TE Bvwg Beschluss 2021/6/14 W124 2214526-2

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Veröffentlicht am 14.06.2021
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Entscheidungsdatum

14.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AVG §38
AVG §68
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §17

Spruch


W124 2214526-2/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Bangladesh, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl.: XXXX , in der Fassung beschlossen:

A)

Das Beschwerdeverfahren wird gemäß § 38 AVG i.V.m. § 17 VwGVG bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-18/20 ausgesetzt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.




Text


Begründung:

1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesh, stellte am XXXX seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Er begründete dies im Wesentlichen damit, dass er ein Hindu sei und während eines religiösen Festes von den Mullahs gestört worden sei. Es sei auch damit gedroht worden ihn umzubringen. Er habe in den darauffolgenden Tagen an einer Demonstration für Religionsfreiheit teilgenommen und nachher gehört, dass die Mullahs ihn deswegen töten wollen würden. Nach dem Freitagsgebet habe er gesehen, wie viele Moslems auf sein Geschäft zugekommen seien, weswegen er durch die Hintertür geflüchtet sei. Sein Geschäft sei zerstört und geplündert worden. Bereits davor sei er mit dem Umbringen bedroht worden, weil er nicht die geforderte Geldsumme für ein muslimisches Seminar habe geben können.

1.2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , wurde dieser Antrag sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG wurden gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Guinea zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft gewährt werden würde.

1.3. Eine dagegen eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG XXXX mit der Maßgabe abgewiesen, dass Spruchpunkt VII. zu Lauten hat: „Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“

1.3. Am XXXX stellte der BF den zweiten Antrag auf internationalen Schutz und gab am XXXX in der niederschriftlichen Einvernahme vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, dass sein neues Problem die Homosexualität sei. Er sei bereits im College in Bangladesh homosexuell gewesen. Aus Angst und Scham habe er dies in Österreich nicht angegeben. Diese Information sei in Bangladesh bereits bei den Hindus und Muslimen verbreitet worden. Sobald er dorthin zurückkehren würde, würde er ermordet werden. Er habe nicht einmal mehr Kontakt mit seiner Familie, da diese davon erfahren hätten. Die radikalen Muslime in seiner Heimat würden seine Familie attackieren, da sie von der Homosexualität erfahren hätten. In der Niederschrift vom XXXX führte der BF zu seinen Fluchtgründen aus den Vorverfahren im Wesentlichen an, dass er nicht sagen könne, ob diese noch aufrecht sein würden, weil er keinen Informationsaustausch mit seiner Heimat pflegen würde. Er habe sich damals nicht „geoutet“, weil er Angst gehabt habe bestraft zu werden. Er würde nunmehr noch einmal einen Antrag auf internationalen Schutz stellen, weil er sich seit seiner Collegezeit von Männern angezogen fühlen würde. Zu diesem Zeitpunkt habe er vier, fünf Freunde gehabt, mit denen er „es versteckt gemacht“ habe. In Bangladeh würde dies verboten sein. Die Homosexualität würde auch ein Grund sein, weshalb der BF geflohen sei. Er würde ein Mensch sein, der in Freiheit leben wolle, was er dort nicht machen könne. Im Juni 2020 habe der BF seinen Vater einmal angerufen, welcher ihm gesagt habe, dass er nicht sein Sohn sein würde und er mit ihm nichts zu tun haben wolle. Die Frau und die Kinder des BF würden auch nicht mehr dort leben und hätten das Haus verlassen.

Jetzt würde er es „offen“ machen und einen Asylantrag stellen. Jeder würde es mitbekommen und würde seine Familie zu Schaden kommen. Dem BF könne es auch passieren, dass er umgebracht, verbrannt oder verschleppt werden könne, wenn er nach Bangladesh gehen würde.

1.5. Mit Urteil vom XXXX des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, XXXX wurde der BF gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 1.2. Fall SMG, § 28a Abs. 1 Z 5. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten, davon 14 Monate bedingt, Probezeit 3 Jahre und 7 Monate unbedingt rechtskräftig verurteilt.

1.6. Mit Bescheid vom XXXX , XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom XXXX hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Der Antrag auf internationalen Schutz vom XXXX wurde hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Guinea zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 a FPG habe keine Frist für die freiwillige Ausreise bestanden (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs.1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wird gegen den BF ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII).

Begründet wurde dies u.a. damit, dass es für das Bundesamt fern jeder Lebensrealität sei, seine Homosexualität vor der Behörde nicht zu erwähnen, weil der BF einerseits fürchte, dass es dann in der Heimat bekannt werden würde, andererseits dann aber wiederum die Homosexualität vor anderen Landsleuten, die wahrscheinlich alle den Kontakt in die Heimat pflegen würden, auszuleben.

In Zusammenschau all der vorgebrachten Faktoren gehe das Bundesamt davon aus, dass die behauptete Homosexualität des BF nicht glaubhaft sei. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt habe sich somit seit Rechtskraft seiner Vorverfahren nicht geändert. Der BF habe keinen asylrelevanten Sachverhalt, welcher nach Rechtskraft des Vorverfahrens am XXXX neu entstanden sei, vorgebracht. Das Vorbringen im gegenständlichen Fall würde als nicht glaubhaft angesehen werden. Es könne kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden. Sein Vorbringen würde als Ergänzung zu den Fluchtgründen seines Erstverfahrens gesehen werden.

Insoweit er nunmehr auch behaupte die bisexuellen Neigungen schon in seinem Heimatland verspürt zu haben und deshalb sein Land verlassen habe müssen, würde diese Vorbringen nicht glaubhaft erscheinen. Der BF habe nicht einmal ansatzweise anlässlich seiner Erstbefragung bzw. auch nicht auf Nachfrage dies erwähnt. Hinsichtlich der Behauptung, dass der BF bisexuell sei, seitdem er in Österreich sei, es aber nicht öffentlich ausgelebt habe, sei zu sagen, dass er von sich aus keinerlei Gefühle betreffend diesen Umstand zu Protokoll gegeben habe, aber auch keine Gedanken bezüglich seiner behaupteten Neigung. Bei einer solchen Neigung würde es sich um einen oftmals in der Pubertät beginnenden Entwicklungsprozess handeln und immer wieder Gedanken um sein eigenes Handeln und das Verhalten der Personen mit denen man interagiert stattfinden. Der BF habe auch nach der eher wortkargen Schilderung dieser Treffen keinerlei Gefühle dargelegt, keine Gedanken zu schildern vermocht, was aber sicherlich möglich und auch lebensnahe gewesen wäre, wenn der BF die von ihm behauptete Situation auch tatsächlich durchlebt hätte bzw. die von ihm behauptete Neigung auch tatsächlich bestehen würde.

1.7. In der dagegen fristgerecht eingebrachten Beschwerde wurde diesbezüglich im Wesentlichen ausgeführt, dass es dem BF mittlerweile gelungen sei die intensive Tabuisierung männlicher Homosexualität in der Gesellschaft, der der BF entstammen würde und das Stigma, welches darauf lasten würde zu überwinden und offen zu seiner sexuellen Orientierung zu stehen. Dass der BF davor schon im Geheimen Beziehungen zu Männern geführt habe, stehe dem nicht entgegen. Der BF habe es erst im Laufe seines Aufenthaltes in Österreich geschafft aus den Zwängen der „konservativ islamischen bengalischen“ Kultur, in der Homosexualität eines der schlimmsten „Verbrechen“ sei, welches ein Mann begehen könne und auch nach den britischen Gesetzen des 19. Jahrhunderts basierenden Rechtsordnung Bangladesh strengstens verboten und mit lebenslanger Haft zu bestrafen sei, zu entkommen. Das Bundesamt habe nicht ansatzweise nachvollziehbar erklärt, warum es behaupte, dass die Angaben des BF nicht der Wahrheit entsprechen würden.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu den Voraussetzungen der Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache:

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).

„Entschiedene Sache“ iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber der Vorentscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides bzw. -erkenntnisses entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266). Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung – nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen – berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN).

Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG ist somit zunächst die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat, die Behörde also auf Grundlage des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht davon ausgegangen ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren auf internationalen Schutz keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (vgl. VwGH 10.01.2020, Ra 2019/18/0026 mwN).

Bei einer Überprüfung einer gemäß § 68 Abs. 1 AVG bescheidmäßig abgesprochenen Zurückweisung eines Asylantrages hat es lediglich darauf anzukommen, ob sich die Zurückweisung auf ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage stützen durfte. Dabei hat die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft auf Grund geänderten Sachverhalts nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausschließlich anhand jener Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht worden sind. Derartige Gründe können im Rechtsmittelverfahren nicht neu geltend gemacht werden (s. zB VwSlg. 5642A; VwGH 23.05.1995, 94/04/0081; zur Frage der Änderung der Rechtslage während des anhängigen Berufungsverfahrens s. VwSlg. 12799 A). Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; 07.06.2000, 99/01/0321).

Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung – obgleich auch diese Möglichkeit besteht – nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 12.10.2016, Ra 2015/18/0221, mwN). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.06.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).

Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde. Bei Vorliegen mehrerer Folgeanträge ist als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) derjenige Bescheid heranzuziehen, mit welchem zuletzt in der Sache entschieden – und nicht etwa nur ein Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen – wurde (vgl. VwGH, 15.11.2000, Zl. 2000/01/0184; 16.07.2003, 2000/01/0440).

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein „Fortbestehen und Weiterwirken“ behauptet; vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).

Ein Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise – für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status – auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem Asylgesetz 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).

3.2. Der Beschwerdeführer macht zur Begründung seines nunmehrigen Antrages auf internationalen Schutz einen Sachverhalt geltend, den er in seinem ersten, inhaltlich entschiedenen Asylverfahren nicht vorbrachte. Die nunmehr ins Treffen geführten Umstände, dass er wegen seiner Homosexualität auch Sanktionen befürchten müsste, weil es in seinem Land verboten sein würde, wären seiner nunmehrigen Schilderungen nach, bereits vor Eintritt der Rechtskraft des sein Asylverfahren inhaltlich abschließenden Erkenntnisses des BVwG vom XXXX vorgelegen.

3.3. Mit Beschluss vom 22.06.2020, Ra 2019/20/0248, hat der Verwaltungsgerichtshof folgende Frage der Auslegung von Unionsrecht dem EuGH vorgelegt:

„1.      Erfassen die in Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), im Weiteren: Verfahrensrichtlinie, enthaltenen Wendungen ‚neue Elemente oder Erkenntnisse‘, die ‚zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind‘, auch solche Umstände, die bereits vor rechtskräftigem Abschluss des früheren Asylverfahrens vorhanden waren?

Falls Frage 1. bejaht wird:

2.       Ist es in jenem Fall, in dem neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im früheren Verfahren ohne Verschulden des Fremden nicht geltend gemacht werden konnten, ausreichend, dass es einem Asylwerber ermöglicht wird, die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen früheren Verfahrens verlangen zu können?

3.       Darf die Behörde, wenn den Asylwerber ein Verschulden daran trifft, dass er das Vorbringen zu den neu geltend gemachten Gründen nicht bereits im früheren Asylverfahren erstattet hat, die inhaltliche Prüfung eines Folgeantrages infolge einer nationalen Norm, die einen im Verwaltungsverfahren allgemein geltenden Grundsatz festlegt, ablehnen, obwohl der Mitgliedstaat mangels Erlassung von Sondernormen die Vorschriften des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt und infolge dessen auch nicht ausdrücklich von der in Art. 40 Abs. 4 Verfahrensrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, eine Ausnahme von der inhaltlichen Prüfung des Folgeantrages vorsehen zu dürfen, Gebrauch gemacht hat?“

3.4. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des nunmehrigen Antrags auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten oder der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache ist die Beantwortung der vom Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegten Fragen relevant.

3.5. Zur Aussetzung des Verfahrens:

3.5.1. § 38 AVG ist gemäß § 17 VwGVG auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anwendbar und hat folgenden Wortlaut:

„Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.“

3.5.2. Der Verwaltungsgerichtshof sieht in ständiger Rechtsprechung sowohl die Verwaltungsbehörden als auch sich selbst als berechtigt an, das Verfahren gemäß § 38 letzter Satz AVG auszusetzen, wenn die betreffende Frage auf Grund eines Vorabentscheidungsersuchens – etwa des VwGH selbst – in einem gleich gelagerten Fall bereits beim EuGH anhängig ist (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz. 18 [Stand 01.07.2005, rdb.at] sowie die dort zitierte Rechtsprechung). Gleiches gilt gemäß § 17 VwGVG für die Verwaltungsgerichte (s. VwGH 20.05.2015, Ra 2015/10/0023).

3.5.3. Die im eingangs zitierten Vorabentscheidungsersuchen gestellten Fragen sind – wie dargelegt – für das vorliegende Verfahren präjudiziell, da sich auch im konkreten Verfahren des Beschwerdeführers dieser auf Umstände stützt, die bereits vor rechtskräftigem Abschluss seines früheren Asylverfahrens vorhanden waren.

B) Unzulässigkeit der Revision

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylverfahren Aussetzung EuGH Folgeantrag Vorabentscheidungsverfahren Vorfrage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W124.2214526.2.00

Im RIS seit

24.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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