dem Mangel an pekuniären Ressourcen ist der Zugang zu sozialer Infrastruktur bzw. die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse, wie z. B. fließendes Wasser, für viele Menschen begrenzt. Der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel und der Ausgaben für Wohnraum an den gesamten Konsumausgaben eines Haushalts liegt im Kosovo im Durchschnitt bei 73%, die Ausgaben für Bildung und Gesundheit entsprechen 4% der gesamten Konsumausgaben. Der Human Development Index für Kosovo liegt laut dem Human Development Report Kosovo 2016 bei 0.741 (2015), was eine deutliche Steigerung gegenüber 2011 (0.713) bedeutet, jedoch einen der niedrigsten Werte in der Region darstellt (GIZ 3.2020b).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 6.4.2020
- CEIC-Data – (2.4.2020): Kosovo. Arbeitslosenquote, https://www.ceicdata.com/de/indicator/kosovo/unemployment-rate, Zugriff 10.4.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Kosovo - Gesellschaft, https://www.liportal.de/kosovo/gesellschaft/, Zugriff 5.5.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020c): Kosovo – Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/kosovo/wirtschaft-entwicklung/,Zugriff 5.5.2020
- WB – Weltbank (o.D.): The World Bank in Kosovo, https://www.worldbank.org/en/country/kosovo/overview, Zugriff 5.5.2020
Sozialbeihilfen
Letzte Änderung: 11.5.2020
Die Leistungsgewährung von staatlichen Sozialhilfeleistungen für bedürftige Personen erfolgt auf Grundlage des Gesetzes No. 2003/15. Jede Gemeinde verfügt über ein Zentrum für Soziales. Angehörige der Minderheiten werden zusätzlich von den in jeder Gemeinde eingerichteten Büros für Gemeinschaften und Rückkehrer (Municipal Office for Communities and Return, MOCR) betreut. Die Freizügigkeit wird für Sozialhilfeempfänger nicht eingeschränkt. Für den weiteren Sozialhilfebezug ist in der Kommune des neuen Wohnortes ein entsprechender Antrag zu stellen. Die Sozialhilfe bewegt sich auf niedrigem Niveau. Sozialleistungen reichen zur Befriedigung der Grundbedürfnisse kaum aus. Das wirtschaftliche Überleben sichert in der Regel zum einen der Zusammenhalt der Familien, zum anderen die in Kosovo ausgeprägte zivilgesellschaftliche Solidargemeinschaft. Im Jahr 2017 erhielten 26.111 Familien bzw. 106.649 Personen Sozialhilfe (AA 21.3.2019). Das Gesetz über die soziale Grundsicherung umfasst zwei Kategorien von Leistungsempfängern. Kategorie I definiert Familien als Leistungsempfänger, in denen alle Familienmitglieder temporär oder dauerhaft dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, z.B. Kinder bis 14 Jahre, Jugendliche bis 18 Jahren, sofern diese in das Bildungssystem integriert sind, Alleinerziehende mit mindestens einem Kind unter 15 Jahren, Personen mit schwerer und dauerhafter Behinderungen über 18 Jahre, ältere Personen über 65 Jahre. Kategorie II umfasst jene Familien, in denen mindestens ein Familienmitglied dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht und in denen mindestens ein Kind jünger als 5 Jahre bzw. ein/e Waise jünger als 15 Jahre versorgt wird. Die Leistungen aus beiden Kategorien sind an strenge Bedürftigkeitsprüfungen gebunden. Die monatliche Unterstützungsleistung variiert von € 50 für eine einzelne Person bis zu maximal € 150 für eine Familie mit sieben oder mehr Mitgliedern, was einer Lohnersatzquote von 11.2% (Einzelperson) entspricht. 2018 empfingen ca. 25.300 Familien mit ca. 103.409 Familienmitgliedern Sozialhilfe, ein Bevölkerungsanteil von 6%. Die Gesamtaufwendungen sind mit ca. € 32.9 Mio. bzw. einem Anteil von 0.5% des BIPs gering. Im Kosovo gibt es zwei spezielle Institutionen, die sich auf die Versorgung von Erwachsene mit psychischen Erkrankungen (in Shtime) bzw. auf die Versorgung älterer Menschen (in Prishtina) spezialisiert haben. Daneben wurden jüngst fünf kommunale Einrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung sowie Einrichtungen für ältere Menschen eröffnet. Die Institutionen in Shtime und Prishtina wurden in der Vergangenheit wiederholt mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht (GIZ 3.2020b).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 7.4.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Kosovo - Gesellschaft, https://www.liportal.de/kosovo/gesellschaft/, Zugriff 17.4.2020
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Rückkehr
Letzte Änderung: 11.5.2020
Die meisten europäischen Staaten haben mit Kosovo bilaterale Rückübernahmeabkommen abgeschlossen (AA 21.3.2019). Diese Rückübernahmeabkommen werden problemlos implementiert. Asylanträge kosovarischer Bürger in der EU sinken seit 2015, dementsprechend sinken auch die Rückführungen. Die Zahl der aus den EU-Staaten in den Kosovo zurückgeführten Personen ist von 18.789 im Jahr 2015, 11.030 im Jahr 2016 und 4.509 im Jahr 2017 auf 2.395 im Jahr 2018 gefallen (1.668 zwangsweise und 727 freiwillig). Im Jahr 2017 betrug die Rückkehrrate der in der EU aufhältigen kosovarischen Bürger, die seitens der Gastländer zum Verlassen des Territoriums angehalten wurden, in den Kosovo 85,9% (EC 29.5.2019). Das kosovarische Innenministerium prüft vor seiner Zustimmung zu einer Rückführung aus Drittstaaten anhand von Dokumenten, bestehenden Registereinträgen und/oder Zeugenaussagen die Herkunft einer Person aus Kosovo und das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 32 des kosovarischen Staatsangehörigkeitsgesetzes für die kosovarische Staatsangehörigkeit. Daher ist davon auszugehen, dass in Rückführungsfällen die formellen Voraussetzungen für die Registrierung als „Resident of Kosovo“ erfüllt werden. Probleme entstehen für Eltern bei der Registrierung von im Ausland geborenen Kindern, wenn lediglich Geburtsanzeigen vorgelegt werden können, weil Standesämter mangels fehlender Identitätsdokumente der Eltern keine Geburtsurkunden ausstellen können. Seit Mai 2010 hat die kosovarische Regierung Strategien für die Reintegration von Rückkehrern verabschiedet (AA 21.3.2019).
Geleitet wird der gesamte Reintegrationsprozess von der Abteilung für die Reintegration von Rückkehrern im kosovarischen Innenministerium. Für diese Abteilung arbeiten u. a. sechs sogenannte Regionalkoordinatoren, die dezentral in den größeren Gemeinden des Kosovo (auch Nord-Mitrovica) tätig sind und als Ansprechpartner für die in jeder Gemeinde eingerichteten Büros für Gemeinschaften und Rückkehrer (Municipal Office for Communities and Return, MOCR) fungieren sollen sowie auch Mitglieder der kommunalen Ausschüsse für Reintegration (Municipal Committees for Reintegration, MCR) sind. Zu den Aufgaben der Regionalkoordinatoren gehört auch ein Monitoring der MOCR und der MCR. Zudem können sie im Bereich der Wohnraumbeschaffung eigenständig tätig werden. Die erste Kontaktaufnahme zu den Rückkehrern findet bereits unmittelbar nach deren Ankunft in einem eigenen Büro der „Abteilung für die Reintegration von Rückkehrern“ [DRRP - Department for Reintegration of Repatriated Persons] im Flughafen Pristina statt. Falls erforderlich, werden Transport in die Heimatgemeinde oder eine befristete Unterkunft in einer Einrichtung in Pristina angeboten sowie Ansprechpartner in den Kommunen benannt. Im Bedarfsfall können individuelle medizinische Versorgungsmöglichkeiten über die Abteilung für die Reintegration von Rückkehrern in Zusammenarbeit mit dem kosovarischen Behörden organisiert werden (AA 21.3.2019).
Quellen: