TE Vwgh Beschluss 2021/9/1 Ra 2021/19/0247

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Veröffentlicht am 01.09.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §19 Abs3
BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des M T T, in Braunau am Inn, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen die am 10. Februar 2021 mündlich verkündeten und mit 22. März 2021 schriftlich ausgefertigten Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts, 1. L510 2210172-1/29E und 2. L510 2210172-2/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 12. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er haben seinen Herkunftsstaat aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Miliz Asaeb Ahl Al Haq, welche ihn und seinen Bruder verfolgt habe, verlassen.

2        Mit Bescheid vom 19. Oktober 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit Bescheid vom 22. Jänner 2021 sprach das BFA aus, dass der Revisionswerber auf Grund der Anklageerhebung wegen eines Suchtmitteldeliktes gemäß § 13 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 sein Recht auf Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 3. März 2020 verloren habe.

4        Das mit Beschwerde angerufene Bundesverwaltungsgericht (BVwG) führte am 10. Februar 2021 eine mündliche Verhandlung durch, zu welcher zwar ein Rechtsvertreter, nicht aber der Revisionswerber erschien. Die Verhandlung wurde in Abwesenheit des Revisionswerbers, aber in Anwesenheit seines Vertreters durchgeführt.

5        Mit den am selben Tag mündlich verkündeten und mit 22. März 2021 schriftlich ausgefertigten Erkenntnissen wies das BVwG die gegen die beiden genannten Bescheide erhobenen Beschwerden des Revisionswerbers ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Mit Beschluss vom 5. Mai 2021, E 1722/2021-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diese Erkenntnisse gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Die Revision, die sich inhaltlich nicht gegen die Abweisung der Beschwerde in Bezug auf den Verlust des Aufenthaltsrechts wendet, bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das BVwG habe seine Verhandlungspflicht verletzt.

11       Grundsätzlich hindert das Nichterscheinen einer ordnungsgemäß geladenen Partei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht. Voraussetzung für die Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Partei ist somit eine „ordnungsgemäße Ladung“. Davon kann dann nicht gesprochen werden, wenn einer der in § 19 Abs. 3 AVG genannten - das Nichterscheinen des Geladenen rechtfertigenden - Gründe vorliegt. Eine rechtswirksam geladene Partei hat die zwingenden Gründe für ihr Nichterscheinen darzutun. Sie muss etwa im Fall einer Erkrankung nicht nur deren Vorliegen behaupten und dartun, sondern auch die Hinderung am Erscheinen bei der Verhandlung aus diesem Grund. Die Triftigkeit des Nichterscheinens muss überprüfbar sein (vgl. VwGH 30.11.2020, Ra 2020/19/0342, mwN).

12       Das BVwG führte am 10. Februar 2021 eine mündliche Verhandlung durch, an der zwar nicht der Revisionswerber, aber sein Vertreter teilnahm. Die Revision tritt den Ausführungen des angefochtenen Erkenntnisses, wonach der Revisionswerber zur Verhandlung unentschuldigt nicht erschienen sei, nicht entgegen. Sie behauptet auch nicht, dass der Revisionswerber am Erscheinen gehindert gewesen sei, sondern bringt vor, der Revisionswerber habe irrtümlich geglaubt, die Verhandlung sei abgesagt worden. Vor diesem Hintergrund ist dem Vorbringen betreffend die Verletzung der Verhandlungspflicht durch das BVwG der Boden entzogen.

13       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit auch vor, das BVwG habe keine aktuellen Länderberichte herangezogen. Damit macht sie einen Verfahrensmangel geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei deren Vermeidung in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 18.1.2021, Ra 2020/19/0431, mwN).

14       Eine solche Relevanzdarstellung enthält die Revision nicht. Sie legt nicht dar, welche konkret die Situation des Revisionswerbers betreffenden Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat zu treffen gewesen wären.

15       Schließlich wendet sich die Revision zu ihrer Zulässigkeit gegen die Rückkehrentscheidung und bringt vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, wann bei einer Aufenthaltsdauer von fünf Jahren von einer „herausragenden Integration“ zu sprechen sei, wobei beim Revisionswerber eine „in mehrfacher Hinsicht fortgeschrittene Integration“ vorliege.

16       Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 19.5.2021, Ra 2021/19/0047, mwN).

17       Das persönliche Interesse nimmt zwar grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. VwGH 3.3.2021, Ra 2021/19/0023, mwN).

18       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 24.2.2021, Ra 2021/19/0017, mwN).

19       Vor diesem Hintergrund zeigt die Revision weder auf, dass maßgebliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der angesprochenen Rechtsfrage fehlt, noch dass das BVwG, welches in seiner Interessenabwägung zu Recht die Straffälligkeit des Revisionswerbers berücksichtigte, fallbezogen von den Leitlinien der dargestellten Rechtsprechung abgewichen wäre.

20       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 1. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190247.L00

Im RIS seit

27.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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