TE Lvwg Beschluss 2021/8/5 VGW-172/092/10978/2021

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Veröffentlicht am 05.08.2021
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Entscheidungsdatum

05.08.2021

Index

82/03 Ärzte Sonstiges Sanitätspersonal

Norm

ÄrzteG 1998 §157 Abs2

Text

Das Verwaltungsgericht Wien fasst durch seinen Richter Mag. Dr. Kienast über die Beschwerde des Herrn MR Dr. A. B. vom 14.12.2020 gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Wien, vom 22.10.2020, Zl. ..., betreffend Disziplinarvergehen nach § 136 Abs. 1 Z 2 Ärztegesetz (ÄrzteG) den

BESCHLUSS:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen.

II. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine (ordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Begründung

I. Verfahrensgang:

Mit Disziplinarerkenntnis vom 22.10.2020 erkannte die belangte Disziplinarkommission den Beschwerdeführer für schuldig, er habe entgegen § 49 Abs. 2c ÄrzteG iVm. § 14 Abs. 5 der Verordnung über die ärztliche Fortbildung mit Stichtag 1.12.2019 weder ein DFP-Diplom besessen noch für den Zeitraum 1.9.2016 bis 1.9.2019 zumindest 150 DFP-Punkte nachgewiesen und damit nicht (ausreichend) glaubhaft gemacht, seine Pflicht zur Fortbildung erfüllt zu haben. Solcherart habe er seine Berufspflichten nach § 49 Abs. 2c und § 49 Abs. 1 ÄrzteG verletzt und damit das Disziplinarvergehen nach § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG begangen. Über ihn wurde gemäß § 189 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG die Disziplinarstrafe der Geldstrafe von € 2.000,-- verhängt; zudem wurde er verpflichtet, gemäß § 163 Abs. 1 ÄrzteG die mit € 1.000,-- bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens zu ersetzen. Diesem Erkenntnis ging eine mündliche Disziplinarverhandlung voraus, bei der der Beschwerdeführer nicht anwesend war.

Mit Schriftsatz vom 14.12.2020 zog der Beschwerdeführer dieses Disziplinarerkenntnis (rechtzeitig) in Beschwerde und beantragte einen Freispruch vom erhobenen Vorwurf. Überdies erhob er gegen dieses Disziplinarerkenntnis auch Einspruch, weil er durch ein unabwendbares Hindernis an der Teilnahme der Verhandlung abgehalten worden sei.

Mit Beschluss vom 22.2.2021 gab die belangte Disziplinarkommission dem Einspruch des Beschwerdeführers statt, hob das Disziplinarerkenntnis ... vom 22.10.2020 auf und ordnete eine neue mündliche Verhandlung für den 3.5.2021 an. Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft.

Mit E-Mail vom 2.5.2021 teilte Dr. C. D. in Vertretung des Beschwerdeführers der belangten Disziplinarkommission mit, dass der Beschwerdeführer an akuten Herzbeschwerden leide und deshalb an der Teilnahme an der für den nächsten Tag anberaumten Verhandlung verhindert sei.

Dass am 3.5.2021 vor der belangten Disziplinarkommission eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, ist im vorgelegten Disziplinarakt nicht dokumentiert.

Mit Schreiben vom 14.5.2021 forderte die belangte Disziplinarkommission den Beschwerdeführer auf, binnen einer Woche ein ärztliches Attest über seine Beschwerden am 2.5.2021 und 3.5.2021 nachzureichen. Der Beschwerdeführer legte der belangte Disziplinarkommission kein Attest vor.

Mit Beschluss vom 21.6.2021 sprach die belangte Disziplinarkommission aus, dass das Disziplinarerkenntnis ... vom 22.10.2020 dem Beschwerdeführer gegenüber rechtskräftig ist.

Mit Schriftsatz vom 12.7.2021 zog der Beschwerdeführer den Beschluss der belangten Disziplinarkommission vom 21.6.2021 in Beschwerde und beantragte dessen ersatzlose Behebung.

Mit Note vom 19.7.2021 legte die belangte Disziplinarkommission dem Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde vom 14.12.2020 gegen das Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission vom 22.10.2020 samt dem bezughabenden Disziplinarakt zur Entscheidung vor, wo sie am 21.7.2021 einlangte.

II. Das Verwaltungsgerichte Wien hat erwogen:

1. Feststellungen:

Mit Disziplinarerkenntnis vom 22.10.2020 wurde der Beschwerdeführer zur Zahlung einer Geldstrafe und von Verfahrenskosten verpflichtet. Bei der zuvor durchgeführten mündlichen Verhandlung vor der belangten Disziplinarkommission war der Beschwerdeführer nicht anwesend.

Mit Schriftsatz vom 14.12.2020 erhob der Beschwerdeführer gegen dieses Diszplinarerkenntnis innerhalb der Rechtsmittelfrist Beschwerde und gemäß § 157 Abs. 1 ÄrzteG Einspruch.

Mit Beschluss vom 22.2.2021 hob die belangte Disziplinarkommission in Stattgebung des Einspruchs das Disziplinarerkenntnis vom 22.10.2020 auf und ordnete eine mündliche Verhandlung an. Dieser Beschluss wurde rechtskräftig.

Einen Tag vor dem neuerlichen Verhandlungstermin entschuldigte sich der Beschwerdeführer krankheitshalber; eine mündliche Verhandlung fand am nächsten Tag (3.5.2021) nicht statt.

Mit Beschluss vom 21.6.2021 sprach die belangte Disziplinarkommission aus, dass das Disziplinarerkenntnis vom 22.10.2020 dem Beschwerdeführer gegenüber rechtskräftig ist.

Diesen Beschluss zog der Beschwerdeführer gleichfalls in Beschwerde; über sie ist noch nicht entschieden worden.

2. Beweiswürdigung:

Diese Feststellungen gründen im insoweit unbedenklichen Disziplinarakt. Dass am 3.5.2021 keine mündliche Verhandlung vor der belangte Disziplinarkommission stattgefunden hat, erschließt sich dem erkennenden Verwaltungsgericht aus der Tatsache, dass im vorgelegten Disziplinarakt keine Niederschrift dieser Verhandlung einliegt, obwohl nach § 164 Abs. 1 ÄrzteG über jede mündliche Verhandlung eine Niederschrift aufzunehmen wäre. Auch finden sich keine sonstigen Anhaltspunkte für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Der Beschwerdeführer war bei der mündlichen Verhandlung in der gegen ihn geführten Disziplinarangelegenheit am 22.10.2020 nicht anwesend. Er focht das nachfolgend erlassene Disziplinarerkenntnis mit Beschwerde (an das Verwaltungsgericht Wien) und mit Einspruch (an die belangte Disziplinarkommission) an.

Die belangte Disziplinarkommission sprach daraufhin – bevor sie die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vorlegte (oder selbst eine Beschwerdevorentscheidung traf) – mit Beschluss vom 22.2.2021 über den Einspruch ab, und zwar ordnete sie in Stattgebung des Einspruchs – wie es § 157 Abs. 2 ÄrzteG vorsieht – eine neue mündliche Verhandlung an.

Die belangte Disziplinarkommission hob jedoch mit dem Beschluss vom 22.2.2021 auch das Disziplinarerkenntnis vom 22.10.2020 auf. Dies war nicht erforderlich: Mit dem Einbringen eines Einspruchs gegen ein Disziplinarerkenntnis wird dieses schwebend unwirksam. Ist der Einspruch unbegründet und wird daher dem Einspruch nicht stattgegeben, erlangt das Disziplinarerkenntnis wieder volle Wirksamkeit. Gleiches gilt – wie dies auch § 157 Abs. 2 ÄrzteG ausdrücklich anordnet –, wenn der Beschuldigte der neuerlichen Verhandlung wiederum fernbleibt. Wird aber nach der mündlichen Verhandlung ein neues Disziplinarerkenntnis gefällt, tritt dieses an die Stelle des mit dem Einspruch bekämpften, ohne dass es dessen Aufhebung bedarf.

 

Mit der ausdrücklichen Aufhebung des Disziplinarerkenntnisses mit dem (mittlerweile rechtskräftigen) Beschluss vom 22.2.2021 schied dieses jedoch aus dem Rechtsbestand aus und verlor damit auch den Zustand der schwebenden Unwirksamkeit; das hat zur Konsequenz, dass auch die in § 157 Abs. 2 ÄrzteG positivierte Rechtsfolge, dass das angefochtene Disziplinarerkenntnis dem Beschwerdeführer gegenüber als rechtskräftig anzusehen ist (wenn er auch der neuerlichen mündlichen Verhandlung fernbleibt), nicht (mehr) eintreten kann, weil das Disziplinarerkenntnis eben nicht (mehr) schwebend unwirksam, sondern bereits gänzlich aus dem Rechtsbestand ausgeschieden ist. Die gesetzliche Rechtsfolge des „rechtskräftig Werdens“ kann bei Bescheiden, die nicht mehr dem Rechtsbestand angehören, nicht mehr eintreten.

Dies wiederum hat zur Folge, dass durch die rechtskräftige Aufhebung des Disziplinarerkenntnisses vom 22.10.2020 und damit mit dessen Ausscheiden aus dem Rechtsbestand der Beschwerde des Beschwerdeführers vom 14.12.2020 der Anfechtungsgegenstand abhandengekommen ist, weshalb die Beschwerde spruchgemäß zurückzuweisen war.

3.2. Darüber hinaus wäre die gesetzliche Rechtsfolge des § 157 Abs. 2 ÄrzteG auch deshalb nicht eingetreten, weil diese voraussetzt, dass der Beschwerdeführer einer mündlichen Verhandlung ferngeblieben ist; Voraussetzung der Rechtsfolge ist somit jedenfalls, dass eine neuerliche mündliche Verhandlung überhaupt stattgefunden hat. Dies ist aber gerade im gegenständlichen Disziplinarverfahren nicht der Fall gewesen.

3.3. Schließlich hätte die gesetzliche Rechtsfolge des § 157 Abs. 2 ÄrzteG, die aus Rechtsschutzgründen der bescheidmäßigen Konkretisierung bedarf, auch aus folgendem Grund noch nicht eingetreten sein können: Der Beschwerdeführer hat ja den Beschluss der belangten Disziplinarkommission vom 21.6.2021, mit dem diese aussprach, dass das Disziplinarerkenntnis vom 22.10.2020 dem Beschwerdeführer gegenüber rechtskräftig ist, mittels Beschwerde vom 12.7.2021 bekämpft, und dieser Beschwerde kommt gemäß § 13 Abs. 1 VwGVG aufschiebende Wirkung zu. Da über diese Beschwerde noch nicht entschieden wurde, treten folglich die Wirkungen des Ausspruchs, dass das Disziplinarerkenntnis rechtskräftig ist, nicht ein.

Der Beschluss vom 21.6.2021 liegt zwar ebenso wie die gegen ihn gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers vom 12.7.2021 im von der belangten Disziplinarkommission dem Verwaltungsgericht Wien vorgelegten Disziplinarakt ein, es ist jedoch dem Verwaltungsgericht Wien verwehrt, (auch) über diese Beschwerde abzusprechen: Die Beschwerdevorlage iSd. § 14 VwGVG setzt nämlich einen Willensentschluss und die dementsprechende Willenserklärung der Verwaltungsbehörde voraus (VwGH 29.6.2021, Fr 2021/22/0005). Die belangte Disziplinarkommission hat jedoch in der Beschwerdevorlage ausdrücklich erklärt, (allein) die Beschwerde vom 14.12.2020 gegen das Erkenntnis der Disziplinarkommission vom 22.10.2020 vorzulegen, nicht jedoch auch die Beschwerde vom 12.7.2021 gegen den Beschluss vom 21.6.2021.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Wiens hätte der Beschluss vom 21.6.2021 – unvorgreiflich der Beurteilung seiner Rechtmäßigkeit (vgl. Pkt. 3.2) – aber auch dahin zu lauten gehabt, dass das Erkenntnis gegenüber dem Disziplinarbeschuldigten rechtswirksam ist; das Verwaltungsgericht Wien übersieht nicht, dass auch in § 157 Abs. 2 ÄrzteG von der Rechtskraft die Rede ist; da jedoch der Beschwerdeführer das Disziplinarerkenntnis – sollte es wiederum in Rechtswirksamkeit getreten sein (was hier verneint wird, vgl. Pkt. 3.1.) – mit Beschwerde bekämpft hat, wäre es keinesfalls rechtskräftig. Die gesetzliche Bestimmung des § 157 Abs. 2 ÄrzteG ist daher nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Wien dahin teleologisch zu reduzieren, dass die Formulierung „rechtskräftig“ nur jene Fälle erfasst, in dem der Disziplinarbeschuldigte neben dem Einspruch nicht auch eine Beschwerde an das Verwaltungsgericht erhoben hat. Hat er dies aber getan, wird mit dem auf § 157 Abs. 2 ÄrzteG gestützten Beschluss der schwebend unwirksame Zustand des Disziplinarerkenntnisses beendet und tritt dessen Rechtswirksamkeit ein (nicht aber auch dessen Rechtskraft).

3.4. Eine mündliche Verhandlung konnte in casu auf dem Boden des § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen (zumal die Durchführung einer Verhandlung gar nicht beantragt wurde). Auch Art. 6 Abs. 1 EMRK steht einem Einfall der mündlichen Verhandlung nicht entgegen, weil keine Fragen der Glaubwürdigkeit zu beurteilen waren, die Tatsachen unbestritten sind und das Gericht auf der Grundlage der Aktenlage entscheiden konnte, wobei im konkreten Fall lediglich rechtliche Fragen zu entscheiden waren (vgl. VwGH 21.12.2016, Ra 2016/04/0117 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 8.11.2016, Nr. 64160/11, Pönkä, Rn 32).

3.5. Die (ordentliche) Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die aufgeworfenen Rechtsfragen sind entweder an Hand des eindeutigen Wortlauts der heranzuziehenden Bestimmungen zu beantworten oder von der Judikatur des VwGH bereits geklärt (vgl. die im Beschluss zitierten Entscheidungen des VwGH). Es liegen keine Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

Schlagworte

Disziplinarvergehen; Einspruch; schwebende Unwirksamkeit; Rechtskraft; Rechtswirksamkeit; teleologische Reduktion

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.172.092.10978.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.09.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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