TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/29 W165 2191057-2

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Veröffentlicht am 29.06.2021
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Entscheidungsdatum

29.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §52 Abs1 Z2
FPG §53
FPG §55

Spruch


W165 2191057-2/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ilse LESNIAK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.01.2020, Zl. 1091471303/191067822, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe gemäß §§ 57 und 10 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG sowie gemäß §§ 46, 52, 53 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides zu lauten hat:

„Gemäß § 10 Absatz 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 1 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, erlassen“,

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 18.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), wies den Antrag mit Bescheid vom 28.02.2018, Zl. 15-1091471303/151574482, sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2500 (AsylG) idgF (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.), ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Innsbruck vom 04.09.2018 wurde gegen den BF wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB, des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs. 1 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB Anklage erhoben.

Nachfolgend wurde ein Abschlussbericht des Stadtpolizeikommandos Innsbruck an das BFA übermittelt. Laut diesem wurde gegen den BF wegen des Verdachts auf Sachbeschädigung zum Nachteil der Justizanstalt Innsbruck, sowie des Verdachts auf Körperverletzung ermittelt.

In weiterer Folge wurde ein Abtretungsbericht des Stadtpolizeikommandos Innsbruck an das BFA übermittelt. Aus diesem geht zusammengefasst hervor, dass man den BF verdächtigt und dieser sich auch geständig gezeigt habe, Marihuana zu konsumieren.

Am 04.02.2019 verständigte die Staatsanwaltschaft Innsbruck das BFA hinsichtlich des gegen den BF wegen § 27 Abs. 1 SMG eingeleiteten Ermittlungsverfahrens vom vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung.

Am selben Tag fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der der BF ausführlich zu seinem Leben in Afghanistan und im Iran, seinen Fluchtgründen, seinem Leben in Österreich und seiner (zum damaligen Zeitpunkt noch nicht rechtskräftigen) Verurteilung befragt wurde.

Am 23.09.2019 übermittelte das LG Innsbruck das nicht rechtskräftige Urteil vom 13.12.2018, zu GZ: 23 Hv 94/18g, sowie das Protokoll der Hauptverhandlung. Der Schöffensenat verhängte über den BF nach § 201 Abs. 1 StGB in Anwendung der §§ 28 StGB, 19 JGG eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und verurteilte den BF weiters nach § 369 Abs 1 StPO zur Zahlung von EUR 1.000,-- binnen 14 Tagen an die namentlich genannte Privatbeteiligte und nach § 389 Abs. 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens. Die im Verfahren erlittene Vorhaft vom 17.07.2018, 02.10 Uhr, bis zum 13.12.2018, 12.45 Uhr (Schluss der Hauptverhandlung), wurde nach § 38 Abs 1 Z 1 StGB auf die Strafe angerechnet.

Gegen dieses Urteil meldete der BF fristgerecht Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Die Nichtigkeitsbeschwerde wurde durch den Vorsitzenden des Schöffensenats mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung von Nichtigkeitsgründen nach § 285a Z 2 StPO mit Beschluss vom 18.10.2019, GZ 23 Hv 94/18g-51, zurückgewiesen. Dieser Beschluss erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Die gegen das Urteil eines Schöffengerichts nicht offenstehende Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld wies das Berufungsgericht in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss vom 06.12.2019 nach § 294 Abs. 4 StPO als unzulässig zurück.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (im Folgenden: BVwG), vom 16.10.2019, GZ. W148 2191057-1/24E, wurde die gegen den eingangs zitierten Bescheid des BFA erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen und die Revision für unzulässig erklärt.

Am 07.11.2019 wurde im Hinblick auf eine beabsichtigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eine niederschriftliche Einvernahme in den Räumlichkeiten der Justizvollzugsanstalt Innsbruck durchgeführt.

In der Einvernahme gab der BF zu seiner persönlichen Situation zusammengefasst an, dass es ihm zwar gut gehe, er aber psychisch nicht ganz okay sei. Er denke immer an seine Schwester und seine kranke Mutter im Iran. Sonst sei er gesund. Manchmal treffe er sich in der Justizanstalt mit einer Psychologin, ärztliche Unterlagen habe er keine. In Österreich habe er eine volljährige Schwester und einen Cousin. Zu seinem Haftaufenthalt führte der BF aus, dass ihn das Gericht hinsichtlich der Vergewaltigung und Nötigung ohne jegliche Begründung verurteilt habe. Zur Anzeige wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt sei es nur gekommen, da er sich aus religiösen Gründen geweigert habe, im Duschraum die Unterhose auszuziehen, weshalb er mit dem Gesicht auf den Boden gedrückt und mit den Fäusten ins Genick geschlagen worden sei und ihm Handschellen angelegt worden seien. An einer Rauferei sei er nie beteiligt gewesen. Er habe Suchtmittel eingenommen, als er den Stuhl im Haftraum zerstört habe.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 13.12.2019, GZ. Ra 2019/14/0570-4, wurde die gegen das Erkenntnis des BVwG vom 16.10.2019 erhobene außerordentliche Revision zurückgewiesen.

Mit dem verfahrensgegenständlich bekämpften Bescheid vom 20.01.2020 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG (abermals) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.), einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.), gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt V.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

Zur Rückkehrentscheidung führte das BFA aus, dass sich der BF erst seit Oktober 2015 in Österreich aufhalte, weshalb seiner Aufenthaltsdauer noch keine maßgebliche Bedeutung zukomme. Der BF sei illegal eingereist und stütze seinen Aufenthalt ausschließlich auf einen Asylantrag, der sich als unrechtmäßig erwiesen habe. Der BF habe eine volljährige Schwester sowie einen Cousin in Österreich, die Übergangsstufe zur Absolvierung des Pflichtschulabschlusses sowie einen Lehrgang für Flüchtlinge an einer HTL besucht, einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert und gemeinnützige Tätigkeiten verrichtet, sei allerdings nie einer Beschäftigung nachgegangen, nicht selbsterhaltungsfähig und befinde sich seit 18.07.2018 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft. Er habe sich bei all seinen Integrationsbemühungen seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein müssen. Aufgrund der Schwere seiner Straftaten sei ihm eine erhebliche Missachtung der österreichischen Rechtsordnung vorzuwerfen. Eine Verletzung von Art. 8 EMRK liege insgesamt nicht vor.

Bei der Verhängung des Einreiseverbots nahm das BFA Bezug auf die vom BF gesetzten Straftaten und führte unter Berücksichtigung der Erschwerungs- und Milderungsgründe aus, dass sich diese sowohl objektiv als auch subjektiv als besonders schwerwiegend erwiesen hätten. Der BF sei während seiner Inhaftierung aufgrund der Vergehen der Sachbeschädigung und der Körperverletzung erneut strafrechtlich in Erscheinung getreten und nach wie vor in Haft, weshalb nicht auf einen Gesinnungswandel des BF geschlossen werden könne. Aufgrund der Schwere seines Fehlverhaltens sei die Annahme, dass der BF eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, jedenfalls gerechtfertigt.

Mit Schreiben vom 27.01.2020 verständigte die Staatsanwaltschaft Innsbruck das BFA von der Einbringung eines Strafantrages gegen den BF wegen § 269 StGB.

Gegen den Bescheid vom 20.01.2020 erhob der BF mit Schriftsatz seines gewillkürten Vertreters vom 14.02.2020 fristgerecht Beschwerde an das BVwG, mit welcher der Bescheid zur Gänze angefochten wurde. Zu den Beschwerdegründen wurde auf das bisherige Vorbringen im Verfahren sowie die bereits vorgelegten Beweismittel verwiesen. Zu seiner persönlichen Situation führte der BF im Wesentlichen aus, dass seine wichtigste Bezugsperson seine in Österreich aufhältige Schwester sei, mit der er stets Kontakt habe und die ihn in der Haft besuche. Bis zu seiner Inhaftierung habe er mit seiner Schwester zusammengelebt, sie sei seine ganze Familie, er könne sie nicht zurücklassen. Ebenfalls lebe ein Cousin in Österreich, mit dem er auch regelmäßig Kontakt pflege. Seine Kernfamilie befinde sich zwar im Iran, er müsste jedoch nach Afghanistan zurückkehren, dort hätte er niemanden mehr und wäre völlig auf sich alleine gestellt. In Afghanistan bilde die Großfamilie die zentrale Säule der afghanischen Gesellschaft. Der BF hätte im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan keinen Schutz durch seine Familie, „sein sozialer Status wäre somit ganz unten“. Er könne von niemandem Hilfe und Unterstützung erwarten, da die wichtigste bzw. einzige Unterstützungspflicht bei der Großfamilie liege, die der BF nicht habe. Unter einem wurde um Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ersucht, da eine sofortige Ausreise nicht erforderlich sei, zumal sich der BF derzeit auch noch in Haft befinde.

Die Beschwerde langte beim Bundesverwaltungsgericht am 18.02.2020 ein.

Mit Teilerkenntnis vom 25.02.2020, W165 2191057-2/3Z, erteilte das BVwG der Beschwerde gemäß § 18 BFA-VG keine aufschiebende Wirkung.

Am 04.09.2020 langte beim BVwG ein Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 16.06.2020 samt Berufungsurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 25.08.2020 ein, mit dem der BF wegen des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen á EUR 4,00, insgesamt sohin EUR 960,00, im Falle der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 120 Tagen, verurteilt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige BF ist afghanischer Staatsangehöriger und im Iran geboren und aufgewachsen. Der BF gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Farsi, er beherrscht Dari in Wort und Schrift und spricht ein wenig Deutsch und Englisch.

Die Eltern des BF stammen aus der Provinz Herat. Im Jahr 2014 wurde der BF aus dem Iran nach Afghanistan abgeschoben, wo er fünf bis sechs Monate in Karez Khoshk in der Provinz Ghor und in der Stadt Herat gelebt hat. In Karez Khoshk hat der BF bei der Familie von Freunden, die er aus dem Iran kannte, gelebt. In Herat wohnte der BF in einem Hotel. Der BF hat im Iran fünf Jahre lang eine Schule für afghanische Flüchtlinge besucht. Danach hat er mehrere Jahre als Fliesenleger auf Baustellen gearbeitet und war in der Küche tätig. Während seines Aufenthaltes in Afghanistan war der BF als Beifahrer eines privaten LKW-Fahrers tätig. Diese Tätigkeit wurde dem BF von Freunden aus dem Iran vermittelt. Nach seinem Aufenthalt in Afghanistan zog der BF wieder zurück in den Iran. Der BF konnte für seinen Lebensunterhalt sorgen.

Der Vater des BF ist bereits verstorben. Die Mutter, zwei Schwestern sowie ein Onkel mütterlicherseits des BF leben in derselben Ortschaft im Iran. Eine der Schwestern arbeitet als Friseurin oder Visagistin. Die Familie im Iran lebt unter mittelmäßigen Verhältnissen. In der Provinz Ghor In Afghanistan lebt die Familie von Freunden, die der BF aus dem Iran kennt, teilweise leben auch seine Freunde dort. Vor seiner Verhaftung hatte der BF sowohl zu seiner Familie im Iran als auch zu seinen Freunden Kontakt. Diesen Kontakt kann der BF wiederherstellen.

Beim BF wurde laut einem psychiatrischen Notfallbericht vom 15.09.2017 eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Der BF litt unter Ein- und Durchschlafstörungen, Gedankenkreisen und Suizidgedanken. Es fanden sich keine Hinweise auf eine akute, ernstliche und erhebliche Selbst- und Fremdgefährdung. Dem BF wurden Baldrian-Dragees zur Einnahme vor dem Schlafengehen verschrieben. Der BF leidet an keinen schwerwiegenden oder akut lebensbedrohlichen Erkrankungen.

Im Sommer 2015 verließ der BF den Iran, reiste unrechtmäßig in Österreich ein und stellte am 18.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der BF finanzierte die Reise nach Europa selbst.

Mit Bescheid vom 28.02.2018 Zl. 15-1091471303/151574482, wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung in seinen Herkunftsstaat Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde wies das BVwG mit Erkenntnis vom 16.10.2019, GZ. W148 2191057-1/24E, als unbegründet ab. Die dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 13.12.2019, Ra 2019/14/0570-4, zurückgewiesen. Das Erkenntnis des BVwG erwuchs in Rechtskraft.

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 20.01.2020, Zl. 1091471303/191067822, erließ das BFA erneut eine Rückkehrentscheidung gegen den BF und verhängte gegen ihn ein zehnjähriges Einreiseverbot.

Der BF befand sich seit 17.07.2018 in Untersuchungshaft und seit 10.12.2019 in Strafhaft. Am 16.11.2020 wurde der BF unter Bestimmung einer Probezeit von fünf Jahren sowie Anordnung der Bewährungshilfe bedingt entlassen. Seit 21.02.2021 ist der BF nicht mehr im Bundesgebiet gemeldet.

Mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 12.04.2021, GZ 22 BE 35/2020x wurde die Bewährungshilfe aufgehoben.

Vor seiner Inhaftierung hat der BF die Übergangsstufe für Jugendliche ohne Kenntnisse der Unterrichtssprache Deutsch zur Absolvierung des Pflichtschulabschlusses besucht. Danach hat er an einem Lehrgang für Flüchtlinge an einer HTL teilgenommen. Gegen eine Entschädigung von EUR 3,-- hat der BF gemeinnützige Tätigkeiten für seine ehemalige Wohnsitzgemeinde verrichtet. Er hat einen „Erste-Hilfe-Kurs“ absolviert und war Mitglied in einem Fitnessstudio. Der BF war während seines gesamten Aufenthaltes in Österreich nicht erwerbstätig. Vor seiner Verhaftung verfügte der BF auch in Österreich über einen Freundes- und Bekanntenkreis.

In Österreich leben die volljährige Schwester des BF und sein Cousin. Gegen seine Schwester wurde ebenfalls eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die dagegen eingebrachte Beschwerde ist beim BVwG anhängig. Vor seiner Inhaftierung lebte der BF im selben Quartier wie seine Schwester. Nunmehr besucht ihn seine Schwester ab und zu und der BF hat zu ihr telefonischen Kontakt. Sein Cousin lebt in Salzburg, zu diesem hat der BF nur telefonischen Kontakt. Zwischen dem BF und seiner Schwester bzw. seinem Cousin besteht kein Abhängigkeitsverhältnis.

Am 10.08.2017 wurde beim BF während einer Zugfahrt eine Personen- und Gepäckskontrolle durchgeführt und wurden in seinem Rucksack Marihuana und Mohnkapseln aufgefunden.

Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 13.12.2018 wurde der BF wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB, des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs. 1 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren sowie zur Zahlung eines Teilschmerzengeldbetrages in Höhe von EUR 1.000,00 an das Opfer seiner Straftaten verurteilt.

Mit Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 10.12.2019 wurde die verhängte Freiheitsstrafe auf zwei Jahre und acht Monate herabgesetzt und der Beschluss gefasst, dass eine bedingte Entlassung des BF nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe nicht in Betracht kommt.

Der Verurteilung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Im April 2018 befand sich der BF gemeinsam mit einer Freundin in einer Wohnung und gab ihr einen Saft zu trinken, den er zuvor mit einer bewusstseinsbeeinträchtigenden Substanz versetzt hatte und dazu führte, dass sie einschlief. Während sie schlief, vollzog der BF an ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr. Als sie nach dem Aufwachen die Wohnung wieder verlassen wollte, hinderte sie der BF über mehrere Stunden daran, indem er sie zunächst an ihrer Oberbekleidung festhielt, zurück in die Wohnung zog und äußerte, dass sie nicht gehen dürfe. Als sie erneut versuchte, die Wohnung zu verlassen, stellte sich der BF wiederholt in die Wohnungstür.

Zu einem anderen Zeitpunkt versuchte der BF die Frau zu veranlassen, ihn anzurufen, indem er sie per SMS mit dem Text: „Spielst du mit mir ja..? Wenn es is nix so rufst mi wenn du rufst nix i schwar auf meine mutter i mache was mit deine Gesicht dass du nix kann überhaupt raus gehen is egal was passiert uber i (hor und mach nix mir kaputt).“ mit einer Körperverletzung bedrohte.

Ein anderes Mal versetzte der BF der Frau im Zuge eines Streites einen Faustschlag ins Gesicht, sodass sie das Gleichgewicht verlor, mit dem Kopf gegen einen Stromkasten prallte und eine Zerrung des linken Handgelenks sowie eine Kieferprellung erlitt.

In einer Nacht im Sommer 2018 wollte die Bekannte des BF mit ihrer Freundin mit dem Zug zu dieser nach Hause fahren. Der BF befand sich ebenfalls am Bahnhof, stieg in denselben Zug ein und am selben Zielort wieder aus. Nachdem alle drei das Bahnhofsgebäude verlassen hatten, hob der BF seine Bekannte auf, trug sie in Richtung der Bahngleise und äußerte ihr gegenüber, dass ihre Zeit abgelaufen wäre. Als sie sich danach wieder im Bahnhofsbereich befanden, sagte er zu ihr: „Willst du, dass ich dich mit dem Kopf gegen die Mauer schlage, dass du tot bist?“

Als sich die Frau in weiterer Folge mit dem BF aussprechen wollte, legte er sich auf sie drauf, forderte sie auf, mit ihm den vaginalen Geschlechtsverkehr zu vollziehen und drückte ihr mit seinem Unterarm gegen den Hals während er versuchte, sie im Bereich der Scheide zu berühren und zu penetrieren. Die Frau konnte sich jedoch befreien, sodass ihm dies nicht gelang.

Eine Freundin der Frau beobachtete das Geschehen und wollte ihr zu Hilfe eilen, doch hinderte sie der BF daran, indem er sie am Hals würgte und ihr drohte, dass er die Frau erneut schlagen werde, wenn sie näherkomme.

Im Rahmen der Strafzumessung wertete das Landesgericht das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit fünf Vergehen als erschwerend, als mildernd die bisherige Unbescholtenheit des BF, sein Alter unter 21 Jahren, den Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben sei sowie das teilweise Geständnis. Eine (teil-)bedingte Strafnachsicht schloss das Gericht aus spezialpräventiven Erwägungen aus.

Das Oberlandesgericht ergänzte die herangezogenen Erschwerungs- und Milderungsgründe auf der erschwerenden Seite insoweit, als der BF die Freundin seines Opfers unter Einsatz beider Nötigungsmittel – nämlich Gewalt und gefährliche Drohung – daran hinderte, zu Hilfe zu eilen. Die Herabsetzung der Strafe begründete das Oberlandesgericht damit, dass in Haftsachen ein besonderes Beschleunigungsgebot gilt und die beträchtliche Überschreitung der vierwöchigen Ausfertigungsfrist um mehr als neun Monate sachlich nicht gerechtfertigt sei.

Eine bedingte Entlassung nach Vollzug von mehr als der Hälfte der Freiheitsstrafe schloss das Oberlandesgericht aus spezialpräventiven Gründen aus.

Während der Haft wurde gegen den BF insgesamt dreimal ein Ordnungsstrafverfahren geführt, wobei ihm einmal ein Verweis erteilt und zweimal eine Geldbuße auferlegt wurde. Grund für die Auferlegung der Geldbuße war zum einen, dass er in einem Haftraum der Justizanstalt einen Stuhl beschädigt hatte, zum anderen, dass es zwischen ihm und einem Mithäftling zu einer Rauferei gekommen war und beide leichte Verletzungen im Gesicht erlitten hatten.

Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 02.07.2020, GZ. 33 Hv 7/20i, wurde der BF von der wider ihn wegen des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1, erster Fall StGB erhobenen Anklage freigesprochen.

Der dagegen eingebrachten Schuldberufung gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Urteil vom 25.08.2020, GZ. 11 Bs 200/20d, Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verurteilte den BF wegen des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen á EUR 4,00, insgesamt sohin zu EUR 960,00. Für den Fall der Uneinbringlichkeit wurde eine Ersatzfreiheitsstrafe von 120 Tagen festgelegt.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass am 01.07.2019 drei Justizvollzugsbeamte damit beauftragt waren, die Hafträume zu durchsuchen, wobei im Zuge solcher Durchsuchungen üblicherweise die Häftlinge einzeln einer Inspektion des unbekleideten Körpers unterzogen werden. Die Justizwachebeamten forderten daher auch den damals in Untersuchungshaft angehaltenen BF auf, sich der Unterhose zu entledigen, dieser kam jedoch der Aufforderung nicht nach. Die Beamten beabsichtigten daher, die Durchsuchung zwangsweise durchzusetzen, indem zwei Beamte den BF fixierten und der dritte Beamte, versuchte, die Unterhose des BF abzustreifen. Dagegen wehrte sich der BF, indem er mehrfach versuchte, sich aus den Haltegriffen loszureißen und herauszuwinden. Daraufhin brachten die Beamten den BF zu Boden und versuchten, ihm am Rücken Handfesseln anzulegen. Auch dieser Amtshandlung wollte der BF entgehen, indem er neuerlich versuchte, sich aus den Haltegriffen der Beamten loszureißen und herauszuwinden. Da die Handlungen des BF lediglich zur Verzögerung der Amtshandlung führten, blieb die Tat beim Versuch.

Bei der Strafzumessung wertete das Gericht die Begehung während offenen Strafverfahrens und den Widerstand gegen mehrere Beamte als erschwerend, die Beschränkung der Tat auf den Versuch sowie die zum damaligen Zeitpunkt bestandene Unbescholtenheit des BF als mildernd.

Zudem wurde gegen den BF ein Strafverfahren wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (§ 27 Abs. 1 StGB) eingeleitet, wobei die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung vorläufig zurücktrat.

Seit der rechtskräftigen Erlassung der Rückkehrentscheidung und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat Afghanistan haben sich weder die Verhältnisse im Herkunftsstaat noch seine persönlichen Umstände derart nachhaltig und wesentlich verändert, dass seine Rückkehr in den Herkunftsstaat nunmehr mit einer realen Gefahr der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK verbunden wäre.

Zur allgemeinen Lage in Afghanistan bzw. in Herat und Mazar-e Sharif (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA, Version 4 vom 11.06.2021):

COVID-19

Letzte Änderung: 10.06.2021

[…]

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).

Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).

Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern" (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als "schwer erreichbar" gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021).

Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden (UNOCHA 3.6.2021; vgl. IPC 22.4.2021). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch lang anhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).

Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).

Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).

Nach Erkenntnissen der WHO steht Afghanistan [Anm.: mit März 2021] vor einer schleppenden wirtschaftlichen Erholung inmitten anhaltender politischer Unsicherheiten und einem möglichen Rückgang der internationalen Hilfe. Das solide Wachstum in der Landwirtschaft hat die afghanische Wirtschaft teilweise gestützt, die im Jahr 2020 um etwa zwei Prozent schrumpfte, deutlich weniger als ursprünglich geschätzt. Schwer getroffen wurden aber der Dienstleistungs- und Industriesektor, wodurch sich die Arbeitslosigkeit in den Städten erhöhte. Aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums ist nicht zu erwarten, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen bis 2025 wieder auf das Niveau von vor der COVID-19-Pandemie erholt (BAMF 12.4.2021).

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Bewegungsfreiheit

Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei später alle Grenzübergänge geöffnet wurden (IOM 18.3.2021). Seit dem 29.4.2021 hat die iranische Regierung eine unbefristete Abriegelung mit Grenzschließungen verhängt (UNOCHA 3.6.2021; vgl. AnA 29.4.2021). Die Grenze bleibt nur für den kommerziellen Verkehr und die Bewegung von dokumentierten Staatsangehörigen, die nach Afghanistan zurückkehren, offen. Die Grenze zu Pakistan wurde am 20.5.2021 nach einer zweiwöchigen Abriegelung durch Pakistan wieder geöffnet (UNOCHA 3.6.2021).

Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 23.9.2020). Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 18.3.2021). Mit Stand 25.5.2021 ist das Projekt Restart III weiter aktiv und Teilnehmer melden sich (IOM AUT 25.5.2021).

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Politische Lage

Letzte Änderung: 11.06.2021

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 1.10.2020). Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen (NSIA 1.6.2020) bis 39 Millionen Menschen (WoM 6.10.2020).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen, die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (CoA 26.2.2004; vgl. STDOK 7.2016, Casolino 2011).

Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (CoA 26.2.2004; vgl. Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

Im direkt gewählten Unterhaus der Nationalversammlung, der Wolesi Jirga (Haus des Volkes) mit 249 Sitzen, kandidieren die Abgeordneten für eine fünfjährige Amtszeit. In der Meshrano Jirga, dem Oberhaus mit 102 Sitzen, wählen die Provinzräte zwei Drittel der Mitglieder für eine Amtszeit von drei oder vier Jahren, und der Präsident ernennt das verbleibende Drittel für eine Amtszeit von fünf Jahren. Die Verfassung sieht die Wahl von Distrikträten vor, die ebenfalls Mitglieder in die Meshrano Jirga entsenden würden, aber diese sind noch nicht eingerichtet worden. Zehn Sitze der Wolesi Jirga sind für die nomadische Gemeinschaft der Kutschi reserviert (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 30.3.2021) und mindestens zwei Frauen sollen aus jeder Provinz gewählt werden (insgesamt 68) (USDOS 30.3.2021).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit gelegentlichen kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzesentwürfen die grundsätzliche Funktionsfähigkeit des Parlaments. Gleichzeitig werden aber die verfassungsmäßigen Rechte genutzt, um die Arbeit der Regierung gezielt zu behindern, Personalvorschläge der Regierung zum Teil über lange Zeiträume zu blockieren, und einzelne Abgeordnete lassen sich ihre Zustimmung mit Zugeständnissen - wohl auch finanzieller Art - belohnen. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaftspflicht der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 16.7.2020).

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Politische Parteien und Wahlen

Letzte Änderung: 11.06.2021

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 12.5.2021). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen auf Basis ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. CoA 26.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit (Casolino 2011; vgl. CoA 26.1.2004, USDOS 20.6.2020). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (CoA 26.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 16.7.2020). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 16.7.2020; vgl. DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 16.7.2020).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein patrimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Wahlen

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21.10.2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (USDOS 30.3.2021). Es ist geplant, die Wahlen in Ghazni im Oktober 2021 nachzuholen (AT 19.12.2020; vgl. TN 19.12.2020). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28.9.2019 statt (RFE/RL 20.10.2019; vgl. USDOS 30.3.2021, AA 1.10.2020).

Die ursprünglich für den 20.4.2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, war keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Nach monatelangem erbittertem Streit um die Gültigkeit von Hunderttausenden von Stimmen (DW 18.2.2020; vgl. FH 4.3.2020) waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden (FH 4.3.2020). Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen - bei einer geschätzten Bevölkerungszahl von 35 Millionen (DW 18.2.2020). Die umstrittene Entscheidungsfindung der Wahlkommission und deutlich verspätete Verkündung des endgültigen Wahlergebnisses der Präsidentschaftswahlen vertiefte die innenpolitische Krise. Amtsinhaber Ashraf Ghani wurde mit einer knappen Mehrheit zum Wahlsieger im ersten Urnengang erklärt. Sein wichtigster Herausforderer, Abdullah Abdullah erkannte das Wahlergebnis nicht an (AA 16.7.2020) und so ließen sich am 9.3.2020 sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Die daraus resultierende Regierungskrise wurde mit einem von beiden am 17.5.2020 unterzeichneten Abkommen zur gemeinsamen Regierungsbildung für beendet erklärt (AA 16.7.2020; vgl. DP 17.5.2020, TN 11.5.2020).

Diese Situation hatte ebenfalls Auswirkungen auf den afghanischen Friedensprozess. Das Staatsministerium für Frieden konnte zwar im März bereits eine Verhandlungsdelegation benennen, die von den wichtigsten Akteuren akzeptiert wurde, aber erst mit dem Regierungsabkommen vom 17.5.2020 und der darin vorgesehenen Einsetzung eines Hohen Rates für Nationale Versöhnung, unter Vorsitz von Abdullah, wurde eine weitergehende Friedensarchitektur der afghanischen Regierung formal etabliert (AA 16.7.2020). Dr. Abdullah verfügt als Leiter des Nationalen Hohen Versöhnungsrates über die volle Autorität in Bezug auf Friedens- und Versöhnungsfragen, einschließlich Ernennungen in den Nationalen Hohen Versöhnungsrat und das Friedensministerium. Darüber hinaus ist Dr. Abdullah Abdullah befugt, dem Präsidenten für die Hälfte der Positionen in den Regierungsabteilungen (Ministerien) Kandidaten vorzuschlagen (RA KBL 12.10.2020).

Die Bemühungen um die Durchführung von Wahlreformen zur Vorbereitung der verfassungsmäßig vorgeschriebenen und überfälligen Provinz-, Distriktrats- und Kommunalwahlen, wie in der politischen Vereinbarung vom 17.5.2020 zwischen Präsident Ghani und Dr. Abdullah dargelegt, kamen nur langsam voran. Am 15.12.2020 unterzeichneten die beiden Wahlorgane, die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und das United Nations Development Programme (UNDP), die Verlängerung des United Nations Electoral Support Project, um die technische Hilfe der Vereinten Nationen bis Ende Dezember 2021 fortzusetzen. Präsident Ghani und seine beiden Vizepräsidenten trafen sich am 17.1.2021 und am 19.1.2021 mit der Unabhängigen Wahlkommission und der Wahlbeschwerdekommission, um die Abhaltung der verzögerten Wolesi Jirga-Wahl für die Provinz Ghazni sowie der Provinzrats-, Distriktrats- und Kommunalwahlen zu besprechen. Die Wahlleitungsgremien erklärten sich bereit, die Wahlen im Oktober 2021 abzuhalten, abhängig von Sicherheit, Budget und Personalausstattung. Einheimische Wahlbeobachtungsorganisationen, darunter die Transparent Election Foundation of Afghanistan und das Free and Fair Election Forum of Afghanistan, äußerten sich skeptisch über die Praktikabilität der Durchführung von Wahlen im Oktober (UNGASC 12.3.2021).

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Friedens- und Versöhnungsprozess

Letzte Änderung: 11.06.2021

Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). 2020 fanden die ersten ernsthaften Verhandlungen zwischen allen Parteien des Afghanistan-Konflikts zur Beendigung des Krieges statt (HRW 13.1.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020, EASO 8.2020a) - die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses (EASO 8.2020a). Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nicht-amerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020; REU 6.10.2020). Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa Al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020, EASO 8.2020a). Die Taliban haben die politische Krise im Zuge der afghanischen Präsidentschaftswahlen derweil als Vorwand genutzt, um den Einstieg in Verhandlungen hinauszuzögern. Sie werfen der afghanischen Regierung vor, ihren Teil der am 29.2.2020 von den Taliban mit der US-Regierung geschlossenen Vereinbarung weiterhin nicht einzuhalten, und setzten ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).

Im September 2020 starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar (REU 6.10.2020; vgl. AJ 5.10.2020, BBC 22.9.2020). Der Regierungsdelegation gehörten nur wenige Frauen an, aufseiten der Taliban war keine einzige Frau an den Gesprächen beteiligt. Auch Opfer des bewaffneten Konflikts waren nicht vertreten, obwohl Menschenrechtsgruppen dies gefordert hatten (AI 7.4.2021).

Die Gewalt hat jedoch nicht nachgelassen, selbst als afghanische Unterhändler zum ersten Mal in direkte Gespräche verwickelt wurden (AJ 5.10.2020; vgl. AI 7.4.2021). Insbesondere im Süden, herrscht trotz des Beginns der Friedensverhandlungen weiterhin ein hohes Maß an Gewalt, was weiterhin zu einer hohen Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung führt (UNGASC 9.12.2020; vgl. AI 7.4.2021). Ein Waffenstillstand steht ganz oben auf der Liste der Regierung und der afghanischen Bevölkerung (BBC 22.9.2020; vgl. EASO 8.2020a) wobei einige Analysten sagen, dass die Taliban wahrscheinlich noch keinen umfassenden Waffenstillstand vereinbaren werden, da Gewalt und Zusammenstöße mit den afghanischen Streitkräften den Aufständischen ein Druckmittel am Verhandlungstisch geben (REU 6.10.2020). Die Rechte der Frauen sind ein weiteres Brennpunktthema. Die Taliban sind wiederholt danach gefragt worden und haben wiederholt darauf bestanden, dass Frauen und Mädchen alle Rechte erhalten, die "innerhalb des Islam" vorgesehen sind (BBC 22.9.2020). Frauenrechtlerinnen in Afghanistan haben jedoch seit vielen Jahren Bedenken geäußert, dass die Regierung die Rechte der Frauen eintauschen wird, um eine Einigung mit den Taliban zu erreichen. Die afghanische Regierung hat sich oft dagegen gewehrt, Frauen in Friedensgespräche einzubeziehen. Im Juni 2015 verabschiedete die afghanische Regierung einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Resolution 1325 des Sicherheitsrats für den Zeitraum 2015 bis 2022, der auch das Ziel enthielt, die effektive Beteiligung von Frauen am Friedensprozess zu gewährleisten, doch dem Plan fehlten Details und er wurde nicht sinnvoll umgesetzt (HRW 22.3.2021).

Am Tag der Wiederaufnahme der Verhandlungen in Doha am 5.1.2021 wurde nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Kabul in mindestens 22 von 34 Provinzen des Landes gekämpft (Ru

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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