TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/30 W205 2240809-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.03.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

30.03.2021

Norm

BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch


W205 2240809-1/2Z

Teilerkenntnis:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. SCHNIZER-BLASCHKA als Einzelrichterin über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen Spruchpunkt V. des Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2021, Zl. 206674510/200878041, zu Recht:

A)

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides wird Folge gegeben und dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG wird der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer I. gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen, II. gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig ist, weiters wurde gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III). Mit Spruchpunkt IV. wurde gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt und mit Spruchpunkt V. der Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG, die aufschiebende Wirkung aberkannt.

In sachverhaltsmäßiger Hinsicht ging das BFA ua davon aus, der Beschwerdeführer sei indischer Staatsbürger, ledig und habe keine Kinder. Er sei zuletzt im Besitz eines Daueraufenthalts – EU, gültig bis zum 24.05.2023 und seit 16.03.2001 durchgehend im Bundesgebiet mit Hauptwohnsitz gemeldet gewesen. Er sei im Alter von fünf Jahren mit seinen Angehörigen in die Republik Österreich eingereist, habe die Pflichtschule abgeschlossen und drei Jahre die Handelsschule besucht. Er habe bereits zu Schulzeiten mit einer geringfügigen Beschäftigung begonnen, später näher angeführte geringfügige Beschäftigungen ausgeübt, beherrsche Deutsch in Wort und Schrift. Seine ganze Familie und seine Freunde sowie die angegebene Verlobte hielten sich im Bundesgebiet auf. Aus den behördlichen Abfragen sei ersichtlich, dass er mit der vermeintlichen Verlobten keinen gemeinsamen Haushalt führe.

In der Republik Österreich sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Suchtgifthandels sowie des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von neun (9) Monaten verurteilt worden, weswegen – mit näherer Begründung - die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot zu erlassen sei. Zur Rückkehrentscheidung führte das BFA (ua) folgendes näher aus:

„Aufgrund der Aktualität Ihrer Verurteilung, Sie wurden am 02.11.2020 (rechtskräftig mit 11.02.2020) vom Landesgericht für Strafsachen Wien, XXXX wegen dem Vergehen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall Abs. 3 1. Fall SMG und wegen dem Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1. und 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 9 (neun) Monaten, davon 6 (sechs) Monate unter Setzung einer Probezeit von 3 (drei) Jahren bedingt rechtskräftig verurteilt.

Im Urteil ist angeführt, dass Sie schuldig sind, Sie haben vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Kokain mit dem Wirkstoff Cocain in durchschnittlicher Qualität von zumindest 30% Reinheit von Februar 2020 bis zum Tag Ihrer Festnahme am 09.09.2020 in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge einem Dritten gegen Entgelt überlassen, nämlich insgesamt 120 g Kokain, wobei Sie selbst an Suchtmittel gewöhnt ist und die strafbaren Handlungen überwiegend deswegen beging um sich selbst Suchtmittel bzw. Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen. Sie haben am 09.09.2020 Suchtmittel besessen und zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt davor erworben, nämlich 6,1 g Cannabiskraut (Wirkstoff THCA und Delta-9-THC).

Sie haben hierdurch die Vergehen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall Abs. 3 1. Fall SMG und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 und 2. Fall SMG begangen.

Im Zuge der Strafbemessung, erkannte das Gericht als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen, der Umstand, dass es mehrere Abnehmer gegeben hat; als mildernd die Unbescholtenheit sowie das Geständnis.

Dass Ihr Verhalten eine schwerwiegende, erhebliche und vor allem nachhaltige Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt, ergibt sich zwingend aus Ihrem Fehlverhalten. Die öffentlichen Interessen an der Förderung an der Volksgesundheit und am sozialen Frieden überwogen angesichts der sich objektiv aus dem Strafmaß ergebenden Schwere am Verbleib im Bundesgebiet klar. Soweit ein Privatleben in Österreich besteht, Ihre Mutter und Ihre vermeintliche Verlobte leben in Österreich kann ein Familienleben als relativiert angesehen werden, da eine Kommunikation und ein Treffen (Besuch) auch in Indien möglich wären.“

Zu Spruchpunkt V wurde begründend ausgeführt, der Beschwerdeführer sei in Österreich rechtskräftig verurteilt worden und sein Verbleib in Österreich stelle eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Seine sofortige Ausreise sei daher erforderlich, da er die österreichische Bevölkerung an der Volksgesundheit gefährde.

Es bestehe – so die Begründung weiter - die Gefahr, „dass Sie weitere Vergehen begehen. In Zusammenschau Ihres Gesamtverhaltens ergibt sich, dass Sie der Republik Österreich gegenüber ablehnend eingestellt sind und nur auf Ihren persönlichen Vorteil bedacht sind. Es ist nicht ersichtlich, warum sich Ihr bisheriges Fehlverhalten in der Zukunft ändern bzw. bessern sollte. Ihre Ausreise ist im überwiegenden öffentlichen Interesse ohne unnötigen zeitlichen Aufschub vorzunehmen und stellt ein weiterer Verbleib ein unkalkulierbares Risiko dar.

Ihre Missachtung der gesetzlichen Regelungen hat somit die öffentliche Ordnung empfindlich und nachhaltig gestört. Dies begründet ein Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Ausreise Ihrer Person aus dem Bundesgebiet, weshalb die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde abzuerkennen war.

Für die Behörde steht fest, dass für Sie bei Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Menschenrechtsverletzung gegeben ist. Es ist in Ihrem Fall davon auszugehen, dass die sofortige Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Interesse eines geordneten Fremdenwesens geboten ist. § 18 Abs. 2 BFA-VG sieht bei Vorliegen des oben genannten Tatbestandes zwingend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung vor. Mangels Vorliegens einer realen menschenrechtsrelevanten Gefahr ist es Ihnen zumutbar, den Ausgang Ihres Verfahrens im Herkunftsstaat abzuwarten. Ihr Interesse auf einen Verbleib in Österreich während des gesamten Verfahrens war im Hinblick auf das Interesse Österreichs an einer raschen und effektiven Durchsetzung der Rückkehrentscheidung nicht zu berücksichtigen.

Wie auch schon oben unter Spruchpunkt I ausführlich erörtert, stellt Ihr Verbleib in Österreich eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar. Ihre sofortige Ausreise ist daher erforderlich.

Ihre sofortige und unmittelbare Ausreise ist erforderlich, da die Gefahr besteht, dass Sie rückfällig werden. Aufgrund der Schwere Ihrer Tat kann von keiner positiven Zukunftsprognose ausgegangen werden und es besteht die Gefahr, dass Sie Ihr Tat wiederholen. Es war dabei die amtsbekannte Tatsache der hohen Rückfallsgefahr im Bereich der Suchtmittelkriminalität zu berücksichtigen und war aus diesem Grund auch konkret zu befürchten, dass Sie jederzeit wieder in dieser Weise tätig werden und dadurch Schaden an der Gesundheit der Bevölkerung verursachen würden, weshalb es erforderlich ist, sicherzustellen, dass Sie das Bundesgebiet unverzüglich verlassen.

Das bedeutet, dass Sie mit dem Zeitpunkt der Durchführbarkeit dieser Rückkehrentscheidung zur unverzüglichen freiwilligen Ausreise verpflichtet sind. Kommen Sie dieser Verpflichtung nicht zeitgerecht nach, so können Sie auch unter den in § 46 Abs. 1 Z 1 bis 4 FPG sonst genannten Voraussetzungen zur Ausreise verhalten werden (Abschiebung).“

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Der Beschwerdeführer führte in der Begründung im Wesentlichen aus, im vorliegenden Fall sei davon auszugehen, dass eine Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr der Verletzung des Art. 8 EMRK zur Folge habe. Der Beschwerdeführer sei seit 16.03.2001 behördlich in Österreich gemeldet, sein Aufenthalt sei bis heute nicht rechtswidrig gewesen, er sei im Besitz eines Daueraufenthalts-EU. Die gesamte Familie lebe in Österreich. Die Schutzwürdigkeit des Privatlebens und der Grad der Integration seien ausschlaggebend dafür, dass hier ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK gegeben wäre, würde man den Beschwerdeführer tatsächlich in sein Herkunftsland abschieben. Wie auch die belangte Behörde auf Seite 19 feststelle, sei der Beschwerdeführer in Österreich aufgewachsen, weil er sich seit seinem 5. Lebensjahr hier aufhalte.

Er beherrsche die deutsche Sprache und es sei davon auszugehen, dass er über weitere Bekannte und Verwandte in Österreich verfüge.

Aus diesem Grund überwiege die Achtung des Familienlebens iSd Art. 8 EMRK, sodass jedenfalls der Beschwerde von amtswegen aufschiebende Wirkung zuzuerkennen sei.

3. Die gegenständliche Beschwerde langte samt Verwaltungsakt am 26.03.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Der für die gegenständliche Entscheidung relevante § 18 BFA-VG lautet auszugsweise:

„Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde

§ 18.

( ….)

(2) Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist vom Bundesamt abzuerkennen, wenn

1.       

die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist,

2.

der Drittstaatsangehörige einem Einreiseverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt ist oder

3.

Fluchtgefahr besteht.

( ….)

(5) Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.“

Im Beschwerdefall kam das BFA zu dem Ergebnis, dass die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich sei. Dies insbesondere deshalb, weil von keiner positiven Zukunftsprognose ausgegangen werden könne und die Gefahr bestehe, dass der Beschwerdeführer die Tat wiederholen werde. Es sei die amtsbekannte Tatsache der hohen Rückfallsgefahr im Bereich der Suchtmittelkriminalität zu berücksichtigen und es sei aus diesem Grund auch konkret zu befürchten, dass der Beschwerdeführer jederzeit wieder in dieser Weise tätig werden und dadurch Schaden an der Gesundheit der Bevölkerung verursachen würde.

Dieser Auffassung wird in dieser Generalität nicht gefolgt:

§ 43 und § 43a StGB normieren die Voraussetzungen für die Gewährung einer bedingten/teilbedingten Strafnachsicht. Sie lauten:

„Bedingte Strafnachsicht

§ 43. (1) Wird ein Rechtsbrecher zu einer zwei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe verurteilt, so hat ihm das Gericht die Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von mindestens einem und höchstens drei Jahren bedingt nachzusehen, wenn anzunehmen ist, dass die bloße Androhung der Vollziehung allein oder in Verbindung mit anderen Maßnahmen genügen werde, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, und es nicht der Vollstreckung der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Dabei sind insbesondere die Art der Tat, die Person des Rechtsbrechers, der Grad seiner Schuld, sein Vorleben und sein Verhalten nach der Tat zu berücksichtigen.

(2) Wird die Nachsicht nicht widerrufen, so ist die Strafe endgültig nachzusehen. Fristen, deren Lauf beginnt, sobald die Strafe vollstreckt ist, sind in einem solchen Fall ab Rechtskraft des Urteils zu berechnen.

(3) Die bedingte Nachsicht (Abs. 1) einer wegen Vergewaltigung (§ 201) verhängten Strafe ist ausgeschlossen.

Bedingte Nachsicht eines Teiles der Strafe

§ 43a. (1) Wird auf eine Geldstrafe erkannt und treffen die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 auf einen Teil der Strafe zu, so hat das Gericht diesen Teil, höchstens jedoch drei Viertel davon, bedingt nachzusehen.

(2) Wäre auf eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten, aber nicht mehr als zwei Jahren zu erkennen und liegen nicht die Voraussetzungen für eine bedingte Nachsicht der ganzen Strafe vor, so ist an Stelle eines Teiles der Freiheitsstrafe auf eine Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu erkennen, wenn im Hinblick darauf der verbleibende Teil der Freiheitsstrafe nach § 43 Abs. 1 bedingt nachgesehen werden kann.

(3) Wird auf eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten, aber nicht mehr als zwei Jahren erkannt und kann, insbesondere im Hinblick auf frühere Verurteilungen des Rechtsbrechers, weder die ganze Strafe bedingt nachgesehen noch nach Abs. 2 vorgegangen werden, so ist unter den Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 ein Teil der Strafe bedingt nachzusehen. Der nicht bedingt nachgesehene Teil der Strafe muss mindestens einen Monat und darf nicht mehr als ein Drittel der Strafe betragen.
(4) Wird auf eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei, aber nicht mehr als drei Jahren erkannt und besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Rechtsbrecher keine weiteren strafbaren Handlungen begehen werde, so ist unter den Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 ein Teil der Strafe bedingt nachzusehen. Abs. 3 letzter Satz ist anzuwenden.“

Im Beschwerdefall kam das Strafgericht nach Würdigung aller Umstände (Art der Tat, Person des Rechtsbrechers, Grad seiner Schuld, Vorleben und Verhalten nach der Tat) offenkundig zu dem Ergebnis, dass beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Gewährung einer bedingten Strafnachsicht für den größeren Teil der Freiheitsstrafe vorliegen. Dies impliziert, dass das Strafgericht zu er Annahme gelangte, dass konkret beim Beschwerdeführer die bloße Androhung der Vollziehung der Reststrafe ausreichen werde, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten (vgl. dazu die oben dargestellte Rechtslage zu den Voraussetzungen einer bedingten/teilbedingten Strafnachsicht). Damit ging das Strafgericht gerade nicht davon aus, dass beim Beschwerdeführer eine „hohe Rückfallsgefahr“ vorliegt.

Das BFA hat keine individuellen Gründe dargelegt, die eine – entgegen dieser Beurteilung des Strafgerichtes –vom Beschwerdeführer ausgehende besondere Gefahr nahelegen und das Erfordernis seiner sofortigen Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit begründen würde. Die verallgemeinernden Aussagen des BFA zur Begründung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung, wonach es nicht ersichtlich sei, warum sich das bisherige Fehlverhalten des Beschwerdeführers in der Zukunft ändern bzw. bessern sollte, …. dass ein weiterer Verbleib ein unkalkulierbares Risiko darstellen würde, sind nach Auffassung des BVwG nicht geeignet, die im Strafurteil durch die Gewährung einer teilbedingten Strafnachsicht getroffene Prognose in Frage zu stellen und zu rechtfertigen, dass die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen hat. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich waren (VwGH 12.9.2013, 2013/21/0094; VwGH 3.7.2018, Ro 2018/21/0007). Die Notwendigkeit der sofortigen Ausreise als gesetzliche Voraussetzung für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung betreffend die Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung erfordert also das Vorliegen besonderer Umstände, die mit den Voraussetzungen für die Aufenthaltsbeendigung als solche nicht gleichzusetzen sind (VwGH 16.01.2020, Ra 2019/21/0360). Solche Umstände sind allerdings im Beschwerdefall nicht erkennbar.

Weiters bedarf es im Hinblick auf das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers, der von Kindheit an nunmehr seit über 20 Jahren in Österreich lebt und über eine hier zum Aufenthalt berechtigte Familie verfügt, einer sorgfältigen Prüfung, ob die Rückkehrentscheidung bzw. Abschiebung den Beschwerdeführer nicht in seinen von der EMRK geschützten Rechten verletzen würde.

Eine abschließende Beurteilung dieser Fragen ist jedoch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes erst nach eingehenderer Prüfung des Beschwerdefalles möglich.

Da nach dem Gesagten die Voraussetzungen für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG im Beschwerdefall nicht vorliegen, war der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt V. statt zu geben und dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Soweit sich die Beschwerde gegen die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides richtet, wird darüber abgesondert entschieden werden.

2. Die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist nicht als Entscheidung in der Sache selbst zu werten, vielmehr handelt es sich bei dieser um eine der Sachentscheidung vorgelagerte Entscheidung, die nicht geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens vorwegzunehmen. Es ist in diesem Zusammenhang daher lediglich darauf abzustellen, ob es von vornherein ausgeschlossen scheint, dass die Angaben des Beschwerdeführers als "vertretbare Behauptungen" zu qualifizieren sind, die in den Schutzbereich der hier relevanten Bestimmungen der EMRK reichen.

3. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte zur Beurteilung der Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen.

4. § 18 Abs. 5 BFA-VG verpflichtet das Bundesverwaltungsgericht dazu, über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung durch das Bundesamt bzw. gegen einen derartigen trennbaren Spruchteil eines Bescheides binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde mit (Teil-)Erkenntnis abzusprechen (VwGH vom 19.10.2017, Ra 2017/18/0278.). Es war daher mit Teilerkenntnis zu entscheiden.

Zu B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eine Frage des Einzelfalles ist, der grundsätzlich keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung Nachsichterteilung Privat- und Familienleben strafrechtliche Verurteilung Teilerkenntnis Zukunftsprognose

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W205.2240809.1.00

Im RIS seit

21.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten