Entscheidungsdatum
09.08.2021Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W141 2240607-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard HÖLLERER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Stephan WAGNER sowie den fachkundigen Laienrichter Robert ARTHOFER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX ,
geboren am XXXX , bevollmächtigt vertreten durch Rechtsanwälte- Partnerschaft NEUMAYER, WALTER & HASLINGER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien vom 23.09.2020, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), in Verbindung mit dem Vorlageantrag gegen die Beschwerdevorentscheidung vom 03.02.2021, OB: 76357149200022, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und die Beschwerdevorentscheidung behoben.
Die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass liegen vor.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Wirksamkeit ab dem 09.03.2020 hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) dem Beschwerdeführer einen befristeten Behindertenpass ausgestellt und einen Grad der Behinderung von 50 vH eingetragen.
1.1. Am 20.05.2020 hat der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde einen Antrag auf Eintragung des Zusatzvermerkes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass und Ausstellung eines Ausweises gem. § 29b der Straßenverkehrsordnung gestellt.
1.2. Mit Schreiben vom 16.06.2020 reichte der Beschwerdeführer diverse Unterlagen nach.
1.3. Zur Überprüfung des Antrages wurden von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten von einem Facharzt für HNO, basierend auf der Aktenlage vom 19.06.2020, ein Sachverständigengutachten von einem Arzt für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 29.07.2020 und eine Zusammenfassung der Sachverständigengutachten, mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzvermerkes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass nicht vorliegen.
1.4. Mit bei der belangten Behörde am 24.08.2020 eingelangtem Schreiben brachte der Beschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme ein.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23.09.2020 hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 BBG abgewiesen.
Dem Bescheid war das Sachverständigengutachten des Facharztes für HNO und des Arztes für Allgemeinmedizin sowie dessen Gesamtbeurteilung beigelegt.
2.1. Gegen diesen Bescheid wurde vom bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers am 11.11.2020 fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage zahlreicher weiterer medizinischer Beweismittel nahm der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers ausführlich zu den körperlichen Leiden und dem Krankheitsverlauf Stellung. Der bevollmächtigte Vertreter brachte im Wesentlichen zusammenfassend vor, dass es dem Beschwerdeführer nicht möglich sei, eine Wegstrecke von 300 bis 400 Metern ohne Pause zurückzulegen. Die neurologischen Störungen aufgrund der Entfernung des aggressiven Prostatakarzinoms sowie die daraus resultierenden Inkontinenzprobleme oder die Beschwerden beim längeren Spazierengehen aufgrund von Fehlstellungen der unteren Extremitäten wurden von dem Sachverständigen in seinem Gutachten nicht berücksichtigt. Zusammenfassend wurde der Beschwerdeführer daher unzureichend sowie von einem den Fachgebieten der Beschwerden nicht zuzuordnenden Sachverständigen aus dem Gebiet der Allgemeinmedizin beurteilt, der Beschwerdeführer bitte daher um nochmalige Befassung mit seinem Anliegen.
2.2. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurden von der belangten Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten von einer Fachärztin für Augenheilkunde, basierend auf der Aktenlage vom 19.11.2020, ein medizinisches Sachverständigengutachten von einem Facharzt für HNO, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 15.12.2020, ein medizinisches Sachverständigengutachten von einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 15.12.2020 und ein medizinisches Sachverständigengutachten von einer Fachärztin für Innere Medizin, basierend auf der der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 11.12.2020, sowie eine Zusammenfassung der Sachverständigengutachten, mit dem Ergebnis eingeholt, dass von medizinischer Seite weiterhin keine maßgebliche Erschwernis bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bestätigt werden könne.
3.1. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 03.02.2021 hat die belangte Behörde die am 11.11.2020 eingelangte Beschwerde gegen den Bescheid vom 23.09.2020 betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gemäß § 41, § 42 und § 46 BBG iVm § 14 und § 15 VwGVG abgewiesen.
Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG zitierend wurde begründend ausgeführt, dass die belangte Behörde zur Prüfung der gegen den Bescheid vom 23.09.2020 rechtzeitig eingebrachten Beschwerde ärztliche Sachverständigengutachten, basierend auf der Aktenlage und der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers eingeholt habe, welche im Ergebnis ergeben haben, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzvermerkes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass nicht vorliegen.
3.2. Von der belangten Behörde wurden zwei weitere Sachverständigengutachten eines von einem Facharzt für HNO, basierend auf der Aktenlage vom 08.02.2021 und eines von einer Fachärztin für Augenheilkunde, ebenfalls basierend auf der Aktenlage vom 10.02.2021, mit dem Ergebnis eingeholt, dass von medizinischer Seite keine maßgebliche Erschwernis bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bestätigt werden könne.
3.2. Mit Schreiben vom 22.02.2021 hat der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers rechtzeitig die Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht beantragt und zahlreiche Befunde vorgelegt. Der bevollmächtigte Vertreter nahm abermals ausführlich Stellung zu den körperlichen Beschwerden des Beschwerdeführers.
3.3. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurden von der belangten Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten von einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin, basierend auf der Aktenlage vom 25.02.2021 und ein medizinisches Sachverständigengutachten von einer Fachärztin für Innere Medizin, basierend auf der Aktenlage vom 26.02.2021 sowie eine Zusammenfassung der Sachverständigengutachten, mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzvermerkes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass nicht vorliegen.
3.4. Am 22.03.2021 ist der Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
3.5. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurden vom Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 31.05.2021 und ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 28.06.2021, mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzvermerkes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass vorliegen.
3.6. Im Rahmen des vom Bundesverwaltungsgericht am 07.07.2021 gemäß § 17 VwGVG iVm § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs hat die belangte Behörde keine Einwendungen erhoben.
3.7. Mit Schreiben vom 19.07.2021 brachte der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers eine schriftliche Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme ein.
3.8. Mit beim Bundesverwaltungsgericht eingelangtem Schreiben vom 21.07.2021 teilte der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers mit, dass dieser das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis nehme und auf eine mündliche Verhandlung verzichte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Da sich der Beschwerdeführer mit der Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar“ in den Behindertenpass nicht einverstanden erklärt hat, war dies zu überprüfen.
1. Feststellungen:
Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichen, Sachverhalt aus.
1.1. Der Beschwerdeführer ist Inhaber eines Behindertenpasses.
1.2. Zur beantragten Zusatzeintragung:
Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar.
1.2.1. Art der Funktionseinschränkungen:
- Hallux rigidus
- Osteochondrosis dissecans Sprunggelenke bds.- Arthrose Sprunggelenke bds.
- Radic. Läsionen WS und HWS
- Hypertonie
- Hypercholesterinämie
- Steat. Hepatis
- Choleiithiasis
- Struma nodosa
- Blande Nierenzysten
- Pankreaslipomatose
- Intimaverdickung der Halsgefäße
- Stp. N.prost -z.n. rad. Prostatektomie am 16.03.2020
- Harninkontinenz
- Herpes genitalis
- z.n. VH Flattern - z. n. Ablation 2017/SMZ Ost Sigamdivertikulose
- Rotatorenmanschettenruptur rechts
- Gestörte Glucosetoleranz
- Z.n. Kreuzbandruptur rechts
- Innenohrläsion beidseits
- Chr. Tinnitus beidseits
- St.p. AE, TE
- Loge de Guyon Syndrom rechts
- Depressive Episode nach Krebserkrankung mit erheblichen Anpassungsproblemen
1.2.2. Ausmaß der Funktionseinschränkungen:
Allgemeinzustand: reduziert
Ernährungszustand: normal
Größe: 172cm Gewicht: 88kg
Kopf frei beweglich, Hirnnervenaustrittpunkte frei; Sehen und Hören: auf Zimmerniveau unauffällig, Zimmerlautstärke verständlich
Herz: HT arrhythmisch, leise, rein, tachycard
Lunge: va, SKS, keine path RG´s, Lungenbasen verschieblich
OE: alle Gelenke endlagig schmerzbedingt eingeschränkt, DS über dem Carpus bds., Veränderungen wie bei Fingerpolyarthrosen
WS: kyphotische Veränderung im Bereich BWS/LWS Übergang, keine Klopfdolenz
UE: alle Gelenke aktiv endlagig in der Bewegung eingeschränkt
OSG: Schwellung bds., Flexion und Suppination eingeschränkt möglich
Varikositas beide USCH
Haut: leichte Kratzartefakte Beine und Stamm
Muskulatur- seitengleich atroph
Gesamtmobilität, Gangbild:
Kommt am Stock gehend zur Untersuchung, Gangbild schwerfällig, Lagewechsel erschwert aber möglich, freier Stand nur unter anhalten sicher, aufstehen mit abstützen am Schreibtisch
Status Psychicus:
Bewusstseinslage: klar; Orientierung: in allen Qualitäten erhalten; Aufmerksamkeit, Auffassung und Konzentration: grob ungestört; Merkfähigkeit und Gedächtnisleistung: ungestört; Ductus: kohärent, aber weitschweifend und leicht sprunghaft; Tempo: normal; Intelligenz: durchschnittlich; Keine funktionellen Abbauzeichen; Wahnphänomene und Sinnestäuschungen sind nicht explorierbar, Ich Störungen nicht explorierbar
Stimmung: dysthym, dysphorisch; Befindlichkeit: deutlich negativ getönt Affizierbarkeit: mehr im negativen Bereich Antrieb: ausreichend
Psychomotorik: Mimik und Gestik: leidender Ausdruck Krankheitseinsicht und Kritikfähigkeit: erhalten Biorhythmusstörungen: Schlaf ztw schlecht, Suizidalität: keine
Persönlichkeitsmerkmale: sehr angespannt, ängstlich, besorgt, logorrhoisch, Anpassungsprobleme, starkes Grübeln rund um die Krebserkrankung und die Harnentleerungsprobleme
1.2.3. Zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionseinschränkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Der Beschwerdeführer verwendet aufgrund der multiplen Gelenksbeschwerden sowie des reduzierten Allgemeinzustandes einen Gehstock, die Beine können zwar gehoben werden und Niveauunterschiede können überwunden werden, allerdings nur unter vermehrter Anstrengung bei zunehmenden Gelenksbeschwerden und Kraftverlust.
Es besteht eine eingeschränkte Kraft und Beweglichkeit an den oberen Extremitäten, die Greifformen sind erhalten, zur Mobilisierung wird ein Stock verwendet, da sich der Beschwerdeführer damit wesentlich sicherer fühlt.
Eine Gehstrecke von 300 bis 400m in 10 min kann nur mit einhalten von Pausen zurückgelegt werden.
Es sind auch das Überwinden von Niveauunterschieden, das Ein- und Aussteigen aus öffentlichen Verkehrsmitteln sowie die sichere Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln aufgrund dieser Muskelschwäche nicht gewährleistet, auch das Anhalten und die Sitzplatzsuche ist nicht ausreichend sicher möglich.
Es besteht keine schwere und anhaltende Erkrankung des Immunsystems.
Ebenso wenig liegt eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit vor.
Dem Beschwerdeführer ist aufgrund seines reduzierten Allgemeinzustandes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar.
1.3. Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses ist am 20.05.2020 bei der belangten Behörde eingelangt.
1.4. Der Verwaltungsakt ist unter Anschluss der Beschwerdeschrift und den dieser beigelegten Beweismittel am 22.03.2021 im Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
2. Beweiswürdigung:
Aufgrund der vorliegenden Beweismittel und des Aktes der belangten Behörde ist das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes Bild zu machen. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess, der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76).
Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: „Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (…)“.
Zu 1.1) Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.
Zu 1.2) Die Feststellungen zu Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen gründen sich – in freier Beweiswürdigung – in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel.
Die eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten sind schlüssig, nachvollziehbar und frei von Widersprüchen.
Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen der persönlichen Untersuchungen des Beschwerdeführers erhobenen klinischen Befund, entsprechen unter Berücksichtigung der vorgelegten Beweismittel den festgestellten Funktionseinschränkungen. Diese stehen nicht im Widerspruch zum Ergebnis der eingeholten Sachverständigengutachten, es wird kein höheres Funktionsdefizit beschrieben, als gutachterlich festgestellt wurde und sie enthalten auch keine neuen fachärztlichen Aspekte, welche unberücksichtigt geblieben sind.
Die Sachverständige für Innere Medizin und Rheumatologie beschreibt die Gesamtmobilität des Beschwerdeführers anschaulich. Aufgrund der multiplen Gelenksbeschwerden sowie des reduzierten Allgemeinzustandes wird ein Gehstock verwendet, die Beine können zwar gehoben werden und Niveauunterschiede können überwunden werden, allerdings nur unter vermehrter Anstrengung bei zunehmenden Gelenksbeschwerden und Kraftverlust.
Es besteht eine eingeschränkte Kraft und Beweglichkeit an den oberen Extremitäten, die Greifformen sind erhalten, zur Mobilisierung wird ein Stock verwendet, da der Beschwerdeführer sich damit wesentlich sicherer fühlt.
Es besteht aufgrund des Zustandes nach Prostatacarzinom eine anhaltende Muskelschwäche. Aufgrund dieser Gegebenheiten kann eine Gehstrecke von 300 bis 400m in 10 min nur mit einhalten von Pausen zurückgelegt werden.
Die Sachverständige für Innere Medizin und Rheumatologie führt weiters nachvollziehbar aus, dass momentan ein Gehstock in Verwendung ist, in weiterer Folge wäre ein Rollator als Unterstützung möglich- limitierend sind hier allerdings die bestehenden Gelenksbeschwerden auch an den Handgelenken, wodurch ein anhalten unter starker Druckbelastung- wie eben beim Abstützen auf einen Rollator notwendig- erschwert möglich scheint.
Betreffend die Einwendungen und medizinischen Beweismitteln hält die Sachverständige fest, dass das Beschwerdevorbringen sowie die vorgelegten Befunde gesichtet und gewertet wurden und sich insbesondere die geschilderten Beschwerden des Beschwerdeführers mit den im Rahmen des Untersuchungsgesprächs geschilderten Einschränkungen decken.
Im Vergleich zu den von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten begründet die untersuchende Sachverständige die Abweichung der Beurteilung damit, dass es aufgrund der körperlichen Untersuchung, der Anamnese und des Aktenstudiums zu einer abweichenden Beurteilung kommt. Eine kurze Wegstrecke von 300 bis 400 m kann in 10 min nur mit einhalten von Pausen unter Verwendung eines Gehstockes zurückgelegt werden.
Die Krankengeschichte des Beschwerdeführers wurde umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern auch im Zusammenwirken zueinander berücksichtigt.
Die Sachverständigengutachten stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder dessen Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.
Die Angaben des Beschwerdeführers in der Beschwerde und im Vorlageantrag und die vorgelegten Befunde waren sohin geeignet, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Sachverständigengutachten zu entkräften und eine geänderte Beurteilung herbeizuführen.
Zur Erörterung der Rechtsfrage, ob dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, siehe die rechtlichen Erwägungen unter Punkt II 3.1.
Zu 1.3.) Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses weist am Eingangsvermerk der belangten Behörde das Datum 20.05.2020 auf.
Zu 1.4.) Das Schreiben mit welchem die Beschwerdevorlage durch die belangte Behörde erfolgt ist weist am Eingangsvermerk des Bundesverwaltungsgerichtes das Datum 22.03.2021 auf.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG steht es der Behörde frei, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen (Beschwerdevorentscheidung). § 27 ist sinngemäß anzuwenden.
Gemäß § 14 Abs. 2 VwGVG will die Behörde von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absehen, hat sie dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.
(Anm.: Abs. 3 aufgehoben durch Art. 5 Z 11, BGBl. I Nr. 138/2017)
Gemäß § 15 Abs. 1 VwGVG kann jede Partei binnen zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag). Wird der Vorlageantrag von einer anderen Partei als dem Beschwerdeführer gestellt, hat er die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt (§ 9 Abs. 1 Z 3), und ein Begehren (§ 9 Abs. 1 Z 4) zu enthalten.
Gemäß § 15 Abs. 2 VwGVG hat ein rechtzeitig eingebrachter und zulässiger Vorlageantrag aufschiebende Wirkung, wenn die Beschwerde
1. von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung hatte und die Behörde diese nicht ausgeschlossen hat;
2. von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hatte, die Behörde diese jedoch zuerkannt hat.
Die Behörde hat dem Verwaltungsgericht den Vorlageantrag und die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen und den sonstigen Parteien die Vorlage des Antrags mitzuteilen.
Gemäß § 15 Abs. 3 VwGVG sind verspätete und unzulässige Vorlageanträge von der Behörde mit Bescheid zurückzuweisen. Wird gegen einen solchen Bescheid Beschwerde erhoben, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht unverzüglich die Akten des Verfahrens vorzulegen.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Gemäß § 1 Abs. 2 BBG ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Gemäß § 42 Abs. 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 42 Abs. 2 BBG ist der Behindertenpass unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
Gemäß § 43 Abs. 1 BBG hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen im Falle des Eintretens von Änderungen durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpass auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpass einzuziehen. (§ 43 Abs. 1 BBG)
Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
Gemäß § 46 BBG idF des BGBl. Nr. 57/2015 dürfen in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.
Gemäß § 54 Abs. 18 BBG tritt § 46 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 57/2015 mit 1. Juli 2015 in Kraft.
Die gegenständliche Beschwerde ist dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde am 22.03.2021 vorgelegt worden.
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls die Feststellung einzutragen, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
In den Erläuterungen zur oben genannten Verordnung wird auszugsweise Folgendes ausgeführt:
Zu § 1 Abs. 2 (auszugsweise):
Abs. 2 unterscheidet zwei Arten von Eintragungen; solche, die die Art der Behinderung des Passinhabers/der Passinhaberin betreffen und jene, die Feststellungen über Erfordernisse des Menschen mit Behinderung im täglichen Leben treffen, etwa die behinderungsbedingte Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise):
Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensations-möglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung“ regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128 und die dort angeführte Vorjudikatur sowie VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242 und 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt (VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242).
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH vom 14.05.2009,
Zl. 2007/11/0080).
Betreffend das Kalkül „kurze Wegstrecke“ wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 – 400 m ausgeht (vgl. u.a. Ro 2014/11/0013 vom 27.05.2014).
Der Beschwerdeführer ist aufgrund der vorliegenden Multiplen Gelenksprobleme sowie des reduzierten Allgemeinzustandes, nicht in der Lage, eine Gehstrecke von 300 bis 400 m zurückzulegen. Es sind auch das Überwinden von Niveauunterschieden, das Ein- und Aussteigen aus öffentlichen Verkehrsmitteln sowie die sichere Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht gewährleistet.
Unter Berücksichtigung der durchgeführten persönlichen Untersuchungen mit dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer eine Gehstrecke von 300 bis 400 m nicht zumutbar ist, liegen die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung vor.
Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen ein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar“ rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Weiters kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen für den beantragten Zusatzvermerk sind die Art, das Ausmaß und die Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Zur Klärung des Sachverhaltes wurden daher ärztliche Sachverständigengutachten eingeholt. Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurden diese als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.
Im Rahmen des Parteiengehörs hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit, sich zu äußern. Das Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens wurde jedoch nicht bestritten. Es wurden der Beschwerde keine Beweismittel beigelegt, welche mit der gutachterlichen Beurteilung der Funktionseinschränkungen nicht in Einklang stehen. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben. Darüberhinaus wurde vom bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers explizit mitgeteilt, dass er auf eine mündliche Verhandlung verzichte.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.
Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.
Schlagworte
Behindertenpass Gesundheitsschädigung Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W141.2240607.1.00Im RIS seit
27.09.2021Zuletzt aktualisiert am
27.09.2021